Fachtagung 25 Jahre Wildwasser
Fachtagung 25 Jahre Wildwasser
Fachtagung 25 Jahre Wildwasser
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
29<br />
<strong>Wildwasser</strong> e.V.<br />
Die Quotierung bringt also eingefahrene Hierarchiemuster ins Wanken und das muss erst<br />
verarbeitet werden. Für die Mehrheitsangehörigen bedeutet das, die Souveränität zu haben, die<br />
Grenzen der eigenen Kompetenz zu sehen, zu akzeptieren, dass man nicht nur als Individuum<br />
wahrgenommen wird, sondern auch als Mitglied einer ethnischen Gruppe, gleichgültig welche<br />
Einstellungen und Qualifikationen man individuell haben mag. Für Minderheitenangehörige ist<br />
diese Zuordnung zu einer ethnischen Gruppe täglich Brot, für Mehrheitsangehörige ist es<br />
gewöhnungsbedürftig. So empfinden es z. Bsp. viele als Kränkung wenn sie als Deutsche<br />
identifiziert und darauf festgelegt werden, geben sich doch gerade kritische Menschen in<br />
Deutschland oft sehr viel Mühe sich von ihrem Deutsch-sein zu distanzieren.<br />
Die ethnische Quotierung ist also eine Herausforderung für beide Seiten. Beide Seiten müssen<br />
sich mit der Frage auseinandersetzen, was es bedeutet in einem Team mit Kolleginnen<br />
unterschiedlicher Herkunft zu arbeiten. D.h. also etwa zu fragen, welche unterschiedlichen<br />
Qualifikationen werden von den verschiedenen Mitarbeiterinnen eingebracht, wie werden neue<br />
Zuständigkeiten ausgehandelt und wie wird mit offenen und subtilen Hierarchien umgegangen.<br />
Diese Diskussionen sind in einigen der Teams von <strong>Wildwasser</strong> sehr ausführlich und intensiv<br />
geführt worden und haben dazu geführt, dass die dabei Beteiligten heute sagen, dass diese<br />
Klärungsprozesse sie persönlich und beruflich sehr viel weiter gebracht haben.<br />
Wie aber könnte man den Zuwachs an professioneller Kompetenz beschreiben, der durch die<br />
Auseinandersetzung mit Interkulturalität gefördert wird?<br />
2b. Interkulturelle Kompetenz<br />
Mann könnte auch fragen: Was ist eigentlich das Spezifische, das Mitarbeiterinnen mit<br />
Migrationshintergrund einbringen, was Mehrheitsangehörige nicht haben oder können?<br />
Alle Mitarbeiterinnen mit und ohne Migrationshintergrund, mit denen ich gesprochen habe, haben<br />
betont, dass sie alle im Prinzip auf dieselbe Weise arbeiten und dieselben Kompetenzen und<br />
Qualifikationen einbringen. Aber diejenigen mit Migrationshintergrund erinnern sich dann doch an<br />
Episoden in der Beratung bei denen spezifische Erfahrungen für sie relevant wurden, so etwa<br />
wenn eine Frau davon erzählt, wie es war als sie die einzige in der Schule war, die nicht deutsch<br />
konnte. Das konnte die Mitarbeiterin sehr gut nachvollziehen, weil es ihr genauso gegangen war.<br />
Oder aber was es bedeutet, wenn die Familie im Rahmen von Flucht und Migration zerrissen ist,<br />
wenn die einen Geschwister dort, die anderen hier leben, wenn man mal bei der Oma aufwächst<br />
und dann zu seinen Eltern zieht, die man eigentlich nicht kennt. Oder aber wie es ist, wenn man<br />
traditionell oder religiös erzogen wird und dennoch sich sehr eigenständig entwickelt hat und sich<br />
frei fühlt. Und schließlich auch Erfahrungen der Ablehnung durch die Mehrheitsgesellschaft durch<br />
deutsche Institutionen aber auch durch die immer gleichen Sprüche, die die meisten Menschen mit<br />
Migrationshintergrund kennen.<br />
Es sind also einmal die Erfahrungen, sich unter den Deutschen einsam zu fühlen, die geteilt<br />
werden oder auch die Erfahrung von ihnen abgelehnt zu werden. Ebenso geht es um Erfahrungen<br />
die mit Flucht und Migration verbunden sind oder auch mit den spezifischen Lebensumständen<br />
von EinwanderInnen in der Mehrheitsgesellschaft. Solche gemeinsamen Erfahrungen schaffen<br />
Vertrauen und fördern Offenheit und Verständnis. Sie machen jedoch nicht das aus, was<br />
interkulturelle Kompetenz genannt wird, sonst wäre sie all denen die diese Erfahrungen nicht<br />
haben verschlossen, und umgekehrt käme den Fachleuten mit Migrationshintergrund diese<br />
automatisch zu. Und beides ist nicht der Fall.<br />
In den Lehrbüchern gibt es eine lange Liste von Fähigkeiten, die interkulturelle Kompetenz<br />
ausmachen wie Toleranz, Neugier, Offenheit, Empathie, kritische Selbstreflexion etc.. Das ist alles<br />
richtig und wichtig. Doch wer würde nicht von sich behaupten, dass er/sie über dies alles verfüge<br />
oder das zumindest anstrebt? Zudem sind dies alles Qualifikationen, die Professionalität im<br />
psychosozialen Bereich grundsätzlich umfassen sollte. Was also kann das Spezifische einer<br />
interkulturellen Kompetenz sein?