Otto Emersleben
Otto Emersleben
Otto Emersleben
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Möglichkeit zum Ausschöpfen aller Kräfte und dem Versagen infolge von<br />
Überanstrengung zu operieren ist das Geheimnis arktischen Reisens, zumal dann,<br />
wenn man allein unterwegs ist und um die Gefahren des scheinbar ewig dauernden<br />
Tages weiß.<br />
Mit einem der Schneemesser schnitt ich mir Blöcke für eine schirmende Wand<br />
zurecht, denn es hatte sich ein leichter Wind aufgemacht, welcher das Nahen der<br />
Küste erahnen ließ. Die Hunde gefüttert, ein Ruheseil aufgespannt, an das ich sie<br />
für die Zeit unserer Rast einzeln in gehörigem Abstand voneinander festmachte,<br />
mir selbst auf einem Öllämpchen Teewasser bereitet - all das ging mir schnell von<br />
der Hand. Es war mir inzwischen zur Gewohnheit geworden wie einst das<br />
Versorgen der Pferde und all die anderen liebgewohnten Vorbereitungen auf eine<br />
Rast am Lagerfeuer in der Prärie oder im Felsengebirge. Als kleine Belohnung gab<br />
es heute für mich ein Stück Moschusochsenlende, das ich sorgfältig auftaute und<br />
anschließend langsam briet. Ich hätte es mit einem solchen Festmahle in einer<br />
Pariser Gaststätte oder Unter den Linden nicht köstlicher treffen können.<br />
Nach erquickendem Schlaf ging es weiter, und ich erreichte tatsächlich bereits auf<br />
meiner nächsten Marschetappe die Küste von Ellesmereland. Zu meiner Freude<br />
war das Eis noch fest, und ich konnte die Meute ohne viel Federlesen mit lautem<br />
Hallo! und Peitschengeknall auf die glatte Fläche hinausjagen. Allerdings währte<br />
diese Freude nicht lange. Sobald sich die langgestreckte Bucht, auf deren Eis ich<br />
zunächst gestoßen war, zum Sund hin weitete, wurde spürbar, wie weit hier<br />
draußen die Frühlingsschmelze inzwischen fortgeschritten war. Wassergräben,<br />
sogenannte “Kanäle”, wie sie mir an Hensons Seite auf dem Wege nach Norden<br />
selbst in Polnähe begegnet waren, wechselten mit Wänden aus verwegen<br />
übereinander geschobenen Schollen ab. Diese bildeten teilweise regelrechte Gebirge<br />
aus Eis, unübersteigbar, mit scharfen Graten und schwindelerregenden Schluchten.<br />
Beide Arten von Hindernissen galt es zu umfahren, zu überwinden waren sie<br />
keinesfalls. Sie erwiesen sich zum Teil als recht weiträumig, und so zog sich die<br />
Überquerung des Smithsundes über viermal Schlaf hin, obwohl bei besseren<br />
Eisverhältnissen dieselbe Entfernung in der Hälfte dieser Zeit zu schaffen sein<br />
müßte. Ich konnte am Ende noch froh sein, zu keinem größeren Umweg nach<br />
Norden gezwungen gewesen zu sein, in eine Gegend, wo das Eis noch nicht in<br />
Bewegung geraten war. Als endlich im fernen Dunst Grönlands Küste auftauchte,<br />
merkten die Hunde die Nähe der alten Heimat und trugen mit einer extra Portion<br />
Anstrengung dazu bei, daß wir ohne weitere Rast das Ufer erreichten.<br />
Seit langem hatte ich meinen guten alten Sextanten nicht mehr zu Rate gezogen. Ich<br />
sage "alt", obwohl ich das Präzisionsgerät erst speziell für diesen Ausflug in die<br />
Arktik beim Pariser Instrumentenbauer Sicard geordert hatte. "Alt" heißt hier<br />
soviel wie "gediegen", denn was von Sicard kam, darauf war Verlaß, darauf gab<br />
man etwas unter Entdeckern und Reisenden. Ich hatte meine Meßgeräte nie aus<br />
anderer Quelle bezogen und habe dies nie bereut. Ich nahm das Instrument aus der<br />
Verpackung von Ölpapier, in der es mich zum Nordpol begleitet hatte und maß<br />
den Sonnenstand. Ich befand mich, wie ich zu meiner Freude feststellte, auf fast