05.10.2013 Aufrufe

Horst Stowasser - hewpa.de.vu

Horst Stowasser - hewpa.de.vu

Horst Stowasser - hewpa.de.vu

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Verklemmte Zeitgenossen stellen sich darunter bis auf <strong>de</strong>n heutigen Tag nur allzugern eines vor:<br />

zügellosen Sex. Je<strong>de</strong> und je<strong>de</strong>r schläft mit je<strong>de</strong>m und je<strong>de</strong>r, es gibt we<strong>de</strong>r Bindungen noch<br />

Verantwortung, statt<strong>de</strong>ssen Gier, Wollust und Unmoral...<br />

In Wahrheit ist das anarchistische I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r Freien Liebe so ziemlich das Gegenteil all <strong>de</strong>ssen. Die<br />

wüten<strong>de</strong>n Reaktionen, die Emma Goldman erfahren mußte, spiegeln <strong>de</strong>nn auch mehr die voyeuristischen*<br />

Wunschphantasien <strong>de</strong>r meist männlichen Meinungsmacher wi<strong>de</strong>r, die angesichts einer ebenso brillant wie<br />

heftig vorgetragenen Kritik an <strong>de</strong>r Männergesellschaft reihenweise ausrasteten. Aber auch puritanische<br />

Vertreterinnen <strong>de</strong>r Frauenbewegung fan<strong>de</strong>n die political correctness* jener Tage verletzt und erklärten sie<br />

zu einer "Heidin", die "reif für <strong>de</strong>n Marterpfahl" sei.<br />

Was ist so schlimm an <strong>de</strong>r Freien Liebe?<br />

Nichts, außer daß sie die Erniedrigungen <strong>de</strong>r Ehe, die Fesseln <strong>de</strong>r Moral und die Unterdrückung in einer<br />

männerbestimmten Gesellschaft aufzeigt, um einen Weg aus dieser Abscheulichkeit zu weisen. Womit<br />

mehr als ein Tabu verletzt war. Für Emma Goldman kann eine menschliche Gesellschaft letztlich nur in<br />

einem verantwortungsvollen, gleichrangigen und stark gefühlsbetonten Miteinan<strong>de</strong>r von befreiten Frauen<br />

und Männern bestehen. Das heißt nicht, daß sie etwa Sympathien für das Patriarchat aufbrächte o<strong>de</strong>r gar<br />

die Fehlleistungen <strong>de</strong>r Männergesellschaft verniedlicht. Red Emma bleibt ihr Leben lang schonungslos<br />

offen – eine Streiterin gegen je<strong>de</strong> Art <strong>de</strong>r Verlogenheit. Gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb geißelt sie ebenso unnachsichtig<br />

das "Trauerspiel von <strong>de</strong>r Befreiung <strong>de</strong>r Frau", <strong>de</strong>nn sie ist radikaler und vorausschauen<strong>de</strong>r als viele ihrer<br />

Zeitgenossinnen. Für sie kann es keine Lösung sein,<br />

44<br />

--------------------------------------------------------------------------------<br />

wenn sich die Frauenbewegung darin erschöpft, die Männergesellschaft einfach umzudrehen, in<strong>de</strong>m<br />

Frauen <strong>de</strong>n Beweis erbringen wollen, sozusagen die ›besseren Männer‹ zu sein. Bei <strong>de</strong>n damals<br />

tonangeben<strong>de</strong>n "Frauenrechtlerinnen", <strong>de</strong>ren "aseptischen* Puritanismus" sie als "Beschränktheit"<br />

anprangert, kommt sie mit solchen Attacken natürlich nicht gut an.<br />

Vehement* reklamiert* sie das Recht auf die eigenen Werte <strong>de</strong>r Frau, und die sind bei Emma Goldman<br />

immer stark gefühlsbetont, kämpferisch, selbstbewußt, spontan und auch erotisch. In fast romantischen<br />

Bil<strong>de</strong>rn beschwört sie die subversiven Kräfte, die in <strong>de</strong>r Befreiung von Frau und Mann liegen. Den<br />

"zwangsmäßigen, alten Jungfern" <strong>de</strong>r reinen Frauenlehre setzt sie ihre erfrischen<strong>de</strong>, lebensbejahen<strong>de</strong> und<br />

durchaus optimistisch angelegte These <strong>de</strong>r "freien Liebe" entgegen, in <strong>de</strong>r die Freiheit <strong>de</strong>r Sexualität eine<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle spielt. Und sie lebt sie auch vor, selbstbestimmt und provokant.<br />

Es geht ihr dabei nicht um ›Sex‹. Sexualität, Freiheit, Emotion, menschliche Wärme, Selbstbestimmung,<br />

bewußte Mutterschaft, Liebe, Revolution, Partnerschaft und Verantwortlichkeit sind bei ihr Begriffe, die<br />

alle etwas miteinan<strong>de</strong>r zu tun haben und untrennbar verbun<strong>de</strong>n bleiben müssen. Falls nicht, wür<strong>de</strong> sich<br />

auch nichts Wesentliches än<strong>de</strong>rn.<br />

Ihr Ansatzpunkt dabei ist die Ehe, die sie als sklavischen "Versicherungs- und Wirtschaftsvertrag"<br />

beschreibt, notwendig, um die Frauen in Abhängigkeit und <strong>de</strong>n Staat stabil zu erhalten. Ehe habe mit<br />

Liebe nichts zu tun und Liebe nichts mit Ehe: Wo keine Gefühle bestehen, könne die Ehe sie auch nicht<br />

herstellen, und wo sie existieren, brauche es die Ehe nicht. Folgerichtig wer<strong>de</strong> Sexualität - für Emma<br />

Goldman die "natürlichste und gesün<strong>de</strong>ste Sache" <strong>de</strong>r Welt – nach <strong>de</strong>r Hochzeit nur zu oft zur Prostitution<br />

um <strong>de</strong>n Preis <strong>de</strong>r wirtschaftlichen Sicherheit. Die Alternative für die Frau bestün<strong>de</strong> höchstens in<br />

beruflicher Karriere. In dieser Gesellschaft jedoch, so zeigt sie auf, führe auch dies selten zur<br />

Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Frau – geschweige <strong>de</strong>nn zu Freiheit o<strong>de</strong>r gar zu Glück.<br />

An die Stelle einer solchen Zwangsinstitution setzt Emma Goldman die freie Beziehung zwischen<br />

verantwortlichen Individuen. Die Sicherheit von Mutter und Kind soll – wenn eine Beziehung emotional

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!