Stadtmagazin Neue Szene Augsburg 2013-08
Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info immer auch unter www.neue-szene.de
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Es gab mal eine Zeit, da waren auch Deutschlands Straßen voller Menschen. Protestierender<br />
Menschen. Heute ist man stolz, wenn man mit 5000 Demonstranten ein<br />
paar Nazis verscheucht hat. Schön und gut. Aber kann das alles sein? Lassen wir uns<br />
tatsächlich Spionage am eigenen Rechner, am eigenen Telefon gefallen? Ist es uns<br />
egal, wenn die Bundeswehr Milliardenprojekte in den Sand setzt? Wie gesagt, es gibt<br />
genügend Gründe, den Politikern die Meinung zu geigen. Aber trotzdem machen wir es<br />
nicht. Oder zumindest nicht genug.<br />
Sieht man täglich die Tagesschau oder wirft nur einen kurzen Blick auf die Internetseiten<br />
diverser Magazine, erscheint es, als ob derzeit auf der ganzen Welt außergewöhnlich<br />
viel protestiert würde. Diesen Eindruck erwecken die Deutschen nicht gerade. Die<br />
meisten Proteste beschränken sich auf ein Kollektiv aus Wutbürgern mittleren Alters.<br />
Die Proteste gegen Atomkraft sind nach kurzer Zeit wieder verschwunden, von der<br />
Occupy-Bewegung ist nicht mehr viel übrig. Erschöpft und frustriert wurden die Camps<br />
von der Polizei aufgelöst oder verlassen. Nur die Oben-ohne-Aktivistinnen von Femen<br />
erfreuen sich zahlreicher neuer Mitglieder. Weiblicher Mitglieder. Und das auch in<br />
Deutschland.<br />
Doch das ist eher die Ausnahme der Regel. Laut der Shell-Studie von 2010 bezeichneten<br />
sich nur 39 Prozent der Befragten zwischen zwölf und 25 Jahren als „politisch interessiert“.<br />
Klaus Hurrelmann, Leiter der neuen Shell-Studie, sprach in einem Interview<br />
mit der Zeit jedoch von einer „Repolitisierung“ der Jugend. Die Jugendlichen müssten<br />
sich „durch den entstandenen Druck durch die Krise ein Ventil suchen“. Er erwarte<br />
eine Zunahme an politisch Engagierten und Interessierten. Hochschulstreiks aufgrund<br />
der Doppeljahrgänge wären bereits ein Indiz dafür. Aber auch die neu aufgelebten<br />
Anti-AKW- und Friedensdemos seien Zeichen für die Wiederbelebung von Politik in der<br />
Jugend.<br />
Privatsphäre ade?<br />
Seit der Enthüllung der NSA-Spähaffäre hat sich jedenfalls nicht viel getan. Man hat<br />
eher den Eindruck, als ließe uns das Thema völlig kalt. Der große Bruder, Amerika, der<br />
immer ein Auge auf deinen Laptop und dein Handy hat. Aber wie kann das sein? Ist uns<br />
Privatsphäre mittlerweile egal? Die Erfahrungen mit dem Internet haben unsere Empfindlichkeitsgrenze,<br />
was die Privatsphäre angeht, mit Sicherheit abgeschwächt. Dinge<br />
sind leichter zugänglich, bereits in jungem Alter. Man teilt seine Interessen mit sozialen<br />
Kontakten in Netzwerken, auf die nahezu jeder zugreifen kann. Aber ganz kann sie<br />
nicht verdrängt worden sein. Es ist vielmehr der Missmut gegenüber Wirtschaft und<br />
Finanzen, gar der Politik. Die Jugendlichen fühlen sich machtlos. Warum sollte sich<br />
etwas ändern, wenn nach der Aufdeckung eines Spionageskandals auch Ländern wie<br />
Frankreich und England weltweite Überwachung nachgesagt wird? Und der deutsche<br />
Innenminister versucht, die Sache auch noch schön zu reden. Die Jugend fühlt sich hintergangen,<br />
unterdrückt, salopp: verarscht. Was sollen wir da also noch machen? Wenn<br />
wir auf die Straße gehen, führt man uns doch eh bloß an der Nase herum oder löst die<br />
Proteste gewaltsam auf. Aber so kann und darf es nicht laufen.<br />
Laut Dieter Rucht, Professor für Soziologie in Berlin, haben die jungen Deutschen derzeit<br />
eher Grund zur Annahme, dass ihre Zukunft eine Chance hat, ganz im Gegenteil zu<br />
anderen europäischen Staaten. Also lieber die Klappe halten? Nein. Rucht gilt als einer<br />
der bekanntesten und wichtigsten Experten für Protest und soziale Bewegungen. Neben<br />
der Erforschung politischer Hintergründe und dem Verhalten von Protestierenden,<br />
engagiert er sich als Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac und ist außerdem<br />
Mitgründer des Institutes für Protest- und Bewegungsforschung.<br />
Ihm zufolge fehlt dieser Generation nur eine übergreifende Idee oder sogar eine<br />
Utopie, die viele der Protestgruppen zusammenbringen könnte. Dabei könnte man<br />
meinen, es gibt eigentlich zu viel Futter, um seinen Hintern überhaupt auf die Straße<br />
zu schwingen. Die Idee vom großen Europa ist heute eine einzige Misere. Austauschprogramme<br />
mit anderen Ländern, Reisen ohne Grenzkontrollen und schließlich eine<br />
gemeinsame Währung, die Einführung des Euro war für unsere Vorgängergeneration<br />
die logische Folge des Gefühls von Zusammengehörigkeit und Zuversicht. Dieses Gefühl<br />
ist dahin. Vielmehr wird es zum Konkurrenzkampf.<br />
Die jungen Menschen wollen ernst genommen werden. Und das ist auch richtig so. Die<br />
Mächtigen auf diesem Kontinent haben noch nicht verstanden, welches Potential sie<br />
verspielen. Die junge Generation darf sich diese Missachtung nicht mehr länger gefallen<br />
lassen. Sie muss lauter werden. Sie muss sich engagieren. Sie muss zur Wahl gehen, in<br />
die Parteien drängen oder neue Parteien gründen, konkrete Verbesserungsvorschläge<br />
machen. Sie muss ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen - denn sonst tut es keiner.<br />
Immerhin: Laut der Shell-Studie seien trotz der allgemeinen Politik- und Parteienverdrossenheit<br />
Jugendliche durchaus bereit, sich an politischen Aktivitäten zu beteiligen,<br />
insbesondere dann, wenn ihnen eine Sache persönlich wichtig ist. So würden 77 Prozent<br />
aller jungen Leute bei einer Unterschriftenaktion mitmachen. Und immerhin 44 Prozent<br />
würden auch an einer Demonstration teilnehmen. Da kann die Revolution ja kommen.<br />
Viva la Revolución!<br />
Zoom<br />
*Malin Schneider, 19 Jahre, <strong>Augsburg</strong><br />
Interessiert dich Politik?<br />
Ja.<br />
Bist du auch politisch aktiv?<br />
Leider zu wenig.<br />
Gehst du im September zum Wählen?<br />
Auf jeden Fall.<br />
Weißt du schon, wen du wählen<br />
wirst?<br />
Ungefähr, vermutlich eher links.<br />
Was sagst du zu den Ereignissen<br />
in der Türkei?<br />
Schrecklich, wir Deutschen sollten<br />
mehr Solidarität mit den Betroffenen<br />
zeigen.<br />
Was sagst du zum NSA-Skandal?<br />
Findest du das schlimm?<br />
Sehr schlimm, ja. Aber leider nicht<br />
überraschend. Man muss Privatsphäre<br />
wählen!<br />
*<br />
Maximilian Wörle, 19, Aichach<br />
Interessiert dich Politik?<br />
Na klar interessiert mich Politik:<br />
Bist du auch politisch aktiv?<br />
Nein.<br />
Gehst du im September zum Wählen?<br />
Ja, nach kurzer Recherche der Wahlprogramme.<br />
Weißt du schon, wen du wählen<br />
wirst?<br />
Nein.<br />
Was sagst du zu den Ereignissen<br />
in der Türkei?<br />
Das finde ich absurd, jedoch bin<br />
ich der Meinung, dass die dortigen<br />
Ereignisse in absehbarer Zeit positive<br />
Auswirkungen haben werden.<br />
Was sagst du zum NSA Skandal?<br />
Ich finde das super schlimm. Allerdings<br />
war's doch nicht anders zu<br />
erwarten, oder?<br />
*Deniz Gueiza, 18, <strong>Augsburg</strong><br />
Interessiert dich Politik?<br />
Vom Thema abhängig.<br />
Bist du auch politisch aktiv?<br />
Nein, dafür habe ich keine Zeit.<br />
Gehst du im September zum Wählen?<br />
Ja, auf jeden Fall.<br />
Weißt du schon, wen du wählen<br />
wirst?<br />
Dazu will ich mich nicht äußern.<br />
Was sagst du zu den Ereignissen<br />
in der Türkei?<br />
Ich finde das überhaupt nicht gut.<br />
Für mich ist Erdogan zwar demokratisch<br />
gewählt, jedoch kann<br />
ich sein diktatorisches, korruptes<br />
Verhalten nicht tolerieren. Ich<br />
unterstütze die Demonstranten in<br />
Istanbul.<br />
Deine Meinung zum NSA-<br />
Skandal?<br />
Ich habe nichts zu verbergen,<br />
daher interessiert es mich nicht.<br />
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