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Wehr und Wucher - Welcker-online.de

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<strong>und</strong> die Beziehung von Mann zu Frau im Begriff eines »Gustomenscherl« ausschöpft.<br />

Es ist die Gemütsverfassung, die Wort <strong>und</strong> Wesen <strong>de</strong>s »Feschak« kreiert<br />

hat. (Bleich wer<strong>de</strong> ich, wenn ich dieses österreichische Wort höre, das die<br />

im Reichsrat vertretenen Königreiche <strong>und</strong> Län<strong>de</strong>r einigt. »Tachinieren« ist<br />

das zweitschrecklichste; das die Nationen wie<strong>de</strong>r in alle Windrichtungen<br />

treibt. Jenes war schon im Frie<strong>de</strong>n da, dieses bleibt die wahre Wortnarbe dieses<br />

Kriegs.) Es ist <strong>de</strong>r geistige Standort <strong>de</strong>r »Sirk—Ecke«, die sicherlich unter<br />

allen Punkten <strong>de</strong>r bewohnten Er<strong>de</strong>, inklusive <strong>de</strong>r Berliner Passage, <strong>de</strong>r »eingesehenste«<br />

ist für <strong>de</strong>n Fall, das einmal doch das Bombar<strong>de</strong>ment vom Mars<br />

her eröffnet wür<strong>de</strong>. Weg aus dieser Gegend! Ewiger Wind wirft dies starren<strong>de</strong><br />

Leben nicht um. Staub begräbt es nicht. Wehe <strong>de</strong>r unsterblichen Seele, die an<br />

diesem Spalier gedunsener Leichname vorbei muß. Wehe <strong>de</strong>m Gedanken,<br />

wehe <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong>, wehe <strong>de</strong>r Schönheit, wehe <strong>de</strong>r Liebe, welche von diesen Blicken<br />

gestreift wer<strong>de</strong>n, die ein Recht auf das Blut <strong>de</strong>r Welt behaupten, damit<br />

Fraß <strong>und</strong> Koitus gesichert seien. Die Tragik <strong>de</strong>s Wortes »fesch«, das Opfer an<br />

Leben, das diese Lebendigkeit einschließt, hat hier noch keiner begriffen!<br />

Aber in dieser Stadt sind Ansichtskarten verkauft wor<strong>de</strong>n, die einen auf einer<br />

Gabel aufgespießten Knö<strong>de</strong>l darstellten, unter <strong>de</strong>n Verse <strong>de</strong>r Sehnsucht geschrieben<br />

waren. Daß die Wienerin für so etwas zu haben ist, nach<strong>de</strong>m sie für<br />

die Wiener immer schon eine Spezialität auch im Mehlspeisgenuß be<strong>de</strong>utet<br />

hat, daß <strong>de</strong>r Gspaß ihr selbst nun die Laberln für die Gspaßlaberln — pfui hamuriges<br />

Fresserpack — offeriert, stellt bei wachsen<strong>de</strong>r Not die nächste Stufe<br />

unserer spaßhaften Ergebung dar. Was vor <strong>de</strong>r Welt zu verstecken wäre, ist<br />

eben das, was wir wie einen Knö<strong>de</strong>l brauchen: unser Hamur! Aus unserer<br />

Operette <strong>und</strong> aus unseren Witzblättern erfahren die Fein<strong>de</strong> mehr über uns als<br />

aus <strong>de</strong>n Berichten unserer Spione, <strong>und</strong> Bombe <strong>und</strong> Muskete in Fein<strong>de</strong>shand<br />

wer<strong>de</strong>n uns am En<strong>de</strong> weniger gescha<strong>de</strong>t haben als 'Bombe' <strong>und</strong> 'Muskete' in<br />

Fein<strong>de</strong>shand.<br />

Unser weltgeschichtliches Erlebnis<br />

Da nun die Hamletfrage nach Sein o<strong>de</strong>r Nichtsein zur letzten Frage aller<br />

Staatsweisheit wur<strong>de</strong>, könnte man sich darein fin<strong>de</strong>n, daß <strong>de</strong>r Übermut<br />

<strong>de</strong>r Ämter <strong>und</strong> die Schmach, die Unwert schweigen<strong>de</strong>m Verdienst erweist, zu<br />

jenen täglichen Erfahrungen zählen, aus <strong>de</strong>nen vor <strong>de</strong>m Einschlafen die tröstliche<br />

Erkenntnis gewonnen wird: Krieg ist Krieg. Was wollt ihr von <strong>de</strong>r Menschennatur,<br />

die Macht <strong>und</strong> Maschine geschmeckt hat, an<strong>de</strong>res erwarten <strong>und</strong><br />

verlangen? Wenn Krieg Krieg ist, hilft einem Weisen, <strong>de</strong>r noch von früher her<br />

zur Melancholie neigt, <strong>de</strong>nnoch die bessere Einsicht: daß die armen Tyrannen,<br />

die gemäß <strong>de</strong>m unerforschlichen Ratschluß ihrer Gottähnlichkeit uns das<br />

bißchen Dasein, wenn nicht verkürzt, so doch versperrt haben, am En<strong>de</strong> die<br />

letzten Sklaven ihrer Laune gewesen sein wer<strong>de</strong>n. Was wollt ihr von einem<br />

Menschenschlag, <strong>de</strong>r sein durchaus subalternes Machti<strong>de</strong>al durch Hoffnung<br />

auf an<strong>de</strong>rweitige Revolutionen prolongieren möchte? Sie sehen gar nicht, wie<br />

kunterbunt ihre Ordnung ist. Im Angesicht sterben<strong>de</strong>r Männer wird ein Wesen,<br />

das mit <strong>de</strong>m Lorgnon zuschaut, für Tapferkeit <strong>de</strong>koriert; Finanzgauner,<br />

<strong>de</strong>ren Sprache kaum zur Verständigung über die notwendigsten Berufspraktiken<br />

reicht, tragen das Kleid vorzeitlicher Ehre; Cafétiers nehmen mit Veteranen<br />

<strong>de</strong>n Appell ab; Ju<strong>de</strong>nbuben sind die Dichter <strong>de</strong>r Nation, <strong>de</strong>r sie nicht angehören;<br />

<strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Plankengasse habe ich zugeschaut, wie ein Straßenkeh-<br />

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