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Otto Emersleben

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der Inuit habe mehr als vierzig, ja sogar bis zu hundert Bezeichnungen für die<br />

unterschiedlichsten Arten von Schnee. Um ein für allemal mit derlei Unsinn<br />

aufzuräumen, sei mir als Praktiker gleich zu Anfang des Berichtes über meine<br />

Reise durch das Land der Polareskimos die Feststellung erlaubt: Schnee heißt<br />

aput, wenn er fällt und quanik, wenn er liegt. Basta. Alles andere sind<br />

Konstruktionen von Stubengelehrten, und glücklicherweise schert sich eine lebende<br />

Sprache einen feuchten Kehricht um die Feinheiten neuester philologischer Trends<br />

und die damit verbundenen akademischen Flügelkämpfe.<br />

Ich war jedenfalls froh, den Schneesturm beendet zu wissen, durch den ich mir<br />

meinen Weg hatte bahnen müssen, bis er mich ganz aufhielt, und es nun wieder<br />

ausschließlich mit quanik zu tun zu haben und nicht mehr mit driftendem,<br />

wehendem, treibendem aput, der einem die Sicht raubt und schließlich jedes<br />

Fortkommen unmöglich macht. Auf der hinteren Randbohle stehend, zwischen den<br />

senkrecht ragenden Handgriffen mehr eingezwängt als balancierend, steuerte ich<br />

meinen Schlitten geradewegs in die weiße Weite hinein, welche vor mir immer neu<br />

auftauchte und hinter mir wieder verschwand. Nach dem Heulen des Sturms tat<br />

mir das Schweigen der Landschaft wohl. Ab und an schwang ich die Peitsche über<br />

der Meute, und das Knallen des Leders war dann in der Tat der einzige Ton, der<br />

die Stille zerschnitt.<br />

Seit meinem Aufbruch war ich keiner Menschenseele begegnet. Ist die Einöde<br />

schon dann erdrückend, wenn man Begleiter bei sich hat, so ist sie es noch weit<br />

mehr, wenn man sich allein befindet. Die Sonne zog ununterbrochen ihre<br />

Himmelsbahn, eine Nacht im üblichen Sinn gab es nicht. Ich fühlte keine<br />

Müdigkeit. Nicht eigene Erschöpfung, sondern höchstens ein erneutes<br />

Ruhebedürfnis meiner braven Zugtiere, das sich irgendwann bemerkbar machen<br />

würde, konnte unserem Vorwärtskommen Grenzen setzen.<br />

Gewöhnlich reise ich, um Land und Leute durch eigenen Augenschein<br />

kennenzulernen. Hatte ich in jungen Jahren als Old Shatterhand den Wilden<br />

Westen der Neuen Welt und unter dem Namen Kara Ben Nemsi die rätselvollen<br />

Weltgegenden des Orients durchstreift, so war ich diesmal in die nördlichsten Teile<br />

der Erde verschlagen worden, wo der Reisende naturgemäß mehr Land als Leute<br />

antrifft. Die Siedlung Etah, zu der ich unterwegs war, galt als letzte, das heißt:<br />

nördlichste feste Niederlassung der Eskimos zwichen Radebeul und dem Nordpol.<br />

Aber Etah lag drüben, in Grönland, und ich mußte zunächst nach einer Möglichkeit<br />

suchen, über noch fest zugefrorene Teile des Kanebeckens oder des Smithsundes<br />

dorthin zu gelangen, genauer gesagt: an die Küste von Inglefieldland. Das konnte<br />

sich jetzt - es war immerhin Mitte Mai - unter Umständen als durchaus schwierig<br />

erweisen. Mein Weg war lang, und sein Verlauf war ungewiß. Doch schreckte mich<br />

diese Aussicht nicht. Schnee lag in dem breiten Taleinschnitt, welchem ich folgte,<br />

überall mehr als genug. Nur hier und da hatte die Frühlingssonne schon Lücken<br />

gefressen, kleine Rinnsale wiesen den Weg zur Küste.<br />

Laut rufend spornte ich die Hunde an. Mir war gesagt worden, es solle hier, in den<br />

meeresnahen Gegenden von Ellesmereland, Moschusochsen geben. Das Terrain

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