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Manuskripte (pdf) - WDR 5

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Medieninsel<br />

DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Musik: Clint Mansell / Kronos Quartet, CD The Fountain Soundtrack, Tr. Death is a<br />

Disease, Nonesuch<br />

SPRECHER<br />

Als am 14. Februar 2004, gegen 21.00 Uhr, die Nachricht vom Tode Marco Pantanis<br />

über die italienischen Fernseh- und Radiostationen verbreitet wird, steht die ganze<br />

Nation unter Schock. Der zur Legende gewordene Radsportprofi stirbt im Alter von<br />

nur 34 Jahren in einem Hotelzimmer in Rimini unter mysteriösen Umständen. Im<br />

Obduktionsbericht der Staatsanwaltschaft heißt es zur Todesursache lapidar:<br />

„Selbstmord durch eine Überdosis Kokain“. Ein Gerichtsverfahren, das den Tod<br />

Pantanis untersuchen soll, kommt vier Jahre später zu demselben Ergebnis. Tonina<br />

Pantani, Marco Pantanis Mutter, ist jedoch davon überzeugt, dass ihr Sohn ermordet<br />

wurde. Sie hat eine Wiederaufnahme des Verfahrens erreicht.<br />

O-Ton Tonina Pantani<br />

ÜBERSETZERIN<br />

„Ich warte nur darauf, dass diese Farce hier endlich ein Ende hat. In diesem Prozess<br />

wurden eine Menge Lügen erzählt. Das Maß ist voll!“<br />

Ansage<br />

Tod einer Radsportlegende:<br />

Der Fall Marco Pantani<br />

Ein Feature von Vincenzo Delle Donne<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der<br />

engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das<br />

Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich<br />

zugänglich gemacht ) werden..<br />

1


DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Medieninsel (Rennberichte italienischer, deutscher, englischer Kommentatoren)<br />

Musik: Aphex Twin, CD Selected Ambient Works 85-92, Tr. Actium, Warp Records<br />

SPRECHER<br />

Rückblende. Im Radsport war der kleine glatzköpfige Mann mit den großen<br />

abstehenden Ohren ein Idol, das die Massen begeisterte. Dabei war Marco Pantani<br />

nur 1 Meter 71 groß und gerade mal 56 Kilogramm schwer - aber ein unglaubliches<br />

Energiebündel. Wie kaum ein anderer verkörperte er das Bild des kleinen<br />

italienischen Davids, der es den großmäuligen Goliaths zeigte, wenn es darauf<br />

ankam. Mit Leichtigkeit fuhr er auf den höchsten Anhöhen des Landes seinen<br />

Radsport-Konkurrenten davon. Bald hatte er den Beinamen „Il pirata“, der Pirat, weil<br />

er sich nicht um die Absprachen zwischen den Fahrern scherte und weil er immer ein<br />

Kopftuch trug. Warum er so stark in den Bergen führe, wurde er einmal von einem<br />

Journalisten gefragt. Pantani antwortete: „Um meinen Kampf mit dem Tod zu<br />

verkürzen!“<br />

1992 gewann Marco Pantani den Giro d’Italia für Amateure. Im Jahr darauf wird er<br />

Profi, und es beginnt sein kometenhafter Aufstieg im internationalen Radsport. 1994<br />

belegte er auf Anhieb den 3. Platz im Gesamtklassement bei der Tour de France.<br />

Doch eine Reihe von Verletzungen und Unfällen werfen ihn in der Folgezeit immer<br />

wieder zurück. 1997 nimmt er erneut am Giro d’Italia teil –. wieder verletzt er sich<br />

schwer. Pantani scheint vom Pech verfolgt.<br />

Medieninsel (Tour de France 1998)<br />

1998 ist Marco Pantani Glücksjahr. Er leistet Großes, bisher nie Dagewesenes: Im<br />

Juni gewinnt er souverän den Giro d’Italia. Im Juli dann im Kampf gegen Jan Ullrich<br />

die Tour de France. Im selben Jahr die zwei wichtigsten und schwersten<br />

Etappenrennen der Welt zu gewinnen: Dies war in der Radsportgeschichte nur<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der<br />

engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das<br />

Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich<br />

zugänglich gemacht ) werden..<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

wenigen Radprofis vergönnt. Pantani gehört jetzt zu ihnen. Er ist auf dem Höhepunkt<br />

seiner Karriere. Für Manola, Marco Pantanis jüngere Schwester, hat ihr Bruder<br />

Radsportgeschichte geschrieben.<br />

O-Ton Manola Pantani<br />

ÜBERSETZERIN<br />

Mit diesen zwei Siegen wird er für immer in unseren Herzen bleiben. Es sind wirklich<br />

zwei unvergessliche Siege.<br />

SPRECHER<br />

Marco Pantani ist nun ein Nationalheld. Der erste italienische Tour de France Sieger<br />

seit 1965. Er ist zu dieser Zeit mit der schüchternen dänischen Kunststudentin Kristin<br />

liiert. Eine blonde Schönheit, einen Kopf größer als Pantani. Sie kommt nach Italien,<br />

um sich der Renaissance-Kunst zu widmen. Am Ende landet sie als Aushilfskraft in<br />

einer der vielen Diskos an der Adriaküste, wo sie Marco Pantani kennenlernt. Er holt<br />

sie aus dem Nachtleben, und fortan arbeitet sie im Kiosk der Familie mit. Sie soll die<br />

einzige und wichtigste Frau in seinem Leben bleiben. Plötzlich steht auch sie im<br />

Rampenlicht und muss sich zu Pantanis Erfolgsgeheimnis äußern:<br />

O-Ton Kristin<br />

ÜBERSETZERIN<br />

Ich weiß nicht, ob er ein besonderes Geheimnis hat. Ich denke vielmehr, dass er<br />

mehr Talent als die anderen hat und dass er dies besser ausnutzt. Also viele<br />

Sachen kommen bei ihm zusammen, und das ist es, was ihn auszeichnet und<br />

unnachahmlich macht.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der<br />

engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das<br />

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zugänglich gemacht ) werden..<br />

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SPRECHER<br />

DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Mit dem sportlichen Erfolg kommt für Pantani auch das große Geld. Sponsoren<br />

reißen sich um ihn. Viele sonnen sich im Glanz seiner legendären Triumphe – auch<br />

die Funktionäre des nationalen Sports, allerlei Showgrößen und natürlich die<br />

Politprominenz.<br />

Medieninsel<br />

Die italienische Fernsehanstalt RAI, die die Tour de France überträgt, erzielt<br />

phantastische Einschaltquoten. Bis zu 85% der Zuschauer verfolgen die<br />

stundenlangen Etappenrennen. Sogar der italienische Theaterautor Dario Fo, der im<br />

Dezember 1997 den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte, schwärmt für Pantani.<br />

Auch er ist ein fanatischer Radsportbegeisterter. Obwohl nach Pantanis Sieg bei der<br />

Tour de France Dopinggerüchte die Runde machen, lässt der Nobelpreisträger nichts<br />

auf Pantani kommen. Das Doping-Thema ist Tabu.<br />

O-Ton Dario Fo<br />

ÜBERSETZER<br />

Pantani hat sich bei dieser Tour mit den großen Rivalen gemessen und die waren<br />

auch nicht gedopt. Und Pantani selbst wurde überhaupt nicht behelligt. Das heißt,<br />

dass er sauber fuhr. Er hat ein fantastisches Rennen bestritten und wurde zudem<br />

unterschätzt. Man wähnte ihn müde. Man dachte, er habe seine gesamte Kraft beim<br />

Giro d’Italia verbraucht und außerdem musste er sich ja mit den großen Champions<br />

des Radsports messen.<br />

Musik: Biosphere, CD Autor de La Lune, Tr. Vibratoire, Touch Records<br />

Laurent Juillet, CD Intelligent Drones, Tr.3, Verlag Kosinus<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Laurent Juillet, CD Intelligent Drones, Tr.2, Verlag Kosinus<br />

SPRECHER<br />

Madonna di Campiglio in den italienischen Dolomiten. 5. Juni 1999. Früh am Morgen.<br />

Pantani ist zwar müde, aber wie im Rausch. Er führt souverän den Giro d’Italia an.<br />

An den letzten beiden Renntagen hat der Kletterspezialist seine Konkurrenten in die<br />

Schranken gewiesen und die Bergetappen gewonnen – bejubelt von<br />

Hunderttausenden von Tifosi am Straßenrand. Die vorletzte Etappe des Giro d’Italia<br />

steht an. Der Giro-Sieg ist zum Greifen nahe. Es wäre der zweite in Folge. Pantani<br />

hält sich in seinem Hotelzimmer auf. Plötzlich klopft es an der Tür. Es sind<br />

Dopingkontrolleure des internationalen Radsportverbandes. Unangemeldet bitten sie<br />

Pantani zur Blutabnahme. Nicht nur ihn, sonder auch andere Fahrer.<br />

Sie kommen später, als das Reglement es vorschreibt. Pantani protestiert; er hätte<br />

sich weigern können. Am Ende lässt er sich aber doch das Blut abnehmen.<br />

Gegen 10.30 Uhr platzt die Bombe.<br />

O-Ton Giro-d’Italia-Leiter<br />

ÜBERSETZER<br />

Mit tiefem Bedauern nimmt die Leitung des Giro d’Italia die Ergebnisse der<br />

Blutanalyse zur Kenntnis, die der internationale Radsportverband vorgenommen hat<br />

und anhand derer Marco Pantanis Ausschluss vom Rennen verfügt worden ist. Sich<br />

der Schwere des Vergehens bewusst, betont die Giro-Leitung, dass die Einhaltung<br />

der Regeln und der Schutz der Gesundheit der Athleten oberste Priorität genießen.<br />

SPRECHER<br />

Pantanis Blut weist einen Hämatokritwert von 52% aus – 2% über der erlaubten<br />

Marke. Der normale Wert liegt beim Menschen zwischen 38% und 48%. Er wird mit<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

sofortiger Wirkung vom Giro d’Italia ausgeschlossen und erhält eine e Sperre, so wie<br />

es das Reglement 1999 vorsieht. Damit ist der Traum vom Sieg geplatzt. Das<br />

Entsetzen bei Pantani und der Radsportgemeinde ist groß. Der zu hohe<br />

Hämatokritwert ist ein Indiz dafür, dass ihr Idol gedopt hat. Der Skandal schlägt hohe<br />

Wellen.<br />

Medieninsel<br />

Statt die 15tägige Sperre zu akzeptieren, zieht Pantani die Ergebnisse der Kontrollen<br />

in Zweifel und spricht - auf Anraten seiner Manager und Betreuer - sogar von einem<br />

Komplott gegen ihn. In einer eigens einberufenen Pressekonferenz am Tag nach<br />

seinem Ausschluss beteuert er seine Unschuld.<br />

O-Ton Marco Pantani<br />

ÜBERSETZER<br />

Ich bin ein sauberer Radrennfahrer. Ich bin einer der wenigen Radsportler auf der<br />

Welt, der keinen Fitnesstrainer hat. Ich habe eine reine Weste und habe nichts mit<br />

dem Doping zu tun. Man muss aufhören, immer schlecht zu denken. Wenn ein<br />

Radrennfahrer stark fährt, fragt man sich sofort, was er wohl genommen hat. Ich<br />

habe mit 11 Jahren angefangen, Radrennen zu bestreiten und mit 11 Jahren habe<br />

ich angefangen zu siegen. Man mag sich vielleicht noch erinnern, wie ich als<br />

Amateur dreimal am Giro d’Italia für Amateure teilgenommen habe und dreimal<br />

gehörte ich zu den Besten. So wie damals, siege ich jetzt auch. Um zu gewinnen,<br />

brauche ich nicht das Doping, sondern die Berge.<br />

SPRECHER<br />

Der Römer Sandro Donati ist Italiens bekanntester Dopingkämpfer. Keiner kennt die<br />

Dopinggepflogenheiten des italienischen Profisports so gut wie er. Der<br />

Sportmediziner arbeitete Jahrzehnte lang in der Antidopingkommission des<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

italienischen nationalen Olympischen Komitees. In einem schockierenden Buch aus<br />

dem Jahr 1994 mit dem Titel „Campioni senza valore“ - „Sieger ohne Wert“ prangert<br />

Donati die diffusen Dopingpraktiken im italienischen Profisport an, die zum Teil mit<br />

Wissen und Unterstützung der jeweiligen Sportverbände praktiziert worden seien.<br />

Donati verfügt über ein umfangreiches Insiderwissen - auch im Fall Marco Pantani.<br />

Er gibt eine andere, ernüchternde Lesart der Ereignisse von Madonna di Campiglio.<br />

O-Ton Sandro Donati<br />

ÜBERSETZER<br />

Nach meiner Kenntnis sollte der Bluttest gewollt zu einer bestimmten Zeit<br />

vorgenommen werden und zwar am frühen Morgen. Doch die zuständigen<br />

Kontrolleure verspäteten sich um zirka eine Stunde. Das war die Zeit, als die<br />

gedopten Radrennfahrer ihren Hämatokritwert mittels Blutverdünnungsmitteln auf ein<br />

normales Maß zurückversetzen wollten. Durch die Zugabe der Blutverdünnungsmittel<br />

sollte also die Menge an roten Blutkörperchen im Blut verringert werden. Mit der<br />

Verspätung der Kontrolleure wurde dieser beabsichtige Manipulationsprozess<br />

jedoch vereitelt. Denn der menschliche Körper tendiert dazu, nach einiger Zeit den<br />

überflüssigen Wasseranteil im Blut abzuscheiden. Die bestehenden Blutwerte<br />

pendelten sich so unwillkürlich auf die tatsächlichen Werte wieder ein. Bewährte<br />

Manipulationsmöglichkeiten liefen bei Pantani daher schief – auch weil die<br />

konkurrierenden Fahrer mit Argusaugen darüber wachten, dass Pantani<br />

ordnungsgemäß kontrolliert würde.<br />

Musik: Hendrik Meyer, CD Jazz 3000, Tr.4<br />

SPRECHER<br />

In Madonna di Campiglio stürzt für Marco Pantani eine Welt zusammen. Nach dem<br />

Ausschluss vom Giro d’Italia beginnen weitere Ermittlungen gegen ihn. Neben der<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Staatsanwaltschaft von Trient, in deren Zuständigkeit Madonna di Campiglio fällt,<br />

eröffnet auch die Staatsanwaltschaft Turin ein Ermittlungsverfahren – wegen<br />

Sportbetrugs. 1995 während des Radrennens Mailand-Turin war Pantani von einem<br />

Auto angefahren worden. Dabei brach er sich ein Bein und kam in ein Turiner<br />

Krankenhaus. Doch die Ärzte weigerten sich, ihn zu operieren, weil er einen<br />

ungeheuerlichen Hämatokritwert hatte: über 60%. Bei einer Operation hätte für<br />

Pantani akute Lebensgefahr bestanden. Der extrem hohe Hämatokritwert ist ein<br />

deutliches Indiz, dass er gedopt war. Das dazu bevorzugte Mittel zu dieser Zeit ist<br />

das blutbildende Hormon Erythropoetin, kurz EPO genannt. In den 90er Jahren gilt<br />

es als das Wundermittel, da man es nach der Einnahme nicht mehr nachweisen<br />

kann. Lediglich der erhöhte Hämatokritwert ist feststellbar.<br />

O-Ton Raffaele Guariniello<br />

ÜBERSETZER<br />

Auch wir ermittelten in Sachen Pantani, weil er am Rennen Mailand-Turin<br />

teilgenommen hatte, bei dem er von einem Autofahrer angefahren wurde. Im<br />

Krankenhaus wurde sein Blut analysiert.<br />

SPRECHER<br />

Nach Pantanis Suspendierung in Madonna di Campiglio 1999, also vier Jahre nach<br />

dem Rennen Mailand-Turin, hat der Turiner Staatsanwalt und Antidopingkämpfer<br />

Raffaele Guariniello plötzlich einen glänzenden Einfall.<br />

O-Ton Raffaele Guariniello<br />

ÜBERSETZER<br />

Mir kam so die Idee, die Ergebnisse dieser Blutwerte damals einzuholen, und ich<br />

fand heraus, dass die Blutwerte unglaublich hoch gewesen waren. Sie legten den<br />

Dopingverdacht nahe, und wir machten ihm den Prozess.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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SPRECHER<br />

DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Was anfangs nur ein vager Verdacht war, erhärtet sich immer mehr: Pantani dopt<br />

systematisch. Und das seit mindestens 5 Jahren.<br />

Insgesamt 7 Staatsanwaltschaften ermitteln inzwischen wegen Dopings und<br />

Sportbetrugs gegen ihn. Er fühlt sich einer regelrechten Hexenjagd ausgesetzt. Doch<br />

auch etwas anderes wird deutlich: Pantani ist nur Teil eines perfiden Systems. Schon<br />

in seiner Zeit als Amateur wurde Marco Pantani vom Sportmediziner der Universität<br />

Ferrara, Francesco Conconi, betreut. In Conconis Institut wurde Pantani<br />

systematisch mit EPO gedopt. Wie eine Vielzahl anderer Radprofis, Skilangläufer<br />

oder Leichtathleten auch, ließ er sich in der wettkampffreien Zeit Blut entnehmen. Mit<br />

EPO angereichert bekam Pantani dieses Blut während der Rennen per Infusion<br />

wieder zugeführt. Da es nun mehr Sauerstoff transportierte, steigerte sich auch<br />

Pantinis Ausdauer. Zu dieser Erkenntnis gelangt Sandro Donati aufgrund von<br />

Akteneinsicht. Denn auch in dem nun folgenden Verfahren gegen Francesco<br />

Conconi wird er als Gutachter bestellt.<br />

O-Ton Sandro Donati<br />

ÜBERSETZER<br />

Pantani ist ein klassischer Leistungssportler gewesen: Zwar ein Held, aber<br />

gleichzeitig ein Opfer des Systems. Er war noch Amateur und schon damals betreute<br />

ihn das sportmedizinische Institut in Ferrara obsessiv und konstant. Dann haben sie<br />

seine Blutwerte ins Wahnwitzige gesteigert, wie sie es auch mit anderen Radprofis<br />

machten, wie z.B. mit Chiappucci und anderen. Man kann also mit Fug und Recht<br />

behaupten, dass sie ihn benutzt haben. Pantani wurde benutzt! Es stimmt, dass er<br />

danach große Erfolge gefeiert hat. Und wie viele haben in seinem Windschatten<br />

davon profitiert:<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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SPRECHER<br />

DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Im Prozess kommt heraus, dass insgesamt 470 Sportler auf diese Weise gedopt<br />

wurden. Mit Pantanis Erfolgen wuchs auch der Einfluss von Conconi in der<br />

Radsportwelt. Er wurde Mitglied der medizinischen Kommission des internationalen<br />

Radsportverbandes und auch des IOC. Und später sogar Rektor der Universität<br />

Ferrara. Im Prozess, der 2004 endet, wird seine Schuld zwar nachgewiesen, er<br />

kommt aber ohne Strafe davon, weil die Vergehen nach italienischem Recht<br />

mittlerweile verjährt sind. Weder das IOC noch der internationale Radsportverband<br />

sehen darin einen Grund, Conconi aus seinen Ämtern zu jagen.<br />

Für den Sportmediziner Donati ist das der eigentliche Skandal.<br />

O-Ton Sandro Donati<br />

ÜBERSETZER<br />

Sie haben Geld mit ihm gemacht und auch Karriere! Als dann die Probleme anfingen,<br />

musste Pantani sie als einziger ausbaden. Diejenigen, die finanziellen Nutzen von<br />

ihm hatten und auch eine politische Karriere machten, ließen ihn dann im Stich.<br />

Pantani ist das klassische Beispiel eines Leistungssportlers, bei dem Ärzte, Betreuer<br />

und Trainer unersättlich schienen und ihn bis zum Äußersten drängten. Und das<br />

wurde dann zu einem schrecklichen Boomerang!<br />

SPRECHER<br />

Jemand, der damals seine schützende Hand über die illegalen Praktiken von<br />

Francesco Conconi hielt, ist der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees,<br />

Mario Pescante. Pescante ist zu dieser Zeit auch Mitglied des Internationalen<br />

Olympischen Komitees. Im Prozess gegen Professor Conconi von 2000 bis 2004<br />

sitzt also auch Mario Pescante auf der Anklagebank. Ihm wird vorgeworfen, das<br />

„Staatsdoping“ gedeckt zu haben.<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Pescante benutzte Marco Pantani, um sein Ansehen in Italien, aber auch auf der<br />

Bühne des Weltsports zu mehren. Wie Conconi ging er straffrei aus, weil die ihm<br />

nachgewiesenen Vergehen verjährt waren. Seiner Karriere als Sportfunktionär tat der<br />

Gerichtsprozess keinen Abbruch. Noch heute ist Pescante ordentliches Mitglied des<br />

Internationalen Olympischen Komitees.<br />

O-Ton Sandro Donati<br />

ÜBERSETZER<br />

Im Jahr 2000 schickte das nationale italienische olympische Komitee Pantani zu den<br />

olympischen Spielen nach Sidney, obwohl das Rennen aus einer Flachetappe<br />

bestand. Pantani war ein Bergspezialist, er hatte nicht den Hauch einer<br />

Siegeschance. Ich war damals Mitglied der Wissenschaftskommission des<br />

italienischen NOK und hatte bei Pantani besorgniserregende Blutwerte festgestellt.<br />

Nicht ein Parameter in seinem Blut stimmte. Deshalb sprachen wir für Pantani die<br />

Empfehlung aus, unbedingt eine Zeit lang zu pausieren. Niemand hörte auf uns. Es<br />

gab gewissermaßen ein kollektives Interesse an seiner Olympia-Teilnahme, und so<br />

wurde er nach Sidney geschickt. Das ist leider die traurige Wahrheit.<br />

Musik: Clint Mansell, CD Requiem for A Dream Soundtrack, Tr.18<br />

SPRECHER<br />

Die Zeit nach Madonna di Campiglio gehört für Marco Pantani zu der schlimmsten<br />

seines Lebens. Vom gefeierten Idol wird er unversehens zum verachteten<br />

Dopingsünder, der wegen Sportbetrugs am Pranger steht. Pantani wird der Prozess<br />

gemachtm doch er wird frei gesprochen, weil Doping in Italien erst ab dem Jahr 2000<br />

als Strafvergehen geahndet wird. Auch privat erfährt er einen herben Rückschlag:<br />

Seine Freundin Kristin verlässt ihn wegen eines anderen Mannes. Pantani flüchtet<br />

sich in die Kokainsucht.<br />

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Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

In der Öffentlichkeit wird darüber nichts bekannt. Erstmals spricht heute sein Vater<br />

Ferdinando Pantani über diese Zeit. Er empfängt uns im Wohnzimmer seiner<br />

Luxusvilla in Cesenatico, die sein Sohn nach dem Tour de France-Sieg bauen ließ.<br />

O-Ton Ferdinando Pantani<br />

ÜBERSETZER<br />

Ich habe zum ersten Mal Anfang 2000 mitbekommen, dass er ab und zu Drogen<br />

nahm. Als ich ihn dann in Gesellschaft zwielichtiger Freunde sah, war mir klar, dass<br />

er Drogen nehmen würde. Ich habe ihn dann zur Rede gestellt und gesagt: „Marco,<br />

mir gefällt nicht, was du tust!“ Worauf er antwortete: „Vater, mach dir keine Sorgen,<br />

ich kann jederzeit aufhören! Ich tue es nur, weil das Kokain mir die in mir<br />

aufgestaute Wut löst.“ Und ich erwiderte ihm: „Marco, das ist nicht die richtige Art, mit<br />

der Wut umzugehen!“ Worauf er sagte: „Ja, ich weiß, aber es hilft mir ein bisschen!<br />

Aber mache dir keine Sorgen, ich kann jederzeit damit aufhören!“<br />

SPRECHER<br />

Die typische Reaktion eines Drogenabhängigen, der glaubt, seine Sucht im Griff zu<br />

haben. Sandro Donati sieht sogar einen direkten Zusammenhang zwischen Pantanis<br />

Kokainsucht und der Einnahme von verbotenen Dopingsubstanzen.<br />

O-Ton Sandro Donati<br />

ÜBERSETZER<br />

Was passiert beispielsweise, wenn die Athleten sich mit dem männlichen Hormon<br />

Testosteron dopen? Testosteron führt nicht nur zu übermäßigem Muskelaufbau,<br />

sondern wirkt sich auch auf die Psyche und den Charakter der Athleten aus: Sie<br />

werden aggressiver, euphorisch und fühlen sich, als könnten sie die Welt aus den<br />

Hangeln heben. Wenn das Hormon einige Tage abgesetzt werden muss, um die<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

körperlichen Schäden irgendwie zu begrenzen, fällt der Athlet in ein Loch und wird<br />

depressiv. Dasselbe Phänomen lässt sich bei Anabolika beobachten. Und daher<br />

greifen viele zu Aufputschmitteln, weil sie sich zu niedergeschlagen fühlen. In vielen<br />

Fällen auch zu Kokain. Man darf zudem nicht vergessen, dass Kokain auch ein<br />

Dopingmittel ist. Man erträgt die Strapazen besser und ist sicherlich viel<br />

aufmerksamer.<br />

Musik: Clint Mansell, CD Requiem for A Dream Soundtrack, Tr.Fall - Dreams<br />

SPRECHER<br />

Mittlerweile ist Marco Pantani ein emotionales Wrack, auch aufgrund der immer<br />

größeren Kokaindosen. Von seiner Freundin verlassen, gehört er in dieser Zeit zu<br />

den besten Kunden der Prostituierten Riminis. Die Familie muss hilflos zusehen, wie<br />

ihr Sohn sich selbst zerstört.<br />

O-Ton Ferdinando Pantani<br />

ÜBERSETZER<br />

Seine Ex-Verlobte hat ihn mit seinen Enttäuschungen und seiner Wut, die er in sich<br />

hatte, im Stich gelassen. Sie studierte in Ravenna Malerei und hatte dort Affären mit<br />

anderen Männern, von denen Marco dann erfuhr. Er hatte sehr daran zu knabbern,<br />

weil er dieser Frau alles gegeben hatte. Er hatte ihr goldene Brücken gebaut, aber<br />

sie hat ihn am Ende im Stich gelassen.<br />

SPRECHER<br />

Unzählige Male wird Pantani in Kliniken eingewiesen, die er dann nach kurzer Zeit<br />

fluchtartig wieder verlässt. Erst 2003 wendet sich alles zum Guten - scheinbar. Der<br />

internationale Sportgerichtshof verkürzt Pantanis letzte Sperre, die nach dem Fund<br />

einer Insulinspritze in seinem Hotelzimmer 2002 ausgesprochen wurde, um 2<br />

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Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der<br />

engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das<br />

Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich<br />

zugänglich gemacht ) werden..<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Monate. Damit ist der Weg frei für einen Start beim Giro d’Italia. Pantani sieht den<br />

Giro als Vorbereitung für die Tour de France. Ein Comeback deutet sich an. Er ist gut<br />

in Form, erreicht aber wegen eines Sturzes nur den 14. Platz. Vorsichtig optimistisch<br />

blickt er in die Zukunft. Doch dann kommt die Nachricht, die ihm gewissermaßen den<br />

Todesstoß versetzt: der überraschende Ausschluss von der Tour de France 2003.<br />

Medieninsel<br />

Tour-Direktor Jean-Marie Leblanc ist um ein sauberes Image des größten<br />

Radsportevents der Welt bemüht. Pantani ist in Italien des Sportbetrugs und Dopings<br />

zwar überführt worden, hatte sich aber rechtlich gesehen 1998 noch nicht strafbar<br />

gemacht. In der Öffentlichkeit jedoch klebt an ihm der Ruf des Dopingsünders<br />

O-Ton Ferdinando Pantani<br />

ÜBERSETZER<br />

2003 schien Marco, sein Tief überwinden zu wollen. Er fuhr einen halbwegs<br />

erfolgreichen Giro d’italia und hatte sich mit uns in Griechenland vorbereitet. Dort<br />

gingen wir morgens gemeinsam zur Jagd, und am Nachmittag trainierte er. Er<br />

trainierte wie nie zuvor, auch weil er mit seiner Mannschaft an der Tour de France<br />

teilnehmen sollte. Es lag ihm viel daran. Aber dann kam der erneute Rückschlag. Er<br />

wurde wegen Dopings von der Tour ausgeladen, obwohl er einen guten Giro<br />

gefahren hatte. Wenn er beim Giro d’Italia nicht gestürzt wäre, hätte er es sicherlich<br />

aufs Podium geschafft.<br />

Musik: Hendrik Meyer, CD Jazz 3000, Tr.11<br />

SPRECHER<br />

Trotz des sportlichen Rückschlags keimt in Pantani dennoch für kurze Zeit wieder<br />

Hoffnung auf – diesmal in privater Hinsicht. Lange Zeit hatte er sich vergeblich um<br />

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zugänglich gemacht ) werden..<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

eine Annäherung zu seiner früheren dänischen Freundin Kristin bemüht. Jetzt kommt<br />

es plötzlich wieder zu einem Kontakt.<br />

O-Ton Ferdinando Pantani<br />

ÜBERSETZER:<br />

Plötzlich trat sie ab 2003 wieder in sein Leben. Sie war zur Präsentation des Giro<br />

d’Italia gekommen und war auch bei einer Etappe in Montecatini. Sie und Marco<br />

waren verblieben, sich nach dem Giro zu treffen. Marco war danach davon<br />

überzeugt, dass sie wieder zu ihm zurückkehren würde. Sie hatte ihn auch gebeten,<br />

ihr beim Kauf einer Wohnung behilflich zu sein. Er sollte eine Bürgschaft für sie<br />

unterschreiben. Als Marco seinen Giro d’Italia beendet hatte, war das Erste, was er<br />

machte, Kristin aufzusuchen. Er fuhr dorthin, wo sie arbeitete. Er hat sie dann<br />

gefragt, ob sie wieder zu ihm zurückkehren wolle. Am Anfang hat sie ausweichend<br />

geantwortet. Dann hat sie ihm eröffnet, dass sie einen anderen habe und dass er<br />

sich zum Teufel scheren sollte.<br />

SPRECHER<br />

Nach dem Ausschluss von der Tour de France 2003 ist Marco Pantani am Boden<br />

zerstört. Die Situation eskaliert. Auch von seiner Familie zieht er sich immer mehr<br />

zurück und lebt im ständigen Kokainrausch, für den er monatlich tausende von Euro<br />

ausgibt. Seine Eltern erwägen die Zwangseinweisung in eine geschlossene Anstalt.<br />

In ihrer Not wenden Sie sich an die renommierte „Comunità di San Patrignano“, eine<br />

Therapiegemeinschaft in Rimini, die schon seit Jahrzehnten mit Drogenabhängigen<br />

arbeitet.<br />

O-Ton Ferdinando Pantani<br />

ÜBERSETZER<br />

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zugänglich gemacht ) werden..<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Der Leiter des Therapiezentrums, Muccioli, ermahnte uns, diesen Fehler nicht zu<br />

machen. Er sagte, dass wir Marco weitgehend in Ruhe lassen sollten. Wir dürften ihn<br />

nicht zwingen, Sachen zu tun, die er nicht wollte. Wir sollten daher warten, bis er uns<br />

wieder aufsuchen würde und so tun, als ob er aus unserem Leben verschwunden<br />

wäre. Wir hatten ihm erzählt, dass wir uns fürchterlich mit ihm gestritten hätten, dass<br />

er geflüchtet sei und dass wir nicht mehr wüssten, wo Marco war. Muccioli empfahl<br />

uns daraufhin so zu tun, als ob wir in Urlaub fahren würden. Marco sollte das aber<br />

wissen, und so sind wir nach Griechenland gefahren.<br />

Musik: Hendrik Meyer, CD Jazz 3000, Tr.4<br />

SPRECHER<br />

In seinen letzten Lebenswochen verliert Pantani immer mehr an Halt. Nach heftigen<br />

Streitereien, in denen seine Mutter Tonina ihm immer wieder ungestüme<br />

Vorhaltungen wegen seiner Kokainsucht macht, flüchtet er Anfang Februar 2004 zu<br />

seiner Mangerin Manuela Ronchi nach Mailand. Aber auch Ronchi scheint mit ihm<br />

überfordert zu sein. Vor ihrem kleinen Kind konsumiert Pantani offen Kokain.<br />

Außerdem wirft er ihr vor, sich nicht richtig um seine Karriere zu kümmern. Manuela<br />

Ronchi weiß sich schließlich nicht anders zu helfen, als seine Eltern in Cesenatico<br />

anzurufen. Sie bittet sie, ihren Sohn wieder nach Hause zu holen.<br />

Ohne dass Marco etwas davon erfährt, kommen die Eltern nach Mailand. Als sie<br />

plötzlich vor ihm stehen, ist er außer sich vor Wut. Er verlässt Hals über Kopf das<br />

Haus - ohne sein Handy. Anschließend besorgt er sich in Mailand Geld, nimmt ein<br />

Taxi und fährt nach Rimini, wo er im Hotel „Le Rose“ absteigt.<br />

Der 14. Februar 2004 ist der letzte Tag in Marco Pantanis Leben. Zuvor hat er<br />

unentwegt die neapolitanischen Drogendealer Fabio Carlino und Fabio Miradossa<br />

angerufen. Am Ende hat er bei ihnen für 9.000 Euro Kokain gekauft.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Die Nacht verbringt Pantani mit der russischen Prostituierten Elena Korowina. Gegen<br />

Morgen verlässt sie ihn. Kurze Zeit später ruft er verstört die Rezeption an und<br />

verlangt, die Carabinieri zu rufen. Es seien Leute in seinem Zimmer, die ihn<br />

bedrohten.<br />

Doch die Rezeptionistin ruft die Carabinieri nicht. Stattdessen fährt sie mit dem<br />

Aufzug nach oben und klopft an seine Zimmertür. Marco Pantani macht nicht auf.<br />

Vom Nebenzimmer ruft sie ihn an und fragt, ob er einen Arzt brauche. Worauf er<br />

antwortet, dass alles in Ordnung sei.<br />

Kurz Zeit später ruft Pantani nochmals bei der Rezeption an. Diesmal klingt er noch<br />

aufgebrachter.<br />

Wieder fährt die Rezeptionistin nach oben. Und wieder öffnet Pantani die Tür nicht.<br />

Diesmal hört sie durch die Tür, wie er etwas Unverständliches murmelt. Dennoch ruft<br />

sie nicht die Carabinieri, wie von Pantani gewünscht. Danach vernimmt man aus dem<br />

Zimmer D5 des Hotels „Le Rose“ enormen Krach, als würde alles kurz und klein<br />

geschlagen werden.<br />

Schließlich alarmierte die Rezeptionistin am frühen Abend doch die Carabinieri. Für<br />

Marco Pantani kommt zu diesem Zeitpunkt jede Hilfe zu spät.<br />

O-Ton Ferdinando Pantani<br />

ÜBERSETZER<br />

Nach zwei Tagen rief uns Marcos Managerin, Manuela Ronchi, an und sagte<br />

unvermittelt: Marco ist tot! Ich verlor einen Moment lang meine Sinne. Mir blieb der<br />

Atem weg! „Was sagst du da“, erwiderte ich. – „Ja“, antwortete sie, „sie haben es<br />

gerade im Fernsehen durchgegeben!“. Das erste, was wir taten, war dann sofort<br />

zurückzufahren.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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SPRECHER<br />

DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Chinesische Essensreste liegen auf dem Tisch herum, obwohl Pantani keine<br />

chinesische Küche mochte. In seinem Magen finden sich nach der Obduktion auch<br />

keine Reste dieses Essens. Stattdessen stellen die Ärzte in seinem Körper das<br />

Sechsfache der Kokainmenge fest, die für einen Suizid nötig gewesen wäre. Warum<br />

nahm er soviel Kokain ein, um seinem Leben ein Ende zu setzen, wenn ein Bruchteil<br />

dessen genügt hätte? Fragen, die vor allem die Familie als Indiz für die Ermordung<br />

Pantanis ansehen.<br />

Medieninsel (Todesmeldungen, Trauerfeier in Cesenatico)<br />

Musik:Patrick Cassidy, CD Hannibal Soundtrack, Tr. Vide cor Meum (aus Dantes La<br />

Vita Nuova)<br />

SPRECHER<br />

Auf Marco Pantanis Trauerfeier an einem trüben Februarmorgen nehmen in<br />

Cesenatico Tausende zu Tränen gerührter Tifosi Abschied von ihrem unvergessenen<br />

Idol. Wut und Trauer vermischen sich insbesondere mit dem Hass auf die<br />

Funktionäre des Radsportverbandes, die Pantani fallen gelassen hatten.<br />

Die Ermittlungen nach Pantanis Tod werden sehr schnell abgeschlossen. Recht<br />

ungewöhnlich für italienische Verhältnisse. Kaum sind drei Monate vergangen,<br />

verhaftet die Staatsanwaltschaft Rimini die Drogendealer Fabio Carlino und Fabio<br />

Miradossa sowie die Prostituierte Elena Korovina. Sie werden angeklagt, Pantani das<br />

Kokain verkauft zu haben, das zu seinem Tod führte. Für die Ermittler steht schon<br />

früh fest: Pantani war zu seinem Todeszeitpunkt allein i, Hotelzimmer. Die Indizien,<br />

die dagegen sprechen, werden als unwichtig abgetan.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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18


O-Ton Ferdinando Pantani<br />

ÜBERSETZER<br />

DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Es wurden keine Fingerabdrücke genommen und keine Überwachungskameras<br />

ausgewertet, die vielleicht aufgezeichnet haben, ob jemand unbemerkt ins Zimmer<br />

gekommen ist. Es gab nämlich einen Hintereingang, den man unbemerkt von der<br />

Rezeption hätte nehmen können. Jemand, der davon wusste, hätte unbemerkt ins<br />

Zimmer gelangen können. Dann gibt es auch andere Ungereimtheiten wie etwa das<br />

chinesische Essen, das in Marcos Zimmer gefunden wurde.<br />

SPRECHER<br />

Drei Monate später wird das Hotel „Le Rose“ abgerissen und neu errichtet. Der „Fall<br />

Pantani“ scheint gelöst. Die Akte „Pantani“ wird im Rekordtempo geschlossen. Doch<br />

schon bei Prozessbeginn gegen die Drogendealer kommen eine Reihe von<br />

unglaublichen Ermittlungspannen der Justiz von Rimini ans Tageslicht. Plötzlich ist<br />

die Rede von Schlamperei oder gar systematischer Spurenverwischung.<br />

Musik: Clint Mansell, CD Requiem for A Dream Soundtrack, Tr. Winter – Full Tense<br />

SPRECHER<br />

Im Justizgebäude von Rimini. Das Büro von Leonardo Berardi im 3. Stock. Der junge<br />

Staatsanwalt vertrat die Anklage im Prozess gegen die Drogendealer und die<br />

Prostituierte. Die Indizien, die gegen den Selbstmord sprechen, lässt er nicht gelten.<br />

O-Ton Leonardo Berardi<br />

ÜBERSETZER<br />

Dass der Leichnam Pantanis einige Kratzer aufwies, ist durchaus nicht<br />

ungewöhnlich. Es kommt darauf an, wie ein Mensch fällt. Die Gerichtsmediziner<br />

haben sie dem Sturz zugeschrieben und nicht einem Streit mit anderen Personen.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Wenn man sich den Tatort im Hotel „Le Rose“ anschaut und den Tatort im Hotel<br />

„Touring“ von Miramare, dann gibt es keine allzu großen Unterschiede. Auch dort<br />

hatte Marco nach der Einnahme von Kokain alles verwüstet. Im Hotel Touring hatte<br />

er sogar zusammenhangslose Sätze auf die Betttücher geschrieben. Das passiert im<br />

Delirium durch Kokain. Ich kann den Schmerz der Mutter nicht kommentieren, ich bin<br />

Staatsanwalt und halte mich an die Fakten. Die Mutmaßungen überlasse ich<br />

anderen.<br />

Medieninsel<br />

SPRECHER<br />

Fast vier Jahre nach Pantanis Tod kommt es am 14. Januar 2008 zum Urteil gegen<br />

Fabio Carlino und die Prostituierte Elena Korowina. Der zweite Drogendealer Fabio<br />

Miradossa hingegen hat ein Geständnis abgelegt und erhält Strafminderung. Die<br />

Indizien, die für ein mögliches Mordkomplott sprechen, erachtete das Gericht als<br />

nicht stichhaltig.<br />

O-Ton Richter Carlo Masini<br />

SPRECHER<br />

Im Gerichtssaal „Giovanni Falcone e Paolo Borsellino“ im Justizpalast von Rimini<br />

verkündet Richter Carlo Masini ein umstrittenes Urteil im Prozess gegen den Dealer<br />

Fabio Carlino, der Marco Pantani das Kokain verkaufte, und Elena Korowina. Carlino<br />

wird zu einer viereinhalbjährigen Gefängnisstrafe, zu einer Geldstrafe von 19.000<br />

Euro und zur Zahlung von 300.000 Euro Schadenersatz an die Eltern Marco<br />

Pantanis verurteilt. Die russische Prostituierte Elena Kurikova, mit der Pantani die<br />

letzte Nacht vor seinem Tod verbrachte, wird jedoch frei gesprochen.<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Für Tonina Pantaniist der Ausgang des Prozesses eine Farce. An jedem Prozesstag<br />

war sie zugegen. Sie ist davon überzeugt, dass Staatsanwälte und Gericht nicht<br />

ernsthaft nach der Wahrheit gesucht hätten; vielmehr hätten sie versucht, sie zu<br />

verschleiern.<br />

O-Ton Tonina Pantani<br />

ÜBERSETZERIN<br />

Andere Personen, die über den Tod meines Sohnes Bescheid wissen, müssen<br />

endlich vernommen werden. Dieses Urteil hier lässt mich kalt. Man hätte dem<br />

Drogendealer auch 20 Jahre Haft geben können: Das wäre mir egal gewesen! Das<br />

Geld, das mir als Schadensersatz zugesprochen wurde, erde ich spenden, und zwar<br />

für eine Radsportschule. Für einen wirklichen Radsport!<br />

SPRECHER<br />

Tonina Pantani glaubt, dass ihr Sohn ermordet wurde und dass die Auftraggeber des<br />

Mordes noch immer frei herum laufen. Das Medieninteresse am Fall Pantani und<br />

damit auch der öffentliche Druck auf das Gericht von Rimini war stets groß. Doch<br />

davon ließen sich die n Richter offenbar nicht beeindrucken, auch wenn viele strittige<br />

Punkte ungeklärt blieben. Für Staatsanwalt Berardi ist lediglich klar, dass Pantani in<br />

seinen letzten Lebenstagen kein Kokain gekauft hat.<br />

O-Ton Leonardo Berardi<br />

ÜBERSETZER<br />

Wir wissen, dass es heute zumindest eine Prozesswahrheit gibt: und zwar, dass<br />

Marco an einer Überdosis Kokain gestorben ist und dass in der Zeit vom 9. bis zum<br />

14. Februar 2004 niemand mehr ihm Kokain verkauft hat. Zumindest sind keine<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Fakten vorgelegt worden, die das Gegenteil bewiesen. Das ist prozessrechtlich heute<br />

die einzige Wahrheit.<br />

SPRECHER<br />

Für Marco Pantanis Vater Ferdinando ist das eine bittere Wahrheit. Konfrontiert mit<br />

dem Bild seines Sohnes in der Öffentlichkeit, sucht er nach Gründen für das<br />

Scheitern.<br />

O-Ton Ferdinando Pantani<br />

ÜBERSETZER<br />

In seinen letzten Lebensmonaten war sein Leben aus den Fugen geraten, weil die<br />

schlechten Nachrichten, die Enttäuschungen, die in Madonna di Campiglio ihren<br />

Anfang genommen hatten, schier nicht enden wollten. Das hat ihn mit der Zeit<br />

verändert, und er zog sich immer mehr zurück. Selbst zu uns, den Eltern, ging er auf<br />

Abstand, weil er nicht zeigen wollte, in welch miserablem Zustand er war. Das fraß<br />

ihn innerlich auf. Die schlechte Gesellschaft, mit der er sich umgab, sowie die<br />

Zeitungen, das Fernsehen, das Nationale Olympische Komitee und der italienische<br />

Radsportverband haben ihn stets als Dieb hingestellt. Wie ein Schwerverbrecher<br />

wurde er behandelt. Dabei hat er nur hart geschuftet und sowohl physisch als auch<br />

geistig alles getan – schon als kleiner Junge. Kübelweise wurde Mist auf ihn<br />

geschüttet. Er hat versucht zu reagieren, aber es war vergebens. Der Druck von<br />

oben war zu stark. Man wollte ihn zerstören, weil er unbequem geworden war.<br />

SPRECHER<br />

Auch er zerbricht sich seit Jahren den Kopf über die Indizien, die gegen einen<br />

Selbstmord sprechen. Auch er will, dass die Wahrheit über seinen Sohn endlich ans<br />

Tageslicht kommt. Das Puzzle der Indizien ergibt für ihn nur einen Sinn: Sein Sohn<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Marco war Opfer eines geplanten Mordes. Einen möglichen Auftraggeber hat er auch<br />

parat.<br />

O-Ton Ferdinando Pantani<br />

ÜBERSETZER<br />

Warum sie Marcos Würde zerstören wollten? Weil sie den Mann zerstören wollten,<br />

der den Radsport so beliebt gemacht hat. Den Grund müssen Sie doch auch wissen.<br />

1997 und 1998 stand das italienische olympische Komitee am finanziellen Abgrund.<br />

Um Fußball zu sehen musste man damals 1,2 Millionen Lire für den Pay-TV-Sender<br />

Tele+ bezahlen. Marcos Erfolge mit dem Radsport, die die RAI gratis übertrug,<br />

brachten hingegen die Welt zum Stillstand. Wie viele Menschen verfolgten den Giro<br />

d’Italia und die Tour de France! 85% der Menschen am Bildschirm! Fußball wollte<br />

niemand mehr sehen! Weder die Nationalmannschaft noch die Formel 1! Mit seinen<br />

Erfolgen vermieste Marco diesen das Geschäft.<br />

Musik:Hendrik Meyer, CD Jazz 3000, Tr.4<br />

SPRECHER<br />

Marco Pantani leugnete seit dem Dopingtest in Madonna di Campiglio nimmermüde<br />

das, wofür es mittlerweile erdrückende Beweise gab: Dass er jahrelang mit EPO<br />

gedopt hatte. Die Sportpresse wusste davon, aber sie schwieg oder vertuschte, statt<br />

zu informieren. Für den Radsport, Sponsoren und Presse war es einträglicher, vom<br />

makellosen „Mythos Pantani“ zu schreiben.<br />

Candido Cannavò, der frühere Chefredakteur der größten italienischen Sportzeitung<br />

„La Gazzetta dello Sport“ ist Italiens angesehenster Sportkolumnist. Cannavò sitzt in<br />

seinem Büro in der Via Solferino in Mailand und übt Selbstkritik, wie sie in der<br />

italienischen Sportpresse selten zu hören ist.<br />

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O-Ton Candido Cannavò<br />

ÜBERSETZER<br />

DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Wir haben damals in Madonna di Campiglio gesagt: Der Giro geht weiter und ohne<br />

Erbarmen für irgendjemand. Dann starb Marco Pantani, und wir müssen mit diesem<br />

quälenden Schmerz leben. Aber wir sind nie davon abgerückt, dass die Wahrheit<br />

absoluten Vorrang hat. Wer Fehler begangen hat, muss dafür bezahlen! Aber das<br />

reicht nicht, nein, nein!<br />

SPRECHER<br />

Pantanis Familie wähnt ihren Sohn inzwischen gar als Opfer der Wettmafia. Der im<br />

Gefängnis einsitzende Bandit und König der Ausbrecher Renato Vallanzasca<br />

bestätigt in einem Brief an die Mutter: Als Pantani beim Giro d’Italia 1999 klar in<br />

Führung lag, habe er einen sicheren Wetttipp von erhalten.<br />

ÜBERSETZER Vallanzasca (Zitat aus einem Buch)<br />

„Ein Mithäftling empfahl mir, auf ihn eine Wette abzuschließen: Dass Marco Pantani<br />

den Giro d´Italia nicht gewinnen würde, obwohl er zwei Etappen vor Schluss<br />

souverän führte. Der Mithäftling sagte mir wörtlich: „Er wird nie und nimmer Mailand<br />

erreichen, und wenn die Wettmafia ihn erschießen muss!“<br />

SPRECHER<br />

Der Dopingexperte Sandro Donati zweifelt jedoch an dieser Wettmafia-<br />

Verschwörungstheorie; auch wenn er sie nicht ganz ausschließen möchte.<br />

O-Ton Sandro Donati<br />

ÜBERSETZER<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

Ich weiß es nicht. Ausschließen lässt sich es nicht, weil er sich mit dubiosen<br />

Gestalten umgab. Aber ich denke, dass die Lage einfacher ist. Pantani nahm seit<br />

Jahren Kokain, und es war kein Zufall, dass die Carabinieri im Rahmen einer<br />

Durchsuchung bei seinen Ärzten viele Sticks fanden, um den Wert des Kokains im<br />

Blut zu ermitteln. Jetzt ist Pantani tot, die Eltern trauern um ihn und sind davon<br />

überzeugt, dass die Feinde ihres Sohnes solche wie ich sind, die das Doping<br />

bekämpfen und die immer wieder beteuern, dass der Athlet in erster Linie ein Opfer<br />

ist. Die Feinde sind hingegen andere: diejenigen, die seinen Tod überlebt haben, die<br />

sich an ihm bereichert haben. Ihn nach Sidney zu schicken war sicherlich von<br />

finanziellen Beweggründen geleitet. Wer es entschieden hat, hat es aus Geldgier<br />

getan.<br />

SPRECHER<br />

Doch die Verantwortlichen für das systematische Doping im Leistungssport machen<br />

weiter. Was bleibt, ist das Bild von Marco Pantani als einem der bekanntesten<br />

Dopingopfer.<br />

Kaum ist das Urteil in erster Instanz gesprochen, hat schon die<br />

Nachbarstaatsanwaltschaft von Rimini in Forlì den ersten Schritt zur<br />

Wiederaufnahme des Verfahrens gemacht: Sie prüft, ob bei den Ermittlungspannen<br />

Schlamperei oder Vorsatz im Spiel waren. Ein kleiner Hoffnungsschimmer für<br />

Pantanis Familie, die die Todesumstände von Marco endlich geklärt haben will. Doch<br />

Staatsanwalt Leonardo Berardi warnt davor, die Erwartungen allzu hoch zu stecken.<br />

O-Ton Leonardo Berardi<br />

ÜBERSETZER<br />

Man muss abwarten, ob und wie der Fall Pantani wieder aufgerollt wird. Zum<br />

gegenwärtigen Zeitpunkt wurde nur ein neues Ermittlungsverfahren eingeleitet. Wer<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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DOK 5 – Das Feature: 05./06.08.2012<br />

Tod einer Radsportlegende. Der Fall<br />

Marco Pantani.<br />

weiß, zu welchem Schluss es gelangt, ob es zu einem Schluss gelangt? Wir werden<br />

sehen.<br />

Musik: Clint Mansell / Kronos Quartet, CD The Fountain Soundtrack, Tr. Death is a<br />

Disease, Nonesuch<br />

Absage<br />

Tod einer Radsportlegende.<br />

Der Fall Marco Pantani.<br />

Ein Feature von Vincenzo Delle Donne<br />

Es sprachen:<br />

Norman Matt<br />

Juan Carlos Lopez<br />

Jochen Kolenda<br />

Maja Bothe<br />

und<br />

Susanne Dobrusskin<br />

Technische Realisation: Peter Hamacher<br />

Regieassistenz: Tim Müller<br />

Regie: Robert Steudtner<br />

Redaktion: Leslie Rosin<br />

Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks 2009.<br />

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