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Anwaltsblatt 2002/04 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

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Rechtsprechung<br />

Die von der Vollzugsbehörde I. Instanz zur Begründung ihrer<br />

abweislichen Entscheidung herangezogene Rechtsanwaltsordnung<br />

(§ 1 Abs 3 RAO) in der Fassung des Bundesgesetzes über den<br />

freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung von europäischen<br />

Rechtsanwälten in Österreich, BGBl I 2000/27 (EuRAG,<br />

§ 1) regelt ua die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen ein im<br />

Gebiet der Europäischen Union ansässiger Rechtsanwalt nach<br />

Außen hin im Bundesgebiet der Republik Österreich sowohl vor<br />

inländischen Behörden und Gerichten als auch in außergerichtlichen<br />

und privaten Angelegenheiten zulässigerweise als Vertreter<br />

auftreten kann (§ 8 Abs 1 RAO).<br />

Hievon zu unterscheiden ist aber der ausnahmslos im Innenverhältnis<br />

gepflogene Kontakt eines Rechtsanwaltes zu seinen Klienten.<br />

Hiezu lässt BGBl 1995/1 in der Fassung BGBl III 1999/61 auch<br />

für ausländische Anwälte einzelne Beratungstätigkeiten im Inland<br />

in genau determiniertem Umfang (insbes im Zusammenhang mit<br />

ausländischem Recht) zu.<br />

Weder der Text des § 90b StVG noch die betreffenden Gesetzesmaterialien<br />

(946 BlgNR XVIII. GP; 1253 BlgNR XVIII. GP) schränken<br />

den privilegierten Personenkreis auf ausnahmslos zur Berufsausübung<br />

in der Republik Österreich berechtigte (so genannte<br />

inländische) Rechtsanwälte ein. Dies ist für das Innenverhältnis<br />

eines Anwaltes zu seinem Klienten – wie ausgeführt – auch nicht<br />

aus den Standes- bzw Berufsausübungsvorschriften für Rechtsanwälte<br />

ableitbar.<br />

Darüber hinaus regelt § 90b StVG den Schriftverkehr eines Strafgefangenen<br />

ua mit öffentlichen Stellen und mit Rechtsbeiständen<br />

(Rechtsanwälte gemäß § 90b Abs 5 StVG) auch im Lichte des<br />

Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom<br />

25. 3. 1992, Z 25/1990/243/314 (Fall Campell gegen Vereinigtes<br />

Königreich). Der Europäische Gerichtshof kam dabei zum<br />

Ergebnis, dass – wenn aufgrund konkreter Umstände nichts Anderes<br />

geboten – das Risiko eines bloß möglichen Missbrauchs von<br />

der Notwendigkeit überwogen werde, die Vertraulichkeit des Verhältnisses<br />

zwischen einem Anwalt und seinem Klienten zu achten.<br />

Der Verfassungsgerichtshof trat dieser Auffassung bei und sprach<br />

mit Erkenntnis vom 2. 12. 1993, G 134/93-6, aus, dass das<br />

Öffnen und Lesen der Korrespondenz eines Häftlings mit seinem<br />

Anwalt ohne konkrete Verdachtsmomente iSd Art 8 Abs 2 EMRK<br />

nicht gerechtfertigt ist.<br />

Aus dieser Sicht ist für ausländische Anwälte aber § 90b Abs 5<br />

StVG auch in Zusammenhang mit § 90 Abs 4 StVG zu verstehen.<br />

Danach dürfen Schreiben der Strafgefangenen an die Europäischen<br />

Instanzen in Straßburg nicht überwacht werden. Die Republik<br />

Ungarn ratifizierte mit 5. 11. 1992 die Konvention zum<br />

Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950<br />

samt Zusatzprotokollen. Damit ist ua ein im Hoheitsgebiet einer<br />

Vertragspartei zugelassener Rechtsbeistand mit dortigem Wohnsitz<br />

vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertretungsbefugt<br />

(Art 36 VerfO EUGH).<br />

Hat ein Strafgefangener einen vertretungsbefugten ausländischen<br />

Rechtsanwalt, der diesen vor dem Europäischen Gerichtshof vertritt,<br />

so darf iS einer verfassungskonformen Interpretation des<br />

§ 90b Abs 5 StVG der unüberwachte Schriftverkehr mit den genannten<br />

öffentlichen Stellen nicht dadurch umgangen werden,<br />

dass der Schriftverkehr mit dem ausländischen Rechtsanwalt überwacht<br />

wird, ausgenommen der Fälle des § 90b Abs 2 und 3<br />

StVG. Im Sinne der vom Europäischen Gerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof<br />

anerkannten grundsätzlichen Schutzwürdigkeit<br />

der Vertraulichkeit des Verhältnisses eines Anwaltes zu seinem<br />

Klienten, muss dies letztlich auch für allfällige vorbereitende<br />

Korrespondenz zwischen einem Anwalt und dem Klienten gelten,<br />

unabhängig ob daraus resultierend, ein Verfahren vor dem Europäischen<br />

Gerichtshof auch anhängig gemacht wird.<br />

Ist die Person eines einschreitenden ausländischen Rechtsanwaltes<br />

in seiner Funktion verifiziert (wie dies hinsichtlich des Rechtsanwalts<br />

Dr. B durch Bestätigung der Budapester Rechtsanwaltskammer<br />

vom 17. 5. 1995 den Vollzugsbehörden bekannt ist) und<br />

liegen auch keine konkreten Gründe iSd § 90b Abs 2 und 3 StVG<br />

vor, so ist ein unüberwachter Briefverkehr zwischen einem Strafgefangenen<br />

und seinem ausländischen Rechtsanwalt aus den dargelegten<br />

Gründen zuzulassen.<br />

Die am 20. 11. 2001 erfolgte Öffnung des von Rechtsanwalt Dr. B<br />

an den Beschwerdeführer gerichteten Schreibens als auch die an<br />

den Beschwerdeführer gerichtete schriftliche Anordnung der Vollzugsbehörde<br />

I. Instanz vom 8. 1. 2001, seine an diesen Rechtsanwalt<br />

gerichtete Schreiben geöffnet abzugeben, standen daher mit<br />

der Bestimmung des § 90b StVG nicht im Einklang.<br />

Anmerkung:<br />

In der vorliegende Beschwerdeentscheidung stellt das BMJ zunächst<br />

klar, dass der gem § 90b StVG privilegierte Personenkreis<br />

keineswegs nur inländische Rechtsanwälte sind. Sodann wird im<br />

Lichte der Straßburger Judikatur, die das Vertrauensverhältnis<br />

Mandant-Anwalt hoch hält, in überzeugender Weise die Rechtsansicht<br />

vertreten, dass das Verbot der Überwachung der Korrespondenz<br />

zwischen Strafgefangenen und (ausländischem) Anwalt auf<br />

dessen Berufszulassung in seinem Heimatstaat und die Vertretungsbefugnis<br />

vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu<br />

fokussieren ist. Damit spielt im hier gegenständlichen Fall keine<br />

Rolle, ob der ausländische Rechtsanwalt im Gebiet der Europäischen<br />

Union ansässig ist. Die Frage, ob ein ausländischer Rechtsbeistand<br />

vor österreichischen Behörden und Gerichten vertretungsbefugt<br />

ist, ist daher nicht einziger Ansatzpunkt für das Verbot der<br />

Überwachung des Briefverkehrs. Über den Bezug zu einer (allenfalls<br />

auch erst in Vorbereitung befindlichen, in der Folge gar nicht<br />

zustande kommenden) Vertretungstätigkeit vor dem Straßburger<br />

Gerichtshof hinaus sind somit Anwendungsfälle denk- und argumentierbar<br />

geworden. Als in beständiger Weise relevantes Kriterium<br />

einer notwendigen Grenzziehung von Überwachungen des<br />

232 AnwBl <strong>2002</strong>/4

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