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Rundbrief Nr. 8 (September 2006) - Heinrich Jacoby - Elsa Gindler ...

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8<br />

Brief aus Bethlehem<br />

Margit Lindner ist seit vielen Jahren Teilnehmerin in Kursen zu Fragen und Aufgaben aus der Arbeit<br />

<strong>Gindler</strong>s und <strong>Jacoby</strong>s. Sie hat sich vor eineinhalb Jahren für eine dreijährige Mitarbeit am Caritas Baby<br />

Hospital in Bethlehem verpflichtet. In einem Brief von Mai <strong>2006</strong> (noch vor dem aktuellen Konflikt zwischen<br />

Israel und dem Libanon) berichtete sie von ihrer Arbeit und ihrem Aufenthalt:<br />

Die Zeit läuft hier so schnell davon, die Hälfte<br />

meines Einsatzes ist schon vorbei. Es geht mir<br />

gut, und Gewöhnungsprozesse machen jetzt<br />

vieles leichter. In der Einarbeitungszeit habe ich<br />

viel an die Arbeit von <strong>Heinrich</strong> <strong>Jacoby</strong> und <strong>Elsa</strong><br />

<strong>Gindler</strong> gedacht, und ich war so dankbar, dass<br />

ich in den Kursen ein Werkzeug zur Verfügung<br />

bekam, um immer wieder Kraft, Stille und Gelassenheit<br />

zu finden. Besonders in der Einarbeitungszeit<br />

im Hospital und eigentlich jetzt noch<br />

in allen Bereichen meines Alltags hilft es mir<br />

sehr, einfach mir Fragen zu formulieren und<br />

offen für die Antworten zu sein. Dieses Vorgehen<br />

verhindert, dass ich den Schwierigkeiten<br />

ausgeliefert bin und hilft mir, die Situation besser<br />

zu erkennen. Die Menschen kennen mich<br />

nun in Bethlehem, und wenn ich Einkaufen gehe,<br />

werde ich begrüßt oder man winkt mir zu.<br />

Das vermittelt mir ein Gefühl von Dazugehörigkeit,<br />

was mir gut tut. Mit meiner Arbeit im Hospital<br />

bin ich nun sehr verwurzelt, und ich spüre<br />

die Akzeptanz der Kolleginnen auf Station. In<br />

meiner Physiotherapie-Abteilung haben wir ein<br />

gutes Miteinander, und dadurch können wir<br />

auch viele neue Schritte anpacken.<br />

Ich fange jetzt an, Vorträge zu halten und Fortbildungen<br />

zu unterrichten, besonders um Ärzte<br />

des Krankenhauses über unsere Anwendungen<br />

und Behandlungskonzepte aufzuklären. Es ist<br />

ein Jammer, dass die Mediziner so wenig über<br />

die Möglichkeiten der Physiotherapie Bescheid<br />

wissen. Vor einigen Wochen hielt ich einen<br />

Vortrag zum Thema "Erlernen von Bewegung".<br />

Dabei konnte ich viele Dias von unserer täglichen<br />

Arbeit mit unseren Kindern zeigen [...]. Ich<br />

pflege jetzt Kontakt zu den Physiotherapie-<br />

Dozenten der Universitäten Bethlehem und Al<br />

Quds. Dadurch ergeben sich Gelegenheiten<br />

zum Fachaustausch, und unsere Arbeit wird in<br />

den Fachkreisen bekannt. Den Studierenden<br />

wird in der Ausbildung viel Theorie vermittelt,<br />

leider fehlt es an praxisorientiertem Unterricht.<br />

Deshalb müssen unsere Praktikantinnen erst<br />

einmal intensiv eingewiesen werden, bevor sie<br />

unsere Kinder behandeln können.<br />

Heute war ich zu Examensprüfungen in der<br />

Ostjerusalemer Al Quds-University eingeladen.<br />

Diese Universität macht den Eindruck, stark am<br />

Islam orientiert zu sein. Sie wird von Saudi Arabien<br />

mitfinanziert. Für mich war es sehr befremdlich,<br />

die Studentinnen teilweise mit Gesichtsschleiern<br />

zu sehen. Von einigen Ausnahmen<br />

abgesehen, trugen alle jungen Frauen lange<br />

Mäntel und Kopftücher, die sie auch während<br />

des Unterrichts nicht ablegen. Nun<br />

verstand ich, warum es kaum praktischen Unterricht<br />

gibt. Zu meiner Freude mahnte einer<br />

der anwesenden Ärzte an, dass die Studierenden<br />

innerhalb ihrer Ausbildung zu eigener Körperwahrnehmung<br />

herangeführt werden sollten,<br />

damit sie ihre Erfahrungen in ihre spätere Arbeit<br />

integrieren. Er begründete es damit, dass<br />

die Unfallhäufigkeit in Palästina auf ein unterentwickeltes<br />

Körpergefühl der Gesamtbevölkerung<br />

zurückzuführen sei. Die Physiotherapeuten<br />

seien die Berufsgruppe, die hier etwas verändern<br />

könnte. Dabei war die Situation gerade so,<br />

dass wir im Hörsaal vor Hitze fast umkamen.<br />

Bei dieser unerträglichen Hitze waren die Studentinnen<br />

nach islamischen Regeln gekleidet.<br />

Mit hochroten Gesichtern saßen sie schweißtriefend<br />

in ihren Bankreihen. Es wäre spannend,<br />

über Seminare zum Thema "Körperwahrnehmung"<br />

etwas in Bewegung zu bringen. Die unzweckmäßige<br />

Kleidung der jungen muslimischen<br />

Frauen bedrückt mich oft, da sie die<br />

Frauen in ihrer Beweglichkeit so sehr einschränkt.<br />

Der tägliche Wahnsinn hier in Palästina wird an<br />

unzähligen Beispielen im gesellschaftlichen<br />

Zusammenleben, in der Politik, in der Religion,<br />

im Bildungswesen deutlich. [...] Dabei fällt es<br />

mir schwer, wertneutral zu bleiben und mir eine<br />

objektive Meinung zu bilden. Das aufgeheizte

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