26.10.2013 Aufrufe

Kritik - Forschung & Lehre

Kritik - Forschung & Lehre

Kritik - Forschung & Lehre

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

6|10 <strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong> SPRACHE UND WISSENSCHAFT 399<br />

einer akustisch-phonetischen Ebene das<br />

eigentliche Hören und die Analyse der<br />

Sprachlaute stattfinden. Dann verarbeiten<br />

wir als Erstes die syntaktische Struktur,<br />

das heißt wir segmentieren den Sprachinput<br />

in syntaktische Einheiten (Phrasen).<br />

Diese Erkenntnis widerstrebt uns,<br />

denn rein intuitiv haben wir den Eindruck,<br />

unser Gehirn analysiert zunächst<br />

die Bedeutung von Wörtern und nicht ihren<br />

strukturellen Zusammenhang. Dennoch<br />

ist es so. Wenn das Gehirn zum Beispiel<br />

ein Wort verarbeitet wie „weil“,<br />

dann weiß es, dass es sich um den Anfang<br />

eines Nebensatzes handeln muss, bei<br />

dem das Verb am Ende steht. Erst in einem<br />

nächsten Schritt prüft das Gehirn<br />

dann, ob die inhaltliche Verknüpfung<br />

stimmt: Passt das Verb zum Nomen? Es<br />

analysiert parallel auch die grammatischen<br />

Relationen: Ist das Nomen der<br />

Agent der Handlung oder jemand, dem<br />

etwas passiert? In einer letzten Phase<br />

müssen die Bedeutung und die syntaktischen<br />

Informationen integriert werden,<br />

um den Verstehensprozess abschließen<br />

zu können. Diese Prozesse sind alle in<br />

der linken Hirnhälfte verankert.<br />

In der rechten Hirnhälfte wird die<br />

Satzmelodie, das heißt die Prosodie verarbeitet<br />

– diese betrifft sowohl das Betonen<br />

einzelner wichtiger Wörter im Satz<br />

als auch die akustische Abgrenzung von<br />

einzelnen Phrasen im Satz, analog der<br />

Kommas in der Schriftsprache. Und<br />

schließlich müssen all diese Informationen<br />

aus beiden Hemisphären zusammenkommen,<br />

um das akustische<br />

Sprachverstehen sicherzustellen.<br />

Da diese Prozesse an verschiedenen<br />

Stellen im Gehirn und darüber hinaus<br />

in Millisekunden ablaufen, braucht man<br />

sehr präzise Messmethoden. Um zu<br />

prüfen, welche Hirnregionen involviert<br />

sind, eignet sich die funktionelle Magnetresonanztomographie<br />

(fMRT). Für<br />

die Erfassung des zeitlichen Ablaufs der<br />

einzelnen Prozesse und deren Zusammenspiel<br />

eignet sich die Methode der<br />

ereigniskorrelierten Hirnpotentiale, wie<br />

sie mit der Elektroenzephalographie<br />

(EEG) gemessen werden kann.<br />

Um zu untersuchen, wo Bedeutung<br />

und Syntax im Hirn verarbeitet werden,<br />

präsentieren wir den Versuchspersonen<br />

richtige Sätze, aber auch solche, die semantisch<br />

„entstellt“ wurden. Dann hören<br />

sie nicht „Der König wurde ermordet“,<br />

sondern „Der Honig wurde ermordet“.<br />

Man kann die Beispiele auch<br />

grammatikalisch entstellen: „Der Graf<br />

wurde im ermordet“ – nach der Präposition<br />

„im“ fehlt ein Nomen. Dabei sehen<br />

wir uns im fMRT und im EEG an,<br />

wie das Gehirn auf die Fehler reagiert.<br />

Das Broca-Areal als Grammatikzentrum<br />

wird bei diesen kleinen grammati-<br />

Abb. 2: Das Corpus Callosum verbindet als Brücke die beiden Hemisphären: Die Linke, in der<br />

Wörter und Grammatik verarbeitet werden, mit der Rechten, wo unter anderem die Satzmelodie<br />

(Prosodie) verortet ist.<br />

Abb. 1: Sprachverarbeitung ist ein komplexer Vorgang, der von mehreren Zentren im Gehirn<br />

gesteuert wird. Siehe Text. Quelle: bearbeitet nach Brodmann, 1909<br />

schen Fehlern selbst nicht aktiv, wohl<br />

aber eine Region, das frontale Operculum,<br />

zusammen mit dem anterioren Anteil<br />

des oberen Temporallappens. Was<br />

die semantischen Netzwerke angeht, so<br />

können wir auf der Basis vieler Studien<br />

sagen, dass dazu Areale im oberen Temporallappen,<br />

vor allem der mittlere Teil,<br />

gehören, aber auch das Brodmann-Areal<br />

45 im inferioren Frontalgyrus. Im posterioren<br />

Anteil des Temporallappens finden<br />

wir eine Region, die sowohl für die<br />

Semantik als auch für die Syntax zuständig<br />

zu sein scheint. Das könnte also ein<br />

Gebiet sein, in dem diese beiden Informationen<br />

integriert werden.<br />

Die zeitlichen Messungen belegen<br />

den Ablauf der Sprachverarbeitungssprosse.<br />

Zuerst wird der syntaktische<br />

Aufbau analysiert, nach 120 Millisekunden,<br />

erst nach 400 Millisekunden beschäftigt<br />

sich das Gehirn mit der Semantik,<br />

den Inhalten. Nach 600 Millisekunden<br />

finden wir eine weitere Funktion,<br />

welche die Integration der beiden Schritte<br />

anzeigt. Diese Aktivität ist über die<br />

posterioren Anteile des Gehirns verteilt.<br />

Für was ist dann das Broca-Areal<br />

zuständig? Wir wissen, dass Patienten<br />

mit Verletzungen in diesem Bereich besondere<br />

Schwierigkeiten mit komplexen<br />

grammatikalischen Sätzen haben.<br />

Daraus könnte man schließen, dass diese<br />

Region zuständig ist für die Verarbeitung<br />

von syntaktisch nicht ganz einfachen<br />

Sätzen.<br />

Die Messungen im fMRT zeigten,<br />

dass die Aktivität des Broca-Areals sich<br />

systematisch mit der Komplexität der<br />

Satzkonstruktion erhöht. Die Broca-<br />

Region ist also der Ort, an dem komplexe<br />

Sätze verarbeitet werden.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!