Unbequem Nr. 46/47 - Kritische Polizisten
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UNBEQUVv<br />
Die Würde des Polizei-Hundes<br />
ist unantastbar<br />
Ein Resümee des 5. Castortransportes ins Wendland.<br />
VON MATHIAS EDLER.<br />
Agenturen, Zeitungen, Radio und Fernsehen<br />
berichten vergangene Woche, dass<br />
vier Polizeibeamte zu hohen Gefängnisstrafen<br />
verurteilt wurden, die ihre<br />
Diensthunde auf Menschen gehetzt hatten.<br />
Zur lückenlosen Beweisführung trug<br />
ein Video bei, dass die Beamten von dem<br />
Vorfall gedreht hatten. Die Opfer waren<br />
schwarze Einwanderer, die Täter weiße<br />
Uniformträger und die Tat<br />
selbst wurde 1998 in Südafrika<br />
begangen, das Gericht<br />
tagte in Pretoria. Das hat<br />
doch nichts, aber auch rein<br />
gar nichts mit dem Anti<br />
Atom-Protest in Gorleben zu<br />
tun. Oder?<br />
Bei den Castordemonstrationen<br />
Mitte November<br />
rund um Gorleben wurden<br />
24 Demonstranten durch Polizeihunde<br />
verletzt, 2 davon<br />
schwer. Viele der Opfer wurden<br />
mehrfach gebissen. Ein<br />
scharfer Hund hatte sich so<br />
in den Unterarm eines<br />
Atqmkraftgegners verbissen,<br />
dass sein Kiefer mit einem<br />
Polizeiknüppel aufgebrochen<br />
werden musste. Medien haben<br />
davon kaum Notiz genommen. Obwohl<br />
sogenannte Doku-Teams der uniformierten<br />
Einsatzkräfte mit der Kamera vor Ort<br />
waren, ist nicht damit zu rechnen, dass<br />
das Filmmaterial von bundesdeutschen<br />
Gerichten zur Verurteilung der Täter angefordert<br />
wird geschweige denn von<br />
der Exekutive freiwillig herausgerückt<br />
wird.<br />
Das methodische Vorgehen insbesondere<br />
der Polizeieinsatzleitung gegen den<br />
Anti-Atom-Protest hat mit dem fünften<br />
Castortransport ins Gorlebener ,,2wischen"-Lager<br />
eine neue Qualität erreicht<br />
und zwar in mehrfacher Hinsicht: Neben<br />
den spektakulären Einsätzen von Hunden<br />
(ohne Maulkorb), sprengten Reiterstaffeln<br />
in Sitzblockaden, wurde pfefferspray<br />
direkt ins Gesicht gesprüht, trugen<br />
die leider schon üblichen Polizeigriffe<br />
und -tritte zl! den insgesamt 114 verletzten<br />
Demonstranten bei (9 Schwerverletzte).<br />
Wie ebenfalls üblich wurden medizinische<br />
Rettungskräfte an Polizeisperren<br />
aufgehalten, Verbandsmaterialien bei<br />
Kontrollen beschlagnahmt und vernichtet.<br />
Nicht üblich: Neben der günstigen<br />
politischen Großwetterlage ("Krieg gegen<br />
den Terrorismus") hatte der Bereich<br />
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Polizei<br />
ganze Arbeit geleistet. Die Rechtsverletzungen<br />
fanden in den Medien keinen<br />
Platz. Der Gesamteinsatzleiter Hans<br />
Reime konnte Anfang Dezember dieses<br />
Thema in einem Interview ganz banal<br />
und trotzdem unbehelligt umschiffen, indem<br />
er einfach angab, von Übergriffen<br />
und Hundebissen wisse er nichts. Punkt.<br />
Keine Nachfragen. Eine zufriedengestellte<br />
Öffentlichkeit?<br />
Während der Transporttage nahmen<br />
die Einsatzkräfte 777 Menschen in Gewahrsam.<br />
Geht man von den offiziell geschätzten<br />
ca. 4.000 Demonstranten im<br />
Wendland aus, haben ein Fünftel aller<br />
protestierenden Menschen 24 Stunden<br />
und länger in Gefangenensammelstellen<br />
eingesessen. Die miserablen Haftbedingungen<br />
sind ein Thema fUr sich und<br />
kommen einer vorweggenommenen Bestrafung<br />
durch die Exekutive, nicht<br />
durch die zuständige Judikative, gleich.<br />
In den meisten Fällen wurden die Demonstranten<br />
weit außerhalb der an sich<br />
schon fragwürdigen Demonstratiosverbotszone<br />
50 m längs der Transportslre-<br />
cke festgenommen und denkwürdiger<br />
Weise haben Richter lediglich in vier<br />
Fällen die Fortsetzung des Gewahrsams<br />
bestätigt. Nur 100 Fälle landeten überhaupt<br />
auf den Schreibtischen der Richter.<br />
Die anderen saßen "einfach so" ein. Und<br />
der polizeiliche Apparat arbeitete so<br />
langsam es eben nur geht. Hauptsache,<br />
das Einsatzziel wurde nicht aus den Augen<br />
verloren: die Leute<br />
vom Demonstrieren abzuhalten.<br />
Alle Camps wurden<br />
von der Bezirksregierung<br />
verboten und die<br />
Verbote von den Einsatzleitern<br />
vor Ort mit<br />
ähnlicher Verschleppungstaktik<br />
wie die Ingewahrsamnahmen<br />
umgesetzt:<br />
Campplatz abgeriegelt,<br />
Ersatzort angeboten,<br />
Demonstranten<br />
erstmal alles zusammenpacken<br />
und losfahren<br />
lassen, dann Ersatzort<br />
auch verboten, neuer<br />
Platz angeboten, aber<br />
nur noch für Informationspunkt,<br />
nicht zum Übernachten.<br />
,,Zeit schinden und zermürben" hieß das<br />
abgesprochene Motto zwischen Bezirksregierung<br />
und Einsatzleitung. Ein Wunder,<br />
dass sich die Demonstranten dies mit<br />
unendlicher Geduld haben bieten lassen<br />
und nicht das vorher von Einsatzleiter<br />
Reime prophezeite und von ihm systematisch<br />
geplante "mehr an Militanz" zur<br />
Folge hatte. Während Einsatzkräfte auf<br />
Grundlage des NGefAG unzählige Platzverweise<br />
gegen Demonstranten z.B. für<br />
den "gesamten norddeutschen Raum"<br />
z.B. wegen Mitführen eines Apfels<br />
("Wurfgeschoss") oder "Campingausrustung"<br />
aussprachen, verbot die Bezirksregierung<br />
Lüneburg 14 Tage zuvor von der<br />
Bürgerinitiative angemeldete Kundgebungen<br />
erst 24 Stunden vor deren Beginn.<br />
Die schnell angerufenen Verwaltungsgerichte<br />
stießen ins gleiche Horn<br />
und das Bundesverfassungsgericht sah<br />
sich außerstande, so "wichtige Fragen in<br />
fünf Stunden zu beurteilen". Dabei hat-<br />
30<br />
Dezember 2001