Horst Stowasser - hewpa.de.vu
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Gegner und versucht, ihn anzugreifen und seine Macht zu zerstören. Hier reduziert sich Anarchismus<br />
zumeist auf bloße Staatsfeindlichkeit; die Frage nach <strong>de</strong>m Aufbau einer an<strong>de</strong>ren Gesellschaft ist<br />
zweitrangig. Gedacht wird überwiegend in militärischem Kategorien*: Verteidigung, Angriff,<br />
Vernichtung <strong>de</strong>s Gegners. Solches Verhalten erschöpft sich fast immer in einer Geste <strong>de</strong>r<br />
Herausfor<strong>de</strong>rung.<br />
Die an<strong>de</strong>re sieht das Ziel als vorrangig an. Für sie ist <strong>de</strong>r Staat ein Hin<strong>de</strong>rnis auf <strong>de</strong>m Weg zu diesem Ziel,<br />
aber nicht <strong>de</strong>r indirekte Daseinszweck <strong>de</strong>s Anarchismus. Sowenig sie darum herumkommt, gegen dieses<br />
Hin<strong>de</strong>rnis zu opponieren und es zu bekämpfen, sosehr steht für sie doch die Frage nach konkreten und<br />
gangbaren Mo<strong>de</strong>llen im Vor<strong>de</strong>rgrund – Wege, die zu einer an-archischen Gesellschaft führen können.<br />
Etwas überspitzt könnten wir die eine Richtung <strong>de</strong>n <strong>de</strong>struktiven Anarchismus nennen, die an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>n<br />
konstruktiven. Die eine geht <strong>de</strong>n Gegner direkt und frontal an, die an<strong>de</strong>re versucht, ihn zu zermürben und<br />
überflüssig zu machen. Kampf o<strong>de</strong>r List, offene Feldschlacht o<strong>de</strong>r Katalysator* – das sind die extremen<br />
Pole anarchistischer Aktivitäten.<br />
Natürlich ist das grob vereinfacht, aber bei<strong>de</strong> Formen lassen sich nachweisen: Zwischen<br />
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<strong>de</strong>m bombenwerfen<strong>de</strong>n Schlapphut-Anarchisten und <strong>de</strong>m körneressen<strong>de</strong>n Einsiedler, <strong>de</strong>r Liebe und<br />
Gewaltfreiheit predigt, gab es in <strong>de</strong>r anarchistischen Bewegung so ziemlich je<strong>de</strong>n <strong>de</strong>nkbaren Typus. Eines<br />
allerdings läßt sich klar sagen: Der berühmte Typ <strong>de</strong>s Verschwöreranarchos, <strong>de</strong>r sich voll Haß aufmachte,<br />
einen König in die Luft zu sprengen und glaubte, <strong>de</strong>r Staat wür<strong>de</strong> dadurch zusammenbrechen und die<br />
Anarchie kraftvoll erblühen, starb praktisch schon im vorigen Jahrhun<strong>de</strong>rt aus.<br />
Diese sogenannte Propaganda <strong>de</strong>r Tat war nur eine unter <strong>de</strong>n zahllosen Aktionsformen, die <strong>de</strong>r<br />
Anarchismus hervorgebracht hat - eine relativ kurzlebige obendrein. Zuvor haben Anarchisten an<br />
Volksaufstän<strong>de</strong>n teilgenommen und Geheimgesellschaften gegrün<strong>de</strong>t, Arbeitervereine aufgebaut,<br />
Bibliotheken und Schulen eingerichtet. Tauschbanken und Konsumgenossenschaften gehörten genauso zu<br />
ihrem Repertoire* wie Zeitschriften, Theater und Gesangvereine – ebenso Bankräuber, die sich stolz<br />
Expropriateure* nannten und brav je<strong>de</strong>n Pfennig bei ihren politischen Organisationen ablieferten o<strong>de</strong>r<br />
Volksaufklärer, die mit <strong>de</strong>m Esel von Dorf zu Dorf zogen, <strong>de</strong>n Menschen das Alphabet beibrachten und<br />
ihnen das Nahen <strong>de</strong>r Anarchie verkün<strong>de</strong>ten.<br />
In späteren Jahren kamen unter <strong>de</strong>m Namen Anarchosyndikalismus* verstärkt die Gewerkschaften ins<br />
Spiel, mit <strong>de</strong>ren Hilfe Anarchisten eine freie Gesellschaft mit libertärer Wirtschaft aufbauen wollten –<br />
was sie für kurze Zeit auch tatsächlich schafften. Aus Volksaufstän<strong>de</strong>n entstand in an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn die<br />
Taktik <strong>de</strong>r Guerilla, die auch von Anarchisten genutzt wur<strong>de</strong> und vorübergehend in <strong>de</strong>r Lage war, die<br />
Staatsgewalt zu besiegen und große Gebiete zu befreien. Erst Jahrzehnte später sollte die<br />
Guerillabewegung, unter kommunistischem Vorzeichen zur reinen Taktik <strong>de</strong>r Machteroberung <strong>de</strong>gradiert,<br />
als Mittel <strong>de</strong>r Befreiung grandios scheitern. Seit <strong>de</strong>n Tagen Tolstois und <strong>de</strong>n Taten Gandhis setzte sich in<br />
anarchistischen Kreisen vermehrt die Form <strong>de</strong>s zivilen Ungehorsams durch, die eine beson<strong>de</strong>rs scharfe<br />
Waffe im Fundus <strong>de</strong>s gewaltfreien Aktions-Anarchismus darstellt. Nach Stu<strong>de</strong>ntenrevolten, autonomen<br />
Arbeiterkämpfen und heftigem Wi<strong>de</strong>rstand gegen Atomstaat, Militarismus und Wohnungsspekulation<br />
beginnen Anarchisten in unseren Tagen verstärkt mit <strong>de</strong>m Aufbau praktischer und lebendiger "Projekte".<br />
Diese Mo<strong>de</strong>lle allgemeiner Selbstverwaltung sollen im sozialen Alltag <strong>de</strong>r Menschen verankert sein und<br />
sich vom herrschen<strong>de</strong>n System nicht vereinnahmen lassen. Solche ›vorweggenommenen Utopien‹<br />
versuchen, in<strong>de</strong>m sie sich gegen Staatsgesellschaft wen<strong>de</strong>n, zugleich Experimentierfeld für eine<br />
nichtstaatliche Gesellschaft zu sein.<br />
Grundzüge anarchistischer Aktion