36 Zoom WIE POLITISCH NSA-Skandal, Euro-Krise, Mollath-Affäre – es gibt genug Gründe, seine politische Meinung zu vertreten. Aber wie politisch ist unsere Jugend eigentlich noch? Und: Wollen wir überhaupt auf die Straße? Von Maximilian Wallner IST UNSERE JUGEND?
Es gab mal eine Zeit, da waren auch Deutschlands Straßen voller Menschen. Protestierender Menschen. Heute ist man stolz, wenn man mit 5000 Demonstranten ein paar Nazis verscheucht hat. Schön und gut. Aber kann das alles sein? Lassen wir uns tatsächlich Spionage am eigenen Rechner, am eigenen Telefon gefallen? Ist es uns egal, wenn die Bundeswehr Milliardenprojekte in den Sand setzt? Wie gesagt, es gibt genügend Gründe, den Politikern die Meinung zu geigen. Aber trotzdem machen wir es nicht. Oder zumindest nicht genug. Sieht man täglich die Tagesschau oder wirft nur einen kurzen Blick auf die Internetseiten diverser Magazine, erscheint es, als ob derzeit auf der ganzen Welt außergewöhnlich viel protestiert würde. Diesen Eindruck erwecken die Deutschen nicht gerade. Die meisten Proteste beschränken sich auf ein Kollektiv aus Wutbürgern mittleren Alters. Die Proteste gegen Atomkraft sind nach kurzer Zeit wieder verschwunden, von der Occupy-Bewegung ist nicht mehr viel übrig. Erschöpft und frustriert wurden die Camps von der Polizei aufgelöst oder verlassen. Nur die Oben-ohne-Aktivistinnen von Femen erfreuen sich zahlreicher neuer Mitglieder. Weiblicher Mitglieder. Und das auch in Deutschland. Doch das ist eher die Ausnahme der Regel. Laut der Shell-Studie von 2010 bezeichneten sich nur 39 Prozent der Befragten zwischen zwölf und 25 Jahren als „politisch interessiert“. Klaus Hurrelmann, Leiter der neuen Shell-Studie, sprach in einem Interview mit der Zeit jedoch von einer „Repolitisierung“ der Jugend. Die Jugendlichen müssten sich „durch den entstandenen Druck durch die Krise ein Ventil suchen“. Er erwarte eine Zunahme an politisch Engagierten und Interessierten. Hochschulstreiks aufgrund der Doppeljahrgänge wären bereits ein Indiz dafür. Aber auch die neu aufgelebten Anti-AKW- und Friedensdemos seien Zeichen für die Wiederbelebung von Politik in der Jugend. Privatsphäre ade? Seit der Enthüllung der NSA-Spähaffäre hat sich jedenfalls nicht viel getan. Man hat eher den Eindruck, als ließe uns das Thema völlig kalt. Der große Bruder, Amerika, der immer ein Auge auf deinen Laptop und dein Handy hat. Aber wie kann das sein? Ist uns Privatsphäre mittlerweile egal? Die Erfahrungen mit dem Internet haben unsere Empfindlichkeitsgrenze, was die Privatsphäre angeht, mit Sicherheit abgeschwächt. Dinge sind leichter zugänglich, bereits in jungem Alter. Man teilt seine Interessen mit sozialen Kontakten in Netzwerken, auf die nahezu jeder zugreifen kann. Aber ganz kann sie nicht verdrängt worden sein. Es ist vielmehr der Missmut gegenüber Wirtschaft und Finanzen, gar der Politik. Die Jugendlichen fühlen sich machtlos. Warum sollte sich etwas ändern, wenn nach der Aufdeckung eines Spionageskandals auch Ländern wie Frankreich und England weltweite Überwachung nachgesagt wird? Und der deutsche Innenminister versucht, die Sache auch noch schön zu reden. Die Jugend fühlt sich hintergangen, unterdrückt, salopp: verarscht. Was sollen wir da also noch machen? Wenn wir auf die Straße gehen, führt man uns doch eh bloß an der Nase herum oder löst die Proteste gewaltsam auf. Aber so kann und darf es nicht laufen. Laut Dieter Rucht, Professor für Soziologie in Berlin, haben die jungen Deutschen derzeit eher Grund zur Annahme, dass ihre Zukunft eine Chance hat, ganz im Gegenteil zu anderen europäischen Staaten. Also lieber die Klappe halten? Nein. Rucht gilt als einer der bekanntesten und wichtigsten Experten für Protest und soziale Bewegungen. Neben der Erforschung politischer Hintergründe und dem Verhalten von Protestierenden, engagiert er sich als Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac und ist außerdem Mitgründer des Institutes für Protest- und Bewegungsforschung. Ihm zufolge fehlt dieser Generation nur eine übergreifende Idee oder sogar eine Utopie, die viele der Protestgruppen zusammenbringen könnte. Dabei könnte man meinen, es gibt eigentlich zu viel Futter, um seinen Hintern überhaupt auf die Straße zu schwingen. Die Idee vom großen Europa ist heute eine einzige Misere. Austauschprogramme mit anderen Ländern, Reisen ohne Grenzkontrollen und schließlich eine gemeinsame Währung, die Einführung des Euro war für unsere Vorgängergeneration die logische Folge des Gefühls von Zusammengehörigkeit und Zuversicht. Dieses Gefühl ist dahin. Vielmehr wird es zum Konkurrenzkampf. Die jungen Menschen wollen ernst genommen werden. Und das ist auch richtig so. Die Mächtigen auf diesem Kontinent haben noch nicht verstanden, welches Potential sie verspielen. Die junge Generation darf sich diese Missachtung nicht mehr länger gefallen lassen. Sie muss lauter werden. Sie muss sich engagieren. Sie muss zur Wahl gehen, in die Parteien drängen oder neue Parteien gründen, konkrete Verbesserungsvorschläge machen. Sie muss ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen - denn sonst tut es keiner. Immerhin: Laut der Shell-Studie seien trotz der allgemeinen Politik- und Parteienverdrossenheit Jugendliche durchaus bereit, sich an politischen Aktivitäten zu beteiligen, insbesondere dann, wenn ihnen eine Sache persönlich wichtig ist. So würden 77 Prozent aller jungen Leute bei einer Unterschriftenaktion mitmachen. Und immerhin 44 Prozent würden auch an einer Demonstration teilnehmen. Da kann die Revolution ja kommen. Viva la Revolución! Zoom *Malin Schneider, 19 Jahre, <strong>Augsburg</strong> Interessiert dich Politik? Ja. Bist du auch politisch aktiv? Leider zu wenig. Gehst du im September zum Wählen? Auf jeden Fall. Weißt du schon, wen du wählen wirst? Ungefähr, vermutlich eher links. Was sagst du zu den Ereignissen in der Türkei? Schrecklich, wir Deutschen sollten mehr Solidarität mit den Betroffenen zeigen. Was sagst du zum NSA-Skandal? Findest du das schlimm? Sehr schlimm, ja. Aber leider nicht überraschend. Man muss Privatsphäre wählen! * Maximilian Wörle, 19, Aichach Interessiert dich Politik? Na klar interessiert mich Politik: Bist du auch politisch aktiv? Nein. Gehst du im September zum Wählen? Ja, nach kurzer Recherche der Wahlprogramme. Weißt du schon, wen du wählen wirst? Nein. Was sagst du zu den Ereignissen in der Türkei? Das finde ich absurd, jedoch bin ich der Meinung, dass die dortigen Ereignisse in absehbarer Zeit positive Auswirkungen haben werden. Was sagst du zum NSA Skandal? Ich finde das super schlimm. Allerdings war's doch nicht anders zu erwarten, oder? *Deniz Gueiza, 18, <strong>Augsburg</strong> Interessiert dich Politik? Vom Thema abhängig. Bist du auch politisch aktiv? Nein, dafür habe ich keine Zeit. Gehst du im September zum Wählen? Ja, auf jeden Fall. Weißt du schon, wen du wählen wirst? Dazu will ich mich nicht äußern. Was sagst du zu den Ereignissen in der Türkei? Ich finde das überhaupt nicht gut. Für mich ist Erdogan zwar demokratisch gewählt, jedoch kann ich sein diktatorisches, korruptes Verhalten nicht tolerieren. Ich unterstütze die Demonstranten in Istanbul. Deine Meinung zum NSA- Skandal? Ich habe nichts zu verbergen, daher interessiert es mich nicht. 37