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GL 3-2011 - der Lorber-Gesellschaft eV

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32 Mit Augustinus am Meer<br />

<strong>GL</strong> 3/<strong>2011</strong><br />

Da traf er ein Kind, das mit einer Muschel Wasser aus dem Meer in<br />

eine kleine Grube schüttete. „Was tust du da?“, fragte er freundlich. „Ich<br />

schöpfe das Meer aus“, antwortete das Kind.<br />

Augustinus lächelte. Darauf das Kind: „Es wird mir eher gelingen, mit<br />

meiner Muschel das Meer auszuschöpfen, als dir mit deinem Nachdenken,<br />

das Wesen Gottes zu erkennen.“<br />

Das gute Kind - es war wohl Augustinus selber, <strong>der</strong> so mit sich sprach.<br />

Sein inneres Kind. Auf eine fast rührende Weise zeigt diese Legende, dass<br />

kindliche Unschuld näher bei <strong>der</strong> Wahrheit liegen kann als alle kluge<br />

Gelehrsamkeit.<br />

Augustinus, <strong>der</strong> selber einen unehelichen Sohn hatte, schien gerne mit<br />

Kin<strong>der</strong>n zusammen zu sein, wenigstens für ein paar Momente: „Wenn wir<br />

mit ihrem Herzen verbunden sind, wird uns selbst das Alte neu erscheinen.<br />

Während sie uns lauschen, halten sie gleichsam Zwiesprache mit unserem<br />

Inneren - und während wir sie lehren, lernen wir gleichsam in ihnen mit.“<br />

Das Kind im Herzen eröffnete dem gelehrten Augustinus neue<br />

Perspektiven: Das scheinbar Bekannte, aber vielleicht nie wirklich<br />

Erkannte zeigte sich von ganz ungewohnten Seiten. Manche<br />

Selbstverständlichkeit war plötzlich ein Rätsel, ein Geheimnis, ein<br />

Wun<strong>der</strong>.<br />

Augustinus verstand es, mit den Augen eines Kindes die Welt neu zu<br />

entdecken: „Es ist geradeso, wie wenn wir miteinan<strong>der</strong> einen Ausflug<br />

machen und dabei dem an<strong>der</strong>en das Schöne zeigen, das sich vor unseren<br />

Augen in Stadt o<strong>der</strong> Landschaft dehnt. Wir mögen früher noch so oft<br />

vorübergegangen sein, ohne beson<strong>der</strong>s berührt zu werden - jetzt, da wir es<br />

dem an<strong>der</strong>en zeigen, dem es noch fremd ist, wird an seinem frischen<br />

Erlebnis auch in uns selbst <strong>der</strong> Genuss des Schönen neu.“<br />

Das Kind verweist auf die Möglichkeit, die Schranken <strong>der</strong> eigenen<br />

Wahrnehmung zu überschreiten und jenseits <strong>der</strong> alten Muster und<br />

Konzepte die Wirklichkeit neu zu entdecken. Augustinus brachte diesen<br />

Prozess auf eine Formel, die beinahe zen-buddhistisch anmutet: „Du musst<br />

leer werden dessen, womit du gefüllt bist, auf dass du gefüllt werden<br />

kannst mit dem, dessen du leer bist.“<br />

Dieses Leerwerden muss Augustinus selber schwer gefallen sein. Er<br />

war ein Rechthaber, ertrug keinen Wi<strong>der</strong>spruch und bekämpfte<br />

abweichende Meinungen. Aber das Kind in ihm ließ ihm keine Ruhe. Es<br />

stachelte ihn an, weiterzugehen, weiterzusuchen. Mit unruhigem Herzen<br />

und einer glühenden Liebe zur Weisheit.<br />

(Quelle: Wie schnürt ein Mystiker seine Schuhe, Her<strong>der</strong>-Verlag)

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