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Verwirklichung schöpferischer I<strong>de</strong>en an sich ein logischer Bestandteil <strong>de</strong>r Anarchie. Und nichts an<strong>de</strong>res<br />

ist schließlich die Grundlage von ›Kunst‹. Da Anarchisten die spontane Selbstverwirklichung <strong>de</strong>s<br />

Menschen in allen Lebensbereichen for<strong>de</strong>rn, zielt ihr Lebensentwurf darauf ab, die Grenzen zwischen<br />

›Kunst‹ und ›Leben‹ aufzubrechen, ebenso wie die aka<strong>de</strong>mischen Grenzen zwischen verschie<strong>de</strong>nen<br />

›Kunstgattungen‹. Kreativität, so behaupten sie, sei zum Leben so wichtig wie Brot.<br />

Bei Anarchisten darf je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r mag, ›Künstler‹ sein, und allen an<strong>de</strong>ren ist es freigestellt, die<br />

künstlerischen Produkte zu mögen o<strong>de</strong>r nicht. Eine solche Auffassung zielt natürlich gegen einen elitären<br />

Kunstbegriff, <strong>de</strong>r von Kulturhistorikern, Galeristen, Profis und Kunstkritikern festgelegt wird. Uns<br />

interessiert hier aber nicht die Kunst als hochbezahltes Produkt <strong>de</strong>r Warengesellschaft, ebensowenig die<br />

gefällige Ästhetik <strong>de</strong>r happy few*, mit <strong>de</strong>nen sie die Welt in zwei Bereiche teilen: in das, was ›kulturell‹<br />

ist und was es nicht ist. O<strong>de</strong>r: in Unwürdige und Menschen, die ein Anrecht auf Kultur haben.<br />

Das be<strong>de</strong>utet keineswegs, daß Kunst ein Einheitsmatsch ohne Platz für geniale Begabungen o<strong>de</strong>r auch<br />

Berufskünstler wer<strong>de</strong>n soll – im Gegenteil: ein freier Rahmen ist nach anarchistischem Verständnis<br />

gera<strong>de</strong> die Voraussetzung für die ungebremste Entfaltung von Talenten. Heute hingegen diktiert <strong>de</strong>r<br />

Kunstmarkt, und was sich in ihm nicht durchsetzt, wird in aller Regel auch nicht anerkannt. Kunst und<br />

Kultur sind im Grun<strong>de</strong> Waren. Das führt fast immer zu einer Art Prostitution* <strong>de</strong>r Künstler an <strong>de</strong>n Markt<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Marktes an aktuelle Kunstmo<strong>de</strong>n. Einigen wenigen Künstlern beschert dieses System unerhörte<br />

Karrieren, <strong>de</strong>n großen Rest verurteilt es zur armseligen Ran<strong>de</strong>xistenz.<br />

In <strong>de</strong>r anarchistischen Vision wird Kunst im besten Sinne <strong>de</strong>s Wortes ›alltäglich‹. In <strong>de</strong>r libertären<br />

I<strong>de</strong>algesellschaft gibt je<strong>de</strong>r nach seinen Fähigkeiten und je<strong>de</strong>r nimmt nach seinen<br />

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Bedürfnissen. Der Mensch hätte also ein Anrecht auf Leben und wirtschaftliches Auskommen. Da<br />

Künstler ja auch (nur) Menschen sind, könnten sie frei und ohne wirtschaftliche Sorgen tätig sein. Es<br />

müßte we<strong>de</strong>r die Prostitution an <strong>de</strong>n Markt geben noch das systemkonforme* Auftragsschaffen, wie wir<br />

es aus <strong>de</strong>n untergegangenen ›realsozialistischen‹ Län<strong>de</strong>rn kannten - ein Phänomen, das uns in Literatur,<br />

bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Kunst, Musik und Drama <strong>de</strong>n unerträglichen Monumentalkitsch <strong>de</strong>s "sozialistischen Realismus"<br />

bescherte, an <strong>de</strong>m ›die Massen‹ wie an Ikonen* vorbei<strong>de</strong>filieren durften.<br />

Kunst und Anarchie<br />

Kein Wun<strong>de</strong>r, daß sich schon früh immer wie<strong>de</strong>r Künstler zum Anarchismus hingezogen fühlten. Sie<br />

haben ihn entschei<strong>de</strong>nd mitgeprägt. Dabei ist auch hier die Frage, ob diese sich nun als ›Anarchisten‹<br />

bezeichneten o<strong>de</strong>r bloß ›an-archisch‹ han<strong>de</strong>lten unerheblich. Das Spektrum* von Künstlern und Anarchie<br />

ist ein großes Durcheinan<strong>de</strong>r wi<strong>de</strong>rsprüchlicher und gegensätzlicher Formen und steht für ein Verhältnis<br />

von Spannungen und gegenseitiger Inspiration, prall und verrückt wie das Leben. So unterschiedliche<br />

Namen wie Richard Wagner und John Cage, Heinrich Böll und Joseph Beuys, Oscar Wil<strong>de</strong>, George-<br />

Bernhard Shaw und Percy Shelley, Leo Tolstoi und Dario Fo, Rainer-Werner Fassbin<strong>de</strong>r und George<br />

Orwell, Walt Whitman und Ralph Waldo Emerson, Judith Malina und Traven, Franz Kafka, Jaroslav<br />

Hasek, Erich Mühsam und Georges Tabori, Konstantin Wecker und Jörge Luis Borges, Theodor Plivier,<br />

Peggy Parnass, Herbert Grönemeyer, Stephan Mallarme, Gustave Courbet, Rimbaud, Hans-Magnus<br />

Enzensberger, Ricarda Huch, Rio Reiser, Monika Maron, Leo Malet, Peter Härtling, Lina Wertmüller<br />

und... und... und... machen <strong>de</strong>utlich, daß es in diesem ›Spektrum‹ we<strong>de</strong>r um ein Glaubensbekenntnis noch<br />

um eine irgendwie geartete ›gemeinsame Linie‹ gehen kann und soll. Sie alle haben jedoch etwas mit<br />

Anarchie zu tun. Manche bezeichneten sich als Anarchisten, an<strong>de</strong>re verhielten sich so, wie<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

sympathisierten mit anarchistischen I<strong>de</strong>en und viele <strong>de</strong>r genannten setzten sich künstlerisch mit <strong>de</strong>r<br />

Anarchie auseinan<strong>de</strong>r.<br />

Obgleich Kunst und Anarchie so eng miteinan<strong>de</strong>r verquickt sind, hat es <strong>de</strong>nnoch keinen ›eigenen‹<br />

anarchistischen Kunststil gegeben. Das wäre auch paradox. Aber zahlreiche kulturelle Bewegungen, Stile

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