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Anwaltsblatt 2002/04 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

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Europa<br />

Sachverhalt<br />

Gegen Manuele Arduino wurde vor dem Pretore von Pinerolo wegen<br />

eines Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung ein Strafverfahren<br />

durchgeführt. Bei der Festsetzung der vom Angeklagten<br />

zu erstattenden Kosten des Nebenklägers, wich der Pretore von<br />

der in Italien geltenden Gebührenordnung für die Leistungen der<br />

Rechtsanwälte ab.<br />

Das Rechtsmittelgericht erklärte die Abweichung von der Gebührenordnung<br />

für rechtswidrig, hob die Kostenentscheidung des Pretore<br />

auf und verwies die Sache insoweit an das erstinstanzliche<br />

Gericht zurück. Daraufhin setzte der Pretore von Pinerolo das Verfahren<br />

aus und legte dem Gerichtshof Fragen nach der Vereinbarkeit<br />

der Gebührenordnung der italienischen Rechtsanwälte mit<br />

dem EG-Wettbewerbsrecht zur Vorabentscheidung vor.<br />

Urteil des EuGH<br />

Der EuGH sprach aus, dass kein Verstoß gegen die Art 10 und 81<br />

EG-Vertrag vorliegt, wenn ein Mitgliedstaat eine Maßnahme, die<br />

auf einem Vorschlag eines Berufsverbandes der Rechtsanwälte für<br />

eine Gebührenordnung mit Mindest- und Höchstsätzen beruht, in<br />

Gesetzes- oder Verordnungsform erlässt, soweit diese staatliche<br />

Maßnahme in einem Verfahren wie dem ergeht, das in der italienischen<br />

Regelung vorgesehen ist.<br />

Nach Ansicht des Gerichtshofs führt die Betrauung eines Berufsverbandes<br />

durch einen Mitgliedstaat mit der Ausarbeitung einer Gebührenordnung<br />

für Dienstleistungen, nicht automatisch dazu, dass<br />

die Gebührenordnung den Charakter einer staatlichen Regelung<br />

verliert. Diesen Charakter verliere sie dann nicht, wenn die Mitglieder<br />

des Berufsverbandes als von den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern<br />

unabhängige Sachverständige – die gesetzlich verpflichtet<br />

sind, bei der Gebührenfestsetzung nicht nur die Interessen der<br />

Unternehmen des Sektors, den sie vertreten, sondern auch das<br />

Interesse der Allgemeinheit und das Interesse der Unternehmen<br />

anderer Sektoren oder derjenigen, die die betreffenden Dienstleistungen<br />

in Anspruch nehmen, zu berücksichtigen – angesehen werden<br />

können. 16 )<br />

Zur Rechtslage in Italien stellt der Gerichtshof fest, dass der Nationale<br />

Rat der Rechtsanwälte (Consiglio nazionale forense, kurz<br />

CNF), der ausschließlich aus Rechtsanwälten besteht, die von den<br />

Angehörigen des Anwaltsstandes gewählt werden, vom italienischen<br />

Staat verpflichtet wurde, alle zwei Jahre einen Vorschlag für<br />

eine Gebührenordnung mit Mindest- und Höchstsätzen für die Leistungen<br />

der Rechtsanwälte vorzulegen. Dabei habe er zwar den<br />

Streitwert, den Rang des mit der Sache befassten Gerichts sowie<br />

bei Strafsachen die Verfahrensdauer, nicht aber das Interesse der<br />

Allgemeinheit zu beachten. Die nationale Regelung enthalte daher<br />

keine Vorschrift, durch die ausreichend sichergestellt werden<br />

könnte, dass der CNF bei der Ausarbeitung des Vorschlages für<br />

die Gebührenordnung als eine im Allgemeininteresse tätige Ausprägung<br />

der öffentlichen Gewalt handle.<br />

Es sei aber auch nicht zu erkennen, dass der italienische Staat auf<br />

die Ausübung seiner Letztentscheidungsbefugnis oder auf die Kontrolle<br />

der Anwendung der Gebührenordnung verzichtet hätte. Der<br />

CNF sei lediglich mit der Ausarbeitung eines Vorschlages für die<br />

Gebührenordnung betraut, der als solcher keine Bindungswirkung<br />

entfalte. Sie trete erst mit Genehmigung des Ministers in Kraft.<br />

Außerdem stehen dem Minister zwei staatliche Organe (Staatsrat<br />

und interministerieller Preisausschuss) zur Seite, deren Stellungnahmen<br />

er vor der Genehmigung einzuholen habe. Weiters seien die<br />

Gebühren durch das Gericht anhand der gesetzlich vorgesehenen<br />

Maßstäbe und unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und der<br />

Anzahl der behandelten Probleme festzusetzen. Zudem könne das<br />

Gericht unter bestimmten außergewöhnlichen Umständen durch<br />

eine ordnungsgemäß begründete Entscheidung von den festgelegten<br />

Höchst- und Mindestsätzen abweichen.<br />

Der EuGH vertritt daher die Ansicht, dass der italienische Staat<br />

nicht die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen<br />

privaten Wirtschaftsteilnehmern übertragen hätte, was zur<br />

Folge hätte, dass die Gebührenordnung ihren staatlichen Charakter<br />

verlieren würde. Der italienische Staat habe daher keine Kartellabsprachen,<br />

die gegen Art 81 EG-Vertrag verstoßen, vorgeschrieben,<br />

erleichtert oder die Auswirkungen solcher Absprachen verstärkt.<br />

17 )<br />

16) Rn 36 und 37 des Urteils<br />

17) Rn 43 des Urteils<br />

210 AnwBl <strong>2002</strong>/4

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