Synthesebericht - Schweizerischer Nationalfonds (SNF)
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Symbolische Gewalt<br />
Aspekte von (erlebter) Benachteiligung der weiblichen Nachwuchsforschenden sind realiter meist<br />
subtil und entziehen sich dem rationalen Bewusstsein. Sie sind eingelagert in die kulturellen<br />
Normsetzungen (zum Beispiel Leistungskonzepte, institutionalisierte Laufbahnen), strukturellen<br />
Bedingungen (zum Beispiel Zeitstrukturen von Kinderbetreuungsinstitutionen, Alterslimiten für<br />
Personenförderung) und (arbeits-)organisationellen Abläufe (zum Beispiel Präsenzzeiten bei Laborarbeiten,<br />
Mobilitätsanforderung für Feldarbeiten) innerhalb des wissenschaftlichen Feldes<br />
und seiner Institutionen (vgl. Krais 2000, 34 und 49; Leemann 2007). Von den Individuen werden<br />
sie entweder gar nicht erkannt, oft auch verdrängt, umgedeutet und abgespalten, oder die<br />
geschlechterdiskriminierenden Setzungen und Normen werden ins eigene Bewertungsschema, in<br />
die eigenen Handlungsmaximen aufgenommen. Bourdieu beschreibt dieses Phänomen der Anerkennung<br />
und Zustimmung bei gleichzeitiger Verkennung von Herrschaftsausübung als Akte<br />
SYMBOLISCHER GEWALT, welche in allen Herrschaftsverhältnissen, so auch im Geschlechterverhältnis,<br />
ihre Wirkung entfalten (Krais 1993). „Die patriarchale Herrschaft ist eine Herrschaft, die<br />
fast ausschliesslich auf symbolischer Gewalt, d.h. auf Verkennen beruht“ (Bourdieu 1997, 215).<br />
Symbolische Gewalt wird nicht als reale Gewalt erlebt, da sie unter Mitwirkung der Akteure ihre<br />
Wirkung entfaltet, d.h. auf der unbewussten Anpassung der subjektiven Strukturen – des Habitus<br />
– an die objektiven Strukturen – der Ungleichheitsverhältnisse – beruht (Bourdieu und Wacquant<br />
1996, 203f). Phänomene einer geschlechtsspezifischen Leaky Pipeline in den wissenschaftlichen<br />
Laufbahnen kommen deshalb auch auf Grund von statistischer Selbstdiskriminierung im<br />
Sinne einer „Kausalität der Wahrscheinlichkeit“ (Bourdieu 1981) zustande: Die Hoffnungen und<br />
Bestrebungen von Wissenschaftlerinnen passen sich antizipierend ihren objektiven Chancen an.<br />
Schliessungsprozesse werden nicht als aktiver Ausschluss erfahren. Prozesse von Selbstausschluss<br />
und sozialem Ausschluss gehen immer Hand in Hand, und können weder theoretisch<br />
noch empirisch als voneinander unabhängige Vorgänge konzipiert oder beobachtet werden.<br />
Kapitalformen und Forschungsförderung<br />
Im wissenschaftlichen Feld sind bestimmte Kapitalsorten und deren Ausprägungen besonders<br />
wichtig und hoch bewertet, manchmal auch weniger relevant oder tabuisiert (Bourdieu 1983).<br />
Heute können wissenschaftliche Laufbahnen kaum mehr ohne die Unterstützung von Institutionen<br />
der Forschungsförderung aufgebaut und auch nach Erreichen einer festen Anstellung erfolgreich<br />
weitergeführt werden. Sie stellen das grundlegend notwendige ökonomische Kapital zur<br />
Verfügung, um eine Qualifikationsarbeit zu verfassen, einen Auslandaufenthalt zu absolvieren<br />
oder ein grösseres Forschungsprojekt durchzuführen. Dadurch ermöglichen sie den Aufbau von<br />
institutionalisiertem kulturellem Kapital in Form von fachlichen Qualifizierungsarbeiten, beziehungsweise<br />
das ökonomische Kapital wird in kulturelles umgewandelt. Dank der mit Mitteln der<br />
Personen- und Forschungsförderung finanzierten Forschungen und Auslandaufenthalte erweitert<br />
sich auch das inkorporierte kulturelle Kapital der WissenschaftlerInnen. Das soziale Kapital wird<br />
dank Forschungskooperationen und der mit der Personenförderung oft gekoppelten geografischen<br />
Mobilität akkumuliert und gepflegt. Aus allen drei Kapitalsorten erwachsen Formen von<br />
symbolischem Kapital (Bourdieu und Wacquant 1996, 151), welche als Reputation, Auszeichnung<br />
oder Credibility wiederum in die Karriere reinvestiert werden (müssen).<br />
Um in der Forschungsförderung erfolgreich zu sein und einen Antrag finanziert zu erhalten,<br />
braucht es natürlich schon Vorinvestitionen in die verschiedenen Kapitalsorten. In den meisten<br />
Fällen müssen Antragstellende promoviert sein, Forschungserfahrungen und Publikationen vorweisen,<br />
universitär eingebunden und wissenschaftlich vernetzt sein. Formen symbolischer Kapitalien<br />
wie zum Beispiel frühere, erfolgreich erhaltene Stipendien, wissenschaftliche Preise,<br />
Publikationen gemeinsam mit bekannten WissenschaftlerInnen oder Forschungsaufenthalte an<br />
renommierten Institutionen erlauben einen Vertrauensvorschuss, der gewinnbringend eingesetzt<br />
werden kann.<br />
GEFO <strong>Synthesebericht</strong> | 16