Nathan der Weise Unterrichtsmaterialien - Akzente
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<strong>Nathan</strong> <strong>der</strong> <strong>Weise</strong><br />
<strong>Unterrichtsmaterialien</strong><br />
Drama ab 14 Jahren<br />
Von Gotthold Ephraim Lessing<br />
Inszenierung: Tim Kramer<br />
Dramaturgie: Heiko Voss<br />
Premiere am 18. September 2010<br />
Ein Plädoyer für Toleranz<br />
Als aufschlussreiche und anregende Lektüre für den Deutschunterricht ist „<strong>Nathan</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Weise</strong>“ nicht mehr wegzudenken.<br />
Das Drama ist ein spätes Meisterwerk Gotthold Ephraim Lessings, eines <strong>der</strong><br />
bedeutendsten Schriftsteller <strong>der</strong> Aufklärung. Hier lässt er religiöse Standpunkte<br />
aufeinan<strong>der</strong>prallen, um den Toleranzgedanken nur umso strahlen<strong>der</strong> aufscheinen zu<br />
lassen.<br />
Gemeinsam mit dem Schauspielensemble des Salzburger Landestheaters können<br />
die Gedankengänge Lessings während <strong>der</strong> Aufführung messerscharf nachvollzogen<br />
werden. Doch auch vor und nach <strong>der</strong> Vorstellung bietet Lessings dramatisches<br />
Gedicht genügend Anknüpfungspunkte, um sich den drei großen monotheistischen<br />
Weltreligionen von verschiedenen Seiten anzunähern.<br />
Inhalt<br />
I. Einführung „<strong>Nathan</strong> <strong>der</strong> <strong>Weise</strong>“<br />
II. Hintergrundinformationen<br />
III. Anregungen für den Unterricht<br />
IV. Literaturempfehlungen<br />
V. Anhang<br />
Salzburger Landestheater | Junges Land | Angela Beyerlein<br />
T: +43 (0) 662 / 871512 - 124 | M: theaterpaedagogik@salzburger-landestheater.at
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Inhaltsverzeichnis<br />
I. Einführung „<strong>Nathan</strong> <strong>der</strong> <strong>Weise</strong>“<br />
1. Die Handlung<br />
2. Die Figuren<br />
3. Die Besetzung des Salzburger Landestheaters<br />
II. Hintergrundinformationen<br />
1. Zum Stück „<strong>Nathan</strong> <strong>der</strong> <strong>Weise</strong>“<br />
2. Zur Entstehungsgeschichte von „<strong>Nathan</strong> <strong>der</strong> <strong>Weise</strong>“<br />
3. Zum Autor<br />
4. Gotthold Ephraim Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts<br />
5. Hans Küng: Der gemeinsame Gottesglaube <strong>der</strong> drei abrahamischen<br />
III. Anregungen für den Unterricht<br />
1. Vorbereitung des Theaterbesuchs<br />
1.1. Übung: Standbil<strong>der</strong> zur Bedeutung <strong>der</strong> Religion im Alltag<br />
1.2. Übung: Ort- Beziehung – Konflikt<br />
1.3. Übung: Improvisation zu Vorurteilen gegenüber an<strong>der</strong>en Religionen<br />
1.4. Übung: Szenische Religionskonflikte<br />
2. Nachbereitung des Theaterbesuchs<br />
2.1. Übung: Recha und Kurt<br />
2.2. Übung: Talkshow<br />
IV. Literaturempfehlungen<br />
V. Anhang<br />
Rollenkarten für Talkshow<br />
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I. Einführung „<strong>Nathan</strong> <strong>der</strong> <strong>Weise</strong>“<br />
1. Die Handlung<br />
Während eines Waffenstillstandes in Jerusalem; im 12. Jahrhun<strong>der</strong>t, zur Zeit <strong>der</strong><br />
Kreuzzüge:<br />
Der Jude <strong>Nathan</strong> hat ein elternloses Christenmädchen angenommen, das er als<br />
seine eigene Tochter aufzieht. Recha gegenüber verschweigt er die christliche<br />
Abstammung, erzieht sie aber keineswegs im eigenen Glauben, als vielmehr nach<br />
den Gesetzen <strong>der</strong> Vernunft. Von einer Reise kommend erfährt er von Rechas<br />
christlicher Gesellschafterin Daja, dass sein Haus gebrannt hat. Recha wurde gerade<br />
noch von einem jungen Tempelherrn, einem christlichen Ordensritter, aus den<br />
Flammen gerettet. Diesem wie<strong>der</strong>um war es nur möglich, Recha zu retten, da er<br />
vorher von Sultan Saladin, dem muslimischen Herrscher über Jerusalem, verschont<br />
worden war. Jener hatte den Tempelherrn als einzigen unter vielen Gefangenen<br />
begnadigt, weil er seinem verschollenen Bru<strong>der</strong> Assad so ähnlich sieht.<br />
Recha glaubt, dass ihre Rettung einzig durch ein Wun<strong>der</strong> vollzogen werden konnte,<br />
sie glaubt an einen Engel, dem sie das Leben verdankt. Um dem Tempelherrn<br />
seinen Dank auszusprechen, jedoch auch, um Rechas Überzeugung zu wi<strong>der</strong>legen,<br />
bittet <strong>Nathan</strong> den jungen Christen in sein Haus.<br />
Derweilen hat Saladin finanzielle Sorgen, weswegen er den reichen <strong>Nathan</strong> zu sich<br />
bringen lässt. Er möchte bei ihm leihen. Um den als <strong>Weise</strong> bekannten <strong>Nathan</strong> in<br />
Verlegenheit zu bringen, stellt er ihm die Frage nach <strong>der</strong> wahren Religion. <strong>Nathan</strong><br />
antwortet mit einer Erzählung, <strong>der</strong> Parabel über die drei Ringe, von denen ein je<strong>der</strong><br />
über die wahre Religion Auskunft geben kann. Jede Religion muss nach dem Guten<br />
streben, um dem Anspruch Gottes gerecht zu werden. Der Toleranzgedanken und<br />
die damit verbundene Gleichberechtigung <strong>der</strong> drei großen monotheistischen<br />
Religionen beeindrucken Saladin zutiefst.<br />
Der Tempelherr hat sich unterdessen in Recha verliebt. Eine Ehe zwischen Jüdin<br />
und Christ ist ausgeschlossen, doch Daja weiß um das Geheimnis von Rechas<br />
christlicher Abstammung und verrät es kurzerhand an den jungen Liebenden. Der<br />
Tempelherr zieht nun den Patriarchen zu Rate, den Bischof von Jerusalem, <strong>der</strong><br />
rigoros das Gesetz <strong>der</strong> Christenheit postuliert, nach dem auf <strong>Nathan</strong>s Vergehen die<br />
Todesstrafe steht. Er schil<strong>der</strong>t den Fall jedoch als reine Hypothese und lässt den<br />
Namen des Juden ungenannt.<br />
Von Indizien angespornt betreibt <strong>Nathan</strong>, <strong>der</strong> längst von den Heiratsplänen des<br />
Tempelherrn erfahren hat, indes seine eigenen Nachforschungen: Durch ein<br />
Verzeichnis eines Klosterbru<strong>der</strong>s stellt sich letztlich heraus, dass Recha die leibliche<br />
Schwester des jungen Tempelherrn ist. Zugleich sind sie die Kin<strong>der</strong> Assads,<br />
Saladins Bru<strong>der</strong>, und finden so im herrschenden Sultan ihren Onkel.<br />
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2. Die Figuren<br />
Sultan Saladin ist ein ranghoher Vertreter des muslimischen Glaubens, <strong>der</strong> vor<br />
Beginn <strong>der</strong> dramatischen Handlung einem Tempelherrn das Leben geschenkt hat, da<br />
ihn dieser an seinen Bru<strong>der</strong> erinnerte. Der historische Salah-ed-Din (1138-93)<br />
stammte aus einer kurdischen Familie, die in Syrien und Ägypten zu hohen<br />
militärischen Würden gelangt war. Ihm gelang es zudem, bereits kurz nach seiner<br />
Amtsübernahme die politische Macht zu übernehmen. Er reorganisierte das<br />
ägyptische Reich und gründete 1171 die Dynastie <strong>der</strong> Aijubiden. Durch erfolgreiche<br />
Eroberungszüge nach Syrien und Mesopotamien vergrößerte er sein Reich so, dass<br />
es den Kreuzfahrerstaat Jerusalem einschloss. Nach einem Friedensbruch <strong>der</strong><br />
Franken schlug er 1187 das Kreuzfahrerheer vernichtend bei Hittin in Nordpalästina<br />
und eroberte anschließend den größten Teil des Königreiches. Jerusalem öffnete<br />
ihm kampflos die Tore, als er großzügige Bedingungen zusicherte. Der zwischen<br />
Richard Löwenherz und Saladin ausgehandelte Waffenstillstand von 1192 gewährte<br />
zwar christlichen Pilgern freien Zugang zu den heiligen Stätten, die vormaligen<br />
Besitzungen <strong>der</strong> Kreuzritter blieben aber bis zu seinem frühen Tod in Saladins<br />
Händen.<br />
Sittah ist die Schwester des Sultans. Für sie gibt es kein historisches Vorbild. Sie<br />
gehört wie ihr Bru<strong>der</strong> dem muslimischen Glauben an und steht Saladin beratend zur<br />
Seite.<br />
<strong>Nathan</strong> ist ein reicher jüdischer Kaufmann, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Stadt Jerusalem mit den<br />
herrschenden Moslems zusammen lebt. Er hat vor vielen Jahren seine Frau und<br />
seine sieben Söhne bei einem Überfall <strong>der</strong> Christen verloren. Kurz darauf wurde ihm<br />
jedoch ein kleines Christenmädchen anvertraut, das er an seiner Kin<strong>der</strong> statt<br />
angenommen hat. Er nennt sie Recha und lässt sie über ihre wahre Herkunft im<br />
Unklaren, jedoch erzieht er sie nicht in seinem eigenen Glauben, son<strong>der</strong>n vielmehr<br />
nach den Regeln <strong>der</strong> Vernunft, die er vehement vertritt.<br />
Recha ist die angenommene Tochter <strong>Nathan</strong>s, die von ihrer christlichen<br />
Abstammung nicht das Geringste weiß und <strong>Nathan</strong> für ihren biologischen Vater hält.<br />
Sie wurde von einem jungen Tempelherrn aus den Flammen eines brennenden<br />
Hauses gerettet.<br />
Daja, eine Christin, die im Hause <strong>Nathan</strong>s als Gesellschafterin <strong>der</strong> Recha lebt, weiß<br />
um die wahre Religionszugehörigkeit Rechas, hütet das Geheimnis bisher jedoch,<br />
auch wenn sie <strong>Nathan</strong> immer wie<strong>der</strong> dazu auffor<strong>der</strong>t, Recha die Zugehörigkeit zu<br />
offenbaren.<br />
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Der junge Tempelherr ist ein christlicher Kreuzritter, ein geistlicher Soldat, <strong>der</strong> dem<br />
Orden <strong>der</strong> Tempelherren angehört. Er wurde vor Jerusalem von Saladins Armee<br />
besiegt, jedoch vom Sultan persönlich begnadigt, so dass er sich frei in <strong>der</strong> Stadt<br />
bewegen kann. In <strong>der</strong> Folge rettet er Recha aus dem brennenden Hause <strong>Nathan</strong>s,<br />
<strong>der</strong> gerade abwesend ist. Die Tempelherren waren für ihre gewalttätigen Kriegszüge<br />
im Rahmen <strong>der</strong> Kreuzzüge bekannt. Ihre Kontrahenten waren nicht nur die Muslime,<br />
son<strong>der</strong>n auch die Hospitalier, ein weiterer christlicher Orden, mit dem sie sich<br />
ebenso oft schlugen wie mit den Muslimen. Das weiße Kleid <strong>der</strong> Tempelherrn und<br />
<strong>der</strong> schwarze Oberrock <strong>der</strong> Hospitalier war eine beständige Losung des Schlachtens.<br />
Der Derwisch ist ein mohammedanischer Mönch, <strong>der</strong> von freiwilligen Gaben in<br />
Einsiedeleien o<strong>der</strong> Klöstern lebt. Mögliche Übersetzungen lauten Armer, Wan<strong>der</strong>er<br />
o<strong>der</strong> Bettler. Hier ist <strong>der</strong> Derwisch Al-Hafi im Dienste des Sultans Saladin als<br />
Schatzmeister angestellt. Zugleich ist er ein Freund <strong>Nathan</strong>s.<br />
Der Patriarch von Jerusalem war als Bischof das christliche Oberhaupt <strong>der</strong> Stadt<br />
Jerusalem, bis sie von Saladin eingenommen wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt war er<br />
die oberste Instanz <strong>der</strong> Stadt. Das historische Vorbild dieses Bischofs von Jerusalem<br />
ist <strong>der</strong> Patriarch Heraklius. Als Jerusalem 1187 eingenommen wurde, verließ er die<br />
Stadt mitsamt seinem geistlichen Gefolge, wobei er nicht vergaß, die Gold- und<br />
Silberschätze, die geweihten Gefäße sowie den Schatz des heiligen Grabes mit sich<br />
zu nehmen.<br />
Der Klosterbru<strong>der</strong> ist ein Mönch in Diensten des Patriarchen, <strong>der</strong> eine bewegte<br />
Vergangenheit hat. Er war zunächst Reitknecht eines christlichen Herrschers, bevor<br />
er sich als Eremit unweit Jerichos nie<strong>der</strong>ließ. Von dort wurde er durch Araber<br />
vertrieben und fand zuletzt Unterschlupf beim Patriarchen von Jerusalem, wo er jetzt<br />
sein Leben fristet. Als Reitknecht Wolfs von Filneg war er es, <strong>der</strong> dessen Tochter<br />
Blanda von Filneg zu <strong>Nathan</strong> brachte. Weil <strong>der</strong>en Mutter kurz zuvor verstorben war<br />
und <strong>der</strong> Vater nach Gazza musste, wohin er die Kleine unmöglich mitnehmen<br />
konnte, wurde er damit beauftragt, das Töchterchen zum befreundeten <strong>Nathan</strong> zu<br />
bringen. Dieser nahm sie unter dem Namen Recha als sein eigenes Kind an.<br />
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3. Die Besetzung des Salzburger Landestheaters<br />
Inszenierung<br />
Tim Kramer<br />
Bühne<br />
Gernot Sommerfeld<br />
Kostüme Natascha Maraval<br />
Musik<br />
Heinz Fallmann<br />
Dramaturgie<br />
Heiko Voss<br />
Saladin<br />
Sittah<br />
<strong>Nathan</strong><br />
Recha<br />
Daja<br />
Tempelherr<br />
Derwisch<br />
Patriarch<br />
Klosterbru<strong>der</strong><br />
Sascha Oskar Weis<br />
Ulrike Walther<br />
Gero Nievelstein<br />
Cathrin Zellmer / Anna Unterberger<br />
Gudrun Gabriel<br />
Sebastian Fischer<br />
Gerhard Peilstein<br />
Werner Friedl<br />
Christoph Wieschke<br />
Probenfoto aus <strong>der</strong> Inszenierung am Salzburger Landestheater – Sascha Oskar Weis (Saladin), Gero<br />
Nievelstein (<strong>Nathan</strong>), Cathrin Zellmer (Recha)<br />
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II. Hintergrundinformationen<br />
1. Zum Stück „<strong>Nathan</strong> <strong>der</strong> <strong>Weise</strong>“<br />
Bezeichnend für den ‚<strong>Nathan</strong>’ ist, dass die hier auftretenden Figuren nicht nur<br />
theoretisierend über Religionen reden, son<strong>der</strong>n diese auch verkörpern, ja dass sie in<br />
ihrer beson<strong>der</strong>en Zusammensetzung die Relationen darstellen, die die Religionen<br />
untereinan<strong>der</strong> haben sollten. Die Ringparabel bleibt noch weitgehend auf <strong>der</strong> Ebene<br />
<strong>der</strong> didaktischen Darlegung; das Spiel <strong>der</strong> Personen dagegen leistet die Darstellung<br />
<strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> Ringparabel.<br />
Verwandtschaft bestimmt sowohl das Verhältnis <strong>der</strong> Personen in <strong>der</strong> Erzählung als<br />
auch im Drama. Den drei Brü<strong>der</strong>n und drei Ringen entsprechen die drei Religionen.<br />
So unkenntlich <strong>der</strong> echte Ring ist, so unerkannt bleiben für die Figuranten auf lange<br />
Zeit die eigene Herkunft und die verschlungenen Religionszugehörigkeiten (Recha,<br />
das Christenmädchen, gilt als Jüdin; <strong>der</strong> christliche Tempelherr ist Sohn eines<br />
Mohammedaners und Bru<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jüdin), so unentschieden bleibt aber auch im<br />
ganzen Drama die Grundsatzfrage nach <strong>der</strong> einzig echten Religion. Was dagegen<br />
durch dramatische Analysis zutage tritt, ist die Erkenntnis, dass vier Vertreter dreier<br />
Religionen miteinan<strong>der</strong> verwandt sind und damit einen Zustand vorführen, <strong>der</strong> auch<br />
für die Religion selbst gelten sollte. Die Analyse <strong>der</strong> Vorgeschichte wird<br />
vor<strong>der</strong>gründig durch <strong>Nathan</strong>s Nachforschungen betrieben; im Grunde aber hat sie<br />
bereits dadurch begonnen, dass maßgebende Personen den Rat des greisen<br />
Richters befolgt haben, alle drei Söhne sollten in ihrem sittlichen Bemühen so um die<br />
Wette streiten, als wäre je<strong>der</strong> im Besitz des echten Ringes, dann werde sich am<br />
Ende zeigen, wer sich durch persönliche Leistungen des magischen Kleinods wert<br />
erwiesen habe. So als hätten sie den Auftrag des Richters erahnt, haben die drei<br />
Hauptvertreter <strong>der</strong> verschiedenen Weltreligionen bereits in <strong>der</strong> Vorgeschichte des<br />
Dramas Anstrengungen unternommen und durch bemerkenswerte Taten Zeugnis<br />
von ihrem Wert abgelegt; <strong>Nathan</strong>, <strong>der</strong> Jude, nahm einst ein Christenkind als Tochter<br />
an, obwohl Christen ihm zuvor seine Frau und sieben Söhne getötet hatten; <strong>der</strong><br />
Mohammedaner Saladin begnadigte den christlichen Tempelherrn, so dass dieser<br />
das vermeintliche Judenmädchen aus dem Feuer retten konnte. Alle drei Männer<br />
verübten ihre Rettungstaten an An<strong>der</strong>sgläubigen. Was die Parabel for<strong>der</strong>t, löst das<br />
Drama ein: Je<strong>der</strong> erkennt und anerkennt den Wert des an<strong>der</strong>en und An<strong>der</strong>sartigen.<br />
Lessing trifft die religiösen Standpunkte dabei genau – und ist damals so aktuell wie<br />
heute. Die Gattungsbezeichnung „dramatisches Gedicht“ deutet auf die<br />
Parabelhaftigkeit des Werkes hin: Verschiedene Standpunkte werden exemplarisch<br />
vorgeführt, diskutiert und verglichen. Die Grundwerte <strong>der</strong> Religionen unterscheiden<br />
sich dabei kaum, denn sie sind einan<strong>der</strong> eng verwandt. Alle drei sind<br />
monotheistische Religionen: Man glaubt an einen, allumfassenden Gott, <strong>der</strong> den<br />
Kosmos erschaffen hat und in das Weltgeschehen eingreifen kann. Doch treten bei<br />
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Lessing nicht nur Vertreter <strong>der</strong> verschiedenen Religionen auf. Auch innerhalb <strong>der</strong><br />
Religionen zeigt er die unterschiedlichsten Standpunkte. Damit eröffnet er eine<br />
religionsphilosophische Debatte, die nicht allein nach außen gerichtet ist, son<strong>der</strong>n<br />
auch den Blick ins Innere <strong>der</strong> Religionen nicht scheut.<br />
Probenfoto aus <strong>der</strong> Inszenierung am Salzburger Landestheater - Gero Nievelstein (<strong>Nathan</strong>)<br />
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2. Zur Entstehungsgeschichte von „<strong>Nathan</strong> <strong>der</strong> <strong>Weise</strong>“<br />
„<strong>Nathan</strong> <strong>der</strong> <strong>Weise</strong>“ ist die Reaktion Lessings auf<br />
die Zensur seiner Veröffentlichungen im<br />
Fragmentenstreit. Die sogenannten Fragmente<br />
des Hamburger Orientalisten Hermann Samuel<br />
Reimarus hatte Lessing von dessen Kin<strong>der</strong>n<br />
erhalten. Seit 1774 veröffentlichte er in den<br />
„Beiträgen aus den Schätzen <strong>der</strong> Herzoglichen<br />
Bibliothek zu Wolfenbüttel“ Teile <strong>der</strong> ihm<br />
überlassenen unvollständigen Handschrift unter<br />
dem Titel „Fragmente eines Ungenannten“, die er<br />
durch „Gegensätze des Herausgebers“ ergänzte.<br />
Erst die letzten Fragmente entfesselten den<br />
theologischen Streit, in dem <strong>der</strong> Hauptpastor J. M.<br />
Goeze sich als Lessings härtester Gegner<br />
hervortat. Neben den berühmten polemischen<br />
Briefen, den „Anti-Goezen“, schrieb Lessing eine<br />
Reihe an<strong>der</strong>er Erwie<strong>der</strong>ungen. Das Manuskript<br />
von Reimarus spiegelt den Angelpunkt <strong>der</strong> theologischen Kontroverse des 18.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts wi<strong>der</strong>: Es ist <strong>der</strong> Gegensatz von emanzipierter Vernunft und Glauben,<br />
<strong>der</strong> sich am absoluten Wahrheitsanspruch <strong>der</strong> christlichen Offenbarung materialisiert.<br />
Infolge des Mundverbots verlegte Lessing seine Aktivität auf das Theater und griff mit<br />
„<strong>Nathan</strong> <strong>der</strong> <strong>Weise</strong>“ einen lange entworfenen Plan wie<strong>der</strong> auf. Der Stoff hat vor ihm<br />
keine dramatische Gestaltung gefunden. Er entnahm ihn einer Novelle des<br />
Boccaccio, <strong>der</strong>en zentrales Motiv, die Parabel von den drei Ringen, allerdings eine<br />
längere, Lessing nicht gänzlich verborgene Tradition hat. Bei <strong>der</strong> Grundidee griff er<br />
zudem eine Sure des Koran auf:<br />
„Und Wir haben das Buch mit <strong>der</strong> Wahrheit zu dir herabgesandt, das bestätigt, was<br />
von <strong>der</strong> Schrift vor ihm da war und darüber Gewissheit gibt; richte also zwischen<br />
ihnen und dem, was Gott herabgesandt hat, und folge nicht ihren Neigungen, von <strong>der</strong><br />
Wahrheit abzuweichen, die zu dir gekommen ist. Für jeden von euch haben wir<br />
Richtlinien und eine Laufbahn bestimmt. Und wenn Gott gewollt hätte, hätte Er<br />
euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht. Er wollte euch aber in alledem, was<br />
Er euch gegeben hat, auf die Probe stellen. Darum sollt ihr um die guten Dinge<br />
wetteifern. Zu Gott werdet ihr allesamt zurückkehren; und dann wird Er euch das<br />
kundtun, worüber ihr uneins wart.“ (Sure 5, 48)<br />
Wetteifern um die guten Dinge, das ist <strong>der</strong> Kerngedanke <strong>der</strong> Ringparabel, die,<br />
inmitten <strong>der</strong> Dramaturgie des Dramas platziert, das Grundmuster für die Handlung<br />
vorgibt. Diese verlegt Lessing in die Zeit <strong>der</strong> Kreuzzüge, in das 12. Jahrhun<strong>der</strong>t nach<br />
christlicher Zeitrechnung. Seine Hauptquellen sind dafür Voltaires Essay „Geschichte<br />
<strong>der</strong> Kreuzzüge“, den Lessing 1751 zusammen mit an<strong>der</strong>n Essays ins Deutsche<br />
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übersetze, und die „Geschichte Saladins Sulthans von Egypten und Syrien“ von<br />
Francois Louis Claude Marins, 1761 von E. G. Küster ins Deutsche übersetzt.<br />
Hieraus bezieht Lessing seine Informationen für die Zeit und die Figuren, die<br />
teilweise historische Vorbil<strong>der</strong> haben. Lessing hat sein dramatisches Gedicht über<br />
die Toleranz noch zu Lebzeiten fertig stellen können, uraufgeführt wurde es jedoch<br />
erst am 14. April 1783 in Berlin. Lessing war zu diesem Zeitpunkt bereits über zwei<br />
Jahre Tod, sein spätes Meisterwerk wurde jedoch erst zur Aufführung gebracht, als<br />
es die Bedingungen erlaubten – es wirkt bis heute nach und hat an Aktualität nicht<br />
das geringste verloren.<br />
3. Zum Autor<br />
Gotthold Ephraim Lessing (1729-81) war einer <strong>der</strong><br />
bedeutendsten Schriftsteller <strong>der</strong> Aufklärung. Die<br />
Essenz seines Denkens bildet sein 1779 verfasster<br />
„<strong>Nathan</strong> <strong>der</strong> <strong>Weise</strong>“. Lessing schrieb jedoch nicht<br />
nur Theaterstücke, son<strong>der</strong>n veröffentlichte zudem<br />
zahlreiche kritische und philosophische Schriften,<br />
darunter „Die Erziehung des Menschengeschlechts“<br />
und die berühmte „Hamburgische Dramaturgie“,<br />
eine Ansammlung von Theaterkritiken und<br />
dramentheoretischen Texten, die er während seiner<br />
Hamburger Zeit als Dramaturg verfasste. Diese<br />
Texte beinhalten auch seine Überlegungen zum<br />
Bürgerlichen Trauerspiel, welches er mit „Miß Sara<br />
Sampson“ 1755 für die deutsche Bühne erfand und<br />
mit „Emilia Galotti“ später weiterführte. Die Theorie<br />
gründet auf den Franzosen Denis Di<strong>der</strong>ot, dessen<br />
stilbildenden Schriften er übersetzte und den<br />
deutschsprachigen Gebieten auf diese <strong>Weise</strong> überhaupt erst zugänglich machte.<br />
Auch in <strong>der</strong> Komödie setzte Lessing einen neuen Akzent und schuf mit „Minna von<br />
Barnhelm“ das Referenzwerk für die nachfolgenden Generationen. Sein „<strong>Nathan</strong>“<br />
wie<strong>der</strong>um ist die Antwort auf den sogenannten Fragmentenstreit, in dem sich Lessing<br />
mit dem Hauptpastor Johann Melchior Goeze unerbittliche Streitgespräche in<br />
Briefform lieferte, weil er sich in seinem aufklärerischen Denken nicht <strong>der</strong><br />
vorherrschenden Meinungsbildung <strong>der</strong> Kirche unterordnen wollte. Nachdem seine<br />
Briefe von <strong>der</strong> Obrigkeit zensiert wurden und ihm ein regelrechtes Schreibverbot<br />
erteilt worden ist, zog er sich wie<strong>der</strong> auf das Theater zurück und schrieb ein<br />
singuläres dramatisches Werk, das bis heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt<br />
hat. Im „<strong>Nathan</strong>“ lässt er die religiösen Standpunkte aufeinan<strong>der</strong>prallen, um den<br />
Toleranzgedanken nur umso strahlen<strong>der</strong> aufscheinen zu lassen. Sein <strong>Nathan</strong> wertet<br />
nicht zwischen den Religionen, son<strong>der</strong>n stellt sie gleichberechtigt nebeneinan<strong>der</strong>.<br />
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4. Gotthold Ephraim Lessing: Die Erziehung des<br />
Menschengeschlechts<br />
Nein; sie wird kommen, sie wird gewiss kommen, die Zeit <strong>der</strong> Vollendung, da <strong>der</strong><br />
Mensch, je überzeugter sein Verstand einer immer bessern Zukunft sich fühlet, von<br />
dieser Zukunft gleichwohl Bewegungsgründe zu seinen Handlungen zu erborgen,<br />
nicht nötig haben wird; da er das Gute tun wird, weil es das Gute ist, nicht weil<br />
willkürliche Belohnungen darauf gesetzt sind, die seinen flatterhaften Blick ehedem<br />
bloß heften und stärken sollten, die innern bessern Belohungen desselben zu<br />
erkennen. (§ 85)<br />
Der Schwärmer tut oft sehr richtige Blicke in die Zukunft: aber er kann diese Zukunft<br />
nur nicht erwarten. Er wünscht diese Zukunft beschleuniget; und wünscht, dass sie<br />
durch ihn beschleuniget werde. Wozu sich die Natur Jahrtausende Zeit nimmt, soll in<br />
dem Augenblicke seines Daseins reifen. Denn was hat er davon, wenn das, was er<br />
für das Bessere erkennt, nicht noch bei seinen Lebzeiten das bessere wird? Kömmt<br />
er wie<strong>der</strong>? Glaubt er wie<strong>der</strong>zukommen? – Son<strong>der</strong>bar, dass diese Schwärmerei allein<br />
unter den Schwärmern nicht mehr Mode werden will! (§ 90)<br />
Geh Deinen unmerklichen Schritt, ewige Vorsehung! Nur lass mich dieser<br />
Unmerklichkeit wegen an dir nicht verzweifeln. – Lass mich an dir nicht verzweifeln,<br />
wenn selbst deine Schritte mir scheinen sollten, zurückzugehen! (§ 91)<br />
5. Hans Küng: Der gemeinsame Gottesglaube <strong>der</strong> drei<br />
abrahamischen Religionen<br />
Judentum, Christentum und Islam sind Glaubensreligionen. Sie eint <strong>der</strong> lebendige<br />
Glaube an den einen Gott und sein Wirken in <strong>der</strong> Welt. Was meint dieser ‚lebendige<br />
Glaube’, den schon Abraham an den Tag gelegt hat? Ist Glaube Verstandessache?<br />
O<strong>der</strong> Willensakt? O<strong>der</strong> Gemütsbewegung? Gewiss ist Glaube für Juden, Christen<br />
und Muslime nicht nur eine Sache des bloßen Verstandes. Glaube ist für sie we<strong>der</strong><br />
nur ein Führwahrhalten biblischer o<strong>der</strong> koranischer Texte noch gar die Zustimmung<br />
zu mehr o<strong>der</strong> weniger unwahrscheinlichen Behauptungen; Glaube wäre so ganz und<br />
gar intellektualistisch missverstanden. – An<strong>der</strong>erseits: Glaube ist für Juden, Christen<br />
und Muslime auch nicht bloß das Produkt einer Willensanstrengung, ein blindes<br />
Wagnis, ein unbegründbarer Sprung, gar ein ‚credo quia absurdum’; mit solchem ‚ich<br />
glaube, gerade weil es absurd ist’ wäre Gott voluntaristisch missverstanden. –<br />
Glaube ist schließlich auch keine bloße subjektive Gemütsbewegung, kein<br />
Glaubensakt, ohne Glaubensinhalt, kein Fühlen, wo es mehr darauf ankommt, dass<br />
man glaubt, als was man glaubt; Glaube wäre so emotional missverstanden.<br />
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Nein, Glaube meint für Juden, Christen wie für Muslime ein unbedingt vertrauendes<br />
Sicheinlassen und Sichverlassen des ganzen Menschen hier und jetzt mit allen<br />
Kräften seines Geistes und Gemütes auf Gott und sein Wort. Dieser Glaube ist somit<br />
zugleich ein Akt des Erkennens, Wollens und Fühlens: ein Vertrauen, das ein<br />
Führwahrwerden einschließt. Es geht um eine persönliche, gelebte vertrauensvolle –<br />
einfache o<strong>der</strong> höchst differenzierte – Grundhaltung: eine gläubige Lebenseinstellung<br />
und Lebensart, aus <strong>der</strong> heraus Menschen leben, denken, handeln und leiden.<br />
We<strong>der</strong> die hebräische Bibel noch das neue Testament, noch <strong>der</strong> Koran wollen Gott<br />
‚beweisen’, freilich ständig und überall auf ihn ‚hinweisen’. Und dass es im<br />
Gottesglauben nicht unvernünftig zugeht, son<strong>der</strong>n dass es sich dabei um ein höchst<br />
vernünftiges Vertrauen handelt, betont man auch im Islam mit Nachdruck. An<strong>der</strong>s<br />
gesagt: Weil es auch dem Koran so ganz und gar um den Menschen und seinen<br />
Weg geht, geht es ihm so zentral um Gott; über 2500mal wird allein <strong>der</strong> Name ‚Allah’<br />
im Koran genannt. Worin also bestehen die Gemeinsamkeiten konkret?<br />
Die grundlegende Gemeinsamkeit zwischen Juden, Christen und Muslimen besteht<br />
im Glauben an den einen und einzigen Gott, <strong>der</strong> allem Sinn und Leben gibt. Dieser<br />
Ein-Gott-Glaube ist für den Islam eine schon mit Adam gegebene Urwahrheit; im<br />
einen Gott ist die Einheit des Menschengeschlechts und die Gleichheit aller<br />
Menschen vor Gott begründet. Und was auch immer von <strong>der</strong> christlichen<br />
Trinitätslehre zu sagen sein wird: Auch diese will den Glauben an den einen und<br />
einzigen Gott ja nicht in Frage stellen, son<strong>der</strong>n konkret auslegen und entfalten. Das<br />
heißt: In <strong>der</strong> Frontstellung gegen den alten Polytheismus sind Judentum,<br />
Christentum und Islam sich ebenso eins wie gegen mo<strong>der</strong>ne Götter aller Art, die vom<br />
Menschen besitz ergreifen und ihn zu versklaven drohen. Ja, Judentum und dann<br />
auch Christentum haben schon längst vor dem Islam die alten Götter des Pantheon<br />
gestürzt.<br />
Gemeinsam ist Juden, Christen und Muslimen <strong>der</strong> Glaube an den geschichtlich<br />
handelnden Gott: an jenen Gott, <strong>der</strong> nicht nur in <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Griechen die ‚Arché’, das<br />
erste Prinzip <strong>der</strong> Natur, ist, <strong>der</strong> Urgrund von allem, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> als Schöpfer <strong>der</strong> Welt<br />
und des Menschen in <strong>der</strong> Geschichte tätig ist: <strong>der</strong> eine Gott Abrahams, <strong>der</strong> spricht<br />
durch die Propheten und sich seinem Volk offenbart, wenngleich sein Handeln immer<br />
wie<strong>der</strong> neu ein unerforschliches Geheimnis bleibt. Gott ist <strong>der</strong> Geschichte gewiss<br />
transzendent, aber doch auch immanent: dem Menschen ‚näher als seine<br />
Halsschlaga<strong>der</strong>’, wie es im Koran so plastisch heißt.<br />
Gemeinsam ist Juden, Christen und Muslimen <strong>der</strong> Glaube an den einen Gott, <strong>der</strong> für<br />
sie – obwohl unsichtbar alles umgreifend und durchwaltend – ein ansprechbares<br />
Gegenüber ist; anredbar in Gebet, Meditation, zu loben in Freude und Dankbarkeit,<br />
anzuklagen in Not und Verzweiflung: ein Gott, vor dem <strong>der</strong> Mensch ‚aus Scheu ins<br />
Knie fallen’, ‚beten und opfern’, ‚musizieren und tanzen kann’, um hier ein<br />
zukunftsbezogenes berühmtes Wort des Philosophen Martin Heidegger aufzugreifen.<br />
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Gemeinsam ist Juden, Christen und Muslimen schließlich auch <strong>der</strong> Glaube an den<br />
barmherzigen, gnädigen Gott; an einen Gott, <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Menschen annimmt. Die<br />
Menschen werden im Koran wie in <strong>der</strong> Bibel ‚Knechte Gottes’ genannt, womit keine<br />
Versklavung unter einen Despoten, son<strong>der</strong>n die elementare menschliche<br />
Kreatürlichkeit gegenüber dem einen Herrn zum Ausdruck gebracht ist. Das<br />
hebräische ‚ar-rahman’, <strong>der</strong> ‚Erbarmer’ hängt etymologisch zusammen mit dem<br />
hebräischen ‚rahamim’, welches mit ‚hen’ und ‚hesed’ das Wortfeld für das<br />
neutestamentliche ‚charis’ und unser Wort ‚Gnade’ darstellt. Gott kann nach<br />
einzelnen Sätzen <strong>der</strong> Bibel o<strong>der</strong> des Koran als Willkürgott erscheinen, aber nach<br />
dem Gesamtzeugnis <strong>der</strong> Bibel und des Koran ist Gott entscheidend ein Gott <strong>der</strong><br />
Gnade und <strong>der</strong> Barmherzigkeit.<br />
Judentum, Christentum und Islam repräsentieren also gemeinsam in <strong>der</strong> Welt den<br />
Glauben an den einen Gott, haben allesamt teil an <strong>der</strong> einen großen<br />
monotheistischen Weltbewegung. Diese Gemeinsamkeit im Glauben an den einen<br />
Gott sollte man auch weltpolitisch nicht unterschätzen, son<strong>der</strong>n zum Bewusstsein<br />
bringen.<br />
Aus: Küng, Hans: Der Islam. Wesen und Geschichte. München 2007<br />
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III. Anregungen für den Unterricht<br />
1. VORBEREITUNG DES THEATERBESUCHS<br />
Übung: Standbil<strong>der</strong> zur Bedeutung <strong>der</strong> Religion im Alltag<br />
Ablauf<br />
Welche Rolle spielt die Religion im alltäglichen Leben <strong>der</strong> Schüler? Regen Sie eine<br />
Diskussion darüber an, welchen Blick die Kin<strong>der</strong> Ihrer Klasse auf die großen<br />
Weltreligionen haben. Wie viele Kin<strong>der</strong> haben einen christlichen Hintergrund? Gibt es<br />
Kin<strong>der</strong> mit muslimischem o<strong>der</strong> jüdischem Hintergrund? Können diese Kin<strong>der</strong><br />
berichten, was es für sie bedeutet, „evangelisch“, „katholisch“, „muslimisch“ o<strong>der</strong><br />
„jüdisch“ zu sein?<br />
Lassen Sie die Schüler im Anschluss Momente ihres alltäglichen Lebens in denen<br />
Religion eine große Rolle spielt, in Standbil<strong>der</strong>n darstellen.<br />
Als Vorübung sollte man hierfür jeweils zwei sich gegenseitig zu Statuen formen<br />
lassen. Um diese Übung mit Schülern machen zu können, müssen sie erst darin<br />
angeleitet werden behutsam miteinan<strong>der</strong> umzugehen. Hierfür kann die Aufgabe<br />
gestellt werden sich gegenseitig in Haltungen zu bringen, die verschiedene religiöse<br />
Gesten bzw. Situationen, die mit Religion zu tun haben, zeigen. Je<strong>der</strong> Bildhauer<br />
beginnt, mit seinen Händen die Statue zu modellieren, die er in seiner Vorstellung<br />
hat. Er berührt den Körper seines Gegenübers und verän<strong>der</strong>t Haltung, Gestik, Mimik<br />
bis ins kleinste Detail. Nur die Mimik darf gezeigt werden, indem <strong>der</strong> „Bildhauer“<br />
diese vormacht.<br />
Als zweiter Schritt werden nun mehrere Personen von einem/einer Schüler/in zu<br />
einem Standbild zusammengefügt.<br />
Dazu kann je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> eine Idee hat, Mitschüler einbeziehen und mit ihnen ein Bild<br />
einer Situation bauen. Je<strong>der</strong> nennt die Anzahl <strong>der</strong> Leute die er braucht, fügt diese zu<br />
einer Skulpturengruppe zusammen und bestimmt ihre Haltung bis hin zum<br />
Gesichtsausdruck. Die übrigen Teilnehmer werden gefragt was sie sehen. Nachdem<br />
sie geraten haben, wird aufgedeckt was es darstellen soll. Nun dürfen alle<br />
Teilnehmer, die Ideen haben, wie man das Bild klarer machen kann, Verän<strong>der</strong>ungen<br />
vornehmen.<br />
Sie können mit <strong>der</strong> restlichen Klasse dieses Standbild ansehen und zusätzlich<br />
eventuell Fotos machen, um ein Album anzulegen.<br />
Ziele:<br />
Alter:<br />
Material:<br />
Dauer:<br />
kreative Reflexion<br />
ab 12 Jahren<br />
Fotokamera<br />
15 Minuten<br />
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Übung: Ort- Beziehung – Konflikt<br />
Ablauf<br />
Als Vorbereitung für Improvisationen zum Thema Religionskonflikt, kann es hilfreich<br />
sein erst einmal Übungen zur Improvisation von Konflikten im Allgemeinen<br />
durchzuführen.<br />
Drei Handelnde kommen nacheinan<strong>der</strong> auf die Bühne und erzeugen zusammen eine<br />
improvisierte Szene bei freier Vorgabe. Folgende Struktur muss erkennbar sein: Der<br />
erste, <strong>der</strong> auf die Bühne kommt, erschafft einen imaginären Raum und installiert<br />
pantomimisch mehrere Einrichtungsgegenstände – mehr nicht. Der zweite, <strong>der</strong><br />
dazukommt, definiert die beiden in ihren Charakteren und ihrer Beziehung<br />
zueinan<strong>der</strong>. Der dritte, <strong>der</strong> jetzt reinkommt, bringt einen Konflikt o<strong>der</strong> ein Ziel ins<br />
Spiel, welchen alle bewältigen wollen. Die Aufgabe an alle ist aufeinan<strong>der</strong><br />
einzugehen und gemeinsam eine Lösung des Konflikts zu finden. Je<strong>der</strong> <strong>der</strong> Klasse<br />
sollte einmal drankommen.<br />
Ziele:<br />
Alter:<br />
Material:<br />
Dauer:<br />
kreative Reflexion, Übung szenischer Darstellung<br />
ab 12 Jahren<br />
evtl. Requisiten<br />
30 Minuten<br />
Übung: Improvisation zu Vorurteilen gegenüber an<strong>der</strong>en Religionen<br />
Ablauf<br />
Wie würden wohl ihre Eltern reagieren, wenn sie mit einem Freund o<strong>der</strong> einer<br />
Freundin, die einer an<strong>der</strong>en Religion angehört, nach Hause kommen? Gibt es<br />
Konflikte und Vorurteile o<strong>der</strong> herrscht allgemeine Toleranz? Lassen Sie die Schüler<br />
kurze improvisierte Familienszenen zu diesem Themenkomplex spielen.<br />
Die Schüler werden in gleich große Gruppen aufgeteilt. Jede Gruppe bekommt zehn<br />
Minuten Zeit sich eine Szene zu überlegen und sie kurz zu proben. Dann zeigen alle<br />
Gruppen ihre Szenen. Im Anschluss an jede Szene kann mit <strong>der</strong> Klasse ein<br />
Gespräch über das geführt werden, was sie gesehen haben und wie sie darüber<br />
denken.<br />
Ziele:<br />
Alter:<br />
Material:<br />
Dauer:<br />
kreative Reflexion, Übung szenischer Darstellung<br />
ab 12 Jahren<br />
evtl. Requisiten<br />
30 Minuten<br />
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Übung: Szenische Religionskonflikte<br />
Ablauf<br />
Wie<strong>der</strong> werden die Schüler in Gruppen aufgeteilt. Jede Gruppe soll sich eine<br />
Konfliktszene überlegen, die etwas mit dem Thema Religion zu tun hat. Hierzu<br />
können als Vorbereitung verschiedene Zeitungsartikel gelesen werden.<br />
In <strong>der</strong> erarbeiteten Szene soll nur dargestellt werden, was das Problem ist, nicht aber<br />
wie das Problem gelöst werden kann. Die Szenen werden nun den an<strong>der</strong>en Gruppen<br />
nacheinan<strong>der</strong> vorgespielt. Im Anschluss an jede Szene können die Zuschauer<br />
Vorschläge machen, wie das Problem gelöst wird. Nachdem die Klasse sich geeinigt<br />
hat, welcher Vorschlag <strong>der</strong> beste ist, spielt die Gruppe nochmal ihre Szene und<br />
versucht den vorgeschlagenen Problemlösungsansatz zu improvisieren. Wenn die<br />
Gruppe schon etwas spielerfahren ist, kann man zusätzlich auch noch die Regel<br />
integrieren, dass die Zuschauer klatschen dürfen, um weitere Vorschläge an die<br />
Spieler zu geben, welche diese sofort aufgreifen.<br />
Ziele:<br />
Alter:<br />
Dauer:<br />
kreative Reflexion, Übung szenischer Darstellung<br />
ab 12 Jahren<br />
30 Minuten<br />
2. NACHBEREITUNG DES THEATERBESUCHS<br />
Übung: Recha und Kurt<br />
Ulrich Hub hat den Klassiker „<strong>Nathan</strong> <strong>der</strong> <strong>Weise</strong>“ für Kin<strong>der</strong> bearbeitet. Er erzählt die<br />
Geschichte aus <strong>der</strong> Perspektive von Kurt und Recha, die den Vorurteilen <strong>der</strong><br />
Erwachsenenwelt mit Unvoreingenommenheit, fragen<strong>der</strong> Neugier und wachsendem<br />
Zweifel begegnen. Die großen Konflikte zwischen den Religionen werden zu ihren<br />
ganz persönlichen Konflikten.<br />
In einer Szene aus „<strong>Nathan</strong>s Kin<strong>der</strong>“ von Ulrich Hub wird Rechas und Kurts erste<br />
Begegnung, nachdem Kurt Recha aus den Flammen gerettet hat. Die Szene kann<br />
hier aus urheberrechtlichen Gründen lei<strong>der</strong> nicht abgedruckt werden. Das Stück ist<br />
aber in einem Band für ca. 10 Euro erhältlich: Ulrich Hub „AN DER ARCHE UM<br />
ACHT / NATHANS KINDER: Zwei Theaterstücke für Kin<strong>der</strong>.“<br />
Ablauf<br />
Lesen Sie die Szene mit Ihrer Klasse in verteilten Rollen.<br />
Identifizieren Sie mit Ihren Schülern im Gespräch, welche Vorurteile Recha und Kurt<br />
über den an<strong>der</strong>en und seine Religion haben.<br />
Im Anschluss teilen Sie den Dialog mit Ihren Schülern in kurze Abschnitte. Wann<br />
nehmen die beiden eine neue Haltung zueinan<strong>der</strong> ein und än<strong>der</strong>n ihre Meinung über<br />
den an<strong>der</strong>en? Wann beginnt ein neuer Gedanke?<br />
Verteilen Sie die kurzen Abschnitte jeweils an ein Paar. Sollte die Anzahl <strong>der</strong> Schüler<br />
und die Anzahl <strong>der</strong> Szenen nicht aufgehen, können Sie entwe<strong>der</strong> jede Szene doppelt<br />
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besetzen, o<strong>der</strong> je<strong>der</strong> Gruppe noch einen o<strong>der</strong> zwei Regisseure zuteilen, die den<br />
Spielern helfen. Jedes Paar soll nun miteinan<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Szene arbeiten und sie<br />
einstudieren. Aufgabe ist es dabei eine klare körperliche Haltung zueinan<strong>der</strong> zu<br />
finden, die ausdrückt, was sie voneinan<strong>der</strong> denken und füreinan<strong>der</strong> empfinden.<br />
Lassen Sie nun in <strong>der</strong> richtigen Reihenfolge jede Gruppe ihre Szene hintereinan<strong>der</strong><br />
lesen und dabei ihre Haltung einnehmen.<br />
Im Anschluss können Sie über die einzelnen Szenen diskutieren und die Gruppe<br />
Vorschläge machen lassen, wie sie die Haltung / Bewegungen än<strong>der</strong>n würden.<br />
Ziele:<br />
Alter:<br />
Material:<br />
Dauer:<br />
Annäherung an Figuren, Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Intention und<br />
Rhythmus des Textes<br />
ab 12 Jahren<br />
Text<br />
40 Minuten<br />
Übung: Talkshow<br />
Ablauf<br />
Die Klasse wird in mehrere Gruppen geteilt. Sechs Redaktionsgruppen erarbeiten<br />
gemeinsam die Haltung <strong>der</strong> sechs Gäste <strong>der</strong> Talkshow. Eine siebte Gruppe bildet<br />
das Mo<strong>der</strong>atorenteam. Einführend wird allen erklärt welche Aufgaben die<br />
unterschiedlichen Gruppen haben. Der / die Leiter/in stellt ein aktuelles Thema als<br />
Diskussionsgrundlage bzw. lässt von <strong>der</strong> Klasse eines auswählen (siehe Beispiele<br />
unten). Gegenstand <strong>der</strong> Show sollten aktuelle Themen im Zusammenhang mit<br />
Religionen sein<br />
- Umgang <strong>der</strong> Religionen miteinan<strong>der</strong><br />
- Konflikte, die dabei entstanden sind<br />
- Positionen, die von den einzelnen Repräsentanten vertreten werden<br />
Zunächst bekommen alle Zeit ihre Aufgabe in <strong>der</strong> Gruppe vorzubereiten. Im<br />
Anschluss findet die Talkshow statt.<br />
Die Redaktionsgruppen:<br />
Jede Redaktionsgruppe erhält eine Rollenkarte mit einer Kurzbeschreibungen eines<br />
Charakters aus „<strong>Nathan</strong> <strong>der</strong> <strong>Weise</strong>“ und dessen Haltung zur Religion (siehe Anhang:<br />
Daja, Recha, Tempelherr, Patriarch, Saladin, <strong>Nathan</strong>). Sie bekommen den Auftrag<br />
sich zu überlegen, welche Meinung die Person gegenüber dem ausgewählten<br />
aktuellen Thema vertreten würde. Der Auftrag kann auch darum erweitert werden,<br />
dass die Gruppen zuerst selbst anhand von genannten Textstellen erarbeiten, wie<br />
die Personen ihre eigene Religion darstellen und wie sie sich zu an<strong>der</strong>en Religionen<br />
verhalten. Zusätzlich erhalten sie eine kurze Beschreibung <strong>der</strong> Rolle des Charakters<br />
innerhalb des Stücks (siehe „Die Figuren“ S.4-5) – dies kann auch in <strong>der</strong> Klasse im<br />
Gespräch erarbeitet werden. Ihre Aufgaben bestehen zum einen darin ein paar Sätze<br />
vorzubereiten, mit denen ein Mitglied <strong>der</strong> Gruppe „ihre Person“ dem Publikum<br />
vorstellt. Zum an<strong>der</strong>en wählen sie zum Schluss ein Mitglied aus, das die jeweilige<br />
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Person während <strong>der</strong> Talkshow spielt. Die restlichen Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gruppe beteiligen<br />
sich als Zuschauer – sie können durch gezielte Fragen „ihre“ Person unterstützen.<br />
Das Mo<strong>der</strong>atorenteam:<br />
Das Mo<strong>der</strong>atorenteam bereitet zum gewählten Thema Fragen und Problemstellungen,<br />
die <strong>der</strong> / die Mo<strong>der</strong>ator/in in <strong>der</strong> Show verwenden kann. Die Gruppe kann<br />
entwe<strong>der</strong> eine/n Mo<strong>der</strong>ator/in auswählen o<strong>der</strong> (besser!) bei jedem Auftritt den<br />
Mo<strong>der</strong>ator auswechseln. Das Mo<strong>der</strong>atorenteam muss ebenfalls überlegen in welcher<br />
Reihenfolge die Gäste nach und nach ins „Studio“ dazugeholt werden. Der jeweilige<br />
Gast wird von einem Mitglied <strong>der</strong> jeweiligen Redaktionsgruppe angekündet und wird<br />
vom Mo<strong>der</strong>ator begrüßt. Er / sie stellt ihr / ihm in <strong>der</strong> ersten Runde die vorbereiteten<br />
Fragen, In <strong>der</strong> zweiten Runde wird das Publikum einbezogen, indem es Fragen<br />
stellen o<strong>der</strong> Einwände formulieren kann. Natürlich ist insbeson<strong>der</strong>e Diskussion unter<br />
den Gästen erwünscht. In einer eventuellen dritten, abschließenden Runde sollen<br />
Vorschläge gemacht und darüber diskutiert werden, welche Persönlichkeiten <strong>der</strong><br />
Zeitgeschichte mit dem Gast <strong>der</strong> Talkshow übereinstimmen und seine Argumentation<br />
unterstützen könnten.<br />
Aktuelle Diskussionsanlässe<br />
Wenn heute in <strong>der</strong> Schweiz die Minarette o<strong>der</strong> in Frankreich <strong>der</strong> Ganzkörperschleier<br />
verboten werden, kommen wir nicht umhin uns die Frage zustellen wie viel Toleranz<br />
möglich und wie viel gut für uns ist. Zur Vorbereitung sollte man mit <strong>der</strong> Klasse am<br />
besten ein Thema heraussuchen und diskutieren, das aktuell in <strong>der</strong> Presse<br />
besprochen wird.<br />
Ziele:<br />
Alter:<br />
Material:<br />
Dauer:<br />
Die Probleme des Theaterstücks auf die heutige Zeit auszuweiten und<br />
die dort ausgesprochenen Problemfel<strong>der</strong> zusammen mit heutigen<br />
Formen und Problemen des interkulturellen und interreligiösen Dialogs<br />
zu betrachten<br />
ab 14 Jahren<br />
Rollenzettel<br />
ca. 60 Minuten<br />
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| 19<br />
IV.<br />
Literaturempfehlungen<br />
Düffel, Peter von: Gotthold Ephraim Lessing. <strong>Nathan</strong> <strong>der</strong> <strong>Weise</strong>. Erläuterungen und<br />
Dokumente. Stuttgart 2006<br />
Drews, Wolfgang: Gotthold Ephraim Lessing. Reinbek bei Hamburg 1962<br />
Kuschel, Karl-Josef: Jud, Christ und Muselmann vereinigt. Lessings <strong>Nathan</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Weise</strong>. Düsseldorf 2004<br />
Lessing, Gotthold Ephraim: Die Erziehung des Menschengeschlechts. Stuttgart 1986<br />
Küng, Hans: Der Islam. Wesen und Geschichte. München 2007<br />
Carlo Maria Martini / Umberto Eco: Woran glaubt, wer nicht glaubt? Wien 1998<br />
Probenfoto aus <strong>der</strong> Inszenierung am Salzburger Landestheater – Sascha Oskar Weis (Saladin), Gero<br />
Nievelstein (<strong>Nathan</strong>), Cathrin Zellmer (Recha)<br />
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| 20<br />
V. Anhang<br />
Rollenkarten für Talkshow<br />
Daja<br />
Textbeispiele<br />
III / 1 (1531ff)<br />
Daja<br />
Dann hoff ich, daß auch meiner Wünsche wärmster<br />
Soll in Erfüllung gehen.<br />
(...)<br />
Mein Wunsch, dich in Europa, dich in Händen<br />
Zu wissen, welche deiner würdig sind.<br />
(...)<br />
Sperre dich, soviel du willst!<br />
Des Himmels Wege sind des Himmels Wege.<br />
Und wenn es nun dein Retter selber wäre,<br />
Durch den sein Gott, für den er kämpft, dich in<br />
Das Land, dich zu dem Volke führen wollte,<br />
Für welche du geboren wurdest?<br />
III / 1 (1554ff)<br />
Recha<br />
Was sprichst du da nun wie<strong>der</strong>, liebe Daja!<br />
Du hast doch wahrlich deine son<strong>der</strong>baren<br />
Begriffe! »Sein, sein Gott! Für den er kämpft!«<br />
Wem eignet Gott? Was ist das für ein Gott,<br />
Der einem Menschen eignet? Der für sich<br />
Muß kämpfen lassen?<br />
I / 1 (150ff)<br />
Daja<br />
Laßt lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,<br />
In dem sich Jud’ und Christ und Muselmann<br />
Vereinigen; - so einen süßen Wahn!<br />
Mögliche Interpretation <strong>der</strong> Aussagen über Religion<br />
In ihrer Meinung führt ausschließlich das Christentum zum Heil.<br />
Eine Vereinigung <strong>der</strong> Religionen sieht sie als unmöglich an, einen „süßen Wahn“.<br />
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| 21<br />
Recha<br />
Textbeispiele<br />
III / 1 (1554ff)<br />
Recha<br />
Was sprichst du da nun wie<strong>der</strong>, liebe Daja!<br />
Du hast doch wahrlich deine son<strong>der</strong>baren<br />
Begriffe! »Sein, sein Gott! Für den er kämpft!«<br />
Wem eignet Gott? Was ist das für ein Gott,<br />
Der einem Menschen eignet? Der für sich<br />
Muß kämpfen lassen?<br />
III / 1 (1584ff)<br />
Recha<br />
Wenn war ich nicht ganz Ohr, sooft es dir<br />
Gefiel, von deinen Glaubenshelden mich<br />
Zu unterhalten? Hab ich ihren Taten<br />
Nicht stehts Bewun<strong>der</strong>ung; und ihren Leiden<br />
Nicht immer Tränen gern gezollt? Ihr Glaube<br />
Schien freilich mir das Heldenmäßigste<br />
An ihnen nie. Doch so viel trösten<strong>der</strong><br />
War mir die Lehre, daß Ergebenheit<br />
In Gott von unserm Wähnen über Gott<br />
So ganz und gar nicht abhängt.<br />
Mögliche Interpretation <strong>der</strong> Aussagen über Religion<br />
Sie wendet sich gegen religiöse Schwärmerei und dagegen, dass jemand sich im Besitz des<br />
einzig wahren Weges wähnt. Als zentrale Werte sieht sie Vernunft und Gottergebenheit.<br />
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| 22<br />
Tempelherr<br />
Textbeispiele<br />
II/5 (1213ff)<br />
Tempelherr<br />
Es ist des Tempelherren Pflicht, dem ersten<br />
Dem besten beizuspringen, dessen Not<br />
Sie sehn. Mein Leben war mir ohnedem<br />
In diesem Augenblicke lästig. Gern,<br />
Sehr gern ergriff ich die Gelegenheit,<br />
Es für ein andres Leben in die Schanze<br />
Zu schlagen: für ein andres – wenn’s auch nur<br />
Das Leben einer Jüdin wäre.<br />
II/5 (1273ff)<br />
<strong>Nathan</strong><br />
Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß,<br />
Daß alle Län<strong>der</strong> gute Menschen tragen.<br />
Tempelherr<br />
Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort.<br />
<strong>Nathan</strong><br />
Mit diesem Unterschied ist’s nicht weit her.<br />
Der große Mann braucht überall viel Boden;<br />
Und mehrere, zu nah gepflanzt, zerschlagen<br />
Sich nur die Äste. Mittelgut, wie wir,<br />
Find’t sich hingegen überall in Menge.<br />
Nur muß <strong>der</strong> eine nicht den an<strong>der</strong>n mäkeln.<br />
Nur muß <strong>der</strong> Knorr den Knuppen hübsch vertragen.<br />
Nur muß ein Gipfelchen sich nicht vermessen,<br />
Daß es allein <strong>der</strong> Erde nicht entschossen.<br />
Tempelherrn<br />
Sehr wohl gesagt! – Doch kennt Ihr auch das Volk.<br />
Das diese Menschenmäkelei zuerst<br />
Getrieben? Wißt Ihr, <strong>Nathan</strong>, welches Volk<br />
Zuerst das auserwählte Volk sich nannte?<br />
Wie? Wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht haßte,<br />
Doch wegen seines Stolzes zu verachten,<br />
Mich nicht entbrechen könnte? Seines Stolzes;<br />
Den es auf Christ und Muselmann vererbte,<br />
Nur sein Gott sei <strong>der</strong> rechte Gott! – Ihr stutzt,<br />
Daß ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede?<br />
Wenn hat, und wo die fromme Raserei,<br />
Den bessern Gott zu haben, diesen bessern<br />
Der ganzen Welt als besten aufzudringen,<br />
In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr<br />
Gezeigt, als hier, als itzt? Wem hier, wem itzt<br />
Die Schuppen nicht vom Auge fallen ... Doch<br />
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| 23<br />
Sei blind, wer will! – Vergeßt, was ich gesagt;<br />
Und lasst mich! (Will gehen.)<br />
<strong>Nathan</strong><br />
Ha! Ihr wißt nicht, wie viel fester<br />
Ich nun mich an Euch drängen werde. – Kommt,<br />
Wir müssen, müssen Freunde sein! – Verachtet<br />
Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide<br />
Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind<br />
Wir unser Volk? Was heißt denn Volk?<br />
Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,<br />
Als Mensch? Ah! Wenn ich einen mehr in Euch<br />
Gefunden hätte, dem es genügt, ein Mensch<br />
Zu heißen!<br />
Tempelherr<br />
Ja, bei Gott, das habt Ihr, <strong>Nathan</strong>!<br />
Das habt Ihr! – Eure Hand! – Ich schäme mich,<br />
Euch einen Augenblick verkannt zu haben.<br />
III/8 (2130 ff)<br />
Tempelherr<br />
So – liebt <strong>der</strong> Tempelritter freilich, - liebt<br />
Der Christ das Judenmädchen freilich. – Hm!<br />
Was tut’s? – Ich hab in dem gelobten Lande, -<br />
Und drum auch mir gelobt auf immerdar! –<br />
Der Vorurteile mehr schon abgelegt. –<br />
Was will mein Orden auch? Ich Tempelherr<br />
Bin tot; war von dem Augenblick ihm tot,<br />
Der mich zu Saladins Gefangnen machte.<br />
Der Kopf, den Saladin mir schenkte, wär’<br />
Mein alter? – Ist ein neuer; <strong>der</strong> von allem<br />
Nichts weiß, was jenem eingeplau<strong>der</strong>t ward,<br />
Was jenen band. – Und ist ein bessrer; für<br />
Den väterlichen Himmel mehr gemacht.<br />
Mögliche Interpretation <strong>der</strong> Aussagen über Religion<br />
Der Tempelritter ist nach Jerusalem gekommen, um in den Kreuzzügen gegen die<br />
„Ungläubigen“ Muslime zu kämpfen und das Heilige Land zu befreien. Durch die unerwartete<br />
Gnade des Sultans, <strong>der</strong> ihm sein Leben schenkt, verän<strong>der</strong>t sich aber sein Blick auf die<br />
religiösen Konflikte. Er lehnt den Auftrag des Patriarchen ab, Saladin im Dienste des<br />
christlichen Glaubens „den Garaus zu machen“ (I/5 669ff). Nichtsdestotrotz verhält er sich<br />
<strong>Nathan</strong> gegenüber äußerst ablehnend, da er ein Jude ist. Als er ihn etwas kennenlernt,<br />
än<strong>der</strong>t er jedoch seine Meinung und offenbart ihm, dass er nur die Haltung verachte, einzig<br />
<strong>der</strong> eigene Gott sei <strong>der</strong> rechte Gott. Das Heraustreten aus <strong>der</strong> Rolle, die Darstellung <strong>der</strong><br />
menschlichen Position, für die es keine religiöse Beschränktheit gibt, beginnt in dem<br />
Gespräch mit <strong>Nathan</strong>. Er erkennt in <strong>Nathan</strong> einen Gleichgesinnten (II/5). Die Auffassung,<br />
dass <strong>der</strong> Mensch wichtiger ist als seine Religionszugehörigkeit, findet ihre Fortsetzung in <strong>der</strong><br />
Liebe des Tempelherrn zur vermeintlichen Jüdin Recha.<br />
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| 24<br />
Patriarch<br />
Textbeispiele<br />
IV/2<br />
Patriarch<br />
(...) Womit wär’ sonst<br />
Dem Herrn zu dienen?<br />
Tempelherr<br />
Mit dem nämlichen,<br />
Woran es meiner Jugend fehlt: mit Rat.<br />
Patriarch<br />
Recht gern! – Nur ist <strong>der</strong> Rat auch anzunehmen.<br />
Tempelherr<br />
Doch blindlings nicht?<br />
Patriarch<br />
Wer sagt denn das? – ei freilich<br />
Muß niemand die Vernunft, die Gott ihm gab,<br />
Zu brauchen unterlassen, - wo sie hin -<br />
Gehört – Gehört sie aber überall<br />
Denn hin? – O nein! – Zum Beispiel: wenn uns Gott<br />
Durch einen seiner Engel, - ist zu sagen,<br />
Durch einen Diener seines Wortes, - ein Mittel<br />
Bekannt zu machen würdiget, das Wohl<br />
Der ganzen Christenheit, das Heil <strong>der</strong> Kirche,<br />
Auf irgendeine ganz besondre <strong>Weise</strong><br />
Zu för<strong>der</strong>n, zu befestigen; wer darf<br />
Sich da noch unterstehn, die Willkür, des,<br />
Der die Vernunft erschaffen, nach Vernunft<br />
Zu untersuchen? Und das ewige<br />
Gesetz <strong>der</strong> Herrlichkeit des Himmels, nach<br />
Den kleinen Regeln einer eiteln Ehre<br />
Zu prüfen? (...)<br />
Tempelherr<br />
Gesetzt, ehrwürd’ger Vater,<br />
Ein Jude hätt’ ein einzig Kind, - es sei<br />
Ein Mädchen, - das er mit <strong>der</strong> größten Sorgfalt<br />
Zu allem Guten auferzogen, das<br />
Er liebe mehr als seine Seele, das<br />
Ihn wie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> frömmsten Liebe liebe.<br />
Und nun würd’ unsereinem hinterbracht,<br />
Dies Mädchen sei des Juden Tochter nicht;<br />
Er hab’ es in <strong>der</strong> Kindheit aufgelesen,<br />
Gekauft, gestohlen, - was Ihr wollt; man wisse,<br />
Das Mädchen sei ein Christenkind, und sei<br />
Getauft; <strong>der</strong> Jude hab’ es nur als Jüdin<br />
Erzogen; lass’ es nur als Jüdin und<br />
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| 25<br />
Als seine Tochter so verharren: - sagt,<br />
Ehrwürd’ger Vater, was wär’ hierbei wohl<br />
Zu tun?<br />
(…)<br />
Patriarch<br />
Dann wäre an dem Juden för<strong>der</strong>samst<br />
Die Strafe zu vollziehn, die päpstliches<br />
Und kaiserliches Recht so einem Frevel,<br />
So einer Lastertat bestimmen.<br />
Tempelherr<br />
So?<br />
Patriarch<br />
Und zwar bestimmen obbesagte Rechte<br />
Dem Juden, welcher einen Christen zur<br />
Apostasie verführt, - den Scheiterhaufen, -<br />
Den Holzstoß –<br />
Tempelherr<br />
So?<br />
Patriarch<br />
Und wie viel mehr dem Juden,<br />
Der mit Gewalt ein armes Christenkind<br />
Dem Bunde seiner Tauf’ entreißt! Denn ist<br />
Nicht alles, was man Kin<strong>der</strong>n tut, Gewalt? –<br />
Zu sagen: - ausgenommen, was die Kirch’<br />
An Kin<strong>der</strong>n tut.<br />
Tempelherr<br />
Wenn aber nun das Kind,<br />
Erbarmte seiner sich <strong>der</strong> Jude nicht,<br />
Vielleicht im Elend umgekommen wäre?<br />
Patriarch<br />
Tut nichts! Der Jude wird verbrannt! – Denn besser,<br />
Es wäre hier im Elend umgekommen,<br />
Als daß zu seinem ewigen Ver<strong>der</strong>ben<br />
Es so gerettet war. – Zudem, was hat<br />
Der Jude Gott denn vorzugreifen? Gott<br />
Kann, wen er retten will, schon ohn’ ihn retten.<br />
Tempelherr<br />
Auch trotz ihm, sollt’ ich meinen, - selig machen.<br />
Patriarch<br />
Tut nichts! Der Jude wird verbrannt.<br />
Tempelherr<br />
Das geht<br />
Mir nah’! Beson<strong>der</strong>s, da man sagt, er habe<br />
Das Mädchen nicht sowohl in seinem, als<br />
Vielmehr in keinem Glauben auferzogen,<br />
Und sie von Gott nicht mehr nicht weniger<br />
Gelehrt, als <strong>der</strong> Vernunft genügt.<br />
Patriarch<br />
Tut nichts!<br />
Der Jude wird verbrannt ... Ja, wär’ allein<br />
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| 26<br />
Schon dieserwegen wert, dreimal verbrannt<br />
Zu werden! – Was? Ein Kind ohn’ allen Glauben<br />
Erwachsen lassen? – Wie? Die große Pflicht,<br />
Zu glauben, ganz und gar ein Kind nicht lehren?<br />
Das ist zu arg! Mich wun<strong>der</strong>t sehr, Herr Ritter,<br />
Euch selbst ...<br />
(...)<br />
Auch mach ich ihm gar leicht begreiflich, wie<br />
Gefährlich selber für den Staat es ist,<br />
Nichts glauben! Alle bürgerlichen Bande<br />
Sind aufgelöst, sind zerrissen, wenn<br />
Der Mensch nichts glauben darf. – Hinweg! Hinweg<br />
Mit solchem Frevel! ...<br />
Mögliche Interpretation <strong>der</strong> Aussagen über Religion<br />
Er stellt das christliche Dogma über die Vernunft und erhebt einen alleinigen religiösen<br />
Herrschaftsanspruch gegenüber den an<strong>der</strong>en Religionen.<br />
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| 27<br />
Saladin<br />
Textbeispiele<br />
II/1 (866 ff)<br />
Sittah<br />
Hab ich des schönen Traums nicht gleich gelacht?<br />
Du kennst die Christen nicht, willst sie nicht kennen.<br />
Ihr Stolz ist: Christen sein; nicht Menschen. Denn<br />
Selbst das, was, noch von ihrem Stifter her,<br />
Mit Menschlichkeit den Aberglauben würzt,<br />
Das lieben sie, nicht weil es menschlich ist:<br />
Weil’s Christus lehrt; weil’s Christus hat getan. –<br />
Wohl ihnen, daß er so ein guter Mensch<br />
Noch war! Wohl ihnen, daß sie seine Tugend<br />
Auf Treu und Glaube nehmen können! – Doch<br />
Was Tugend? – Seine Tugend nicht; sein Name<br />
Soll überall verbreitet werden; soll<br />
Die Namen aller guten Menschen schänden,<br />
Verschlingen. Um den Namen, um den Namen<br />
Ist ihnen nur zu tun.<br />
Saladin<br />
Du meinst: warum<br />
Sie sonst verlangen würden, daß auch ihr,<br />
Auch du und Melek, Christen hießet, eh’<br />
Als Ehgemahl ihr Christen lieben wolltet?<br />
Sittah<br />
Jawohl! Als wär’ von Christen nur, als Christen,<br />
Die Liebe zu gewärtigen, womit<br />
Der Schöpfer Mann und Männin ausgestattet!<br />
Saladin<br />
Die Christen glauben mehr <strong>der</strong> Armseligkeiten,<br />
Als daß sie die nicht auch noch glauben könnten!<br />
Und gleichwohl irrst du dich. – Die Tempelherren,<br />
Die Christen nicht, sind schuld: sind nicht, als Christen,<br />
Als Tempelherren schuld. (...)<br />
III/7 (beson<strong>der</strong>s 1975 ff)<br />
Saladin<br />
Die Ringe! – Spiele nicht mit mir! – Ich dächte,<br />
Daß die Religionen, die ich dir<br />
Genannt, doch wohl zu unterschieden wären.<br />
Bis auf die Kleidung, bis auf Speis’ und Trank!<br />
<strong>Nathan</strong><br />
Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. –<br />
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| 28<br />
Denn gründen alle sie nicht auf Geschichte?<br />
Geschrieben und überliefert! – Und<br />
Geschichte muß doch wohl allein auf Treu<br />
Und Glauben angenommen werden? – Nichts? –<br />
Nun, wessen Treu und Glauben zieht man denn<br />
Am wenigsten in Zweifel? Doch <strong>der</strong> Seinen?<br />
Doch <strong>der</strong>en Blut wir sind? doch <strong>der</strong>en, die<br />
Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe<br />
Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo<br />
Getäuscht zu werden uns heilsamer war? –<br />
Wie kann ich meinen Vätern weniger<br />
Als du den deinen glauben? O<strong>der</strong> umgekehrt. –<br />
Kann ich von dir verlangen, daß du deine<br />
Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht<br />
Zu wi<strong>der</strong>sprechen? O<strong>der</strong> umgekehrt.<br />
Das nämliche gilt von den Christen. Nicht? –<br />
Saladin<br />
(Bei dem Lebendigen! Der Mann hat recht. Ich muß verstummen.<br />
Mögliche Interpretation <strong>der</strong> Aussagen über Religion<br />
Saladin hat eine relativ differenzierte Sich tauf die Christen. Im Gegensatz zu seiner<br />
Schwester Sittah lehnt er nicht alle Christen ab, son<strong>der</strong>n nur die Tempelherren. Er ist ein<br />
Gott ergebener, gläubiger Moslem. Trotzdem lässt er sich von <strong>Nathan</strong>s Ringparabel<br />
überzeugen – er teilt seine Einstellung zur Gleichwertigkeit <strong>der</strong> Religionen.<br />
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| 29<br />
<strong>Nathan</strong><br />
Textbeispiele<br />
II/5 (1273ff)<br />
<strong>Nathan</strong><br />
Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß,<br />
Daß alle Län<strong>der</strong> gute Menschen tragen.<br />
Tempelherr<br />
Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort.<br />
<strong>Nathan</strong><br />
Mit diesem Unterschied ist’s nicht weit her.<br />
Der große Mann braucht überall viel Boden;<br />
Und mehrere, zu nah gepflanzt, zerschlagen<br />
Sich nur die Äste. Mittelgut, wie wir,<br />
Find’t sich hingegen überall in Menge.<br />
Nur muß <strong>der</strong> eine nicht den an<strong>der</strong>n mäkeln.<br />
Nur muß <strong>der</strong> Knorr den Knuppen hübsch vertragen:<br />
Nur muß ein Gipfelchen sich nicht vermessen,<br />
Daß es allein <strong>der</strong> Erde nicht entschossen.<br />
Tempelherrn<br />
Sehr wohl gesagt! – Doch kennt Ihr auch das Volk.<br />
Das diese Menschenmäkelei zuerst<br />
Getrieben? Wißt Ihr, <strong>Nathan</strong>, welches Volk<br />
Zuerst das auserwählte Volk sich nannte?<br />
Wie? Wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht haßte,<br />
Doch wegen seines Stolzes zu verachten,<br />
Mich nicht entbrechen könnte? Seines Stolzes;<br />
Den es auf Christ und Muselmann vererbte,<br />
Nur sein Gott sei <strong>der</strong> rechte Gott! – Ihr stutzt,<br />
Daß ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede?<br />
Wenn hat, und wo die fromme Raserei,<br />
Den bessern Gott zu haben, diesen bessern<br />
Der ganzen Welt als besten aufzudringen,<br />
In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr<br />
Gezeigt, als hier, als itzt? Wem hier, wem itzt<br />
Die Schuppen nicht vom Auge fallen ... Doch<br />
Sei blind, wer will! – Vergeßt, was ich gesagt;<br />
Und lasst mich! (Will gehen.)<br />
<strong>Nathan</strong><br />
Ha! Ihr wißt nicht, wie viel fester<br />
Ich nun mich an Euch drängen werde. – Kommt,<br />
Wir müssen, müssen Freunde sein! – Verachtet<br />
Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide<br />
Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind<br />
Wir unser Volk? Was heißt denn Volk?<br />
Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,<br />
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| 30<br />
Als Mensch? Ah! Wenn ich einen mehr in Euch<br />
Gefunden hätte, dem es genügt, ein Mensch<br />
Zu heißen!<br />
Tempelherr<br />
Ja, bei Gott, das habt Ihr, <strong>Nathan</strong>!<br />
Das habt Ihr! – Eure Hand! – Ich schäme mich,<br />
Euch einen Augenblick verkannt zu haben.<br />
III/7 (beson<strong>der</strong>s 1975 ff)<br />
Saladin<br />
Die Ringe! – Spiele nicht mit mir! – Ich dächte,<br />
Daß die Religionen, die ich dir<br />
Genannt, doch wohl zu unterschieden wären.<br />
Bis auf die Kleidung, bis auf Speis’ und Trank!<br />
<strong>Nathan</strong><br />
Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. –<br />
Denn gründen alle sie nicht auf Geschichte?<br />
Geschrieben und überliefert! – Und<br />
Geschichte muß doch wohl allein auf Treu<br />
Und Glauben angenommen werden? – Nichts? –<br />
Nun, wessen Treu und Glauben zieht man denn<br />
Am wenigsten in Zweifel? Doch <strong>der</strong> Seinen?<br />
Doch <strong>der</strong>en Blut wir sind? doch <strong>der</strong>en, die<br />
Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe<br />
Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo<br />
Getäuscht zu werden uns heilsamer war? –<br />
Wie kann ich meinen Vätern weniger<br />
Als du den deinen glauben? O<strong>der</strong> umgekehrt. –<br />
Kann ich von dir verlangen, daß du deine<br />
Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht<br />
Zu wi<strong>der</strong>sprechen? O<strong>der</strong> umgekehrt.<br />
Das nämliche gilt von den Christen. Nicht? –<br />
Saladin<br />
(Bei dem Lebendigen! Der Mann hat recht. Ich muß verstummen.<br />
Mögliche Interpretation <strong>der</strong> Aussagen über Religion<br />
Durch das erzählen <strong>der</strong> Ringparabel bekundet <strong>Nathan</strong> seine Meinung, dass die Religionen<br />
gleichwertig sind – sogar gottgewollt gleichwertig begründet wurden. Im Kern sieht er<br />
Religion als eine Quelle <strong>der</strong> Kraft an, die man braucht, um Gutes zu tun. Gottergebenheit<br />
sieht er als Anlass zu guten Taten.<br />
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