Fachtagung 25 Jahre Wildwasser
Fachtagung 25 Jahre Wildwasser
Fachtagung 25 Jahre Wildwasser
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Wildwasser</strong> e.V.<br />
haben, weil es dort um so genannte Stabilisierung ging und sie nicht an die sexuelle<br />
Gewalterfahrung und an ihre Bearbeitung heran gehen durften.<br />
Mit <strong>Wildwasser</strong> haben wir einen Raum dafür geschaffen, über sexuellen Missbrauch zu reden, ihn<br />
auszudrücken, mit diesem Thema sichtbar zu werden, dieses Thema in die Öffentlichkeit zu<br />
bringen.<br />
Das Wissen um gesellschaftliche Machtstrukturen, die sexuellen Missbrauch möglich machen,<br />
führte zu einem bestimmten Ansatz in der Arbeit, mit dem wir den Frauen, die zu uns kommen,<br />
begegnen. Wir arbeiten mit dem Selbsthilfeansatz oder betroffenenkontrollierten Ansatz, d.h. jede<br />
Mitarbeiterin in der Frauenselbsthilfe hat selbst sexuelle Gewalt in ihrer Kindheit erfahren und<br />
diese verarbeitet oder einen Umgang damit gefunden. In dem Wissen um die Bedeutung von<br />
Hierarchie- und Machtstrukturen bieten wir mit dem Sichtbarsein des eigenen Betroffenseins den<br />
Frauen einen Raum einer hierarchiearmen Begegnung. Wir begegnen den Frauen auf gleicher<br />
Augenhöhe und brechen damit bewusst Machtstrukturen auf. Es ist möglich und erwünscht, dass<br />
die Frauen, die zu uns kommen, Einfluss nehmen und mitbestimmen, wie die Angebote, die<br />
Beratung, die Bearbeitung des sexuellen Missbrauchs bei <strong>Wildwasser</strong> aussehen.<br />
In den Selbsthilfegruppen, deren Gründung wir organisieren und die ein wesentlicher Teil unserer<br />
Arbeit sind, kommt die Ebene der Gleichberechtigung und die Mitbestimmung noch mehr zum<br />
tragen. Jede Frau ist gleichberechtigt an der Gestaltung des Raumes der Bearbeitung des<br />
sexuellen Missbrauchs und dem, was damit zusammen hängt, beteiligt. Jede Frau hat die<br />
Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und Handlungsfähigkeit zurück zu gewinnen. Sie kann<br />
zu ihrem eigenen Sprechen über die Gewalterfahrung finden, und sie kann selber bestimmen, was<br />
mit ihr los ist.<br />
Ein wichtiger kollektiver Aspekt der Selbsthilfegruppen ist, dass die Frauen herauskommen aus der<br />
Isolierung. Sie sind mit dem Thema nicht mehr allein. Sie erfahren Solidarität und damit Stärkung.<br />
Sie erfahren durch den gegenseitigen Austausch einen enormen korrektiven Einfluß, z.B. in Bezug<br />
auf eigene falsche Bilder und irrige Glaubenssätze:<br />
- Das ist mir nur passiert, weil ich so schlecht und so hässlich bin.<br />
- Es liegt gar nicht an mir, das geht anderen genauso, bestimmte Probleme sind eine<br />
Folge des Missbrauchs.<br />
Und damit wegzukommen von dem Glauben, mit mir stimmt etwas nicht, ich bin krank oder nicht<br />
normal. Die Bilder oder Klischees über sexuellen Missbrauch und Betroffene von sexuellem<br />
Missbrauch, als Opfer, stigmatisiert, schwach, gezeichnet, die in der Gesellschaft existieren und<br />
die betroffene Frauen auch übernehmen, und die das Trauma fortsetzen, können in einer<br />
Selbsthilfegruppe korrigiert werden.<br />
Und auch wir als Mitarbeiterinnen, indem wir mit unserem Betroffensein sichtbar sind, erfüllen eine<br />
Vorbildfunktion und zeigen, dass es möglich ist mit einer Missbrauchserfahrung ein<br />
selbstbestimmtes Leben zu führen.<br />
Die Frauen, die in eine Selbsthilfegruppe gehen, schaffen damit auch ein Stück Öffentlichkeit und<br />
werden sichtbar mit dem Thema.<br />
52