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Wehr und Wucher - Welcker-online.de

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vorüber ist, Spuren von christlich—germanischem Schönheitsi<strong>de</strong>al ent<strong>de</strong>cken<br />

sollte, bin ich imstand <strong>und</strong> mach einen Hei<strong>de</strong>nspektakel!<br />

* * *<br />

ALLERDINGS<br />

da ich nachträglich merke, daß das christlich—germanische Schönheitsi<strong>de</strong>al<br />

die jüdische Presse aufgeregt hat, fin<strong>de</strong> ich es so übel nicht <strong>und</strong> es hat<br />

eigentlich, wiewohl das <strong>de</strong>m Wesen eines I<strong>de</strong>als wi<strong>de</strong>rstrebt, seinen Zweck erfüllt.<br />

Nur, da ich nachträglich merke, daß es die christliche Presse — so etwas<br />

gibt es — begeistert hat, fin<strong>de</strong> ich es eigentlich doch sehr übel. Ich weiß<br />

schon, wie sich die christliche Presse die Entwicklung <strong>de</strong>nkt: mehr in <strong>de</strong>n<br />

Spuren Madjeras <strong>und</strong> weitab von Molnar. Aber das Theater, wenn noch <strong>de</strong>rgleichen<br />

möglich ist, kümmert sich <strong>de</strong>n Teufel darum, wie die Gemein<strong>de</strong>ratswahlen<br />

ausfallen <strong>und</strong> ob die Phrase mehr schwarz o<strong>de</strong>r gelb ist. Vom christlich—germanischen<br />

Schönheitsi<strong>de</strong>al auf <strong>de</strong>r Bühne haben die einen so wenig<br />

zu hoffen wie die an<strong>de</strong>rn zu fürchten, da zwischen <strong>de</strong>m Souffleurkasten <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>m Inspizienten wesentlich an<strong>de</strong>re Probleme gelten. Der Vorsatz, Raim<strong>und</strong><br />

aufzuführen — die im Burgtheater solln's erst probieren <strong>und</strong> nachher soll'ns<br />

re<strong>de</strong>n, wie Nestroy vom Selbstmord meint —, ist recht löblich. Wird es in einer<br />

Stadt, die noch Girardi hat, trotz Herrn Tressler gewagt, so hat das christlich—germanische<br />

Schönheitsi<strong>de</strong>al noch immer nichts profitiert. Herr v. Millenkovich<br />

mag es getrost im Herzen tragen. Wie aber sollte diesem I<strong>de</strong>al ein<br />

Theater aufhelfen, da es doch seine schönste Erfüllung bereits im Weltkrieg<br />

gef<strong>und</strong>en hat?<br />

* * *<br />

DIE KIRCHE HAT EINEN GUTEN MAGEN<br />

Der hl. Hermann Bahr — nicht zu verwechseln mit <strong>de</strong>m Br ... Bahr, <strong>de</strong>r<br />

»einen großen Erfolg wünscht« — hält jetzt Vorträge zugunsten <strong>de</strong>s Piusvereines<br />

<strong>und</strong> soll außer<strong>de</strong>m täglich dreimal in <strong>de</strong>r Kirche zu sehen sein. Viel zu wenig,<br />

wenn man be<strong>de</strong>nkt, daß er am Lido das Büßergewand öfter an einem Tag<br />

zu wechseln pflegte. Der naheliegen<strong>de</strong> Vergleich mit <strong>de</strong>m Rothschild, <strong>de</strong>m die<br />

Sage jenen unerschöpflichen Reichtum an Wäsche zuschreibt, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>m bekannten<br />

»Zieht an, zieht aus« praktisch zur Geltung kommt, bleibt ein Leitmotiv<br />

in <strong>de</strong>m Leben dieses son<strong>de</strong>rbarsten Heiligen, <strong>de</strong>r auch als Betbru<strong>de</strong>r Bahr<br />

einen großen Erfolg wünscht <strong>und</strong> <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r österreichische Klerikalismus<br />

pünktlich <strong>und</strong> gläubig <strong>de</strong>n Gefallen tut. Der schlichte Kirchendiener jedoch,<br />

<strong>de</strong>r besser spürt, daß ein Feuilleton keine Gottesgabe ist, <strong>und</strong> <strong>de</strong>m ein<br />

Mensch, <strong>de</strong>ssen Existenz als solche eine einzige Gotteslästerung vorstellt, sofort<br />

auffallen mußte, soll auf die Frage, wie oft <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>nn komme, geantwortet<br />

haben: »In <strong>de</strong>r Fruh is er do, z'Mittag is er do <strong>und</strong> am Abend is er a<br />

do«. »Also ist er immer da?« »Na!« »Also: zieht ein, zieht aus?« »Ja.« »Warum<br />

tut er das?« »No damit die frommen Leut draußen sehn soll'n, wie er in die<br />

Kirche geht. Sonst sieht's ja keiner.« Somit dürfte <strong>de</strong>r Burgtheaterposten in<br />

einem Augenblick besetzt wor<strong>de</strong>n sein, wo Herr Bahr gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Kirche<br />

war. Als er herauskam, war alles vorbei, <strong>und</strong> nun muß er, damit man ihm<br />

nicht Streberei vorwirft, bei <strong>de</strong>m Lebenswan<strong>de</strong>l bleiben. »Pech!« sagten die<br />

einstigen Brü<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Mannes, als sie es hörten. Der Fromme aber trägt sein<br />

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