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Stadtmagazin Neue Szene Augsburg 2013-08

Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info immer auch unter www.neue-szene.de

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30 Zoom<br />

Ich beschloss, meine Wanderung auf den Feldern<br />

des Glücks bescheiden, fast kindlich zu<br />

beginnen. Vielleicht, so mein Kalkül, würde<br />

es das Glück honorieren, wenn ich es auf<br />

biedere Art suche, am Kiosk in Form eines<br />

Bayern-Loses. Der Vorteil: Ich kann auf einen<br />

Schlag 250.000 Euro gewinnen und mir den Rest der<br />

Suche sparen. Zwar wäre das eine langweilige Art<br />

des Gewinnens (und diese Reportage könnte gleich<br />

abrupt enden), aber vielleicht liegt ja gerade darin<br />

die höhere Gerechtigkeit des Glücks: dass man den<br />

Mangel an Abenteuer gegen die bequeme Gewissheit<br />

austauscht, ausgesorgt zu haben.<br />

Gehe auf Los<br />

Ich lege also meine Zukunft in die Hände von Vater<br />

Zufall, gehe zum Kiosk am Hauptbahnhof, ziehe das<br />

Los, schaue den freundlichen Losverkäufer freundlich,<br />

aber sicher nicht siegessicher an und gehe erst<br />

mal aus seinem Blickwinkel. Ich kann es nicht ertragen,<br />

wenn ich einem Losverkäufer einen Euro gebe<br />

und vor seinen Augen das Los gierig aufreiße. Der<br />

Mann hat sicher schon Legionen von unglücklichen<br />

Loskäufern an sich vorüberziehen sehen, ihre freudigen<br />

Augen vor dem Aufreißen und ihre freudlosen<br />

Augen nach dem Aufreißen. Ich werde, so oder so,<br />

nicht dazugehören. Entweder ich bin einen Euro ärmer<br />

und er wird es nie erfahren, oder ich werde<br />

reich und er wird es erfahren, oder ich bekomme<br />

eines dieser faden Zweite-Chance-Lose, dann doch<br />

lieber gleich verlieren.<br />

Ich stelle mich hinter den Kiosk, schaue gleichgültig,<br />

denn keiner soll mich später bemitleiden oder<br />

beneiden, wenn ich verliere oder gewinne, nehme<br />

das Los in die Hand, fixiere es, beschwöre es, reiße<br />

es auf und - LEIDER NICHT.<br />

Es wäre auch zu einfach gewesen, ich frage mich,<br />

wieso ich auf dem Los noch informiert werde, dass<br />

„Originallos Serie 076 gewinnt“. Was nutzt mir dieses<br />

Wissen? Nichts. Wenn mich jetzt jemand sehen<br />

könnte, würde ich leicht mit der Schulter zucken,<br />

wissend lächeln und damit in etwa ausdrücken: Ha,<br />

DIE<br />

10<br />

EURO<br />

REPORTAGE<br />

Eigentlich ein Zeichen meiner Gedankenlosigkeit, dass ich erst jetzt darauf komme,<br />

die zehn Euro für etwas Sinnvolles zu verwenden. So nahm ich das Geld in meine hoffnungsvollen<br />

Hände, um zu ziehen, zu zocken und zu wetten. Mein Ziel war bescheiden:<br />

Die Vervielfachung meines Glücks durch Geld oder die Vervielfachung meines Geldes<br />

durch Glück, je nachdem, wie man es dreht. Von Marcus Ertle<br />

nicht, dass ich mit einem Gewinn gerechnet hätte,<br />

Kinderei, die Chancen sind ja minimal, egal, beim<br />

nächsten Mal, ja, ja, scheiße.<br />

Rien ne va plus<br />

Das Gute am Roulette ist, dass es Stil hat, dass<br />

James Bond es spielt, dass schöne Frauen am Tisch<br />

sitzen, dass die Kugel schön Klickklickklick-klack<br />

macht und man dem Glück und dem Pech bei der Arbeit<br />

zusehen kann. Meinem Budget (neun Euro) und<br />

vielleicht auch meinem Standort (<strong>Augsburg</strong>) und<br />

wohl auch meinem Outfit (ohne Krawatte, ohne Anzug)<br />

ist es geschuldet, dass ich auf den Stil, auf die<br />

schönen Frauen und echte Kugeln verzichten muss.<br />

Zumindest heute, wenn ich hier nämlich gewinne,<br />

viel gewinne, wird sich einiges ändern und die Spielbanken<br />

oder Casinos, die diesen Namen verdienen,<br />

werden mich öfter zu Gesicht bekommen.<br />

Bis dahin tut es ein Kellercasino in der Nähe des Königsplatzes,<br />

der Roulettetisch ist ein Spielautomat<br />

und die einzige Frau, die hinter der Theke, ist nicht<br />

schön, ihre Mundwinkel zeigen nach unten und ihr<br />

Blick ist sehr müde, sie hat zu viele Verlierer und<br />

Gewinner im Halbdunkel gesehen. (Ich hoffe, sie<br />

wird das hier nie lesen.)<br />

Dafür ist es schön ruhig und kühl, an den anderen<br />

Automaten stehen junge Männer mit Bechern voll<br />

Kleingeld. Sie spielen an mehreren Automaten parallel<br />

mit hohen Einsätzen. Hoher Einsatz gemessen<br />

an meinem Einsatz, der in ihren Augen natürlich<br />

lächerlich gering wäre.Ich setze ganz vorsichtig,<br />

schließlich soll das hier keine Wambamthankyoumam-Aktion<br />

werden, in der ich meine Chips zum<br />

Teufel jage. Auf einen Euro, den ich auf eine Farbe<br />

setze, kommt ein Euro, den ich gewinne, wenn die<br />

Kugel auf die Farbe fällt. Es gibt so viele Möglichkeiten,<br />

sein Geld zu verlieren, es gibt so viele Möglichkeiten,<br />

Geld zu gewinnen. Ich setze auf Rot. Die<br />

virtuelle Kugel rollt, sie macht sogar klicklickklick,<br />

sie macht auch klack und sie landet auf – Rot.<br />

Hätte ich meine ganzen neun Euro gesetzt, ich wäre<br />

jetzt um diesen Betrag reicher, hätte ich zwanzig<br />

gesetzt, ich hätte jetzt vierzig, aber, verdammt,<br />

wenn ich so smart gewesen wäre und 100 Euro gesetzt<br />

hätte, dann hätte ich mit Hilfe von Rot jetzt<br />

200 Euro und so weiter und so weiter. Eine kleine<br />

Stimme in meinem Kopf sagt: Wenn du Glück hast,<br />

und du kannst Glück haben, dann kannst du aus<br />

diesem Keller mit einigen Scheinen mehr rausgehen<br />

als du reinkamst und wärst du nicht in einer glücklichen<br />

Beziehung (Hallo Schatz!), würdest du danach<br />

in einen Stripclub gehen und dein leichthändig erspieltes<br />

Geld unter die Damen bringen. Tja.<br />

Ich spiele weiter. Setze auf Rot. Denn ich weiß, der<br />

Zufall ist nicht regelmäßig, er hüpft wahllos herum.<br />

Die Kugel landet auf Schwarz. Was soll’s, einen Euro<br />

verloren, ich setze noch einen Euro, auf Rot, ich<br />

fordere es heraus, die Kugel landet auf Schwarz.<br />

Vielleicht ist jetzt doch mal Zeit für Schwarz, aber<br />

vielleicht ist gerade das der Fehler, also setze ich<br />

nochmal einen, nein, zwei Euro auf Rot, der Zufall<br />

kann mich mal. Die Kugel landet auf Schwarz.<br />

Der Zufall ist frech. Also setze ich nochmal zwei<br />

Euro, diesmal, weil es nun wirklich nichts hilft: auf<br />

Schwarz. Und die Kugel landet auf Schwarz! Meine<br />

Pechsträhne ist vorbei, das Glück blinzelt mir zu,<br />

es hat mich wieder gern und es flüstert: Setz jetzt<br />

alles auf Schwarz, ich gehöre dir. Ich murmle zurück:<br />

Danke, Glück, ich wusste von Anfang an, dass<br />

du am Ende doch zu mir stehst, also gebe ich uns<br />

eine Chance.<br />

Ich habe noch, rechne rechne, fünf Euro und setze,<br />

hm, vier auf Schwarz und die Kugel rollt und rollt.<br />

Kommkommkommkomm, lass mich gewinnen, es ist<br />

so leicht, die Hälfte vom Geld kriegen blinde afrikanische<br />

Nonnen, versprochen, und die Kugel landet<br />

auf – Rot. Sie weiß, ich hätte nie was gespendet.<br />

Grußlos gehe ich aus dem Kellerloch nach oben.<br />

Männer, die auf Pferde starren<br />

Ich glaube, ich weiß, was mein Fehler war. Ich war<br />

egoistisch, ich habe nur an mich gedacht, nur an<br />

mein Glück, nur an meinen exklusiven Gewinn. Das

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