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Alder - Swiss Embroidery

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im Geschäfte hervon'agend mitzuwirken, Dem Großvater lag<br />

der Verkauf ob, der Besuch des Marktes in St. Gallen und<br />

der Einkauf der Garne, einen großen Teil seiner Zeit aber<br />

opferte er öffentlichen Ämtern.<br />

Die Hemberger Großmutter zeichnete sich aus beim Mustern,<br />

heißt es doch in einer alten Familienchronik: "Die schönsten<br />

Farbenzusammenstellungen für Bareges stammten von der<br />

Großmutter." Solche hervol'ragende Mitwirkung von Fabri­<br />

kantenfrauen im Geschäfte fand man um jene Zeit im Appen­<br />

zellerland und im Toggenburg vielfältig, und vor wenigen<br />

Jahren noch habe ich solche Frauen gekannt. So zum Beispiel<br />

beruhte der Ruhm der Erzeugnisse der einst weltbekannten<br />

Firma Mathias Näef in NiederuzwiL der größten schweizeri­<br />

schen Buntweberei. zu einem gl'ofien Teil auf dem Talent der<br />

Frau des Inhabers. Übrigens ist es eine bekannte Tatsache, daß<br />

heutzutage noch in Frankreich der Erfolg mancher Firma fast<br />

gänzlich auf der Tüchtigkeit der Frau des Inhabers beruht, die<br />

dem Geschäfte auch dann noch die ganze Zeit widmet, wenn<br />

sie Kinder hat. Ich [konnte dabei konstatieren, daß trotzdem<br />

auch dort die Nachkommenschaft wieder tüchtig werden<br />

kann.<br />

Da mein Vater das jüngste der sechzehn Kinder meiner Groß­<br />

mutter war, so kannte ich sie nicht mehl' als Geschäftsfrau,<br />

8<br />

sondern ich durfte ab und zu meine Ferien in dem Hause zu­<br />

bringen, das sie im Dorfe Speicher allein bewohnte, nachdem<br />

der Großvater frühzeitig gestorben und alle die vielen Kinder<br />

ausgeflogen waren, darunter manche in fremde Weltteile.<br />

Mein Vater trat in ein Buntwebereigeschäft in Hemberg als<br />

Associe ein, und in dei' vOl'hel'erwähnten Familienchronik heißt<br />

es über ihn: "Mit dem Eintritt von Schwager Arnold in das<br />

Geschäft wurde die Fabrikation einer Reihe neuel' Artikel mit<br />

Erfolg aufgenommen,"<br />

Dort auf dem Hemberg wuchs ich als Erstgeborener auf. Bis<br />

zum sechsten Lebensjahre erfreute ich mich wie die andern<br />

Dorfbuben einer vollen Freiheit. Dann ging es in die Schule,<br />

und zwar in eine Halbjahrschule, in welcher die Kinder bis<br />

zum zehnten Jahre 11tH im Sommer, von da an nur im Win­<br />

ter Schule hatten.<br />

Und nun begann auch für mich der Ernst des Lebens. Nicht<br />

daß die Schule für mich ein "MUß" gewesen wäre, im Gegen­<br />

teil, ich lernte mit Begierde und war den ganzen Sommer übel'<br />

vergnügt. Dann aber kam der Winter und da hieß es auch<br />

nicht faulenzen, sondern nun mUßte der Junge spulen, vor­<br />

mittags spulen, nachmittags spulen, und zwar nicht etwa<br />

gerade soviel ihm beliebte, ob langsam oder schnell. Nein, man<br />

fand einen Stimulanten: Sovie1e Ricldi am Vormittag und so-<br />

9


Auch meine Beine wurden vom Geschäfte zunutze gezogen.<br />

Damals besaß Hemberg, obschon dort zwei Buntweberei-Fa­<br />

brikanten etabliert waren, noch keine Post! St. Peterzell wal'<br />

das nächste Postamt, und dorthin, 11/2 Stunden hin und zurück,<br />

hatte ich pressante Briefe zu trageo. Aber ab und zu ging<br />

es auch weiter liber den Hüsliberg nach Ebnat oder über den<br />

heutzutage so bekannten BendeL hinunter nach Neusankt­<br />

johann, Das Geschäft hatte sich nämlichausgedehntuud erteilte<br />

Bestellungen an- dortige Fabrikanten. In Neusanktjohann<br />

mUßte ich manchmal auf Berechnungen warten und das war<br />

mir ein Genllfi, denn dann durfte ich im Sternen in Nefilau<br />

einkehren und das Mittagessen bestellen. Einmal hätte ein<br />

solcher Gang im tiefen Winter beinahe ein schlimmes Ende<br />

genommen. An einem stl'ahlenden Morgen brach ich auf l1ad1<br />

Neusanktjohann, Es glitzerte der Schnee, der aUe Hecken be­<br />

graben hatte J es war ein Hochgenuß, auf der knirschenden<br />

glatten Fläche zu wandern im Angesicht der Säntiskette zuerst,<br />

und später der Kurfirsten mit dem Speer, Als ich aber nach­<br />

mittags heimkehrte, da hatte die Sonne den Schnee erweicht,<br />

und ich sank knietief ein, so daß ich vor Erschöpfung wohl<br />

schließlich liegen geblieben wäre, hätte ich nicht noch bis zu<br />

einem Bauernhause gelangen können, von wo ich erst spät<br />

abends weiter konnte, nachdem die inzwischen eingetretene<br />

11


Kälte den Weg wieder gangbar gemacht hatte. Mit Skiern<br />

wäre das nicht passiert, aber von solchen hatte man damals<br />

keine 'Ahnung. Und heute 1 In der an Hembel'g fast angren-<br />

2enden Gemeinde Stein steht heutzutage eine Skifabrik.<br />

Auch auf andere Weise noch trachtete man fi.i1'· den Jungen<br />

das schullose halbeJahl' zu liberbl'ücken. Eingeschickter Hand­<br />

werker des Dorfes hatte einmal Rof3 und Wagen für mich be­<br />

stellt erhalten, und was er lieferte, war keine Bazarware. Auf<br />

das Pferd sowohl als den Wagen durften sich Erwachsene<br />

setzen. Solche Solidität war auch nötig, denn mit zwei Buben<br />

auf dem ROß und so vielen im Wagen, sauste das Gespann<br />

die keineswegs glatte steile Dorfstraße herunter. Meine Spiel­<br />

sachen waren nämlich auch diejenigen der ganzen Dorf jugend,<br />

Buben sowohl als Mädchen. Dieses Gespann hat zwei Gene­<br />

rationen ausgehalten lind existiert wohl heute noch. Diesem<br />

Meister nun wurde für eine weitere Weihnacht der Auftrag<br />

erteilt, eine Hobelbank fUr mich zu machen, welche ebenfalls<br />

so währschaft ausfiel, daß sie heute noch im Betriebe ist. Das<br />

war eine Freude I bei ihr brachte ich einen grof3en Teil meiner<br />

Zeit zu und fabrizierte unter anderm Vogel käfige. Als deren<br />

Produktion für meinen Bedarf zu groß wurde, vCl'kaufte ich<br />

meine Käfige selbst über die Gemeindegrenzen hinaus - ich<br />

trieb Export- das war mein industrielles und kaufmännisches<br />

Debut. Ein weiteres Prachtstück aus der Handjenes Dorfkünst­<br />

lers besitze ich heutc noch. Es ist eine Armbrust, um die mich<br />

Wilhelm Tell beneidet hätte, Da gab es Prdsschiencn, und<br />

der Preis war gewöhnlich eines meiner Kaninchen. Wegen<br />

dieser Armbrust kam ich einst in einen ernsten Konflikt mit<br />

meinem mir sonst lieben Lehrer. Anläfilich eines Examcns<br />

wurde Wilhelm Tell aufgeführt, und ich hatte die Ehre, die<br />

Titelrolle zu spielen. Bei der Szene, da Ge!3lel' dem Tell ge­<br />

bietet, e1tlCll Apfel vom Kopfe seines Buben zu schießen, ver­<br />

langte der Herr Lehret', um sie t'echt dramatisch zu gestalten,<br />

daß ich vor Schreck die Armbrust fallen lasse. Dafür wal' mir<br />

denn doch meine Armbrust zu gut, denn sie hätte dabei Scha­<br />

den 'nehmen können, und ich weigerte mich, doch rettete ich sie<br />

aus der Gefahr erst auf lnterycntion des Meisters hin. Das<br />

Publikum aber merkte nichts und wal' trotzdem ergriffen.<br />

Viel Zeit widmete ich auch dem Zeichnen, zuerst auf dem<br />

grofien Schiefertisch bei "Sekretärs", und später war mein<br />

Papierkonsum ein derartiger, dafl er nicht in eine Zeit der<br />

Rationierung gepaJ3t hätte.<br />

Weitet'e Beschäftigung verschaffte mir der Umstand, daß meine<br />

Eltern nahe beim Dorfe selbst eine kleine Landwirtschaft be­<br />

tl'ieben, in welcher ichzuallen Hantierungenangehalten wurde,<br />

inklusive Melken, Düngen und Mähen. Ja, eine richtige kleine<br />

13


Reliefs der Kantone St. Gallen und Appenzel1, welches das st.­<br />

gallische Regierungsgebäude beherbergt, sowie der plastischen<br />

Darstellung st.-gallischer Burgen, welche in der Sammlung<br />

des historischen Museums Ü1 St. Güllen aufbewahrt sind.<br />

Bei ihm in seinem Ate1ier verbrachte ich viel von meiner freien<br />

Zeit. Er lehrte mich selbst auf einfache Weise Reliefs erstellen,<br />

Luftballone machen, kleine Künste, die ich noch lange Jahre<br />

nachher als Familienvater wieder meine Kinder lehrte, und<br />

damit auch ihnen Freude machen konnte. Sogar Zauberkünste<br />

brachte mir der gute Mann bei, von dem ich so vielerlei An­<br />

regungen empfing und den ich daher nie vergessen habe.<br />

Von meinen Klassengenossen blieb nur einer bei Muttern zu<br />

Hause! alle andem stoben nach Vollendung ihrer Lehrzeit in<br />

st.-gallischen Geschäften hinaus in die weite vVelt, wie :es<br />

sich für einen Schweizerkaufmann geziemt, selbst wenn es<br />

llicht seine Absicht ist, draußen zu bleiben. Von unserer Klasse<br />

weilten zwei in England, zwei in Nordamerika, einer erlag<br />

frUhzeitig dem Klima in Zanzibar, und mir selbst war gegönnt,<br />

unter Indiel1S Palmen zu wandeln. Dieses Fähnlein von sieben<br />

Aufrechten bot somit ein schlagendes Bild dafür, wie sch(ln<br />

in den siebziger Jaht·en die jungen St. Galler hinausstrebten<br />

in fretnde Länder, wo sie überall Landsleute aus der Ostschweiz<br />

trafen, als Pioniere des schweizerischen Handels.<br />

Hellte, wo ich dies niederschreibe, im Jahre 1919, mufi ich mit<br />

Bedauern konstatieren, dafi von diesen sieben aufier mh nur<br />

noch zwei am Leben sind. Dei· eine war früher Associe einer<br />

der ersten st.-gallischen Stickereifirmen und lebt jetzt vom<br />

Geschäfte zurückgezogen, der andere steht heute noch an der<br />

Spitze eines renommierten st.- gallischen Stickerei-Importge­<br />

schäftes in Neuyork. Mit beiden bin ich il1 Freundschaft ver­<br />

bunden.<br />

Wer hätte darr:aJs ahnen können, daß det- Dörfler einst dazu<br />

gelangen würde, als Mitglied des Kaufmännischen Direktoriums<br />

an der Reorganisation dieser dritten Merkantilklasse mitzu­<br />

arbeiten und diese Abteilung 1t1 neuester Zeit um eine viette<br />

Klasse zu bereichern.<br />

Im Dezember 1865 fand meine Kantooschulzeit einen jähen<br />

Abschluß, weil sich fUr mich eine, wie man glaubte, günstige<br />

Lehrstelle fand, die man nicht verpassen wollte. Mit· ging dies<br />

gegen den Strich, denn ich hatte gehofft, nach Absolvierul1g<br />

der höchsten Klasse gleich wie die meisten meiner Kameraden<br />

noch ins Welschland gehen zu dUden, um im Französischen<br />

ganz sattelfest zu werden. Mein Vater, der zwar auch im<br />

Welschland gewesen war, stand aber auf dem Standpunkte,<br />

dan ich, im Gegensatz zu ihm, voraussichtlich Gelegenheit<br />

haben werde, nach Paris zu gehen und dann dort diese Sprache


Sofort nach meinem Eintritt in die Lehre lien ich mich in<br />

den "Verein junger Kaufleute" aufnehmen, so hieß damals<br />

der jetzige Kaufmännische Verein, und schon nach Neujahr<br />

gehörte ich dessen Kommission an. Wir neuen Mitglieder<br />

aus der Kantonschule fanden eine Jaßwut unter den Mit­<br />

gliedern vor, die uns abstieß, was dann allerdings die fatale<br />

Folge nach sich zog, daß wir alle auch später nie gute JasseI'<br />

wurden, dafür aber waren einige von uns die Stützen der<br />

schauspielerischen Darbietungen bei den Winteranlässen des<br />

Vereins. Das Vereinsloka.1 befand sich zu jener Zeit im<br />

Gebäude des Kaufmännischen Direktoriums, dessen Sym­<br />

pathie die Bestrebungen der jungen Kaufleute damals schon<br />

besaßen.<br />

Ein freudiges Ereignis für mich im Geschäfte war, dan ich,<br />

obschon ich der jüngste Lehrling war, dazu auserkoren wurde,<br />

im Frühjahr 1866 meinen Chef an die Leipziger Messe als<br />

Mel3gehilfe zu begleiten. Die Tätigkeit als solcher war aller­<br />

dings keineswegs eine erhabene oder gar genußreiche, denn<br />

sie bestand darin, vor der vorsprechenden Kundschaft die<br />

Muster von Kettenstichvorhängen, einem Hauptartikel jener<br />

Zeit, auszubreiten und sie so schleunig als möglich wieder zu­<br />

sammenzulegen und zu ordnen. Da kam mir zugute, daß<br />

ich mir im Geschäfte schon auf den vorerwähnten Zuspruch<br />

26<br />

meines Vaters hin eine gewisse Flinkheit erworben hatte,<br />

indes war ich an den ersten Tagen abends jeweils todmüde.<br />

Interessant war für mich, die Kunden zu beobachten, in über­<br />

wiegender Zahl polnische und rumänische Juden in langem<br />

schwarzem Kaftan, langem Barte, das Gesicht eingerahmt von<br />

Rollocken bis auf die Höhe des Kinns herab. Das Parfüm, das<br />

von ihnen ausströmte, stammte nicht aus Paris. Ich erinnere<br />

mich nicht, daß zu jener Zeit Mefigebäude bestanden hätten,<br />

wenigstens trieben wir unsern Handel in zwei gemieteten<br />

Zimmern,<br />

Das Leben und Treiben in den Straßen war für mich, der ich<br />

zum ersten Male den Fufi aufier Landes gesetzt hatte, über­<br />

raschend und hochinteressant. Leider hatte ich nur die kmze<br />

Mittagspause und den Abend für solche Beobachtung frei.<br />

Das Geschäftsl'esultat war befriedigend für die damaligen<br />

nicht hochgeschraubten Ansprüche, und aufier den Kettenstich­<br />

stickereien wurden gewobene Plattstichartikel sowie glatte<br />

Stoffe, wie Mousselines, Jaconats, Organdis in allerlei orna­<br />

mentierten AusrUstungen verkauft.<br />

In der Folge verlor die Leipziger Messe für St. Gallen mehr<br />

und mehl' an Bedeutung, teils weil man nach und nach selbst<br />

die Ostläncler bereiste, sodann aber auch, weil die verbesser­<br />

ten Postverbindungen den direkten Verkehr erleichterten und<br />

27


eine herrliche Terrasse bildet. Er lud mich ein mitzukommen,<br />

was ich gerne annahm. Am Samstagabend schon trafen wir<br />

dort ein, und bei Fackelschein tanzten die Paare auf dem grü­<br />

nen Rasen, ein reizendes Bild, das dann am Sonntag, ähnlich<br />

wie auf der Ebenalp nach einer Bergpredigt, mitweiterem Tanz<br />

seine Fortsetzung fand. Es war erquickend, den frohen Sinn<br />

des entbehrungsreichen Bergvölkleins sich äuJ3ern zu sehen -<br />

Fröhlichkeit mit Wohlanstand gepaart. Heute, nach über fünf­<br />

zig Jahren, ist aus dicser Alpenterrasse ein berühmter Kurort<br />

geworden. Zwei prächtige Dörfer, mit Tram verbunden und<br />

von Bex aus mit einer Bergbahn erreichbar, stehen dort droben<br />

mit grOßen Hotels und einer Menge einladender Chalets.<br />

Villars-le-gay heißt es im Volksmunde, nm dan es heute<br />

die Kurgäste sind, die sich dort oben lustig machen. Tief unten<br />

liegt das Rhonetal ausgebreitet, und darüber beherrscht das<br />

Auge die ganze Südalpenkette vom Montblanc bis zur Dent<br />

du Midi - ein herrlicher Anblick!<br />

Nicht lange nach meiner Ankunft erhielt das Pfarrhaus den<br />

Besuch einer Schwester des Pastors aus Lausanne, einer älteren<br />

Dame, die in ihrem ÄUßeren von der Natur ungebührlich<br />

vernachlässigt, dafür aber mit reichen Geistesgaben bedacht<br />

war, Sie nahm in ihrer hohen Bildung lebhaften Anteil an<br />

der ungewöhnlichen Art und Weise, mit der ich bestrebt war,


Akademie ziehen werde. Aber schade war es dodl, hat doch<br />

meine Frau immer behauptet, an mir sei ehl Schulmeister ver­<br />

loren gegangen.<br />

Es schlug die Stunde des Absdlieds. Noch einmal schweifte<br />

mein Blick über die schöne Gegend, und mein Adieu galt ins­<br />

besondere den herrlichen Dents du Midi, deren Anblick mich<br />

bei Sonnenuntergang so oft entzückt hatte. Nm eine Reue<br />

emfand ich beim Abschiede: Auf einmal wurde mir bewußt.<br />

daß ich eigentlich von der Gegend fast nichts gesehen hatte,<br />

gebannt durch das Bestreben, jeden Moment auszunützen und<br />

möglichst wenig Extrakosten zu verursachen. Glücklicherweise<br />

durfte ich das Versäumte in späteren Zeiten nachholen.<br />

In Lausanne hatte ich das GlUck, in eine ganz distinguierte<br />

Familie aufgenommen zu werden, die auf Montagibert, hoch<br />

tiber Lausanne, ein kleines Häuschen mit wundervoller Aus­<br />

sicht bewohnte. Der Hausherr war der damalige waadtlän­<br />

dische Kal1tonsgerichtspräsident, eine ganz feine Natur, und<br />

auch die Frau wal' mir sehr sympathisch, nicht weniger eine<br />

Tochter gesetzten Alters, die früher Erzieherin in Rußland<br />

gewesen war, eine jener gebildeten Damen, wie sie der fran­<br />

zösischen Schweiz eigen und im Auslande so geschätzt sind.<br />

Sie war es denn auch, die mir wöchentlich zwei Sprachstunden<br />

gab.<br />

3B<br />

An der Akademie belegte ich als Fächel' Geschichte, Litcl'a­<br />

turgeschichte und das mir liebste Fach, die Physik, letzteres<br />

unter dem allbeliebten und hervorragenden Professor D u fo u 1'.<br />

- Sowohl dieses als auch die Literaturgeschichte al'beitete<br />

ich für mich an Hand meiner Notizen aus, und diese At'heiten<br />

prüfte und korrigierte dann "Mademoiselle". womit sie je­<br />

weils eine lehrreiche Konversation übel' dieselben einflocht,<br />

denn sie beherrschte auch diese Gebiete. Wie sehr in diesen<br />

schon so gebildeten Menschen das Bestreben zu stetiger Er­<br />

weiterung des Wissens herrschte, beweist der Umstand, daß<br />

es sich der Herr Kantonsgerichtspräsident des Kantons Waadt<br />

nicht nehmen ließ, mich zu den zahlreichen Abendvorlesuogen<br />

zu begleiten, so daß auch bei Tisdl stets gediegener Konver­<br />

sütionsstoff geboten wal".<br />

Nicht gering war mein Erstaunen, als ich zum erstenmal<br />

auf die Akademie kam und hören mUßte, wie man im Stun­<br />

denwechsel fast nur "Schwizerdtitsch" sprechen hörte. Ich fand<br />

dies unverantwortlich, besonders von dcn vielen Lehramts­<br />

kandidaten, von denen ich teilweise wUßte, wie schwer es<br />

den Eltern wurde, detl Söhnen eine Welschlandzeit zu ge­<br />

währen. Wir waren ein Fähnlein von nur drei Aufrechten,<br />

die standhaft jedes deutsche Gespräch ablehnten: ein Schwei­<br />

zcr aus Catania. ein Appenzeller aus Stein, später Professor<br />

39


an der thurgauischcn Kantonschule, und meine Wenigkeit.<br />

Wir bildeten quasi eine Insel, und nachdem die Zeit hämi­<br />

scher Bemerkungen vorüber war,hatten wir es so weit gebracht,<br />

dab die Deutschschweizer uns drei nur noch Französisch an­<br />

sprachen. In einer Eisenhandlung Lausannes machte ein st.­<br />

gallischer Schulfreund die Lehre und auch wir sprachen aus­<br />

schliefilich Französisch zusammen J keinet· aber so vollkommen<br />

ohne Akzent wie der Appenzellcl', den ich darob beneidete.<br />

Trotz allen Bestrebens brachte ich es nie zu einer akzentfreien<br />

Ausspradlc des Französischen. In Lausanne nahm ich dann<br />

auch das Italienische und Spanische wieder auf, während ich<br />

im Englischen weit genug wal', um es wieder etwas ruhen<br />

lassen zu können. So wal' ich vollauf beschäftigt.<br />

Zu meinen schönsten Erinnerungen gehört die kurze Zcit, in<br />

der ich hospitierendes Mitglied der Zoflngia wal'. Überhaupt<br />

kostcte es mich damals einen Kampf, um nicht noch umzu­<br />

satteln auf irgend cine Gelehrsamkeit, wobei mir vornehmlich<br />

das Schriftstellertum vorschwebtc.<br />

In diesem Momente aber erfolgte wiede1'llffi ein gänzlich un­<br />

erwarteter Eingl'iff des Schicksals in meinen Lebenslauf. Mit<br />

raschen, allzuraschen Schritten rüchte die Zeit heran, wo ich<br />

nach Hausc und zurück in die Lehre gehen solltc. Es kam<br />

plötzlich Bericht von zu Hause, dic V crhältnisse in dcm Ge-<br />

40<br />

schäfte, in welchem ich die Lehre unterbt'echen muhtc, hätten<br />

sich geändert, so dafi man eine andere Lehrstelle habe suchen<br />

müssen. Da es nicht gelungeu sei, eine solche in der Stadt<br />

zu finden, sei beschlossen worden, ich solle im Buntweberei­<br />

geschäft meines Onkels auf dem Hemberg mein0e Lehre be­<br />

endigen. Das war nun nicht gerade Zucker für mich, mUbte<br />

ich mir doch sagen, daß der Kontrast der geistigen Atmosphäre<br />

zwischen meinem Trciben der vel'gangenen neun Monate und<br />

dem Leben in dem kleinen Bergdörfchen ein allzustat'ker sein<br />

werde. ltem, es kam so und nützte nichts, sich darob zu grä­<br />

men! es konnte sich nur darum handeln, das Beste aus der<br />

Sachlage zu ziehen, und dabei vergab ich nicht, dab es ja mein<br />

Heimatdörfchen sei, in das ich zurückkehre und an welches<br />

mich liebe ]ugenderinnerungen immer noch banden,<br />

Nach Hemberg zurückgekehrt, fand ich vollständig veränderte<br />

Verhältnisse VOI'. Als ich in meinen Bubenjahren dort ge­<br />

spuhlt und gestabt und Ausgänge übet· Berg und Tal besorgt<br />

hatte, waren die grofien Kommissionshäuser St. Gallens die<br />

Kundschaft dcl' Hemberger Fabrikantcn von Buntgeweben,<br />

Firmen wie UIr. v. Casp., VonwilleI', Gebr. Wetter. Sie waren<br />

es, die diese Produkte vertrieben, und zwar hauptsächlich<br />

nach Nordamerika und nach der Türkei, odel' durch Ham­<br />

burger und Pariser Kommissionäre nach andcrn Ländern, wic<br />

41


Verabredungsgemä& trafen wir uns h1 Genf, mein Reisekame-<br />

rad und sein Vater, hielten in Lyon, wo ich zum erstenmal in<br />

einem luxuriösen Theater ein Ausstattungsstück sah, das mich,<br />

den gewesenen Hembcrger Theaterdirektor, in seinem Raf-<br />

6nement förmlich blendete. Es blieb auch für lange Jahre das<br />

einzige Raffinement, denn in Singapore gab es überhaupt<br />

nichts Derartiges .. sondern nur ein chinesisches Theater, das<br />

man kuriositätshalber wohl einmal besuchte und nicht wieder.<br />

In Marseille hieh es vorab die Billets für die Fahrt nach<br />

Singapore zu nehmen. Wir beide gehörten zu den ersten nach<br />

draUßen engagierten Angestellten, denen die Firma die Reise<br />

mit Dampfer bezahlte, die fruhel'en reisten mit Segelschiff um<br />

das Kap der Guten Hoffnung herum, mindestens drei Monate<br />

lang, fast ohne etwas ztJ sehen, als Himmel und Wasser. Uns<br />

dagegco staod eine der ioteressantesten Reisen bevor. die man<br />

überhaupt machen kann. Nicht ilHein dauerte die Reise nm<br />

drei Wochen, sondern etwa alle fünfTilge durfte man in sozu-<br />

sagen einer anderen Welt an Land gehen.<br />

Meinem Kamerad war "Entrepont", das heißt die dritte Klasse<br />

vorgeschrieben, während ich zweite nehmen konnte. EI' war<br />

zuerst am Schalter und ich sah seinen Preis; mir verlangte<br />

man die Kleinigkeit von tausend Franken mehr. Eine rasche<br />

überlegung: die tausend Franken kannst du dir sparen, sagte<br />

60


die deutschschweizerischen Firmen jeweils stärker in Mit­<br />

leidenschaft gezogen als die englischen, weil sie freigebiger im<br />

Gewähren langer Kredite waren. Sie konnten Verluste aller­<br />

dings mit den Gewinnen auf ihren Phantasieartikeln besser<br />

ertragen als die Engländer mit ihren Stapelartikeln. Der Kon­<br />

flikt in mehler Buchhaltung fand seine Lösung in der ver­<br />

schiedenen Orthographie meiner beiden Chefs. Dei' eine, der<br />

Schweizer, handhabte sie in Deutsch, der Deutsche aber in<br />

Englisch, Beispiel: "Dschun" schrieb der Schweizer, "Choon"<br />

der Deutsche! "lsup" der Schweizer, "Esoop" der Deutsche.<br />

Nachdem ich hierauf gekommen war und eine Liste der syno­<br />

nymen Namen zusammengestellt hatte, konnte die Arbeit<br />

tlObehindert vor sich gehen. Ich beförderte sie mit besonderem<br />

EHer, weil von ihrer Beendigung der Moment meiner eigent­<br />

lichen Tätigkeit, derjenigen als Verkäufer, _abhängig war.<br />

Gleichzeitig studierte ich mit Energie die malaiische Sprache,<br />

welche nicht in Singapore allein, sondern auch auf Java und<br />

im ganzen Archipel bis nach Madagaskar, Sulu hin die Uni­<br />

versalhandelssprache bildete, in welcher man sich allen Ras­<br />

sen gegenüber verständlich machen konnte. Ihre möglichst gute<br />

Beherrschung gehörte also zu der Eigenschaft eines Verkäu­<br />

fers. Schon unterwegs auf dem Schiff eignete ich mir das Pri­<br />

mitivste an Hand eines kleinen Wörterbuches an, so daß ich<br />

66<br />

mich schon bei meiner Ankunft in bezug auf das Nötigste ver­<br />

ständlich machen konnte. Als sehr fördernd erwies sich mein<br />

Umgang mit dem höchst intelligenten fünf jährigen Töchter­<br />

chen eines deutschen Kapitäns, das vier Sprachen vollständig<br />

beherrschte: Englisch, Deutsch, Malaiisch und das "Pitschin­<br />

Englisch", das in den chinesischen Häfen gesprochen wird.<br />

Im Gegensatz zu uns erwachsenen Europäe1'11, die draußen<br />

alle Sprachen durcheinandermischten, sprach die kleine Olga<br />

sie alle rein. Sie wußte auch die malaiischen Namen der Blu­<br />

men und Pflanzen und bereicherte dadurch meinen Sprachschatz,<br />

so daß ich in diesem Punkte jederzeit als Verkäufer hätte ein­<br />

springen können, umso eher, als ich mir alle Mühe gab, mit<br />

den Käufern im Geschäfte ins Gespräch zu kommen, um ihnen<br />

im gegebenen Moment nicht als Neuling gegenüberzustehen.<br />

Von meinem Schweizerchef, der aufierhalb des Geschäftes<br />

mir alle Freundlichkeit und Hilfe angedeihen ließ, erfuhr ich<br />

im Geschäfte !merkwürdigerweise nur Zurückweisung. Nach<br />

und nach kam ich auf den Grund dieses Widerspruches. Er<br />

wollte seinen Chef hilflos lassen bis und so lange er nicht den<br />

Assoziationsvertrag entsprechend seinen AnsprUdlen in der<br />

Tasche hatte, abhängig von seiner Person, und dazu gehörte,<br />

daß ich außerstande sei, ihn zu ersetzen.<br />

So erreidlte er denn audl sein Ziel, und möglichst rasch wollte<br />

67


er nach Europa verreisen, obschon ich infolge seines Vor­<br />

gehens eigentlich gar nicht in der Lage war, seinen Posten<br />

auszufüllen. Eines Abends, als wir beide beim Chef einge­<br />

laden waren, erklärte er diesem nach dem Diner, er habe<br />

mich geprüft und müsse leider konstatieren, daß ich nicht im­<br />

stande sei, den Verkauf zu besorgen, Es gebe daher keinen<br />

anderen Ausweg, als dafi der Chef seinen Posten einnehme<br />

und ich die Buchhaltung besorge,<br />

Er habe mich geprüft! Ja und wie? Er, der VOl' mir alles ver­<br />

barg und versteckte, nahm mich (In jenem Nachmittag an den<br />

Verkaufs tisch, der mit hundert und mehr Mustern aller mög­<br />

lichen Artikel belegt war: Baumwollstoffell allel' Gattung,<br />

Seidenstoffen, Nähzwirnen, Metallfaden, Brokaten, Eisen­<br />

waren, Schnupf- und Spieldosen, Schärpen und Weinen,<br />

Nägeln und Bijoutelien llSW, Unten fing er an, nannte mir<br />

die Namen der Artikel in Deutsch, Englisch und Malaiisch,<br />

die Liefe.ranten und die von denselben geheischten Preise und<br />

die der Marktlage entsprechenden Preise, und als wir nach<br />

einer Stunde Vortrags endlich oben am Tische angelangt<br />

waren, führte er mich wieder ans untel'e Ende, und ich sollte<br />

all das Erzählte 11un der Reihe nach repetieren können, Ich<br />

wies diese Zumutung als llOvernünftig zurück, und die Folge<br />

war eben die oben beschriebene Sitzung, Mit vor Kränkung<br />

68<br />

halb erstickter Stimlne erklärte ich dcm Chef den Charakter<br />

dieser sogenannten Prüfung und bat ihn, mir zwei Monate<br />

Probezeit als Verkäufer zu gewähren. EI' schlug sich auf meine<br />

Seite und gewährte mir meine Bitte lind auch die zweite,<br />

keinen Einwand zu erheben, wenn ich die Sache vielleicht in<br />

etwas eigenartiger Weise an die Hand nehme, Wohl schien<br />

er etwas verwundett, gab abcr in seiner gewohnten Liebens­<br />

würdigkeit auch hiezu seine Einwilligung,<br />

Am Tage nach deI' Abreise meines Schweizerchefs ließ ich an<br />

die Türe des V crkaufszimmers in Chincsisch und Malaiisch<br />

ein Plakat anschlagen, das die Schließung desselben für drei<br />

Tage anzeigte, worüber mein Chef sowohl als das Personal<br />

höchlich verwundert waren, Schon längst hatte mich der An­<br />

blick des Verkanfstisches geärgert) mit Ausnahme der letzt­<br />

angekommenen Muster wal' allcs verstaubt lind verrostet.<br />

Aus den Lagel'büchern hatte ich ersehen können, daß viel<br />

Ware im Store liegen mUßte, für welche überhaupt kdnc<br />

Verkaufsmuster auflagen. Es waren sogenannte Lagerhüter,<br />

für welche sich zurzeit keine Käufer hatten finden lassen und<br />

die so halb in Vergessenheit geraten wal'en, darunter viele<br />

Sorten Eisenwaren, von denen es hieß, man dürfe die Kisten<br />

nicht aufmachen um ihnen frische Muster zu entnehmen, da<br />

sonst die ganze Ware verrosten würde,<br />

69


Schweizer nach dem Osten, weil sie industriell erzogen und<br />

auch kaufmännisch und sprachlich gut vorgebildet sind, und<br />

nach wie vor arbeiten sie natürlich mit Vorliebe fürci"ie heimische<br />

Industrie. Das beweist jeweils der Überseel'tag, auch eine<br />

Schöpfung der Leute aus den Straits Settlements, Singap0l'e,<br />

Penang und SumatrC1, denen sich erst s,eätcr die anderen Über­<br />

seer anschlossen. Am Überseertag vom 7. September 19'19<br />

in Lnzern waren an Schweizern aus jcnen drei Gegenden an-<br />

wesend : aus Singapol'e und Penang 19,<br />

allS Sumatra .......... 21,<br />

wobei natürlich nicht alle in Em'opa Anwesenden beiwohnten,<br />

ganz abgesehcn von denen, die zurzeit draUßen weilen.<br />

Das vorhin geschilderte geschäftlicheVerhältnis zwischen Deut­<br />

schen und Schweizern in Singapore besaß sein GegenstUck auch<br />

im gesellschaftlichen Leben. Es bestand ein Deutsch-Schweize­<br />

rischer Klub, dem jeweils ein Deutscher als Präsidcnt und ein<br />

Schweizer als Vizepräsident vorstand, wo allein man zu tneiner<br />

Zcit Zerstreuung finden konnte, und zwar hauptsächlich beim<br />

Kegelspiel und beim Jassen, das auch die Deutschen liebten.<br />

Ich hatte während der letzten zwei Jahre meines Aufenthaltes<br />

die Ehre, Vizepräsident zu sein, was ich nur nebel1bci erwähne,<br />

um die eigentümlichen Funktionen dieses Amtes zu schildern.<br />

Zu präsidieren hatte der Vizepräses eigentlidl nie; er wal' viel-<br />

78<br />

mehr der Klubwirt, wobei zu bemerken ist, daß nur Getränke<br />

verabfolgt wurden, aber von diesen viel. Der "Vize" hatte also<br />

für den möglichst vorteilhaften Einkauf der mancherlei Ge­<br />

tränke zu sorgen, bei welchen neben Soda und Brandy, Gin<br />

und V\Tisky der Champagner die 'gröfitc Rolle spielte, indem<br />

CI' draUßen der billigste Wein war, konnte doch im Klub, der<br />

es allerdings nicht auf Gewinn abgesehen hatte, echter Humm<br />

für einen Dollar, das heißt Fr. 5.50 per Flasche abgegeben<br />

werden.<br />

Die Bezahlung geschah ausschließlich per Scheck, denn die<br />

Europäer führten kein Geld bei sich. Ihre Unterschrift genügte<br />

auch den Natives. Wenn man mit einer Mietkutsche (Careta<br />

seva) tief ins Innere der Insel fuhr und den Kutscher entließ,<br />

gab man ihm fiir den Betrag auf irgend einen Zettel die Unter­<br />

schrift mit dem Namen der Firma, und der Mann kassierte<br />

diesen primitiven Scheck gelegentlich ein.<br />

DiesesSystem hatte dengrofien Vorteil der persönHchenSicher­<br />

heit, war doch allgemein bekannt, dan es beim Europäer kein<br />

Geld zu rauben gab. Wie jedes andere hatte es aber auch<br />

seine Nachteile: man gab zu leicht aus, merkte man doch kein<br />

Schwinden im GeldsäckeL Das konnte ich in meiner Eigen­<br />

schaft als Klubwirt gut beobachten, hatte ich doch am Ende<br />

des Monats jedem Klubmitglied an Hand seiner Schecks Rech-<br />

79


mir mein Prinzipal in freundlichster Weise vor, zu ihm hinaus­<br />

zuziehen fUr so lange es mir belieben würde. Weit und breit<br />

war keine l1:cnschliche Wohnung zu sehen, ringsum Urwald!<br />

das bot mir den Reiz der Neuheit, wozu noch das Landleben<br />

mit allerlei Haustict'en kam, so dab ich gerne zustimmte.<br />

Immerhin machte ich meinen Chef darauf aufmerksam, daß<br />

ich nicht auch zum Einsiedler werden, sondern die Ftihlung<br />

mit meinem Klub und mit Freunden behalten möchte. Bereit­<br />

willig stellte er mir seine zwei Wagen und vier Pferde zur Ver­<br />

fügung und offerierte mir in liebenswürdiger Weise, von Zeit<br />

zu Zeit an Sonntagen meine Freunde auf den HUgel zu laden.<br />

Leider versagten in der Folge allzuoft die Pferde, so dafi ich<br />

mich schlicfilichgezwungen sah, ein eigenes Pferd anzuschaffen,<br />

das mir viel Freude machte. So ein Pferdekauf war aber da­<br />

mals ein Hasardspiel. Während die Ponies, rassige Tierchen<br />

von unbändiger Energie, mit mächtigen, den Kopf fast ver­<br />

deckenden Mähnen, aus der Nachbarschaft stammten, mUßten<br />

die grofien Pferde aus Australien eingeführt werden. Schiffs­<br />

ladungen davon kamen an, in dreimonatHcher bewegter See­<br />

reise steif geworden und oft zerschunden. Nach dreiwöchent­<br />

Hchel' Pflege kamen sie auf Auktion. Auf gedruckten Listen<br />

wurden die Eigenschaften eines jeden Pferdes rühmend be­<br />

schrieben, vorsichtigerweise aber in einem Postskriptum be-<br />

tont, daß fü1' die Richtigkeit dieser Beschreibung keine Ver­<br />

antwortlichkeit übernommen werde. Eine solche hölte über­<br />

haupt mit de.m Zuschlag auf, und vielleicht lag schon am<br />

nächsten Morgen das erworbene Pferd tot im Stall. Das pas­<br />

sierte einem schweizerischen Kollegen, der am gleichen Tage<br />

wie ich einen Schimmel erstand, während mein kleiner Brauner<br />

jahrelang munter blicb und zufällig zugeritten und eingefahren,<br />

überhaupt tugendhaft war, was mir, der ich kein Meister im<br />

Reiten waf, sehr wohl zustatten kam. Der damals größte<br />

Pferdehändler und Sachverständige in Singapore war Schwager<br />

eines großen st.-gallischen Sticldabrikanten.<br />

Vvie in England, so bestand auch in Singapore der freie<br />

Samstagnachmittng. Die Engländer vertrieben ihn sich mit<br />

ihrem Sport, der uns Schweizern damals noch unbekannt wal'.<br />

An dessen Stelle trat bei uns das Kegeln und das Reiten.<br />

Einstmals hatte ich die Idee, meinen Freunden naheztllegen,<br />

sie möchten am Sonntag jeder mit irgend einem Schießprügel<br />

auf unserem Hügel erscheinen. Inzwischen fabrizierte ich eine<br />

Schützenschcibe und ließ als Schießstand ein improvisiertes<br />

Dach aus Palmblättem zum Schutze gegen die Sonne erstellen.<br />

Die Schießerei machte allgemein Spaß. Beim Tifßn (Mittag­<br />

essen) erhob lch mich und schlug vor, von den damals in der<br />

schweizerischen Armee eben eingeführten Vetterli-Hinterladcr-<br />

83


Mechanik spielen zu lassell. Der Chinese begriff rasch, und<br />

das VIlerk gelang.<br />

Grob war die Freude unter den Schweizern, als die Einweihung<br />

der heimatlichen Einrichtung, das erste Schweizer Schützenfest<br />

abgehalten werden konnte. Zur Feier des Tages hatte ich in<br />

Kohle eine lebensgrOße Hclvetia mit dem Schweizerschild ge­<br />

zeichnet, die weit mehr Beifall fand, als ihr künstlerischer<br />

. Wert rechtfertigte. Der Patriotismus machte die Leute blind.<br />

Wohl aus Pietät blieb das Bild aber, wie ich später erfuhr,<br />

noch viele Jahre am gleichen Platze. Mag das langweilig ge­<br />

worden sein, vorausgesetzt, daß man es überhaupt noch an­<br />

schaute!<br />

Mit Hilfe auch der nach Europa zurückgekehrten früheren<br />

Singaporeaner wurde seither weit draUßen in der Nähe des<br />

Hügels, von wo die Idee ausgegangen wat, ein viel schönerer<br />

Schießstand gebaut, dieser brannte später Rb und wurde dann<br />

wieder neu errichtet, denn den Schützenverein wollte niemand<br />

mehl' missen! er bildete unter den Schweizern das enge Band,<br />

wo Schweizerart und Freundschaft fLirs Leben immerfort ihre<br />

Pflege fand,<br />

Aufstände (Riots) kamen hie und da vor, glUcldicherweise aber<br />

richteten sie sich zu meiner Zeit nicht gegen das Häuflein<br />

Europäer unter den neunzigtausend Menschen asiatischer<br />

86<br />

Rassen, die !lach einer damals aufgenommenen Statistik fünf­<br />

undzwanzig verschiedene Idiome sprachen, wie denn über­<br />

haupt Singapore in völkischer Beziehung wohl als der inter­<br />

essanteste Platz der W clt bezeichnet werden darf. Zumeist<br />

bekämpften sich chinesische geheime Gesellschaften untel'­<br />

einander und raubten dabei Lebensmittelmagazine ihrer Geg­<br />

nel' aus. Die Europäer hatten in solchen Zeiten als Freiwil­<br />

lige zur Aufrechterhaltung der Ordnung anzutreten, und wir<br />

Schweizer imponierten dabei mit unseren Vetterli-I-linterladern.<br />

Vor ihrem Erscheinen in Singapoj'e waren wir jeweils wie alle<br />

andern mit dem aus England stammenden hölzc1'llen Polizei­<br />

knüppel bewaffnet worden, wozu noch der Revolver kam, den<br />

ohnehin jeder besaß, aber glücklicllerweise sonst nie brauchte.<br />

Auch zu anderen Bürgerpflichten wurden alle Europäer heran­<br />

gezogen, so zur Rechtspl'echung als Mitglied der Jury, also als<br />

Geschworene. Es war ein verantwortungsvolles Amt. Die Ver­<br />

handlungen wurden ausschließlich in ciJglischer Sprache ge­<br />

führt, obschon in den meisten Fällen weder Ankläger noch<br />

Beklagte dieser Sprache mächtig waren. Nicht selten ging es<br />

um den Kopf. Dolmetscher mußten die Aussagen ailS all den<br />

vielen Sprachen der Beteiligten übersetzen, und wehc dem<br />

Angeklagten, wenn ein solcher Dolmetsch falsch übersetzte.<br />

Ich selbst erinnere mich eines solchen Falles, wo ich durch den<br />

37


ist. So sah man übrigens meines Erinnerns Chulalongcron in<br />

Europa.<br />

Eines Tages erschien in Singapore, aid einer Reise um die Welt<br />

begriffen, zur grofien Freude der ganzen englischen Kolonie,<br />

der Herzog von Edinburg. Auch wir Schweizer nahmen großes<br />

Interesse an diesem Ereignis, genossen wir doch englisd1e<br />

Gastfreundschaft in weitcstem Ma13e. Unter ihrem Regimc<br />

fühlten wir uns wohl, ja es darf wohl gesagt werden, vielleicht<br />

noch freier als in der Schwciz. Von irgendwelchem Bürokra­<br />

tismus keinc Spur, wohl aber Schutz, wenn es not tat. Aus<br />

eigener Erfahrung gehöre ich zu denen, die das britische<br />

Kolonisatioustalent bewundern. Wie lief3 man die zahlreichen<br />

und verschiedenen Völkerschaften und religiösen Sekten ruhig<br />

gewähren und ihren Gewohnheiten nachleben, vorausgesetzt<br />

allein, derB sie die öffentliche Ordnung nicht stören. Und wie<br />

klug verstanden es die Engländer, die einheimischen FUrsten<br />

sich geneigt zu halten, indem sie ihnen, dem Anschein nach<br />

wenigstens, das Prestige des Regierens licfien und fortfuhren,<br />

sie mit entsprechendem Zeremonicll zu behandeln.<br />

An derSUdspitze voo Hintcrindieo, auf der Halbinsel Malakka,<br />

von dcr Insel Singapore nur dmch einen ganz schmalen Strei­<br />

fen Meeres getrennt, regierte der Sultan von Johor. Er berei­<br />

tete dem Herzog von Edinburg einen ungewöhnlich grofiarti-<br />

92<br />

gen Empfang. Dazu wurde die ganze europäische Kolonie<br />

eingeladen, so dafi auch mir Gelegenheit geboten war, dem<br />

Schauspiel beizuwohnen. Ei11 solches war es umso mehr, als<br />

der Sultan seinem Gaste einen Kampf zwischen einem Tiger<br />

lind eincmBüffel vorfUhrte. Das war für uns etwas ganz Neues.<br />

Aus hohcn, genügend nah voneinandergestellten Staketen<br />

wal' eine grofie ovale Arena gebildet, die obcn mit Tüchem<br />

geschlossen war. In deren schmalseitiger Mitte fiel ein auf­<br />

rollbarer Vorhang herunter. In der einen Htilftc machte in<br />

groficr Unrast ein mächtiger Königstiger beständig der Um­<br />

zäunung el1tlang die Runde, nach einem Ausweg suchend. In.<br />

dei' Mitte des trennenden Vorhanges und gegen denselbcn ge­<br />

richtet, stand unbeweglich, gesenkten Hauptes ein verhältnis­<br />

mäßig recht kleiner, junger Büffelstier, den Feind spUrend, aber<br />

nicht sehend.<br />

Ringsum gelagert, kauerten die Natives allel' Rassen, ein buntes<br />

Bild sondergleichen. Da waren sie quasi zur Schau gestellt, die<br />

bunten Erzeugnisse desToggenburgs in ihrer Vielgestaltigkeit,<br />

sowohl von Männern wie von Frauen getragen, sodann die<br />

von weitem den echten täuschend ähnlichen, meisterhaft ge­<br />

druckten Batiks des Glamerlandes und die fein gemusterten,<br />

gleißenden Seiclenstoffe Zürichs ... eine Darstellung schwei­<br />

zerischen Könnens, auf die wir Schweizer stolz sein durften.<br />

93


Selbstverständlich wurden von den Europäern sowohl als den<br />

Eingeboi'enen \Al etten eingegangen, welcher von den bei den<br />

Kämpfern wohl siegen werde. Ich hütete mich davor mit Rück­<br />

sicht auf meinen lI11gespickten Geldbeutel, wal' aber darüber<br />

zum vornherein im klaren, daß der mächtige Königstiger den<br />

unansehnlichen Büffel im Nu vernichten werde. Auf das gegen­<br />

teilige Resultat wetteten die meisten Eingeborenen, denn der<br />

"Rimau" (Tiger) war ihr Todfeind. Auf ein Signal wurde das<br />

trennende Tuch aufgerollt, und pfeilschnell schoh der kleine<br />

Büffel gegen den iHn Rande entlang laufenden Tiger los, ihm<br />

seine Hörner in den Leib bohrend. Ein fUl'chterliches Gebrüll<br />

ausstoßend, hackte sich der Tiger mit seinen spitzen Klauen<br />

und mit seinem scharfen Gebiß von vorne in Kopf und Nac1\en<br />

des Stieres ein. Doch mit einem mächtigen Ruck schüttelte der<br />

Büffel den Tiger ab und schleuderte ihn ein StUck weit in die<br />

Arena. Eine WeHe blieb das Tier regungslos liegen, und eben­<br />

falls regungslos mit vorgebeugtem Kopf und blutunterlaufenen<br />

Augen stand der Stiel' vor ihm. Jetzt regte sich der Tiger wie­<br />

der, panf hatte er wieder des Büffels Ho1'1l im Leibe, und un­<br />

beschreiblich war der Jubel der Menge übel' die Niederlage<br />

ihres Erbfeindes.<br />

Damit hätte eigentlich das Schauspiel sein Ende gehabt, aber<br />

die Eingeborenen wollten sich damit nicht zufriedengeben.<br />

94<br />

Oben wal' eine Art AufztIg angebracht I man licB ein Seil her­<br />

nieder, schlang es um den Leib des sozusagen bereits toten<br />

Tigers. Dann: Ah ho auf! Und wie der Tigerkörper sich, etwas<br />

in die Höhe gezogen, bewegte, ful11' dei' Büffel ihm mit seinen<br />

Hörnem wieder in den Leib, daß es krachte. Dieses Schauspiel<br />

wollte nicht aufhören, und frenetischer Applaus begriißteimmer­<br />

fort den wackeren Stiel'. Rimau mati-mati-mati! Der Tiger ist<br />

tot-tot-tot! schrien sie triumphierend. Uns Europäern jedoch<br />

wal' dieser Schluß des Schauspiels keineswegs sympathisch.<br />

Der Deutsch-Französische Krieg warf seine WeHen natürlich<br />

auch bis zu uns hinaus, wo indes nur die eine Kriegspal'tei,<br />

die Deutschen, vertreten war. Die wenigen Franzosen, die<br />

auswanderten, zog es natürlich nach ihrer eigenen Kolonie,<br />

nach dem Singapore benachbarten Saigon, an welchem Platze<br />

übrigens heutzutage zwei $chweizerfirmen in dcrTextilb1'anche<br />

eine hervorragende Rolle spielen. Diesen Erfolg verdanken sie<br />

ihren Fachkenntnissen, durch die sie hir die französischen We­<br />

bereifabrikanten führend wurden, die trotz der Vorzugszölle,<br />

welche sie in Saigon genießen, die Bedürfnisse dieses Marktes<br />

früher zu wenig studiert hatten. Zur Zeit des Deutsch-Franzö­<br />

sischen Krieges erhielt Singapore nur einmal monatlich Nach­<br />

richt von Europal ein Telegraph existierte noch nicht. Man<br />

kann sich denken, welche Spannung jeweils bei Ankunft einer<br />

95


der persönlichen Eignung und Tüchtigkeit, spielten aber zwei<br />

Faktoren eine entscheidende Rolle: EinmaL dan nicht zu viele<br />

Anwärter vor einem stehen, und sodann, daß die Firma, von<br />

welcher man angestellt wurde, gut fundiert sei, denn Kapital<br />

besaßen wir ja alle selbst nicht.<br />

Die erstgenannte Bedingung wäre bei mir erfüllt gewesen,<br />

denn ich wa1' der einzige europäische Angestellte der Firma,<br />

aUßer einem seithel' eingetroffenen Belgier, dem Sohne unseres<br />

Produktenagenten in Antwerpen, der die Buchhaltung be­<br />

sorgte. Die Aussichten hatten sich aber auch sonst noch auf<br />

gänzlich unerwartete Weise für mich verbessert. DerSchweizer­<br />

assode hatte sich in Europa als nützlim erwiesen für die An­<br />

knüpfung von Konslgnationsverbindungen, und nam dem<br />

Brauch in anderen Firmen wäre es nun an meinem deutschen<br />

Chef gewesen, für eine Zeitlang nach Europa zu gehen, um<br />

seinerseits Verbindungen Hit. den Export von Produkten zu<br />

suchen, während der Schweizer Teilhaber dessen Stelle inSinga­<br />

pore eingenommen hätte. Das geschah nicht, und so wurde<br />

einer von uns zu viel, und zwar in den Augen meines deut­<br />

schen Prinzipals sein Schweizerassocie, da er mit meiner Füh­<br />

rung der Importabteilung zufrieden war. Es kam eine Ver­<br />

einbarung zustande, nach welcher der Schweizerparrner aus<br />

der Firma ausschied, ihm dagegen die Vertretung derselben<br />

98<br />

in Europa übertragen. wmde. Für mich wäre damit die Bahn<br />

frei geworden, in absehbarer Zeit an dessen Stelle Teilhaber<br />

zu werden.<br />

Im Wege stand der zweite Punkt, nämlich der finanzielle. In<br />

meiner anfänglichen Eigenschaft als Buchhalter schon hatte<br />

ich gesehen, wie knapp die Mittel waren, ganz besonders<br />

im Vergleich zu dem sehr entwickelten Unternehmungsgeist<br />

meines Prinzipals. So hatte er eine Sagofabrik gegründet, trotz­<br />

dem er wUßte, daß bis dahin alle derartigen Unternehmungen<br />

durch Europäer fehlgeschlagen hatten. Wohl zogen die euro­<br />

päischen Maschinen aus den Stämmen jedes nutzbare Atom,<br />

aber sie vermochten trotzdem nicht anzugehen gegen die un­<br />

säglich billige Arbeitskraft der Eingeborenen und derChinesen,<br />

abgesehen davon, dan das Material von weither kommen<br />

mUßte. Im wies ihm nach, daß die Fabrik nicht nur keinen<br />

Gewinn, sondern Verlust lasse, aber er wollte sich nicht über­<br />

zeugen lassen, sondern vertröstete mich mit der Aussicht auf<br />

weitere maschinelle Verbesserungen lind günstigere Bezugs­<br />

quellen für das Rohmaterial. Meines Wissens hat in Singa­<br />

pore, und zwar seit meiner Zeit, nur ein einziges europäisches<br />

industrielles Unternehmen wirklichen, und zwar großen Er­<br />

folg gehabt. Es ist eine heute [loch florierende Zinnschmelzerei.<br />

Sie wurde gegründet von einem äUßerst tüchtigen und dabei<br />

99


zeitig noch ein anderes, auch deutsches Schiff, wurden samt<br />

der Ladung von den Spaniern gekapert und nach Manila ge­<br />

schleppt.<br />

Jetzt zeigte es sidt, daß mein Chef richtig geurteilt hatte. Auf<br />

Verwendung der deutschen Regierung, deren Untertan er war,<br />

trat in Singapore ein internationales Schiedsgericht zusammen,<br />

und es entschied zugunsten der gekaperten Schiffe, die aber in­<br />

zwischen samt der Ladung von den Spaniern versilbert worden<br />

waren.<br />

Meinem Chef wurde eine große Entschädigungssumme zu­<br />

gesprochen, zahlbar durch Spanien in Europa. Er gelangte<br />

dann an mich mit der BItte, mich dieser Angelegenheit an­<br />

zunehmen und gab Weisung- an das deutsche Auswärtige<br />

Amt, in derselben mit mir zu verkehren.<br />

Spanien machte eine erste Anzahlung von ganzen Fr. :'.5000,<br />

und dabei hatte es sein Bewenden! Ein von Bismarck unter­<br />

zeichnetes Schreiben an mich enthielt das Todesurteil für<br />

meinen früheren Prinzipal. Es wurde darin die Erklärung ab­<br />

gegeben, dafi alle Bemühungen und selbst Drohungen nichts<br />

gefruchtet hätten, und dazu, wegen dieser Angelegenheit mit<br />

Spanien einen Krieg anzufangen, könne sich die deutsche<br />

Regierung nicht entschließen. Dieser Katastrophe mUßte die<br />

Firma unterliegen! aber gerne konstatiere ich, daß ihr Inhaber<br />

104<br />

trotzdem die Sympathien der deutschschweizerischen Kolonie<br />

behalten konnte, die ihm half, als Brocker das Leben zu fristen,<br />

bis er hochbetagt in Singapore das Zeitliche segnete.<br />

Mich in gekündeter Stellung befindend, wal' ich natürlich auf<br />

der Suche nach einem Ausweg, und dabei tauchte das Projekt<br />

auf. Tabakpflanzer zu werden. Es war, wie ich glaube, gegen<br />

Ende der sechziger Jahre, daß zwei Holländer versuchten, auf<br />

der an der Straße von Malakka, vis-a-vis von Penang, ge­<br />

legenen Insel Sumatra, den Tabakbau einzuführen. Sie taten<br />

es mit Erfolg. Ein St. Galler, Schlatter, der in der Importfirma,<br />

in welcher er angestellt war und eben seinen Kontrakt be­<br />

endigt hatte, kein Vorwärtskommen sah, entschloß sich, zu­<br />

sammen mit zwei sich im gleichen Falle befindenden Deut­<br />

schen, dem Beispiel der zwei Holländer zu folgen, und auch<br />

dieses Unternehmen glückte. Ich wandte mich an ihn um ge­<br />

naue Informationen, denn es war dort Platz genug für Kon­<br />

kurrenz, und erhielt, was ich wünschte, auch Aufmunterung<br />

zum Kommen. Ich stand im Begriffe, den Plan nach Hause<br />

zu berichten, um eventuell finanzielle Hilfe zu erhalten. Der<br />

Boden war wertlose Wildnis und kostete damals nichts als<br />

vielleicht eine kleine Abgabe (Royalty) an den Sultan, da­<br />

gegen brauchte es ordentlich Betriebskapital zur Bezahlung<br />

der Arbeiter in Erwartung der Ernte und deren Absatz. In-<br />

105


zwischen waren wiederum aus den gleichen Gründen zwei mir<br />

intim Befreundete, ein Appenzeller und ein Toggenburger,<br />

wohlausgerüstet nach Sumatl'a gezogen, bald aber kam die<br />

Trauernachricht, dafi beide von ihren Kulis um des Raubes<br />

willen ermordet worden seien. Als Freunde sie eines Sonntags<br />

besuchen wollten, fanden sie niemanden zu Hause, im Weg­<br />

gehen aber entdeckten sie plötzlich einen Teil einer Hand, die<br />

aus dem Boden ragte; unsere Freunde und Landsmänner<br />

waren verscharrt worden. Die Leute dort lebten eben zu jener<br />

Zeit auf ihren Plantagen gänzlich isoliert, meilenweit aus­<br />

einander, ohne gebahnte Wege, im Urwald, den sie sukzessive<br />

der Tabakkultur öffneten, und befanden sich einem Haufen<br />

Kulis gegenüber natürlich wehrlos.<br />

Dieses traurige Vorkotnmnis bei Leuten, die, wie wenige, ver­<br />

anlagt waren, ihre Arbeiter menschenwürdig zu behandeln, war<br />

geeignet, mich von meinem Plane gänzlich abzubringen. Das<br />

Los dieser beiden Freunde teilte später noch ein dritter in­<br />

timer Freund von mir, ein St. Galler, der im Schlafe ermordet<br />

wurde.<br />

Längere Zeit nachher kamen die Brüder der Erstermordeten<br />

hinaus J sie trafen bereits geordnetere Verhältnisse und hatten<br />

Glück. Nicht so der eigentliche schweizerische Pionier Schlatter,<br />

der von seinen deutschen Teilhabern hinausgeekelt wurde,<br />

106<br />

1<br />

trotzdem er die Hauptarbeit geleistet hatte. EI' starb auf einer<br />

Reise von Japan nach Singapore.<br />

Im Laufe der Zeit wuchs die Schweizerkolonie auf Sutnatra<br />

weiter an. Deli, der inzwischen bedeutend gewordene Haupt­<br />

ort des Landes, wurde zum Refugium derer, die in ihren kauf­<br />

männischen Stellungen kein Vorwärtskommen sahen. Die<br />

meisten waren erfolgreich, einige derselben machten in ver­<br />

hältnismäßig kurzer Zeit ganz grofie Vertnögen. Diese zogen<br />

sich mit Vorliebe nach Zürich zurUck, und mehr als einer baute<br />

sich dort eine Villa.<br />

Heute noch gehen viele Schweizer nach Sumatra als An­<br />

gestellte auch holländischer Plantagen, an welchen teilweise<br />

schweizerisches Kapital beteiligt ist.<br />

Der Überseertag von 1919 in Luzern liefi, wie vorher er­<br />

wähnt, einundzwanzig Sumatraschweizer zusammentreffen.<br />

Der grol3e Erfolg dieses Tabakbaues beruht darauf, dafi dort<br />

das feinste Deckblatt produziert wird. Der heutzutage sehr be­<br />

deutende Export wird in Hauptsachen in Holland auf jähr­<br />

licher Auktion verkauft.<br />

Wenn ich, obschon nicht beteiligt, dieser Erscheinung einläfi­<br />

lidle Erwähnung widme, so ist es, um zu zeigen, wie auch auf<br />

diesem Gebiete schweizerischer Unternehmungsgeist Pionier­<br />

arbeit aller Art geleistet hat. Ein Appenzelier Pflanzer hat<br />

107


Einst entschlossen wir uns zu einem zweitägigen Ausflug ins<br />

Innere der Halbinsel Malakka, im Reiche des Sultans von<br />

Johor. Dies konnte nur auf dem FlUßwege geschehen, von wo<br />

aus wh' die herrliche Flora bewunderten. Da machte einer auf-<br />

merksam auf ein mächtiges Krokodil, das sich hoch oben an<br />

der Böschung des Flusses sonnte und offenbar schlief. Plötzlich<br />

erwachte das Ungetüm und schofi, 11ns bemerkend, zurück ins<br />

Wasser, wobei es so dicht an uns herankam, dafi wir eine<br />

Kollision befürchten mUßten.<br />

Die Nacht brachten wir in einer chinesischen Ansiedlung im<br />

Hause des chinesischen Besitzers, auf Matten Hegend, zu. Es<br />

wal' uns dabei nicht ganz geheuer, denn vor dem Schlafen­<br />

gehen sahen wir, wie bei Fackelschein auf dem Platze vor<br />

dem Hause eine Schar chinesischer Kulis leidenschaftlich dem<br />

Würfelspiel oblagen, deren Gesichter bei dieser Beleuchtung<br />

keineswegs vel'trauenerwecltend aussahen.<br />

Es passierte uns jedoch nichts. Bei Tagesanbruch streiften wir<br />

etwas im Urwald herum, und in einer Lichtung standen wir<br />

zusammen und begrüßten den jungen Tag mit dem Liede ,,0<br />

mein Heimatland, 0 mein Vaterland", jeder in Gedanken bei<br />

seinen Lieben zu Hause weilend.<br />

Das Interessanteste kam erst" an diesem Tage: Als wir mit<br />

dem Boote weiter ins Innere an eine Biegung des Flusses ge-<br />

110<br />

i<br />

langten, gewahrten wir plötzlich eine Anzahl ganz kleiner<br />

Boote, besetzt mit, wie wir glaubten, halbwtichsigen nad\ten<br />

Jungen. Wie wir aber ein paar Ruderschläge näher kamen,<br />

sahen wir, dan es Männer waren, die Bärte trugen, und bei<br />

ihnen vollausgebildete Weiblein, alle aber zwerghaft klein.<br />

Kaum dafi letztere uns gewahrten, kauerten sie so tief als<br />

möglich im Boote zusammen, um sich unserem Auge zu ent­<br />

ziehen, die Männer aber ruderten heftig drauflos, und die<br />

ganze Gruppe verschwand in einem Seitenarm des Flusses.<br />

Neugierig geworden über diese Erscheinung, von der wir noch<br />

nie gehört hatten, interpellierten wir einen Malaien aus der<br />

Gegend, welcher uns erklärte, dafi diese Zwergmenschen eine<br />

ganz andere Sprache sprechen als sie und sich von jedem Ver­<br />

kehr mit den tibrigen Einwohnern fernhalten. Nach seinen<br />

Aussagen hätten sie auch keine Wohnstätten, sondern halten<br />

sich nachts entweder in ihren Booten auf. oder bauen sich<br />

quasi Nester auf den Bäumen, um gegen die TIger geschützt<br />

zu sein. Von den Malaien wurden diese Zwergmenschen<br />

"Orang-Utan" geheißen, das heißt Waldmenschen, nicht zu<br />

verwechseln mit den aus Borneo stammenden bekannten<br />

grofien Affen, welche ebenfalls unter diesem Namen bekannt<br />

sind. Sie werden auch "Semangs" genannt. FUr uns, die wir,<br />

wie gesagt, von der Existenz einer solchen Menschenrasse nie<br />

111


Fasanen und so weiter. Sie haben also keinen Museumswert<br />

mehr. Das kleine Meeresgeschmäus dagegen wurde, weil neu<br />

lind großenteils unbekannt, mit Phantasiepreisen bezahlt, wie<br />

denn auch unsdleinbare Vögel und kleine Säugetiere aus dem<br />

gleichen Grunde gute Preise lösten, hatten doch die Ein­<br />

geborenen diesen ihnen als zu gewöhnlich erscheinenden<br />

Tieren gar keine Aufmerksamkeit geschenkt, während mein<br />

Freund nach solchen fahnden ließ. Das Eigentümliche an<br />

diesem Geschäfte wal', daß ich selbst, weil alles direkt nach<br />

Basel ging, nie gesehen habe, was ich eigentlich geliefert und<br />

verkauft habe. Angesichts der eben geschilderten Verhält­<br />

nisse hätte das vom kommerziellen Standpunkte aus keinen<br />

Wert gehabt. Im übrigen konnten wir mit den Erlösen ja zu­<br />

frieden sein.<br />

"L'appetit vicnt en mangeant." Nachdem mein Basler so gut<br />

gefahren war, ging sein Begehren weiter: Menschenschädel<br />

sollten wir ihm verschaffen für anthropologische Studien an<br />

den Universitäten. DiesenAuftrag lehnten wir jedoch dankend<br />

ab. Die Herrlichkeit nahm überhaupt dadurch ein Ende, daß<br />

der Basler NaturaHenhändler schließlich seinen Sohn nach<br />

Indien zum Einkauf sandte, und es ist wohl anzunehmen, dan<br />

unser bisheriger Kunde durch ihn sein Verlangen nach Men­<br />

schenschädeln schlieJ3lich doch noch befriedigen konnte. Dieser<br />

Sohn hat sich übrigens seither einen Namen als Naturforscher<br />

gemacht.<br />

Der Abschied von Singapore ist mir recht schwer geworden.<br />

Ein liebenswürdiger Vorgesetzter, eine durchaus selbständige<br />

Stellung, anrege"de Arbeit, ein hodlintel'essantes Land und<br />

dabei ein Kreis lieber Freunde wirkten zusammen, um mir<br />

die in Singapore verlebten viel' Jahre damals als die glück:'<br />

lichsten meines Lebens erscheinen zu lassen. Auch der Um­<br />

stand, daß meine Zukunft in Dunkel gehüllt war, madüc mir<br />

den Abschied nicht leichtcl', hat doch in diesem Moment das<br />

Schicksal wiederum eincn di&en Strich durch meine Lebens­<br />

pläne gemacht.<br />

Die Heimreise wal' wiederum genu6reich. Auf ihr hatte ich<br />

Gelcgenheit, das gigantische W cl'k des Suezkanals kennen­<br />

zulernen, aber auch dessen TUcl,en. Man hatte uns vor Suez<br />

schon verkündet, daß wir uns einen Tag in Neapel aufhalten<br />

und dann genug Zeit haben werden, das damals noch nicht<br />

so allgemein bekannte Pompeji zu bcsudlen, worauf sich allc<br />

freuten. Das Mißgeschick wollte es, daß am Abend im Kanal<br />

ein vor uns fahrender groner Dampfer auffuhr, stecken blieb<br />

und erst am Morgen wieder flottgemacht wcrden konnte. Die<br />

Folge war, dan wir in Ncapel bei Nacht eintrafen und es vor<br />

der Morgendämmernng, gegen Marseille steuel'11d, wieder ver-<br />

12'1


lassen mt&ten, Es war mir also nur vergönnt, das Lichtermeer<br />

der um ihrer Schönheit willen berühmten Stadt zu sehen, und<br />

ich kam nie dazu, das Versäumte nachzuholen,<br />

Nach Hause zurückgelangt, hatte ich das Glück, meine An­<br />

gehörigen alle gesund wiederzufinden, Der Heimgekehrte<br />

stand aber immer nodl vor der bangen Frage: Was nun? -<br />

Doch kurz dal'auf fiel der Entscheid:<br />

Er, der einst im Auftrage seiner Lehrherren gegen das Auf­<br />

kommen der Stich:ereiindustric wettern mußte, wandte sich<br />

nun auch dieser zu, und wurde Stickereifabrikant. - Ironie<br />

des Schicksals!<br />

Es war dies um die Mitte des Jahres 18(3,

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