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Wir können sagen, daß die meisten aktiven Anarchisten in freiheitlich-sozialen Bewegungen engagiert<br />

sind; man nennt dies <strong>de</strong>n ›sozialen Anarchismus‹. Hierbei gibt es die verschie<strong>de</strong>nsten Ansätze, Taktiken*<br />

und Vorgehensweisen, die in <strong>de</strong>r Regel eine konstruktive Zielrichtung haben. Die meisten wollen die<br />

bestehen<strong>de</strong> Gesellschaft im freiheitlich-sozialen Sinne verän<strong>de</strong>rn, die unfreien Institutionen nach Kräften<br />

zersetzen und gleichzeitig neue Mo<strong>de</strong>lle ausprobieren und heranwachsen lassen, die an die Stelle <strong>de</strong>r alten<br />

Strukturen treten sollen.<br />

Lei<strong>de</strong>r aber lassen es unsere Gesellschaften nur selten zu, daß <strong>de</strong>r Anarchismus konstruktiv tätig ist. Oft<br />

genug muß er sich auf reine Verteidigung beschränken. In <strong>de</strong>r Tat sind heute die meisten Anarchisten<br />

vollauf damit beschäftigt, auf die zunehmen<strong>de</strong> Einengung von Freiheit und Lebensgrundlagen zu<br />

reagieren. Solche ›reaktiven Kämpfe‹ — seien sie nun gegen Rüstung, Atomkraftwerke,<br />

Umweltzerstörung, Wohnungsnot, Armut, Behör<strong>de</strong>nsumpf, Polizeiwillkür, Justizarroganz, Entlassungen,<br />

soziale und geschlechtliche Diskriminierung*, tarifpolitische Erpressung o<strong>de</strong>r rechtsradikale Angriffe<br />

gerichtet — kennen wir alle aus Gegenwart und jüngster Vergangenheit. Gewiß sind sie notwendig und<br />

politisch wichtig, aber sie machen ›<strong>de</strong>n Anarchisten nicht aus: Nur allzuoft nämlich geht <strong>de</strong>n pausenlos<br />

Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n das Ziel verloren. Die Aktionen lösen sich meist, wenn <strong>de</strong>r Anlaß nicht mehr existiert, in<br />

Nichts auf. Sie bieten wenig Raum für konstruktive Ansätze, die auf eine neue Gesellschaft abzielen.<br />

Häufig benutzt sie das klug herrschen<strong>de</strong> System auch als ein Mittel, um die Kräfte ihrer Gegner in<br />

jahrelangen, aufreiben<strong>de</strong>n Kämpfen zu bin<strong>de</strong>n.<br />

Kein aufrechter Anarchist wür<strong>de</strong> sich solchen Kämpfen entziehen wollen und teilnahmslos<br />

Unterdrückung und Unrecht zusehen. Es kommt <strong>de</strong>m Anarchismus aber entschei<strong>de</strong>nd darauf an, die<br />

Verbindung zwischen bloßer Reaktion und <strong>de</strong>m konstruktiven libertären Element herzustellen. Mit<br />

an<strong>de</strong>ren Worten: Aus <strong>de</strong>m Kampf gegen Atomkraftwerke müßte ein Kampf für Ökologie wer<strong>de</strong>n und aus<br />

<strong>de</strong>m Kampf gegen Rüstung ein Kampf für eine friedliche Gesellschaft, aus gewerkschaftlicher Aktion<br />

müßten neue Wirtschafts- und Arbeitsmo<strong>de</strong>lle entstehen und so weiter. Denn all das ergäbe für<br />

Anarchisten nur dann wirklich einen Sinn, wenn sich schließlich alle diese Teilbereiche zum<br />

Gesamtkonzept einer an<strong>de</strong>ren Gesellschaft verbin<strong>de</strong>n. Kurz: <strong>de</strong>r Kampf gegen die alten Verhältnisse darf<br />

nicht zum Ritual* wer<strong>de</strong>n — er muß Ansätze für Neues hervorbringen: Wi<strong>de</strong>rstand gebiert Mo<strong>de</strong>lle.<br />

18<br />

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Das ist leichter gesagt als getan. Die Inhaber <strong>de</strong>r Macht tun natürlich alles – bis hin zum Einsatz direkter<br />

Gewalt –, um eine freiheitliche Konkurrenz nie<strong>de</strong>rzudrücken, die ihnen diese Macht nehmen will.<br />

Deshalb hat es auch zu allen Zeiten Anarchisten gegeben, die das konstruktive Element <strong>de</strong>s Anarchismus<br />

irgendwann völlig aus <strong>de</strong>n Augen verloren. Voller Haß und Verzweiflung gingen sie dazu über, das<br />

System, wo immer sie konnten, direkt und frontal – also ›militärisch‹ – anzugreifen. Terror, bis dahin ein<br />

Monopol <strong>de</strong>s Staates und <strong>de</strong>r Kirche, wur<strong>de</strong> zeitweise das vorherrschen<strong>de</strong> Mittel einiger anarchistischer<br />

Strömungen. Der Höhepunkt dieser Gewaltphase <strong>de</strong>s Anarchismus lag zwischen 1891 und 1894; heute<br />

spielt Terror in <strong>de</strong>r libertären Bewegung keine Rolle mehr. Tatsächlich gibt es im mo<strong>de</strong>rnen Anarchismus<br />

weit mehr Pazifisten als Befürworter irgendwelcher Formen von Gewalt. Dennoch hat jene kurze,<br />

historische Phase von Attentaten, Überfällen und Tyrannenmor<strong>de</strong>n bis heute das Bild vom Anarchisten<br />

nachhaltig beeinflußt: Ebensooft, wie Anarchismus mit ›Chaos‹ und ›Gesetzlosigkeit‹ gleichgesetzt wird,<br />

bringt man ihn auch mit ›Gewalt‹ und ›Terror‹ in Verbindung. Das ist allerdings Unfug, <strong>de</strong>nn die Frage<br />

<strong>de</strong>r Gewalt ist für <strong>de</strong>n Anarchismus we<strong>de</strong>r typisch noch prägend.<br />

Wie wir gesehen haben, ist das Aktionsfeld <strong>de</strong>s sozialen Anarchismus breit gefächert und entfaltet sich<br />

zwischen <strong>de</strong>n Polen Wi<strong>de</strong>rstand, Aktion, Konstruktivität, Aufklärung und experimentellen Mo<strong>de</strong>llen. Die<br />

allermeisten Anarchisten sind auf diesem breiten sozialen Terrain* irgendwo in irgen<strong>de</strong>iner Weise<br />

engagiert.<br />

Es gibt in<strong>de</strong>s auch Anarchisten, die <strong>de</strong>n Anarchismus mehr als private Lebensphilosophie verstehen und -<br />

aus welchen Grün<strong>de</strong>n auch immer - keinen Sinn darin sehen, unsere Welt tatsächlich verän<strong>de</strong>rn zu wollen.<br />

Diese ›philosophischen Anarchisten‹ pflegen entwe<strong>de</strong>r einen entsprechen<strong>de</strong>n Lebensstil - zum Beispiel

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