Otto Emersleben
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"Im allgemeinen ja. Es sei denn, die Würdevolle hat einen dringenden Auftrag,<br />
den zu erledigen sie mich ausschickt."<br />
"Und - du kannst auch Mitreisende zu deiner Begleitung auswählen?"<br />
"Durchaus. Aber nur, wenn diese vorher wenigstens die niederen Weihen als<br />
Schamane erhalten."<br />
Ich habe noch keinen Weißen kennengelernt, der von irgend einem Medizinmann<br />
oder Schamanen, sei es nun bei den Inuit, den Rothäuten oder anderswo auf der<br />
Welt, mit derartiger Offenheit in Geheimnisse, Anschauungen und Möglichkeiten<br />
des Schamanentums eingeweiht worden ist. Erkühnt durch das Bewußtsein, in<br />
dieser Hinsicht ein Bevorzugter des Schicksals zu sein, fragte ich: "Und du kannst<br />
auch Vorausagen treffen hinsichtlich des persönlichen Lebens von Personen, ich<br />
meine von ---"<br />
"Ja. Die Person muß allerdings anwesend sein. Oder ich muß mich im Seelenfluge<br />
zu ihr begeben."<br />
"Als schwarzweiße Lumme?"<br />
"Oft als Lumme, ja. Doch benutze ich zuweilen auch andere Federkleider. Zumal<br />
dann, wenn ein solcher Flug mich von Grönland fortbringt."<br />
"Du könntest mir also zum Beispiel sagen", bohrte ich weiter, in Begeisterung<br />
geraten über die sich hier bietenden Möglichkeiten,"wann und wo ich ein Schiff<br />
treffe, das mich in meine Heimat zurückbringt?"<br />
"Nichts leichter als das." Kaschadu hielt sich nicht lange mit der Vorrede auf,<br />
verbarg urplötzlich das Gesicht in den nebeneinandergehaltenen Händen, summte<br />
eine eher eintönige, doch rhythmisch sehr stark betonte Melodie vor sich hin und<br />
sagte nach weniger als drei oder vier Minuten: "Karl, du wirst weiterhin der Küste<br />
folgen, und ehe du jenen Ort erreicht hast, den die Kabluna Kap York nennen,<br />
wirst du auf einen Walfänger treffen, der dich aufnimmt und in deine Heimat<br />
bringt."<br />
"Mich aufnimmt? Und - wo soll ich meine Hunde lassen? Ich kann sie doch nicht<br />
auf das Schiff und ins Land der Kabluna mitnehmen."<br />
"Du baust, ehe du an Bord dieses Fangbootes der Kabluna gehst, ein Schneeiglu<br />
und schirrst die Hunde daneben aus. In das Schneehaus bringst du zwei Robben,<br />
die du vorher ordentlich ausgenommen, gesäubert und in Futterportionen<br />
zerschnitten hast. Als Opfergabe für die Würdevolle legst du deine Waffen neben<br />
das Robbenfleisch. Diese Waffe” - sie deutete unmißverständlich auf meine<br />
Winchester - “mit dem Schießvorrat, der dir dann noch geblieben ist. Dazu alle<br />
anderen Waffen.”<br />
“Bin ich erst einmal an Bord jenes Schiffes, brauche ich in der Tat all das nicht<br />
mehr”, sagte ich. Innerlich war ich froh, bei der unumgänglichen Entwaffnung der<br />
Menschheit, welche ich sehnlichst herbeiwünschte , auf diesem Wege meinen<br />
ganz persönlichen Part zugewiesen bekommen zu habenund anderen Vorläufer<br />
sein zu können.<br />
“Sobald du mit dem Schiff hinter dem Südhorizont verschwunden sein wirst,<br />
komme ich, füttere die Hunde und nehme sie anschließend mit.”<br />
Alle Zeit der Welt schien mir seit dem Beginn unserer Unterhaltung verstrichen<br />
zu sein - Kablunazeit, Inuitzeit. “Ein Schiff wird also kommen”, sagte ich, mich<br />
der gegebenen Zusage noch einmal versichernd.