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ausgelacht. Man müßte sie Zyniker* nennen. Aber dieses System haben wir heute überall, es herrscht auf<br />

je<strong>de</strong>m Stückchen Land dieser Er<strong>de</strong>, und wir leben mittendrin. Es ist das staatliche System, das unterm<br />

Strich völlig versagt und weltweit ein Chaos von unvorstellbarem Ausmaß hervorbringt. Wir nehmen es<br />

nur nicht wahr, <strong>de</strong>nn wir sind gewohnt, in zweierlei Maß zu <strong>de</strong>nken. Vergessen wir nicht: Staat existiert<br />

nicht nur in unseren liberalen, westlichen Demokratien, in <strong>de</strong>nen es sich zugegebenermaßen besser leben<br />

läßt – Staat, das ist auch Bangla<strong>de</strong>sch und Burkina Faso, Haiti und Laos, Ruanda und Kambodscha. Idi<br />

Amin und Helmut Kohl, Saddam Hussein und Boris Jelzin, Hitler und Kennedy sind letztlich Vertreter<br />

<strong>de</strong>rselben Struktur. Die Unterschie<strong>de</strong> zwischen verschie<strong>de</strong>nen Regimen sind keine prinzipiellen<br />

Unterschie<strong>de</strong>, sie sind an<strong>de</strong>re Erscheinungsformen ein und <strong>de</strong>rselben I<strong>de</strong>e: <strong>de</strong>r Staatlichkeit.<br />

Der Staat als Interessengeflecht<br />

Derartige Kritik am Staat und seinen Organen ist typisch für <strong>de</strong>n Anarchismus. Für ihn ist <strong>de</strong>r Staat nicht<br />

zufällig in die eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Unzulänglichkeit unserer Gesellschaft verwickelt, son<strong>de</strong>rn von vornherein<br />

<strong>de</strong>r falsche Denkansatz, eine untaugliche Organisationsstruktur. Er ist gewiß nicht die ›Ursache allen<br />

Übels‹, aber er bün<strong>de</strong>lt viele Übel, repräsentiert und verstärkt sie, erzeugt viele <strong>de</strong>r Probleme erst, die er<br />

dann zu bekämpfen vorgibt. Vor allem aber stehen Staaten je<strong>de</strong>r tiefgreifen<strong>de</strong>n sozialen Än<strong>de</strong>rung als<br />

Hin<strong>de</strong>rnis entgegen, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Staat ist ein Selbstzweck. Er will um je<strong>de</strong>n Preis überleben und darin ist er<br />

zäh und anpassungsfähig. Das Beispiel zahlloser Revolutionen, die mit freiheitlichen Ansprüchen<br />

angetreten waren, eine bessere Gesellschaft aufzubauen und zu neuer Diktatur wur<strong>de</strong>n, zeigt, wie<br />

hartnäckig sich Staatlichkeit, Zentralismus, Hierarchie und Bürokratie einnisten. Sie kämpfen äußerst<br />

erfolgreich um ihr Überleben und überwuchern alles Positive, fressen und verdauen es. Gustav Landauer<br />

hat dieses Dilemma in <strong>de</strong>n drastischen Satz gebracht: "Wer vom Staat ißt, stirbt daran."<br />

30<br />

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Allerdings ist <strong>de</strong>r ›<strong>de</strong>r Staat‹ we<strong>de</strong>r ein Phantom* noch ein gefräßiges Fabeltier. Er ist ein ausgesprochen<br />

komplexes* Gebil<strong>de</strong> aus Interessen, von <strong>de</strong>nen die jeweilige Regierung eigentlich nur eine Riege relativ<br />

machtloser Repräsentanten ist. Wirtschaftliche Interessen und politische Macht sind ebenso Bestandteile<br />

<strong>de</strong>s ›Gebil<strong>de</strong>s Staat‹ wie psychologische, i<strong>de</strong>ologische, nationalistische, religiöse o<strong>de</strong>r militärische<br />

Komponenten. Alle sind miteinan<strong>de</strong>r verflochten und voneinan<strong>de</strong>r abhängig. Anarchisten haben <strong>de</strong>shalb<br />

nicht bestimmte Regierungen, Präsi<strong>de</strong>nten o<strong>de</strong>r Könige bekämpft; ihr Gegner war immer ›<strong>de</strong>r Staat an<br />

sich‹ in allen seinen Facetten*.<br />

Der Staat im Kopf<br />

Da viele Menschen <strong>de</strong>n Staat ebenfalls als alltäglichen Unterdrücker erleben, stellt sich die Frage, warum<br />

sie trotz<strong>de</strong>m so staatstreu bleiben. Zum einen gelingt es hervorragend, Zorn zu kanalisieren. Die Medien<br />

spielen hierbei eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle. Meinung wird bei uns täglich produziert, millionenfach und sehr<br />

erfolgreich. Schuld wird dabei im Detail gesucht, in Pannen, bei Min<strong>de</strong>rheiten o<strong>de</strong>r irgendwelchen<br />

›schlechten Menschen‹.<br />

Die >öffentliche Meinung< re<strong>de</strong>t uns ein, eine Nation sei eine ›Gemeinschaft‹, wir alle seien gleich, und<br />

<strong>de</strong>r Staat spiele lediglich <strong>de</strong>n unparteiischen Schiedsrichter. So wer<strong>de</strong>n die ungeheuren sozialen<br />

Unterschie<strong>de</strong> in einem je<strong>de</strong>n Staat vertuscht, und die Privilegien <strong>de</strong>r wirklich Mächtigen ver<strong>de</strong>ckt.<br />

An<strong>de</strong>rerseits tragen wir aber alle mehr o<strong>de</strong>r weniger auch einen ›Staat im Kopf‹ mit uns herum. Es ist, als<br />

hätten wir die Staatlichkeit mit Löffeln gefressen: <strong>de</strong>r Glaube an die Allmacht <strong>de</strong>r Obrigkeit steht im<br />

umgekehrten Verhältnis zum Vertrauen in unsere eigenen Fähigkeiten. Der Staat hält uns in <strong>de</strong>m Glauben,<br />

daß er und nur er in <strong>de</strong>r Lage wäre, mit seinem Apparat, seinen Spezialisten und Fachleuten die<br />

komplexen Probleme <strong>de</strong>r Menschheit in <strong>de</strong>n Griff zu bekommen. Immer mehr Menschen erkennen zwar,<br />

daß das nicht stimmt, aber es fehlt die Alternative, und das macht mutlos. Und es mangelt an Freiräumen<br />

zum Experimentieren, an Mo<strong>de</strong>llen zum Anregen, Erfahrungen, die aus <strong>de</strong>m Experiment neue<br />

Gesellschaften entstehen lassen – Gesellschaften ohne Staat.

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