Fachtagung 25 Jahre Wildwasser
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Selbsthilfe<br />
51<br />
<strong>Wildwasser</strong> e.V.<br />
Die Verknüpfung kollektiver und individueller Aspekte der Traumabearbeitung im<br />
Rahmen der Selbsthilfearbeit bei <strong>Wildwasser</strong><br />
Ines Göbel<br />
Ich möchte in meinem Input vorstellen, wie wir arbeiten und welche individuellen und kollektiven<br />
Aspekte in der Traumabearbeitung dabei eine Rolle spielen. Es geht dabei auch um eine Kritik des<br />
Traumabegriffs als einen Krankheitsbegriff, hinter dem der gesellschaftliche Kontext verschwindet.<br />
Der Traumabegriff hat sich in den letzten 10 <strong>Jahre</strong>n immer mehr verbreitet und ist in aller Munde.<br />
Frauen kommen zu uns und sagen, sie suchen eine Traumatherapie oder sagen, sie haben eine<br />
posttraumatische Belastungsstörung. Der Traumabegriff ist sinnvoll, wenn gesehen wird, dass<br />
hinter den Symptomen eine Geschichte, oftmals Gewalterfahrung, steckt. Problematisch wird es,<br />
wenn der Begriff Trauma zu einer reinen Symptombeschreibung und -zuschreibung wird, hinter<br />
dem die Gewalt und das sozial verursachte Leid verschwindet.<br />
Wenn im Allgemeinen in der Gesellschaft und im Hilfesystem mit Ärzten, mit der Psychiatrie, als<br />
Teil der Gesellschaft, mit Zuschreibungen bzw. Diagnosen, wie Posttraumatische<br />
Belastungsstörung, Borderline, Multiple Persönlichkeit, Depression, gearbeitet wird, werden die<br />
Betreffenden erneut zum Opfer gemacht, in dem sie stigmatisiert werden, in dem etwas über sie<br />
bestimmt wird, in dem ein anderer die Macht hat, eine Diagnose über sie zu erstellen.<br />
Es wird etwas auf die individuelle Ebene geschoben, was eigentlich auf die gesellschaftliche<br />
Ebene gehört. Sexuelle Gewalt ist kein Einzelphänomen, sondern sie findet in gesellschaftlichen<br />
Strukturen statt, wo Macht ausgeübt wird. Sexueller Missbrauch ist ein Machtmissbrauch. Wird mit<br />
dem Traumabegriff in einer pathologisierenden Weise umgegangen, lenkt er von der Basis, auf der<br />
sexueller Missbrauch stattfindet, ab.<br />
Nach unserem Verständnis ist eine Frau, die mit den Folgen eines sexuellen Missbrauchs zu tun<br />
hat, nicht krank. Wir arbeiten ohne Diagnosen, ohne Pathologisierung, ohne Klischees. Im Zentrum<br />
unserer Arbeit steht die einzelne Frau mit ihren individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten, mit<br />
ihrer persönlichen Geschichte. Sie hat bestimmte Schwierigkeiten und Probleme, sie befindet sich<br />
in einer Krise, aber sie ist nicht gestört. Ein sexueller Missbrauch muss individuell verarbeitet<br />
werden, aber er darf nicht auf die individuelle pathologisierende Ebene geschoben werden, d.h. die<br />
Perspektive, dass die Betreffende etwas erfahren hat, dass es Täter gibt, die Gewalt ausüben, was<br />
auf dem Hintergrund von gesellschaftlichen Strukturen stattfindet, sollte mitgedacht werden.<br />
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass ein Trauma kein abgegrenztes Ereignis ist,<br />
sondern vielmehr einen Prozess mit verschiedenen Sequenzen darstellt. Es gibt ein davor und ein<br />
danach, das danach gehört genauso mit dazu, wie die sozialen Bezüge und der gesellschaftliche<br />
Kontext. Der ganze Zusammenhang ist für die Bearbeitung des Traumas, in unserem Fall, der<br />
sexuellen Gewalterfahrung, von Bedeutung.<br />
Ein wichtiger Aspekt, der die Bearbeitung eines Traumas beeinflusst, ist, wie die Anerkennung des<br />
Geschehenen durch die Gesellschaft ist, durch Rechtsprechung, durch Haltung, durch Räume der<br />
Auseinandersetzung oder des Erinnerns.<br />
Es ist von Bedeutung für die Bearbeitung eines Traumas, wie und wo über das Erlebte gesprochen<br />
werden kann. In der ehemaligen DDR z.B. gab es keinen Ort dafür. Frauen kommen heute zu uns<br />
und sagen: „Wenn es das damals schon gegeben hätte.“, einen Ort, wie <strong>Wildwasser</strong>. Über andere<br />
Gewalterfahrungen z.B. einen Raubüberfall kann ganz anders gesprochen werden, als über<br />
sexuellen Missbrauch. Das Sprechen über Sexuellen Missbrauch ist in unserer Gesellschaft immer<br />
noch ein Tabu.<br />
Wir bekommen oft Frauen von Kliniken oder Therapeuten geschickt, wir sollen uns des Themas<br />
annehmen. Oft kommen Frauen zu uns, die für sie schlechte Erfahrungen in Kliniken gemacht