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1 pastorale. musik, melancholie und die kunst der selbstregierung ...

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Diesen Zusammenhang verdeutlicht exemplarisch eine Passage aus <strong>der</strong> 1773<br />

erschienenen zweiten Fassung von Wielands Agathon, in welcher <strong>der</strong> gefährliche<br />

„Überdruss“ aus Gewohnheit <strong>und</strong> Sättigung ausgerechnet mit Verweis auf <strong>die</strong><br />

„morgenländischen Fürsten“ verhandelt wird. Die Passage interessiert in unserem<br />

Zusammenhang insbeson<strong>der</strong>e deswegen, weil sie einen Einblick in medizinische <strong>und</strong><br />

literarische Vorstellungswelten gewährt, <strong>die</strong> offenbar als bekannt vorausgesetzt werden<br />

konnten. Die legendäre Prachtentfaltung <strong>der</strong> asiastischen Herrscher, vor allem aber <strong>die</strong><br />

Haremskultur, wie <strong>die</strong> populäre orientalisierende Literatur <strong>und</strong> eben auch <strong>der</strong> Goldne<br />

Spiegel sie lustvoll schil<strong>der</strong>t, ist ein Faszinosum für das zeitgenössische Lesepublikum,<br />

dem nun mit anthropologischer Gründlichkeit zu Leibe gerückt wird.<br />

Das Übermaß <strong>der</strong> sinnlichen Wollüste zerstöret <strong>die</strong> Werkzeuge <strong>der</strong> Empfindung; das<br />

Übermaß <strong>der</strong> Vergnügungen <strong>der</strong> Einbildungskraft, ver<strong>der</strong>bt den Geschmack des echten<br />

Schönen, indem für unmäßige Begierden nichts reizend sein kann, was in <strong>die</strong> Verhältnisse<br />

<strong>und</strong> das Ebenmaß <strong>der</strong> Natur eingeschlossen ist. Daher ist das gewöhnliche Schicksal <strong>der</strong><br />

morgenländischen Fürsten . . . in den Armen <strong>der</strong> Wollust vor Ersättigung <strong>und</strong> Überdruß<br />

umzukommen; indessen . . . daß tausend Schönheiten . . . alle ihre Reizungen . . . umsonst<br />

verschwenden, ihre schlaffen Sinnen zu erwecken, <strong>und</strong> zehen tausend Sklaven ihrer<br />

Üppigkeit in <strong>die</strong> Wette eifern, um unerhörte <strong>und</strong> ungeheure Wollüste zu erdenken, welche<br />

fähig sein möchten, wenigstens <strong>die</strong> glühende Phantasie <strong>die</strong>ser unglückseligen Glückseligen<br />

auf etliche Augenblicke zu betrügen. 85<br />

Im Hinterg<strong>und</strong> <strong>die</strong>ser Passage steht eine psychophysiologische These, <strong>die</strong> auch im<br />

Goldnen Spiegel wie<strong>der</strong> <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> beschworen wird. Ein luxuriöses Leben, wie Schach<br />

Gebal es womöglich führt, ein Leben in „immerwährenden Berauschung <strong>der</strong> Seele“, voll<br />

maßlosen Schwelgens in den „ausgesuchtesten Wollüsten <strong>der</strong> Sinne, <strong>der</strong> Einbildung <strong>und</strong><br />

des Herzens“ (GS 91) führe notwendig zu quälendem Überdruss, den <strong>die</strong> „unglückseligen<br />

85 Wieland, Geschichte des Agathon, 91. Vgl. dazu Frank et alt., Der fiktive Staat, 158f, zur Darstellung <strong>der</strong><br />

Tyrannen im barocken Trauerspiel: „Das Darstellungsinteresse besteht . . . überall darin, <strong>der</strong> souveränen<br />

Macht <strong>und</strong> dem souveränen Begehren . . . seine Grenzen anzuweisen: nicht in den Vorschriften von<br />

Religion, Gesetz o<strong>der</strong> Moral, son<strong>der</strong>n in den Paradoxien ihrer exzessiven Eigenlogik“. Die<br />

„epochenspezifische ‚Kippfigur’, <strong>die</strong> Allmacht in Ohnmacht, Manie in Melancholie umschlagen lässt“,<br />

wird im Goldnen Spiegel anthropologisiert.<br />

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