Fachtagung 25 Jahre Wildwasser
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<strong>Wildwasser</strong> e.V.<br />
Wir haben es kontinuierlich mit Verschiebungen und Verdrängungen im fachlichen und öffentlichen<br />
Diskurs zu tun. Ich halte das für ein grundsätzliches Problem. Als sexualisierte Gewalt gegen<br />
Kinder als Thema auf die politische Agenda kam, wurden auch andere, ebenfalls wichtige Themen<br />
in den Hintergrund gedrängt. Aus meiner Perspektive ist es nicht so, dass zurzeit nur die<br />
sexualisierte Gewalt gegen Kinder als Thema an den Rand zu geraten scheint, sondern dass<br />
spezialisierte Arbeit gegen unterschiedliche Erscheinungsformen der Gewalt, die neben ihrer<br />
Verankerung in den Strukturen des Unterstützungssystems auch persönliches Engagement<br />
verlangt, grundsätzlich in ihrer Verstetigung gefährdet ist. Meines Erachtens geht es dabei weniger<br />
darum, dass einem schwierigen Thema ausgewichen werden soll, sondern mehr darum, dass es<br />
zu wenig integrierte Konzepte und Arbeitsroutinen gibt, die die Verflechtungen von<br />
Gewaltphänomenen wahrnehmen. Wenn die Verantwortlichen damit konfrontiert werden, mit<br />
geringer werdenden Ressourcen eine Vielzahl von jeweils spezifischen Gewaltphänomenen<br />
bekämpfen zu sollen, kann sich schnell Mutlosigkeit breit machen.<br />
Es soll mir heute einerseits um die Erwartungen von Kindern und Jugendlichen an die Gesellschaft<br />
und ihre Institutionen gehen und andererseits um Möglichkeiten der Gesellschaft, diesen<br />
Erwartungen zu entsprechen. 2<br />
Es gilt zu unterscheiden zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Institutionen oder auch<br />
Kräften, die in der Regel einem spezifischen Auftrag und einer eigenen Logik folgen. Gemeinhin<br />
wird davon ausgegangen, dass der verbindende Begriff des Kindeswohls und das verbindende<br />
Ziel, Gewalt zu reduzieren, auch die Praxis der Institutionen eng miteinander verknüpft. Häufig ist<br />
das Gegenteil der Fall. Die Erwartung, dass abgestimmt und auf gemeinsame Ziele hin gearbeitet<br />
wird, ist jedoch berechtigt. Das vergangene Jahrzehnt hat am Beispiel der Interventionsprojekte<br />
gegen häusliche Gewalt deutlich gezeigt, welche Fortschritte in der Bekämpfung von Gewalt<br />
gemacht werden können, wenn die Kooperation und das Zusammenwirken der Interventionen und<br />
Hilfen in den Mittelpunkt gestellt werden. Es wurden innerhalb kurzer Zeit Erfolge auf alle Ebenen<br />
erreicht. Diese spektakuläre Entwicklung ist jedoch nicht einzigartig. Zur Problematik der<br />
sexualisierten Gewalt in Kindheit und Jugend wurden ganz ähnliche Erfolge erzielt, nur nicht in so<br />
kurzer Zeit, sondern über einen längeren Zeitraum, der durch Höhen und Tiefen und durch herbe<br />
Rückschläge gekennzeichnet war.<br />
In der internationalen Frauenhausbewegung gibt es die Maxime: „First they ignore us, then they<br />
laugh at us, then they fight us.“ Gemeint ist die Reaktion einer Gesellschaft, die durch strukturelle<br />
Gewalt gekennzeichnet ist, auf konkrete Emanzipationsbestrebungen von Frauen. Vertreterinnen<br />
von Frauenhäusern aus z.B. Ruanda, Vietnam und Mexiko bezogen sich kürzlich beim ersten<br />
Weltkongress der Frauenhäuser auf diese Erfahrung. Sie werden nicht ernst genommen oder aber<br />
bekämpft. Für deutsche Verhältnisse liegt diese Erfahrung bereits länger zurück. Arbeit gegen<br />
Gewalt im privaten Raum wird als gesellschaftliches Problem ernst genommen. Die Erfolge, die in<br />
den letzten <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n erzielt werden konnten sind erheblich:<br />
• Fest verankerte, eher dauerhafte Ergebnisse auf normativer Ebene wie Erlasse und<br />
Gesetze. Hier sind vor allem das Gewaltschutzgesetz und die Polizeigesetze zu nennen,<br />
die Opferschutzbestimmungen, das Gesetz zur Gewaltfreiheit in der Erziehung, das<br />
Kinderrechteverbesserungsgesetz, der §8a. Sie sind nicht unveränderbar, aber es bedarf<br />
einer parlamentarischen Mehrheit, um ein Gesetz rückgängig zu machen.<br />
• Ergebnisse mittlerer Festigkeit auf struktureller Ebene. Gemeint sind z.B.<br />
Spezialzuständigkeiten in Institutionen wie bei Jugendämtern oder der Kriminalpolizei,<br />
spezifische Beratungsangebote, die Verankerung der Thematik sexualisierte Gewalt in<br />
Aus- und Fortbildung oder die Institutionalisierung von Kooperationsbeziehungen zwischen<br />
2 Ich möchte anmerken, dass ich unterscheide zwischen in Kinder und Jugendlichen bzw. jungen<br />
Erwachsenen, denn die Erwartungen von Kindern im Vorschulalter oder im frühen Schulalter und die von 16<br />
oder 17 oder über 18-Jährigen können sich unterscheiden. Auch ihre Handlungs- und<br />
Entscheidungsspielräume und ihre Kenntnisse von der Welt, in der sie leben, unterscheiden sich.<br />
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