GL 3-2011 - der Lorber-Gesellschaft eV
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<strong>GL</strong> 3/<strong>2011</strong> Der Schuster Gottes<br />
27<br />
<strong>der</strong> geheimnisvolle Mann, dem er in seiner Jugend in dem Schusterladen<br />
begegnet war, hatte sie ihm ja vorausgesagt. Die strengen Gesetze seiner<br />
Zeit gegen Ketzerei konnten ihm eine rasche, schwere Strafe bescheren.<br />
Also betete er und wartete auf ein deutliches Zeichen, bevor er es wagte,<br />
auch nur ein Wort darüber zu schreiben, was ihm offenbart worden war.<br />
Schließlich kam dieses Zeichen von innen heraus „mit zwingen<strong>der</strong><br />
Macht“. Und Jakob Böhme - <strong>der</strong> kaum mehr gelesen hatte als seine Bibel<br />
und kaum mehr geschrieben als seinen eigenen Namen - begann nun seine<br />
göttlichen Offenbarungen zu Papier zu bringen.<br />
Seine erste Schrift Aurora. O<strong>der</strong> Morgenröte im Aufgang ist eines <strong>der</strong><br />
atemberaubendsten Werke <strong>der</strong> mystischen Literatur. Böhme beschreibt<br />
darin den Entstehungsprozess dieses Werkes und die Vision, die ihn dazu<br />
inspirierte, folgen<strong>der</strong>maßen: „In meinem Inneren nahm ich die ganze<br />
Schöpfung in ihrer Reihenfolge und Bewegung wahr; zuerst sah ich die<br />
göttliche Welt <strong>der</strong> Engel und des Paradieses; dann die dunkle Welt, das<br />
Reich des Feuers; und schließlich diese Welt um uns herum, sichtbar und<br />
greifbar, als Ergebnis und Ausdruck <strong>der</strong> beiden inneren, ewigen,<br />
verborgenen Welten. Darüber hinaus begriff ich das ganze Sein und den<br />
Urgrund Gottes sowie des Bösen.“<br />
Obwohl er nicht über die Schulbildung und den geschliffenen Stil<br />
seiner Zeitgenossen verfügte, besaß er die visionäre Klarheit und Tiefe, die<br />
nur von Gott inspirierten Menschen zuteil wird. In seinem Buch Men Who<br />
Have Walked with God schreibt Sheldon Cheney: „In jenen Eigenschaften,<br />
die ein literarisches Werk zu etwas Großartigem, Inspirierendem machen,<br />
in <strong>der</strong> Klarheit, Treffsicherheit und Lebendigkeit seiner Worte übertraf<br />
Böhme in unzähligen Textpassagen seiner Werke die meisten Schriftsteller<br />
seiner Zeit.“<br />
Und doch strebte Jakob Böhme, <strong>der</strong> einer <strong>der</strong> tiefsinnigsten und<br />
produktivsten mystischen Schriftsteller werden sollte, die je gelebt haben,<br />
niemals nach Anerkennung. Von seinen umfangreichen Schriften wurde zu<br />
seinen Lebzeiten nur ein einziges Buch veröffentlicht, und das ohne sein<br />
Wissen und ohne seine Genehmigung. Jakob schrieb nicht zu seinem<br />
eigenen Ruhm, son<strong>der</strong>n nur, um die göttlichen Wahrheiten aufzuzeichnen,<br />
die ihm offenbart wurden; denn er wusste: Wenn er sie unausgesprochen<br />
mit ins Grab nahm, raubte er sie <strong>der</strong> Welt, so wie <strong>der</strong> arme Knecht im<br />
Gleichnis Jesu Christi seinen einzigen Zentner Geldes in <strong>der</strong> Erde vergräbt.<br />
Eines Tages entdeckte Karl von En<strong>der</strong>n, ein adliger Student <strong>der</strong><br />
Philosophie und Mystik, Aurora in Jakobs Schusterladen und las das<br />
Werk. Beeindruckt vom Tiefsinn dieser Worte borgte von En<strong>der</strong>n es sich<br />
aus, fertigte Kopien davon an und brachte sie in seinem Freundeskreis in