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Download PDF - Pastoral für Menschen mit Behinderung

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<strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> schweren Versehrungen in Zweifel gezogen.<br />

Als zu Beginn des Jahres 2007 das Schicksal des USamerikanischen<br />

Mädchens As hley bekannt wurde, die von<br />

Geburt an schwer geistig behindert gewesen ist und aus<br />

pflegetechnischen Gründen <strong>mit</strong> Hor monen am weiteren<br />

Wachstum gehindert wurde, werteten dies eine Mehrzahl<br />

an Fachleuten und Ver ant wortliche als unzulässigen<br />

Eingriff in die Würde von Ashley. Diesem Vorwurf wurde<br />

von prominenter Seite <strong>mit</strong> dem Argument entgegnet, dass<br />

die operative wie hormonelle Behandlung Ashleys schon<br />

deshalb keine Verletzung ihrer Würde darstellen könne, da<br />

Ashley aufgrund ihrer <strong>Behinderung</strong> überhaupt nicht in der<br />

Lage sei, eine menschenunwürdige Behandlung von einer<br />

anderen zu unterscheiden.<br />

Solche präferenzutilitaristischen Argumente sind der<br />

bioethischen Debatte seit längerem geläufig. Sie knüpfen<br />

an der Unterstellung an, dass <strong>Menschen</strong>würde (und <strong>mit</strong><br />

ihr auch die <strong>Menschen</strong>rechte) nur jene Personen beanspruchen<br />

können, deren kognitive Kompetenzen wenigs -<br />

tens grundsätzlich Präferenzen, Interessen oder<br />

Lebensführungsoptionen geltend machen können. Sie<br />

knüpfen dabei sogar – bewusst oder unbewusst – an eine<br />

Begründungsfigur von <strong>Menschen</strong>würde an, die im<br />

Zentrum modernder Moralphilosophie insbesondere<br />

Immanuel Kants steht und nach wie vor zentraler<br />

Referenzpunkt <strong>für</strong> die ethische Begründung neuzeitlichen<br />

<strong>Menschen</strong>rechtsdenkens ist. Tatsächlich bindet Kant die<br />

Würde eines <strong>Menschen</strong> an dessen Fähigkeit zu Freiheit,<br />

Verantwortung sowie Selbst- und Fremdachtung, sodass<br />

es tatsächlich nahe liegt, vollgültige <strong>Menschen</strong>rechts -<br />

ansprüche nur <strong>Menschen</strong> zuzusprechen, die zu dieser<br />

Form von Autonomie fähig sind.<br />

Unabhängig der Frage, ob der Rekurs auf die<br />

Begründungs figur Kants schlüssig ist oder nicht, liegt der entscheidende<br />

Denkfehler in der präferenzutilitaristischen<br />

Bestreitung einer gleichen <strong>Menschen</strong>würde <strong>für</strong> <strong>Menschen</strong><br />

<strong>mit</strong> schweren geistigen Beeinträchtigungen in einem normalitätszentristischen<br />

Fehlschluss. Dieser Fehlschluss verabsolutiert<br />

– analog zum so genannten ethnozentrischen<br />

Fehlschluss – die Ausdrucksmöglichkeiten der eigenen<br />

Rationalität und Lebensführungskompetenz zum alleinigen<br />

Maßstab, an dem sich alle anderen Ausdrucks- und<br />

Artikulationsformen zu messen und dem sie sich im<br />

Zweifelsfalle unterzuordnen haben. Genau gegen diese<br />

Hybris des normalitätszentristischen Fehlschlusses wendet<br />

sich die UN-Behindertenrechtskonvention, wenn sie auf den<br />

unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten menschlichen<br />

Seins besteht und deshalb kategorisch „die Achtung vor der<br />

Unterschiedlichkeit von <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Behinderung</strong>en“ so-<br />

<strong>Behinderung</strong> & <strong>Pastoral</strong> / Themenschwerpunkt:<strong>Behinderung</strong> und UN-Konvention _ 13<br />

wie „die Akzeptanz dieser <strong>Menschen</strong> als Teil der menschlichen<br />

Vielfalt und der Menschheit“ fordert (Art. 3).<br />

V. Ausblick: Teilhabbee im Modus von Teilgabbe<br />

Die UN-Behindertenrechtskonvention geht über die geforderte<br />

Akzeptanz sogar noch einen wichtigen Schritt<br />

hinaus. Denn sie fordert nicht nur Akzeptanzbereitschaft<br />

in Form von Toleranz gegenüber dem, was anders ist und<br />

bleiben wird, sondern Akzeptanzbereitschaft in Form von<br />

Wertschätzung gegenüber dem, was als bleibend Anderes<br />

zur Vielfalt und Lebendigkeit einer Gesellschaft selbst<br />

beiträgt. Deshalb fordert sie eine umfassende<br />

Bewusstseins bildung auf Seiten der Mehrheits gesell -<br />

schaft, die sensibel und förderungsbereit wird „<strong>für</strong> die<br />

Fähigkeiten und den Beitrag“, den <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong><br />

Beeinträchtigungen im Arbeitsleben ebenso zu leisten im<br />

Stande sind wie in allen übrigen Bereichen des öffentlichen<br />

Lebens (Art. 8). Diese Wertschätzung umfasst besonders<br />

„die Achtung vor den sich entwickelnden<br />

Fähigkeiten von Kindern <strong>mit</strong> <strong>Behinderung</strong>en und die<br />

Achtung ihres Rechts auf Wahrung ihrer Identität“ (Art. 3).<br />

Da<strong>mit</strong> gewinnt auch das <strong>Menschen</strong>recht auf Teil -<br />

habe eine besondere Kontur. Vollwirksame Teilhabe gipfelt<br />

im Modus der Teilgabe. Teilhabe besteht dann in der<br />

Möglichkeit, die je eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen<br />

in den öffentlichen Gestaltungsprozess einbringen und<br />

andere daran partizipieren lassen zu können. Gemeint<br />

sind keineswegs nur solche Fähigkeiten, die als<br />

Auch-Kompetenzen ohnehin zum durchschnittlichen<br />

Kom petenz-Repertoire der durchschnittlichen Mehrheits<br />

gesellschaft zählen, sondern vor allem jene<br />

Nur-Kompetenzen, über die nur <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Beein -<br />

trächti gungen auf Grund ihrer spezifischen Aus stattungs -<br />

merkmale oder Lebenssituation verfügen und <strong>mit</strong> ihrer<br />

Teilgabe darin die Vielfalt der Gesellschaft bereichern. Eine<br />

Gesellschaft, die in dieser Weise empfänglich ist <strong>für</strong> die<br />

Teilgabe von außergewöhnlicher Vielfalt, spielt <strong>Menschen</strong>,<br />

die aufgrund ihres Soseins <strong>für</strong> gewöhnlich behindert werden,<br />

eine Form basaler Anerkennung und Wertschützung<br />

zurück, die <strong>für</strong> die Selbstachtung und das Selbstvertrauen<br />

eines jeden <strong>Menschen</strong> konstitutiv sein dürfte. Das<br />

<strong>Menschen</strong>recht auf Teilhabe, die besonders auch diese<br />

Dimensionierung einfordert, ist tatsächlich eine angemessene<br />

Grundlage wie Zielbestimmung inklusiver Praxis.<br />

Kontakt: praesident@ku-eichstaett.de<br />

*Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl ist Präsident der<br />

Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

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