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1 pastorale. musik, melancholie und die kunst der selbstregierung ...

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Anamnese<br />

Wo also wären solche Ursachen zu verorten? Was das Leiden des Herrschers<br />

angeht, so mag einem zeitgenössischen Leser vielleicht als erstes ins Auge gefallen sein,<br />

dass Schach Gebal als ein Mann charakterisiert wird, <strong>der</strong> vor dem Hintergr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

zeitgenössischen Diätetik allein schon aufgr<strong>und</strong> seines maßlosen Lebenswandels zur<br />

schwarzgalligen Verstimmung prädestiniert wäre. Der Sultan verkörpert den bei Wieland<br />

sehr häufig geschil<strong>der</strong>ten Typus des dem Luxus verfallenen Müßiggängers, <strong>der</strong> daran<br />

gewöhnt ist, je<strong>der</strong> Leidenschaft nachzugeben, jedes Begehren, insbeson<strong>der</strong>e jedes<br />

sexuelle, sofort erfüllt zu sehen, <strong>und</strong> <strong>der</strong> seine gesamte Zeit damit verbringt, auf immer<br />

neue Wollüste <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Befriedigung zu sinnen. Dass <strong>der</strong> Palast des Sultans, wie so<br />

viele Paläste in Wielands literarischem Universum, als Ort erotischer Ausschweifungen<br />

inszeniert wird, ist auch mit Blick auf <strong>die</strong> Kulturgeschichte <strong>der</strong> Melancholie interessant.<br />

Die „zügellose . . . Geschlechtsgier“ 79 gilt in <strong>der</strong> Antike ebenso wie im achtzehnten<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert als hervorstechen<strong>der</strong> Charakterzug des Melancholikers <strong>und</strong> wird<br />

gleichermaßen als Symptom <strong>und</strong> Ursache seines Leidens dargestellt. So lehrt bereits <strong>die</strong><br />

Antike, <strong>und</strong> mit ihr <strong>die</strong> neohippokratisch orientierte Medizin des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts, dass<br />

sexuelle wie übrigens auch kulinarische Maßlosigkeit - letztere beson<strong>der</strong>s, wenn sie nicht<br />

durch körperliche <strong>und</strong> geistige Tätigkeit kompensiert wird - zu einer pathogenen<br />

Zunahme an schwarzer Galle 80 (bzw. zu einer Korruption <strong>der</strong> Nerven) <strong>und</strong> damit zur<br />

Melancholie führt. Die Kritik <strong>der</strong> wollüstigen „Üppigkeit“, <strong>die</strong> vor kulinarischer,<br />

79 Klibansky et alt., Saturn, 82, vgl. 100, 64 (zu <strong>die</strong>sem Topos im Problem 30,1) u.ö.; vgl. Bandmann,<br />

Melancholie, 79, Flashar, Melancholie, 65-68, Mattenklott, Melancholie, 35f.<br />

80 Zum Theorem <strong>der</strong> schwarzen Galle <strong>und</strong> ihrem „spekulativem Mehrwert“ (Goebl, „Schwermut/<br />

Melancholie“, 448), Starobinski, Geschichte <strong>der</strong> Melancholiebehandlung, Schings, Melancholie, 59-72.<br />

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