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Militärische und politische Aspekte der<br />

Auseinandersetzung im ehemaligen<br />

Jugoslawien 1991-1994<br />

Diplomarbeit<br />

zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie<br />

eingereicht an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät<br />

der Universität Wien<br />

von<br />

<strong>Raphael</strong> Alexander <strong>Draschtak</strong><br />

Wien, im Oktober 1998


Inhalt<br />

I. Vorbemerkungen S.3<br />

II. Geschichte des Raumes im Abriß - Der Weg in den Krieg S.4<br />

III. Die Auseinandersetzungen in Slowenien, Juni - Juli 1991 S.15<br />

IV. Der Krieg in Kroatien, Juli 1991 - Jänner 1992 S.22<br />

IV.I. Waffenstillstand in Kroatien - Stationierung der UN-Truppen, Jänner 1992<br />

S.47<br />

V. Kriegsausbruch in Bosnien-Herzegowina, Frühjahr 1992 S.51<br />

VI. Die Kriegshandlungen in Bosnien-Herzegowina, Sommer 1992 - Frühjahr<br />

1994 S.75<br />

VI.I. Operation „Deny Flight“ und Interventionsoptionen von USA und NATO,<br />

Oktober 1992-Winter 1994 S.81<br />

VI.II. Der „Fall Srebrenica“ und die Errichtung der UN-Schutzzonen, März - Juni<br />

1993 S.83<br />

VI.III. Der moslemisch-kroatische Krieg 1993 - 1994 S.88<br />

VI.IV. Die militärische Entwicklung ab Frühjahr 1994 S.97<br />

VII. Die militär-politische Lage in Bosnien-Herzegowina, Herbst 1994 S.102<br />

VIII. Waffenstillstand, Dezember 1994/Jänner 1995 S.123<br />

IX. Schlußbetrachtung S.126<br />

X. Bibliographie S.133<br />

2


I. Vorbemerkungen<br />

Weder die Öffentlichkeit noch europäische oder amerikanische Spitzenpolitiker<br />

hätten vermutlich damit gerechnet, daß sich der in Jugoslawien schwelende interne<br />

Konflikt zwischen den Teilrepubliken im Frühjahr 1991 binnen weniger Wochen und<br />

Monate zu einer bewaffneten Auseinandersetzung auswachsen würde. Kurz nach<br />

Kriegsausbruch schien die Entwicklung - beschleunigt auch durch die<br />

kriegsimmanente Eigendynamik - bereits dramatisch eskaliert zu sein, die<br />

Staatengemeinschaft sah sich in einem militär-politischen Dilemma verfangen, die<br />

Kriegsparteien kämpften und provozierten weiter.<br />

Schien <strong>als</strong>o die Situation auf den kroatischen und bosnischen Kriegsschauplätzen<br />

spätestens seit Frühjahr 1992 weitgehend unübersichtlich, darf doch nicht vergessen<br />

werden, daß der Krieg nicht nur durch aufgestauten Nationalismus und eine<br />

angespannte wirtschaftliche und politische Situation im damaligen Jugoslawien,<br />

sondern auch durch konkrete Kriegsziele politischer und militärischer Eliten sowie<br />

durch das Nicht-Eingreifen des Westens ausbrechen konnte und (vorerst)<br />

weitergehen durfte. Die folgende militärische und politische Entwicklung kann<br />

gleichsam <strong>als</strong> logische Konsequenz all dieser Faktoren gelten. Daß die Alleinschuld<br />

oder -verantwortung für diesen Krieg hier keineswegs einer Seite allein<br />

zugeschrieben werden kann, soll an dieser Stelle mit Nachdruck betont werden.<br />

Der Kern des Forschungsansatzes der vorliegenden Arbeit soll Aspekte der<br />

Eskalation bis hin zum Kriegsausbruch sowie insbesondere Ausbruch und Fortgang<br />

der folgenden militärischen Operationen umfassen. Das eindeutige Hauptaugenmerk<br />

soll dabei auf den militärischen Gesichtspunkten der Auseinandersetzung liegen,<br />

wobei politische und sonstige Aspekte nur eingeblendet werden, um die militärische<br />

Entwicklung einzuleiten, verständlicher zu machen oder zu ergänzen. Forschungsziel<br />

war die umfassende Darlegung der Entwicklung und Hintergründe des militärischen<br />

Konflikts im ehemaligen Jugoslawien.<br />

Dabei bedarf die zeitliche Abgrenzung der Thematik (1991 - 1994) einer Erläuterung.<br />

Vom Autor wurde der Abschluß eines mehrmonatigen Waffenstillstandes - des<br />

längsten seit Beginn des jugoslawischen Krieges - unter Vermittlung von Jimmy<br />

Carter Ende 1994 <strong>als</strong> zeitlicher Endpunkt der Betrachtung gewählt. Dies deshalb, da<br />

aus seiner Sicht das Jahr 1995 aufgrund der politischen und vor allem militärischen<br />

Entwicklung - auch durch die nachdrückliche militär-politische Intervention der USA -<br />

eine thematische Sonderstellung gegenüber den vorangegangenen Kriegsjahren<br />

einnimmt und einer besonderen Behandlung bedürfte. Aus der Analyse der<br />

militärischen Entwicklung der Jahre 1991 bis 1994 ergibt sich ein schlüssiges Bild,<br />

das darzustellen Ziel und Inhalt dieser Arbeit sein sollte.<br />

3


II.: Geschichte des Raumes im Abriß – Der Weg in<br />

den Krieg<br />

Bosnien, das im 14. Jahrhundert unter Stephan Tvrtko zeitweise Vormacht in der<br />

Balkanregion war, wurde im 15. Jahrhundert von den Osmanen erobert; die<br />

Bosniaken traten mehrheitlich zum Islam über (ihre bogumulische Version des<br />

Christentums war von Rom aus <strong>als</strong> ketzerisch verfolgt worden, u.a. durch mehrere<br />

von Ungarn ausgehende Kreuzzüge).<br />

Die Herzegowina, erst im Besitz von Byzanz, dann (um 1000) unter kroatischer,<br />

später (1180-1321) unter serbischer Oberhoheit, war im 14. Jahrhundert zwischen<br />

Serbien und Bosnien geteilt und wurde 1483 ebenfalls von den Osmanen erobert. In<br />

der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam in beiden Herrschaftsgebieten zu<br />

Aufständen gegen das Osmanische Reich, das den letzten Aufstand (1875) nicht<br />

niederschlagen kann, weil es mit Montenegro und Serbien (seit 1877) und dann auch<br />

noch mit Rußland (seit 1877) Krieg führt - und verliert. Der Berliner Kongreß gab<br />

einerseits Serbien, Montenegro und Rumänien die Unabhängigkeit, übertrug<br />

andererseits der Donaumonarchie die Verwaltung Bosniens und der Herzegowina;<br />

1908 kommt es zu der von Österreich-Ungarn seit geraumer Zeit beabsichtigten<br />

Annexion - was eine unversöhnliche Feindschaft der serbischen Nationalisten<br />

begründet. Umgekehrt kämpften die muslimischen Bosniaken im Ersten Weltkrieg an<br />

der Seite der mit der Türkei verbündeten österreichisch-ungarischen<br />

Doppelmonarchie. Der bosnisch-herzegowinische Nationalrat proklamierte 1918 den<br />

Anschluß an Serbien, seither gehörte das Land zum SHS-Staat bzw. Jugoslawien.<br />

Nach der Zerschlagung Jugoslawiens durch die deutsche Wehrmacht 1941 wurde es<br />

Groß-Kroatien zugeschlagen (Ante Pavelic, der Ustasha-Anführer, hatte den<br />

Anschluß des Landes an ein Groß-Kroatien erstrebt). In der Folge wurde es unter<br />

Mitwirkung deutscher und italienischer Besatzungseinheiten 1 von Partisanenkriegen,<br />

die auch Ausdruck von Volkstumskämpfen waren, besonders stark heimgesucht. Die<br />

drei Nationen der Serben, Kroaten und Moslems hatten Erbfeindschaften entwickelt:<br />

Zwischen den politischen Eliten der Serben und Kroaten gab es mindestens seit den<br />

Konflikten um die einheits- oder bundesstaatliche Verfassung des Königreichs<br />

Mißtrauen und Abneigung, die ‘Bosniaken’ aber (unter Tito später zur ‘Nation der<br />

Muslime’ erklärt) waren und sind in serbischen Augen Verräter am Freiheitskampf<br />

gegen die Osmanen.<br />

In der unter Pavelic herrschenden kroatischen Ideologie galten sie <strong>als</strong> Angehörige<br />

der kroatischen Nation - im Unterschied zu den Serben, die von den Ustasha-<br />

Formationen erbarmungslos verfolgt wurden. Das serbische Nationalbewußtsein<br />

1 Vgl. z.B. Walter Manoschek, „Serbien ist judenfrei“. Der deutsche Vernichtungskrieg am Balkan<br />

1941/42 (Wien 1993)<br />

4


wiederum findet sein zentrales Symbol in der bis heute am Veitstag (Vidovdan, 28.<br />

Juni) in Erinnerung gebrachten ‘Schlacht auf dem Amselfeld’ (Kosovo Polje), bei der<br />

der serbische Adel im Kampf gegen die Osmanen unterging. 2 „Im Kosovo liegt das<br />

Amselfeld, myhtische Stätte einer 1389 von den Serben (und anderen<br />

Balkanvölkern) verlorenen Schlacht gegen die Türken, samt einem Kranz serbischer<br />

Klöster.“ 3 Seither ist der serbische Nationalismus „von der Idee des Blutopfers für die<br />

Christenheit und damit zugleich von einer anti-türkischen und anti-islamischen<br />

Einstellung geprägt; dem Westen hält man gern Undankbarkeit angesichts dieser<br />

heroischen Leistung vor.” 4 „Fürst Lazar, der serbische Heerführer (1389, Anm.),<br />

wurde von der serbisch-orthodoxen Kirche <strong>als</strong> Märtyrer zur Ehre der Altäre erhoben.”<br />

Eine weitere Zäsur im Verhältnis der Serben zu ihren Nachbarvölkern waren die<br />

skizzierten Ereignisse im Zweiten Weltkrieg, bekam doch Ante Pavelics Groß-<br />

Kroatien Bosnien-Herzegowina mit seiner serbischen Bevölkerung, die durch<br />

Massaker und Säuberungen stark dezimiert wurde, sowie Syrmien bis vor Belgrad. 5<br />

Angesichts dieser Vorbelastungen war es bemerkenswert, daß sich im Tito-<br />

Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt ein friedliches Zusammenleben<br />

zwischen den Völkern entwickeln konnte. 6 Die Serben aber sahen sahen dieses<br />

Jugoslawien „<strong>als</strong> ihren Staat an und beanspruchten darin <strong>als</strong> größtes Volk eine<br />

Führungsrolle, der sich alle anderen Völker unterzuorden hatten.” 7<br />

Nach dem Tod Titos 1980 kam es bald zu nationalistischen Auseinandersetzungen -<br />

beginnend 1981 im Kosovo - und angesichts einer immer größeren Wirtschaftskrise<br />

und eines sich weiter verstärkenden Nord-Süd-Wirtschaftsgefälles (das etwa Paul<br />

Lendvai schon 1970 ausgemacht hatte: „Die in so vielen Ländern bestehenden<br />

Gegensätze zwischen Zentralgewalt und Regionalismus, die Kluft zwischen Reichen<br />

und Armen, bekommen hier erst durch die tiefen und vererbten nationalen<br />

2 Heinrich Schneider, Friede für Bosnien-Herzegowina?: Ein Vertragswerk <strong>als</strong> Herausforderung für<br />

Europa (Bonn 1996) 11-12 und Klemens Ludwig, Europa zerfällt (Reinbek bei Hamburg 1993) 136f.<br />

3 DER SPIEGEL 11/1998. S. 149<br />

4 Schneider, Friede für Bosnien-Herzegowina? S.11-12 und Ludwig, Europa zerfällt. S.136f.<br />

5 Milo Dor, Leb wohl, Jugoslawien. Protokolle eines Zerfalls. 3., erweiterte Auflage (Salzburg-Wien<br />

1996) 52<br />

6 Schneider, Friede für Bosnien-Herzegowina? S.12<br />

7<br />

Erwin Konjecic, Die Unabhängigwerdung Kroatiens. Diplomarbeit zu Erlangung des<br />

akademischen Grades eines Magisters der Rechtswissenschaften an der Universität Salzburg 1995.<br />

21<br />

5


Gegensätze ihre bedenkliche Brisanz”) 8<br />

gab es Anfang der 90er Jahre bereits<br />

politische Fronten zwischen den Volksgruppen: Die ersten nach der „Wende“ - im<br />

Spätherbst 1990 - abgehaltenen Wahlen zeigten die Dominanz der „Nationalen“<br />

Parteien; sie errangen mehr <strong>als</strong> 200 der insgesamt 240 Parlamentssitze. 9<br />

Dieser Entwicklung entgegen stand die Haltung der zentralistisch, jugoslawisch<br />

orientierten Kräfte – vor allem der jugoslawischen Armee. Diese „große<br />

kommunistische Einigerin der jugoslawischen Völker“ 10 war - zumindest aus Sicht<br />

ihrer serbisch dominierten Führung - der Garant für Zusammenhalt, Sicherheit und<br />

Stabilität im Staat sowie für die Aufrechterhaltung einer gewissen (d.h. an der<br />

ethnographischen Realität im Staat orientierten) ethnischen Parität innerhalb der<br />

Armee (so konnte etwa ein Slowene oder Albaner, <strong>als</strong>o Angehörige einer<br />

zahlenmäßig kleinen Bevölkerungsgruppe im Staat, in den fünfziger und sechziger<br />

Jahren beim Militär relativ leicht Karriere machen. Als der Krieg ausbrach war die<br />

Führung der JNA an den Schlüsselstellen weitgehend von Serben und<br />

Montenegrinern dominiert). Im Umkehrschluß mußte dies die Bekämpfung jedweder<br />

zentrifugalen Tendenz bedeuten. 11<br />

Gerade dabei mußte es zum Konflikt der sezessionswilligen Kräfte - vor allem in<br />

Slowenien und Kroatien - mit der Armee kommen, <strong>als</strong> die anderen (zivilen)<br />

Staatsautoritäten nach und nach zusammenbrachen: “The real origin of the Yugoslav<br />

conflict is the disintegration of governmental authority and the breakdown of a<br />

political and civil order.” 12<br />

Als sich ein Prozeß der Verselbständigung der jugoslawischen Teilrepubliken<br />

abzeichnete, opponierte die Führung der Serben in Bosnien mit Vehemenz dagegen,<br />

weil sie meinte, auf die Rückendeckung durch ihr serbisches „Mutterland“ innerhalb<br />

einer bundesstaatlichen Ordnung angewiesen zu sein. Mit der Aussicht auf die<br />

Souveränität der Republik Bosnien-Herzegowina verbanden sie die Vorstellung einer<br />

Art Wiederkehr der traumatischen „türkischen“ Fremdherrschaft – ähnlich<br />

8 Paul Lendvai, Zwischen Hoffnung und Ernüchterung. Reflexionen über den Wandel in Osteuropa<br />

(Wien 1994) 174<br />

9 Schneider, Friede für Bosnien-Herzegowina? S.12<br />

10<br />

Walter Erdelitsch, Friedrich Orter, Krieg auf dem Balkan. Wie Fernsehreporter den<br />

Zusamenbruch Jugoslawiens erlebten (1. Auflage. Wien 1992) 75<br />

11 PROFIL 19/1992. S. 56<br />

12 Susan L. Woodward, Balkan tragedy. Chaos and dissolution after the Cold war. (Washington DC<br />

1995) 15<br />

6


traumatisiert waren die Krajina-Serben, wenn sie mit einem unabhängigen Kroatien<br />

konfrontiert wurden. Die Spitzenfigur der bosnischen Unabhängigkeitsbewegung, der<br />

Moslem Alija Izetbegovic, trat nämlich strikt für einen bosnischen Einheitsstaat ein; in<br />

der Tito-Zeit war er andererseits mit einer „Islamischen Deklaration“ hervorgetreten,<br />

die ihm eine mehrjährige Haftstrafe eingebracht hatte. In dieser hieß es: „Eine<br />

islamische Gesellschaft ohne islamische Staatsmacht ist unvollkommen und<br />

hilflos.“ 13 Zugleich hatte er sich zur Toleranz bekannt - dieser Begriff aber hat in der<br />

islamischen Tradition eine eigene Bedeutung - von einer vollen Gleichberechtigung<br />

der Religionen und von einer Bekenntnisneutralität des Staates konnte - jedenfalls<br />

aus Sicht der radikalen serbischen Führung - nicht die Rede sein. 14<br />

Bosnien-Herzegowina, früher Bestandteil eines Vielvölkerstaates, konnte sich selbst<br />

aufgrund der Ethnostruktur von vornherein nicht <strong>als</strong> Nation<strong>als</strong>taat definieren. Zwei<br />

der drei konstitutiven Völker von Bosnien - Kroaten und Serben - hatten 1992 bereits<br />

ihren eigenen Staat, was bei der dritten (und zahlenmäßig stärksten) konstitutiven<br />

Bevölkerungsgruppe, den Moslems, nicht der Fall war. 15 Diese Konfliktlinien sollten<br />

in der Folge aufeinandertreffen. Dazu der ehemalige US-Botschafter in Belgrad,<br />

Warren Zimmermann: „Der Zusammenbruch von Jugoslawien war ein klassisches<br />

Beispiel für den Nationalismus von oben nach unten - ein manipulierter<br />

Nationalismus in einem Gebiet (...) wo ein Viertel der Bevölkerung in Mischehen<br />

lebte.” 16 Die jeweiligen politischen Führer begannen, die Ängste „ihrer“ Völker,<br />

Minderheiten in einer neuen, „fremden“ Republik zu werden bzw. die<br />

Hegemonisierung oder die Furcht vor Aufteilung zwischen den Nachbarrepubliken,<br />

politisch zu instrumentalisieren.<br />

Die serbische Strategie war folglich nach dem Scheitern der „jugoslawischen Option“<br />

(was sich mit der „Entlassung“ Sloweniens aus dem Staatsverband ab Juli<br />

abzeichnete) auf die Erhaltung großer, serbisch besiedelter Teile Kroatiens und vor<br />

allem Bosnien-Herzegowinas innerhalb eines (notfalls militärisch) neu zu<br />

schaffenden Jugoslawiens, das in der Endkonzeption faktisch einem Groß-Serbien<br />

gleichkommen sollte, gerichtet. „Alle Bemühungen, einen souveränen Staat aus<br />

Bosnien-Herzegowina zu machen, betrachteten die Serben schlicht <strong>als</strong><br />

13 Schneider, Friede für Bosnien-Herzegowina? S.12-13; Zitiert nach: Süddeutsche Zeitung,<br />

31.10.1995, S. 6<br />

14 Ebenda. S.12-13<br />

15 Ferdo Colak, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker zwischen Recht und Machtpolitik.<br />

Deutsche Ausgabe (Offenburg 1996) 116<br />

16 Peter Maass, Die Sache mit dem Krieg - Bosnien von 1992 bis Dayton. Deutsche Erstausgabe<br />

(München 1997) 257<br />

7


Hochverrat.” 17 Die eigentliche Frage dabei war in der Anfangsphase des Krieges:<br />

„Was für einen Krieg führt man zur Zeit in Bosnien-Herzegowina? Ist es nur eine<br />

Konsequenz der serbischen (und auch kroatischen) Aggression von außen, oder hat<br />

man es auch mit einem Bürgerkrieg zu tun? Meines Erachtens ist der Krieg in<br />

Bosnien-Herzegowina eine Kombination aus äußerer Aggression, Bürgerkrieg,<br />

Religionskrieg und Bandenkrieg. Diese Antwort umfaßt alle anderen Fragen<br />

politischer, militärstrategischer oder völkerrechtlicher Natur.” 18 Mit anderen Worten:<br />

Die Frage, ob der Konflikt in Bosnien und Kroatien primär „ethnisch-religiöser” oder<br />

„politisch-nationalistischer“ Natur war und ist, ist sehr umstritten. 19 Den<br />

Forschungsergebnissen des Autors zufolge dürfte es sich um eine Symbiose beider<br />

Faktoren handeln.<br />

Titos Reich war somit seit dessen Tod 1980 zerfallen, „<strong>als</strong> die äußere Bedrohung<br />

weg war, <strong>als</strong> sich der innere Zusammenhalt des Vielvölkerstaates durch den Bankrott<br />

des Genossenschafts-Kapitalismus lockerte und er sich schließlich durch<br />

Demokratisierung zersetzte. Innerhalb und außerhalb der KP tauchten<br />

nationalistische Gruppen auf, die bald die Oberhand gewannen. Die neue Macht<br />

errang, wem es am besten gelang, die Zerteilung des Staates durch Nächstenhaß zu<br />

organisieren.“ 20 Der serbische Präsident Slobodan Milosevic übernahm in diesem<br />

Transformationsstadium diese politische - und gemeinsam mit der Armee bald auch<br />

die militärische - Initiative. Dabei sollte er Interessen und Konstellationen geschickt<br />

ausnutzen. Milosevic war keineswegs darauf aus, „sich alle anderen zu unterwerfen.<br />

Das wollte nur die alte Armeeführung, die er ausnutzte und betrog.“ 21<br />

Zugute kam dem serbischen Präsidenten dabei die weitgehenden Passivität vor<br />

allem des Westens, die politischem Kalkül und f<strong>als</strong>cher Einschätzung entsprach.<br />

„Vier Tage vor Kriegsbeginn, Ende Juni 1991, besuchte der amerikanische<br />

Außenminister James Baker die Belgrader Führung und erklärte die bevorstehenden<br />

Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens für ‚illegal‘. Die USA würden<br />

sie nicht anerkennen. Ähnlich dachten und redeten britische und französische<br />

Diplomaten.“ 22<br />

17 Zarko Puhovski, Der Krieg in Bosnien-Herzegowina und der serbisch-kroatische Konflikt<br />

(o.O., o.J.) 302<br />

18 Ebenda. S. 303<br />

19 Carsten Wieland, Die aktuellen Konfliktlinien in Bosnien-Herzegowina. In: Südosteuropa<br />

Mitteilungen, 1995/Nr.3 - 35. Jahrgang, 195<br />

20 PROFIL 39/1995. S. 72<br />

21 Ebenda. S. 72<br />

22 Ebenda. S. 72<br />

8


Der spätere Friedensvermittler Richard Holbrooke dazu in seinen Erinnerungen über<br />

die Jugoslawien-Mission vor Ausbruch des militärischen Konfliktes: „Die USA<br />

befanden sich in der paradoxen Situation, ein Staatsgebilde zu unterstützen, das<br />

nicht mehr existierte.“ 23 „Wären sich Europäer und Amerikaner im Endziel einig<br />

gewesen, hätten sie etwa einer gelockerten jugoslawischen Föderation eine<br />

demokratische Struktur aufzwingen können. Oder notfalls eine friedliche<br />

Scheidung.“ 24<br />

Holbrooke weiter: „Tatsächlich war Jugoslawien <strong>als</strong> ‚erster Versuch‘ für die neue<br />

amerikanische Politik, die Europäer zu einem geschlossenen Handeln zu bewegen,<br />

denkbar ungeeignet. (...) Aber auch die Europäer beurteilten die Lage völlig f<strong>als</strong>ch.“ 25<br />

Holbrooke neigte bereits in Betrachtung der damaligen Ereignisse zu einem Einsatz<br />

militärischer Mittel, wie er erst vier Jahre später unter Federführung der USA in<br />

Bosnien passieren sollte: „Die von den USA dominierte NATO wäre wohl am ehesten<br />

zu einer Lösung der Jugoslawienkrise in der Lage gewesen.“ 26<br />

Die Motivation für das gemeinsame Vorgehen der Jugoslawischen Armee mit<br />

Milosevic war, wie auch der kurzzeitige Belgrader Bürgermeister und Milosevic-<br />

Kritiker Zoran Djindjic (<strong>als</strong> Serbe, Anm.) konstatiert, eine sehr rationale: „Im Zuge des<br />

jugoslawischen Zerfallsprozesses hat sich die gesamtjugoslawische Bundesarmee<br />

von allen gemeinsamen Staatsinstitutionen am langsamsten aufgelöst. In der Armee<br />

existierte ein sehr harter Kern an Leuten, die an einem gemeinsamen Jugoslawien<br />

festhalten wollten. Die Armee war ein Sonderfall, da es in ihr einen<br />

überdurchschnittlich hohen Anteil an überzeugten Kommunisten gab. Daher sah sich<br />

die Armee in der ersten Kriegsphase <strong>als</strong> Verteidigerin Jugoslawiens, da sie meinte,<br />

den Kommunismus zu verteidigen. So wirkte auch Milosevics Trick, sowohl<br />

Kommunismus <strong>als</strong> auch Nationalismus vorzutäuschen. In der Tat war und ist er<br />

weder Kommunist noch Nationalist.“ 27 Milovan Djilas dazu: „Als der Versuch<br />

Milosevics, (durch Instrumentalisierung der jugoslawisch orientierten Fraktion in der<br />

Armeeführung, Anm. des Autors) ganz Jugoslawien zu erobern, fehlgeschlagen war,<br />

zog er die Theorie ‘Großserbien’ aus dem Hut - wobei er offiziell immer von der<br />

Erhaltung Jugoslawiens sprach.” 28<br />

23 Richard Holbrooke, Meine Mission. Vom Krieg zum Frieden in Bosnien. Deutsche Ausgabe.<br />

(München 1998) 47<br />

24 PROFIL 39/1995. S. 72<br />

25 Holbrooke, Meine Mission. S. 48-49<br />

26 Holbrooke, Meine Mission. S. 48<br />

27 Gespräch mit Bürgermeister a.D. Prof. Zoran Djindjic, Belgrad, Oktober 1997<br />

28 DER SPIEGEL 17/1995. S. 161<br />

9


Dies unter anderem sicherlich, um sich weiterhin der Unterstützung der Armee gewiß<br />

zu sein. Deren Angehörige hatten wie erwähnt naheliegende Gründe, sich für<br />

Jugoslawien zu engagieren. Für das Jahr 1992 sollten 81% der Gelder aus der<br />

jugoslawischen Bundeskasse an die JNA gehen, die hauptsächlich aus den<br />

Zolleinnahmen der verschiedenen Republiken stammten. Der Austritt von vier<br />

Republiken aus dem jugoslawischen Bundesstaat bedeutete <strong>als</strong>o gerade für die<br />

jugoslawische Armee schwere finanzielle Einbußen. Der Verfassungsauftrag der<br />

Jugoslawischen Armee, die Einheit und politische Struktur Jugoslawiens zu wahren,<br />

deckte sich damit weitgehend mit ihren eigenen Interessen. 29<br />

Da 75 Prozent der höchsten Offiziersränge 1991 mit Serben oder Montenegrinern<br />

besetzt waren („die Gründe dafür sind sicher in der Kämpfer- und Uniformtradition<br />

der beiden Nationen zu suchen“) 30 , ergab sich gleichsam eine natürliche<br />

Interessenkongruenz zwischen den - zumeist in Personalunion agierenden -<br />

kommunistischen Armeefunktionären und serbischen Nationalisten. Dies überrascht<br />

nicht, wenn man bedenkt, daß von den serbischen Offizieren der Armee zu<br />

Kriegsbeginn mindestens 95 Prozent Mitglieder der Kommunistischen Partei waren. 31<br />

Die folgende Entwicklung wird anhand dieser Ausführungen leichter verständlich.<br />

„Man darf nicht vergessen, daß im November 1990 hohe Militärs wie der<br />

Verteidigungsminister und der Innenminister (und frühere Gener<strong>als</strong>tabschef)<br />

zusammen mit Altpartisanen und ehemaligen Kommunisten den Bund der<br />

Kommunisten <strong>als</strong> ‘Bewegung für Jugoslawien’ gegründet haben.” 32 In ihren Zielen<br />

hatten die Militärs starke Verbündete: „Die Interessenkongruenz zwischen<br />

Volksarmee und serbischen Nationalisten war das Festhalten am Sozialismus und an<br />

der Einheit des jugoslawischen Staates. (...) Slowenien und Kroatien verstießen<br />

gegen eine der Grundregeln für den friedlichen Übergang, indem sie den Status des<br />

Militärs in Frage stellten. Beide Republiken begannen im Rahmen ihrer<br />

Konföderationspläne aus ihren Territori<strong>als</strong>treitkräften eigene Armeen aufzubauen<br />

und wollten den einheitlichen Oberbefehl der Bundesebene abschaffen.” 33<br />

Bereits im Frühjahr 1990, <strong>als</strong>o mehr <strong>als</strong> ein Jahr vor dem tatsächlichen<br />

Kriegsausbruch, hatte die JNA somit begonnen, ihre strategischen Absichten auch in<br />

29 Susanne Gelhard, Ab heute ist Krieg. Der blutige Konflikt im ehemaligen Jugoslawien<br />

(Frankfurt/Main 1992) 138-139<br />

30 Erdelitsch, Orter, Krieg auf dem Balkan. S. 75<br />

31 Eric Micheletti, Yves Debay, War in the Balkans. Translated by Jean-Pierre Villaume (Poole 1993)<br />

o. S.<br />

32 Lendvai, Zwischen Hoffnung und Ernüchterung. S. 209-210<br />

33 Carsten Giersch, Daniel Eisenmann, Die westliche Politik und der Kroatien-Krieg 1991-1992.<br />

In: Südosteuropa, 43.Jhg., 3-4/1994. o.S.<br />

10


Slowenien und Kroatien durchzusetzen. Sie wollte dem erwarteten Sieg der<br />

nationalistischen, nicht-kommunistischen und antikommunistischen Parteien<br />

zuvorkommen und deren eigene potentiellen bewaffneten Truppen (v.a. die<br />

Territorialverteidigung der Republiken, auf die unten noch weiter einzugehen sein<br />

wird, Anm.) neutralisieren. 34<br />

Das anfangs weitgehend verdeckte Vorgehen der Armee wurde seitens der Europäer<br />

und Amerikaner anfangs nicht merklich kritisiert. Auch dabei waren die Gründe<br />

nachvollziehbar. “In Europa hoffte man lange, daß in Jugoslawien unter einer<br />

starken, eventuell militärischen Zentralregierung law and order wiederhergestellt<br />

würden, man berief sich auf das Prinzip der Nichteinmischung in innere<br />

Angelegenheiten. Vor allem fürchtete man den ‘Ansteckungseffekt’ (auf Korsen,<br />

Basken, Nordiren etc.), wenn die Völker Jugoslawiens auseinandergingen, und<br />

dachte an die Behinderung der Verkehrswege nach dem Südosten durch neue<br />

Grenzen. Der britische Außenminister Hurd meinte bei Ausbruch der Kämpfe, die<br />

jugoslawische Armee - die stärkste auf dem Kontinent außerhalb der NATO - sollte<br />

erst einmal im eigenen Saft verkochen.” 35 Überdies befand sich die EG in einer<br />

strukturellen Transformationsphase von der wirtschaftlichen zur politischen Einheit<br />

und war demzufolge noch auf keinem entsprechenden Handlungsniveau.<br />

Auch waren sich die Spitzen der Europäischen Gemeinschaft - mit Ausnahme<br />

Deutschlands, das sich gemeinsam mit Österreich hinter Slowenien und Kroatien<br />

stellte - bei Kriegausbruch nicht einig und klar, ob man die Auseinandersetzungen im<br />

Gefolge der Sezession Sloweniens und Kroatiens <strong>als</strong> serbischen - und damit<br />

internationalen - Angriffskrieg gegen die beiden Staaten, die man noch nicht<br />

diplomatisch anerkannt hatte (dies folgte durch die EG erst am 15. Jänner 1992),<br />

oder <strong>als</strong> reinen Bürgerkrieg innerhalb des jugoslawischen Staates betrachten sollte.<br />

Gleichzeitig waren die USA und Europa nämlich zu Beginn der Krise auch in den<br />

Widersprüchen der Helsinki-Schlußakte von 1975 gefangen: Die Unverletzbarkeit der<br />

Grenzen (3. Prinzip der Helsinki-Akte), die territoriale Integrität der Staaten (4.<br />

Prinzip) und Nicht-Einmischung in interne Angelegenheiten von Staaten (6. Prinzip)<br />

standen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker (8. Prinzip) entgegen. 36 Wie Alois<br />

34 Anton Bebler, Staat im Staate. Zur Rolle des Militärs. In: Josip Furkes, Karl-Heiz Schlarp,<br />

Jugoslawien. Ein Staat zerfällt (Frankfurt/Main 1991) 121<br />

35<br />

Paul Parin, Westeuropa hat Jugoslawien allein gelassen. Gedanken eines entsetzten<br />

Zuschauers. In: o. Hg, Europa im Krieg. Die Debatte über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien<br />

(Frankfurt/Main 1992) 28<br />

36 Predrag Simic, The internationalization of the war in Yugoslavia. In: The Southeast European<br />

Yearbook 1994, 463<br />

11


Mock sagte, schien das Handeln Europas mehr <strong>als</strong> je zuvor gefordert: “I believe that<br />

the dire conflict in Yugoslavia is putting Europe to the test. The EC is now faced with<br />

the necessity of translating its projected aim of common security policy into concrete<br />

practice.” 37 Um es vorwegzunehmen - Die Europäische Gemeinschaft reüssierte<br />

nicht, konnte den Krieg im ehemaligen Jugoslawien nicht abwenden oder beenden<br />

(Als kleine Anekdote sei hiebei erwähnt, daß sich Deutschland bei den<br />

Verhandlungen über den Maastricht-Vertrag 1991 von Großbritannien eine<br />

Konzession „abpressen“ ließ: 38 Im Austausch für die Anerkennung Sloweniens und<br />

Kroatiens durch Großbritannien mußte John Major die europäische Sozialcharta<br />

nicht unterschreiben 39 ).<br />

Zum sogenannten Sezessionsrecht gibt es an dieser Stelle zu sagen, daß dies <strong>als</strong><br />

extremste Ausprägungsform des Selbstbestimmungsrechtes unter<br />

Völkerrechtsexperten und Politikern heftig umstritten ist. Vor allem in Hinblick auf<br />

eigene Minoritätenprobleme - Baskenland, Nordirland, Südtirol etc. - erkannten die<br />

europäischen Staaten die stabilitätsgefährdende Wirkung einer „Balkanisierung” 40 .<br />

Die amerikanische Politik der Deeskalation, der wirtschaftlichen Versprechungen und<br />

des sanften Drucks korrespondierte somit weitgehend mit den Interessen der<br />

Europäer und war in Anbetracht der Linie gegenüber Jugoslawien in den 80er Jahren<br />

durchaus <strong>als</strong> kontinuitär und konsistent zu bezeichnen: “During the 1980s, Western<br />

statesmen and diplomats expressed continuing faith in Yugoslavia’s future and<br />

unity.” 41 “...Baker was in line with the Europeans’ tactics, since he declared the<br />

United States ready to aid Yugoslavia if domestic conditions became normalized. He<br />

<strong>als</strong>o declared the United States unwilling to recognize a independent Slovenia and<br />

Croatia, calling any ‘unilateral secession’ ‘illegal and illegitimate’. 42 Nicht<br />

unverständlich - betrachtet man die gepflegte Politik und Äußerungen westlicher<br />

37 Stellungnahme des österreichischen Bundesministers für Auswärtige Angelegenheiten, Dr. Alois<br />

Mock im Wall Street Journal: “Act now in Yugoslavia”, New York, am 14. November 1991; nach:<br />

Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten (Hg.), Österreichische außenpolitische<br />

Dokumentation. Sonderdruck Jugoslawische Krise (Wien 1992), 153<br />

38 PROFIL 39/1995. S. 72<br />

39 Ebenda. S. 72<br />

40 Hans Holderbach, Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Aspekte eines bewaffneten<br />

Konflikts aus völkerrechtlicher Sicht. In: WGO - MfOR 1992. 273<br />

41 Aleksa Djilas, Tito’s last secret. How did he keep the Yugoslavs together? In: Foreign Affairs<br />

July/August 1995, 120<br />

42 Woodward, Balkan tragedy. S.161<br />

12


Staatsmänner bis in die 90er Jahre - erwartete die serbische Führung und die Armee<br />

1991, daß EG und USA die Desintegration Jugoslawiens nicht hinnehmen würden. In<br />

der Forschung findet somit die Meinung zunehmend Verbreitung, daß insbesondere<br />

die EG (aber auch die USA) mit ihren Erklärungen zur Aufrechterhaltung der Einheit<br />

Jugoslawiens die Kompromißlosigkeit im Streit zwischen den Republiken gefördert<br />

und den Glauben der Militärs gestärkt hat, zur gewaltsamen Bewahrung der Einheit<br />

berechtigt zu sein. 43<br />

Zum Streitfall zwischen Kroatien und der nunmehr serbisch/montenegrinisch<br />

dominierten Zentrale entwickelte sich spätestens ab Frühjahr die mit mehr <strong>als</strong><br />

600.000 Serben besiedelte Krajina-Region an der Grenze zu Bosnien sowie<br />

ebenfalls mehrheitlich von Serben besiedelte Gebiete in West- und Ostslawonien.<br />

Die serbisch besiedelte Krajina stellte in der Habsburger-Monarchie bis etwa 1880<br />

die Militärgrenze gegen das Osmanische Reich dar. Aus Sicht zahlreicher Kenner<br />

ebenfalls eine Ursache für das Krieger-Selbstverständnis der serbischen Bewohner<br />

der Region, das sich nunmehr, <strong>als</strong> Kroatien die Unabhängigkeit von Jugoslawien<br />

anstrebte, entladen sollte. 44<br />

Als gleichsame Initialzündung konnten dabei Erklärungen kroatischer Spitzenpolitiker<br />

und die verabschiedete Verfassung der neuen Republik Kroatien betreffend die<br />

serbische Minderheit im Staat gelten. Das von Kroatien im Juni 1991 beschlossene<br />

„Dokument“ über die Rechte der Serben war unter den gegebenen Umständen<br />

nämlich „völlig unzureichend“ 45 und mußte für das Verhältnis zu den kroatischen<br />

Serben von vornherein eine Belastung darstellen.<br />

Trotz der reservierten bis offen ablehnenden Haltung der serbischen<br />

Bevölkerungsgruppe im Land setzte die kroatische Führung ihren Weg Richtung<br />

Unabhängigkeit fort. Als Folge einer eindeutigen Entscheidung der Wählerschaft vom<br />

Mai hatte das kroatische Parlament auf seiner Sitzung vom 25. Juni 1991 (ebenso<br />

Slowenien, Anm.) eine konstitutionelle Resolution verabschiedet, in der die Republik<br />

Kroatien <strong>als</strong> souveräner und selbständiger Staat proklamiert wurde. „Mit dieser<br />

Resolution setzte das Parlament den Abtrennungsprozeß Kroatiens von der<br />

Jugoslawischen Föderation und Maßnahmen zur Erlangung der internationalen<br />

Anerkennung in Gang. Diese Resolution bestätigte Kroatiens derzeitige Grenzen<br />

entsprechend den konstitutionellen Entscheidungen der damaligen jugoslawischen<br />

43 Giersch, Eisenmann, Die westliche Politik und der Kroatien-Krieg 1991-1992. o.S.<br />

44 Österreichische Militärische Zeitschrift (forthin ÖMZ) 6/1991. S. 499<br />

45 Giersch, Eisenmann, Die westliche Politik und der Kroatien-Krieg 1991-1992. o.S.<br />

13


Föderation.” 46 Gerade dieser Passus mußte für die Serben in Kroatien eine<br />

Provokation darstellen, wurde man aus Sicht ihrer Führung doch um die<br />

Selbstbestimmungsmöglichkeit gebracht, welche die Kroaten selbst gegenüber der<br />

jugoslawischen Zentrale ins Treffen führten.<br />

Spätestens zu diesem Zeitpunkt beziehungsweise mit dem Einmarsch der JNA in<br />

Slowenien schien klar, daß diese Unabhängigkeitserklärung auch in Kroatien und in<br />

weiterer Folge auch in Bosnien einen weiteren Schritt in Richtung einer bewaffneten<br />

Auseinandersetzung darstellen würde. Erste Spannungen wurden bereits auch in<br />

Bosnien merkbar. “Relations between the army and the Bosnian government<br />

nonetheless deteriorated as the country dissolved. At the time of the Slovene and<br />

Croatian independence declarations, the Bosnian government and Parliament had<br />

made no particular effort to communicate with the army, in part because of internal<br />

division among the parties.” 47 Ein knappes Jahr noch gelang es, Bosnien aus einem<br />

Krieg herauszuhalten, 1991 sollten sich die Kampfhandlungen zuerst auf Slowenien,<br />

kurze Zeit später auf Kroatien konzentrieren.<br />

46 Trpimir Macan, Josip Sentija, Kroatische Geschichte im Überblick. Aus dem Kroatischen<br />

übersetzt von Ute Kolorz (Zagreb 1992) 153-154<br />

47 Woodward, Balkan tragedy. S. 259<br />

14


III. Die Auseinandersetzungen in Slowenien, Juni-<br />

Juli 1991<br />

Am 25. Juni erklären Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien.<br />

Zwei Tage später intervenierte die Jugoslawische Armee militärisch in Slowenien. 48<br />

Vorausgeschickt werden muß, daß die folgenden Kampfhandlungen in Slowenien -<br />

wie Holbrooke richtig bemerkt - kurz waren, „gemessen an den späteren Ereignissen,<br />

eine Bagatelle.“ 49<br />

„Military intervention was scheduled to start at 5am on 27 June 1991. Initially, the<br />

Federal troops planned to encircle the Slovenian capital city, then seize ist airport<br />

and all border posts along the Austrian border. JNA (...) units had hardly left their<br />

barracks when Slovenian territori<strong>als</strong> (TO or Teritorialna Ombramba) intervened and,<br />

in no time at all, had erected barricades and roadblocks all around the country. (...)<br />

On the border, clashes took place with guards when heliborne and airborne<br />

operations were conducted with armoured support. The JNA seized about a dozen<br />

border posts, but 15 remained under Slovenian control. Fighting was fierce and, by<br />

the morning of 28 June, the situation was still extremely confused. JNA armoured<br />

reinforcements attempted to cross in from Croatia but were repelled.“ 50<br />

“At the beginning of the armed conflict, the Slovenian TD (TO, Anm.) - in comparison<br />

to the enemy - was much weaker, but it gradually managed to take over more and<br />

more weapons and equipment from seized barracks. (...) During the short war it<br />

consisted of about 27.000 men (im Kampfeinsatz. Die Gesamtstärke lag beträchtlich<br />

höher. Andere Quellen sprechen von 25.000 Mann im Einsatz, Anm.) 51 , which<br />

however is much less than its size would be when all reserves would be included.” 52<br />

Zur Territorialverteidigung/TO muß gesagt werden, daß die JNA bis zum Einmarsch<br />

der Roten Armee in der Tschechoslowakei 1968 nach dem Muster der Armeen des<br />

Warschauer Pakts gegliedert war. „Tito hatte bis zuletzt nicht an ein Eingreifen der<br />

Sowjetarmee in Prag geglaubt. Als es dann doch geschah, mußten er und seine<br />

Generäle feststellen, daß die Jugoslawische Volksarmee nicht ausreichend<br />

vorbereitet gewesen wäre, um einen möglichen weiteren Vormarsch der Roten<br />

Armee nach Jugoslawien hinein zu stoppen. Daraufhin änderte Marschall Tito sein<br />

48 PROFIL 48/1995. S. 70<br />

49 Holbrooke, Meine Mission. S. 50<br />

50 Micheletti, Debay, War in the Balkans. o. S.<br />

51 ÖMZ 5/1991. S. 394<br />

52 Bojko Bucar, Stein Kuhnle (Hg.), Small states compared: Politics of Norway and Slovenia<br />

(Ljubljana 1994) 89<br />

15


Wehrkonzept und ordnete den Aufbau von sechs Territorialarmeen an, eine für jede<br />

Teilrepublik. Diese Territorialverteidiger waren Reservisten. Für sie wurden Depots<br />

mit leichten und mittleren Waffen angelegt. Das brachte alle Vorteile, die eine schnell<br />

reagierende, dezentrale, gut motivierte Verteidigungskraft gegenüber einem<br />

monströsen Armeeapparat hat. Mit diesem System trug Tito aber auch<br />

unbeabsichtigt zum rascheren Zerfall des von ihm gegründeten Vielvölkerstaates<br />

Jugoslawien bei...” 53<br />

Die jugoslawische Armee selbst setzte sich aus den drei Waffengattungen Infanterie,<br />

Luftwaffe und Marine zusammen, wobei die Infanterie naturgemäß die größte<br />

Teilstreitkraft darstellte. Jugoslawien war in der Herstellung der meisten Waffen und<br />

der Standardmunition autark. So wurden etwa die leichten Waffen wie Kalashnikows<br />

unter sowjetischer Lizenz im Inland produziert. Daneben verfügte die Armee über<br />

Gerät eigener Produktion - etwa die (Trainings-)Kampfflugzeuge Orao und Jastreb.<br />

In einigen Bereichen hatte die jugoslawische Armee sogar besseren Zugang zu<br />

sowjetischen Waffenneuerungen <strong>als</strong> die ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten. So<br />

bekam die JNA etwa den T-72 oder die MIG-29 früher <strong>als</strong> die Pakt-Osteuropäer.<br />

Dennoch muß konstatiert werden, daß die Waffenbestände der jugoslawischen<br />

Armee bei Kriegsausbruch im Sommer 1991 zu einem großen Teil aus überaltetem<br />

Gerät bestanden. Die Erhaltung der technischen Ausrüstung erforderte einen großen<br />

finanziellen Aufwand und ging zum damaligen Zeitpunkt bereits über die<br />

Wirtschaftskraft des auseinanderstrebenden Staates hinaus. Die prekäre<br />

wirtschaftliche Situation hatte überdies eine Reduzierung der Übungszeiten und<br />

damit eine Senkung des Ausbildungsstandes und in weiterer Folge eine Senkung der<br />

Kampfkraft der Rekruten zum Resultat (was sich in der Folge vor allem auf<br />

serbischer Seite auswirken sollte). Auch wurde die Kapazität des Militärarsen<strong>als</strong><br />

durch den geringen Computerisierungsgrad der Abwehrmaßnahmen geschwächt. 54<br />

Zusätzlich wurden Westwaffen häufig importiert und oft mit sowjetischer Technik<br />

aufgerüstet. So war auch der britisch-französische Hubschrauber „Gazelle“ zu<br />

Jugoslawiens modernstem Kampfhubschrauber „GA-MA“ geworden. 55 Die Nutzung<br />

des vorhandenen Geräts im Slowenien-Feldzug entsprach jedoch keineswegs den<br />

aus Sicht der JNA-Führung notwendigen Anforderungen, um die Grenzen und die<br />

abtrünnige Republik unter Kontrolle zu bringen.<br />

53 Erdelitsch, Orter, Krieg auf dem Balkan. S.74<br />

54 Bebler, Staat im Staate. In: Furkes, Schlarp, Jugoslawien. S.109-110<br />

55 Hans Peter Rullmann (Hg.), Ost-Dienst/Jugoslawien-Dienst. Die Jugoslawische Armee, ihre<br />

Waffen und ein europäisches Waffenembargo: Eine ungeeignete Maßnahme, die nur der Armee<br />

hilft ( Hamburg, Juli 1991) 6-7<br />

16


In der Folge zeichnete sich bereits am 27.6. ein Fehlschlag der gesamten Operation<br />

in Slowenien ab, da zum einen die TO den JNA-Einheiten empfindliche Verluste<br />

zufügen konnte. Zum anderen wurde auch von einer geringen Kampfmoral der JNA-<br />

Einheiten berichtet, was zu zahlreichen Desertionen führte. Insgesamt zeigte sich der<br />

beschränkte Wert der der Bundesarmee für diesen Einsatz: Bis zum 28.6. sollen sich<br />

über 500 Soldaten der JNA, jedoch kein slowenischer TO-Soldat ergeben haben. Vor<br />

dem Hintergrund der Absicht der Armee - die zu diesem Zeitpunkt völlig autonom zu<br />

agieren schien - ganz Slowenien zu besetzen, kann dies nur <strong>als</strong> eindeutiger<br />

Fehlschlag für die Absichten der JNA-Generalität betrachtet werden. 56<br />

Am 2.7. wurde der neuerliche offensive Einsatz der Armee in Slowenien mit<br />

ziemlicher Sicherheit vom Gener<strong>als</strong>tab ohne politischen Auftrag verfügt. Prinzipiell<br />

boten sich zu diesem Zeitpunkt für die Führung der Armee zwei Optionen an:<br />

Entweder Verstärkung der in Slowenien kämpfenden JNA-Verbände oder, wie später<br />

geschehen, Bezug von Bereitstellungsräumen in Ostkroatien für allfällige weitere<br />

Einsätze in den von Serben und Kroaten umkämpften Regionen. 57 Unklar war<br />

während der Kämpfe in Slowenien zweifellos, ob die Bundesarmee vollständig auf<br />

eigene Faust handelte. Nach Angaben des stellvertretenden slowenischen<br />

Ministerpräsidenten Pregl agierte die JNA ohne Einsatzbefehl der politischen<br />

Führung, was von der Armeeführung zurückgewiesen wurde. 58 Abwegig war ein<br />

selbständiges Vorgehen der Armee zu diesem Zeitpunkt tatsächlich nicht, zieht man<br />

die Ereignisse des 8. Mai des Jahres in Betracht. An diesem Tag war die ohnehin<br />

angespannte Lage drastisch eskaliert worden. Verteidigungsminister Veljko Kadijevic<br />

hatte dem Staatspräsidium eine Mitteilung überbracht: Darin erklärt worden, nach<br />

Auffassung der Armee herrsche in Jugoslawien bereits der Bürgerkrieg. Sollten die<br />

Organe des Bundes und der Republiken nicht in der Lage sein, den Frieden zu<br />

sichern, würde die JNA, die ‘Jugoslawische Volksarmee’, dies in Einklang mit ihrer<br />

verfassungsmäßigen Aufgabe und Verantwortung tun. Dies konnte <strong>als</strong> Ankündigung<br />

eines selbständigen Vorgehens der bewaffneten Streitkräfte bewertet werden, falls<br />

die zuständigen politischen Instanzen handlungsunwillig oder handlungsunfähig sein<br />

sollten. 59<br />

56 ÖMZ 5/1991, S. 392<br />

57 Ebenda. S. 394<br />

58<br />

Peter Billing, Der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien. Ursachen-Hintergründe-<br />

Perspektiven. In: Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung - Report 1/1992. Peace<br />

Research Institute Frankfurt (Frankfurt/Main 1992) 14<br />

59 Wolfgang Libal, Das Ende Jugoslawiens. Chronik einer Selbstzerstörung (Wien 1991) 158<br />

17


Der letzte Kampfeinsatz der JNA in Slowenien erfolgte am 3. Juli. An diesem Tag<br />

verließen mechanisierte Einheiten der Armee die Kasernen von Jastrebarsko und<br />

Rijeka in Kroatien, um die in Slowenien stehenden Einheiten zu unterstützen. M-84<br />

und T-55-Einheiten, die M-60 und M-80-APC schützten, hatten Befehl, in Richtung<br />

Brezice vorzugehen. Nach der Einfahrt in slowenisches Territorium geriet die<br />

Kolonne in einen Hinterhalt der TO. Die Slowenen zerstörten zwei M-60 und einen<br />

M-84. An den Rest der Truppe erging Befehl, sich zurückzuziehen. „This was the last<br />

time the JNA intervened in Slovenia.“ 60<br />

Nach einem Bericht des Roten Kreuzes sollen die Kämpfe in Slowenien 49 Tote,<br />

davon 35 Angehörige der JNA gefordert haben. Insgesamt hätte die TO 2144<br />

Gefangene gemacht, davon seien 2013 Armeesoldaten. Anderen Angaben zufolge<br />

hatten sich von den in Slowenien stationierten insgesamt rund 25.000 Mann starken<br />

JNA-Truppen etwa 11.000 Mann, darunter 1.000 Offiziere, entweder ergeben oder<br />

waren zur slowenischen TO übergelaufen. Nach dem Waffenstillstand soll die JNA in<br />

Slowenien nur noch 9.000 Mann stark gewesen sein. Zusammenfassend ließ sich bis<br />

zu diesem Zeitpunkt feststellen, daß der Einsatz der Armee zur Wiederherstellung<br />

der bundesstaatlichen Autorität an den slowenischen Grenzen auf Grund der innen-<br />

wie außenpolitischen Rahmenbedingungen gescheitert war. Mag die Operation zur<br />

Inbesitznahme der Grenzübergänge mit dem Wohlwollen der Bundesregierung<br />

begonnen worden sein, so zeigte sich, daß sich die Regierung immer deutlicher von<br />

der Militäraktion absetzte, <strong>als</strong> die Gefahr einer Eskalation immer offensichtlicher<br />

wurde. Auch eine weitere Mobilmachung und Zuführung von JNA-Verbänden nach<br />

Slowenien hätten den Erfolg nicht garantiert, vom Preis, d.h. dem personellen und<br />

materiellen Schaden sowie der Gefahr der totalen internationalen Ächtung ganz zu<br />

schweigen. Die JNA scheiterte am unerwartet effizienten und kompromißlosen<br />

Widerstand der TO sowie an der inneren Struktur und Motivation der Truppe für<br />

diesen Einsatz. „Wenn gekämpft wurde, so größtenteils nur um das eigene<br />

Überleben. (...) Während des Krieges soll die TV etwa 36.000 Mann stark gewesen<br />

sein, davon seien 25.000 Mann im Einsatz gewesen. Bereits am ersten Tag der<br />

Kampfhandlungen sollen 15.000 Mann im Einsatz gewesen sein. Die TV hat nur 500<br />

hauptberufliche Mitarbeiter, wie Offiziere, technisches und Verwaltungspersonal.“ 61<br />

Es ginge an der Realität vorbei, zu glauben, die JNA-Intervention in Slowenien sei<br />

gewissermaßen <strong>als</strong> rein serbische Aggression gegen das sezessionswillige<br />

Slowenien geführt worden. Vielmehr waren unter den Toten und Verwundeten auf<br />

Bundesseite Serben, Kroaten, Roma und Slowenen. Ein im Slowenien-Feldzug<br />

60 Micheletti, Debay, War in the Balkans. S.18<br />

61 ÖMZ 5/1991, S. 394<br />

18


gefallener Offizier war Roma. Sein Begräbnis in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo,<br />

wurde im Juli 1991 mit allen militärischen Ehren begangen. 62<br />

Zu den Ursachen für den vielfach unerwarteten Erfolg der slowenischen TO gegen<br />

die Bundesarmee im 10 Tage-Krieg gilt es zu sagen, daß im taktischen Bereich von<br />

der TO verschiedene Kleinkriegstechniken angewandt worden waren, insbesondere<br />

im Zusammenhang mit dem Kampf um Sperren. Grundlage für den Erfolg der<br />

Slowenen auf taktischer Ebene dürfte ein effizientes Aufklärungs- und<br />

Führungssystem gewesen sein, das es den TO-Einheiten erlaubte, rechtzeitig und im<br />

günstigen Gelände Abwehrmaßnahmen gegen die mechanisierten Verbände der<br />

JNA zu treffen. Der Faktor Motivation und Kampfwert dürfte hier den entscheidenden<br />

Ausschlag zugunsten der slowenischen Territorialverteidigung gegeben haben. 63<br />

“Apparently the tankers (der JNA, Anm.) were not willing to fight despite heavy<br />

firepower. They simply abandoned their tanks with all equipment on board.” 64<br />

Gleichzeitig darf die militärische Entwicklung in Slowenien nicht überbewertet<br />

werden, wurden doch seitens der JNA zahlenmäßig nur geringe Truppenteile - rund<br />

ein Zehntel ihrer dortigen Stärke (2000 Mann), wovon noch die Hälfte aus Kroatien<br />

angerückt kam - mobilisiert. 65 Jedenfalls leitete die Niederlage der Armee in<br />

Slowenien das Ende der jugoslawischen Staatsidee ein. Misha Glenny dazu: “The<br />

JNA operation in Slovenia was a limited one. (...) Many of these (Truppen, Anm.)<br />

were brought in from Varazdin, Zagreb and Karlovac barracks, all bases in Croatia.<br />

(...) A few months later I spoke a length to retired Admiral Branko Mamula, the<br />

moving spirit behind the SK - Pokret za Jugoslaviju (League of the Communists -<br />

Movement for Yugoslavia). Mamula’s influence over Kadijevic was considerable. The<br />

Defence Minister did not take any significant decision without praise for Kadijevic.<br />

‘Kadijevic made a very big mistake which with I disagreed’, Mamula told me. ‘He<br />

decided to let go of Slovenia. I had protested but he insisted. After that happened, it<br />

was clear that we had lost Yugoslavia.’ Mamula implied that it was difficult to justify a<br />

war in Croatia in the name of Yugoslavia once you had capitulated to Slovene<br />

independence demands. The war lost ist Yugoslav character and assumed a strong<br />

Serb-Croat one. This greatly troubled the many JNA officers (including Croats,<br />

Slovenes, Moslems and Macedonians) who believed in maintaing the integrity of a<br />

62 Erdelitsch, Orter, Krieg auf dem Balkan. S. 75<br />

63 ÖMZ 5/1991, S. 395<br />

64 Eric Micheletti, The Balkans at war. Yugoslavia divided 1991 (Hong Kong 1992) o.S.<br />

65 Misha Glenny, Rauscher lehrt Geschichte. In: PROFIL 25/95. S. 93<br />

19


Yugoslav state but who were disturbed by the idea of fighting for a Balkan state<br />

dominated by Serbia.” 66<br />

Tatsächlich hatte sich bis zum Kriegsausbruch hin eine beträchtliche Anzahl von<br />

Staatsbürgern offiziell <strong>als</strong> „Jugoslawen“ deklariert, obwohl es etwas wie eine<br />

Heimatrepublik für „Jugoslawen“ nicht gab. Für viele Menschen, vor allem Armee-<br />

Offiziere und Partefunktionäre bedeutete dieses Bekenntnis den Ausdruck einer<br />

titoistischen gesamtjugoslawischen Gesinnung. 67 Das definitive Ausscheiden<br />

Sloweniens aus dem jugoslawischen Staatsverband stellte somit auch für die Armee<br />

eine echte Zäsur auf dem Weg weg von einer gesamtjugoslawischen zu einer<br />

weitgehend rein serbischen Streitkraft dar: „The JNA had paid a heavy price and<br />

could no longer be regarded as a national army embracing all Yugoslavia’s<br />

constituent nationalities. Humiliated after ist failure, it all but broke up, and soon<br />

became solely Serbia’s army, serving one people only.“ 68<br />

Daß die viele Serben gegen eine Schwächung der Armee auftraten, ist vor dem<br />

Hintergrund nicht überraschend, daß diese eine der größten Beschäftigungs- und<br />

Einkommensquellen der Serben und Montenegriner (zusammen mehr <strong>als</strong> 80 Prozent<br />

der beim Bund Beschäftigten) darstellte. 69 Milosevics Ambition schien neben der<br />

Instrumentalisierung dieses Faktors zu diesem Zeitpunkt zu sein, den Krieg in<br />

Slowenien schnell zu beenden, gleichzeitig die Armeeführung auf seine neue,<br />

„großserbische“ Linie zu bringen und die Truppen in den Serbengebieten Kroatiens<br />

(und in der Folge Bosniens) für die Besetzung der beanspruchten Teile des Landes<br />

zu dislozieren. Zoran Djindjic teilte im persönlichen Gespräch mit dem Autor<br />

weitgehend diese Ansicht: „Während der Auflösung Jugoslawiens sind die Reste der<br />

bewaffneten und Kommandostrukturen der JNA dortgeblieben, wo die vermeintliche<br />

neue Grenze Großserbiens sein wird. Diese nunmehr rein serbische Armee konnte<br />

zwar keinen Krieg offensiv gewinnen, konnte aber Städte in Kroatien und Bosnien mit<br />

ihren zahlreichen schweren Waffen sehr lange belagern.“ 70<br />

Die Auseinandersetzung in Slowenien fand tatsächlich einen raschen Abschluß,<br />

Milosevic war an der Republik nicht mehr interessiert. Während des einwöchigen<br />

Krieges in Slowenien hatte es Kontakte zwischen den Führungen in Laibach und<br />

66 Derselbe, The fall of Yugoslavia. The third Balkan war (London 1992) 97<br />

67 Woodward, Balkan tragedy. S. 36<br />

68 Micheletti, Debay, War in the Balkans. S. 7<br />

69 Bebler, Staat im Staate. In: Furkes, Schlarp, Jugoslawien. S. 107<br />

70 Gespräch mit Prof. Zoran Djindjic<br />

20


Belgrad gegeben, „und binnen Monatsfrist vermittelte die Europäische Gemeinschaft<br />

ein Abkommen.” 71 Dieses Brioni-Abkommen, das die Kampfhandlungen auch formal<br />

beendete und den Abzug der Armee aus Slowenien regelte, wurde Anfang Juli<br />

unterzeichnet.<br />

Holbrooke dazu: „Die Abmachung zwischen (dem slowenischen Präsidenten Milan,<br />

Anm.) Kucan und Milosevic (in Brioni, Slowenien, Anm.) war ein charakteristisches<br />

Beispiel für Milosevics taktische Flexibilität und überragende Verhandlungskünste.<br />

Seinen langfristigen Zielen war damit in einer Art und Weise gedient, die zu der Zeit<br />

noch niemand so recht erfaßte. Sloweniens Austritt erleichterte es Milosevic, ein<br />

serbisch dominiertes Jugoslawien zu schaffen, da er mit Slowenien eine Republik<br />

aus dem Land entließ, in der fast keine Serben lebten. Kroatien, auf dessen Gebiet<br />

Hunderttausende von Serben lebten, war mit dem Ergebnis der Konferenz nicht<br />

einverstanden.“ 72 Jugoslawien mit seiner kommunistischen Staatsidee sollte nach<br />

Vorstellung des serbischen Präsidenten aus politischem Kalkül durch ein zu<br />

schaffendes Großserbien ersetzt werden. Damit geriet vor allem Kroatien immer<br />

stärker unter politischen und militärischen Druck.<br />

Plakativ dokumentiert wurde diese Ambition durch die Uniformierung der serbischen<br />

Soldaten später im Jahr 1991 auf den Schlachtfeldern Kroatiens: „As the war<br />

dragged on, the red star of Yugoslavia disappeared from helmets and forage caps,<br />

and was replaced by the white, red and blue cockade of Greater Serbia.“ 73<br />

71 Glenny, Rauscher lehrt Geschichte. In: PROFIL 25/95. S. 93<br />

72 Holbrooke, Meine Mission. S. 50<br />

73 Micheletti, Debay, War in the Balkans. S. 25<br />

21


IV. Der Krieg in Kroatien, Juli 1991 – Jänner 1992<br />

In dem Maß, <strong>als</strong> sich der Erhalt bzw. die Wiederbelebung des jugoslawischen<br />

Zentr<strong>als</strong>taates <strong>als</strong> immer aussichtsloser erwies, und <strong>als</strong> nach dem Scheitern der<br />

JNA-Intervention in Slowenien die Loslösung dieser Teilrepublik, gefolgt von jener<br />

Kroatiens, konkret wurde, stieg der Widerstand der serbischen Bevölkerungsteile in<br />

Kroatien. In der Krajina, die mittlerweile den Zusammenschluß mit der ebenfalls<br />

primär von Serben bewohnten bosnischen Krajina proklamiert hatte, ging die<br />

Aufrüstung und Ausbildung der paramilitärischen serbischen Verbände mit<br />

Unterstützung der JNA im Frühjahr und Sommer 1991 zügig voran. So wurden in der<br />

bosnischen Krajina gegen den Willen Sarajevos (serbische) Angehörige der TO<br />

mobilgemacht, in der kroatischen Krajina wurden die bewaffneten Kräfte angeblich<br />

mit schweren Waffen und einigen Kampfhubschraubern ausgestattet. 74<br />

Ziel der serbischen Einheiten zu war zu diesem Zeitpunkt, die Kontrolle über<br />

sämtliche Ortschaften der Krajina zu gewinnen, die in den Händen der kroatischen<br />

Polizei oder Nationalgarde waren. Die Gesamtstärke der serbischen Paramilitärs in<br />

Kroatien soll Ende Juli 12.000 Mann betragen haben. 75<br />

Zur Vorgeschichte: Bereits 1990 hatten sich serbische Polizisten in Knin unter<br />

Führung von Milan Martic geweigert, die kroatische Staatsautorität anzuerkennen –<br />

die kroatischen Polizisten würden die gleichen Uniformen tragen wie die Ustascha-<br />

Faschisten im Zweiten Weltkrieg, argumentierten die Serben. Schon 1990 hatte<br />

Martic entweder Waffen oder den Schutz durch die Bundesarmee gefordert.<br />

Gemeinsam mit dem Dentisten und Bürgermeister von Knin Milan Babic war die<br />

serbische Bevölkerung der Region gegen die Kroaten aufgewiegelt worden. Auf<br />

Befehl von Tudjman sollte der Widerstand bereits im Sommer 1990 durch eine<br />

Kommandoaktion schnell gebrochen werden. Spezialeinheiten und Infanterie sollten<br />

„Recht und Ordnung“ wiederherstellen. Die drei von Zagreb gestarteten Helikopter<br />

meldeten der Luftüberwachung, sie seien zur Küste unterwegs – mit Material und<br />

Ausrüstung. In Wahrheit hatten sie Elite-Soldaten für den Angriff auf die<br />

aufständischen Serben an Bord. Nach der Drohung des Abschusses durch<br />

Bundesarmee-MIG hatten die Kroaten abdrehen müssen. Laut Aussage des<br />

kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman stritt die serbische Führung später den<br />

Befehl zum Stop des kroatischen Unternehmens ab. So war das Gebiet um Knin<br />

bereits im August 1990 von den Serben zur Sperrzone für Kroaten erklärt worden. 76<br />

74 ÖMZ 5/1991, S. 396; nach NZZ vom 11.7.1991<br />

75 Ebenda. S. 396; nach International Herald Tribune vom 23.7.1991<br />

76 TV-Dokumentation „Bruderkrieg - Der Kampf um Titos Erbe“. 2. Folge - „Die Lunte brennt“<br />

22


Die JNA selbst hatte zu Kriegsbeginn in Kroatien im Sommer 1991 im 1. Militärbezirk<br />

(Belgrad) vier Korps mit deren Artillerie und Spezialeinheiten. Die Verbände<br />

umfaßten die 4., 12., 24. und 37. Infanteriedivision, die 1. motorisierte Brigade, das<br />

1., 152., 454. Artillerieregiment und das 389. Werferregiment. Der 3. Militärbezirk<br />

(Skopje) hatte vier Divisionen und deren Unterstützungseinheiten, namentlich die<br />

21., 41., 42. und 52. Infanteriedivision, 211. und 243. Panzerregiment sowie das 102.<br />

und 150. Artillerieregiment. Der an dieser Stelle besonders relevante 5. Militärbezirk<br />

(Zagreb) bestand aus der 2., 5. und 10. Infanteriedivision sowie einer Task Force aus<br />

Elementen der 13., 14. und 31. Infanteriedivision, unterstützt vom 329.<br />

Panzerregiment sowie dem 288. und dem 580. Artillerieregiment. Die Gesamtstärke<br />

der Armee umfaßte zum damaligen Zeitpunkt rund 115.000 Soldaten und rund<br />

500.000 Reservisten. Die Luftwaffe und Luftverteidigung hatte rund 20.000 Mann, die<br />

Marine ca. 13.000 und 45.000 Reservisten. 77<br />

Die Serben stellten in dieser Streitkraft 42 Prozent der Mannschaften und 80 Prozent<br />

der Offiziere. „Slovenes, Macedonians and Bosnians contributed only a small<br />

percentage to the overall establishment.“ 78 Zur Bewaffnung: “In June 1991, the<br />

Federal Army had in its inventory 800 T-54/55 und 550 M-84 tanks. Reserve units<br />

were equipped with 250 T-34/85 und M-47 tanks. The mechanized forces had at their<br />

disposal 600 infantry fighting vehicles, most of them being the new M-80A. Also in<br />

service were the M-60 series of armored personnel carrier and the BOV series of<br />

wheeled armored vehicles, as well as other combat vehicles. The Air Force fielded<br />

some 12 Mig-29s, 60 Mig-21s as well as Orao, Jastreb, Galeb and Gazelle<br />

helicopters.” 79<br />

Zur Armee-Ausrüstung im 5. Militärbezirk, welche für die Betrachtung der<br />

Kampfhandlungen in Kroatien interessant erscheint: “The Federal Army 5th<br />

command was equipped with 560 T-55s (der T-55, Vorgänger des T-72/M-84,<br />

Standardkampfpanzer der osteuropäischen Armeen und Rückgrat der<br />

mechanisierten Kräfte der JNA, ist 36 Tonnen schwer. Die vier Mann starke<br />

Besatzung ist mit einem 7,62mm-MG und einer 100mm-Kanone mit 43 Granaten<br />

ausgerüstet, bei Auftankung mit Reservekanistern kann er ohne Aufenthalt bis zu<br />

700 Kilometer hinter sich legen) 80 and 150 M-84 before the war.” 81 Betont werden<br />

77 Micheletti, The Balkans at war. o.S.<br />

78 Micheletti, Debay, War in the Balkans. S. 24<br />

79 Micheletti, The Balkans at war. o.S.<br />

80 Rullmann (Hg.), Ost-Dienst/Jugoslawien-Dienst. Die Jugoslawische Armee, ihre Waffen und ein<br />

europäisches Waffenembargo. S. 7<br />

23


muß an dieser Stelle, daß die Zahlen der schweren Waffen allein nicht umfassend<br />

Auskunft geben über die Kampfkraft der Panzereinheiten, die oft schlecht<br />

ausgebildet und wenig motiviert waren bzw. f<strong>als</strong>ch und unprofessionell eingesetzt<br />

wurden: “A redoutable figthing tool in open country, the M-84 didn’t perform as well<br />

when deployed in urban surroundings or broken ground.” 82<br />

Nicht zuletzt aufgrund der Stärke der JNA im konventionellen Waffenbereich sahen<br />

sich die kroatischen Verbände schon vor dem offenen Ausbruch der Feindseligkeiten<br />

zusehends in der Defensive: „Die kroatische Führung, die durch Stipe Mesic gegen<br />

den Armeeabzug (aus Slowenien, Anm. d. A.) gestimmt hatte, befürchtet nun, daß<br />

der ganze Druck der serbischen Hegemoniebestrebungen auf Kroatien lasten<br />

werde.” 83 Die gegenüber der JNA stehenden Kroaten konnten bei Kriegsausbruch<br />

auf 40.000 Gardisten und 15.000 Polizisten zählen. 84 Truppenstärkenmäßig war das<br />

Verhältnis nahezu ausgeglichen, vor allem aber bei schweren Waffen waren die<br />

Kroaten der JNA zumindest zahlenmäßig stark unterlegen.<br />

Jedenfalls hatte sich die Armeeführung vor Anlaufen der Militäraktion in Kroatien<br />

über mögliche internationale Konsequenzen erkundigt. Im Vorfeld der militärischen<br />

Intervention in Kroatien im Frühjahr 1991 hatte Verteidigungsminister Veljko<br />

Kadijevic inoffiziell den sowjetischen Verteidigungsminister (und späteren<br />

Gorbatschow-Putschisten) Dimitrij Jasow im Moskauer Verteidigungsministerium<br />

aufgesucht. Kadijevic wollte sowjetische Hilfe, sollte der Westen gegen die Serben<br />

militärische Schritte setzen. Jasow zeigte Kadijevic bei diesem Treffen<br />

Geheimdienstberichte, wonach der Westen in Jugoslawien nicht intervenieren<br />

werde. 85 Daß die serbische und die Armeeführung angesichts des Wissens um<br />

solche Berichte gegenüber westlichen Besuchern wie Baker in der Folge<br />

selbstbewußt auftreten konnten, wird damit klarer. Nach Kadijevics Moskau-Besuch<br />

wollten Milosevic, dessen engster Berater und Staatspräsidiumsmitglied Borislav<br />

Jovic und Kadijevic den Einsatz der Armee in Kroatien starten. Nun zögerte<br />

Kadijevic. Jovic: „Wir änderten die Taktik und stationierten Armee-Einheiten in den<br />

serbisch besiedelten Gebieten Kroatiens. Die Kroaten würden einen Krieg<br />

81 Micheletti, The Balkans at war. o.S.<br />

82 Micheletti, Debay, War in the Balkans 1991-1993. S. 26<br />

83<br />

Michaela Wimmer, Stefan Braun, Joachim Spiering, Brennpunkt Jugoslawien. Der<br />

Vielvölkerstaat in der Krise. Hintergründe, Geschichte, Analysen. 2. Auflage (München 1991) 130<br />

84 Micheletti, Debay, War in the Balkans. S. 22-23<br />

85 „Bruderkrieg”. 2. Folge<br />

24


provozieren. Die Armee könnte die betreffenden Gebiete dann einnehmen.” So<br />

entwickelte sich im Frühjahr 1991 - spätestens aber mit Ende des Waffenganges in<br />

Slowenien - die Änderung der serbischen Taktik weg vom Festhalten am<br />

jugoslawischen Gesamtstaat unter serbischer Dominanz - was anfangs vor allem von<br />

der kommunistisch eingestellten Generalität unterstützt wurde - hin zur Propagierung<br />

großserbischer Forderungen gegenüber der sezessionswilligen Republik Kroatien. 86<br />

Folglich muß gesagt werden, daß der Krieg in Kroatien - betrachtete man die<br />

Hintergründe und Motive - von vornherein einen ganz anderen Charakter hatte <strong>als</strong><br />

die von Holbrokke geäußerte „Bagatelle“ 87 in Slowenien. Ein kurzer Blick zurück<br />

macht dies deutlich. Im Frühjahr 1991 hatte Milosevic Kucan ein Angebot gemacht:<br />

Er werde der slowenischen Unabhängigkeit zustimmen, wenn sich Slowenien im<br />

Gegenzug positiv zu einer serbischen Armee-Intervention in Kroatien stelle. Kucan<br />

schlug ab und sollte damit die Armee-Aktion in Slowenien provozieren. Wie Jovic<br />

später zugab, war es Milosevic und ihm „völlig egal ob Slowenien bei Jugoslawien<br />

bleibt oder nicht” (man mußte die gesamtjugoslawisch eingestellte Armeeführung<br />

zufriedenstellen). Vielmehr ging es nach Abschluß der „Slowenien-Frage“ um die<br />

serbisch besiedelten Gebiete Kroatiens. Daher kam - wie Djindjic oben bestätigt -<br />

serbischerseits bald der Vorschlag auf, die JNA an die neuen/neu zu ziehenden<br />

Grenzen abzuziehen. 88<br />

Vor einem offenen Militäreinsatz war es für Milosevic erforderlich gewesen, die<br />

nationale Frage weiter zu eskalieren und die Grenzen eines bewaffneten Vorgehens<br />

auszuloten. Gleichsam zu „Übungszwecken“ waren zu diesem Zweck zur<br />

Niederschlagung einer Demonstration am 9. März in Belgrad die Panzer aus den<br />

Kasernen auf die Straße geholt worden. Damit war der nächste Schritt - der offene<br />

Einsatz gegen Slowenien und vor allem Kroatien - erleichtert worden (eine zeitlang<br />

war ein Armeeeinsatz durch die Gegenstimme des bosnischen<br />

Staatspräsidiumsmitglieds Bogic Bogicevic sowie die erwähnte zögerliche Haltung<br />

von Verteidigungsminister Kadijevic noch verzögert worden). 89 Im Mai verschlecherte<br />

sich die Situation in Kroatien erneut, <strong>als</strong> serbische Freischärler im ostslawonischen<br />

Borovo Selo 12 kroatische Polizisten massakrierten. Nach wie vor jedoch war es zu<br />

keinem offenen Armeeeinsatz an der Seite der Serben in Kroatien gekommen, noch<br />

hatte die Armee weitgehend die Rolle des Neutralen.<br />

86 „Bruderkrieg ”. 2. Folge<br />

87 Holbrooke, Meine Mission. S. 50<br />

88 „Bruderkrieg“. 2. Folge<br />

89 Ebenda<br />

25


Doch nicht nur die serbische Seite, auch die kroatische Führung war nicht völlig<br />

unvorbereitet in die sich abzeichnende militärische Konfrontation gegangen. Bereits<br />

im Frühjahr 1991 hatte die kroatische Regierung “thousands of small arms from the<br />

black market, especially through the Eastern European channels“ gekauft. 90 Schon<br />

1990 waren die Kroaten an den US-Botschafter in Belgrad, Warren Zimmermann<br />

herangetreten mit der Bitte um US-Waffen für ihre Polizei-Einheiten. Laut eigenen<br />

Angaben habe Zimmermann nicht gezögert, „Nein“ zu sagen, um ein Vorgehen der<br />

kroatischen Polizei gegen die Serben in der Krajina und in Ostslawonien mit diesen<br />

Waffen zu verhindern. Dennoch kamen - auch durch verstärkte<br />

serbische/jugoslawische Abwehrmaßnahmen - in der Folge zahlreiche Lieferungen in<br />

Privatautos zumeist über die ungarische Grenze nach Kroatien. 91 Problematisch war<br />

für die Kroaten auch, daß die JNA mit dem Abzeichnen einer Auseinandersetzung<br />

die meisten Waffen, vor allem hochtechnisches militärisches Gerät - etwa<br />

Kampfflugzeuge - aus nicht-serbisch bewohnten Regionen Kroatiens abzuführen<br />

versuchte und die Territorialverteidigung damit ins Hintertreffen brachte: “At the<br />

beginning of hostilities, the JRV evacuated all ist units and combat aircraft from<br />

Croatia, consequently the Croatian Army (HV-Hrvatska Vojska) had only agricultural<br />

planes available and some small tourist aircraft taken from the aero clubs.” 92 Freilich<br />

gelang der Abzug vor allem der Bodentruppen oft nicht schnell genug, sodaß die HV<br />

Armeebasen belagern und die JNA-Einheiten oftm<strong>als</strong> zur Übergabe ihrer Waffen und<br />

Geräte zwingen konnte.<br />

Ein technisches Problem bestand für die Kroaten vor allem in der Anfangsphase der<br />

Auseinandersetzungen darin, die zahlreichen Sympathisanten und Informanten der<br />

JNA in den Reihen der Bundeszollwache und etwa 62 Prozent der Polizisten in<br />

Kroatien, die ethnische Serben waren, zu umgehen. Die Bewaffnung Kroatiens<br />

erfolgte daher über erwähnte irreguläre Importe von bis zu 30.000 leichten Waffen<br />

aus oder über Ungarn, die Tschechoslowakei und Bulgarien. Diese Waffen flossen<br />

der stark ausgeweiteten Reservepolizei, die dem Innenministerium untersteht, zu. 93<br />

Vom damaligen HV-Verteidigungsminister Martin Spegelj wurden Waffenlieferungen<br />

an die HV später bestätigt. 94<br />

90 Micheletti, The Balkans at war. o.S.<br />

91 „Bruderkrieg“. 2. Folge<br />

92 Federico Grattoni, Claudio Toselli, Young Croatian wings. In: Air Force Magazine, August 1996.<br />

33<br />

93 ÖMZ 5/1992. S. 401<br />

94 „Bruderkrieg“. 2. Folge<br />

26


Mit dem Ende des „Slowenischen Sezessionskrieges” Anfang Juli und dem<br />

einsetzenden Rückzug der JNA aus Slowenien begannen sich die Operationen der<br />

JNA somit sukzessive auf den kroatischen Kriegsschauplatz, insbesondere nach<br />

Ostslawonien, zu verlagern.<br />

Die serbische Führung verlangte nun von der Armee den Rückzug in die<br />

Serbengebiete Kroatiens und Bosniens, was vom JNA-Gener<strong>als</strong>tab zunächst<br />

abgelehnt wurde, da man weiterhin ganz Jugoslawien militärisch zusammenzuhalten<br />

beasichtigte. Gleichzeitig wurde die Ausrufung des Notstandes im Land von der<br />

Propaganda der sezessionswilligen Republiken aufgegriffen und die internationale<br />

Öffentlichkeit gegen die Serben mobilisiert. Trotz des starken Drucks der<br />

nationalistischen Eliten war die jugoslawische Option nicht nur in führenden<br />

Armeekreisen sondern auch in den nördlichen Republiken noch partiell intakt.<br />

Gemäß Meinung von Kommentatoren ließen erst die Zerstörung Vukovars und die<br />

Blockade und Beschießung Dubrovniks im Herbst die Kroaten sich endgültig hinter<br />

der Politik Tudjmans sammeln. 95<br />

Jedenfalls konnte ab Mitte Juli von einem weitgehend offenen Eingreifen der JNA an<br />

der Seite der serbischen Freischärler in Kroatien gesprochen werden. In<br />

Ostslawonien verstärkten die serbischen Verbände, unterstützt von der JNA, ihre<br />

Angriffe gegen kroatische Stellungen, so daß sich die Nationalgarde zunehmend in<br />

der Defensive befand und laufend an Terrain verlor. 96 Betont werden muß hiebei,<br />

daß die Unterstützung für die serbischen Paramilitärs durch die Armee regional<br />

unterschiedlich war. Jedenfalls zielte die Armee darauf ab, Verluste an Soldaten (und<br />

damit an öffentlicher Unterstützung) durch zum Teil exorbitanten Materialeinsatz<br />

gering zu halten. “In the initial stages of the war, the army frequently kept the<br />

casualties to a minimum but they invariably shored up Serb advances. Cooperation<br />

between the Serbs and the JNA varied greatly from region to region. During the first<br />

phase of the war in Banija, the army’s role was relatively benign.” 97<br />

Von offizieller wie von inoffizieller serbischer Seite kristallisierten sich ab Sommer<br />

immer mehr die „Kriegsziele” im serbo-kroatischen Konflikt heraus. Grundsätzlich<br />

beanspruchte man für den Fall einer Trennung Kroatiens vom Reststaat all jene<br />

kroatischen Gebiete, in denen Serben leben. Die Ziele der Kroaten - vor allem die<br />

Errichtung eines unabhängigen Nation<strong>als</strong>taates - mußten jenen der meisten, von<br />

95 Predrag Simic, The internationalization of the war in Yugoslavia. In: The Southeast European<br />

Yearbook 1994, 464-465<br />

96 ÖMZ 6/1991, 494<br />

97 Glenny, The fall of Yugoslavia. S. 95<br />

27


ihrer nationalistischen Führung aufgewiegelten, Serben im Land und denen der<br />

Führung in Belgrad diametral entgegenstehen. Die im Jänner 1991 ausgesprochene<br />

Ankündigung des kroatischen Staatspräsidiumsmitglieds und Tudjman-Vertrauten<br />

Stipe Mesic, in Knin werde bald wieder die kroatische Fahne wehen, sowie die<br />

negative Grundhaltung der Regierung und Ausschreitungen bzw. Einschüchterungen<br />

von Serben durch extremistische kroatische Kräfte trugen nicht dazu bei, das<br />

Vertrauen der Serben in die kroatische Führung und Unabhängigkeitsambitionen zu<br />

stärken. 98<br />

Gleichzeitig schien sich mit Fortschreiten der Kampfhandlungen in Kroatien im<br />

Verlauf des Sommers die JNA-Führung immer weiter von den Anweisungen<br />

politischer Instanzen - zumindest so sie von kroatischen Staatsrepräsentanten<br />

kamen - zu emanzipieren. So zeigte die völlige Ignoranz der Befehle von<br />

Staatspräsident Mesic am 5.9. und 8.9. seitens der JNA, sich unverzüglich an das<br />

Waffenstillstandsabkommen zu halten und in die Kasernen einzurücken, wie sehr<br />

sich die Armee von der zivilen politischen Führung entfernt hatte. Ein neuerliches<br />

Ultimatum von Mesic am 11.9. an die JNA, sich binnen 48 Stunden in die Kasernen<br />

zurückzuziehen, wurde von Verteidigungsminister Kadijevic <strong>als</strong><br />

Kompetenzüberschreitung abgetan. Mesic sprach daraufhin offen von einem<br />

Militärputsch und ersuchte am 17.9. den UNO-Sicherheitsrat formell um<br />

Truppenentsendungen. 99<br />

Daß sich die Armee kaum mehr an Anweisungen der jugoslawischen Führung hielt,<br />

sondern im Gegenteil die Bundesregierung unter Druck zu setzten versuchte, zeigte<br />

kurz davor ein Fernsehauftritt von Verteidigungsminister Kadijevic. Das<br />

Staatspräsidium oder „das, was sich die Führung Jugoslawiens nennt“, solle sofort<br />

mit Gesprächen über die Zukunft des Landes beginnen, befahl er und setzte eine<br />

Frist bis zum 15. August. Als dieses Ultimatum nicht fruchtete, setzte die<br />

Bundesarmee ihre Angriffe in Kroatien weiter fort. 100<br />

Mitverantwortlich für die Niederlagen der kroatischen Nationalgarde (NG) in dieser<br />

Phase des Konfikts dürften nach Auffassung westlicher Militärattaches das Fehlen<br />

einer einheitlichen Führung in Zagreb, mangelndes taktisches Geschick der<br />

Kommandanten und fehlende Disziplin der Truppe sein. 101 Da es in Ermangelung<br />

eines effektiven zentralen Oberkommandos kaum eine echte operative Planung und<br />

Führung gab, sollen die Kommandanten in Slawonien unabhängig von jeglicher<br />

98 „Bruderkrieg“. 2. Folge<br />

99 ÖMZ 6/1991. S. 498<br />

100 Gelhard, Ab heute ist Krieg. S.136<br />

101 ÖMZ 6/1991. S. 499; nach APA 284 vom 16.8.1991<br />

28


Führung operiert haben. Manche kroatische Soldaten verließen ihre Stellungen,<br />

sobald sie unter Beschuß gerieten (bisweilen wurde von Drogenkonsum an der Front<br />

auf kroatischer Seite berichtet) 102 Trotz zahlenmäßiger Überlegenheit der NG, die<br />

maßgeblich von der besser ausgerüstet und ausgestatteten kroatischen<br />

Sonderpolizei unterstützt wurde, verlor Kroatien gegenüber den von der JNA<br />

unterstützten Tschetniks bis Mitte September 42 Prozent seines Territoriums, vor<br />

allem Zwischengelände und kleinere Ortschaften. 103<br />

Es ist anzunehmen, daß bereits die ersten Erfolge der serbischen irregulären<br />

Verbände zu einem großen Teil den wohlwollenden bis direkt unterstützenden<br />

Operationen der JNA zuzuschreiben waren, die im Juli/August nach der Einberufung<br />

serbischer Reservisten endgültig zu einer beinahe rein serbischen Armee mutierte.<br />

Mag sein, daß es anfangs tatsächlich die Absicht der Armee war, die Streitparteien<br />

zu trennen und weiteres Blutvergießen zu verhindern. Aber bereits in dieser Phase<br />

kam es örtlich zu eindeutiger Kooperation von Tschetnik-Verbänden und der JNA,<br />

die den Tschetniks ihr Aufklärungssystem zur Verfügung stellte und den Schild für<br />

deren Kleinkriegs-Aktivität abgab. Dort, wo die JNA nicht direkt angriff, begannen die<br />

serbischen Verbände systematisch mit Steilfeuer auf die kroatischen Ortschaften zu<br />

wirken, um einerseits die Bevölkerung zu vertreiben und die Verteidiger sturmreif zu<br />

schießen. Der NG wurde so in vielen Fällen die Möglichkeit genommen, die im<br />

Schatten der Armeeinheiten agierenden Tschetnik-Verbände zu zerschlagen,<br />

umgekehrt traf sie nach solchen Versuchen häufig der Verteidigungsschlag der JNA.<br />

Die Angriffe der Armee wurden durch die Luftwaffe massiv unterstützt, die auch zivile<br />

Ziele angriff. Bereits Mitte Juli zeichnete sich mit der Bombardierung von<br />

Ausbildungslagern der NG ein offener und direkter Einsatz der JNA gegen die NG<br />

ab. Ende August wurde ersichtlich, daß die JNA direkt an der Realisierung der<br />

serbischen Kriegsziele interessiert war. Wie aus Medien, einschließlich<br />

jugoslawischer, abgeleitet werden kann, standen wahrscheinlich Teile der 1.mech.<br />

Div. aus dem Raum Belgrad, mechanisierte Verbände des XVII. Korps (Tuzla) und<br />

des XII. Korps (Novi Sad) in der Baranja und Südost-Slawonien. Die 329. PzBrigade<br />

aus Banja Luka sowie möglicherweise Kräfte des V. Korps (Banja Luka) sowie des<br />

XXXII. Korps (Varazdin, Bjelovar) kamen insbesondere in der Banija und in<br />

Westslawonien zum Einsatz. In Mitteldalmatien waren Meldungen zufolge Kräfte aus<br />

dem Raum Knin im Einsatz, insbesondere auch eine Brigade dieses Korps vor<br />

Sibenik. Nach Süddalmatien seien ab September über Bosnien-Herzegowina Kräfte<br />

des XXXVII. Korps (Titovo Ulice) und des II. Korps (Titograd) verlegt worden. Diese<br />

102 Dies war 1991 selbst kroatischen Zivilisten in der Hauptstadt Zagreb bekannt<br />

103 ÖMZ 6/1991. S. 499; nach APA 284 vom 16.8.1991<br />

29


Verbände entstammen daher mit Masse dem 1. Militärbereich (Belgrad), das zuletzt<br />

gennante Korps gehörte zum 3. Militärbezirk (Skopje). 104<br />

Mit Fortschreiten der Operationen der JNA in Kroatien versuchten die Kroaten, die<br />

diplomatische Anerkennung ihres Staates zu erreichen, den Konflikt damit zu<br />

internationalisieren und die Bundesarmee <strong>als</strong> serbisches Aggressions- und<br />

Besatzungsinstrument erscheinen zu lassen (nach Artikel 2, Absatz 4 der Charta der<br />

Vereinten Nationen das Gewaltverbot bindendes Völkerrecht. 105 Angriffskriege<br />

stellen nach dem Londoner Abkommen vom 8. August 1945 ein Verbrechen gegen<br />

den Frieden dar, wie im Nürnberger Prozeß und Nürnberger Urteil festgelegt) 106 . Von<br />

den Bemühungen der kroatischen Führung um internationale diplomatische<br />

Unterstützung unbeeindruckt, setzten Armee und serbische Freischärler ihre<br />

Offensive in Kroatien fort.<br />

Im Verlauf der Kampfhandlungen und abseits davon kam es auf beiden Seiten<br />

fortgesetzt zu schweren Ausschreitungen und kriegsrechtswidrigen Vertreibungen<br />

von Zivilisten, die von den verantwortlichen Kommandeuren häufig nicht nur geduldet<br />

sondern oft unterstützt und angeordnet wurden. Die Regeln des ‘humanitären<br />

Völkerrechts’ - wie das Kriegsrecht heute bezeichnet wird - wurden vielfach<br />

mißachtet und grob verletzt. Seitens Beobachtern wurde bereits vor der<br />

Anerkennung Kroatiens durch den Westen die Meinung vertreten, im ehemaligen<br />

Jugoslawien tobe kein Bürgerkrieg, sondern ein internationaler Krieg. Deshalb<br />

würden die auch II. Haager Konvention von 1907 und die vier Genfer Rotkreuz-<br />

Konventionen von 1949 gelten. 107<br />

Da mit Fortschreiten der Kampfhandlungen in Kroatien zahlreiche Verbrechen an<br />

Soldaten und Zivilisten begangen wurden und das Kriegsrecht vielfach grob verletzt<br />

wurde, erscheint ein Blick auf die diesbezüglichen internationalen Regelungen und<br />

Bestimmungen interessant und gegeben. Im Artikel 3 des Haager Abkommens über<br />

Gesetze und Gebräuche des Landkrieges heißt es: “Die Kriegspartei, welche die<br />

Bestimmungen der bezeichneten Ordnung verletzen sollte, ist gegebenenfalls zum<br />

Schadenersatz verpflichtet. Sie ist für alle Handlungen verantwortlich, die von den zu<br />

ihrer bewaffneten Macht gehörenden Personen begangen werden.” 108 Gerade diese<br />

104 ÖMZ 6/1991. S. 499-500<br />

105<br />

Tilman Zülch (Hg.), „Ethnische Säuberung” - Völkermord für „Großserbien”. Eine<br />

Dokumentation der Gesellschaft für bedrohte Völker (Hamburg-Zürich 1993) 27<br />

106 Ebenda. S. 27<br />

107 Ebenda. S. 27-28<br />

108 Ebenda. S. 27-28<br />

30


Frage war angesichts der oft höchst unübersichtlichen Kommando- und<br />

Befehlsstruktur zwischen Politik und Militär sowie des diffusen Kriegsbildes sehr<br />

schwer zu klären.<br />

„Alle Kriegsparteien sind verpflichtet, ihre eigenen Kriegsverbrechen zu ahnden. So<br />

müssen gemäß Artikel 146 der IV. Genfer Konvention vom 12. August 1949 alle<br />

Kriegsparteien Verletzungen der Konvention untersuchen und bestrafen. Dies gilt<br />

auch für das ehemalige Jugoslawien. Artikel 146 besagt: ‘Die Hohen<br />

Vertragsparteien verpflichten sich, alle notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen<br />

zu treffen, die (...) Verletzungen des vorliegenden Abkommens begehen oder zu<br />

einer solchen Verletzung den Befehl erteilen. Jede Vertragspartei ist zur Ermittlung<br />

der Personen verpflichtet, die der Begehung oder der Erteilung eines Befehls zur<br />

Begehung einer dieser schweren Verletzungen beschuldigt sind; sie stellt sie<br />

ungeachtet ihrer Nationalität vor ihre eigenen Gerichte.“ 109<br />

Ende 1991 wurde auch von serbischer Seite bisweilen die Kooperation zwischen<br />

Armee und Freischärlern eingestanden. Anfang Dezember schrieb ein serbischer<br />

Reservist in der Belgrader Zeitung ‘Borba’ (‚Der Kampf‘), daß sich die Armee häufig<br />

in die Infanteriekämpfe gar nicht einmische, sondern diese den serbischen Milizen<br />

überlasse. Wo diese auf Schwierigkeiten stoßen würde, helfe die JNA mit schwerer<br />

Artillerie, Panzern, Flugzeugen und Kriegsschiffen so lange nach, bis die serbische<br />

Seite wieder im Vorteil sei. 110 Seselj sagte zur Kooperation seiner Einheiten mit der<br />

JNA später, diese habe seinen Irregulären 1991 vor Vukovar „eine ganze Kaserne<br />

zur Verfügung gestellt”. 111 Dennoch war bis zum Ende des Jahres 1991 - vor allem<br />

auch durch die Einnahme zahlreicher JNA-Kasernen - ein beträchtliches Ansteigen<br />

der kroatischen Kampfkraft und Organisation zu vermerken, was sich auch bei der<br />

weitgehend erfolgreichen Gegenoffensive in Westslawonien (um eine Abschneidung<br />

des kroatischen Zentralraumes um Zagreb durch einen JNA-Vorstoß an die<br />

ungarische Grenze zu unterbinden) im Dezember bemerkbar machte. “By 22<br />

September, 32 barracks and military installations were in Croatian hands and, at last,<br />

the National Guardsmen had the heavy armament they needed: T-55s had been<br />

retrieved from Sibenik, M-80 APCs, BOVs and 105 mm howitzers were obtained from<br />

109 Zülch (Hg.), “Ethnische Säuberung” - Völkermord für “Großserbien”. S.27-28. Zitiert nach Alfred de<br />

Zayas, Der Nürnberger Prozeß vor dem internationalen Militär Tribunal, In: Alexander Demandt<br />

(Hg.): Macht und Recht, München 1990. 249-270, insbesondere 268f.<br />

110 Erdelitsch, Orter, Krieg auf dem Balkan. S. 92<br />

111 TV-Dokumentation „Bruderkrieg - Der Kampf um Titos Erbe”, 3. Folge „Explosionen”<br />

31


Bjelovar.” 112 Der serbische Freischärlerführer Kapetan Dragan urteilte über die HV<br />

bereits im November 1991 zutreffend: „Die kroatischen Kräfte sind schneller <strong>als</strong> wir,<br />

und sie lernen sehr schnell dazu.” 113<br />

Einen militärischen und vor allem moralischen Rückschlag erhielt die kroatische<br />

Öffentlichkeit durch den Verlust der seit Sommer belagerten ostslawonischen Stadt<br />

Vukovar an der Donau im November. Die Ursachen und Hintergründe sind vielfach<br />

umstritten und reichen bis zur Mutmaßung, die kroatische Führung hätte die Stadt<br />

bewußt aufgegeben. Nicht zu übersehen war jedenfalls, daß Tudjman die<br />

kroatischen Kräfte in Westslawonien und im Großraum Zagreb konzentriert hatte,<br />

„weil er auch einen Angriff auf die Hauptstadt fürchtet. Die aus Kasernen erbeuteten<br />

Waffen wären bei einem Einsatz in Vukovar großteils vernichtet worden. ‘In der<br />

Ebene Ostlawoniens waren die kroatischen Nationalgardisten immer unterlegen’,<br />

meint Anton Bebler, der Strategieexperte und Politologe an der Laibacher<br />

Universität.” 114 Retrospektiv betrachtet war die Schlacht um Vukovar jedenfalls<br />

weniger eine Niederlage (oder bewußter Rückzug) der Kroaten <strong>als</strong> vielmehr ein<br />

Pyrrhussieg für die Serben: Vukovar kostete die zahlen- und ausrüstungsmäßig weit<br />

überlegene JNA 1991 nämlich angeblich rund 600 gepanzerte Fahrzeuge und ca. 50<br />

Panzer. 115<br />

Unmittelbar nach der Einnahme der Stadt kündigte der JNA-Oberkommandeur des<br />

nördlichen Frontabschnitts, General Biorcevic, einen neuen Vorstoß der Armee an:<br />

„Die Bundessoldaten würden bis zu der Linie Karloba an der Küste und Virovitica an<br />

der ungarischen Grenze vorrücken. Damit hätte Kroatien mehr <strong>als</strong> die Hälfte seines<br />

Gebiets verloren...” 116 Trotz dieser Ankündigung mußte zu dem Zeitpunkt konstatiert<br />

werden, daß es den allgemeinen Anschein hatte, die Armee würde mit Fortschreiten<br />

der Kämpfe zunehmend an Substanz verlieren.<br />

Wurde die kroatische Bevölkerung aus den eroberten Gebieten zumeist vertrieben -<br />

wobei zweifellos örtliche Unterschiede in der Behandlung der ansässigen kroatischen<br />

Bevölkerung zu betonen sind, die in den meisten Fällen auf die persönliche<br />

Einstellung der Kommandeure bzw. die Disziplin und Dienstauffassung der Soldaten<br />

und Freischärler zurückzuführen war -, begrüßten die ansässigen Serben aus Angst<br />

112 Micheletti, Debay War in the Balkans 1991-1993. S. 47<br />

113 Erdelitsch, Orter, Krieg auf dem Balkan. S. 87<br />

114 PROFIL 48/1991. S. 63<br />

115 Micheletti, Debay, War in the Balkans 1991-1993. S. 64<br />

116 KURIER, 29.11.1991. o.S.<br />

32


vor kroatischer Hegemonie in den meisten Fällen die Anwesenheit der serbischen<br />

Soldaten. „Die Serben fühlen sich von der Armee geschützt, erklärt uns der<br />

Bürgermeister (von Palaca, Kroatien, 1991, Anm.). Das Verhältnis zwischen den<br />

serbischen Verteidigern und den Armeesoldaten ist freundlich, richtig<br />

kameradschaftlich.” 117<br />

Gleichzeitig mit dem Vorrücken der Armee in Kroatien wurde die Transformation der<br />

ehemaligen Bundesarmee in eine serbische Armee weiter vorangetrieben. Als<br />

weitere Maßnahme der „Serbisierung” der JNA war etwa der Umstand zu werten,<br />

daß mit dem Rückzug der JNA aus Slowenien auch die entsprechende Infrastruktur<br />

und Ausrüstung auf von Serbien kontrolliertes Gebiet gebracht werden sollte. Der<br />

geplante Rückzug der Armee sah unter anderem vor: Der Verlegung des KpsKdo<br />

XIV und Stabsteile von Laibach nach Doboj/Bosnien, der 1. PzBrigade aus Vrhnika<br />

nach Banja Luka/Bosnien, FlARgt Vrhnika nach Banja Luka, der 345. Geb.Brigade<br />

aus Krain nach Travnik/Bosnien, der mot.Brigade Postojna nach Derventa,<br />

Tuzla/Bosnien und Doboj, das KpsKdo XXXI und Stabsteile von Marburg nach<br />

Sabac/Serbien, das 417. PzRgt. von Pettau nach Erdut/Slawonien und der 195.<br />

mot.Brigade von Marburg nach Valjevo/Serbien. 118 Angesichts der drohenden<br />

Ausweitung der Kampfhandlungen auf Bosnien hatte die Führung der JNA bereits<br />

Anfang August die Mobilmachung von Truppenteilen auch in Bosnien angeordnet,<br />

was von der bosnischen Regierung <strong>als</strong> illegaler und eigenmächtiger Schritt des<br />

Militärs bezeichnet wurde, da hiezu keine Anordnung des Staatspräsidiums vorlag.<br />

Am 18.9. erklärte Präsident Izetbegovic den Mobilisierungsaufruf erneut für illegal. 119<br />

Gleichzeitig entwickelte sich Banja Luka, die Hauptstadt der bosnischen Krajina, seit<br />

dem Eintreffen der PzBrigade aus Vrhnika zusammen mit der dort stationierten<br />

mechanisierten Brigade und den KpsTruppen zum Ausgangspunkt für die JNA-<br />

Operationen in den kroatischen Raum, aber auch für potentielle Auseindersetzungen<br />

mit der moslemischen oder kroatischen Bevölkerung in Bosnien. Inoffiziellen<br />

Meldungen zufolge wurden in den bosnischen Bergen Ausbildungslager für<br />

Tschetniks eingerichtet. 120 Banja Luka, Nord-Süd- und Ost-West-<br />

Verkehrsknotenpunkt für die in Kroatien kämpfenden serbischen Truppen, war in<br />

Hinblick auf die zu erwartende militärische Auseinandersetzung in Bosnien für die<br />

Serben ungemein wichtig. Hatten die Serben vor dem Krieg einerseits mit 54,8<br />

117 Gelhard, Ab heute ist Krieg. S. 134<br />

118 ÖMZ 6/1991, 500; nach FS Slovenija 1 vom 7.8.1991 12 Uhr<br />

119 ÖMZ 6/1991. S. 500<br />

120 ÖMZ 6/1991. S. 501; nach: DER STANDARD vom 26.8.1991<br />

33


Prozent gegenüber jeweils 14,6 Prozent Kroaten und Moslems 121<br />

die eindeutige<br />

Bevölkerungsmehrheit gestellt. Andererseits bot sich die Stadt - wie ein Blick auf die<br />

Landkarte beweist - aufgrund der Verkehrsanbindung sowie des Geländes (südlich<br />

der Save eignete sich das Gelände für Panzeroperationen größeren Umfangs im<br />

Gegensatz zu anderen bosnischen Regionen gut) und der Notwendigkeit der<br />

Sicherstellung eines Korridors von Serbien in die kroatische Krajina <strong>als</strong> logistisches<br />

HQ an.<br />

Während des Krieges gegen die kroatische Nationalgarde wurden mehrere serbische<br />

Frontabschnitte bereits von Bosnien aus geführt, während die serbischen Verbände<br />

dort bereits in der Endphase des Feldzuges in Kroatien kriegsbereit disloziert und<br />

aufgefüllt wurden: “The Dubrovnik operations of the JNA were organized from<br />

Trebinje and Nevesinje, the eastern Hercegovinian capital, while Banja Luka, the<br />

capital of Bosansko Krajina, was the JNA headquarters for the western Slavonian<br />

front.” 122 “Much of the armament evacuated by the Federal army from its bases in<br />

Slovenia and Croatia was now in Bosnia - ready fule for the tinderbox.” 123<br />

Nicht nur wurden Einheiten aus Serbien nach Kroatien verlegt und die Operationen<br />

von Bosnien-Herzegowina aus geführt, auch wurden frische Reservisten-Verbände<br />

aus Montengro zugeführt. Die montenegrinische Führung legte dabei Wert darauf,<br />

diese in Nähe zur eigegen Republik einzusetzen. “The Montegrinian leadership<br />

persuaded the JNA authorities (1991, Anm.) to reduce the number of reservists being<br />

deployed in the north (Kroatien, Anm) and instead agreed to allow them to be used to<br />

push the front through Konavle to Dubrovnik. This was a brilliant tactical switch -<br />

deeply cynical, but a master stroke none the less. The Croat resistance in Konavle<br />

was virtually non-existent. The Montenegrin reservists were sent up both from<br />

Herzeg-Novi and across from Trebinje in eastern Hercegovina, which lies twenty<br />

miles east of Dubrovnik as the land rises sharply. Most of these reservists were<br />

mobilized in Niksic, a miserable industrial wasteland in northern Montenegro, and<br />

fabled as one of the most primitive and violent towns in Yugoslavia. The Montenegrin<br />

reservists sliced through Croatia’s defences with the sharpness of newly-tempered<br />

steel. It was a pushover and the rewards were substantial.” 124<br />

121 Ethnische Verteilung in Bosnien gemäß Volkszählung von 1991. Internet: http://www.helsinki.fi/-<br />

tervio/bihdata.html<br />

122 Glenny, The fall of Yugoslavia. S.149<br />

123 Paul Harris, Somebody else’ war. Frontline reports from the Balkan wars 1991-92 (Hertfordshire<br />

1992) 104<br />

124 Glenny, The fall of Yugoslavia. S.132<br />

34


Ende September hatten Einheiten der Bundesarmee im Zuge der dam<strong>als</strong> gegen<br />

Kroatien eingeleiteten Offensive von Serbien und Montenegro aus die Grenze zu<br />

Bosnien überschritten (dabei dürfte es sich um Kräfte des XXXVII. Korps aus Titovo<br />

Ulice und des II. Korps aus Titograd handeln, die zum Einsatz nach Süddalmatien<br />

verlegt wurden). 125 Die Armeeführung wies zwar die Forderung nach einem<br />

vollständigen Abzug der vor allem mit montengrinischen Reservisten aufgefüllten<br />

Einheiten aus der Herzegowina zurück. Sie stimmte jedoch zu, diese in die Kasernen<br />

zurückzuziehen. 126<br />

Im Zuge der Kämpfe um Kroatien wurden somit auch die übrigen Landesteile von<br />

Bosnien-Herzegowina zunehmend in das Konfliktgeschehen involviert. Da Proteste<br />

des Republikspräsidiums gegen die Verwendung des bosnisch-herzegowinischen<br />

Territoriums <strong>als</strong> Durch- und Aufmarschraum nichts bewirkten, wurden ab dem 20.9.<br />

die bosnische TO mit einer Gesamtstärke von vermutlich rund 150.000 Mann - und<br />

die Reservepolizei mobilgemacht, die Stärke letzterer wurde am 22.9. mit 20.000<br />

Mann angegeben. 127<br />

Die Einbindung Bosniens <strong>als</strong> logistische Drehscheibe für die Einsätze in Kroatien<br />

durch die Serben und die daraus resultierenden militärischen Nachteile für die NG<br />

mußten in der Folge fast zwangsläufig zu einer stärkeren Involvierung des<br />

bosnischen Territoriums in die kroatische Kriegskonzeption führen, wollte man nicht<br />

noch weiter in die Defensive geraten. “As so many of the military offensives were<br />

mounted from Bosnia...(...) It seemed likely that the Croatian army would enter<br />

Bosnia to defend Croats there who would come under attack from Serbs.” 128 Wohl<br />

hatte sich Tudjman Ende 1990 für „die Respektierung der Grenzen Bosniens”<br />

ausgesprochen. Wie zu zeigen sein wird, ließ sich diese Aussage aber spätenstens<br />

mit Einsetzen der Operationen regulärer kroatischer Einheiten in der Nachbarrepublik<br />

ab Frühjahr 1992 nicht mehr glaubwürdig halten. 129<br />

Indes eskalierten auch in Bosnien die bereits bewaffneten Auseinandersetzungen<br />

zwischen JNA und kroatischen und moslemischen Einheiten sowie bewaffneten<br />

Zivilisten. Bereits am 21.9. eröffneten blockierte Einheiten der JVA in der<br />

westherzegowinischen Stadt Capljina das Feuer, am 22.9. kam es in Mostar, wo<br />

125 ÖMZ 6/1991. S. 499-500<br />

126 NZZ, 3.10.1991. o.S.<br />

127 ÖMZ 6/1991. S. 501; nach Radio HR Zagreb vom 22.9.1991<br />

128 Harris, Somebody else’s war. S.109<br />

129 Erdelitsch, Orter, Krieg auf dem Balkan. S.51<br />

35


6.000 montenegrinische Reservisten stationiert wurden, zu gewaltsamen<br />

Auseinandersetzungen. 130<br />

Gleichzeitig erhöhten die Bundeseinheiten den Druck in Kroatien. Im zweiten<br />

Halbjahr 1991 wollte die JNA die ihre Kasernen und Marinebasen blockierende<br />

kroatische Armee nach Angaben in Veljko Kadijevics Memoiren vollständig<br />

zerschlagen: “The strategic operations of the ground forces of the YNA were carried<br />

out by 5 newly mobilized corps... The GHQ set these corps the task of defeating the<br />

Croatian army and thus permanently protecting the then existing territorial<br />

achievements of the Serbian rebels in Croatia and, at the same time, consolidate the<br />

situation in BH.” 131 Die Stationierung montenegrinischer Reservisten in der<br />

Herzegowina dürfte aus Sicht des Autors mit dieser Einschätzung weitgehend<br />

korrespondieren.<br />

Am 25. September 1991 verhängten die Vereinten Nationen gegen alle<br />

Kriegsparteien auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien ein Waffenembargo. 132<br />

Zur Überwachung des UN-Waffenembargos (Resolution 713) und des<br />

Handelsembargos gegen Serbien und Montenegro (Resolution 757) - das ehemalige<br />

Jugoslawien betreffend - beteiligten sich an den Operationen in der Adria fünf von<br />

der WEU und sieben von der NATO geführte Schiffe. Mit Resolution 787 riefen die<br />

Vereinten Nationen die Mitgliedstaaten auf, nötigenfalls unter Anwendung von<br />

Gewalt die Embargobestimmungen im nationalen und regionalen Verband<br />

durchzusetzen; dieser Aufruf wurde durch Resolution 820 verschärft. 133 Die Kämpfe<br />

sollten ausgetrocknet werden, ohne ein eigenes direktes militärisches Eingreifen in<br />

den Konflikt erforderlich zu machen. Das Ziel wurde nicht erreicht. Im ehemaligen<br />

Jugoslawien dauerten die bewaffneten Auseinadersetzungen an und verschärften<br />

sich - vor allem in Bosnien.<br />

Bereits im Spätsommer und Herbst 1991 - zu einem Zeitpunkt <strong>als</strong> die Operationen<br />

der JNA in Kroatien auf Hochtouren liefen - wurden wie oben erwähnt in Bosnien-<br />

Herzegowina ausgedehnte Übungen der JNA, die offenbar <strong>als</strong> Deckmantel der<br />

Entfaltung der späteren Operationseinheiten und zur Bewaffnung der serbischen TO<br />

130 ÖMZ 6/1991. S. 501<br />

131 Anton Zabkar, The drama in former Yugoslavia - The beginning of the end or the end of the<br />

beginning?. In: Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie/National Defence Academy Series<br />

3/1995 (Wien 1995) 74<br />

132 Samuel M. Katz, Yves Debay, The Blue Helmets under fire. Fifty years of United Nations<br />

Peacekeeping Missions (Hong Kong 1996) 29<br />

133 Vereinigung für Politische Bildung - Politische Akademie (Hg.), Europäische Außen- und<br />

Sicherheitspolitik. Konzepte-Perspektiven für das 21. Jahrhundert (Wien 1996) 21<br />

36


dienen sollten, beobachtet. 134 Am 5.10. wurden die letzten Soldaten der JNA sowie<br />

rund 150 Militärfahrzeuge über den Hafen Koper nach Montenegro verschifft (etwa<br />

64 M-84 und 60 T-54- Panzer, schwere Waffen und Munition verblieben bis zur<br />

endgültigen Teilungsbilanz zwischen Slowenien und der Armee in den Militärbasen<br />

Vrhnika, Cerkelje und Mackovci in Slowenien). 135 Die JNA beasichtigte, mit dem<br />

ganzen Gerät in die besetzten Regionen Kroatiens abzuziehen, um die dort<br />

stehenden und vielfach bereits bedrängten eigenen Verbände zu verstärken.<br />

Kroatien forderte gleichzeitig den Rückzug der JNA aus ganz Kroatien bzw. wollte<br />

einem Rückzug nur der Soldaten, nicht aber des Geräts zustimmen. 136<br />

Mit der neuerlichen Übernahme zahlreicher JNA-Kasernen hatte die Kroatische<br />

Armee ihr Waffenarsenal weiter aufgefüllt. Mit der Übernahme der Kasernen des<br />

Korps Varazdin sollen angeblich 150 bis 185 gepanzerte Fahrzeuge und<br />

Kampfpanzer erbeutet worden sein. An zahlreichen Frontabschnitten wurden nun<br />

statt der regionalen politischen Führer Berufsoffiziere <strong>als</strong> Kommandaten eingesetzt,<br />

was zur weiteren strukturellen Konsolidierung der Streitkräfte beitrug. Bis zum<br />

„Waffenstillstand” am 8.10.1991 - der zu keinem nennenswerten Abflauen der<br />

Kampfhandlungen führte - konnte die Bundesarmee zwar bedeutende<br />

Geländegewinne machen und weite Teile Dalmatiens und Slawoniens vom<br />

kroatischen Kernland trennen, es gelang aber wiederum vorläufig nicht, eine der<br />

größten Städte einzunehmen. 137<br />

Eine der Hauptursachen hierfür ist sicher in der mangelhaften Kampfkraft der JNA-<br />

Verbände zu suchen. Die eingezogenen jungen Reservisten - Angaben serbischer<br />

Ärzte zufolge war die Mehrzahl der JNA-Verwundeten nicht älter <strong>als</strong> 19 oder 20<br />

Jahre 138 - wurden häufig <strong>als</strong> „Freiwillige” bezeichnet, die meist völlig unvorbereit in<br />

den Kampf geschickt wurden, was zu massenhaften Desertionen führte. Da bis<br />

Anfang September sich weder Serbien noch die JNA formell im Kriegszustand<br />

befanden und auch offiziell keine allgemeine Mobilmachung verfügt worden war,<br />

hatte die Armee kaum eine legistische Handhabe gegen Deserteure, was sich mit<br />

der offiziellen Teilmobilmachung vom 3.10.1991 allerdings änderte. Nach einer<br />

134 Jan Willem Honig, Norbert Both, Srebrenica. Der größte Massenmord seit dem Zweiten<br />

Weltkrieg. Deutsche Ausgabe (München 1997) 114<br />

135 ÖMZ 1/1992. S. 28<br />

136 ÖMZ 1/1992. S. 29<br />

137 ÖMZ 1/1992. S. 32<br />

138 PROFIL 44/1991. S. 94<br />

37


Generalmobilmachung drohte Verweigern und Deserteuren die Todesstrafe. 139<br />

Insgesamt dürfte die Teilmobilmachung nicht planmäßig verlaufen sein, allerdings ist<br />

nicht quantifizierbar, wie viele Reservisten sich der Einberufung entzogen. Der<br />

mangelnde Personalnachschub dürfte auch ein Grund für die folgende<br />

Generalmobilmachung in der „Autonomen Provinz Westslawonien” gewesen sein. Da<br />

sich serbische Soldaten zunehmend weigerten, unter den alten kommunistischen<br />

Symbolen zu kämpfen, schaffte das serbische Rumpfpräsidium am 16.10.1991 den<br />

Roten Stern an den Uniformen der Armee ab und verfügte <strong>als</strong> Ersatz die Anbringung<br />

eines Kreises mit den jugoslawischen Nationalfarben blau-weiß-rot, der von zwei<br />

Schwertern gekreuzt wird... 140 Der Name der Armee sollte von „Jugoslawischer<br />

Volksarmee“ in „Jugoslawische Streitkräfte” umgewandelt werden, um den Bruch zur<br />

kommunistischen Ideologie und Tradition zusätzlich zu unterstreichen 141 (in der<br />

Folge wird in der Abkürzungsform daher von den „JS“ zu sprechen sein).<br />

„Was sich jedoch feststellen läßt, sind Massenverweigerungen wie noch in keinem<br />

Krieg in Europa. Die Armeeführung beruft die Reservisten in den verschiedenen<br />

Regionen und Gebieten Serbiens in unterschiedlichem Ausmaß ein. Karoly Mirnicz,<br />

Demoskop des nach der Aufhebung der Autonomie aufgelösten statistischen<br />

Zentralamtes der Vojvodina, hatte genaue Zahlen von den Militärbehörden: ‘In der<br />

Vojvodina wurde 80 Prozent der Männer im wehrfähigen Alter einberufen, in Serbien<br />

insgesamt durchschnittlich 14 Prozent und in Belgrad nur vier Prozent.’ In der<br />

Vojvodina haben Mirnicz zufolge 75.000 Männer verweigert: Sie sind von der Armee<br />

desertiert, ihrem Einberufungsbefehl nicht gefolgt oder vorbeugend geflohen. Im<br />

Kosovo (...) ist die Einberufung zum Krieg ein weiteres Unterdrückungsmittel. Dort<br />

haben ebenfalls bereits 28.000 den Kriegsdienst verweigert. (...) In Belgrad sind nach<br />

Angaben der liberalen Wochenzeitung ‘Vreme’ bis Anfang Dezember nur 12 Prozent<br />

ihren Einberufungen gefolgt, in den anderen Teilen Serbiens auch nicht mehr <strong>als</strong> 24<br />

Prozent.” 142<br />

Der akute Mangel an Mannschaften auf serbischer Seite führte dazu, daß von Ende<br />

1991 bis Sommer 1992 kein Reservist Serbien mehr ohne Sondergenehmigung<br />

verlassen durfte. Danach wurde diese Regelung wieder etwas gelockert. 143 Zu<br />

erwähnen gilt es hiebei, daß die Armee wärend des Slowenien- und in der ersten<br />

139 Wirtschaftswoche 41/1991. o.S.<br />

140 ÖMZ 1/1992. S. 33<br />

141 ÖMZ 1/1992. S. 33; nach NZZ vom 25.10.1991<br />

142 PROFIL. S. 40<br />

143 Erdelitsch, Orter, Krieg auf dem Balkan. S. 76<br />

38


Phase des Kroatien-Krieges eine Generalmobilmachung durchführen wollte, was<br />

nicht funktionierte. Um die Zahl an Soldaten zu erhöhen, wurden serbische und<br />

montenegrinische TO-Rekruten, die gesetzlich eigentlich nur in ihren<br />

Heimatrepubliken hätten stationiert werden dürfen, 1991 nichtwissend <strong>als</strong><br />

„Freiwillige” an die Front in Kroatien geschickt. 144<br />

Nicht zuletzt aufgrund der beschränkten Personalressourcen hatte die Armee fast<br />

zwangsläufig kaum eine andere Möglichkeit, <strong>als</strong> auf die eigene Überlegenheit bei<br />

schweren Waffen zu bauen. Die meisten Opfer und die meiste Zerstörung in<br />

Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina wurden in der Folge auch durch<br />

Mehrfachraketenwerfer, Haubitzen, Panzer, Marinegeschütze, Fliegerbomben und<br />

Raketen hervorgerufen. Die Bundeseinheiten setzten dennoch nicht ihre gesamte<br />

Feuer- und Zerstörungskraft ein. Überdies wurden die Systeme oft unprofessionell<br />

und ineffizient eingesetzt, wobei enorme Mengen an Munition und Treibstoff<br />

vergeudet wurden. Diese geringe Effizienz während des Krieges in Kroatien war<br />

teilweise auf Sabotage durch einige ihrer Angehörigen zurückzuführen, die mit der<br />

Vorgangsweise der JS im Krieg nicht einverstanden waren, es aber nicht wagten,<br />

offen Befehle zu verweigern. 145 Trotz aller Unzulänglichkeiten beim Einsatz schwerer<br />

Waffen trug jedoch gerade die Überlegenheit auf diesem Sektor seitens der<br />

Bundesarmee am stärksten zur Eroberung von Städten wie etwa Vukovar bei.<br />

Vukovar war wie erwähnt am 19. November nach dreimonatiger Belagerung an die<br />

Serben gefallen. 146<br />

Kurz zuvor hatten die Kroaten zum wiederholten Mal versucht, den Krieg auch nach<br />

Serbien hineinzutragen. Am 5. November 1991 wurden die beiden serbischen<br />

Ortschaften Sid und Apatin in der Vojvodina angegriffen. „Die wahrscheinlichste<br />

Version schien allerdings die zu sein, daß kroatische Freischärler aus dem<br />

benachbarten Ostlawonien einen Gegenschlag ausgeführt hatten.” 147<br />

Was die Situation der Armee zu diesem Zeitpunkt betraf, soll nochm<strong>als</strong> einer der<br />

offenen Kritiker der Bundesarmee, Kapetan Dragan, zu Wort kommen. „Das ganze<br />

Konzept und das System, nach dem die Bundesarmee funktionierte, sei viel zu<br />

kompliziert, um Talente zu entwickeln. Er halte die Bundesarmee für zu träge und zu<br />

bürokratisch, um gegen die nach seiner Erfahrung schnellen und wendigen<br />

144 Zabkar, The drama in former Yugoslavia. S. 47<br />

145 ÖMZ 5/1992. S. 399<br />

146 PROFIL 48/1995. S. 70<br />

147 Erdelitsch, Orter, Krieg auf dem Balkan. S. 88<br />

39


kroatischen Gardisten entsprechend reagieren zu können.” 148<br />

„Die Soldaten der<br />

Bundesarmee seien um nichts besser <strong>als</strong> bewaffnete Zivilisten, kritisierte er (Kapetan<br />

Dragan, November 1991, nach einem Fronteinsatz, Anm.). Sie ließen professionelle<br />

Standards vermissen. Ein professioneller Soldat gehe ohne Emotionen in den Krieg<br />

und verrichte einen Job. Die serbischen Kämpfer hingegen seine von ihren<br />

Emotionen völlig dominiert, meinte Dragan, sie schwanken zwischen Haß und Angst.<br />

Der Haß ließe sie unnötige Grausamkeiten und Massaker begegen, die Angst mache<br />

sie undiszipliniert, verleite sie zu Flucht und Desertion und erschwere so das<br />

koordinierte Vorgehen größerer Einheiten.” 149<br />

Auf kroatischer Seite ist stellvertretend für die paramilitärischen Einheiten<br />

insbesondere der militärische Flügel HOS der radikalen „Kroatischen Partei des<br />

Rechts” (Hrvatska Stranka Prava - HSP) von Dobroslav Paraga zu nennen. Die HOS<br />

verfügte 1991 angeblich über 10.000 Kämpfer. Die Kritik der Parteiführung und der<br />

militärischen Führer an Strategie und Politik von Präsident Tudjman veranlaßten<br />

diesen schließlich, die Organisation der HOS Anfang November aufzulösen und<br />

deren Führer zu verhaften. 150<br />

In Serbien enstanden neben den Tschetniks des Vojislav Seselj und der „Serbischen<br />

Nationalgarde” des Vuk Draskovic neue Verbände, über deren Stärke und Effizienz<br />

wenig bekannt ist: In Belgrad die „Weißen Adler”-Verbände von Mirko Jovic und<br />

Dragoslav Bokan; seit Oktober war auch von einer “Serbischen Freiwilligengarde”<br />

unter Zeljko Raznjatovic („Arkan”) die Rede, unter dessen Kommando monatlich<br />

angeblich 1000 Freiwillige geschult und bewaffnet werden. Anfang November<br />

wurden erstm<strong>als</strong> serbische Freiwilligenverbände, die an der Front um Vukovar<br />

ausgebildet wurden, direkt dem Kommando der JS unterstellt und in deren<br />

Verbandsstruktur eingegliedert. In Bosnien-Herzegowina sollen sich auf Seiten der<br />

serbischen Volksgruppe die „Serbische Freiwilligenbewegung Karadjordjevic” und die<br />

„Krajina-Kampfgruppe” gebildet haben, die Moslems gründeten die Organisation der<br />

„Islamischen Kämpfer” und der „Muselmanischen Brüder”. 151<br />

In den meisten Fällen wäre es verfehlt, die Kämpfer in den paramilitärischen<br />

Einheiten - von denen viele kriminellen Hintergrund hatten 152 - betreffend<br />

148 Ebenda. S. 76<br />

149 Erdelitsch, Orter, Krieg auf dem Balkan. S. 41<br />

150 ÖMZ 1/1992. S. 34<br />

151 ÖMZ 1/1992. S. 34<br />

152 Honig, Both, Srebrenica. S. 74<br />

40


Organisation, Ausbildung und Kampfkraft mit einer regulären Armee gleichzustellen.<br />

“Even a non-military observer can see the differences between the Rambosesque<br />

local forces and the UN profession<strong>als</strong>: it shows in the uniforms, the salutes, the<br />

tightly packed sandbags, the textbook defences, and the high level of alert.” 153 Trotz<br />

vielfacher Kooperation und Koordination war das Verhältnis zwischen regulären<br />

Armeeangehörigen und Freischärlern weder bei Kroaten noch bei Serben immer<br />

friktionsfrei: “Incidents occured where the paramilitary forces disarmed officers of the<br />

YNA, because they wanted to surrender, leave their units, or had refused to fight, as<br />

well as other incidents in which YNA officers killed members of the paramilitaries.” 154<br />

Bereits vor Kriegsausbruch gibt Misha Glenny einen eindrucksvollen<br />

Augenzeugenbericht über die Vielfalt der Paramilitärs in der kroatischen Krajina:<br />

“Although the shabby streets were as I had remembered them, they were now<br />

bristling with uniforms of all sorts: Chetniks, the Krajina Militia, Partizans, JNA<br />

regulars, Arkanovci and Seseljovci (...), JNA reservists and a dazzling spectrum of<br />

volunteers. I even met a group of Moslems from Bosnia who had come to Knin to<br />

fight for Yugoslavia.” 155<br />

Über die Situation in den JS ließen sich im Spätherbst nur noch Vermutungen<br />

anstellen, hatten sie doch mit enormen internen - v.a. logistischen - Problemen zu<br />

kämpfen. So hatte die Armee die Rückverlegung von insgesamt fünf Korps des<br />

ehemaligen V. Militärbezirks nach Serbien und Bosnien-Herzegowina zu<br />

organisieren. Beispielsweise setzte Ende November auch der Abzug der JS aus dem<br />

Raum Zagreb voll ein, am 24.11.1991 verließ das 149. Raketenregiment die Stadt<br />

mit Marschziel Banja Luka. Mit der Rücknahme der fünf Korps aber auch auf Grund<br />

der aktuellen Mannschaftsstärken, die sich weit unter dem Soll befanden, war eine<br />

Neugliederung der JS zu erwarten. Neben Belgrad und Skopje wurde nun Sarajevo<br />

zum Sitz eines neuen Armeebezirks gemacht. 156 Dies sollte zweifellos den<br />

serbischen Anspruch auf den Verbleib Bosniens - oder zumindest der serbisch<br />

besiedelten Landesteile - bei einem neu zu schaffenden Jugoslawien unterstreichen.<br />

Im Jänner 1992 sollte der nächste Schritt zur Eskalation in Bosnien folgen und<br />

153 Harris, Somebody else’ war. S.142<br />

154 Zabkar, The drama in former Yugoslavia. S. 49<br />

155 Misha Glenny, The fall of Yugoslavia. S. 24<br />

156 ÖMZ 2/1992. S. 105; nach DER STANDARD vom 15.1.1992<br />

41


Milosevic alle in Bosnien geborenen Offiziere der Jugoslawischen Volksarmee in ihre<br />

Heimatrepublik zurückversetzen lassen. 157<br />

Im Spätherbst schon hatten sich die in Kroatien stehenden JS-Einheiten auch<br />

angesichts der stärker werdenden kroatischen Verbände und der eigenen<br />

logistischen und Personalprobleme auf das Halten besetzter Abschnitte und<br />

weitgehend immobile Kriegführung unter Vermeidung von Verlusten an Menschen<br />

und Material festgelegt. Dadurch wurden freilich Offensivwaffen wie vor allem die T-<br />

54/55- und M-84-Panzer ihrer eigentlichen Rolle enthoben und stationär, <strong>als</strong>o<br />

defensiv eingesetzt: “After operating in their conventional role in the short autumn<br />

1991 campaign, the tanks dug-in and were henceforth used as static artillery.” 158<br />

Die merklichen Kampfkraftverbesserung der Kroatischen Armee bis zum Herbst 1991<br />

konnte vor allem auf eine umfassende Neustrukturierung zurückgeführt werden.<br />

Gleichzeitig wurde die kroatische Nationalgarde in eine reguläre kroatische Armee<br />

überführt, deren Gesamtstärke 80.000 Mann betragen sollte. Dabei stellte nach wie<br />

vor die Nationalgarde mit etwa 15.000 Mann den professionellen Kern, daneben<br />

wurden etwa 60.000 bis 70.000 Mann Heimwehr (Domobranzen) aufgestellt. Das<br />

Oberkommando wurde vom Innenministerium in das Verteidigungsministerium<br />

verlegt. Seit September wurde neben dem gesamtstaatlichen Krisenstab, dessen<br />

Arbeit von großen Koordinierungsproblemen gekennzeichnet war, ein eigener<br />

Gener<strong>als</strong>tab aufgestellt. Dem Gener<strong>als</strong>tab nachgeordnet sind die Armee, die Marine,<br />

die Luftverteidigung, die in Planung befindliche Luftwaffe und eine Garde-Polizei,<br />

deren Tätigkeit der einer Militärpolizei entspricht.<br />

Die Armee bestand nunmehr aus zehn Korps mit jeweils etwa drei Brigaden mit bis<br />

zu 3.000 Mann. Die 25 bis 30 Brigaden waren bis auf 4 bis 5 Aktivbrigaden der<br />

Nationalgarde Domobranzen-Brigaden, die allerdings von Berufsoffizieren geführt<br />

wurden. Diese Korps sind reine Infanterieverbände. Die kroatische Armee verfügte<br />

zum damaligen Zeitpunkt auch über eine mechanisierte Brigade und einige<br />

mechanisierte Kompanien, die allerdings große logistische Probleme zu haben<br />

schienen. Neben der Armee existierten noch rund 40.000 Mann kroatische Polizei,<br />

die dort, wo es notwendig war, an der Seite der Armee ingesetzt wurde 159 : “Although<br />

the (...) police force was formally subordinated to the Ministry of Interior, about 5000<br />

men took part in combat in many parts of Croatia.” 160<br />

157 KURIER, 5.10.1995. S. 4<br />

158 Micheletti, Debay, War in the Balkans 1991-1993. S. 48<br />

159 ÖMZ 1/1992. S. 32<br />

160 Milan Vego, The Croatian Army. In: Jane’s Intelligence Review, May 1993. 206<br />

42


Nach der (weitgehenden) Beendigung der Kampfhandlungen verfügte die KA im<br />

März 1992 nach Expertenmeinung (die Angaben beziehen sich auf Aussagen<br />

slowenischer Militärexperten) über rund 100.000 Mann, nachdem Anfang März etwa<br />

50.000 Mann demobilisiert worden waren. Als organisatorischer Rahmen dienten<br />

nach wie vor 9 bis 10 Korps bzw. Operative Gruppen. Zusätzlich waren 100.000<br />

Mann quasi <strong>als</strong> eine Art „Volkssturm” unter Waffen, die jedoch in keinen Verbänden<br />

zusammengefaßt waren und deren Kombattantenstatus äußerst fraglich war 161<br />

(Eines der wichtigsten Prinzipien des Kriegsaktionenrechts ist die Unterscheidung<br />

zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten. Art.3 HLKO verwendet die beiden<br />

Begriffe in einem engeren Sinn. Danach handelt es sich bei beiden Gruppen um<br />

Angehörige der Streitkräfte; die Kombattanten sind zum Kampf oder dessen Leitung<br />

bestimmt, Nichtkombattanten sind Militärärzte, Sanitäter, Feldgeistliche und<br />

Angehörige der Militärverwaltung). 162<br />

Bei den schweren Waffen soll die HV nach der Reorganisation über 200 bis 300<br />

Panzer, größtenteils modernisierte T-34, verfügt haben, die allerdings bestenfalls <strong>als</strong><br />

bewegliche Panzerabwehr in die Infanterieverbände integriert waren. Die Luftwaffe<br />

soll neben einigen Agrarflugzeugen über zwei bis drei MIG-21-Kampfflugzeuge sowie<br />

vier bis sechs Hubschrauber verfügt haben. Die rund 10.000 in Kroatien stationierten<br />

HOS-Kämpfer sollen bis zu ihrer Auflösung über keine eigenen Einheiten verfügt<br />

haben, sondern waren gruppenweise in die KA integriert. Obwohl sie sich nur durch<br />

das Abzeichen am rechten Ärmel von den Soldaten der HV unterschieden, wurden<br />

sie nicht von der Regierungsarmee ausgerüstet. 163<br />

Auch hatten die Kroaten - eingeengt wenngleich nicht wirklich gehindert durch das<br />

Waffenembargo - eine leistungsfähige eigene Waffenindustrie aufgebaut. “This<br />

(Embargo, Anm.) led to the development of new arms industries, such as Croatia’s<br />

construction of a fully equipped army, navy and air force of 110.000 troops by<br />

November 1992 from ist own plants - the Djuro Djakovic tank factroy, Zmaj aircraft<br />

center, and shipyards.” 164<br />

Angemerkt werden muß an dieser Stelle, daß die kroatische Führung bisweilen in<br />

Verdacht geriet, vor allem in der Anfangsphase des Krieges bewußt hohe<br />

Verlustraten in den eigenen Reihen in Kauf zu nehmen, um die Opferrolle in den<br />

161 ÖMZ 3/1992. S. 229<br />

162 Otto Kimminich, Einführung in das Völkerrecht. 5. Auflage (Tübingen - Basel 1993) 438<br />

163 ÖMZ 3/1992. S. 229<br />

164 Woodward, Balkan tragedy. S. 263<br />

43


Augen der Weltöffentlichkeit zu verstärken und die diplomatische Anerkennung zu<br />

beschleunigen: “Moreover, the apearent reluctance of the Croatian government to<br />

train and arm its conscripts sufficiently, in line with its foreign strategy, contributed to<br />

an even higher casualty rate in eastern Slavonia once the army became involved. As<br />

a result, the attractiveness to young soldiers concerned for their own survival of the<br />

better-trained paramilitary forces of the HOS increased the number of those fighting<br />

offensively and outside governmental authority.” 165 Fest steht aber auch für den<br />

Beobachter klar, daß die kroatische Führung schon im Frühjahr 1992 trotz<br />

umfassender Demobilisierungen ihre Verbände gestrafft, zureichend ausgerüstet und<br />

zielgerichtet disloziert hatte. Das nunmehrige Ziel - die Sicherung des territorialen<br />

Besitzstandes in Bosnien. „By the beginning of April 1992, when the hostilities broke<br />

out in neighbouring Bosnia and Herzegovina the Croatian Army was deployed as<br />

follows:<br />

• 30.000-40.000 men (10-12 brigades) in eastern Slavonia<br />

• 30.000-40.000 men (10-12 brigades) in western Slavonia<br />

• 60.000-70.000 men (23-28 brigades) in Banija-Kordun-Lika<br />

• 25.000-30.000 men (10 brigades) in central Dalmatia<br />

• 8.000-10.000 men (3-4 brigades) in southern Dalmatia<br />

• 35.000-40.000 men in reserves“ 166<br />

„The second phase of demobilization in May and June 1992 reduced total strenght by<br />

an additional 100.000 men. Moreover, some 40.000 reservists in active service were<br />

demobilized between 19 October and 15 November 1992. Nevertheless, all<br />

demobilized units were fully equipped and could be activated very quickly if<br />

necessary. As the same time as the reservists were being demobilized, plans were<br />

being made for the present strength of 105.000 men in active service in the army<br />

(and another 100.00 men in reserve) to be reduced to a peacetime strength of only<br />

20.000-22.000 men.” 167<br />

Gleichzeitig mit den umfassenden Reorganisations- und<br />

Demobilisierungsmaßnahmen, die auf eine Effizienzmaximierung, schlanke<br />

Strukturen innerhalb der Truppe und damit Kampfkraftverstärkung bei gleichzeitiger<br />

zahlenmäßiger Verringerung der Armee abzielten, verlegte die kroatische Führung<br />

im Frühjahr 1992 reguläre Verbände der HV nach Bosnien. Diese umfaßten mehrere<br />

Brigaden mit schweren Waffen und Logistik- sowie Unterstützungseinheiten und<br />

sollten einerseits die kroatisch besiedelte Herzegowina vor moslemischem und<br />

165 Woodward, Balkan tragedy. S. 171<br />

166 Vego, The Croatian Army. S. 207<br />

167 Ebenda. S. 207<br />

44


serbischem Zugriff sichern, andererseits <strong>als</strong> Unterstützung und strategische Reserve<br />

für die kroatischen Landsleute fungieren. 168<br />

„Troop reductions were accompanied by a dramatic reorganization. Hitherto, the<br />

Croatian Army was organized partially on the experiences of the former federal<br />

army.” 169 “The training methods are reportedly similar to those in NATO armies. (...)<br />

The new training manual for all services and combat arms of the Croatian Army was<br />

adopted in late June 1992. It reportedly consists of a motley collection of regulations<br />

adopted by the Croatian Army prior to 1945, the ZNG (Gardekorps der HV, Anm.),<br />

former federal army, and some Western armies.” 170 Ziel war, nach den Erfahrungen<br />

des 1991-Krieges gegen die Bundeseinheiten eine Armee gemäß amerikanischem,<br />

deutschem und französischem Vorbild zu schaffen, die Infanterie, Artillerie und<br />

mechanisierte Einheiten beinhalten sollte (mit einem klaren Schwergewicht bei der<br />

Infanterie). Das Gardekorps sollte den Elite-Bestandteil der HV darstellen. Die<br />

kleinste taktische Einheit sollte die Gruppe bilden, die größte die Brigade. Die<br />

motorisierten Garde-Brigaden waren <strong>als</strong> schnelle Interventionskräfte geplant. Diese<br />

Einheiten setzten sich aus Freiwilligen von 18 bis 30 Jahren zusammen, die ihren<br />

verpflichtetenden Militärdienst bereits abgeleistet hatten.<br />

Die reguläre kroatische Brigade bestand aus 1800 Mann, variierte in der Praxis<br />

allerdings zwischen 500 und 2500 Soldaten. Jede Brigade bestand aus einer<br />

Stabskompanie, drei Infanteriebattalionen, einer Artilleriedivision (von der<br />

Verbandstärke und -struktur nicht mit einer „echten“ Division gleichzusetzen, bestand<br />

die Artilleriedivision der Brigaden doch aus „nur“ einer Batterie von 105mm<br />

Haubitzen und zwei 120mm Geschütz-Batterien); einer Fla-Kompanie (zwei<br />

Batterien), einer Logistik-/Unterstützungskompanie und einer Aufklärungs-<br />

/Diversionsgruppe, einer Anti-Terror-Gruppe, einer Kommunikationsgruppe und einer<br />

Instandsetzungs- und einer Militärpolizei-Gruppe.” 171 “A motorized brigade includes a<br />

missile artillery division instead of an artillery division. A brigade can <strong>als</strong>o be<br />

temporarily organized as a mobile force, known as ‘tactical group’, to resolve<br />

important combat tasks.” 172 Mit welchem Selbstvertrauen betreffend ihre militärische<br />

Stärke die Kroaten offenbar bereits Ende 1992 auftraten, zeigt indirekt eine Aussage<br />

168 Micheletti, Debay, War in the Balkans 1991-1993. S. 108<br />

169 Vego, The Croatian Army. S. 207<br />

170 Vego, The Croatian Army. S. 210<br />

171 Ebenda. S. 207<br />

172 Ebenda. S. 207<br />

45


von Holbrooke, der nach einem Treffen mit dem kroatischen Außenminister Mate<br />

Granic in Zagreb im Dezember 1992 erwartete, „daß der Krieg zur Rückeroberung<br />

der Krajina spätestens im Sommer 1993 beginnen würde.“ 173<br />

173 Holbrooke, Meine Mission. S. 74<br />

46


IV.I. Waffenstillstand in Kroatien – Stationierung der UN-<br />

Truppen, Jänner 1992<br />

Der Krieg in Kroatien, der vor allem in seiner Schlußphase im wesentlichen ein<br />

Stellungskrieg war, hatte sich 1991 ungefähr fünf Monate hingezogen. 174 Insgesamt<br />

vierzehn Waffenstillstandsabkommen waren gebrochen worden, wobei jede Seite die<br />

jeweils andere des Vertrauensbruches und grober Verletzung der<br />

Waffenstillstandsvereinbarungen beschuldigte. Hauptgründe für diese Verletzungen<br />

waren zumeist Ungehorsam und mangelnde Disziplin auf beiden Seiten. Das<br />

fünfzehnte Abkommen wurde schließlich zumindest ab Anfang Jänner mehr oder<br />

weniger eingehalten. 175<br />

Bis zum Waffenstillstand vom 3.1.1992 hatten die JS keine entscheidenden<br />

Geländegewinne mehr erzielen können, wohingegen die KA Nordwestslawonien im<br />

wesentlichen zurückgewinnen konnte. Nach dem offensichtlichen Scheitern der JS<br />

hatte auch weder der Einsatz der Luftwaffe noch die Beschießung von Vororten<br />

Zagrebs mit Boden-Boden-Raketen des sowjetischen Typs R-65 am 28.12. noch der<br />

Versuch, mit Jadkampfverbänden im kroatisch gehaltenen Territorium zu operieren,<br />

die kroatische Abwehr entscheidend schwächen können. 176<br />

Über die effektive Stärke der JS ließ sich zum Zeitpunkt des Waffenstillstandes<br />

aufgrund von Desertionen in der Größenordnung von Zehntausenden und<br />

Rekrutierungsquoten von 10 bis 20 Prozent der Einberufenen nur mutmaßen.<br />

Insgesamt dürfte die Stärke der JS in den kroatischen Kampfgebieten nur rund<br />

50.000 Mann betragen haben. 177 Aufgrund dieses Umstands waren wie oben<br />

beschrieben nichtamtlichen Quellen zufolge bereits am 12.12.1991 alle in Kroatien<br />

kämpfenden Freiwilligen-Einheiten der Führung der JS unterstellt, gleichzeitig der<br />

Wehrdienst auf unbeschränkte Zeit verlängert worden. 178 Im Zuge dessen wurde der<br />

Einsatz an der Front für die mobilgemachten Reservisten von 43 Tagen auf sechs<br />

Monate verlängert. Anfang Jänner 1992 wurden auch in den serbischen Gebieten<br />

Bosnien-Herzegowinas neuerlich Reservisten einberufen. 179 Gleichzeitig<br />

demonstrierte die serbische Führung wie oben beschrieben durch die Installierung<br />

eines vierten Militärbezirks in Sarajevo nach Auflösung des fünften Militärbezirks<br />

174 ÖMZ 5/1992. S. 407<br />

175 Ebenda. S. 407<br />

176 ÖMZ 2/1992. S. 104<br />

177 Ebenda. S.105; nach Interview mit Prof. Theodor Gersak, Universität Ljubljana, vom 20.1.1992<br />

178 Ebenda. S.105; nach APA 088 vom 12.12.1991<br />

179 Ebenda. S.105<br />

47


Zagreb und des regionalen Marinekommandos in Split am 30.12.1991, daß Bosnien<br />

von ihr <strong>als</strong> integraler Bestandteil (eines noch zu schaffenden) Großserbien betrachtet<br />

wurde. 180<br />

Nach Inkrafttreten des Waffenstillstandes Anfang Jänner hatte Vermittler Cyrus<br />

Vance im Februar den Widerstand der Krajina-Serben überwunden, Milosevics<br />

Unterstützung gewonnen und den Vereinten Nationen offiziell die Stationierung von<br />

12.500 Blauhelmen in der Krajina empfohlen. Innerhalb weniger Tage beschloß die<br />

Uno, das zweitgrößte Kontingent an Friedenstruppen, das je aufgestellt wurde, nach<br />

Kroatien zu entsenden. 181 Am 31.12.1991 bereits hatten das jugoslawische<br />

Rumpfpräsidium und auch der kroatische Präsident Franjo Tudjman dem UN-Plan<br />

vom 13.12. für die Stationierung von Friedenstruppen zugestimmt. 182<br />

Die Entscheidung durch die UN hatte schnell zu fallen, war der Waffenstillstand in<br />

Kroatien vom 3.1. bald wieder beinahe zusammengebrochen. Vor allem<br />

kroatischerseits wollten Kräfte auf die gewonnene militärische Stärke setzen und den<br />

Kampf fortführen: “...in Croatia, there was no longer much peace to keep. Military<br />

men there were hardening their attitudes and seemed increasingly inclined to push<br />

on with the war.” 183 “The 15th ceasefire, which had theoretically been in force since<br />

January 3, had clearly irrevocably broken down...” 184<br />

„UNPROFOR was initially deployed in three United Nations Protected Areas<br />

(UNPAs) in Croatia (Eastern Slavonia, Western Slavonia, and Krajina) that were<br />

divided into north, south, east and west sectors. (...) UNPROFOR’s success hinged<br />

on two essential elements – the complete withdrawal of all JNA (...) from Croatia and<br />

the demilitarization of the UNPAs. Initially UNPROFOR headquarters was in<br />

Sarajevo...“ 185<br />

Ein Gruppe von Militärbeobachtern war auch für das Gebiet von Dubrovnik<br />

vorgesehen. Mit dem Eintreffen der UNO-Truppen sollte die Entmilitarisierung der<br />

UNPAs beginnen, ebenso wie der Abzug der jugoslawischen Bundesarmee vom<br />

180<br />

Gustav Gustenau, Georg Pfeifer, Bundesrepublik Jugoslawien (FRJ). In: Hans-Joachim<br />

Gießmann, Ursel Schlichting (Hg.), Handbuch Sicherheit. Militär und Sicherheit in Mittel- und<br />

Osteuropa. Daten-Fakten-Analysen. 1. Auflage (Baden-Baden 1995) 112<br />

181 Holbrooke, Meine Mission. S. 55<br />

182 ÖMZ 2/1992. S. 106; nach APA 015 vom 13.12.1991, APA 150 vom 2.1.1992 und APA 266 vom<br />

3.1.1992<br />

183 Harris, Somebody else’s war. S.110<br />

184 Ebenda. S.107<br />

185 Katz, Debay, The Blue Helmets under fire. S. 30<br />

48


gesamten Territorium Kroatiens. Sowohl Serbien wie auch Kroatien setzten zu<br />

diesem Zeitpunkt große Hoffnungen auf die Stationierung der UNO-Truppen in den<br />

Schutzzonen, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Während die Kroaten auf<br />

die „Befreiung” und Rückerlangung der von serbischen Freischärlern und Armee<br />

besetzten Gebiete hoffte, rechnete die serbische Führung damit, daß eine<br />

Volksabstimmung der vorwiegend serbischen Bevölkerung - nach Flucht der meisten<br />

Kroaten - die Abspaltung von Kroatien mit sich bringen würde. 186 "The Serbs and<br />

their local community had by this time secured their objectives in Croatia and heavy<br />

fighting was dying down.” 187<br />

Ab 21. Februar 1992 trafen die 14.000 UN-Soldaten in Kroatien ein. 188 Im März 1992<br />

beschloß das von Serben dominierte jugoslawische Rumpfparlament<br />

nichtsdestotrotz, daß die jugoslawischen Bundesgesetze genauso in den von der<br />

Jugoslawischen Armee und den serbischen Verbänden besetzten Gebieten gelten<br />

sollen, auch nach der Stationierung von UN-Friedenstruppen. 189 So sollte der<br />

Anspruch auf die besetzten Gebiete Kroatiens unterstrichen werden.<br />

Der von Vance vermittelte Waffenstillstand und die Truppenentflechtung sowie die<br />

Stationierung der UN-Truppen in den besetzten serbischen Gebieten Kroatiens hatte<br />

aber von Anfang an mit großen Problemen zu kämpfen. Beide Kriegsparteien waren<br />

bestrebt, aus den zum Teil unterschiedlich auslegbaren Bestimmungen Vorteile zu<br />

ziehen. Faktisch hatte sich aber mittelfristig die serbische Auslegung - Einfrierung<br />

des militärisch erreichten Status quo und Nicht-Rückkehr der kroatischen<br />

Bevölkerung sowie de facto-Aufrechterhaltung des Bewaffnungszustandes der<br />

eigenen Einheiten (die vormaligen Soldaten wurden meist einfach in Polizisten<br />

„umgewandelt“) - durchgesetzt. Auch wirkte sich der fast gleichzeitige Ausbruch des<br />

Bosnien-Krieges auf die deeskalierend angelegte Stationierung der UN-Einheiten in<br />

Kroatien negativ aus. „Das zentrale politische Ziel des Vance-Planes, die durch die<br />

Waffenruhe entstandene Entspannung zwischen den Kampfparteien für eine<br />

intensive Verhandlungsphase über Kroatien zu nutzen, brach zusammen. (...) Das<br />

optimistische Vance-Konzept, das auf eine bevorstehende endgültige<br />

186 ÖMZ 2/1992. S. 106<br />

187 Anthony Parsons, From cold war to hot peace. UN Interventions 1947-1994 (London 1997) 226<br />

188 PROFIL 48/1995. S. 70<br />

189 Gelhard, Ab heute ist Krieg. S. 152<br />

49


Friedenslösung für Kroatien abzielte, ist <strong>als</strong>o hinsichtlich der angestrebten Ziele<br />

politisch <strong>als</strong> weitgehend gescheitert anzusehen.” 190<br />

190 Giersch, Eisenmann, Die westliche Politik und der Kroatien-Krieg 1991-1992. o.S.<br />

50


V. Kriegsausbruch in Bosnien-Herzegowina,<br />

Frühjahr 1992<br />

Die eigentliche Frage betreffend den Krieg in Bosnien war vor allem in der<br />

Anfangsphase eine vielschichtige und daher schwer zu beantwortende: „Was für<br />

einen Krieg führt man zur Zeit in Bosnien-Herzegowina? Ist es nur eine Konsequenz<br />

der serbischen (und auch kroatischen) Aggression von außen, oder hat man es auch<br />

mit einem Bürgerkrieg zu tun? Meines Erachtens ist der Krieg in Bosnien-<br />

Herzegowina eine Kombination aus äußerer Aggression, Bürgerkrieg, Religionskrieg<br />

und Bandenkrieg. Diese Antwort umfaßt alle anderen Fragen politischer,<br />

militärstrategischer oder völkerrechtlicher Natur.” 191 Gleich vorausschickend soll<br />

betont werden, daß sich der Autor dieser Ansicht der Situation, daß nämlich der<br />

bosnische Krieg von 1992 bis in seine Endphase eine Mischform aus innerer<br />

Konfrontation und äußerer militärischer und politischer Einflußnahme darstellte,<br />

vollinhaltlich anschließt.<br />

Nach einem fast ausschließlich von Moslems und Kroaten initiierten<br />

Entscheidungsfindungsprozeß über die Abspaltung von Jugoslawien und den Weg in<br />

die staatliche Unbahängigkeit, der von der serbischen Führung in der Republik nicht<br />

mitgetragen wurde, fand am 29. Februar 1992 in ganz Bosnien ein Referendum über<br />

die Unabhängigkeit statt. Dieses Referendum wurde von der serbischen Bevölkerung<br />

nach entsprechendem Aufruf der politischen Führung boykottiert, die teilnehmenden<br />

Kroaten und Moslems entschieden klar für die Abspaltung von Jugoslawien und<br />

folgten damit dem slowenischen und kroatischen Beispiel. 192 Für die serbische<br />

Führung sollte dies nach den oben beschriebenen politischen und militärischen<br />

Vorbereitungen der vergangenen Monate die Initialzündung für die Eröffnung der<br />

Kampfhandlungen - die aus ihrer Sicht Defensivmaßnahmen waren - in Bosnien sein.<br />

Ratko Mladic, 1992 bis 1995 Oberbefehlshaber der Armee der bosnischen Serben<br />

(in der Folge VRS - Vojska Republika Srpska) erläuterte später die damalige<br />

Situation aus serbischer Sicht: “But for Serbs it is a war of national liberation for the<br />

protection and defense of the land that has been ours for centuries.” 193 „Die Furcht<br />

vor einer katholisch-kroatischen oder moslemischen Hegemonisierung rechtfertigt<br />

aus serbischer Sicht die Führung eines ‘Verteidigungskrieges’, der bisher auf<br />

operativer und taktischer Ebene überwiegend offensiven Charakter hatte.<br />

191 Puhovski, Der Krieg in Bosnien-Herzegowina und der serbisch-kroatische Konflikt. S. 303<br />

192 PROFIL 48/1995. S. 70<br />

193 “We didn’t begin this war”. Interview mit Ratko Mladic. In: TIME, August 28, 1995. S. 18<br />

51


Voraussetzung für die Kriegsführung ist das politische und militärische Bündnis mit<br />

der FRJ, die nach dem formellen Abzug der ehemaligen Jugoslawischen Volksarmee<br />

aus Bosnien-Herzegowina die wirtschaftlichen und logistischen Ressourcen zur<br />

Verfügung stellt. Die Existenz der serbischen Regionen westlich der Drina scheint<br />

allein von der seitens der Republik Serbien gewährten Unterstützung abhängig zu<br />

sein.” 194 Der „Präsident“ der selbsternannten „Serbischen Republik“ in Bosnien,<br />

Radovan Karadzic, prophezeite vor Kriegsausbruch offenbar im Wissen um die<br />

Unterstützung durch die Armee: „Wer Bosnien-Herzegowina aus Jugoslawien<br />

herauslösen will, den werden wir stoppen. (...) Die Armee schützt jeden, der in<br />

Jugoslawien bleiben will. (...) Die Armee muß uns Serben schützen vor gewaltsamen<br />

Grenzveränderungen.” 195 Interessant scheint, daß sich Karadzic in diesem Interview<br />

in diesem Interview im Jänner 1992 noch des Terminus „Jugoslawien“ bedient.<br />

Später sollte nur noch von „Großserbien“ die Rede sein. Faktum ist jedenfalls, daß<br />

nunmehr niemand wirklich von einem Mangel an Wissen um die Gewaltbereitschaft<br />

der serbischen Führung sprechen konnte.<br />

Ähnlich wie zuvor in Kroatien bediente sich die Führung der Serben in Bosnien vor<br />

der offenen Kriegseröffnung einer „revolutionären Strategie”, d.h. einer<br />

Radikalisierung der Bevölkerung und der Aufstellung von Milizen, die insbesondere<br />

ab März sowohl mit subkonventionellen Aktionen <strong>als</strong> auch mittels Guerilla-Aktivitäten<br />

in den entscheidenden Räumen die Gewalt an sich reißen sollten. Dort wo es<br />

erforderlich war, griffen die JS ab April - nicht wie sie vorgaben, um die Streitparteien<br />

zu trennen - mittels offensiven Operationen direkt auf Seite der serbischen Milizen in<br />

den Kampf ein.<br />

Die Umsetzung der beabsichtigten Strategie ließ anhand der erkennbaren<br />

Operationen der serbischen Milizen und der JS etwa folgendes erkennen: Die<br />

Operationen der JS sollen nach dem Operationsplan „Most” (Brücke) abgelaufen<br />

sein, demzufolge eine Landbrücke zwischen Serbien und den serbisch besetzten<br />

Gebieten Kroatiens, v.a. der Krajina geschaffen und Süddalmatien von Kroatien<br />

abgetrennt werden sollte. Priorität besaß - primär aus verkehrstechnischen und<br />

logistischen Gründen - die Einnahme des nordostbosnischen Raumes um Bijeljina<br />

und Zvornik.<br />

Von strategischer Bedeutung war auch die Besetzung des Raumes um Kupres. Über<br />

Kupres führt nicht nur die Pforte zur Adria, sondern es öffnet auch die Zugänge nach<br />

Mostar und Banja Luka. Darüberhinaus unterbricht es die Verbindung zwischen den<br />

194 Gustenau, Pfeifer, Bosnien-Herzegowina. In: Gießmann, Schlichting (Hg.), Handbuch Sicherheit. S.<br />

82<br />

195 Interview mit Radovan Karadzic. In: PROFIL 2/1992, 7.1.1992. S. 47<br />

52


Kroaten des Küstenlandes und jenen Zentralbosniens. Das Kriegsbild zur<br />

Durchsetzung dieser Pläne entsprach durchaus dem Muster des serbo-kroatischen<br />

Krieges: Einsatz von Steilfeuerwaffen auf Wohngebiete, um die „feindlichen”<br />

Bevölkerungsteile zu vertreiben, anschließend „Befreiung” dieser Räume durch<br />

serbische Verbände bzw. durch die JS dort, wo es aufgrund des kroatischen<br />

und/oder moslemischen Widerstandes notwendig war. Wie auch auf dem kroatischen<br />

Kriegsschauplatz wurde der jugoslawischen Luftwaffe nur eine marginale Rolle<br />

zugeordnet. 196<br />

Jedenfalls wollte die Bundesarmee in Bosnien-Herzegowina „nicht noch einmal<br />

denselben Fehler wie in Kroatien begehen und vom Gegner belagert werden. Von<br />

einzelnen Fällen abgesehen, waren deshalb die schweren Waffen schon vor<br />

Ausbruch der Kämpfe (wie beschrieben zum Teil bereits in der zweiten Jahreshälfte<br />

1991) aus den Kasernen ausgelagert und mobil über das Land verteilt worden. So<br />

gab es für die bosnischen Territorialverteidiger nur wenige Waffendepots, die sie<br />

überfallen konnten.” 197<br />

“What seemed only to be a matter of military doctrine, in which the YPA (Yugoslav<br />

People’s Army, JNA - Anm.) held preponderant power with artillery designated to<br />

delay an attacker and then hit invaders’ supply routes with ambushes, land slides,<br />

and artillery, and the TDF (Territorial Defence Forces - bosnische<br />

Territorialverteidigung, Anm.) in rural villages would swing into guerilla warfare in a<br />

long war of attrition, if necessary, was reinforced by the sharp urban-rural divide<br />

within the country’s social and political structure. Heavy artillery shelled population<br />

settlements and had to make up for the refusal of urban young people to fight. Cities<br />

were encircled by artillery, using supply depots intended for repelling invaders.<br />

Guerilla warfare in urban settings comprised snipers from all political sides and<br />

commando raids by small groups of disciplined soldiers in the early mornings to<br />

demoralize soldiers of the other side.” 198<br />

Die Marschroute des Weges in den Krieg war in Kroatien und in Bosnien-<br />

Herzegowina somit weitgehend „dieselbe. Zuerst machte Milosevic die Serben in den<br />

betreffenden Gebieten mit der Propaganda über Vertreibung und einen<br />

bevorstehenden Völkermord verrückt, dann setzten sich Freischärler und Armee in<br />

Marsch, um die dortige serbische Bevölkerung gegen Angriffe zu ‘schützen’. Der<br />

kroatische Nationalismus hatte unbewußt darauf schon gewartet, sich vom<br />

serbischen Nationalismus provozieren zu lassen... (...) Die bosnischen Moslems<br />

196 ÖMZ 4/1992. S. 317<br />

197 Erdelitsch, Orter, Krieg auf dem Balkan. S. 78<br />

198 Woodward, Balkan tragedy. S. 244<br />

53


favorisierten hingegen weiterhin ein friedliches Zusammenleben der Völker in ihrer<br />

Republik. Für diese Haltung wurden sie nun zwischen den Nationalismen der beiden<br />

anderen Völker zerrieben.” 199 Daß Nationalismus vorgeschützt wurde, daß aber die<br />

Motive und strategischen Zielsetzungen der Führungen nicht primär von<br />

nationalistischen sondern in den meisten Fällen von klar definierten rationalen Zielen<br />

prädeterminiert waren, (gleichzeitig gab es aber in der jugoslawischen Bundesarmee<br />

Widerstand gegen diese Pläne) erscheint schlüssig, wenn man sich einige Fakten<br />

vor Augen führt:<br />

„Die Jugoslawische Volksarmee (JVA/JNA, später JS, Anm.), und vor allem deren<br />

Offizierskaste - 70.000 Berufsoffiziere, von denen 70 Prozent Serben oder<br />

Montenegriner waren 200 - kann ohne Bosnien nicht überleben. Nicht nur sind über<br />

100.000 Soldaten in Bosnien stationiert... (...) 65 Prozent der noch bestehenden<br />

Militärindustrie Jugoslawiens liegen in Bosnien-Herzegowina (bei nur rund 20% der<br />

Fläche des ehemaligen Jugoslawien) 201 , und von diesen Fabriken befinden sich<br />

wiederum 60 Prozent auf moslemischen und kroatischen Gebieten. Die JVA stand<br />

vor drei Möglichkeiten. Sie hätte die Unabhängigkeit Bosniens anerkennen und ihre<br />

Dienste dem neuen Staat zur Verfügung stellen können. Das wäre einer Abkehr von<br />

Serbien gleichgekommen. Sie hätte die Unabhängigkeit Bosniens anerkennen und<br />

einem ausgehandelten Rückzug in ein neues Mini-Jugoslawien, nach Serbien oder<br />

Montenegro, zustimmen können, so wie sie es im Falle von Mazedonien getan hat.<br />

Sie wählte schließlich die dritte Variante: Sie lehnte die Anerkennung ab, blieb und<br />

kämpfte. Daß die Armee den radikalen Weg beschritt, war nicht von vornherein<br />

ausgemachte Sache. Als sich die Unabhängigkeit des neuen Staates abzeichnete,<br />

deutete der Kommandant des 2. Militärdistrikts, General Milutin Kukanjac an, daß er<br />

für einen Rückzug zu optieren gedenke. Dieser würde freilich einige Jahre dauern,<br />

und Garantien für die bosnischen Serben seien Vorbedingung. Führende<br />

moslemische und kroatische Politiker verkündeten aber, daß nach der Ausrufung der<br />

Unabhängigkeit die Armee <strong>als</strong> Besatzungsmacht angesehen würde und <strong>als</strong> solche<br />

Bosnien stante pede zu verlassen hätte. Nicht zuletzt diese Haltung trieb Leute wie<br />

Kukanjac in die Armee der schamlosen serbischen Nationalisten vom Typus des<br />

amtierenden jugoslawischen Verteidigungsministers General Blagoje Adzic und des<br />

Gener<strong>als</strong>tabschefs Zivota Panic. (...) Und die Armee ist höchst uneinheitlich. In<br />

Kupres etwa sind die Armeeoperationen nicht von Truppen unternommen worden,<br />

die in Bosnien stationiert sind. Die Knin-Division, die vom kompromißlosen<br />

199 Erdelitsch, Orter, Krieg auf dem Balkan. S. 60<br />

200 Glenny, The fall of Yugoslavia. S. 134<br />

201 Anis H. Bajrektarevic, The ethno-structure. One view of the former Yugoslavia - Territory,<br />

population density, ethno-background, religion, origins. 2nd edition (Vienna 1997) o.S.<br />

54


serbischen Nationalisten Ratko Mladic geführt wird, kam von Kroatien nach Bosnien,<br />

um jetzt da die kroatischen Kämpfer zurückzudrängen.” 202<br />

Ein wesentliches Argument für serbische Hegemonialbestrebungen in Bosnien war<br />

die angestrebte Kontrolle über die dortige jugoslawische Rüstungsindustrie.<br />

Jugoslawien hatte früher einen Anteil am Weltwaffenhandel von 0,8 Prozent und<br />

exportierte in viele Länder. Die Waffenexporte machten zwischen vier und zehn<br />

Prozent der Gesamtexporte aus. Mit Kriegsbeginn fielen diese Einnahmen weg, weil<br />

die Armee das meiste, was der militärisch-industrielle Komplex produziert, nun selbst<br />

benötigte. 203 Bosnien jedenfalls war <strong>als</strong> schwerindustrieller Produktionsstandort für<br />

die Armee elementar. “Even in the 1980s, when the army was being substantialy<br />

downsized, 40 to 55 percent of the Bosnian economy was tied to military industries;<br />

50 to 55 percent of its industry was federally mandated investment for that reason;<br />

and 40.000 people were employed directly in military production. (...) On the eve of<br />

the war, 68 percent of the federal army’s 180.000 troops were stationed in the<br />

republic.” 204 Betreffend die Dislozierung der Waffenindustrie (diese war unter Tito im<br />

schwer zugänglichen Bosnien angesiedelt worden, um sie dem ersten Zugriff<br />

eventuell intervenierender Warschauer Pakt-Armeen zu entziehen, Anm.) und<br />

serbischen Ansprüchen gab es in der Folge somit eine offensichtliche und logische<br />

Kohärenz zwischen den serbischen Ansprüchen und den Bedürfnissen der Armee. 205<br />

Somit war schnell klar, daß die serbische Armee in Bosnien <strong>als</strong> erste Ziele die<br />

strategisch wichtigen Militär- und Industrieanlagen in Siedlungsgebieten der anderen<br />

Volksgruppen einnehmen wollte: “For example, the airfield at Banja Luka and the fuel<br />

depot at Bosanski Brod were particularly important, early targets of Serbian forces;<br />

the Marshal Tito airforce school at Mostar, the Sokol aircraft factory, and Mostar’s<br />

position on the Neretva River controlling supply routes from the coast, the<br />

hydroelectric plant at Jajce and along the Neretva valley, the coastal shipbuilding<br />

industry (with its large military component), and the gunpowder, rocket fuel, and<br />

explosives plant at Vitez were Croatian targets; and the industrial heartland of central<br />

bosnia, where most defense plants were located, over which Croat and Muslim<br />

forces battled through most of winter-spring 1993.” 206 Personelle Änderungen an der<br />

202 PROFIL 17/1992. S. 60 und Glenny, The fall of Yugoslavia. S.150<br />

203 Erdelitsch, Orter, Krieg auf dem Balkan. S. 77<br />

204 Woodward, Balkan tragedy. S. 259<br />

205 Erdelitsch, Orter, Krieg auf dem Balkan. S. 77<br />

206 Woodward, Balkan tragedy. S. 493<br />

55


Spitze der VRS sollten diese auf Linie mit den militär-politischen und ökonomischen<br />

Zielen der politischen Führung bringen. Dabei wurde in erster Linie auf erfahrene<br />

Veteranen aus dem Kroatien-Feldzug zurückgegriffen. Diese hatten Unterstützer in<br />

Belgrad.<br />

“Bosnian loyalist Milutin Kukanjac was replaced by General Ratko Mladic, the openly<br />

pro-Serb militant from Bosnia who had been commander of the Knin corps of the<br />

YPA.” 207 “Mladic’s military campaign to keep eastern and nothern Bosnia within<br />

Yugoslavia so as to create a corridor between Serbia and the ares claimed by Serbs<br />

in the Croatian Krajina and a strategic buffer along the Drina River had become<br />

explicitely Serb nationalist in its motivations, attached to the Bosnian Serb party<br />

(SDS) leadership and its political aims. At the same time, the forced retreat of YPA<br />

officers from Croatia and Bosnia-Herzegovina had been to Belgrade; the senior ranks<br />

of the new Yugoslav army were former colleagues of Mladic, veterans of the<br />

campaigns in Croatia and Bosnia, and in many cases exiles from their origins in<br />

these republics. In contrast to the moderate Panic, for example, was General Nikola<br />

Uzelac, responsible for arming Serb irregulars in the Banja Luka region, who was<br />

appointed to the general staff and commander of the third army (of three) with the<br />

jurisdiction over Kosovo.” 208<br />

Nach Zwischenfällen Ende Februar und Anfang März begann am 27. März 1992 der<br />

serbische Feldzug in Bosnien. In etwas mehr <strong>als</strong> zwei Wochen eroberten serbische<br />

Truppen wie geplant die Städte, die die Einfallstraßen von Serbien und Ostkroatien<br />

nach Bosnien beherrschten. Foca, Cajnice, Visegrad, Zvornik, Bijeljina, Bosanski<br />

Brod und Derventa fielen in rascher Folge. Kupres, das die Hauptstraße durch die<br />

lebenswichtigen Höhenzüge in West- und Zentralbosnien kontrollierte, wurde<br />

ebenfalls erobert. Mit der Kontrolle über diese Schlüsselstädte standen den Serben<br />

auch die entsprechenden Verbindungsstraßen zwischen ihnen offen. 209<br />

Um den Vormarsch auch ohne ausreichendes Truppenmaterial in jedem Fall zu<br />

gewährleisten, hatte die VRS Anfang 1992 mit serbischen Freischärlergruppen in<br />

Bosnien ein Zweckbündnis geschlossen. „Sie beliefert diese mit Waffen aus den<br />

ehemaligen Armeebasen in Bosnien, diese kämpfen anstelle der fehlenden JNA-<br />

Soldaten.” 210 Wie schon einige Monate zuvor in Kroatien hatte die serbische Armee<br />

207 Woodward, Balkan tragedy. S. 262<br />

208 Ebenda. S. 262<br />

209 Honig, Both, Srebrenica. S. 115<br />

210 Roland Hofwiler, Armeen, Milizen, Marodeure. Die kämpfenden Parteien und ihre Hintermänner -<br />

Eine Übersicht. In: Erich Rathfelder, Krieg auf dem Balkan. Die europäische Verantwortung<br />

(Frankfurt/Main 1992) 82<br />

56


eträchtliche Probleme, ihre Mannschaftsränge aufzufüllen. Daher war es<br />

erforderlich, alle Mittel auszuschöpfen und die schwierige soziale Situation vor allem<br />

der weitgehend mittellosen, ruralen Bevölkerungsteile zu instrumentalisieren. “The<br />

recruitment of soldiers when the state collapsed <strong>als</strong>o reinforced this class division,<br />

because more urban and better educated youth could escape the draft, often by<br />

leaving the country. The unemployed, poorer village youth, and industrial workers,<br />

unpaid for months, were more vulnerable to the draft and promises of pay and<br />

veteran’s benefits. In the first stages of the war in Croatia, the promise in Serbia of<br />

significant discounts on the price of electricity and fuel for households was sufficient<br />

for many heads of households to enlist.” 211<br />

Anfang April akzeptierte Karadzic - dessen Einheiten wie oben skizziert bereits in der<br />

Offensive waren - die internationale Anerkennung Bosniens (durch EG und di USA,<br />

Anm.) nicht, „läßt vom ‚Holiday Inn‘ Scharfschützen auf Demonstranten schießen.<br />

Moslemische Garden feuern zurück, werfen Handgranaten ins Foyer. Das Pulverfaß<br />

Bosnien explodiert.“ 212 Republikspräsident Alija Izetbegovic verhängte daraufhin am<br />

8.4. den Ausnahmezustand, übernahm den Oberbefehl über die<br />

Territorialverteidigung und besetzte deren Führung mit neuen Personen.<br />

Serbischerseits wurde ab Mitte April begonnen, die im Gebiet der „Serbischen<br />

Republik Bosnien-Herzwegowina” befindliche TO zu regulären Streitkräften dieses<br />

„Staates” umzufunktionieren. Zu diesem Zweck wurde auch u.a. am 16.4. die<br />

allgemeine Mobilmachung befohlen. 213 11 Tage später, am 27. April 1992 forderte<br />

der Präsident Bosnien-Herzegowinas die Bundesarmee auf, das Land zu<br />

verlassen. 214 Am 4.5. ordnete das jugoslawische Staatspräsidium an, „daß alle<br />

verbleibenden Bürger der SRJ - Angehörige der jugoslawischen nationalen Armee in<br />

Bosnien-Herzegowina - zügig auf jugoslawisches Territorium zurückkehren sollen,<br />

spätestens innerhalb von 15 Tagen.“ 215<br />

Der angesichts der Unabhängigkeit des neuen Staates von der moslemischen<br />

Führung geforderte Abzug der „Besatzungsarmee“ JS aus Bosnien-Herzegowina<br />

dürfte - abgesehen vom moderaten Spitzenmilitärs wie Kukanjac - von Anfang an<br />

äußerst umstritten gewesen sein. So weigerten sich mehrere in Bosnien-<br />

211 Woodward, Balkan tragedy. S. 249<br />

212 NEWS 51/94. S. 60<br />

213 ÖMZ 4/1992. S. 315; nach YUTEL vom 16.4. 0000 Uhr<br />

214 Gustenau, Pfeifer, Bosnien-Herzegowina. In: Gießmann, Schlichting (Hg.), Handbuch Sicherheit. S.<br />

74<br />

215 ÖMZ 4/1992. S. 318; nach APA 432 vom 4.5.1992<br />

57


Herzegowina stationierten Kommandanten, ihre Verbände in die SRJ<br />

zurückzuverlegen. 216<br />

Dieser Abzug betraf allerdings, wie sich später herausstellte, ohnehin nur 10 bis 20<br />

Prozent der zum damaligen Zeitpunkt in Bosnien-Herzegowina stationierten<br />

Soldaten. Schon am 12.5. wurden Befürchtungen vor allem der Moslems bestätigt,<br />

<strong>als</strong> das „serbische Parlament” in Bosnien-Herzegowina entschied, den verbliebenen<br />

von Serben kontrollierten Teil der JS <strong>als</strong> Kern der serbischen Armee in Bosnien-<br />

Herzegowina zu übernehmen. Diese Armee sollte vor allem aus den Verbänden der<br />

Korps Knin, Bihac, Banja Luka, Tuzla, Sarajevo und Bileca bestehen. Zum<br />

Kommandanten der „serbischen Armee Bosniens” wurde der ehemalige<br />

Kommandant des Korps Knin, General Ratko Mladic, ernannt. 217 Karadzics<br />

(zumindest etwas eigenwillige) Darstellung der Rolle der JS: „Sie konnten uns kaum<br />

helfen. Sie waren selbst ständig unter Beschuß und waren mehr mit dem Rückzug<br />

beschäftigt <strong>als</strong> damit, uns zu helfen. In den ersten 6 Wochen (ziemlich exakt die Zeit,<br />

in der weite Teile Bosniens von den Serben besetzt wurden, Anm.) hatten wir<br />

überhaupt keine Armee. Am 20. Mai 1992 verließ die Jugoslawische Armee Bosnien.<br />

Zu diesem Zeitpunkt bildeten wir unsere eigene Kommandostruktur. Am 12. Mai<br />

wurde ich Präsident der bosnischen Serben und unmittelbar darauf wurde Ratko<br />

Mladic Armeekommandant. Aber er war ein General ohne Armee. Wir benötigten das<br />

restliche Jahr 1992, um die Kontrolle über alle kämpfenden Truppen zu gewinnen.<br />

Das war meine erste Tat <strong>als</strong> Präsident.” 218<br />

Bis zum 20.5. wurde gemeldet, daß rund 20.000 Mann, die Masse der in Bosnien-<br />

Herzegowina stationierten Soldaten aus der SRJ, in ihre Heimatrepubliken<br />

zurückverlegt worden waren. Die Luftwaffe war unter Zerstörung der Militärflughäfen<br />

bei Bihac und Mostar bereits zur Gänze in die SRJ verlegt worden. 219 “The<br />

withdrawal of the YNA from B-H was carried out in such a way that after mobilisation<br />

of the Serbs was completed, a certain number of YNA officers (the same amount as<br />

were previously in Croatia) remained in Bosnia and formed the armies of the RSK<br />

and the RS. (...) The preparation of these units, their training, the supplies for their<br />

maintaining, the medical costs upon their return and so forth were ‘maintained’ in the<br />

institutes of the AY, but the overall supervision and financing were entirely controlled<br />

by the Serbian Ministry of Internal Affairs.” 220 Anna Husarska bringt diese Armee-<br />

216 ÖMZ 4/1992. S. 318; nach APA 108 vom 7.5.1992<br />

217 ÖMZ 4/1992. S. 318; nach APA 495 vom 22.5.1992<br />

218 „Sein neues Leben”. Interview mit Radovan Karadzic. In: NEWS 24/1997. S. 58-59<br />

219 ÖMZ 4/1992. S. 318<br />

220 Zabkar, The drama in former Yugoslavia. S. 49<br />

58


Transformation, die keine wirkliche war, auf den Punkt: „The bages on the soldiers’<br />

uniforms have changed slightly, but their belt buckles are still engraved with the old<br />

insignia. On army vehicles, the letters ‘JNA’ are barely visible beneath a thin coat of<br />

white paint.” 221<br />

General Philipe Morillons Analyse geht in dieselbe Richtung: „Die Serben hatten die<br />

meisten Waffen der alten jugoslawischen Armee. Damit haben sie militärisch die<br />

Initiative ergriffen...” 222 Nicht nur damit wurde das Ausmaß der Vernetzung der<br />

neugeschaffenen Armee der bosnischen Serben und den jugoslawischen<br />

Streitkräften deutlich: „Daß Mladic von Milosevic ernannt und die ganze<br />

Umgestaltung eine eher kosmetische Übung war, war klar. (...) Die Aussagen von<br />

Opfern der Kriegsverbrechen später im Jahr 1992 sind voll von Hinweisen auf<br />

Soldaten aus Serbien und Montenegro.” 223<br />

Im Gegensatz zu den zahlen- und ausrüstungsmäßig schwachen moslemischen<br />

Einheiten verfügen die Serben über entsprechendes Gerät und ausgebildete<br />

Mannschaften und konnten auf die umfassende Infrastruktur der ehemaligen JNA<br />

zurückgreifen. Die vorbereitete politische und militärische Führung der Serben war in<br />

der Lage, rasch zu handeln um die operative Handlungsfreiheit zu behalten. So<br />

wurde im Frühjahr 1992 jeder bosnische Serbe in Einheiten der jugoslawischen<br />

Armee aus dem gesamten Stationierungsgebiet nach Bosnien zurückversetzt. Diese<br />

Maßnahme war von Milosevic und Jovic konzipiert worden. Karadzic erhielt damit<br />

eine vollausgebildete und ausgerüstete Armee von 80.000 Mann. Jovic: „Wir sagten<br />

zu, die gesamten Kosten für diese Armee zu übernehmen. Die bosnischen Serben<br />

hatte kein Budget, konnten nicht einmal ihre Offiziere bezahlen.” 224<br />

Die Armee der bosnischen Serben verfügte damit nach dem formellen Abzug der<br />

ehemaligen JNA <strong>als</strong> einzige der im Raum verbleibenden Armeen über eine<br />

„komplette“ Struktur, Ausrüstung und Bewaffnung. Sie war von Anbeginn der<br />

Auseinandersetzungen an prinzipiell in der Lage, mit ihren Verbänden den Kampf der<br />

verbundenen Waffen zu führen, „sofern nicht die geringe Person<strong>als</strong>tärke, die<br />

221 Anna Husarska, Dateline Banja Luka: City of fear. In: Nader Mousavizadeh (Hg.), The black<br />

book of Bosnia. The consequences of appeasement (New York 1996) 74-75<br />

222 Interview mit General Philipe Morillon. In: DER SPIEGEL 29/1993. S. 100<br />

223 Noel Malcolm, Geschichte Bosniens. Aus dem Englischen von Ilse Strasmann (Frankfurt/Main<br />

1996) 274<br />

224 TV-Dokumentation „Bruderkrieg - Der Kampf um Titos Erbe”, 4. Folge „Flächenbrand”<br />

59


Führungsschwäche und zuletzt der Treibstoffmangel den Operationen klare Grenzen<br />

setzen“. 225<br />

Bemerkenswert ist, daß die serbische Armee in Bosnien-Herzegowina sowohl nach<br />

kroatischen wie auch nach serbischen Quellen mit den Jugoslawischen Streitkräften<br />

(JS) zumindest eine logistische wenn nicht operative Einheit bildete. 226 So war Mitte<br />

Juli die Mobilisierung der Serben in Bosnien-Herzegowina praktisch abgeschlossen,<br />

und neue Truppen aus der SRJ sollen nach Bosnien-Herzegowina verlegt worden<br />

sein, etwa in die Räume Gorazde, Mostar und in die Posavina. So sollen in Bosnien<br />

Anfang Juli effektiv rund 70.000 Mann, davon sollen 30.000 Mann im Raum Banja<br />

Luka mit rund 150 Panzern, über 2800 Steilfeuerwaffen und einigen Kampflugzeugen<br />

im Einsatz gestanden haben. 227 Folgt man Angaben des Londoner Instituts für<br />

Strategische Studien (IISS) vom August 1992, so liegen die Daten etwas anders:<br />

„Die serbischen Milizen haben demnach etwa 60.000 bis 70.000 Mann unter Waffen.<br />

Die Bundesarmee des serbisch-montenegrinischen Rest-Jugoslawien hat ca.<br />

100.000 Soldaten. Schwer festzustellen sei jedoch, wie viele von ihnen tatsächlich in<br />

Kroatien gebunden sind. Die Kroaten und die Moslems schließlich können jeweils bis<br />

zu 50.000 Mann zählen. Nach Ausführungen wiederum des US-Gener<strong>als</strong> Barry Mc<br />

Caffrey halten sich in Bosnien-Herzegowina über 200.000 Bewaffnete auf. (...) In<br />

Bosnien-Herzegowina sind in einer Vielzahl dezentraler und über das Land<br />

verstreuter Waffen- und Munitionsdepots große Mengen an Kriegsmaterial gelagert.<br />

Darüber hinaus sind 40 Prozent der beträchtlichen Rüstungsindustrie des vormaligen<br />

Jugoslawiens in der Republik angesiedelt. Gleichwohl ist das in den ‘jugoslawischen<br />

Kriegen’ verwendete Waffenmaterial - gemessen an den Streitkräften etwa der<br />

NATO-Staaten - <strong>als</strong> in vielerlei Hinsicht veraltet oder im Kampfwert beeeinträchtigt<br />

anzusehen. Zum Einsatz in Bosnien-Herzegowina kommen - neben den<br />

Schußwaffen der Heckenschützen - vor allem Steilfeuerwaffen wie Panzer,<br />

Artilleriegeschütze, Mörser, Granatwerfer. Für den ‘Erfolg’ der barbarischen<br />

Kriegsziele (Beschuß von Wohngebieten, Vertreibung der Zivilbevölkerung,<br />

‘ethnische Säuberung’) sind insbesondere diese Waffen ursächlich.<br />

Kampfflugzeugen kommt hingegen nur eine marginale Rolle zu.” 228<br />

225 Gustenau, Pfeifer, Bosnien-Herzegowina. In: Gießmann, Schlichting (Hg.), Handbuch Sicherheit. S.<br />

78<br />

226 ÖMZ 5/1992. S. 413; nach FAZ vom 30.6. bzw. 16.7.1992<br />

227 ÖMZ 5/1992. S. 413; nach Vjesnik vom 7.7.1992<br />

228 Dieter S. Lutz, Interventionen - Krieg <strong>als</strong> Ultima ratio? Welche Folgen eine “Operation<br />

Balkansturm” hätte. In: Rathfelder (Hg.), Krieg auf dem Balkan. S. 97<br />

60


Zu Struktur und Problemen der offiziell am 14. Mai geschaffenen VRS muß<br />

angemerkt werden, „the armed forces of the new republic were organised into seven<br />

commands (offensichtlich weitgehend mit Korps gleichzusetzen) and 75 local<br />

defence zones (Brigaden).” 229 Der serbischen Armee in Bosnien fehlte vor allem die<br />

angemessene Truppenstärke, „um die äußerst lange Frontlinie zu kontrollieren. Eine<br />

Mobilisierung Anfang 1994 brachte keine spürbare Vergrößerung der Truppenstärke,<br />

das heißt das auch hier der Mobilisierungsgrad aufgrund des geringen<br />

Bevölkerunganteils im wesentlichen erreicht ist. Die finanziellen Mittel sowie Waffen<br />

und Ausrüstung der Armee der ‘Serbischen Republik’ werden vom Belgrader<br />

Verteidigungsministerium gestellt. Im Jahre 1993 gab Belgrad für die Armeen der<br />

‘Serbischen Republik’ Bosnien-Herzegowina und der ‘Serbischen Republik Krajina’<br />

1,2 Mrd. SD aus. 1994 wurde dieser Betrag auf 400 Millionen USD gekürzt...” 230<br />

Auch von anderer Seite wurde wiederholt die direkte Verantwortung der serbischen<br />

Führung in Belgrad für die bewaffneten Kräfte der „Republika Srpska“ in Bosnien<br />

deutlich gemacht: Bei der Eroberung Zvorniks durch die Serben im Frühjahr 1992<br />

hatte Milosevic laut Aussage von Seselj „die absolute Kontrolle. Und die Operation<br />

wurde hier in Belgrad geplant. Die bosnischen Serben nahmen auch daran teil. Aber<br />

die besten Kampfeinheiten kamen aus Serbien. Es waren Sonderkommandos der<br />

Polizei, die Roten Barette. Sie unterstehen der serbischen Geheimpolizei.” 231 Seseljs<br />

Angaben werden durch die Aussagen von Jose-Maria Mendiluce von der UN-<br />

Flüchtlingshilfe ergänzt: „Die serbische Artillerie feuerte von der serbischen Seite der<br />

Drina herüber. Ich konnte das Mündungsfeuer und den Rauch der Kanonen<br />

sehen.” 232 Auch Lord Carrington bestätigte später die Unterstützung der bosnischen<br />

Serben durch Belgrad: „...außerdem hatten sie (die VRS, Anm.) Unterstützung, auch<br />

wenn Präsident Milosevic das abstritt.” 233 Milosevic verneinte später Unterstützung<br />

für die bosnischen Serben: “Under the military doctrine of former Yugoslavia, Bosnia<br />

and Herzegovina was the central storage place for arms, ammunition and the military<br />

229 Micheletti, Debay, War in the Balkans 1991-1993. S.106<br />

230 Gustenau, Pfeifer, Bosnien-Herzegowina. In: Gießmann, Schlichting (Hg.), Handbuch Sicherheit.<br />

S.73. Vgl. Anton Zakbar, Analysis of the Conflict in former Yugoslavia, National Defence<br />

Academy, Studies and Reports 2/1994, Vienna 1994, 76<br />

231 „Bruderkrieg”. 4. Folge<br />

232 Ebenda<br />

233 Ebenda<br />

61


industry. We had absolutely no need to send anything to the Serbs there.” 234<br />

Tatsächlich dürfte aber die Befehlskette vom Verteidigungsministerium in der SRJ<br />

über den Gener<strong>als</strong>tab der jugoslawischen Streitkräfte in Belgrad bis zu den<br />

Armeebefehlshabern in Bosnien-Herzegowina intakt geblieben sein. Dem bosnischserbischen<br />

Oberbefehlshaber, Generalleutnant Ratko Mladic, standen in seinem<br />

Hauptqartier in Han Pijesak in Ostbosnien ausreichende<br />

Kommunikationsverbindungen sowohl zu seinen untergeordneten<br />

Korpskommandeuren wie auch zum Gener<strong>als</strong>tab in Belgrad und zum Präsidenten<br />

der SRJ zur Verfügung. Außer Zweifel stand, daß der Gener<strong>als</strong>tab in Belgrad die<br />

regulären Einheiten der JS in Bosnien direkt führte, sofern diese tatsächlich in<br />

Bosnien-Herzegowina standen. Dennoch dürften sich der Ausbildungsstand und die<br />

Motivation dieser Armee auf einem relativ niedrigen Niveau befunden haben.<br />

Besonders nachteilig wirkte sich auch das Fehlen von jungen Offizieren und<br />

Unteroffizieren aus. Auf dem Versorgungssektor waren die serbischen Streitkräfte in<br />

bezug auf Waffen und Munition weitgehend autark, auf Grund der vorhandenen<br />

Lagerbestände konnte mit einer Weiterführung des Kampfes auf dem damaligen<br />

Niveau von bis zu zwei Jahren gerechnet werden. Lediglich bei Treibstoffen für<br />

Flugzeuge, Panzer und Schützenpanzer sowie bei Spezialausrüstung war man auf<br />

Nachschub aus der SRJ angewiesen. 235<br />

Im Frühjahr/Sommer 1992 waren die Kampfgebiete zu einem regelrechten<br />

Tummelplatz selbsternannter Kampfeinheiten geworden, die meist eigene Interessen<br />

verfolgen und sich oft an kein zentrales (staatliches) Kommando gebunden fühlten.<br />

Damit war auch die Frage der direkten Intervention von außen bzw. der<br />

Verantwortlichkeit nicht immer eindeutig. „Zentrale Frage der<br />

Staatenverantwortlichkeit ist die Zurechnung eines schädigenden Verhaltens auf den<br />

Staat <strong>als</strong> sog. act of the state.” Gerade diese Zuordnung (vor allem im Fall von<br />

Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord)<br />

gestaltete sich angesichts der erwähnten Unübersichtlichkeit des<br />

Konfrontationsszenarios oft sehr schwierig. 236 “The situation was, instead, chaotic.<br />

Competing militias and gangs marauded, only loosely linked to centers of command<br />

and control or fully freewheeling, and paramilitary extremists escalated small<br />

confrontations to force political leaders to greater militancy. The declining number of<br />

regular troops and difficulty finding conscripts willing go to fight led to<br />

supplementation with militant extremist volunteers and crimin<strong>als</strong> released from jails,<br />

234 TIME, July 17, 1995. S. 25<br />

235 ÖMZ 1/1993. S. 15<br />

236 Holderbach, Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien. S. 283<br />

62


who were more often motivated by the invitation to loot and plunder than nationalist<br />

fervor. The worst excesses or feported massacres, rape, and mutilations emerged<br />

because of such conditions.” 237<br />

Nicht nur an den unmittelbaren militärischen Operationen, auch an Folterungen<br />

waren laut Augenzeugenberichten von Opfern 1992 Verbände aus Serbien selbst<br />

beteiligt: „Am Anfang teilten die Sondereinheiten aus Serbien die Schläge aus.<br />

Später übernahmen die Polizisten, die uns bewachten, diese Arbeit.” 238<br />

Nach Fall von Foca berichtete Andrej Gustincic von Reuters: “Gangs of gun-toting<br />

Serbs rule Foca... (...) Some are members of paramilitary groups from Serbia, selfproclaimed<br />

crusaders against Islam and defenders of the Serbian nation, others are<br />

wild-eyed local men, hostile towards strangers and happy to have driven out their<br />

Moslem neighbours. No one seems to be in command and ill-disciplined and bad<br />

tempered gunmen stop and detain people at will.” 239<br />

Im Zuge des serbischen Vormarsches kamen plangemäß historisch besiedelte und<br />

traditionelle Moslemgebiete zumeist wegen ihrer strategischen Relevanz oder<br />

militärisch wichtiger Ziele unter Beschuß und in der Folge unter Okkupation durch die<br />

serbischen Streitkräfte. 240 Die Folge war zumeist Vertreibung, Internierung oder<br />

Tötung der ansässigen moslemischen Bevölkerung. Zahlreiche<br />

Augenzeugenberichte liegen vor: “A 48-year-old Muslim from Sanica Donja, near<br />

Kljuc, witnessed the occupation and shelling of that town, July 3, 1992: The witness<br />

believes these JNA forces were from the Sixth Krajina Brigade headquartered at<br />

Palanka. They were local Bosnian Serbs and their regular JNA uniforms bore a<br />

Yugoslav flag on shoulder and hat.” 241<br />

Neben Terror, willkürlichen Morden, Massenexekutionen, Lagern, Deportationen und<br />

Folter war eines der Mittel Vergewaltigung. Vergewaltigung <strong>als</strong> Kriegswaffe verbreitet<br />

Schrecken und löst Fluchtbewegungen aus, erniedrigt, demoralisiert und zerstört<br />

237 Woodward, Balkan tragedy. S. 265<br />

238 Roy Gutman, Augenzeuge des Völkermords. Reportagen aus Bosnien. Deutsche Ausgabe, 1.<br />

Auflage (Göttingen 1994) 107-108<br />

239 Glenny, The fall of Yugoslavia. S. 166<br />

240 Woodward, Balkan tragedy. S. 269<br />

241 Supplemental United States Submission of Information to UN Security Council in Accordance with<br />

Paragraph 5 of Resolution 771 (1992) and Paragraph 1 of Resolution 780 (1992), dated March 1,<br />

1993, Sixth Report on war crimes in the former Yugoslavia (part 1). Internet:<br />

http://www.haverford.edu/relg/sells/reports/6th.htm<br />

63


sowohl das Opfer und dessen Familie und Gemeinschaft sowie erstickt den Wunsch<br />

an eine Rückkehr. Daher wurde Vergewaltigung von veranwortlichen Militärs gezielt<br />

<strong>als</strong> Waffe in diesem Konflikt eingesetzt. 242<br />

Gleichzeitig muß betont werden, daß das Leid der vergewaltigten Mosleminnen und<br />

Kroatinnen die Tatsache, daß in Bosnien-Herzegowina auch Serbinnen vergewaltigt<br />

wurden, häufig vergessen. Gleichzeitig gilt es festzuhalten, daß Serbinnen von den<br />

Vergewaltigungen nicht in dem Maße betroffen waren wie v.a. Mosleminnen. 243<br />

“Women of any age were victims of rape, in part for reasons always associated with<br />

warfare and in part to demoralize armies composed not of profession<strong>als</strong> but of<br />

fathers, sons and brothers from the region. Because the purpose of the warfare was<br />

largely defense of village and land, even if a particular military engagement were<br />

classified as offensive, the armies were largely composed of people from the region.<br />

Except for small elite units, army units were not mobile, were locally recruited among<br />

farmers and villagers of all ages, tended to be led by commanders from the area, and<br />

were known to be fiercely loyal to that local commander, even if doing so meant that<br />

they disobeyed orders given higher in the normal chain of command.” 244<br />

An dieser Stelle muß nochm<strong>als</strong> betont werden, daß diese erwähnte Frage von<br />

Heeresangehörigkeit in Bosnien-Herzegowina oft alles andere <strong>als</strong> eindeutig war.<br />

Zum Begriff des „Heeres” besagt das IV. Haager Abkommen von 1907: „Die<br />

Gesetze, die Rechte und die Pflichten des Krieges gelten nicht nur für das Heer,<br />

sondern auch für die Milizen und Freiwilligen-Korps, wenn sie folgende Bedingungen<br />

in sich vereinigen:<br />

1. daß jemand an ihrer Spitze steht, der für seine Untergebenen verantwortlich ist,<br />

2. daß sie ein bestimmtes aus der Ferne erkennbares Abzeichen tragen,<br />

3. daß sie die Waffen offen führen und<br />

4. daß sie bei ihren Unternehmungen die Gesetze und Gebräuche des Krieges<br />

beobachten.” 245<br />

Unter „Kämpfende Bevölkerung” - ein Fall, der in Bosnien häufig auftrat - bezeichnet<br />

Artikel 2 der IV. Haager Konvention: “Die Bevölkerung eines nicht besetzten Gebiets,<br />

die beim Herannahen des Feindes aus eigenem Antriebe zu den Waffen greift, um<br />

242 Alexandra Stiglmayer, Vergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina. In: Alexandra Stiglmayer<br />

(Hg.), Massenvergewaltigung. Der Krieg gegen die Frauen (Frankfurt/Main 1993) 114<br />

243 Ebenda. S. 183<br />

244 Woodward, Balkan tragedy. S. 245<br />

245 Albrecht Randelzhofer (Hg.), Völkerrechtliche Verträge. 6., neubearbeitete Auflage (Nördlingen<br />

1994) 622-623<br />

64


die eindringenden Truppen zu bekämpfen, ohne Zeit gehabt zu haben, sich nach<br />

Artikel 1 zu organisieren, wird <strong>als</strong> kriegführend betrachtet, wenn sie die Waffen offen<br />

führt und die Gesetze und Gebräuche des Krieges beobachtet.” 246<br />

Nach diesem Exkurs gilt es festzuhalten, daß die serbische Armee im Mai, am Ende<br />

ihres sechswöchigen Feldzuges, etwa 60 Prozent des Territoriums von Bosnien-<br />

Herzegowina erobert hatte. 247<br />

Nach diesen rund sechs Wochen hatten die Serben durch ihre Eröffnungsoffensive<br />

vor allem gegen die überrumpelten und weitgehend unorganisierten moslemischen<br />

Einheiten bereits einen Gutteil der von ihnen beanspruchten Gebiete Bosniens unter<br />

ihre Kontrolle gebracht. Nunmehr ging es in der nächsten Phase um die territoriale<br />

Konsolidierung - die zumeist mit oben beschriebenen umfangreichen „ethnischen<br />

Säuberungen“ einherging - sowie die Belagerung der nicht eigenommenen Städte.<br />

Sarajevo hätte in einem schnellen Angriff in den ersten Kriegstagen genommen<br />

werden sollen, was aufgrund des unerwarteten Widerstandes der moslemischen<br />

„Alarm“-Einheiten nicht gelungen war. 248 Gleichzeitig hatten die Moslems versucht,<br />

die JNA-Einheiten nicht mit deren Waffen abziehen zu lassen. Im Zuge des Abzuges<br />

der Sarajevo-Garnison unter Kommando von Kukanjac - der die Armee nach wie vor<br />

<strong>als</strong> Puffer zwischen den Volksgruppen einzusetzen gedachte - und der dafür kurz<br />

darauf gemeinsam mit fast 40 anderen „jugoslawisch“ orientierten Generälen aus der<br />

Armee entlassen wurde - war es entgegen Anordnung und Zusage des<br />

stellvertretenden Oberbefehlshabers der bosnischen Streitkräfte, dem serbischen<br />

General Jovan Divjak, zum einem selbständigen Angriff bosnischer Einheiten auf<br />

einen 400 Mann starken JNA-Konvoi gekommen. Im Gegenzug war Präsident<br />

Izetbegovic Anfang Mai von der JNA vorübergehend <strong>als</strong> Geisel genommen<br />

worden. 249<br />

Der schnelle serbische Vormarsch der ersten Kriegswochen war nicht nur auf die<br />

eigene Überlegenheit im konventionellen Waffenbereich zurückzuführen. „Die<br />

Truppen der bosnischen Regierung, alles in allem vielleicht 3500 Mann stark, waren<br />

vollkommen unvorbereitet, versuchten aber im Laufe des April, die Verteidigung zu<br />

organisieren. Doch zu diesem frühen Zeitpunkt ging der eigentliche Widerstand<br />

gegen die serbische Invasion und Revolte von den Kroaten aus. (...) Dabei wurden<br />

sie unterstützt von rund 15.000 Mann der regulären kroatischen Armee, die eine<br />

246 Ebenda. S. 623<br />

247 Honig, Both, Srebrenica. S. 116<br />

248 Gespräch mit ehem. Stellvertretenden Oberbefehlshaber ABiH General a.D. Jovan Divjak,<br />

Sarajevo, August 1997<br />

249 Laura Silber, Alan Little, Bruderkrieg - Der Kampf um Titos Erbe. Deutsche Bearbeitung von<br />

Walter Erdelitsch. 2. Auflage (Graz-Wien-Köln 1995) 278-289<br />

65


Anzahl von Panzern und Geschützen mitgebracht hatten. Am 16. Juni hatten die<br />

Präsidenten Izetbegovic und Tudjman ein offizielles Militärabkommen zwischen den<br />

zwei Ländern unterzeichnet, das den Einsatz sowohl der kroatischen Streitkräfte <strong>als</strong><br />

auch der örtlichen HVO-Truppen legitimierte.” 250 Aber schon mit dem Einfließen der<br />

paramilitärischen HOS-Verbände (deren Truppen in Bosnien im August 1992 in die<br />

Struktur des HVO eingegliedert wurden 251 ) - was von der kroatischen Führung<br />

zumindest nicht verhindert wurde - und erst recht mit dem Einsatz regulärer<br />

kroatischer Armee in Bosnien-Herzegowina, war auch seitens der Kroaten die<br />

Grenze hin zur direkten Strategie überschritten worden. So wurde etwa seitens der<br />

im Raum befindlichen EG-Beobachter festgestellt, daß Einheiten der 108. HV-<br />

Brigade in der Gegend um Derventa und Doboj im Einsatz waren. Gleichzeitig wurde<br />

von Beobachtern konstatiert, daß Tudjman auf die bosnischen Kroaten mehr Einfluß<br />

zu haben schien <strong>als</strong> Milosevic auf die bosnischen Serben. 252 Die Umsetzung der<br />

kroatischen Konzeption betreffend Bosnien sollte im Rahmen einer Offensivstrategie<br />

mit vorerst defensiven Operationen erfolgen. 253 Vielfach wurde kolportiert, Kroaten<br />

und Serben hätten sich in Gestalt der Präsidenten Tudjman und Milosevic Ende März<br />

1991 in Karajordjevo auf eine territoriale Aufteilung Bosniens auf Kosten der<br />

bosnischen Moslems geeinigt. 254 Mangels stichhaltiger Beweise muß das Abkommen<br />

jedoch vorläufig <strong>als</strong> Mutmaßung bezeichnet werden. Sefer Halilovic jedenfalls hielt im<br />

Gespräch mit dem Autor daran fest: „That’s why a kind of permanent cease-fire<br />

existed between Croatian and Serbian forces in Bosnia during the war to go together<br />

against the Muslim forces.“ 255<br />

Vor allem durch ihre mittlerweile nicht unbeträchtliche Ausstattung mit schweren<br />

Waffen war die HVO - sollte sie in Kämpfe mit den Serben verwickelt werden -<br />

vielmehr <strong>als</strong> die ABiH in der Lage, die serbische Armee in Bosnien aufzuhalten. Im<br />

Sommer 1992 verfügte die HVO - vor allem aus erbeuteten JNA-Beständen - über<br />

250 Malcolm, Geschichte Bosniens. S.275. Zitiert nach: Daniel Bethlehem, Marc Weller (Hg.), The<br />

“Yugoslav” Crises in International Law (Cambridge 1993 oder 1994) o.S.<br />

251 Gustenau, Pfeifer, Bosnien-Herzegowina. In: Gießmann, Schlichting (Hg.), Handbuch Sicherheit. S.<br />

74<br />

252<br />

Kommentar von Marinko Culic, Split weekly “Feral tribune”, June 5, 1995. Internet:<br />

http://mediafilter.org/MFF/Mon.sp.html<br />

253 ÖMZ 4/1992. S. 313<br />

254 Silber, Little, Bruderkrieg. S. 441<br />

255 Gespräch mit Gener<strong>als</strong>tabschef ABiH a.D. Sefer Halilovic, Sarajevo, August 1997<br />

66


und 100 MBT, 30 APC und ca. 100 Artilleriegeschütze sowie mehr <strong>als</strong> 300<br />

Granatwerfer. 256<br />

Anderen Angaben zufolge waren 1992 neben der 1. kroatischen Brigade (einer Elite-<br />

Formation aus Zagreb, spezialisiert vornehmlich auf Offensivaktionen und bestehend<br />

aus Berufssoldaten) 257 sowie etwa der 128. Brigade aus Gospic oder der 203.<br />

Brigade aus Vukovar zahlreiche andere Einheiten der HV in Bosnien stationiert.<br />

Insgesamt waren 1992 gemäß nicht weiter genannten „Londoner Angaben” 17<br />

komplette Brigaden, Teile von 6 Brigaden, ein unabhängiges Regiment, fünf<br />

Battalione und eine unabhängige Kompanie, unterstützt von der kroatischen<br />

Luftwaffe in Bosnien stationiert. 258 Wenngleich diese Angaben etwas hoch gegriffen<br />

erscheinen, können sie aus Sicht des Autors nicht <strong>als</strong> völlig unrealistisch bezeichnet<br />

werden.<br />

Bedingt durch die fehlende militärische Unterstützung durch ein Mutterland waren die<br />

bosnischen Moslems seit Eröffnung der serbischen Offensive 1992 permanent in der<br />

Defensive. “By the winter of 1993, the Bosnians fielded about 15 T-54 and T-55<br />

MBTs, some 20 artillery pieces, 100 recoilles guns and 200 mortars to oppose the<br />

might of Serbia’s 350 MBTs and 1.000 artillery pieces.” 259<br />

Zwar konnten die serbischen Streitkräfte auch nach Auslaufen ihrer<br />

Anfangsoffensive über das gesamte Jahr 1992 die operative Initiative behalten und<br />

die Moslems und Kroaten unter Kontrolle halten, doch hatte sich der schnelle<br />

serbische Vormarsch der ersten Wochen bald merklich verlangsamt, an einigen<br />

Fronten - vor allem vor den Städten Sarajevo, Bihac, Tuzla und Gorazde - war er<br />

steckengeblieben. „By the end of May 1992 the frontline stabilized and remained<br />

essentially unchanged until the summer of 1995. (...) Their (der Serben, Anm.) initial<br />

offensive, centering on the strategic road network, had only failed in taking Gorazde.<br />

The strategically less important area surrounding Zepa, Cerska and Srebrenica had<br />

been bypassed. But it would only be a matter of time before the Serbs would get<br />

256 Micheletti, Debay, War in the Balkans 1991-1993. S.110<br />

257 Die Stationierung der I. Brigade der HV sowie anderer Einheiten, darunter auch einer offensichtlich<br />

im Großraum Split gebildeten Einheit, wurde dem Autor von einem Angehörigen dieser Einheit aus<br />

Brela im persönlichen Gespräch im August 1997 bestätigt. Der Mann ersuchte darum, nicht<br />

namentlich genannt zu werden<br />

258 Military intervention by the Republic of Croatia in the Republic of Bosnian and Herzegovina.<br />

Internet: http://suc.suc.org/-kosta/tar/external/e-military_intervention_of_croatia--.html<br />

259 Micheletti, Debay, War in the Balkans 1991-1993. S. 104<br />

67


around to dealing with the enclaves.“ 260 Somit kann die vor allem für das Verständnis<br />

der späteren Entwicklung essentielle Feststellung getroffen werden, daß nach dem<br />

serbischen „Blitzkrieg“ vom Frühjahr Gebietseroberungen größeren Ausmaßes durch<br />

die Serben nicht mehr vorgekommen waren. Die Fronten wurden fast überall<br />

eingefroren, der bosnische Konflikt erstarrte ab Sommer 1992 nicht nur vor den<br />

belagerten Städten zu einem weitgehenden Stellungskrieg. 261<br />

Nach der militärischen Besetzung wurden die von serbischen Einheiten eroberten<br />

Gebiete in der Folge (vor allem in der ersten Welle im Sommer 1992) wie beschriebn<br />

meist „ethnisch gesäubert“, d.h. die lokale nicht-serbische Bevölkerung vertrieben<br />

oder (vor allem in Nordbosnien) in Lager - wie etwa Omarska - verbracht. 262 Dieses<br />

wurde angeblich von den (zum Zeitpunkt dieser Niederschrift) in Haag angeklagten<br />

Miroslav Kvocka und Mladen Radic geführt und war Schauplatz kriegsrechtswidriger<br />

Gewaltverbrechen an Zivilisten. 263 Gemäß den geltenden Genfer und Haager<br />

Bestmmungen sind „jederzeit und allerorts” verboten: Mord, Verstümmelung,<br />

grausame Behandlung und Folterung, Geiselnahme, Beeinträchtigung der<br />

persönlichen Würde sowie Verurteilung und Hinrichtung ohne vorhergehendes Urteil<br />

eines ordnungsgemäß bestellten Gerichtes.<br />

Frauen sind mit aller ihrem Geschlecht geschuldeten Rücksicht zu behandeln. Sie<br />

sind vor Vergewaltigungen und unzüchtigen Handlungen zu schützen.<br />

Vergeltungsmaßnahmen gegen die durch die Abkommen geschützten Personen sind<br />

verboten. 264<br />

Unter allgemeine Pflichten der Kriegsgefangenen fallen gemäß III. Genfer<br />

Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen vom 12. August 1949 die<br />

Verpflichtung, über ihren Namen, Dienstgrad, Geburtsdatum und Matrikelnummer<br />

Auskunft zu geben. Sie unterstehen in ihrer Gesamtheit der Disziplin und den<br />

Gesetzen, die in dem Heer des Staates, der sie zurückhält, gelten. Sie unterstehen<br />

jedoch nicht der Gewalt der Personen oder Truppenteile, die sie gefangengenommen<br />

haben.<br />

260 Honig, Both, Srebrenica. S. 77<br />

261 Frankfurter Allgemeine Zeitung, Samstag, 17. Juni 1995. S. 3<br />

262 Vgl. Gutman, Augenzeuge des Völkermords<br />

263 TIME, 16/1998. S. 16<br />

264 Schriften des Deutschen Roten Kreuzes: Die Genfer Rotkreuz-Abkommen vom 12. August 1949<br />

und die beiden Zusatzprotokolle vom 8. Juni 1997 sowie das Abkommen betreffend die Gesetze und<br />

Gebräuche des Landkrieges vom 18. Oktober 1907 und Anlage [Haager Landkriegsordnung] (Bonn<br />

1988) 17<br />

68


Unter die Rechte der Kriegsgefangenen fallen laut III. Genfer Abkommen die<br />

menschliche Behandlung und das Verbot von Mißhandlungen aller Art sowie<br />

Vergeltungsmaßnahmen. Die Gefangenen dürfen persönliche Gegenstände<br />

behalten. Militärische Ausrüstung darf vom Feind in Beschlag genommen werden.<br />

Behalten werden darf davon, was der Bekleidung und Verpflegung dient. Ins<br />

Gefängnis dürfen die Kriegsgefangenen nur gebracht werden, wenn sie gegen ein<br />

Strafgesetz verstoßen haben und wenn ein reguläres gerichtliches Verfahren<br />

durchlaufen wurde. 265<br />

Gesunde Kriegsgefangene, ausgenommen Offiziere, können pflichtmäßig gegen<br />

eine bescheidene Vergütung und unter Bedingungen, die nicht schlechter sind, <strong>als</strong><br />

die den Angehörigen des Gewahrsamsstaates eingeräumten, zur Arbeit<br />

herangezogen werden. Sie dürfen jedoch weder zu einer Arbeit militärischer Art,<br />

noch zu gefährlichen, ungesunden oder erniedrigenden Arbeiten verwendet<br />

werden. 266 Grundsätzlich gilt, daß jeder Zivilist ist, der nicht den bewaffneten Kräften<br />

angehört und nicht an den Feindseligkeiten teilnimmt. Zivilpersonen dürfen niem<strong>als</strong><br />

angegriffen werden; sie sind zu schonen, zu schützen und jederzeit mit<br />

Menschlichkeit zu behandeln. 267<br />

Das IV. Genfer Abkommen über den Schutz der Zivilpersonen in Kriegszeiten vom<br />

12. August 1949 schreibt vor, daß die Behandlung internierter Zivilisten nicht den<br />

Charakter einer Bestrafung tragen darf und im allgemeinen derjenigen der<br />

Kriegsgefangenen entsprechen muß, unter Berücksichtigung der aus ihrer<br />

Eigenschaft <strong>als</strong> Zivilpersonen sich ergebenden Unterschiede. 268 Laut IV. Genfer<br />

Abkommen müssen die geschützten Personen in besetzten Gebieten weiterhin im<br />

Rahmen der Möglichkeiten normal leben können. Deportationen oder Umsiedlungen<br />

sind ohne Rücksicht auf den Beweggrund streng verboten. Die Besatzungsmacht<br />

darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet<br />

umsiedeln. Auch hat die Besatzungsmacht für die Versorgung der Bevölkerung mit<br />

Nahrungs- und Arzneimitteln sowie die Aufrechterhaltung des Gesundheitswesen zu<br />

sorgen. 269<br />

265 Ebenda. S. 24<br />

266 Ebenda. S. 25<br />

267 Ebenda. S. 26<br />

268 Ebenda. S. 29<br />

269 Ebenda. S. 28<br />

69


International hatten sich die bosnischen Serben wie die Führung Rest-Jugoslawiens<br />

in Belgrad durch ihr offensives militärisches Vorgehen und skizzierte Gewaltexzesse<br />

einiger Einheiten bald noch stärker isoliert, wenngleich vor allem die Europäer was<br />

die Beurteilung der Lage betraf, aus plausiblen Gründen zurückhaltend agierten. Als<br />

extremste Ausprägungsform des Selbstbestimmungsrecht war nämlich das in<br />

Bosnien doppelt strapazierte Sezessionsrecht unter Völkerrechtsexperten und<br />

Politikern anläßlich des Bosnienkrieges wieder heftig umstritten. Vor allem in Hinblick<br />

auf eigene Minoritätenprobleme - Basken, Nordirland, Südtirol etc. - erkannten die<br />

europäischen Staaten die stabilitätsgefährdende Wirkung einer „Balkanisierung” und<br />

hatten dementsprechend vorsichtig vorzugehen. 270<br />

Gleichzeitig war der Westen nicht zuletzt wegen der Erfahrungen der Deutschen<br />

Wehrmacht auf dem Balkan im Zweiten Weltkrieg, der Unübersichtlichkeit der<br />

Situation und der Unwegsamkeit des Geländes sowie innenpolitischer Überlegungen<br />

(Präsidentenwahlkampf in den USA) nicht bereit, militärisch in den Balkankrieg<br />

einzugreifen. Eine Militäroperation hätte enormen Aufwand an Truppen und Material<br />

verursacht und wäre aufgrund des zu erwartenden serbischen Widerstandes<br />

vermutlich verlustreich gewesen. „Nach Angaben des US-Gener<strong>als</strong> McCaffrey, eines<br />

Mitarbeiters von Gener<strong>als</strong>tabschef Colin Powell, vor dem Streitkräfteausschuß des<br />

US-Senats, ist für eine ‘Operation Balkansturm’ ein Heer von 400.000 Soldaten<br />

erforderlich (1992, Anm.). Die Einsatzdauer ist auf ein Jahr zu veranschlagen. Nach<br />

Schätzungen des kanadischen Gener<strong>als</strong> Lewis MacKenzie, dem vormaligen Chef<br />

der UN-Friedenstruppen in Sarajevo, würde eine effektive Militäraktion sogar bis zu<br />

einer Million Soldaten erfordern.” 271<br />

Dennoch wurde auch von anderer Seite beträchlicher militärischer Aufwand<br />

veranschlagt: „Um zum Beispiel Sarajevo zu befrieden, wären nach Ansicht des<br />

früheren IISS-Direktors Francois Heisbourg mindestens zwei Kampfdivisionen<br />

erforderlich: ‘Das Unternehmen wäre mit einem hohen Risiko belastet. Mit<br />

beträchtlichen Verlusten wäre zu rechnen.” 272 Gleichzeitig muß betont werden, daß<br />

das Argument der vermutlich hohen Verluste von den Interventionsgegnern häufig<br />

bewußt übertrieben und dadurch politisch instrumentalisiert wurde.<br />

Im Westen herrschte somit bald Konsens, zumindest vorerst kein militärisches<br />

Eingreifen in Jugoslawien zu riskieren. Vielmehr setzte man auf diplomatischen<br />

Druck und wirtschaftliche Sanktionen. Am 30. Mai verhängte die UN wegen der<br />

270 Holderbach, Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien. S. 273<br />

271 Lutz, Interventionen - Krieg <strong>als</strong> Ultima ratio? S. 98<br />

272 Ebenda. S. 103<br />

70


offensichtlichen militärischen und politischen Beteiligung am Krieg in Bosnien ein<br />

Wirtschaftsembargo gegen Rest-Jugoslawien. 273<br />

Bereits am 12. Mai 1992 - dem Tag der formalen Aufstellung serbischer Streitkräfte<br />

in Bosnien - hatte der UN-Sicherheitsrat in Resolution 752 gefordert, daß alle<br />

Formen der Intervention seitens der JNA <strong>als</strong> auch der HV in Bosnien sofort<br />

einzustellen seien. 274 Damit war offensichtlich, daß nicht nur die Serben auf die<br />

Konfrontation vorbereitet gewesen waren. „Als der Krieg ausbrach, waren die<br />

Kroaten in der Herzegowina militärisch bereits durchorganisiert. Der Nachschub kam<br />

aus Kroatien.“ In der Herzegowina stieß die bosnisch-serbische Armee dann auch<br />

erstm<strong>als</strong> auf nennenswerten militärischen Widerstand. 275 Inwieweit in der Frage des<br />

kroatischen Widerstandes gegen den serbischen Vormarsch das angebliche<br />

Abkommen von Karadjordjevo eine Rolle spielte, kann nicht vollständig verifiziert<br />

werden.<br />

Die HV jedenfalls hatte im Frühjahr 1992 „deployed considerable number of troops,<br />

initially perhaps as many as 20.000 men, in western Herzegovina and the Neretva<br />

river valley, as well as in northern Bosnia. The Croatian Defence Ministry in Zagreb<br />

denied Serbian charges by assering that only those Herzegovinian Croats who had<br />

fought in the Croatian Armed Forces were allowed to leave active service and return<br />

to defend their homes. After the threat of the sanctions by the international<br />

community, the Croatian government in fact pulled out most of ist regular troops from<br />

the republic.” 276<br />

Berücksichtigt man freilich die militärische Intervention Jugoslawiens in Bosnien <strong>als</strong><br />

Grund für die Verhängung des Embargos durch die UN, hätte folgerichtig auch<br />

Kroatien mit einem solchen belegt werden müssen, da auch in der New Yorker UN-<br />

Zentrale bekannt war, daß kroatische Verbände mitsamt schweren Waffen in<br />

Bosnien operierten.<br />

Damit wurden von Jugoslawien und Kroatien völkerrechtliche Normen grob verletzt,<br />

wären sie doch im Konflikt in Bosnien verpflichtet gewesen, das Vordringen ihrer<br />

Staatsangehörigen auf fremdes Staatsgebiet zu verhindern. Das Gegenteil war der<br />

Fall. „Ob Kroatien und Serbien auch Pflichten gegenüber bosnischen Kroaten und<br />

273 PROFIL 48/1995. S. 70<br />

274<br />

(NATO/IFOR: UN Resolution S/RES/752 (1992). Internet:<br />

http://ace.vm.ee/nato/ifor/un/u920515a.htm)<br />

275 Silber, Little, Bruderkrieg. S. 350<br />

276 Milan Vego, The Croatian Forces in Bosnia and Herzegovina. In: Jane’s Intelligence Review,<br />

March 1993 - Europe. S. 102<br />

71


Serben haben, ist demgegenüber fraglich. Volkszugehörigkeit und gemeinsame<br />

Interessen allein sind jedenfalls nicht zurechnungsbegründend. Allerdings hat der<br />

IGH im Nicaragua-Fall erkennen lassen, daß er prinzipell eine Verantwortlichkeit der<br />

USA für die Contras für möglich hält. 277 Da die bosnischen Serben sich selbst zu<br />

Serbien rechnen und Serbien zu ‘ihrem Schutz’ intervenierte, erscheint eine Haftung<br />

wie für eigene Staatsangehörige sachgerecht.” 278<br />

Die direkte militärische Involvierung Jugoslawiens wird auch von Zoran Djindjic<br />

eingestanden: „Rest-Jugoslawien war von Anfang bis zum Ende des Krieges durch<br />

die Armee in Bosnien direkt involviert, zwischen Bosnien und Rest-Jugoslawien<br />

existierte keine Grenze. Die Offiziere der bosnischen Serben wurden aus Belgrad<br />

bezahlt, die bosnisch-serbischen Soldaten waren Beamte der rest-jugoslawischen<br />

Armee. Beim Zerfall Jugoslawiens wurde die rest-jugoslawische Armee auch in<br />

Kroatien und Bosnien nur umstrukturiert und reduziert. Die Erklärung gegenüber der<br />

internationalen Öffentlichkeit war einfach: ‚Ein Teil Bosniens will die Unabhängigkeit<br />

nicht und muß sich verteidigen!” 279<br />

Die moslemischen Einheiten sollen in der Anfangsphase des Krieges 1992 auf<br />

zwischen 30.000 und 50.000 Mann angewachsen sein. Davon standen im Raum<br />

Sarajevo vor allem die „Grünen Barette”. 280 Nach serbischen Quellen sollen die<br />

kroatischen Verbände insgesamt ebenfalls an die 50.000 Mann stark gewesen sein.<br />

In der West-Herzegowina sollen Anfang April an die 5.000 bis 15.000 HOS-Kämpfer<br />

aber auch Verbände der regionalen kroatischen Armee aus Kroatien eingesickert<br />

sein. „Neben den ‚regulären Kräften‘ gab es auch kriminelle oder terroristische<br />

Gruppierungen, was das ohnehin vielschichtige Konfliktbild noch zusätzlich<br />

verzerrte.“ 281 Von allen Seiten wurde auf kriminelle Elemente zurückgegriffen, die oft<br />

für die schlimmsten Greueltaten verantwortlich zeichneten. Auch die bosnische<br />

Regierung griff unter dem Druck der Umstände zur Bewaffnung und Ausrüstung<br />

Krimineller, während man gleichzeitig den Rückzug der moslemischen Soldaten aus<br />

der ehemaligen jugoslawischen Armee anordnete. “Die Regierung Bosniens war kein<br />

kriminelles Regime, aber sie hatte keine Armee, <strong>als</strong> sie die Unabhängigkeit erklärte.<br />

277 Zur Verbindung etwa der Contras in Nicaragua mit der US-Regierung siehe auch James Adams,<br />

Wer finanziert den Terror? Die geheimen Geldgeber terroristischer Organisation. Deutsche Ausgabe<br />

(Bergisch Gladbach 1992)<br />

278 Holderbach, Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien. S. 286<br />

279 Gespräch mit Zoran Djindjic<br />

280 ÖMZ 3/1992. S. 232; nach APA 185 vom 6.3.1992<br />

281 ÖMZ 3/1992. S. 232<br />

72


Somit gab sie in ihrer Verzweiflung die wenigen Waffen, die das Land hatte, den<br />

wenigen Leuten, die sie zu bedienen wußten - Ganoven wie Juka.” 282<br />

Wie bereits dokumentiert, waren die Serben auf den Kriegsausbruch vorbereitet und<br />

hatten seit Monaten auch infrastrukturell antizipativ geplant. Serbische JNA-<br />

Generäle, die die bosnische Territorialverteidigung befehligten, mißbrauchten oftm<strong>als</strong><br />

ihre Dienststellung weitgehend, um die serbische Volksgruppe mit Waffen zu<br />

versorgen, die aus Lagern stammten, die von der Republik Bosnien für die TO<br />

finanziert worden waren. 283<br />

“Already during the war in Croatia, the storages and complete equipment of the<br />

Bosnian territorial defense units were put under the control of the Serbian officers of<br />

JNA, or local paramilitary formations; some were even evacuated from the non-<br />

Serbian surroundings. Alija Izetbegovic made a historical mistake, ordering that the<br />

citizens loyal to Bosnia and Herzegovina withdraw from from the mobilized units of<br />

JNA and return their arms. They actually did do that, leaving the 343. Motorized unit<br />

from Prijedor, 327. Motorized unit from Derventa, 6. motorized unit from Doboj, 345.<br />

Motorized unit from Brcko and the battalions of the Zvornik garrison, where the worst<br />

slaughters afterwards took place, without any serious resistance being put up, mostly<br />

to the paramilitary units.” 284<br />

Vor Ausbruch des Krieges hatte die bosnisch-moslemische Führung unter Alija<br />

Izetbegovic eine weitgehend gemäßigte Kompromißpolitik gegenüber der JNA<br />

verfolgt. Auch zeigten die bosnischen Muslime „keinerlei Zeichen von religiöser<br />

Intoleranz (was serbischerseits oft <strong>als</strong> dominantes Motiv für ihre Furcht vor möglicher<br />

moslemischer Hegemonie angeführt wurde, Anm.) ...In Wirklichkeit waren sie die<br />

schlechtesten Muslime der Welt; die meisten von ihnen tranken Alkohol, aßen<br />

Schweinefleisch und suchten selten eine Moschee auf. Wenige pilgerten nach<br />

Mekka, wohingegen viele nach Österreich zum Einkaufen fuhren.” 285<br />

Die moslemische Zentrale hatte die Situation bzw. die Absicht und Entschlossenheit<br />

der Serben verkannt und die Verteidigung der Republik nicht entschieden vorbereitet.<br />

Vielmehr versuchte man, die Schaffung moslemischer paramilitärischer Einheiten zu<br />

unterbinden. Diese waren zumeist mit privat geschmuggelten leichten<br />

282 Maass, Die Sache mit dem Krieg. S. 51<br />

283 ÖMZ 5/1992. S. 401<br />

284 The facts and background of the paramilitary units on the territory of former Yugoslavia, Podgorica<br />

weekly “Monitor”, April 14, 1995. In: Balkan Media&Policy Monitor. News and Analysis Digest, Issue<br />

11 Vol2 May 1, 1995. Internet: http://209.48.2.20/MFF/Mon11t.html<br />

285 Maass, die Sache mit dem Krieg. S. 47<br />

73


Infanteriewaffen ausgerüstet. Die bosnischen Moslemführer hatten monatelang<br />

nichts unternommen und zugelassen, daß die Kommanden der JNA Straßen,<br />

Geschützstellungen, Munitionslager und Feldunterkünfte auf den Hügeln, die<br />

Sarajevo, Mostar und andere Städte beherrschten, errichteten, um die JNA und die<br />

serbischen „territorialen” Artillerieverbände für die spätere Beschießung von<br />

städtischen Gebieten vorzubereiten. 286 Im Gegensatz dazu waren die bosnischen<br />

Moslems folglich „völlig unvorbereitet auf einen Krieg und mußten auch immense<br />

Verluste in den ersten Monaten hinnehmen. Ab dem Sommer 1992 haben sich<br />

Organisation und Effektivität der bosnischen Armee aber verbessert.” 287<br />

Erst mit Anlaufen der serbischen Offensive sah sich die Moslem-Führung<br />

gezwungen, Streitkräfte aufzustellen und im Rahmen einer reaktiven<br />

Defensivstrategie gemeinsam mit den Kroaten Teile des bosnischen Territoriums zu<br />

halten, um möglichst mit internationaler Unterstützung die Integrität der Republik<br />

wiederherzustellen. Da es hiebei insbesondere galt, Zeitgewinn zu erkämpfen,<br />

beinhaltete diese Stragie Elemente der Raumverteidigung, wo größere<br />

Siedlungsräume zu halten waren, aber auch Räumung und Absetzen bei<br />

übermächtigem Feinddruck, sowie Gegenangriffe und jagdkampfartige Einsätze, um<br />

dem Feind die ungehinderte Nutzung des Raumes zu verwehren und verlorenes<br />

Terrain wieder in Besitz zu nehmen. Parallel zu den eigenen militärischen<br />

Maßnahmen versuchte die moslemische Führung vehement, ausländische<br />

Militärhilfe zu erlangen. 288<br />

286 ÖMZ 5/1992. S. 402<br />

287 Gießmann, Schlichting (Hg.), Handbuch Sicherheit. S. 72<br />

288 ÖMZ 4/1992. S. 316<br />

74


VI. Die Kriegshandlungen in Bosnien-Herzegowina,<br />

Sommer 1992 - Frühjahr 1994<br />

„Der Bosnische Krieg (...) war ein totaler Krieg. Er wurde allenfalls in zweiter Linie<br />

gegen Kombattanten geführt; Zivilisten waren nicht die zufälligen, sondern die<br />

gewollten Opfer. Es ging nicht darum, den Rückzug einer Armee zu erzwingen, oder<br />

den Sturz eines Regimes. Das prinzipielle Ziel war Vertreibung und Vernichtung...” 289<br />

In der ersten Kriegsphase, dem serbischen Vormarsch im Frühjahr 1992, hatte sich<br />

eine kroatisch-moslemische Defensivallianz gleichsam natürlich angeboten. Daß<br />

diese jedoch nicht von Dauer und Festigkeit sein würde, hatten nicht nur Skeptiker<br />

bald vermutet. „Die Kroaten hegten tiefes Mißtrauen gegen die Rolle der bosnischen<br />

Moslems während des Krieges in Kroatien. Viele moslemische Offiziere blieben bis<br />

Anfang 1992 in der Volksarmee. Die kroatische Propaganda beschuldigte Sefer<br />

Halilovic, den Kommandanten der bosnischen Territorialverteidigung, an der<br />

Zerstörung Vukovars wesentlich beteiligt gewesen zu sein.” 290 Gleichzeitig war<br />

anzunehmen, daß die bosnische Führung über die kroatischen Ambitionen, sich die<br />

Westherzegowina <strong>als</strong> kroatisches Staatsgebiet anzueignen, im Bilde war und<br />

beabsichtigte, diesem Vorhaben entgegenzutreten.<br />

Auf kroatisch-moslemischer Seite konnte bis Jahresende 1992 doch ein, wenn auch<br />

vergleichsweise bescheidener, Zuwachs an schwerem Gerät festgestellt werden,<br />

Truppenstärken und Organisation dürften sich zusehens konsolidiert haben, so daß<br />

insgesamt das von Kroaten und Moslems im Sommer gehaltene Terrain im<br />

wesentlichen gesichert werden wurde. In Teilbereichen konnten den serbischen<br />

Einheiten im Rahmen von immer effektiveren Angriffshandlungen empfindliche<br />

Verluste zugefügt werden. War seit Ausbruch des Krieges das Kriegs- und<br />

Gefechtsbild von eher kleinkriegsartigen und sehr beweglichen Kampfhandlungen<br />

ohne zusammenhängende Fronten geprägt, wobei die primär auf serbischer Seite<br />

vorhandenen mechanisierten Einheiten nur punktuell und wenig effizient zum Einsatz<br />

kamen, so konnten seit Ende 1992 in vermehrtem Umfang relativ stabile<br />

Frontabschnitte an verschiedenen Fronten beobachtet werden. In Teilbereichen, wie<br />

um belagerte Städte, hatte sich bereits seit Sommer ein regelrechter Stellungskrieg<br />

entwickelt. 291<br />

Gleichzeitig verschlechterte sich das Verhältnis zwischen HVO und ABiH. Das latent<br />

vorhandene gegenseitige Mißtrauen und das Bemühen aller Kriegsparteien,<br />

289 Maass, Die Sache mit dem Krieg. S.11<br />

290 Silber, Little, Bruderkrieg. S. 349 (Halilovic bestreitet dies)<br />

291 ÖMZ 2/1993. S. 128<br />

75


möglichst umfangreiche und strategisch wertvolle Gebiete zu besetzen (vor allem<br />

wollten die Kroaten ab Frühjahr 1993 die ihnen im Vance-Owen-Vertrag, der nie<br />

realisiert wurde, zugesprochenen Gebiete sofort militärisch besetzen), führte<br />

schließlich ab Ende des Jahres zum Zusammenbruch der Militärallianz zwischen<br />

HVO und der bosnischen Armee. Gleichzeitig schien die serbisch-kroatische<br />

Interessenkongruenz mit Fortdauer der Kampfhandlungen darauf abzuzielen, die<br />

Aufteilung Bosniens entlang ethnischer und bestehender militärischer Linien zu<br />

betreiben. Diese Tendenz wurde durch den Waffenstillstand zwischen Serben und<br />

Kroaten in Bosnien vom 16. Mai 1993 unterstrichen. 292 Für die Kroaten war es das<br />

vordringlichste Ziel, eine Lösung für die serbische Besatzung der Krajina zu finden.<br />

Über die territoriale Aufteilung Bosniens war man sich bis Anfang 1994<br />

nähergekommen, immer wieder tauchte der Vorschlag auf, die kroatischen<br />

Gebietsverluste an die Serben im Mutterland durch eine Anerkennung der<br />

kroatischen Gebietsansprüche in Bosnien durch die Serben zu kompensieren. 293<br />

Das Zerbrechen der ohnehin fragilen Allianz wiederum führte zu einem militärischen<br />

Desaster für ABiH und HVO, weil sich beide Streitkräfte aus ihren Stellungen um die<br />

Stadt Jajce, nordwestlich von Travnik, zurückzogen. Jajce war seit Kriegsausbruch<br />

von serbischen Kräften belagert und mit einigen Granatenangriffen belegt worden.<br />

Bis Ende Oktober 1992 hatte es allerdings nicht die geringsten Anzeichen gegeben,<br />

daß die Stadt fallen würde. „Dennoch eroberten die Serben Jajce am 29. Oktober,<br />

aber nicht weil ihre Offensive so massiv gewesen wäre, sondern wegen des Chaos<br />

in der kroatischen und moslemischen Verteidigung.” 294<br />

Die Regierungsarmee bestand zum damaligen Zeitpunkt vermutlich aus rund 80.000<br />

Mann - mehrheitlich Moslems - , von denen allerdings nur rund 44.000 Mann voll<br />

ausgerüstet und bewaffnet waren, und gliederte sich in fünf Korps, die jeweils aus<br />

vier bis fünf Brigaden mit rund 1000 bis 1500 Mann bestanden. Neben den Brigaden,<br />

die nach dem Territorialprinzip eingesetzt wurden, kamen auch relativ unabhängige<br />

„taktische Gruppen”, ebenfalls in „Brigadestärke”, zum Einsatz. Die Verbände der<br />

Armee waren zu diesem Zeitpunkt noch nahezu ausschließlich leicht bewaffnet,<br />

Artillerie dürfte in sehr beschränktem Maß zur Verfügung gestanden haben, und<br />

Panzer wurden praktisch nicht gefechtswirksam. Besonders nachteilig wirkte sich die<br />

Versorgungsabhängigkeit bei Handfeuerwaffen und Munition von Kroatien und<br />

anderen Lieferanten aus. Es war zu erwarten, daß ohne Aufhebung des<br />

292 ÖMZ 5/1993. S. 440<br />

293 Bernhard Grösel, Friedensvorschläge zu Bosnien-Herzegowina. Diplomarbeit aus Völkerrecht<br />

an der Universität Salzburg 1994. 56<br />

294 Silber, Little, Bruderkrieg. S. 352<br />

76


Waffenembargos gegen Bosnien-Herzegowina die bosnische Armee nicht in der<br />

Lage sein würde, ihre Verbände den serbischen Einheiten ebenbürtig<br />

auszurüsten. 295 Daher hatte die weitgehende territoriale Gebundenheit der meisten<br />

Verbände in Bosnien neben dem naheliegenden Wunsch, die eigene Heimatregion<br />

und die ansässige Familie zu verteidigen, auch ausrüstungsbedingte Ursachen: “In<br />

Bosnia-Herzegovina, the lack of communication affected the command and control of<br />

both the Bosnian Serb and Bosnian government armies and emphasized the<br />

dominance of local territorial forces in their origins and the psychology of defending<br />

home territory. The Bosnian government tends to fight many battles with small units<br />

of 1.000 to 2.000. Even after December 1992, by which time the organization of a<br />

new army made it possible to launch serious campaigns, they continued to have<br />

difficulty concentrating forces and creating mobility.” 296<br />

Trotz der erdrückenden Überlegenheit der VRS bei schweren Waffen und der<br />

zunehmenden Frontstellung gegenüber den Kroaten schafften es die nach wie vor<br />

schlecht ausgerüsteten Regierungstruppen dennoch, den ersten Kriegswinter zu<br />

überstehen und stellenweise offensiv zu werden. So kam es zu Beginn des Jahres<br />

1993 zu den Grenzfluß Drina überschreitenden Artillerieduellen. Im Zuge dessen<br />

kam es erstm<strong>als</strong> wieder zum direkten Einsatz der JS gegen die bosnische<br />

Regierungsarmee. 297<br />

Serbischerseits wurde das Anwachsen der Kampfkraft und Entschlossenheit auf<br />

seiten der ABiH vor allem mit verstärkter Unterstützung durch Waffen und Truppen<br />

aus islamischen Staaten begründet. Entgegen anderslautenden Berichten vor allem<br />

der serbischen Medien dürfte die Zahl der auf seiten der bosnischen Moslems<br />

kämpfenden Freiwilligen insbesondere aus dem Iran, Afghanistan, Pakistan, Lybien,<br />

dem Sudan, Saudi-Arabien und der Türkei nicht höher <strong>als</strong> rund 600 gewesen sein.<br />

Sehr effektiv dürfte allerdings die Anwesenheit von Ausbildnern, möglicherweise<br />

Berufsoffiziere aus der Türkei und dem Iran, gewesen sein. 298 Beobachter Andreas<br />

Khol etwa ging nach einem Besuch im ehemaligen Jugoslawien im Sommer 1993<br />

von einer Stärke von 3.000 bis 6.000 Mann bei den Mujahedin-Kämpfern auf seiten<br />

der Bosnier aus. 299<br />

295 ÖMZ 3/1992. S. 233-234<br />

296 Woodward, Balkan tragedy. S. 266<br />

297 ÖMZ 2/1993. S. 128; nach APA 269 vom 17.1.1993<br />

298 ÖMZ 3/1992. S. 233-234<br />

299 Pressekonferenz mit Andreas Khol: Bosnien-Herzegowina: Wende oder Absturz? Zwischenbilanz<br />

eines Besuches im früheren Jugoslawien. (Wien, 19.7.1993) Unterlage S. 2<br />

77


Ebenfalls im Sommer 1993 zeigte sich anhand des damaligen Befehlshabers des in<br />

Bihac stationierten V. Korps der ABiH, General Ramiz Drekovic, daß nicht alle<br />

serbischen Angaben über moslemischen Extremismus aus der Luft gegriffen waren.<br />

“He (Drekovic, Anm.) had never even pretended to be defending the ideal of a<br />

multiethnic state. (...) In an office bedecked with Islamic paraphernalia and Arablanguage<br />

diplomas, Drekovic threatened terrorist attacks in Europe as retaliation for<br />

the genocide against his people. Drekovic wasn’t even from Bihac, but from the<br />

Sanjak, a Muslim-majority area well known as a hotbed of Muslim nationalism.<br />

Drekovic ran a tight ship: his spirited units were the first Bosnian forces I saw who<br />

saluted their officers.” 300<br />

Bis zum Frühjahr/Sommer 1993 hatten es die moslemischen Streitkräfte - für viele<br />

Beobachter überraschend - geschafft, sich personell und strukturell weiter zu<br />

konsolidieren: Im Rahmen des I. Korps (Sarajevo) standen jetzt 3 bis 4 Brigaden<br />

sowie eine Brigade bei Visoko und 1 taktische Gruppe (Kiseljak) mit insgesamt rund<br />

22.000 Mann. Das III. Korps in Zentralbosnien mit rund 15.000 Mann umfaßte eine<br />

Brigade (Zenica), eine Brigade (Zavidovici), eine Brigade (Maglaj), eine Brigade<br />

(Vitez), eine Brigade (Kakanj), eine Brigade (Vares), in Novi Travnik 400 bis 600<br />

Mujahedin. In Ostbosnien verfügte die Regierungsgarmee über 2 bis 3 Brigaden in<br />

Gorazde sowie 2 bis 3 Brigaden in Srebrenica mit insgesamt rund 10.000 Mann. Das<br />

II. Korps (Tuzla) in Nordbosnien hatte rund 15.000 Mann gegliedert in 1. Brigade<br />

(Tesanj), eine Brigade (Teslic), eine Brigade (Doboj), eine Brigade (Tuzla), eine<br />

Brigade (Gracanica), eine Brigade (Banovici). Im Raum Bihac war das V. Korps mit<br />

rund 10.000 Mann stationiert. Dieses gliederte sich in 2. Brigade (Kljuc), 111. Brigade<br />

(Bosanska Krupa), drei Brigaden (Bihac), eine Brigade (Cazin), eine Brigade (Velika<br />

Kladusa). Die Herzegowina wurde vom IV. Korps mit vermutlich rund 8.000 Mann (1.<br />

Mostar Brigade, eine Brigade in Jablanica, eine Brigade in Stolac und die 4.<br />

„taktische Grupe Igman” in Konjic) verteidigt. 301<br />

Auf serbischer Seite beobachteten Experten seit dem Frühjahrsfeldzug 1992 und der<br />

damit verbundenen Einnahme von fast 70 Prozent Bosniens eine langsame aber<br />

stetige personelle Ausdünnung der VRS. Ebenso verschlechterte sich die Qualität in<br />

Taktik und Operationsführung. Bereits im März 1993 konstatierte ein US-Marine<br />

Corps-Beobachter, es sei nicht selten der Fall, daß serbische Infanterie-Verbände<br />

Taktik wie Einheiten aus dem amerikanischen Bürgerkrieg verwendeten. Ebenso<br />

300 Husarska, Dateline Sarajevo: Boom town. In: Mousavizadeh (Hg.), The black book of Bosnia. S.<br />

110<br />

301 ÖMZ 3/1993. S. 234<br />

78


zeigte sich schon 1993 ein Verfall der Moral auf serbischer Seite. In Banja Luka<br />

wandte sich im September eine ganze Brigade wegen mangelhafter Versorgung und<br />

die angeblich breite Inkomptenz im VRS-Offizierskorps gegen die Führung und<br />

brachte damit die Operationen in Westbosnien für eine Woche zum Erliegen, bis die<br />

Einheit auf dem Verhandlungswege ruhiggestellt werden konnte. Um dem weiteren<br />

Kampfkraftverlust entgegenzuwirken, organisierte die Armeeführung die<br />

verbliebenen JNA-Veteranen in zwei Panzer-, eine mech- und sieben mot.<br />

Infanteriebrigaden. Diese Einheiten zeigten sich zwar ebenfalls nicht in der Lage, <strong>als</strong><br />

Offensiv-Speerspitze zu agieren, konnten aber allein durch die umfassende<br />

Motorisierung und die Erfahrung der Männer im Kommando <strong>als</strong> defensive<br />

Krisenreaktionsverbände gegen die immer häufigeren moslemischen Vorstöße und<br />

Einbrüche genutzt werden. 302<br />

Die ersten schweren moslemischen Gegenstöße geschahen im Frühjahr 1993 in<br />

Mittelbosnien. Das III. Korps der bosnischen Armee hatte zwei neue Brigaden<br />

aufgestellt. Diese bestanden in erster Linie aus Männern, die die Säuberungen in<br />

Nord- und Ostbosnien überlebt hatten. Ihre Erfahrungen in den Händen der Serben<br />

hatte viele von ihnen sehr hart und entsprechend kampfkräftig werden lassen; die<br />

meisten waren durch die Konzentrationslager gegangen. In Travnik hatten sie die 17.<br />

‘Krajiska’-Brigade gegründet, die unter dem Kommando von Oberst Mehmed Alagic<br />

stand. Alagic war aus der Region Kozara ‘gesäubert’ worden. Im moslemischen<br />

„Kernstaat“ um Zenica entstand die 7. Moslemische Brigade, ein ebenfalls völlig<br />

neuer Kampfverband, der - ähnlich Drekovics Einheiten - explizit moslemisch statt<br />

bosnisch orientiert war. Ihre Offiziere waren westlichen Ausländern gegenüber<br />

feindselig, trugen lange Bärte und islamische Insignien und grüßten einander mit<br />

dem arabischen ‘al-salaam aleikum’ (Der Friede sei mit dir). „Zum ersten Mal<br />

manifestierte sich ein schriller, fremdenfeindlicher, moslemischer Nationalismus in<br />

Bosnien: Die Offiziere der 7. Moslemischen Brigade machten die Politik der multiethnischen<br />

Toleranz für das Schicksal des moslemischen Volkes verantwortlich. Es<br />

sei höchste Zeit, daß die Moslems ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen, und<br />

zwar nicht <strong>als</strong> Bosnier, sondern <strong>als</strong> Moslems.” 303<br />

Begünstigt wurden die Moslems - vorläufig indirekt- durch die neue Clinton-<br />

Administration. Diese ging ab April 1993 in der Frage des Waffenembargos von der<br />

Bush-Linie ab und favorisierte die kombinierte Lieferung von Waffen an die ABiH und<br />

Luftschläge („Lift and strike“), was auf diplomatischer Ebene und im Sicherheitsrat<br />

302 Command Magazin Issue 35 Nov 1995. S. 68<br />

303 Silber, Little, Bruderkrieg. S. 357<br />

79


vorläufig keinen Erfolg zeitigte. 304 “The Clinton administration, conscious of public<br />

opposition to direct military intervention, started to express the view that the arms<br />

embargo on Bosnian Muslims should be lifted while allied air strikes might be used to<br />

reinforce sanctions and diplomatic pressure.” 305 Ab 12. April 1993 sicherte die NATO<br />

unter US-Führung das bereits 1992 verhängte Flugverbot über Bosnien 306 , die US-<br />

Air Force begannen kurz davor, humanitäre Hilfe über Bosnien abzuwerfen.<br />

304 Winston P. Nagan, Rethinking Bosnia and Herzegovina’s right of se lf-defence: A comment.<br />

In: International Commission of Jurists. The Review - Number 52/1994. 36<br />

305 WEU Defence Commitee, The Yugoslav conflict - Chronolgy of events from 30th May 1991-8th<br />

November 1993. Information Document. Paris, 29th November 1993. Internet:<br />

http://www.cco.caltech.edu/-bosnia/doc/weudoc.html<br />

306 PROFIL 48/1995. S. 70<br />

80


VI.I. Operation „Deny flight” und Interventionsoptionen von<br />

USA und NATO, Oktober 1992 - Winter 1994<br />

An dieser Stelle gilt es, den Weg der US-geführten NATO in die direkte Involvierung<br />

in den bosnischen Krieg zu skizzieren. Dabei muß in das Jahr 1992 zurückgegriffen<br />

werden.<br />

“On 16 October 1992, NATO forces began monitoring flights in the airspace of<br />

Bosnia-Herzegovina in NATO Operation SKY MONITOR. This was in response to<br />

UNSCR 781 which requested member states to assist UNPROFOR to monitor the<br />

ban on military flights in that airspace. Monitoring was carried out by NAEW aircraft<br />

which were already involved in the naval monitoring and subsequent embargo<br />

operations in the Adriatic. (...) The UN assessed that more than 500 flights violated<br />

the ban during the period 16 October 1992 to April 1993.” 307<br />

“On 10 November, the Security Council adopted its resolution 786 (1992) authorizing<br />

the expansion of UNPROFOR’s strength by 75 military observers to enable it to<br />

monitor airfields in Bosnia and Herzegovina, Croatia and the Federal Republic of<br />

Yugoslavia (Serbia and Montenegro).” 308<br />

Um den 20.3. 1993 schlossen die Planungsstäbe der NATO ihre Vorbereitungen zur<br />

Überwachung des Flugverbotes ab, parallel dazu liefen die Vorbereitungen zum<br />

Einsatz einer Friedenstruppe, die den dam<strong>als</strong> ausgearbeiteten Vance-Owen-Plan<br />

realisieren sollte. Am 2.4. beschloß der NATO-Rat definitiv, die von der UNO<br />

angeordnete Flugverbotszone über Bosnien-Herzegowina zu überwachen. Am 7.4.<br />

ordnete der Militärausschuß der NATO an, mit „Phase zwei” des Einsatzplanes zu<br />

beginnen. Demzufolge hatten die vorgesehenen Kampfflugzeuge innerhalb von 72<br />

Stunden auf die entsprechenden Einsatzflugplätze in Italien zu verlegen und mit<br />

Demonstrations- und Übungsflügen zu beginnen. Gleichzeitig wurde der NATO-Rat<br />

ersucht, den Eintritt in „Phase drei“ des Einsatzplanes freizugeben, die Patrouillen<br />

über dem bosnischen Luftraum vorsah, um serbische Luftraumverletzer abzudrängen<br />

oder zur Landung zu zwingen. Am 12.4. begann planmäßig „Phase drei”, der<br />

Einsatz. Die Operationsplanung stützte sich auf die integrierte Kommandostruktur<br />

der NATO. Der Oberbefehlshaber Europa, General Shalikashvili, übertrug die<br />

Verantwortung für die Operationsführung dem Befehlshaber der NATO in Südeuropa<br />

(CINCSOUTH), dem amerikanischen Admiral Boorda. 309<br />

307<br />

IFOR-Final Factsheet Operation Deny Flight, 21 December 1995. Internet:<br />

http://www.nato.int/ifor/general/fs-fin.htm<br />

308 United Nations Protection Force/Background. Internet:<br />

http://ralph.gmu.edu/cfpa/peace/unprofor_un.html<br />

309 ÖMZ 4/1993. S. 317<br />

81


Noch einmal zurück zu den Ereignissen des März 1993: “On 31 March, the Security<br />

Council adopted its resolution 816 (1993), by which it extended the ban on military<br />

flights by all fixed wing and rotary-wing aircraft in the airspace of Bosnia and<br />

Herzegovina. Acting under Chapter VII of the Charter, the Council authorized<br />

Member States, seven days after the adoption of the resolution, acting nationally or<br />

through regional arrangements, to take, under the authority of the Security Council<br />

and subjcet to close coordination with the Secretary-General and UNPROFOR, ‘all<br />

necessary measures’ in the airspace of Bosnia and Herzegovina to ensure<br />

compliance with the ban on flights, and proportionate to the specific circumstances<br />

and the nature of flights.” 310<br />

Am 9.8. 1993 war es dann auch durch den NATO-Rat nur zu einer grundsätzlichen<br />

Billigung der Pläne gekommen, die einen Einsatz gegen die serbischen Stellungen<br />

rund um Sarajevo vorsahen. Dies bedeutete lediglich die Einigung über die<br />

Grundsätze einer eventuellen Luftoperation. So sollten in einer ersten Phase<br />

geographisch und umfangmäßig begrenzte Luftschläge zur Ausschaltung serbischer<br />

Feuereinheiten stattfinden. In einer zweiten Phase sollten gegebenenfalls nach einer<br />

Ausweitung des Aktionsradius militärische Infrastruktur und Nachschubeinrichtungen<br />

der Serben zerstört werden. 311<br />

Am 7.2. 1994 hatte sich auch US-Präsident Bill Clinton, nach ursprünglich klar<br />

ablehnender Haltung (die allerdings bereits in den Monaten zuvor in Richtung eines<br />

stärkeren militärischen Eingreifens der USA modifiziert worden war), nun dezidiert für<br />

Luftangriffe der NATO ausgesprochen. Unterstützt wurde die Haltungsänderung des<br />

Präsidenten durch eine nichtbindende Resolution, die der amerikanische Senat<br />

schon am 27.1.1994 mit 87 gegen 9 Stimmen verabschiedet hatte. Die Senatoren<br />

forderten darin die Aufhebung des Waffenembargos gegen die bosnischen Moslems<br />

und eine militärische Hilfeleistung an die bosnischen Regierungstruppen, falls die<br />

Regierung in Sarajevo ein entsprechendes Ersuchen stellen sollte. 312<br />

310<br />

United Nations Protection Force/Background. Internet:<br />

http://ralph.gmu.edu/cfpa/peace/unprofor_un.html<br />

311 ÖMZ 6/1993. S. 441; nach NZZ vom 11.8.1993<br />

312 ÖMZ 3/1994. S. 273<br />

82


VI.II. Der „Fall Srebrenica“ und die Errichtung der UN-<br />

Sicherheitszonen, März - Juni 1993<br />

„In March 1993, fighting intensified in eastern Bonsia and Herzegovina, with Bosnian<br />

Serb paramilitary units attacking several cities in the area, including Srebrenica.“ 313<br />

Anfang März drohte die Stadt Srebrenica, an die Serben zu fallen. Nach dem<br />

serbischen Vormarsch bei Srebrenica wurden die Enklaven Srebrenica, Sarajevo,<br />

Bihac, Zepa, Gorazde und Tuzla vom Sicherheitsrat zu UN-Schutzzonen erklärt,<br />

hatten doch an der katastrophalen humanitären Situation auch die vorangegangenen<br />

Abwürfe von MREs, Me<strong>als</strong>-Ready-To-Eat durch U.S. Air Force C-130 wenig<br />

geändert. „At times, people fought seperately to get at the food. During March, local<br />

authorities told reporters, 15 civilians were shot, stabbed or smothered to death in the<br />

crush of people fighting over food.“ 314 Am 17. April - die serbischen Einheiten<br />

standen bereits unmittelbar vor Srebrenica - unterzeichneten UNPROFOR und die<br />

Kommandanten der serbischen und moslemischen Einheiten vor Srebrenica ein<br />

Abkommen zur Demilitarisierung der Stadt. 315<br />

Was die folgende politisch-militärische Entwicklung betraf, sollte ein Mann die<br />

Ereignisse entscheidend beeinflussen. Dieser französische General, Philipe Morillon,<br />

sollte die UN durch sein persönliches Engagement im März 1993 in eine prekäre<br />

Zwangssituation bringen, die in der Folge bis zur endgültigen Eroberung Srebrenicas<br />

durch die Serben im Juli 1995 nicht zu überwinden sein sollte.<br />

Zurück zum Gang der Ereignisse ab März 1993: „Am 11. März, kurz bevor die<br />

Enklave Srebrenica in Ostbosnien an die Serben fiel, machte sich Morillon auf den<br />

Weg. (...) Am 12. März kam er in Srebrenica mit einem kleinen Sonderkommando<br />

von Blauhelmsoldaten an. Bei seiner Ankunft ließ die Bombardierung nach, aber<br />

jeder wußte, daß der Angriff erneut losgehen würde, sobald er weg wäre, und daß<br />

Srebrenica fallen würde. (...) Weniger <strong>als</strong> achtundvierzig Stunden nach seiner<br />

Ankunft in Srebrenica hatte Morillon einen Wandel durchgemacht. Er ersuchte nicht<br />

mehr darum, die Stadt zu verlassen; er wollte bleiben. Am 14. März betrat er, vom<br />

Mittagsschlaf erwacht, den Balkon des örtlichen Postamts, wo er untergebracht war,<br />

und sprach zu einer Menge, die sich draußen voller Angst und Hoffnung versammelt<br />

313 UNPROFOR. Internet: http://ralph.gmu.edu/cfpa/peace/unrpofor_un.html<br />

314 Fawn Vrazo, Enter a world of war, familiy, life and death. The Philadelphia Inquirer, April 14,<br />

1996. Internet: http://www.phillynews.com/packages/sreb/SREB14.html<br />

315 UNPROFOR. Internet: http://ralph.gmu.edu/cfpa/peace/unrpofor_un.html<br />

83


hatte.“ 316 (Im März 1993 waren insgesamt rund 40.000 Menschen in Srebrenica<br />

eingeschlossen) 317<br />

Was Morillon nun spontan sagte - „You are now under the protection of the UN<br />

forces“ - brachte die UN in eine unerwünschte Position, war die unauthorisierte<br />

Aussage des Gener<strong>als</strong> doch zwangsläufig mit der Notwendigkeit des militärischen<br />

und politischen Schutzes des Gebietes verbunden. Ein Faktum, das der<br />

Staatengemeinschaft in der Folge kaum mehr Handlungsspielraum lassen würde. 318<br />

Von seiner Biographie her ist Morillons Akt fast nachvollziehbar, hatte er <strong>als</strong><br />

routinierter Berufssoldat (angesichts der desparaten Lage der Bevölkerung, die ihn<br />

nicht wieder fahren lassen wollte) vermutlich in rein militärischen und humanitären<br />

Dimensionen gedacht und die politischen Folgen nicht einkalkuliert. Morillon war<br />

Algerienveteran. Sein Nordafrika-Einsatz hatte dem Absolventen der Militärakademie<br />

Saint-Cyr vier Tapferkeitsauszeichnungen und die Ernennung zum Komandeur der<br />

Ehrenlegion eingebracht. 1987 war Morillon General geworden. 319<br />

Durch Morillons Initiative war der UN-Sicherheitsrat unter Druck: Anfang April brachte<br />

der Sprecher der Blockfreien, Diego Arria aus Venezuela, einen Resolutionsentwurf<br />

im Sicherheitsrat ein, um Srebrenica zu einer Schutzzone zu erklären. Damit hätte<br />

die UN die Verpflichtung gehabt, die Stadt zu schützen. Großbritannien, Morillons<br />

Heimatland Frankreich und Rußland stellten sich gegen diesen Vorschlag. Arria:<br />

„General Morillon hatte sie in eine Zwickmühle gebracht:“ Großbritannien und<br />

Frankreich scheuten die Auseinandersetzung mit den Serben und die für sie<br />

eventuelle Verpflichtung zur UN-Truppenstellung. Rußland sah offenbar die<br />

Möglichkeit, den Serben politischen Rückhalt zu geben und sich selbst politisch ins<br />

Spiel zu bringen. So setzten sich die drei Staaten mit Resolution 819 inhaltlich durch:<br />

Es kommt nur zur Schaffung einer „Sicherheitszone“ statt einer „Schutzzone“, obwohl<br />

die Resolution „scharf formuliert“ war. 320<br />

„On 16 April, the Security Council (...) adopted resolution 819 (1993), in which it<br />

demanded that all parties treat Srebrenica and its surroundings as a ‚safe area‘<br />

which should be free from any armed attack or any other hostile act. It demanded the<br />

immediate withdrawal of Bosnian Serb paramilitary units from areas surrounding<br />

Srebrenica and the cessation or armed attacks against that town. The Council<br />

316 Maass, Die Sache mit dem Krieg. S. 236-237<br />

317 NEWS 51/94. S. 60<br />

318 „Bruderkrieg“. 3. Folge<br />

319 DER STANDARD, 15.3.1993. S. 24<br />

320 „Bruderkrieg“. 3. Folge<br />

84


equested the Secretary-General to take steps to increase the presence of<br />

UNPROFOR in Srebrenica and to arrange for the safe transfer of the ill and<br />

wounded, and demanded the unimpeded delivery of humanitarian assistance to all<br />

parts of Bosnia and Herzegovina, in particular to the civilian population in Srebrenica.<br />

(...) Following the adoption of the resolution, UNPROFORs Force Commander, the<br />

Commander of the Serb forces and the Commander of the Bosnian Muslim forces<br />

signed, on 17 April, an agreement for the demilitarization of Srebrenica. On 21 April,<br />

UNPROFOR’s Force Commander reported that 170 UNPROFOR troops, civilian<br />

police and military observers had been deployed in Srebrenica.“ Gleichzeitig sollten<br />

die UN-Einheiten in Bosnien um 7600 Mann verstärkt werden. Die UN betonte auch<br />

die Absicht, in und um die Schutzzonen Air Power zum Support von UNPROFOR-<br />

Verbänden einzusetzen. 321<br />

Als Vorbild für die Realisierung des Schutzzonen-Konzepts der UN sollten die<br />

sicheren Zufluchtsstätten für die Kurden im Nordirak nach dem Golfkrieg 1991<br />

dienen (dam<strong>als</strong> war die Idee vom britischen Premierminister John Major aufgebracht<br />

worden). 322 Der Plan, für die moslemische Bevölkerung Bosniens Schutzzonen<br />

einzurichten, war erstmalig im Winter 1992/93 von Cornelio Sommaruga, dem<br />

Präsidenten des Internationalen Kommitees des Roten Kreuzes in Genf, lanciert<br />

worden. 323<br />

Das UN-Schutzzonen-Konzept wurde in der Folge auf andere von den Serben<br />

belagerte bosnische Städte ausgedehnt. „As requested in resolution 824 (1993) of 6<br />

May, in which it declared that, in addition to Srebrenica, Sarajevo and other such<br />

threatened areas, in particular the towns of Tuzla, Zepa, Gorazde, Bihac and their<br />

surroundings, should be treated as safe areas by the parties concerned. The Council<br />

further declared that in those areas armed attacks must cease, all Bosnian Serb<br />

military or paramilitary units must withdraw and all parties must allow UNPROFOR<br />

and the international humanitarian agencies free and unimpeded access to all safe<br />

areas. It authorized the strengthening of UNPROFOR’s mandate by an additional 50<br />

military observers to monitor the humanitarian situation in those areas.“ 324<br />

321<br />

United Nations Protection Force/Background. Internet:<br />

http://ralph.gmu.edu/cfpa/peace/unprofor_un.html<br />

322 Vgl. Hans Benedict, Der Kalif von Bagdad. Saddam Husseins Kriege gegen die Welt und sein<br />

Volk (Wien 1991)<br />

323 Honig, Both, Srebrenica. S. 150-151<br />

324<br />

United Nations Protection Force/Background. Internet:<br />

http://ralph.gmu.edu/cfpa/peace/unprofor_un.html<br />

85


Am 4. Juni wurde durch UN-Resolution 836 (1993) das Mandat von UNPROFOR<br />

erweitert. Die Truppen waren jetzt autorisiert, die Sicherheitszonen militärisch zu<br />

sichern und in Selbstverteidigung das Feuer zu erwidern, den Waffenstillstand sowie<br />

den Rückzug von (para-)militärischen Einheiten zu überwachen sowie<br />

Schlüsselpunkte am Boden zu besetzen. „The Council authorized UNPROFOR,<br />

acting in self-defence, to take necessary measures, including the use of force, in<br />

reply to bombardements against the safe areas or to armed incursion into them or in<br />

the event of any deliberate obstruction to the freedom of movement of UNPROFOR<br />

or of protected humanitarian convoys. The Council <strong>als</strong>o decided that Member States,<br />

acting nationally or through regional arrangements, might take, under its authority, all<br />

necessary measures, through the use of air power, in and around the safe areas, to<br />

support UNPROFOR.“ 325<br />

Die Maßnahmen betreffend die Sicherung der Sicherheitszonen bedeuteten<br />

einerseits eine weitere Involvierung der UN in den Bodenkrieg in Bosnien,<br />

andererseits einen weiteren Mehrbedarf an Truppen zur Erfüllung des erteilten<br />

Mandats. In seiner Anfragebeantwortung an den Sicherheitsrat berichtete der UN-<br />

Gener<strong>als</strong>ekretär am 14. Juni, es sei aus seiner Sicht erforderlich, zusätzliche<br />

Truppen nach Bosnien zu verlegen und Luftunterstützung zur Verfügung zu stellen.<br />

Der UNPROFOR-Kommandant hatte 34.000 Mann für „deterrence through strenght“<br />

gefordert. Die vorgeschlagenen 7.600 Soldaten zusätzlich seien zahlenmäßig<br />

unzureichend für die Durchführung der gesetzten Aufgaben. Diese „light option“<br />

repräsentierte laut Boutros-Ghali einen „initial approach and had limited objectives. It<br />

assumed the consent and cooperation of the parties and provided a basic level of<br />

deterrence.“ 326<br />

Somit reagierten die Vereinten Nationen auf die Situation in Srebrenica im März 1993<br />

mit der formellen Proklamation von „Sicherheitszonen - Safe areas“, für deren<br />

Sicherheit die UN die Verantwortung übernahm - „in der optimistischen Annahme,<br />

Blauhelme würden von allen Streitparteien respektiert. (...) Die UNPROFOR-<br />

Einheiten waren, <strong>als</strong> ‚klassische‘ Blauhelmverbände, zur absoluten Unparteilichkeit<br />

verpflichtet und nur leicht bewaffnet; die Regeln für ‚peacekeeping forces‘ sahen dies<br />

vor, weil die Erfinder der Sache meinten, Selbstverteidigung würde allenfalls gegen<br />

kleine Gruppen von Wegelagerern erforderlich werden, nicht aber gegen eine richtige<br />

325<br />

United Nations Protection Force/Background. Internet:<br />

http://ralph.gmu.edu/cfpa/peace/unprofor_un.html<br />

326<br />

United Nations Protection Force/Background. Internet:<br />

http://ralph.gmu.edu/cfpa/peace/unprofor_un.html<br />

86


Armee...“ 327 Mag zwar der Kampfwert der serbischen Drina-Korps-Einheiten <strong>als</strong> -<br />

verglichen mit NATO-Einheiten - nicht besonders hoch eingeschätzt werden. Allein<br />

jedoch ihre Ausrüstung mit schweren Waffen machte sie für die UN-Einheiten - wie<br />

sich auch beim letzten serbischen Vormarsch im Juli 1995 zeigte - zu einem<br />

überlegenen potentiellen Gegner. Jedenfalls sollten sowohl die militärischen (die UN-<br />

Truppen mit Auftrag zum Schutz der Sicherheitszonen kamen zwischen die Fronten)<br />

<strong>als</strong> auch die politischen (Geiselnahme durch die Serben und Schuldzuweisungen<br />

wegen partieller Nicht-Erfüllung des Mandats durch die Moslems) die UN in der Folge<br />

in eine gleichsam permanente Krisensituation bringen.<br />

Was Morillon - der die UN in das „Schutzzonen-Dilemma“ gebracht hatte - anging,<br />

berichteten Pariser Zeitungen bald nach seiner Srebrenica-Intervention, daß er<br />

abgelöst werden sollte. „All das geschah zwei Wochen nach seiner nicht<br />

genehmigten Verteidigung Srebrenicas, und die offiziellen Gründe für seine<br />

Entlassung waren vage und unsinnig. Der wirkliche Grund war, wie jedermann<br />

wußte, daß Morillon die UN-Politik hintertrieben hatte...“ 328<br />

327 Heinrich Schneider, Die Europäische Union und Österreich vor der Regierungskonferenz.<br />

Überlegungen im Vorfeld sicherheitspolitischer Entscheidungen. Referat vor der Gesellschaft für<br />

Landesverteidigung und Sicherheitspolitik, 27.11.1995. In: Österreichische Gesellschaft für<br />

Landesverteidigung und Sicherheitspolitik 53 (Wien 1996) 15-16<br />

328 Maas, Die Sache mit dem Krieg. S. 238<br />

87


VI.III. Der moslemisch-kroatische Krieg 1993 - 94<br />

Seit Winter 1992/1993 hatten sich die Spannungen zwischen moslemischer und<br />

kroatischer Führung zusehends verschärft. Örtlich war es zwischen den vormaligen<br />

Verbündeten bereits seit 1992 zu Gefechten und Zusammenstößen - vor allem in<br />

Mittelbosnien - gekommen. Ab dem Frühjahr 1993 - <strong>als</strong> die Kroaten in Bosnien wie<br />

oben erwähnt einen Waffenstillstand mit den Serben schlossen - wuchs sich die<br />

Krise zu einer bewaffneten Konfrontation, für die Moslems zu einem Parallelkrieg zu<br />

jenem mit den Serben, aus.<br />

Auslösendes Moment dürfte die Tatsache gewesen sein, daß die Kroaten der<br />

Herzegowina, politisch und millitärisch unterstützt vom Mutterland, versuchten, alle<br />

ihnen im (nicht verwirklichten) Vance-Owen-Plan zugeschriebenen Gebiete<br />

einzunehmen. Die Moslems wiederum betrachteten es <strong>als</strong> ungerecht, daß die<br />

eigenen Gebietsverluste an die Serben nun durch eine überdurchschnittliche<br />

Gebietszuteilung an die Kroaten „kompensiert“ werden sollten und die radikalen<br />

bosnischen Kroaten mit Unterstützung Zagrebs versuchten, vor allem die<br />

Westherzegowina aus der staatlichen Struktur Bosniens herauszulösen. Die<br />

militärische Konfrontation nahm ihren Lauf und war durchaus überraschend.<br />

„Als die Kroaten angriffen (ab Frühjahr 1993, Anm.) und die bosnische Armee von<br />

der Außenversorgung abschnitten, überlebten die Bosnier durch Improvisieren.<br />

Wenn sich das Terrain dafür eignete, wurde Sprengstoff in Fässer gepackt, die man<br />

Richtung Feind den Hügel hinunterrollen ließ. Sie waren <strong>als</strong> Faßbomben bekannt.<br />

Wenn die Bosnier keine Granatenhülsen mehr hatten, stopften sie die Munition in<br />

Feuerlöscher. Sie verwandelten sogar Limonadendosen in Granaten.” 329<br />

Im Zuge des Krieges mit den Kroaten versuchten die Moslems verstärkt, die UN-<br />

Einheiten in Kämpfe gegen die Kroaten zu verwickeln. Gleichzeitig wurde unter<br />

Ausnutzung des Opfer-Images versucht, die UN zur Schaffung von Sicherheits- bzw.<br />

Pufferzonen zu bewegen, die mit UN-Truppen besetzt werden sollten, sowie NATO-<br />

Luftschläge herbeizuführen. Dies sollte nebst der Schwächung der Gegnerparteien -<br />

vor allem der Serben - in erster Linie das Ziel haben, unter Entblößung „geschützter“<br />

Abschnitte möglichst umfangreiche Verbände für den Fronteinsatz zur Verfügung zu<br />

haben. Vor dem noch zu skizzierenden NATO-Ultimatum an die Serben um Sarajevo<br />

Anfang 1994 gelang den Moslems die Stationierung von UN-Einheiten <strong>als</strong> Puffer im<br />

Sommer 1993 am Berg Igman bei Sarajevo: „In the summer of 1993, 250 soldiers of<br />

French Battalions 2 and 4 took up a position on Mount Igman between 4,000<br />

combatants from opposing camps.“ 330<br />

329 Ebenda. S. 297<br />

330 Katz, Debay, The Blue Helmets under fire. S. 40<br />

88


Die UN-Einheiten in Zentralbosnien antworteten auf Provokationen - so sie sich auf<br />

solche einließen - bereits 1993/94 zumeist entschlossen und massiv. “The 30mm<br />

Rarden gun (des britischen Warrior-Schützenpanzers, Anm.) made a memorable<br />

impression on the Croats who clashed with the British UN contingent during the<br />

Muslim-Croatian war of 1993. That was the era when the Warrior earned the ominous<br />

nickname ‘White death’.” 331 “The small Danish contingent developed a reputation for<br />

toughness in Bosnia by not opening dialogues with small local warlords, therby<br />

refusing to bestow on them an importance that wasn’t deserved. At each checkpoint,<br />

they made sure to point their .50 caliber machine guns directly at the militiamen. This<br />

political behaviour helped the Danes to gain respect.“ 332<br />

Als Folge der immer stärkeren Bedrohung und Involvierung der UN-Verbände in das<br />

Kampfgeschehen trafen im Winter 1993/94 zunehmend schwere Einheiten und<br />

Material in Bosnien ein. „Ten Leopard 1A5s arrived in Tuzla in March 1994... (...) The<br />

Serbs, understandably, were none too happy to see the deployment of the Leopard<br />

since it completely outclassed their T-55, and was more than a match for the M-84,<br />

the most modern tank in their inventory. (...) This Danish Leopard took part in the first<br />

action fought by NATO after 45 years of peace in Europe. Early in March 1994, three<br />

Danish Leopards rescued a Swedish SISU that had been hit by Serb fire. While the<br />

disabled vehicle was being rescued by a Bergepanzer, the Leopard provided cover<br />

fire with their machine guns.” 333<br />

Letztlich trug auch die Schwäche des HVO wesentlich zu den Erfolgen der Moslems<br />

im Winter 1993/94 bei. Disziplinlosigkeit, Führungsschwäche und zuletzt auch<br />

zahlenmäßige Unterlegenheit zeigten für das Oberkommando auch hier die<br />

Notwendigkeit einer Reorganisierungsphase auf. Der HVO dürfte zu diesem<br />

Zeitpunkt nicht stärker <strong>als</strong> 50.000 Mann gewesen sein, verfügte über rund 50 Panzer<br />

und konzentrierte seine Aktivitäten vorwiegend auf Zentralbosnien. Eine der<br />

maßgeblichsten Reorganisierungsmaßnahmen im Zuge des Krieges gegen die ABiH<br />

war wohl die laufende Zuführung von Brigadeteilen der Armee Kroatiens, die von der<br />

Küste weg ins Landesinnere, über den Raum Mostar bis Gornji Vakuf, zunehmend<br />

die Kontrolle zu übernehmen schien. Die Stärke der in Bosnien-Herzegowina<br />

operierenden Truppen aus Kroatien dürfte zumindest einige tausend Mann betragen<br />

haben. 334 Am 1. Februar 1994 erklärte der UN-Gener<strong>als</strong>ekretär in einem Bericht, <strong>als</strong><br />

331 Ebenda. S. 93<br />

332 Ebenda. S. 56-58<br />

333 Ebenda. S. 56-58<br />

334 ÖMZ 2/1994, S.173<br />

89


mutmaßliche Antwort auf jüngste erfolgreiche moslemische Offensiven würden sich<br />

zur Zeit geschätzt zwischen 3-5000 reguläre kroatische Soldaten in Bosnien<br />

aufhalten. Die HV versorge die bosnischen Kroaten mit Männern, Waffen und<br />

Ausrüstung. 335<br />

Doch nicht nur die Schwäche des HVO - dessen Einheiten ebenso wie die Moslems<br />

in Zentralbosnien zum Mittel der „ethnischen Säuberung” griffen 336 - war<br />

ausschlaggebend für den Vormarsch der moslemischen Einheiten vor allem in<br />

Zentralbosnien. Vor allem trugen Reorganisierungsmaßnahmen und eine straffere<br />

Führung, die nicht zuletzt durch personelle Veränderungen an der Führungsspitze<br />

herbeigeführt wurde, wesentlich zu einer effektiveren Kampfführung auf seiten der<br />

ABiH bei. Das Waffenembargo konnte offenbar eine hinreichende Versorgung der<br />

moslemischen Verbände mit leichter Infanteriebewaffnung nicht effektiv unterbinden,<br />

und in Teilbereichen wie Munition konnte auch eine bescheidene Eigenproduktion<br />

aufgebaut werden. Die in militärischen Verbänden organisierten und entsprechend<br />

ausgerüsteten muslimischen Soldaten dürften dennoch die Anzahl von rund 70.000<br />

bis maximal 100.000 trotz anderslautenden Meldungen nicht überschritten haben. 337<br />

Insbesondere aber war mit den militärischen Erfolgen auf moslemischer Seite leichter<br />

Optimismus aufgekommen. Vizepräsident Ejup Ganic hatte bereits im August 1993<br />

seine Landsleute zum Weiterkämpfen aufgefordert: „Wir müssen nur noch ein Jahr<br />

durchhalten, dann haben wir gewonnen.” 338<br />

Nicht nur in Bosnien, auch im Anfang 1992 nur partiell befriedeten Kroatien hatte sich<br />

die Lage im Laufe des Jahres 1993 drastisch verschärft: Das Jahr war von schweren<br />

Kämpfen zwischen der kroatischen Armee und den Krajina-Serben geprägt. Die<br />

Kämpfe eskalierten im September 1993, <strong>als</strong> es um die Kontrolle der für Dalmatien<br />

strategisch so wichtigen Maslenica-Brücke, den Flughafen von Zadar und den<br />

Peruca-Staudamm nördlich von Split ging. Nach schweren Kämpfen war es der<br />

kroatischen Armee gelungen, die drei Ziele unter ihre Kontrolle zu bringen - drei<br />

besetzte Dörfer in der Krajina mußte sie aber wieder räumen. Sie wurde nominell in<br />

die Obhut der UNPROFOR-Truppen übergeben - de facto kam dies einer Rückgabe<br />

335 UNPROFOR. Internet: http://ralph.gmu.edu/cfpa/peace/unrpofor_un.html<br />

336 Noel Malcolm, Appease with dishonor. The truth about the Balkans. In: Foreign Affairs,<br />

November/December 1995. S.149<br />

337 ÖMZ 2/1994. S. 172<br />

338 Wirtschaftswoche 34/1993. S. 12<br />

90


an die Krajina-Serben gleich. 339 Auch die anderen kroatischen Operationen verliefen<br />

weitgehend nicht planmäßig. “The Medak offensive, launched on 9 September, <strong>als</strong>o<br />

achieved complete initial suprise, but failed to generate any follow on success.<br />

Though the Croatian command won’t admit it today, their original plan seems to have<br />

been to blitz all the way to the Krajina capital of Knin, via Gracac, in an attempt to<br />

recreate effects similar to those of the large-scale cavalry raids of the American Civil<br />

War.” 340<br />

War die HV in der kroatischen Krajina im Verlauf der Kampfhandlungen 1993 wieder<br />

in ihre Ausgangsstellungen zurückgeworfen worden, setzten die Moslems während<br />

der Auseinandersetzung mit den Kroaten - wie oben beschrieben - vor allem auf die<br />

Option eines „Stellvertreterkrieges“. „In this campaign the Muslims have consistently<br />

tried to use the United Nations and NATO (with the atendant safe areas, no-fly<br />

zones, exclusion zones, and demilitarized zones) as a shield, allowing themselves to<br />

weaken their forces in one area - depending on the United Nations or the<br />

international community to protect it - while concentrating their forces elsewhere. In<br />

the winter of 1993-94 the Sarajevo government stripped the capital’s defenses to<br />

release troops to fight against the Croats in central Bosnia, counting on their public<br />

diplomacy efforts to manage the risk to Sarajevo. It was a near-run thing, but in the<br />

end the city was protected by the threat of NATO air strikes and the imposition of a<br />

heavy-weapons exclusion zone.” 341<br />

Am 5. Februar 1994 tötete eine Granate in Sarajevo 68 Menschen. 342 Angeblich<br />

wurde die Granate aus serbischen Stellungen um die Stadt abgefeuert, die NATO<br />

sprach ein Ultimatum an die Serben aus: „Die Wangen eingefallen, die Haut fast<br />

durchsichtig, abgemagert im schlotternden Zweireiher - schwer vom Krebs<br />

gezeichnet, erklärt NATO-Gener<strong>als</strong>ekretär Manfred Wörner in Brüssel, daß die<br />

westliche Allianz fest entschlossen sei, die serbischen Belagerer von Sarajevo<br />

wegzubomben, sollten diese nicht ihre schweren Waffen zurückziehen. Wörners<br />

Drohung wird ernstgenommen: Die Serben ziehen innerhalb von 48 Stunden im<br />

schweren Schneegestöber mehr <strong>als</strong> 500 Artilleriegeschütze, Panzer und<br />

Raketenwerfer von den Bergen in eine 20-Kilometer-Zone um Sarajevo zurück. Mehr<br />

339 KURIER, 4.5.1995. S. 5<br />

340 Command Magazine Issue 37 May 1996. S. 57<br />

341 Charles G. Boyd, Making peace with the guilty. The truth about Bosnia. In: Foreign Affairs<br />

September/October 1995. 31<br />

342 PROFIL 48/1995. S. 70<br />

91


<strong>als</strong> 250 schwere Geschütze werden unter UN-Aufsicht gestellt. Erstm<strong>als</strong> funktioniert<br />

eine Drohung, weil die NATO von sich aus handelt, nicht die zaudernde UNO um Rat<br />

fragte.“ 343 Als Gegenleistung an die Serben wurde im Rahmen der ersten russischen<br />

UN-Mission 344 ein 900 Mann starkes russisches UN-Kontingent an der<br />

Konfrontationslinie stationiert.<br />

Bereits vor den Ereignissen im Raum Sarajevo war die militärische Entscheidung im<br />

moslemisch-kroatischen Krieg zugunsten der ABiH gefallen. Sefer Halilovic, vorm<strong>als</strong><br />

Gener<strong>als</strong>tabschef der ABiH dazu: „In 1993 and the beginning of 1994 the Bosnian<br />

army could have marched through the Herzegovina to the Adriatc sea militarily (to<br />

Ploce and Mostar, Capljina, Stolac and Neum) if they would have been allowed by<br />

the Bosnian government. The government stopped the army. The US would not have<br />

told the ABiH to stop their offensive towards the Adriatic sea.“ 345<br />

Am 23. Februar 1994 unterzeichneten die bosnische Regierung, deren Truppen sich<br />

gegenüber den Kroaten nach wie vor in der Offensive befanden, und die weitgehend<br />

geschlagenen bosnischen Kroaten unter Druck der USA ein<br />

Waffenstillstandsabkommen. 346<br />

“The Bosnian-Croat military alliance (...) has been for the large part motivated by<br />

opportunism and necessity on both sides rather than willing cooperation and is built<br />

on the shaky foundations of the US sponsored agreement of 1 March 1994 which<br />

created a Federation of Bosnia and Herzegovina. The Washington accord was<br />

signed under intense pressure from the USA and since then there has been little<br />

perceptible progress towards political integration of the Bosnian and Croat parts of<br />

the Federation.” 347 Die Konsolidierung des kroatisch-bosnischen Bündnisses sowie<br />

die drohende Bindung der Föderation an Kroatien und den Westen setzte die Serben<br />

unter Zugzwang, <strong>als</strong> es galt, den serbischen Machtbereich in Bosnien zu<br />

konsolidieren und auf Dauer abzusichern. Die Ansätze eines Zusammenwirkens der<br />

kroatisch-bosnischen Streitkräfte gegen serbische Verbände in Zentral- und<br />

Nordbosnien zwang die Serben, ebenfalls noch vor einer Übereinkunft über<br />

dauerhafte Grenzen in Bosnien-Herzegowina den Krieg zu beenden. Die Bosnier<br />

versuchten nach der Unterzeichnung des Föderationsvertrages mit den Kroaten mit<br />

343 NEWS 51/94. S. 62<br />

344 Katz, Debay, The Blue Helmets under fire. S. 35<br />

345 Gespräch mit Sefer Halilovic<br />

346 UNPROFOR. Internet: http://ralph.gmu.edu/cfpa/peace/unrpofor_un.html<br />

347 Mladen Klemencic, Clive Schofield, After the storm. Future challenges for Croatia. In: Jane’s<br />

Intelligence Review December 1995. S. 543<br />

92


allen Mitteln, ein zusammenhängendes Territorium zu schaffen, um so dem künftigen<br />

bosnischen Gemeinwesen bessere Überlebenschancen einzuräumen. Die<br />

Entlastung an der Front gegenüber den Kroaten ermöglichte es, in Ost- und<br />

Nordbosnien gegenüber den Serben wieder offensiv zu werden. Wesentliches<br />

Kennzeichen der bosnischen Strategie war der oben skizzierte verstärkte Versuch,<br />

die Staatengemeinschaft, vorwiegend die NATO, weiterhin auf ihrer Seite in den<br />

Konflikt mit den Serben zu involvieren. Bewußte Übertreibungen über das Los der<br />

bosnischen Verteidiger in den Enklaven, Provokationen der Serben und größere<br />

Offensivoperationen zur sukzessiven Rückgewinnung von an die bosnischen Serben<br />

verlorenen Gebieten prägten das Bild der Lage. Örtliche Erfolge der bosnischen<br />

Armee, insbesondere in Zentralbosnien, steigerte die Hoffnung der bosnischen<br />

Führung, ihre aktuellen Zielsetzungen mit Waffengewalt erreichen zu können.<br />

Präsident Izetbegovic stellte daher die Fortsetzung des Krieges in Aussicht, da die<br />

Serben und die Staatengemeinschaft nicht bereit waren, der moslemisch-kroatischen<br />

Föderation die von ihr geforderten 58 Prozent des Territoriums zuzuerkennen. 348<br />

Immerhin brachte die grundsätzliche Einigung zwischen Kroaten und Moslems<br />

zumindest an der Oberfläche „das Ende der regionalen serbisch-kroatischen<br />

Kooperation und eine gemeinsame Ausrichtung kroatischer und moslemischer<br />

Verbände gegenüber der serbischen Armee.” 349<br />

Was die Serben betraf, so hatte die VRS aus dem moslemisch-kroatischen Konflikt<br />

bis zum Frühjahr 1994 trotz nach wie vor massiver und augenscheinlicher<br />

Unterstützung mit Soldaten und Material durch das Mutterland kaum Kapital<br />

schlagen können. Vor allem Disziplinlosigkeit und die daraus resultierende<br />

Kampfkraftabnahme machten den serbischen Verbänden zusehends schwer zu<br />

schaffen. Verschärfte Strafmaßnahmen sollten der zunehmenden Disziplinlosigkeit<br />

unter den serbischen Verbänden Einhalt gebieten. Zu diesem Zeitpunkt verfügte die<br />

Armee über rund 80.000 Mann mit über 300 Kampfpanzern, über 400 gepanzerten<br />

Mannschaftswagen und mehr <strong>als</strong> 800 Geschützen. 350<br />

Um die Disziplinlosigkeit der Truppe unter Kontrolle zu bringen, waren die Strafen für<br />

serbische Deserteure bereits 1993 drakonisch gewesen: “Conscientious objectors<br />

may have been among 1.000 deserters reported to have been sentenced to<br />

suspended prison sentences, or up to five years imprisonment, by the Bosnian Serb<br />

348 ÖMZ 4/1994. S. 394<br />

349 Gustenau, Pfeifer, Bosnien-Herzegowina. In: Gießmann, Schlichting (Hg.), Handbuch Sicherheit. S.<br />

81<br />

350 ÖMZ 2/1994. S. 173<br />

93


military court in Banja Luka between January and August.“ 351 Unter anderem wegen<br />

der geringen Mannschaftsstärke war die VRS weiterhin auf die Unterstützung durch<br />

das serbische Mutterland angewiesen. „Bis August 1994 kamen weiter Soldaten der<br />

Jugoslawischen Armee und Sondermiliz am hellichten Tag über die Grenze von der<br />

Bundesrepublik Jugoslawien. Einige serbische Truppen, die in Kroatien in Bosnien<br />

operierten, wurden weiterhin von Belgrad besoldet; das galt auch für viele Renten.<br />

Auch Spezialwaffen und Munition wurden über die Grenze geschafft, um die<br />

bestehenden großen Reserven und die Herstellungskapazität zu ergänzen. General<br />

Mladic stand in ständigem Kontakt mit dem Hauptquartier der Jugoslawischen Armee<br />

in der Bundesrepublik Jugoslawien und blieb auch den kroatisch-serbischen Truppen<br />

verbunden die er 1991 offiziell befehligt hatte. Nach dem August 1994 waren die<br />

militärischen Verbindungen zur Bundesrepublik Jugoslawien verdeckter, und der<br />

Nachschub an Soldaten und Material weitaus unbedeutender, dennoch mangelte es<br />

bosnisch-serbischen und kroatisch-serbischen Generälen niem<strong>als</strong> an wichtiger<br />

Ausrüstung. Es waren Männer, an denen es fehlte.” 352<br />

Gleichzeitig wuchs die bosnische Armee - nunmehr durch den Krieg gegen die<br />

Kroaten kampfkraftgestärkt - bis zum Frühjahr 1994 zumindest zahlenmäßig zu einer<br />

Streitmacht, die den Serben überlegen war. „Die militärische Lage der Moslems hat<br />

sich entscheidend verbessert. (...) Trotz des Waffenembargos ist es den Moslems<br />

unter ihrer neuen, härteren Führung gelungen, schwere Waffen zu erhalten und aus<br />

einer abgerissenen Miliz eine organisierte 200.000-Mann-Armee zu machen.” 353 Vor<br />

allem aber waren die Moslems schon 1993 im Zweifrontenkrieg fähig gewesen und<br />

„entschlossen weiterzukämpfen. Und sie sind auch in der Lage dazu.” 354 Schien sich<br />

doch gerade während der harten Auseinandersetzungen mit Serben und Kroaten der<br />

Ausspruch Izetbegovics, es komme in diesem Kampf nicht darauf an, „wer am<br />

meisten zerstören, sondern wer am längsten durchhalten kann“, zu bewahrheiten. 355<br />

In der Folge war es den Moslems für viele überraschend in einer Situation höchster<br />

militärischer Bedrängnis bis zum Frühjahr 1994 gelungen, die Lage - noch<br />

weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit - zu ihrem Vorteil zu wenden. 356<br />

351 Amnesty International Publications (Hg.), Amnesty International Report 1994 (London 1994) S. 78<br />

352 David Owen, Balkan-Odysee. Deutsche Ausgabe (München-Wien 1996) 470<br />

353 H. Rauscher in Wirtschaftswoche 5/1994. S. 11<br />

354 H. Rauscher in Wirtschaftswoche 49/1993. S. 13<br />

355 DER STANDARD, 23.9.1995. S. 26<br />

356 Wirtschaftswoche 5/1994. S. 12<br />

94


Wesentlich zum Ansatz einer Wende im Krieg trug die zunehmende, vorerst noch<br />

„schleichende“ Involvierung der NATO auf dem bosnischen Kriegsschauplatz gegen<br />

die VRS bei - etwa bei Gorazde Anfang April 1994: Obwohl US-Gener<strong>als</strong>tabschef<br />

John Shalikashvili noch am 5.4. einen Einsatz von NATO-Luftstreitkräften bei<br />

Gorazde für unzweckmäßig hielt, kam es am 10.4. gegen 19.00 Uhr zum Einsatz von<br />

zwei amerikanischen F-16C-Kampfflugzeugen, die drei Bomben des Typs Mark 85<br />

über serbischen Stellungen abwarfen. Der Schaden, den die drei ungelenkten<br />

Bomben anrichteten, war eher gering. Angesichts der Fortsetzung der serbischen<br />

Angriffe auf die Stadt flogen am 11.4. neuerlich zwei F/A-18 Angriffe auf serbische<br />

Stellungen. Nach Angaben des Oberkommandierenden der UNPROFOR in Bosnien-<br />

Herzegowina, Generalleutnant Sir Michael Rose, waren beide Angriffe ausschließlich<br />

zur Selbstverteidigung der UNPROFOR in Gorazde gedacht und sollten nicht die<br />

Schwächung einer Kriegspartei - der Serben - bezwecken. 357 Gekennzeichnet waren<br />

die Kämpfe um Gorazde im April auch dadurch, daß gemäß serbischen und<br />

unbestätigten Meldungen zufolge auch jugoslawische Verbände mit voller Wucht<br />

eingriffen. 358 Eine aus Jugoslawien verlegte Panzerbrigade unterstützte mit drei<br />

Batterien schwerer Artillerie die nur eine Batterie starke schwere bosnisch-serbische<br />

Artillerie, die <strong>als</strong> Hauptangriffskraft gegen Gorazde - die letzte moslemisch gehaltene<br />

Schlüsselstadt an der Drina (Vorkriegsbevölkerung über 70 Prozent moslemisch) 359 -<br />

eingesetzt war. „Aber schon am 5.4., <strong>als</strong> der serbische Vormarsch im Norden der<br />

Sicherheitszone an einem Höhenzug (...) steckengeblieben war, gelang es dieser<br />

jugoslawischen Einheit, die serbisch-muslimischen Frontlinien in nordwestlicher<br />

Richtung entscheidend zu verschieben, so daß die südliche Verteidigungslinie von<br />

Gorazde nach dem 5.4. durchbrochen werden konnte, während den Armeekorps der<br />

bosnischen Serben erst inzwischen dem 9. und 12. April entscheidende<br />

Gebietseroberungen gelangen. (...) Beim NATO-Luftangriff auf die Serben April 1994<br />

wurden nicht lasergeführte, sondern „normale” Bomben vom Typ Mk-82 (die oben<br />

herangezogene Quelle spricht von Mk-85) benutzt, die mit 225 kg zu den kleinsten<br />

Kalibern der NATO gehören und jenem serbischen Kaliber gleichen, das die<br />

jugoslawische Armee Ende 1991 benutzte, um in Zagreb den Präsidentenpalast zu<br />

zerstören - auch dort ohne größeren Schaden anzurichten. In diesem Fall gehörte zu<br />

den Zielen der NATO ein serbischer Panzer, der von Vitkovici her direkt in die<br />

Vororte von Gorazde schoß. Doch statt ihn zu treffen bombardierte man einige<br />

serbische Zelte - und das zwei Wochen nach Beginn der militärischen<br />

357 ÖMZ 4/1994. S. 391<br />

358 ÖMZ 4/1994. S. 395<br />

359 Ethnische Verteilung in Bosnien gemäß Volkszählung von 1991. Internet: http://www.helsinki.fi/-<br />

tervio/bihdata.html<br />

95


Vorbereitungen bei Prijepolje, <strong>als</strong>o auf serbischem Staatsgebiet.” 360 Trotz des eher<br />

demonstrativen Charakters der NATO-Angriffe mit ungelenkten Bomben ist aus Sicht<br />

des Autors nicht auszuschließen, daß sich die Allianz gerade wegen des Wissens<br />

um die Involvierung von Verbänden der JS <strong>als</strong> „Mahnung“ zu Luftangriffen überhaupt<br />

entschlossen hatte.<br />

Die Jugoslawische Armee hatte trotz des internationalen Wirtschaftsembargos - das<br />

vielfach unterwandert wurde - zu diesem Zeitpunkt nach wie vor ausreichende<br />

Ressourcen, um die VRS in Bosnien zu unterstützen. Stellte sie doch noch immer die<br />

stärkste Streitmacht im ehemaligen Jugoslawien und konnte sich 1994 auf 639<br />

Kampfpanzer, davon 407 T-54/-55, etwa 232 M-84 (T-74, modifiziert T-72) und 517<br />

Kampfschützenpanzer M-80 sowie 112 gepanzerte Mannschaftstransportfahrzeuge<br />

stützen. 361 Von dieser Übermacht auf konventionellen Sektor profitierten auch die<br />

bosnischen Serben. „Die Unterstützung der Serben westlich der Drina bezieht sich<br />

insbesondere auf logistische und Führungsmaßnahmen, inklusive des Einsatzes von<br />

Führungskadern und Spezialverbänden.“ 362 Wie weitgehend die Verflechtung<br />

zwischen jugoslawischer und bosnisch-serbischer Armee war, zeigt etwa die<br />

Tatsache, daß beim - mittlerweile verstorbenen - VRS-Oberst Djordje Djukic, vorm<strong>als</strong><br />

Logistikchef der VRS, bei seiner Verhaftung 1996 Ausweispapiere der<br />

Jugoslawischen Armee gefunden wurden. 363<br />

360 Hans-Peter Rullmann (Hg.), Ost-Dienst. Südosteuropa-Dienst. Serbien direkt am Krieg in<br />

Bosnien beteiligt: Der “Fall Gorazde” (Hamburg, April 1994) 28-29<br />

361 Gustenau, Pfeifer, Bundesrepublik Jugoslawien (FRJ). In: Gießmann, Schlichting (Hg.), Handbuch<br />

Sicherheit. S.109<br />

362 Ebenda. S.155<br />

363 Honig, Both, Srebrenica. S. 255<br />

96


VI.IV. Die militärische Entwicklung ab Frühjahr 1994<br />

Bis in das Frühjahr 1994 hatten die bosnisch-serbischen Streitkräfte mit Hilfe der JS<br />

im Rahmen einer offensiven Kriegführung, „die allerdings an der Grenze zum<br />

subkonventionellen Niveau anzusiedeln war“ 364 , 70 Prozent des Territoriums von<br />

Bosnien-Herzegowina erobern können. „Seit dem Erreichen des<br />

Kräftegleichgewichts in Bosnien-Herzegowina und der Erfüllung nahezu aller<br />

Kriegsziele der SR ist die Armee der SR zunehmend mit Verteidigungsaufgaben<br />

betraut.” 365 Seit dem Frühjahr 1994 war es somit Aufgabe der sieben Korps der<br />

bosnisch-serbischen Armee „im Rahmen einer reaktiven Defensivstrategie die<br />

eroberten Territorien zu halten und örtlich die Positionen im Rahmen räumlich<br />

begrenzter Offensiven zu verbessern.” 366<br />

1994 war zwar die Armee der bosnischen Serben nach wie vor die am besten<br />

ausgerüstete Armee der Kriegsparteien, wobei der größte Teil der schweren Waffen<br />

aus Beständen der JNA stammte. Darüber hinaus fungierte generell die<br />

jugoslawische Rüstungsindustrie <strong>als</strong> Hauptlieferant der Armee der bosnischen<br />

Serben. In die Rüstungsindustrie der RJ sind auch sieben Produktionsstätten auf<br />

dem Gebiet der Serbischen Republik Bosnien-Herzegowina arbeitsteilig integriert.<br />

Meldungen zufolge deckte die FRJ den Bedarf an Benzin und Kerosin für die VRS<br />

zur Gänze und lieferte Spezialersatzteile für die Waffensysteme. 367<br />

Trotz der weitgehenden Vernetzung aller serbischen Streitkräfte und der<br />

überlegenen Feuerkraft war die militärische Lage zu Jahresmitte 1994 für die<br />

Föderation stabil. Die ABiH konnte - trotz nach wie vor beträchtlicher Mängel in der<br />

Kampfführung - zusehends ihre Überlegenheit betreffend Truppenstärke gegenüber<br />

der VRS ins Treffen führen. „Aufgrund der Lageentwicklung bis in den Sommer 1994<br />

schien es, <strong>als</strong> könnten die Verbände der SR an keiner der Fronten eine<br />

entscheidende Offensive gegen die Truppen der Föderation durchführen. Aus Sicht<br />

der bosnischen Armeeführung wurde der Wendepunkt zugunsten der bosnischen<br />

Seite überschritten. Seither konnten, nach der Konsolidierung der Streitkräfte der<br />

Föderation, keine entscheidenden Geländegewinne mehr erreicht werden, vielmehr<br />

364 Gustenau, Pfeifer, Bosnien-Herzegowina. In: Gießmann, Schlichting (Hg.), Handbuch Sicherheit.<br />

S. 77<br />

365 Ebenda. S. 77<br />

366 Ebenda. S. 78<br />

367 Ebenda. S. 75<br />

97


kamen die serbischen Verbände an nahezu allen Fronten zunehmend unter<br />

Druck.” 368 „Der moslemisch dominierte Teil der Armee von Bosnien-Herzegowina<br />

entwickelte sich trotz alle Defizite im Rüstungsbereich zu einer zunehmend erprobten<br />

infanteristischen Truppe, die zwar in sieben Armeekorps gegliedert ist, den Kampf<br />

der verbundenen Waffen jedoch lediglich bis in den Bataillonsrahmen zu führen in<br />

der Lage ist.” 369<br />

Somit war zu Jahresmitte 1994 klar, daß keine der Konfliktparteien in der Lage war,<br />

einen entscheidenden Schlag gegen den Gegner zu führen. Allerdings war auch<br />

nicht zu übersehen, daß die bosnische Armeeführung und zum Teil auch die<br />

politischen Führer wie Izetbegovic und Silajdzic zunehmend auf eine militärische<br />

Lösung setzten, sollten ihre politisch-strategischen Ziele von der<br />

Staatengemeinschaft nicht eingelöst werden. Der Oberbefehlshaber der bosnischen<br />

Armee, Rasim Delic, erklärte am 27.6., daß nun die Phase des Befreiungskrieges<br />

begonnen hätte und die ABiH stark genug sei, die Serben zurükzudrängen. 370 Die<br />

bosnische Armee versuchte zunehmend, die Initiative an sich zu reißen. Im Bereich<br />

des Vlasic-Massivs nördlich von Travnik in Zentralbosnien versuchten die<br />

Regierungstruppen zu diesem Zeitpunkt die serbischen Linien zu durchbrechen. Das<br />

in dieser Region operierende neugebildete VII. Korps soll bis Ende Juni bereits über<br />

160 Quadratkilometer von den Serben zurückerobert haben. 371 Auch rief die Führung<br />

der bosnischen Armee - Um die Anzahl an Frontsoldaten zu erhöhen - im August<br />

1994 Frauen auf, freiwillig in den Dienst der Armee zu treten (primär Sanitäts- und<br />

Nachschubdienst), um mehr Soldaten für die Front freimachen zu können. 372<br />

Am kroatischen Kriegsschauplatz war das Jahr 1994 aufgrund eines ebenfalls<br />

weitgehend hergestellten militärischen Patts von gespannter Ruhe dominiert. Zwar<br />

konnte man bei der HV von bereits mindestens 171 Kampfpanzern (davon 150 T-54<br />

und 21 M-84) sowie 83 Kampfschützenpanzern und 380 gepanzerten<br />

Mannschaftstransportern ausgehen 373 - dennoch verfügte die HV im Sommer 1994<br />

noch „über keine ausreichenden operativen Offensivkapazitäten, um einen<br />

368 Ebenda. S. 76<br />

369 Ebenda. S. 78<br />

370 ÖMZ 5/1994. S. 511; nach APA 061 vom 27.6.1994<br />

371 Ebenda. S. 511<br />

372 Gustenau, Pfeifer, Bosnien-Herzegowina. In: Gießmann, Schlichting (Hg.), Handbuch Sicherheit. S.<br />

72<br />

373 Ebenda. S.153<br />

98


entscheidenden Schlag gegen die serbischen Kräfte zu führen.” 374 Augenscheinlich<br />

war jedenfalls, daß sich Ausrüstung, Ausbildungsstand und damit Kampfkraft der<br />

kroatischen Armee sukzessive verstärkt hatten.<br />

In Bosnien wurden die Gefechte zwischen serbischen und bosnischen Truppen<br />

ungeachtet diverser Waffenstillstandsabkommen spätestens seit Mitte August mit<br />

wechselnder Intensität fortgesetzt. In die Kämpfe griff nun auch die NATO verstärkt<br />

ein. So erfolgte ein Vergeltungsangriff von NATO-Flugzeugen auf serbische Ziele um<br />

Sarajevo Anfang August: “NATO aircraft attacked a target within the Sarajevo<br />

Exclusion Zone this afternoon at the request of the United Nations Protection Force.<br />

The strikes were ordered following agreement between NATO and UNPROFOR,<br />

after weapons were seized by Bosnian Serbs from a weapons collection site near<br />

Sarajevo early this morning. NATO and UN military offici<strong>als</strong> are assessing the results<br />

of the air strikes. Under the Exclusion zone established by the North Atlantic Council,<br />

uncontrolled heavy weapons remaining in a 20 kilometer zone around Sarajevo after<br />

21 February are subject to NATO air strikes.” 375<br />

Wenige Tage später äußerte US-Präsident Clinton die Ansicht, „daß das<br />

Waffenembargo ungerechterweise und unabsichtlich das Opfer in diesem Konflikt<br />

bestraft hat und daß der Sicherheitsrat handeln sollte, um diese Ungerechtigkeit zu<br />

beseitigen.” 376 Bedingt vor allem durch die härtere Linie der Clinton-Administration<br />

schien sich die NATO (bereits ab Anfang 1993, spätestens aber seit Ende 1994) im<br />

Rahmen einer „schleichenden Intervention“ zunehmend auf dem bosnischen<br />

Kriegsschauplatz gegen die Serben zu engagieren.<br />

Trotz der Aussage Clintons und ihrer jüngsten militärischen Erfolge konnte die<br />

Situation für die bosnischen Moslems im Sommer 1994 <strong>als</strong> ambivalent bezeichnet<br />

werden: Die einer Aufhebung des Embargos vermutlich folgende weitere Eskalation<br />

der Kämpfe, vor allem die damit verbundene Aufgabe des unparteiischen<br />

Standpunktes der UNPROFOR, hätte eine Fortführung des UNPROFOR-Einsatzes<br />

verunmöglicht, wie dies von serbischer Seite ja mehrfach angekündigt und in<br />

Teilbereichen laufend in die Realität umgesetzt wurde. Damit wäre aber der<br />

militärische Schutz und die Versorgung der bosnischen Bevölkerung in weiten Teilen<br />

des Landes nicht mehr gewährleistet gewesen, was angesichts des kommenden<br />

374 Ebenda. S.159<br />

375 NATO press release (94) 64: NATO AIRCRAFT CONDUCT AIR STRIKES AT REQUEST OF<br />

UNPROFOR, 5. August 1994. Internet: gopher://marvin.nc3a.nato.int/00/yugo/pr64.94%09%09%2B<br />

376 Brief des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton vom 10. August 1994 an Senator Sam Nunn<br />

über eine mögliche Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien-Herzegegowina<br />

99


Winters katstrophale humanitäre Auswirkungen gerade auf die moslemische<br />

Bevölkerung gehabt hätte. 377<br />

Ende des Sommers gerieten die Serben militärisch zusehends in die Defensive,<br />

Offensiven schlugen fehl, die Kampfmoral schien beträchtlich abzunehmen,<br />

„Präsident“ Karadzic proklamierte die Generalmobilmachung: “The announcement<br />

made by Karadzic in September on general mobilisation (which means the<br />

cancellation of leave for conscripts between their periods of active duty) contains<br />

elements which indicate that the Army of the SR are strategically preparing for<br />

pessimistic case because they do not wish to to be caught unprepared after the arms<br />

embargo is lifted. (...) The latest military actions around Konjic (where the Serbs lost<br />

100 square-km of territory) and Bihac indicate that the Serbian armies no longer<br />

possess their former strength and are facing increasing resistance from the Bosnian<br />

Army. The operations at the beginning of September codenamed ‘Breza’ and<br />

‘Prsten’, that were intended to defeat the 5th corps of the Bosnian Army, involved five<br />

brigades from the SR and one brigade from the SRK. Although the forces were under<br />

the command of Gener<strong>als</strong> Ratko Maldic and Momir Talic, the attack was<br />

nevertheless entirely unsucessful.” 378 Im Gegenzug war es der bosnischen Armee im<br />

September gelungen, Abdics Truppen aus dem Bihac-Pocket (wo die Moslems 1991<br />

mit 66,6 Prozent vor den Serben die klare Bevölkerungsmehrheit gestellt hatten) 379<br />

zu schlagen und in die Krajina zu treiben. Mit den 8000 Milizionären flüchteten etwa<br />

22.000 muslimische Abdic-Anhänger aus Furcht vor der Rache der<br />

Regierungssoldaten (doch schon Anfang Dezember 1994 sollten Abdic und seine<br />

Milizionäre mit Hilfe der Truppen der bosnischen und kroatischen Serben in ihren<br />

„Staat“ und ihre „Hauptstadt“ Velika Kladusa zurückkehren). 380<br />

Der Wegfall der Front zu den Kroaten hatte es der bosnischen Armee im<br />

Spätsommer erlaubt, Truppen sowohl für die Auseinandersetzungen mit den Serben<br />

in Nord- und Zentralbosnien <strong>als</strong> auch zur Beendigung der Sezession der<br />

sogenannten „Kacinska Krajina” freizumachen. 381 Die Verlegung von Kräften der<br />

bosnischen Armee von der ehemaligen Zentralbosnienfront gegen die Kroaten in die<br />

377 ÖMZ 1/1995. S. 59<br />

378<br />

Zabkar, The drama in former Yugoslavia. In: Schriftenreihe der<br />

Landesverteidigungsakademie/National Defence Academy Series 3/1995. S. 7<br />

379 Ethnische Verteilung in Bosnien gemäß Volkszählung von 1991. Internet: http://www.helsinki.fi/-<br />

tervio/bihdata.html<br />

380 Roland Schönfeld, Auf dem Wege nach Dayton. In: Südosteuropa-Gesellschaft e.V. (Hg.),<br />

Südosteuropa Mitteilungen. 99<br />

381 ÖMZ 6/1994. S. 636<br />

100


Region hatte seit September verstärkte Angriffstätigkeit serbischer Verbände von<br />

Osten und Westen auf die Enklave Bihac zur Folge. In Zentralbosnien konnten<br />

gegenüber den Serben nur kleinräumige Erfolge verzeichnet werden, insgesamt<br />

zeichnete sich aber ab, daß die Serben aufgrund der angespannten<br />

Versorgungslage nur mehr bedingt in der Lage waren, auf die bosnischen Offensiven<br />

ausreichend rasch durch die Verlegung von Verbänden, schweren Waffen und<br />

Munition zu reagieren. Allgemein wurde nach der Ablehnung des Friedensplanes der<br />

Kontaktgruppe mit weiteren Waffengängen gerechnet. Das härtere Vorgehen der<br />

UNPROFOR und der NATO gegen serbische Stellungen <strong>als</strong> Antwort auf<br />

zunehmende serbische Provokationen und Übergriffe - die nächsten NATO-<br />

Luftangriffe, auf die unten einzugehen sein wird, erfolgten am 22.9. - veranlaßte<br />

Mladic am 23.9., Vergeltungsmaßnahmen gegen die „Besatzungstruppe”<br />

anzukündigen. 382<br />

Im Zuge der Eskalation der Kampfhandlungen in Sarajevo kamen die UNPROFOR<br />

und auch die NATO nun zunehmend zwischen die Fronten. Die direkten Angriffe auf<br />

die UN-Einheiten häuften sich, Behinderungen und Festsetzungen waren bereits die<br />

Regel. Am 20.9. hatte ein französisches Kontingent zurückgeschossen und 40<br />

Granaten auf eine serbische Stellung abgefeuert. Am 22.9. war es nach einem<br />

wiederholten Angriff auf französische UN-Einheiten zum fünften Luftangriff von<br />

NATO-Kampfflugzeugen auf serbisches Kriegsgerät gekommen. Nach einer<br />

entsprechenden Warnung war einer leerer serbischer Panzer innerhalb der<br />

Verbotszone Sarajevo zerstört worden. 383<br />

Die NATO Press Release (94) 90, 22 September 1994 gibt eindeutig Vergeltung für<br />

den serbischen Angriff <strong>als</strong> Motiv an: “Following a Bosnian-Serb attack against a<br />

French Armoured Personnel Carrier (APC) today near Sarajevo, NATO aircraft<br />

attacked a Bosnian-Serb tank which was within the 20-kilometer Exclusion Zone<br />

around Sarajevo. The attack was carried out by one US A10 and 2 Jaguars of NATO<br />

Operation Deny Flight around 18:20 Sarajevo time. The decision to attack was made<br />

after the UNPROFOR Force Commander, General Bertrand de Lapresle and Admiral<br />

Leighton W. Smith, CINCSOUTH, agreed it should be carried out in response to the<br />

attack on the UNPROFOR APC.” 384<br />

382 Ebenda. S. 636<br />

383 Ebenda. S. 637<br />

384 Internet: gopher://marvi n.nc3a.nato.int/00/yugo/pr90.94%09%09%2B<br />

101


VII. Die militär-politische Lage in Bosnien-<br />

Herzegowina, Herbst 1994<br />

Die erfolgreichen militärischen Aktivitäten der bosnischen Regierungstruppen wie<br />

auch des HVO im Oktober und November 1994 ließen bei vielen Beobachtern die<br />

Frage aufkommen, ob nach fast drei Jahren Krieg ein strategischer Wendepunkt in<br />

Bosnien-Herzegowina erreicht war. Die Fakten: Eine zunehmend besser<br />

ausgerüstete, organisierte, geführte und motivierte bosnische Armee konnte,<br />

nachdem die ehemalige Front zu den Kroaten weitgehend ausgedünnt werden<br />

konnte, im Lauf des Sommers und vor allem im Herbst immer stärkere<br />

Truppenkonzentrationen gegenüber den Serben zum Ansatz bringen. Diese<br />

Entwicklung setzte beginnend und augenscheinlich mit dem kroatisch-moslemischen<br />

Friedensabkommen im Frühjahr 1994 ein und nicht erst im Herbst 1994. Auch hatte<br />

die bosnische Armee den Sommer über laufend kleinere militärische Erolge<br />

verzeichnen können. Eine qualitative Veränderung war im Herbst 1994 aber insofern<br />

zu verzeichnen, <strong>als</strong> die bosnische Armee nun in der Lage zu sein schien, nicht mehr<br />

in taktischem sondern auch in operativem Rahmen auf dem Gefechtsfeld tätig zu<br />

werden. Dies wurde insbesondere im Zusammenhang mit dem Ausbruch des V.<br />

Korps aus Bihac in Richtung Süden und dem versuchten Zusammenwirken mit dem<br />

VII. Korps in Zentralbosnien deutlich. Damit konnte die seit längerer Zeit beobachtete<br />

Taktik der bosnischen Armee, mit Hilfe der zahlenmäßig überlegenen Kräfte an<br />

mehreren Fronten gleichzeitig Angriffe gegen die Serben zu führen, erstm<strong>als</strong> in<br />

operativem Rahmen in (zumindest temporäre) weiträumigere Geländegewinne<br />

umgesetzt werden. Insoferne wäre von einer „operativen Wende” zu sprechen<br />

gewesen.<br />

In ihrem Bemühen, den serbischen Belagerunsgring um Sarajevo zu sprengen,<br />

konnten die bosnischen Truppen im Herbst 1994 ebenfalls taktische Erfolge erzielen.<br />

Insbesondere im Igman-Massiv nutzten sie, unter Mißachtung entsprechender<br />

Vorhaltungen und Aufforderungen seitens der UNPROFOR zum sofortigen Abzug,<br />

die seit Sommer 1993 entmilitarisierte Zone geschickt <strong>als</strong> Aufmarschraum gegen<br />

serbische Stellungen. Im Zuge der Bemühungen der UNPROFOR, eine<br />

Truppenentflechtung herbeizuführen, wurde um den 24.10. erstmalig das Feuer von<br />

bosnischen Einheiten auf einen französischen Verband eröffnet. Durch die Einnahme<br />

eines Höhenrückens bei Visoko wurden die Voraussetzungen für die ungehinderte<br />

Nutzung einer bedeutenden Versorgungsroute nach Nordbosnien durch die ABiH<br />

geschaffen. Darüberhinaus wurde der Ausgangspunkt für weitere Angriffe gegen den<br />

102


serbischen Belagerungsring um Sarajevo sowie für die nachhaltige Unterbrechung<br />

serbischer Nachschubwege nach Nordbosnien geschaffen. 385<br />

Ermöglicht wurde die Kampfwert- und Kampfkraftsteigerung der bosnischen Armee<br />

durch die trotz Embargo laufend erfolgte sukzessive Verbesserung der Ausstattung<br />

der Truppe insbesondere mit schweren Waffen, wozu Kroatien und der HVO sowie<br />

die moslemische Glaubensgemeinschaft in aller Welt 386 maßgeblich beitrugen. 387<br />

Aber auch die eigene Produktion an schweren Waffen wirkte sich zunehmend auf<br />

das Anwachsen der Feuerkraft der Truppe aus. 388 Anfang November bestätigte der<br />

kroatische Verteidigungsminister Gojko Susak, daß Kroatien die bosnische Armee<br />

direkt mit Waffen aus den Beständen Polens, Rußlands und Bulgariens beliefert<br />

hätte. 389 „Nach einem Bericht der New York Times vom 5. November war das<br />

Waffenembargo gegen Bosnien-Herzegowina schon über einen größeren Zeitraum<br />

nicht mehr wirksam. Die Zeitung zitierte den Verteidigungsminister Kroatiens, Gojko<br />

Susak, mit den Worten, die Republik Kroatien liefere schon länger an die bosnischen<br />

Regierungstruppen Munition für Granatwerfer, Kanonen und Maschinengewehre<br />

sowie Panzerwaffen. Susak betonte, daß die Rüstungsmärkte in Polen, Bulgarien<br />

oder Rußland für alle Arten von Waffenkäufen offen seien. Das diesbezügliche<br />

Angebot des Schwarzmarktes sei dabei so groß, daß er (Susak) für Waffen den<br />

dreifachen Preis bezahlen müßte, wollte er sie auf legalem Wege erwerben.” 390<br />

In der Bihac-Region konnte Kroatien die ABiH direkt unterstützen: Mit<br />

Hubschraubern mit einem Transportraum von zwei Tonnen und kleinen Flugzeugen<br />

wurde von Kroatien aus ein Teil des militärischen Nachschubs, aber auch zivile<br />

Güter in riskanten Nachteinsätzen nach Bihac eingeflogen. Überdies kämpften bei<br />

Bihac neben den moslemisch dominierten ABiH-Einheiten auch HVO-Soldaten im<br />

Rahmen der 101. Brigade an der Seite der Moslems. Laut Ivan Parsa, Kommandant<br />

der Einheit, war jeder vierte männliche Kroate Soldat beim HVO, ebenso eine<br />

beträchliche Zahl weiblicher Freiwilliger. 391 Die Lieferungen der Kroaten an das V.<br />

Korps der bosnischen Regierungstruppen waren aus Sicht der kroatischen Führung<br />

385 ÖMZ 1/1995. S. 64<br />

386<br />

Samuel P. Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21.<br />

Jahrhundert. Deutsche Ausgabe. 3. Auflage (München-Wien 1996) 473-474<br />

387 ÖMZ 1/1995. S. 63; nach APA 293 vom 2.11.1994 und APA 127 vom 6.11.1994<br />

388 Ebenda. S. 63; nach APA 227 vom 2.11.1994<br />

389 Ebenda. S. 63; nach New York Times vom 5.11.1994<br />

390 Archiv der Gegenwart vom 21. November 1994, 39497<br />

391 Benedikter, Die bitteren Früchte von Dayton. S.165<br />

103


in Hinblick auf die geplante Rückeroberung der Krajina nur naheliegend - da Bihac<br />

an der Kreuzung der Bahnlinien Zagreb-Knin-Split und Banja Luka-Knin liegt, besaß<br />

die Stadt entscheidende operative Bedeutung für Kroatien. Eine Einnahme durch die<br />

Serben hätte die kroatische Regierungsarmee im Falle einer Offensive in eine<br />

strategisch stark verschlechterte Position gebracht. 392<br />

Ende Oktober gelang dem V. Korps (Stärke vermutlich rund 15.000 Mann) unter<br />

Inkaufnahme einer starken Zersplitterung der Kräfte der temporäre Ausbruch<br />

Richtung Süden und Osten. Über die operativen Zielsetzungen der ABiH herrschte<br />

nach Anlaufen der wuchtigen Offensive Ende Oktober aber Unklarheit, insbesondere<br />

ob der Zusammenschluß mit dem VII. Korps herbeigeführt hätte werden sollen, was<br />

allerdings den weiteren Vorstoß über rund 180 Kilometer bedeutete hätte. 393<br />

Jedenfalls war der Vormarsch der Moslems aus Bihac in der Anfangsphase<br />

erfolgreich. Nach mehrtägiger Schlacht erzwang man den schnellen Rückzug<br />

serbischer Verbände auf der Grabez-Hochebene östlich und südöstlich von Bihac.<br />

Der bosnische Rundfunk meldete, die eigenen Truppen hätten kaum Gefangene<br />

gemacht, weil die Serben so überhastet geflohen seien. UN-Beobachter sprachen<br />

von schweren örtlichen Einbrüchen bei den Serben. 394 Dabei wurden von den ABiH-<br />

Einheiten zahlreiche serbische Dörfer am Vormarschweg niedergebrannt und<br />

tausende Zivilisten zur Flucht gezwungen. 395<br />

Parallel zu der Offensive in Bihac wurden die Serben - entsprechend dem<br />

moslemischen Setzen auf die eigene zahlenmäßige Überlegenheit - auch in<br />

Zentralbosnien unter Druck gesetzt (Die bei Bihac postwendenend einsetzende<br />

Gegenoffensive des serbischen I. und II. Korps mit einer Stärke von vermutlich rund<br />

15.000 Mann und massiver Unterstützung durch Steilfeuer-, Napalm- und<br />

Splitterbomben-(Luft-)angriffe der Armee der RSK machte diese Erfolge allerdings<br />

wieder zunichte und setzte das V. Korps in Bihac und Velika Kladusa massiv unter<br />

Druck - Ab Mitte November ging die rund 3000 bis 7000 Mann starke Truppe von<br />

Fikret Abdic von Norden her gegen Velika Kladusa vor) 396 .<br />

Als die aus Bihac vorstoßenden ABiH-Einheiten unter starkem serbischen Druck den<br />

Rückzug antreten mußten, setzte die Führung auf die Anfang des Jahres erfolgreiche<br />

392 ÖMZ 2/1995. S. 185<br />

393 Ebenda. S.185<br />

394 Archiv der Gegenwart vom 21. November 1994, 39494<br />

395 Boyd, Making peace with the guilty. In: Foreign Affairs September/October 1995. S. 29<br />

396 ÖMZ 1/1995. S. 64<br />

104


Option, zur Sicherung der Schutzzone Bihac gegen serbischen Zugriff die NATO in<br />

die Auseinandersetzung zu involvieren. Die Taktik ging nicht vollständig auf -<br />

dennoch wurde das V. Korps keineswegs zerschlagen, zog sich vielmehr unter<br />

Verlusten geordnet zurück. “The V Corps gave ground but was never defeated and<br />

remains an effective fighting force... During the counterattack, however, the Bosnian<br />

government and many in the international community demanded that the United<br />

Nations and NATO protect the Bihac safe area from Serb aggression.” 397<br />

Der bislang erfolgreiche Kommandeur des bosnischen V. Korps, General Atif<br />

Dudakovic, überwand trotz der schwierigen Situation seiner Einheiten die Niederlage,<br />

die er durch den serbischen Gegenstoß im November erlitten hatte. Er hatte erkannt,<br />

daß er seine Streitkräfte überstrapaziert und die Serben zum Gegenangriff provoziert<br />

hatte. Dudakovic hatte mit Mladic in der Jugoslawischen Volksarmee gedient und<br />

1991 die Kroaten bei Knin angegriffen. Die Kroaten begegneten ihm deshalb mit<br />

Mißtrauen, während Mladic ihn angeblich „widerwillig bewunderte. Das V. Korps<br />

stellte auch nach der serbischen Gegenoffensive noch immer einen Truppenverband<br />

dar, mit dem in der Enklave Bihac gerechnet werden mußte. Es hatte noch nie eine<br />

totale Niederlage hinnehmen müssen.” 398<br />

Dennoch kann der Ausbruchsversuch des V. Korps - so er <strong>als</strong> solcher erfolgreich<br />

sein sollte und nicht nur <strong>als</strong> Ablenkungsoperation zur Eroberung von Kupres geführt<br />

worden war - <strong>als</strong> erfolglos bezeichnet werden. Bis zum 14. November hatte die VRS<br />

bereits 80 Prozent der Gebiete zurückerobert, die die Regierungseinheiten kurz<br />

zuvor eingenommen hatten. Beobachter mutmaßten, die Regierungstruppen seien<br />

bei ihrer Offensive, bei der sie teilweise ihre Kräfte aufgesplittert hätten, in eine Falle<br />

der Serben geraten. 399 Fazit der Oktober-Offensive: Trotz der Verbesserungen der<br />

ABiH und trotz „recent mediocre performances, the BSA retains the capability to<br />

mass sufficient artillery and other heavy weaponry at a time and place of its choosing<br />

and deal the Muslims a severe blow. Bosniac offensives, with their troop<br />

concentrations, offer such lucrative targets and enable the BSA to raise the status<br />

quo ante in an attrition battle.” 400<br />

397 Ebenda. S. 33<br />

398 Owen, Balkan-Odysee. S. 412<br />

399 Archiv der Gegenwart vom 21. November 1994, 39499<br />

400 LTC John E. Sray/United States Army, Foreign Military Studies Office, Fort Leavenworth, Kansas,<br />

USA, 1995 : U.S. policy and the Bosnian civil war: A time for reevaluation. Internet: http://leavwww.army.mil/fmso/geo/pubs/bosnia.htm<br />

105


“For a moment, it appeared as though the war were turning dramatically in favour of<br />

the Bosnian Government and its forces. However, the supreme astute VRS<br />

commander, General Ratko Mladic, having been surprised by the scale of the<br />

Bosnian Army success withdrew rapidly, enticing his opponents to chase and<br />

become over-extended before unleashing a ferocious counter-attack. This initially<br />

overwhelmed the Bosnian Army and drove it, not only from ground gained in its<br />

offensive, but <strong>als</strong>o from considerable amounts of territory held prior to the action.<br />

Thus, the events confirmed two key charateristics of the war: the Bosnian Armywhich<br />

had not existed when the Serbs had first begun attacks in Bosnia - had<br />

evolved the capacity to mount attacks which could deal the Serbs heavy blows; but,<br />

General Mladic, although strategically overstreched, retained the power to deliver a<br />

devastating counterblow in a place of choosing, or where necessary.” 401 “The events<br />

in Bihac provided a microcosm of the main features of the military balance in the war.<br />

The Bosnian Army had developed from a four corps structure (with one of those<br />

corps well below strength) into an army with seven corps - increasing the number of<br />

active military personnel from around 80,000 to 120,000 in the space of a year. By<br />

the end of the year, each of those corps was attacking the VRS in two places at<br />

once, thus strechting the manpower deficient Bosnian Serb forces (around 50,000<br />

strong).” 402 Vor allem was die Oktoberoffensive betrifft, gibt es diesen Analysen aus<br />

Sicht des Autors nichts hinzuzufügen.<br />

Fikret Abdic hatte somit in Waffenbrüderschaft mit den Serben zu Jahresende 1994<br />

die Kontrolle über seinen traditionellen Machtbereich um Velika Kladusa<br />

zurückgewonnen (die Stadt selbst fiel erst Ende Dezember mit Unterstützung der<br />

kroatischen Serben wieder an seine Einheiten) 403 , die Regierungsverbände hatten<br />

nach mehr <strong>als</strong> einem Jahr Konflikt mit Abdic einen Rückschlag erlitten. Zur<br />

Geschichte des innermoslemischen Konflikts, der von den bosnischen Serben<br />

naturgemäß nach Kräften gefördert wurde: „Im September 1993 hatte ‘Väterchen’<br />

Abdic wie er von seinen Getreuen genannt wird, die 350.000 Einwohner zählende<br />

Region zur ‘Autonomen Provinz’ ausgerufen und dem bosnischen Präsidenten Alija<br />

Izetbegovic in Sarajevo den Krieg erklärt. Der ist für Abdic ein islamischer<br />

‘Fundamentalist’, Izetbegovic hält den Abtrünnigen für einen serbischen Vasallen.<br />

(...) Serben und Westbosnier pflegen ein inniges Verhältnis. Abdic schloß<br />

401 James Gow, Another year of war in Bosnia and Herzegovina. In: The Southeast European<br />

Yearbook 1994, S. 236<br />

402 Ebenda. S. 236<br />

403 UNHCR-Office of the Special Envoy for former Yugoslavia, Information Notes on former Yugoslavia<br />

No. 1/95, January 1995, ii<br />

106


Friedensverträge mit den Serbenführern Slobodan Milosevic und Radovan Karadzic -<br />

zum Vorteil für beide Seiten. Denn Kladusa, kaum 500 Meter von der Grenze zur<br />

Krajina entfernt, diente den Serben <strong>als</strong> Nachschubstation. 80 Tonnen Erdöl<br />

gelangten an guten Tagen zu den serbischen Truppen in Bosnien.” 404 (Trotz<br />

Kooperation mit den Serben wurde die humanitäre Situation in Abdics Hochburg<br />

Velika Kladusa von UNHCR um die Jahreswende 1994/95 <strong>als</strong> katastrophal<br />

bezeichnet) 405 .<br />

Nach Abschlagung der moslemischen Oktober-Offensive setzte die VRS die dem IV.<br />

Haager Abkommen (Art.54 (1): „Das Aushungern von Zivilpersonen <strong>als</strong> Mittel der<br />

Kriegführung ist verboten”) 406 widersprechende Abschnürung und Beschießung<br />

Bihacs fort. Angeblich wurden die Angriffe mit Unterstützung durch “frische<br />

Elitetruppen aus Serbien selbst” geführt. 407<br />

Bei den Angriffen auf Bihac wurden seitens der Serben im November und Dezember<br />

auch Zivilgebiete massiv unter Beschuß genommen und verbotene Waffen<br />

eingesetzt: “The assault on Bihac town is being conducted with no obvious concern<br />

for the safety of civilians. (...) The ‘RSK’ forces have frequently targeted civilian areas<br />

within a range of missiles, and the towns of Velika Kladusa and Cazin suffered<br />

heavily. (...) In one air attack on 18 November 1994, both cluster and napalm bombs<br />

were employed in flagrant violation of international humanitarian law. Fortunately, the<br />

napalm bomb did not explode. UNPROFOR personnel have been deliberately<br />

targeted in attacks directed from ‘RSK’-positions, notably on 12 December 1994,<br />

when five Bangladeshi soldiers were badly injured when their vehicle was fired on<br />

from ‘RSK’-positions. One of the soldiers subsequently died from his injuries.” 408<br />

„Die Vorschriften über Kampfmittel und Kampfmethoden, die im allgemeinen<br />

(gewohnheitsrechtlichen) Kriegsvölkerrecht, in der Haager Landkriegsordnung, in<br />

404 DER SPIEGEL 1/1995. S. 102<br />

405 UNHCR-Office of the Special Envoy for former Yugoslavia, Information Notes on former Yugoslavia<br />

No. 2/95, February 1995, ii<br />

406 Randelzhofer (Hg.), Völkerrechtliche Verträge. S. 664<br />

407 Benedikter, Die bitteren Früchte von Dayton. S. 164<br />

408 UN Economic and Social Council/Commission on Human Rights, Situation of human rights in the<br />

territory of the former Yugoslavia. Tenth periodic report on the situation of human rights in the territory<br />

of the former Yugoslavia submitted by Mr. Tadeusz Mazowiecki, Special Rapporteur of the<br />

Commission on Human Rights, pursuant to paragraph 37 of Commission resolution 1994/72 of 9<br />

March 1994. E/CN.4/1995/57, 16 January 1995. S. 5-7<br />

107


zahlreichen multilateralen Verträgen enthalten sind, lassen sich auf zwei<br />

Grundregeln zurückführen: 1. Militärische Kriegshandlungen dürfen nur gegen<br />

Kombattanten, keinesfalls gegen Nichtkombattanten gerichtet sein. 2. Verbotene<br />

Kampfmittel dürfen nicht verwendet werden.<br />

Zu den Kampfmitteln gehören neben Waffen und Muniton auch sonstige Materialien<br />

(z.B. chemische Stoffe). Kraft allgemeinen Völkerrechts sind alle Kampfmittel<br />

verboten, die in ihrer Wirkung keinen Unterschied zwischen Kombattanten und<br />

Nichtkombattanten ermöglichen: Verbot der ‘blinden Waffen’, insbesondere der<br />

Massenvernichtungsmittel.” 409<br />

Die VRS wollte den Druck auf das V. Korps über die Zivilbevölkerung weiter erhöhen.<br />

Diese war bereits seit langem in höchstem Maße auf humanitäre Hilfe von außen<br />

angewiesen: Bihac kann daher in vielerlei Hinsicht <strong>als</strong> Symbol für die Lage der<br />

Zivilisten und der UN-Truppen zu diesem Zeitpunkt herangezogen werden. Von Mai<br />

bis November 1993 etwa wurden 131 Versorgungskonvois an serbischen<br />

Straßensperren zum Umkehren gezwungen (obwohl die UN-Streitkräfte den Auftrag<br />

hatten, die Lieferung von humanitärer Hilfe zu sichern und notfalls mit Gewalt<br />

durchzusetzen, vielfach aber selbst in Geschäfte involviert waren). 410<br />

Caritas-Hilfskoordinator Peter Quendler dazu gegenüber dem Autor: „Von allen<br />

Seiten gab es immer wieder Behinderungen der humanitären Hilfe. Von Ort zu Ort<br />

waren die militärischen Einheiten unkontrolliert und haben auf eigene Faust<br />

gehandelt. Die Caritas hat nie Wegzölle oder Hilfsgüter abgegeben. Unser Grundsatz<br />

war zuerst verhandeln und dann erst transportieren. (...) Von Seiten der UNO gab es<br />

mit wenigen Ausnahmen Schutz für Hilfslieferungen von Caritas und Nachbar in Not.<br />

(...) Generell haben die Mitarbeiter vor Ort eine sehr wertvolle Arbeit geleistet, jedoch<br />

gab es unter den Mitarbeitern der UNPROFOR-Truppen auch Mitarbeiter, die die Not<br />

der Menschen ausgenützt haben - Schwarzhandel, Prostitution, Rauschgift.” 411<br />

Die neben jenen jugoslawischer Einheiten erfolgenden Unterstützungsangriffe der<br />

kroatischen Serben Mitte November waren nicht primär mit brüderlicher<br />

Hilfsbereitschaft für die bosnischen Serben zu begünden. Vielmehr mußten die<br />

Krajina-Serben befürchten, durch den moslemisch-kroatischen Vormarsch in<br />

Richtung Norden nach der Einnahme von Kupres (auf die unten ausführlich<br />

einzugehen sein wird) - die im großen Interesse Kroatiens war und daher von<br />

schweren Waffen der HV unterstützt worden war - von den bosnischen Serben in<br />

409 Kimminich, Einführung in das Völkerrecht. S. 442<br />

410 Malcolm, Geschichte Bosniens. S. 295<br />

411 Schriftliches Interview mit Peter Quendler/Caritas, 14.11.1997<br />

108


Westbosnien weitgehend abgeschnitten zu werden. 412 Kroatien drohte im Gegenzug<br />

am 14.11. offen mit einem Eingreifen, falls der Beschuß von Bihac aus der Krajina<br />

heraus nicht eingestellt werde. 413 Entgegen kroatischen Angaben wurde die<br />

Teilnahme von Verbänden der Krajina-Serben am Angriff auf Bihac von UNPROFOR<br />

vor Ort bis zum 6. Dezember aber nicht bestätigt. 414 Am 19. November beschloß der<br />

UN-Sicherheitsrat angesichts der jüngsten serbischen Luftangriffe hingegen in der<br />

Resolution 958 einstimmig, daß das Einsatzgebiet für mögliche NATO-Luftangriffe<br />

auf die serbisch besetzte Krajina ausgedehnt werde, nachdem die Schutzzone Bihac<br />

- wo im November rund 130.000 Menschen eingeschlossen waren 415 - von dort aus<br />

immer stärkeren Angriffen ausgesetzt war. 416<br />

Mit ihrer Bosnien-Politik kamen die USA zunehmend in Opposition zu ihren<br />

europäischen Alliierten. Die Differenz der Haltung bezüglich der Lösung des Konflikts<br />

zwischen den USA und ihren Verbündeten lag in dieser Phase Ende 1994 vor allem<br />

darin, daß die USA nun zusehends auf eine Stärkung der Rolle des bosnischen<br />

Militärs setzten, um die bosnischen Serben zu einer Akzeptanz des Friedenplanes zu<br />

zwingen. Ganz offen hatten die USA die militärischen Erfolge der bosnischen Armee<br />

Anfang November begrüßt und gleichzeitig eine Beteiligung an Luftangriffen gegen<br />

die bosnische Armee ausgeschlossen, die etwa im Raum Sarajevo von UNPROFOR<br />

angefordert hätten werden können. 417 Gleichzeitig hatte die amerikanische<br />

Regierung am 18.11. neuerlich einer Forderung des Kongresses nachkommen und<br />

Pläne zur militärischen Aufrüstung der bosnischen Armee vorlegen müssen. Die<br />

Uneinigkeit der Haltung der westlichen Verbündeten führte zu einer ernsten Krise<br />

innerhalb der NATO. 418<br />

Nach langem und schwierigen Verhandlungen hatte am 28.10. 1994 in Brüssel<br />

zumindest eine Einigung zwischen den Standpunkten der NATO und UNO über die<br />

412 Gow, Another year of war in Bosnia and Herzegovina, In: The Southeast European Yearbook 1994,<br />

S. 237<br />

413 ÖMZ 1/1995. S. 62; nach APA 459 vom 14.11.1994<br />

414 Tanjug-Meldung vom 6. Dezember 1994: Krajina Serbs do not fight around Bihac. In: Permanent<br />

Mission of the Federal Republic of Yugoslavia to the United Nations, Yugoslav Daily Survey,<br />

December 7, 1994. 2<br />

415 NEWS 51/94. S. 62<br />

416 Archiv der Gegenwart vom 21. November 1994, 39499<br />

417 ÖMZ 1/1995. S. 60; nach APA 293 vom 2.11.1994<br />

418 Ebenda. S. 60<br />

109


Modalitäten bei Luftangriffen erzielt werden können: „Vorwarnung: Künftig soll nun<br />

nur noch eine allgemeine Vorwarnung an die Serben erfolgen. Angaben über<br />

Zeitpunkt des Angriffes und darüber, welches Ziel bombardiert werden soll, soll es<br />

dagegen nur noch dann geben, wenn die UNPROFOR eine konkrete Gefahr für<br />

Zivilisten in der Umgebung sieht. Steht ein Panzer <strong>als</strong>o neben einem Wohnhaus,<br />

werden die Serben weiterhin über die Einzelheiten eines bevorstehenden Angriffs<br />

informiert.<br />

Zielauswahl: Künftig soll es nun im Prinzip möglich sein, ein Ersatzziel zu<br />

bombardieren. (...) Schwenken die Piloten auf Befehl des NATO-Kommandanten auf<br />

das zweite oder das dritte Ziel um, dann muß Smith die UNPROFOR jedesmal<br />

unterrichten, nicht jedoch konsultieren. Allerdings behält sich die UNPROFOR das<br />

Recht vor, eine NATO-Militäraktion zu unterbrechen, wenn sie der Meinung ist, daß<br />

inzwischen kein Verstoß gegen die UN-Resolutionen mehr vorliegt.” 419<br />

Die Umsetzung der entsprechenden Resolution 958 und die generelle Freigabe für<br />

Luftangriffe auf die serbisch besetzte Krajina erfolgte durch den NATO-Rat noch am<br />

20.11. Am 21.11. griffen 39 Kampfflugzeuge der Allianz das Rollfeld sowie die Start-<br />

und Landebahn des Flughafens Udbina in der SRK an und machten ihn bis auf<br />

weiteres unbrauchbar. Die Hangars und die Flugzeuge selbst blieben fast vollständig<br />

unversehrt und für die Serben weiter nutzbar. 420<br />

Die entsprechenden NATO-Meldungen waren wie üblich knapp: „NATO aircraft today<br />

(Monday, 21 November) attacked the UDBINA airfield in Serb-held Croatia. The air<br />

strike, conducted at the request and in close coordination with UNPROFOR, was in<br />

response to attacks which had been launched from that airfield against targets in the<br />

Bihac area in Bosnia-Herzegovina in the past few days. It was carried out under the<br />

authority of the North Atlantic Council and United Nations Security Council<br />

Resolution 958.“ 421<br />

An dem für die Serben kaum nennenswerten militärischen Schaden änderte auch der<br />

Angriff eines NATO-Verbandes (etwa 24 Maschinen) auf serbische<br />

Raketenstellungen bei Bosanska Krupa, Otoka und Dvor am 23.11. vorerst nichts. Im<br />

419 Ebenda. S. 61; nach APA 328 vom 28.10.1994 und: Gemeinsame UN/NATO-Presseaussendung<br />

(NATO press Release [94] 103) vom 28. Oktober: „‘Dual-key’ arrangements remain in effect, ensuring<br />

that decision on targeting and execution will be taken jointly by UN and NATO military commanders.<br />

The principle of proportionality in response to a violation will continue to be respected, as will the need<br />

to avoid unacceptable casualties.” (Internet:<br />

gopher://marvin.nc3a.nato.int/00/yugo/pr103.94%09%09%2B)<br />

420 ÖMZ 1/1995. S. 65<br />

421 NATO Press Release (94) 110, 21 November 1994: NATO AIRCRAFT ATTACK UDBINA<br />

AIRFIELD. Internet: Gopher://marvin.nc3a.nato.int/00/yugo/pr110.94%09%09%2B<br />

110


Gegenteil: Es stellte sich heraus, daß zum einen die serbische Fliegerabwehr,<br />

insbesondere die SA-6-Stellungen, die mit einem modernen Feuerleitsystem<br />

ausgestattet waren, doch eine erhebliche Gefahr für die NATO-Kampfflugzeuge<br />

darstellten, und zum anderen die Fähigkeit der NATO zur Ausschaltung dieser<br />

Raketenstellungen kaum gegeben war. 422<br />

„NATO aircraft, in response to yesterday’s SA-2 attacks on NATO aircraft and on<br />

request of UNPROFOR, today around 9:30 GMT fired anti-radiation ‚HARM‘ missiles<br />

into surface-to-air (SAM) missile sites in the area of Bosanska Krupa, Otoka and<br />

Dvor. The action was taken after a threat was detected against NATO<br />

reconnaissance aircraft flying in the area as part of Operation Deny flight, in support<br />

of UNPROFOR forces in the area.“ 423<br />

„NATO aircraft on Wednesday afternoon returned to the area of north-west Bosnia-<br />

Herzegovina and conducted a strike on a surface-to-air missile site south of Otoka.<br />

During reconnaissance missions earlier today, this site, which, Tuesday had fired at<br />

two NATO aircraft, illuminated the reconnaissance aircraft in a threatening way. As<br />

earlier announced, self-defence measures were taken immediately. Since it was<br />

clear that the site posed a continued threat to Deny Flight aircraft, operating in<br />

support of UNPROFOR, an airstrike was initiated this afternoon, in close coordination<br />

with the Force commander, UNPROFOR.“ 424<br />

Nachdem die NATO-Führung erkennen mußte, daß die bereits im Einsatzraum<br />

vorhandenen Maschinen für eine hinreichende Aufklärung und Bekämpfung der<br />

serbischen Ziele nicht ausreichten, mußte NATO-Oberbefehlshaber General Joulwan<br />

später, Anfang Dezember, ein Ansuchen an Deutschland richten, sechs bis acht<br />

Tornado ECR-Jagdbomber zur Überwachung des Flugverbotes über Bosnien-<br />

Herzegowina abzustellen. 425<br />

Holbrooke - der laut eigenen Angaben von London aus US-Außenminister<br />

Christopher gedrängt hatte, Luftangriffe durchzuführen - zum Hintergrund in seinen<br />

Erinnerungen: „Ende November 1994 griffen die Serben kroatische und muslimische<br />

Stellungen in Westbosnien an und setzten dabei Kriegsflugzeuge ein, die auf einem<br />

Militärflughafen bei Udbina im serbisch kontrollierten Teil Kroatiens stationiert waren.<br />

Diese Attacke stellte eine bemerkenswert dreiste Eskalation der<br />

422 ÖMZ 1/1995. S. 66<br />

423 NATO Press Release (94) 111, 23 November 1994. Internet:<br />

Gopher://marvin.nc3a.nato.int/00/yugo/pr111.94%09%09%2B<br />

424 NATO Press Release (94) 112, 23 November 1994. Internet:<br />

Gopher://marvin.nc3a.nato.int/00/yugo/pr112.94%09%09%2B<br />

425 ÖMZ 1/1995. S. 66<br />

111


Auseinandersetzungen dar: Nicht nur, daß der Einsatz der Flugzeuge gegen das<br />

Flugverbot der Vereinten Nationen verstieß, die Flugzeuge hatten auch die<br />

international anerkannte Grenze zwischen Kroatien und Bosnien überflogen.“ 426<br />

Die NATO hatte zwar mit Luftangriffen reagiert, aus Sicht Holbrookes „aber ganz<br />

anders, <strong>als</strong> ich es mir erhofft hatte: Am folgenden Tag verkündete ein Nato-Sprecher,<br />

die Allianz habe - in der massivsten Militäraktion ihrer Geschichte - einen Luftangriff<br />

auf die Startbahn bei Udbina gefolgen. Zum Beleg veröffentlichte die Nato Luftbilder<br />

von der Startbahn, auf denen Bombenkrater zu erkennen waren. Wie sich jedoch<br />

vierundzwanzig Stunden später herausstellte, war die angeblich ‚massive<br />

Militäraktion‘ nichts mehr <strong>als</strong> eine Reihe kleinerer Luftangriffe gewesen, sie später in<br />

der Presse ebenso verächtlich wie zutreffend <strong>als</strong> ‚Nadelstiche‘ bezeichnet wurden.<br />

Die Serben benötigten gerade einmal zwei Tage, um die Startbahn wieder<br />

herzurichten. Die Vereinten Nationen verfielen wieder einmal in ihre vorherige<br />

Passivität, während sich die Serben auf die Winterpause vorbereiteten.“ 427<br />

Zuvor war eine wesentliche militärische Entscheidung Ende Oktober/Anfang<br />

November in Westbosnien gefallen: Die Stadt Kupres, die vor dem Krieg mit knapp<br />

51 Prozent gegenüber 39,6 Prozent Kroaten und nur 8,4 Prozent Moslems eine recht<br />

deutliche serbische Bevölkerungmehrheit aufwies 428 , war von HVO-Einheiten, die<br />

darüber liegenden Höhenzüge von der ABiH erobert worden. Den Oberbefehl über<br />

die HVO-Truppen hatte General Miljenko Lasic. Mit Kupres - das im Rahmen der<br />

schnellen serbischen Frühjahrsoffensive 1992 erobert worden war - war die Straße<br />

von Bugojno nach Livno, aber auch der Schlüssel zur späteren Einnahme von Jajce<br />

und Donji Vakuf genommen worden. Im Zuge von Operation „Oluja” gelang es<br />

schließlich, den nördlich von Kupres gelegenen Berg Demirovac (1535 Meter) zu<br />

stürmen, der zuvor von ABiH-Einheiten mehrm<strong>als</strong> vergeblich berannt worden war.<br />

Die größte Waffe der Bosnier gegenüber den Serben war auch bei Kupres die<br />

Beweglichkeit. Die serbischen Frontlinien waren über 1500 Kilometer lang, überdehnt<br />

und truppenmäßig unzureichend besetzt. Ebenso waren die Serben vor allem im<br />

Bereich der schweren Waffen immobil und bezüglich Kampfmoral und Disziplin <strong>als</strong><br />

sehr mangelhaft zu bewerten. Laut HVO-Generälen gab es einige „gute Polizei- und<br />

Garderegimenter”, der Rest kämpfe „mittelmäßig bis schlecht”. Vor allem im<br />

Nahkampf war der Kampfwert der serbischen Soldaten gegenüber den Bosniern, die<br />

ihre zahlenmäßige Überlegenheit ins Treffen führen konnten, gering. 429<br />

426 Holbrooke, Meine Mission. S.107<br />

427 Ebenda. S.107<br />

428 Ethnische Verteilung in Bosnien gemäß Volkszählung von 1991 Internet: http://www.helsinki.fi/-<br />

tervio/bihdata.html<br />

429 Benedikter, Die bitteren Früchte von Dayton. S.189<br />

112


„Verstärkt zeigten sich koordinierte Zangenangriffe von muslimischen und bosnischkroatischen<br />

Verbänden bei Kupres. Die Kroaten rückten von Süden an die Stadt<br />

heran und meldeten die Eroberung von zahlreichen serbischen Ortschaften. Von<br />

Osten und Norden drängten die Regierungstruppen weiter vor. Serbenführer<br />

Karadzic erklärte, es sei offensichtlich, daß die Muslime den Krieg wollten; daher<br />

müßten sie von den Serben ‘unterworfen’ werden. Seine Truppen würden nun in die<br />

Endphase des Krieges eintreten“. 430 UN-Sprecher erklärten, daß die bosnischkroatischen<br />

Verbände durch reguläre Einheiten der kroatischen Armee verstärkt<br />

worden seien, was die Regierung in Zagreb zurückwies. Am 3. November gelang<br />

den vereinigten muslimischen und kroatischen Verbänden die Eroberung der Stadt<br />

Kupres. Der Kommandant des VII. bosnischen Armeekorps bestätigte die effektive<br />

Zusammenarbeit von Muslimen und Kroaten und erklärte, daß die Einnahme der<br />

Stadt sowie der umliegenden Plateaus die Position der bosnischen Serben erheblich<br />

schwächen werde. Die Verbindung zwischen Westbosnien sowie der serbisch<br />

besetzten Krajina mit den von den Serben kontrollierten Gebieten in der nördlichen<br />

Herzegowina sei unterbrochen. 431<br />

Nachdem die bosnischen Verbände von Norden gegen Kupres angegriffen hatten,<br />

waren auch die Verbände des HVO vom Süden her, aus dem Raum Livno, gegen<br />

Kupres vorgegangen, sollte die Stadt doch nach dem letztgültigen Friedensplan den<br />

Kroaten zufallen. Ein serbischer Entlastungsangriff auf das kroatische Tomislavgrad<br />

brachte keinen Erfolg. Nach UNPOROFOR-Angaben hatte bei den Kämpfen um<br />

Kupres die 4. Brigade der Armee Kroatiens in entscheidender Weise teilgenommen<br />

(ob es sich dabei um die 4. HV-Gardebrigade gehandelt hatte, konnte nicht verifiziert<br />

werden). Die ABiH ging weiter in die Offensive. Insbesondere von Bugojno aus<br />

gingen Verbände des VII. Korps gegen das von Serben gehaltene Donji Vakuf vor.<br />

Die Angriffsvorbereitungen wurden allerdings erst nach der Eroberung von Kupres,<br />

Anfang November, intensiviert. 432<br />

Beim bosnisch-kroatischen Vormarsch gegen Kupres kam es - wie bei der<br />

moslemischen Offensive aus der Bihac-Enklave - zu einer Massenflucht der<br />

serbischen Zivilbevölkerung und zu schweren Menschenrechtsverletzungen: “It is<br />

reported that most local Bosnian Serb civilians fled the area at that time and that<br />

others were detained by the HVO. It is <strong>als</strong>o reported by certain sources that the<br />

victorious troops engaged in serious violations of the human rights of captured<br />

Bosnian Serb soldiers, including summary executions. It has not been possible for<br />

430 Archiv der Gegenwart vom 21. November 1994, 39495<br />

431 Archiv der Gegenwart vom 21. November 1994, 39495<br />

432 ÖMZ 1/1995. S. 64<br />

113


the Special Rapporteur to investigate or evaluate such reports.” 433<br />

Gleichzeitig<br />

entdeckten und öffneten die Eroberer nach der Einnahme von Kupres am 3.<br />

November ein Massengrab. “A total of 37 bodies were exhumed of which 34 were<br />

identified.” 434<br />

Die serbischen Streitkräfte in Westbosnien schienen offensichtlich logistische<br />

Probleme zu haben. Es mangelte ihnen an Treibstoff, so daß sie die Truppe<br />

zunächst nicht schnell genug verlegen konnten. An Mannschaftsstärke und<br />

Kampfgeist war die ABiH der VRS mittlerweile überlegen. Wurden sie durch schwere<br />

Waffen der Kroaten unterstützt, konnten die Moslems bedeutende Vorteile über die<br />

Serben erringen, wie gerade die Einnahme von Kupres gezeigt hatte. 435 Die Serben<br />

verfügten zwar noch über eine überlegene Feuerkraft, waren bei Panzern und<br />

Artillerie immer noch eklatant stärker. Allerdings machten sich der Mangel an<br />

Brennstoffen, Ersatzteilen, disziplinierten Soldaten und vor allem die fehlende<br />

Beweglichkeit immer stärker bemerkbar. Rasche Reaktionen in operativem Rahmen<br />

wurden dadurch immer schwieriger. Im wesentlichen wurde versucht, mit den rund<br />

70.000 Mann entlang einer fast 1.600 Kilometer langen Front ein<br />

Verteidigungsdispositiv aufrechtzuerhalten, dessen einzige Reaktionsmöglichkeit<br />

massive Feuerüberfälle zumeist gegen die Zvilbevölkerung in den Enklaven und in<br />

Sarajevo, wie auch die Provokation und Behinderung von UNPROFOR, gewesen zu<br />

sein schien. Die Niederlage in der Kupres-Region wurde auch deshalb möglich, da<br />

die Serben aufgrund des drückenden Personalnotstandes die Front gegenüber den<br />

Kroaten stark ausgedünnt hatten 436 (auch verlor die VRS Kupres aus Sicht des<br />

Autors unter anderem auch deshalb an die Kroaten und Moslems, weil sie die<br />

433 UN Economic and Social Council/Commission on Human Rights, Situation of human rights in the<br />

territory of the former Yugoslavia. Tenth periodic report on the situation of human rights in the territory<br />

of the former Yugoslavia submitted by Mr. Tadeusz Mazowiecki, Special Rapporteur of the<br />

Commission on Human Rights, pursuant to paragraph 37 of Commission resolution 1994/72 of 9<br />

March 1994. E/CN.4/1995/57, 16 January 1995. 10<br />

434 Economic and Social Council/Commission on human rights, Special process on missing persons in<br />

the territory of the former Yugoslavia. Report submitted by Mr. Manfred Nowak, expert member of the<br />

Working Group on Enforced or Involuntary Disappearences, responsible for the special process,<br />

pursuant to paragraph 4 of Commission resolution 1995/35. E/CN.4/1996/36, 4 March 1996, 16<br />

435 Malcolm, Geschichte Bosniens. S. 296<br />

436 ÖMZ 1/1995. S. 64; nach APA 215 vom 3.11.1994<br />

114


moslemische Offensive aus dem Raum Bihac - die möglicherweise primär<br />

Ablenkungscharakter haben sollte - einzudämmen hatte 437 ).<br />

Insgesamt war ein genereller Verfall der Kampfmoral bei den serbischen Truppen zu<br />

verzeichnen. Obwohl über die tatsächlichen Ressourcen an Kampfmitteln wenig<br />

bekannt war, konnte mit einer Fortführung der Kämpfe auf dem bisherigen Niveau<br />

über einige weitere Monate gerechnet werden. Am 4.11. wurde vom Oberkommando<br />

der bosnisch-serbischen Streitkräfte die Generalmobilmachung verfügt, um dem<br />

dringenden Personalbedarf Abhilfe zu schaffen. Somit war zu erwarten, daß der<br />

Konflikt auf diesem Niveau weitgeführt wurde, da weder eine Verhandlungslösung in<br />

Sicht war noch eine Konfliktpartei in der Lage war, eine Entscheidung auf dem<br />

Gefechtsfeld zu erzwingen. Insbesondere in den strategisch entscheidenden<br />

Räumen etwa um Sarajevo, bei Doboj oder in der Posavina trat keine wesentliche<br />

Veränderung ein. Der Vizepräsident der Föderation, der Kroate Ejup Ganic, äußerte<br />

sich auch nach der Eroberung von Kupres noch zurückhaltend: „Der Erfolg unserer<br />

strategischen Optionen hängt zu Großteil von den schweren Waffen ab, von denen<br />

wir nicht genug besitzen”. Dennoch könne eine „strategische Wende herbeigeführt<br />

werden, allerdings nur sehr langsam.“ 438<br />

In Südwestbosnien ging am 8. November der Vormarsch der Regierungstruppen<br />

nach dem Fall von Kupres vorerst weiter, nachdem sich die serbischen Truppen<br />

nach Norden zurückgezogen hatten. Die bosnischen Kroaten setzten dabei nördlich<br />

von Kupres angeblich schwere Artillerie ein, um den Vormarsch der<br />

Regierungstruppen zu decken. 439<br />

Insgesamt zeigte sich aber gerade im Zusammenhang mit den kroatischen Angriffen<br />

im Livno-Tal, daß die Armee der SR mit ihren Möglichkeiten zur Bildung einer<br />

Gegenkonzentration bzw. zur raschen Schwergewichtsbildung an ihre Grenzen<br />

gekommen war. Die Angriffe des HVO im Livno-Tal, die von Verbänden der Armee<br />

Kroatiens unterstützt wurden, zielten in erster Linie auf die Eroberung des gesamten<br />

Hinterlandes der südlichen Krajina und deren verkehrstechnische Abtrennung von<br />

der SR ab. Darüberhinaus sollte dadurch wohl auch der Druck vom V. Korps der<br />

bosnischen Armee genommen werden und der Armee der SR die Androhung einer<br />

massiven kroatischen Militärintervention im Falle einer Eroberung von Bihac<br />

glaubhaft vermittelt werden. Diese Ende November im Livno-Tal eingeleitete<br />

Offensive des HVO gemeinsam mit Verbänden der Kroatischen Armee brachte bis<br />

zum 7.12. Geländegewinne bis inklusive der Ortschaft Celebici und des Berges<br />

437 Charles Lane, Call to arms. In: Nader Mousavizadeh (Hg.), The black book of Bosnia. S.145<br />

438 ÖMZ 1/1995. S. 64; nach APA 215 vom 3.11.1994<br />

439 Archiv der Gegenwart vom 21. November 1994, 39497<br />

115


Troglav im Dinarischen Gebirge. Aus dem Gebiet um die von den Serben gehaltenen<br />

Städte Bosansko Grahovo und Glamoc setzte eine Fluchtbewegung von tausenden<br />

serbischen Zivilisten ein. 440 Kroatien wurde im Zuge der Offensive dabei Anfang<br />

Dezember von der UNPROFOR aufgefordert, seine in Bosnien operierenden<br />

Truppen (angeblich rund 700 Mann), die an den Offensiven im Raum Livno und<br />

Glamoc teilnahmen, abzuziehen. 441 Außenminister Granic erklärte daraufhin, die HV-<br />

Einheiten in Bosnien seien auf Bitte der Regierung in Sarajevo im Land und stellten<br />

primär logistische Unterstützungseinheiten für HVO und ABiH dar. 442<br />

Ebenfalls im Dezember 1994 wurde der Mißbrauch der UN-Schutzzonen für<br />

militärische Offensivaktivitäten durch die bosnische Regierung in einem Bericht des<br />

UN-Gener<strong>als</strong>ekretärs zum wiederholten Mal kritisiert. 443 Zur selben Zeit wandte sich<br />

Izetbegovic mit der Bitte um Unterstützung bei der Waffenbeschaffung an die Türkei<br />

und erklärte, sich auf eine Fortsetzung des Krieges vorzubereiten. 444<br />

Der Angriffswille Izetbegovics zum damaligen Zeitpunkt war relativ leicht<br />

nachvollziehbar: Vor allem im Zeichen des herannahenden Winters schien die VRS<br />

Ende 1994 gleichsam strukturell zunehmend im Hintertreffen. Winter begünstigte die<br />

ABiH mit ihrer starken infanteristischen Komponente gegenüber den Serben, die sich<br />

in erster Linie auf ihre schweren und weitgehend immobilen Waffen stützten. Durch<br />

Gelände, Schlamm und das Fehlen von Mannschaften für die 1600 Kilometer-Front<br />

wurden umfangreichere Bewegungen im Winter für die Serben weiter erschwert. 445<br />

440 ÖMZ 2/1995. S. 186-187<br />

441 Tanjug-Meldung vom 8. Dezember 1994: UNPROFOR demands Croatia’s immediate pullout from<br />

Bosnia. In: Permanent Mission of the Federal Republic of Yugoslavia to the United Nations, Yugoslav<br />

Daily Survey, December 12, 1994. 3<br />

442 Tanjug-Meldung vom 9. Dezember 1994: Granic confirms Croatian Army engaged in Bosnian war.<br />

In: Permanent Mission of the Federal Republic of Yugoslavia to the United Nations, Yugoslav Daily<br />

Survey, December 12, 1994. 5<br />

443 Use of safe areas for military purposes (Excerpts from the report of UN Secretary-General Doc.<br />

S/1994/1389) In: Permanent Mission of the Federal Republic of Yugoslavia to the United Nations,<br />

Yugoslav Daily Survey, December 7, 1994. 3<br />

444 Tanjug-Meldung vom 10. Dezember 1994: Izetbegovic prepares for continuation of war. In:<br />

Permanent Mission of the Federal Republic of Yugoslavia to the United Nations, Yugoslav Daily<br />

Survey, December 12, 1994. 4<br />

445 Gow, Another year of war in Bosnia and Herzegovina, In: The Southeast European Yearbook 1994,<br />

S. 238<br />

116


Dennoch waren die Perspektiven trotz aller Erfolge für die Moslems realistisch zu<br />

beurteilen. “The Bosnian Army, in a joint structure with Croatian forces, was likely to<br />

be able to utilise ist superior manpower to weaken the Bosnian Serbs and, probably,<br />

the Croatian Serbs, as well. This could not, however, realistically lead to outright<br />

victory and overall control of the territory of the Bosnian state.” 446<br />

Gegen eine grundsätzliche strategische Wende sprach zu diesem Zeitpunkt unter<br />

anderem noch der Umstand, daß sich die Verbände des HVO, mit der Ausnahme<br />

von Kupres (und abgeschwächt bei Bihac), an keinen gemeinsamen Aktionen mit der<br />

bosnischen Armee beteiligten. Mit geringen Ausnahmen etwa in der Posavina und in<br />

der Herzegowina wurden seitens der Kroaten gegenüber den Serben auch keine<br />

wesentlichen Ansprüche geltend gemacht. 447<br />

Unter diesen Rahmenbedingungen entwickelte sich das militärische Geschehen von<br />

Oktober bis Dezember 1994. An nahezu allen Frontlinien wurde mit wechselnder<br />

Intensität gekämpft, und wo keine Angriffe mit Infanterie geführt wurden, kamen<br />

schwere Waffen zum Einsatz. Dem Steilfeuerbeschuß waren wie beschrieben vor<br />

allem die bosnischen Enklaven Bihac und Srebrenica ausgesetzt. Umkämpft aber<br />

ohne entscheidende Veränderungen blieben die Räume Olovo, Vares, Tuzla und der<br />

Korridor in der Posavina. Die zum Öffnen der Verbindungswege in die Krajina von<br />

den bosnischen Serben gegen das V. Korps geführten Angriffe waren vorerst nicht<br />

erfolgreich. 448<br />

Ebenfalls bereits im Oktober und November waren die Serben auch international<br />

unter stärkeren Druck gekommen. Die US-Regierung wurde durch ein vom Kongreß<br />

verabschiedetes Gesetz gezwungen, weitere Maßnahmen zur Durchsetzung des<br />

Waffenembargos gegen die bosnische Regierung zu unterlassen. Und Anfang<br />

Jänner sollte Senator Robert Dole eine neue Vorlage im Kongreß einbringen, welche<br />

die Regierung zwingen sollte, das Embargo einseitig aufzuheben. 449<br />

US-Unterstaatssekretär Peter Tarnoff später dazu: “In October 1994, as an<br />

alternative to unilaterally lifting the arms embargo, the Congress - with strong<br />

bipartisan support and administration backing - enacted legislation making it illegal<br />

for the U.S. to use appropriated funds to enforce the arms embargo against Bosnia;<br />

Congress was aware of Iranian arms shipments to Bosnia at the time. Iranian<br />

shipments were not excluded from the applicability of this legislation, which took<br />

446 Ebenda. S. 238<br />

447 ÖMZ 1/1995. S. 64<br />

448 ÖMZ 2/1995. S. 185<br />

449 Malcolm, Geschichte Bosniens. S. 297<br />

117


effect in November. Our actions were consistent with the will of Congress, as<br />

subsequently expressed in the October 1994 legislation that barred us from using<br />

appropriated funds to enforce the arms embargo against Bosnia, while avoiding<br />

crossing the line of unilaterally abrogating a binding Security Council resolution by<br />

providing arms to the Bosnian Government directly or - indirectly.” 450 Gleichzeitig<br />

faßte der North Atlantic Council der NATO im November und Dezember 1994<br />

Beschlüsse, “expanding authorization to respond to the defense threat to NATO<br />

aircraft”. Diese NATO-Beschlüsse konnten sich aufgrund der Ausrüstungs- und<br />

militärischen Lage - dem Fehlen effektiver Luftabwehrkapazitäten bei der ABiH - in<br />

erster Linie nur gegen die bosnischen Serben auswirken. 451<br />

Am 15. Dezember hatte sich das Defence Planning Comittee and Nuclear Planning<br />

Group of the North Atlantic Treaty Organisation in Ministerial Sessions in Brüssel<br />

trotz der angespannten Situation für den Verbleib der UN-Truppen in Bosnien in der<br />

derzeitigen Form ausgesprochen: “We believe that UNPROFOR should continue ist<br />

crucial mission of providing humanitarian assistance and saving human life. Our<br />

military authorities are, however, undertaking contingency planning to assist<br />

UNPROFOR in withdrawing should that become unavoidable. (...) In this connection<br />

we reaffirmed our commitment to provide close air support for UNPROFOR and to<br />

use NATO airpower, in accordance with existing arrangements with the United<br />

Nations.” 452 Zuvor waren Anfang Dezember rund 2.000 US-Marineinfanteristen in der<br />

Adria stationiert worden. Diese sollten sich im Falle eines Rückzuges von<br />

UNPROFOR-Einheiten an einer entsprechenden NATO-Operation beteiligen. 453<br />

“The situation in Bosnia and Herzegovina (BH) remained very tense for much of<br />

December. (...) The delivery of humanitarian aid continued to be obstructed.<br />

Likewise, the severe restrictions imposed on the freedom of movement of<br />

UNPROFOR troops by the Bosnian Serbs almost brought that mission to a<br />

standstill.” 454<br />

450 Statement of Undersecretary of State for Political Affairs Peter Tarnoff, House International<br />

Relations Commitee, April 23, 1996. In: U.S. Government (Hg.), U.S. policy towards Bosnia. Hearing<br />

before the Commitee on International Relations House of Representatives one hundred fourth<br />

Congress second session, April 23, 1996. 44<br />

451<br />

AFSOUTH-Sheet Operation Deliberate Force. Internet:<br />

gopher://marvin.nc3a.nato.int/00/yugo/df0611%09%09%2B<br />

452 Internet: gopher://marvin.nc3a.nato.int/00/yugo/pr126.94%09%09%2B<br />

453 ÖMZ 1/1995. S. 61<br />

454 UNHCR-Office of the Special Envoy for former Yugoslavia, Information Notes on former Yugoslavia<br />

No. 1/95, January 1995, i<br />

118


Angesichts der schwierigen Situation für die UN-Einheiten vor Ort, waren seitens der<br />

beteiligten Westmächte selbstverständlich bereits umfangreiche Planungen für einen<br />

eventuellen Abzug der UNPROFOR-Einheiten angestellt worden. Wie aus diesen<br />

Planungen unter anderem hervorging, sollten drei Flugzeugträger, 180<br />

Hubschrauber, 80 Panzer und eine Vielzahl weitere Kettenfahrzeuge an der<br />

Operation teilnehmen. Generell zeigte sich, daß ein kurz- und mittelfristiger Abzug<br />

aller UNPFROFOR-Einheiten aus Bosnien-Herzegowina, wie diese über diesen<br />

Zeitraum laufend erwogen wurde, praktisch unmöglich war, zumal der angebrochene<br />

Winter den Abzug der weit verstreuten Einheiten zusätzlich erschwert hätte. 455 Die<br />

bosnisch-serbische Nachrichtenagentur SRNA zitierte am 11. Dezember das<br />

deutsche Westfalen Blatt, mit der Behauptung, in Bosnien und Jugoslawien würden<br />

sich bereits rund 200 CIA-Agenten zur Vorbereitung und Koordinierung eventueller<br />

NATO-Luftangriffe gegen serbische Ziele aufhalten. 456<br />

Wie aus den vorhergegangenen militärischen Operationen in Bosnien ersichtlich<br />

wird, hatte sich die ABiH selbst bis zum Jahresende 1994 zahlen- und qualitätsmäßig<br />

umfassend verbessert und auf beträchtlichem Niveau konsolidiert. Die Armee- und<br />

die politische Führung war fast durchgehend bereit, den bewaffneten Kampf<br />

weiterzuführen, entsprechende Vorkehrungen wurden getroffen. “So even before the<br />

cease-fire negotiated last December by former U.S. President Jimmy Carter took<br />

hold, virtually every senior Bosnian officer had rotated through the academy for<br />

training in everything from weaponry to military strategy. (...) ...the officers were being<br />

prepared ‘for a long war.” 457 „The war will continue as long as the Bosnian Muslims<br />

hope to gain more territory on the battlefield than they can secure by concluding a<br />

peace agreement. ” 458<br />

455 ÖMZ 2/1995. S. 182<br />

456 Tanjug-Meldung vom 11. Dezemeber 1994: German paper says 200 CIA agents in Bosnian Serb<br />

Republic, Yugoslavia. In: Permanent Mission of the Federal Republic of Yugoslavia to the United<br />

Nations, Yugoslav Daily Survey, December 12, 1994. 6<br />

457 TIME, April 10, 1995. S. 24<br />

458 LTC John E. Sray/United States Army, Foreign Military Studies Office, Fort Leavenworth, Kansas,<br />

USA, 1995: U.S. policy and the Bosnian civil war: A time for reevaluation. Internet: http://leavwww.army.mil/fmso/geo/pubs/bosnia.htm<br />

119


Gemäß Angaben von Präsident Izetbegovic verfügte die bosnische<br />

Regierungsarmee im Dezember 1994 über 150.000 Soldaten, die zehntausende<br />

serbische Kämpfer und mehr <strong>als</strong> 1000 deren Kampffahrzeuge neutralisiert hatten. 459<br />

Auch konkrete unabhängige Zahlen liegen vor: Um die Jahreswende 1994/95 setzte<br />

sich die bosnische Armee folgendermaßen zusammen: Insgesamt verfügte man über<br />

78 Infanterie-, 13 Gebirgs-, einer Aufklärungs-Brigade, zwei Artillerie-Brigaden, neun<br />

motorisierten, einer Special Forces-Brigade, fünf TO-Brigaden und zwei Artillerie-<br />

Regimentern. 460<br />

Die Gliederung der ABiH: Korps Sarajevo (inkl. Gorazde, Srebrenica, Zepa and Mt.<br />

Igman): Rund 40.000 Soldaten in rund 21 Infanterie-Brigaden, acht motorisierten,<br />

sieben Gebirgs-, einer HVO und zwei Artillerie-Brigaden. Das II. Korps in Tuzla<br />

umfaßte rund 10.000 Mann in 26 Infanterie-Brigaden, einer motorisierten, zwei HVO<br />

und einer Engineer-Brigade. Im Rahmen des III. Korps kämpften ca. 30.000 Mann in<br />

16 Infanterie- und einer mechanisierten Brigade in Zentralbosnien. Ein schwaches<br />

Korps war in Mostar/Konjic stationiert und hatte 5.000 Mann, gegliedert in fünf<br />

Infanterie- und eine Gebirgs-Brigade. Das V. Korps in Bihac verfügte über 20.000<br />

Soldaten in acht Infanterie-Brigaden (davon eine der HVO, nämlich die 101. Brigade)<br />

und eine Special Forces-Brigade. Das VII. Korps in Travnik zählte fünf Infanterie- und<br />

zwei Gebirgs-Brigaden. 461<br />

Die Kroaten verfügten in Bosnien zur Jahreswende 1994/95 über insgesamt rund<br />

50.000 Soldaten in vier Operationszonen (Mostar, Tomislavgrad, Vitez, Orasje) in 36<br />

brigadeähnlich strukturierten Verbänden, einer gemischten Artillerie-Division, einer<br />

Multiple Rocket Launcher-Division und einer Special Forces-Brigade sowie anderen<br />

Einheiten mit ca. 75 Panzern (T-34 und T-55) sowie rund 200 Artilleriegeschützen<br />

und einigen SA-7/-14/-16 sowie sechs Helikoptern. 462<br />

Die Serben in Bosnien hatten demgegenüber rund 80.000 Soldaten in 7 Korps. Den<br />

überwiegenden Teil an Truppenstärke stellte auch hier die Infanterie in 62 Brigaden.<br />

Die Serben waren wie folgt disloziert: Das I. Krajina-Korps aus Banja Luka mit 13<br />

Infanterie-Brigaden, zwei gepanzerten Brigaden und weiteren Einheiten. Das II.<br />

Krajina-Korps hielt Bihac umklammert und umfaßte sechs Infanterie-Brigaden. Das<br />

459<br />

Rede Izetbegovics vor der OSZE-Konferenz in Budapest, 7. Dezember 1994. Internet:<br />

http://www.cco.caltech.edu/-bosnia/doc/speech2.html<br />

460 The International Institute for Strategic Studies, The military balance 1994-1995 (London 1994) S.<br />

83-84<br />

461 Ebenda. S. 83-84<br />

462 Ebenda. S. 83-84<br />

120


III. Krajina Korps aus Doboj kämpfte mit 13 Infanterie-Brigaden, zwei gepanzerten<br />

und einer Special Forces-Brigade. Acht Infanterie- und eine gepanzerte Brigade<br />

umfaßte das serbische Tuzla-Korps, der Drina-Großverband hatte sieben Infanterie-,<br />

vier Gebirgs- und zwei gepanzerte Brigaden. Das Sarajevo-Korps führte vermutlich<br />

acht Infanterie-, eine mech.-, eine mot.-, eine Artillerie-Brigade und ein Artillerie-<br />

Regiment ins Treffen. Das Herzegovina-Korps umfaßte sieben Infanteriebrigaden<br />

sowie mech.-Verbände. 463 Wie oben erwähnt wurden die bosnischen Serben<br />

angeblich auch bei Bihac Ende 1994 weiterhin von jugoslawischen Kräften -<br />

zumindest Offizieren aus Belgrad - verstärkt, was von Präsident Milosevic<br />

kategorisch abgestritten wurde. 464 Im allgemeinen war ohnehin durchaus bekannt,<br />

daß Serbien über die schwer zu überwachende Grenze zumindest bis Jahresende<br />

1994 laufend kriegswichtige Güter wie auch schwere Waffen an die bosnischen<br />

Serben lieferte und Truppenteile nach Bosnien verlegte. 465<br />

Zusammenfassend schienen sich nicht nur die Kriegsparteien sondern auch die die<br />

Staatengemeinschaft zu Jahreswechsel 1994/95 in einem nahezu unlösbaren<br />

Dilemma zu befinden. Zum einen zeigte sich deutlich, daß eine von der<br />

Staatengemeinschaft gegen den Willen der bosnischen Serben - die militärisch<br />

zusehends ins Hintertreffen gerieten - forcierte Friedenslösung keine<br />

Realisierungschance hatte und auch der UNPROFOR-Einsatz nur mehr bedingt, mit<br />

hohem Risiko und unter laufender Bloßstellung der Machtlosigkeit der UNO<br />

aufrechtzuerhalten war. Zum anderen hätte ein Totalabzug aus Bosnien-<br />

Herzegowina die Unfähigkeit der Staatengemeinschaft, insbesondere aber der UNO<br />

und EU, bei der Bereinigung von eklatanten Verstößen gegen eine scheinbar<br />

geltende internationale Friedensordnung nicht mehr überdecken können. Allein die<br />

allgemeine Erkenntnis, daß ein solcher Schritt den Krieg in der Region neuerlich<br />

eskalieren würde, hielt die in der Region engagierten Mächte vorerst ab, ihn zu<br />

setzen. 466<br />

463 Ebenda. S. 83-84<br />

464 TIME, December 19, 1994. S. 32<br />

465 ÖMZ 2/1995. S. 182<br />

466 ÖMZ 1/1995. S. 66<br />

121


VIII. Waffenstillstand, Dezember 1994/Jänner 1995<br />

Nach langen, ergebnislosen Verhandlungen schien die Lage in Bosnien -<br />

militärisches Patt, nahender Winter, eine nicht nur auf moslemischer Seite<br />

notleidende und vertriebene Zivilbevölkerung (insgesamt befanden sich Ende 1994<br />

im gesamten ehemaligen Jugoslawien 3,719.000 Millionen Menschen, davon<br />

2,740.000 in Bosnien, auf der Flucht) 467 , offene politische Fragen - Ende des Jahres<br />

1994 auf die Möglichkeit eines zumindest befristeten Waffenstillstandes hinzudeuten.<br />

Die Vermittlung zwischen den Kriegsparteien sollte ein ehemaliger US-Präsident<br />

übernehmen. Kurz vor Weihnachten, am 18.12. erreichte Ex-US-Präsident Jimmy<br />

Carter - auf Einladung von Radovan Karadzic 468 - Sarajevo. 469<br />

Nach intensiven und undurchsichtigen Verhandlungen, die Carter in Sarajevo und<br />

Pale am 19. und 20. 12. führte, wurde zwischen der serbischen und der bosnischen<br />

Führung ein erstes Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Dieses war bis<br />

1.1.1995 befristet und sollte durch Verhandlungen in einen längerfristigen<br />

Waffenstillstand münden. Wenige Stunden vor Jahreswechsel unterzeichneten<br />

Izetbegovic und Karadzic sowie die entsprechenden Oberkommandierenden, Delic<br />

und Mladic, das auf vier Monate befristete Waffenstillstandsabkommen mit Wirkung<br />

vom 1.1.1995. Am 1.1. fügte auch noch der Präsident der bosnischen Kroaten,<br />

Zubak, nachträglich seine Unterschrift bei. 470 „Karadzic und Mladic waren - nicht<br />

überraschend - <strong>als</strong> erste bereit, das Waffenstillstandsabkommen, das bis Ende Mai<br />

gelten soll, zu unterzeichnen: Sie haben ihre Kriegsziele (...) erreicht und können von<br />

einer Position der Stärke aus in neue Verhandlungen über eine tragfähige<br />

Nachkriegsordnung gehen.“ 471 Die bosnischen Serben waren zuvor nicht bereit<br />

gewesen, über einen zeitlich begrenzten Waffenstillstand zu verhandeln, sondern<br />

bestanden auf einer dauerhaften Lösung, die ihre Gebietsgewinne abgesichert hätte.<br />

Der zumindest vordergründige Konflikt mit Milosevic, die festgefahrene<br />

Verhandlungssituation und die militärische Aufrüstung und jüngsten Erfolge der<br />

467 UNHCR-Office of the Special Envoy for former Yugoslavia, Information Notes on former Yugoslavia<br />

No. 1/95, January 1995, 6<br />

468 UNHCR-Office of the Special Envoy for former Yugoslavia, Information Notes on former Yugoslavia<br />

No. 1/95, January 1995, i<br />

469 NEWS 51/94. S. 62<br />

470 ÖMZ 2/1995. S. 183<br />

471 KURIER, 1.1.1995. S. 5<br />

122


osnischen Armee engten den Spielraum von Karadzic allerdings beträchtlich ein. 472<br />

Die Abkommen vom 1.1.1995 beinhaltete sowohl militärische <strong>als</strong> auch humanitäre<br />

und vertrauensbildende Maßnahmen. “On the military side, the Agreement provides,<br />

among others, for the interpositioning of UNPROFOR troops between the forces in<br />

conflict and the withdrawal and monitoring by UNPROFOR of heavy weapons. The<br />

Agreement <strong>als</strong>o includes a number of measures of particular concern to UNHR and<br />

other humanitarian agencies such as full freedom of movement to monitor human<br />

rights and carry out humanitarian assistance, including medical evacuations. It <strong>als</strong>o<br />

makes provision for re-allowing first humanitarian and then civilian traffic across the<br />

Sarajevo airport.” 473<br />

Die Hintergründe und Intentionen der Carter-Mission sind bis heute weitgehend<br />

diffus. US-Diplomaten erklärten, “Carter sees his role as helping Karadzic out of the<br />

corner he’s painted himself into“. 474 Karadzic selbst erklärte, die Gespräche mit<br />

Carter würden den Beginn des Endes des Krieges in Bosnien bedeuten. 475 Zoran<br />

Djindjic geht in dieser Frage mit der Meinung des Autors konform wenn er sagt: „Die<br />

Carter-Initiative vom Jahresende 1994 war der letzte US-Versuch, die Krise ohne<br />

den Einsatz umfangreicher militärischer Mittel zu beenden und auf diplomatischem<br />

Weg einen Kompromiß zu finden. Die bosnischen Serben hatten aber in den letzten<br />

Kriegsjahren jeglichen Realitätssinn verloren. Dies war nicht zuletzt durch eine sehr<br />

gezielte US-F<strong>als</strong>chinformationspolitik bedingt, die eine serbische<br />

Verschwörungsparanoia entstehen ließ.“ 476<br />

Folglich ist anzunehmen, daß Carter nicht aus allein aus eigenem Antrieb in Bosnien<br />

vermitteln wollte. Vielmehr wurde Carter offensichtlich seitens der Amerikaner<br />

vorgeschickt - einerseits um nicht selbst mit Karadzic und Mladic verhandeln zu<br />

müssen, andererseits um die letzten diplomatischen Mittel vor einem<br />

umfangreicheren (militärischen) Eingreifen auszuschöpfen. „Zwar beteuerte Carter<br />

mindestens einhundertmal, daß sein Besuch in Sarajevo und Pale eine ‘private<br />

Initiative’ auf Einladung von Serbenführer Karadzic sei. Aber der Ex-Präsident, der<br />

472 ÖMZ 4/1995. S. 422<br />

473 UNHCR-Office of the Special Envoy for former Yugoslavia, Information Notes on former Yugoslavia<br />

No. 1/95, January 1995, i<br />

474 TIME, December 26, 1994-January 2,1995, 82<br />

475 Tanjug-Meldung vom 19. Dezember 1994: Beginning of end to war in Bosnia. In: Permanent<br />

Mission of the Federal Republic of Yugoslavia to the United Nations, Yugoslav Daily Survey,<br />

December 21, 1994. 5<br />

476 Gespräch mit Zoran Djindjic<br />

123


nicht einmal die Namen seiner Gesprächspartner aussprechen konnte, wird wohl<br />

etwas diplomatische Anleitung gehabt haben.” 477<br />

Die Erwartungshaltung betreffend den Waffenstillstand war Ende 1994/Anfang 1995<br />

durchgehend niedrig. “During 1994, the war in Bosnian and Herzegovina (...) - the<br />

deadening and deepening sore on the face of international diplomacy was marked by<br />

stalemate. However, there were signs of an notable change in the military balance of<br />

power within the overarching deadlock. The essence of both the stalemate and the<br />

shifting balance lay on the battlefields of Bosnia and the strategic capabilities of the<br />

parties of the conflict. The context for these strategic capabilities was shaped by<br />

developments in the diplomatic area. As will be argued, by the beginning of 1995, the<br />

combination of diplomatic and military evolution in 1994 meant that the prospects for<br />

1995 were for continuing armed conflict (...) in spite of the agreement for a four<br />

month cessation of hostilities with which the year began.” 478<br />

Trotz aller Bemühungen um eine Festigung des Waffenstillstandes war bald klar, daß<br />

dieser vor allem seitens der bosnischen Moslems nur <strong>als</strong> willkommene Ruhepause<br />

zur weiteren Aufrüstung und Vorbereitung der ABiH gesehen wurde. Die VRS<br />

brauchte eine Ruhephase nach den schweren Kämpfen der vergangenen Monate.<br />

Die Kroaten hatten in den letzten Wochen des Jahres ihre strategische Position<br />

betreffend die besetzte kroatische Krajina stark verbessert.<br />

Izetbegovic selbst hatte später gegenüber Holbrooke zugegeben, daß Serben und<br />

Moslems dem Carter-Waffenstillstand nur wegen der beschwerlichen Kriegführung<br />

im Winter zugestimmt hatten. „Der Krieg, prophezeite er (Izetbegovic, Anm.), werde<br />

schon vor Ende der viermonatigen Waffenstillstandsfrist, und dann noch heftiger <strong>als</strong><br />

zuvor, fortgesetzt werden.“ 479 Er sollte Recht behalten...<br />

477 PROFIL 1/95. S. 66<br />

478 Gow, Another year of war in Bosnia and Herzegovina, In: The Southeast European Yearbook 1994.<br />

S. 235<br />

479 Holbrooke, Meine Mission. S.108<br />

124


IX. Schlußbetrachtung<br />

Der militärische Konflikt im ehemaligen Jugoslawien, der von seiner Entwicklung über<br />

den Ausbruch der Feindseligkeiten bis hin zur militärischen Lage zum Jahresende<br />

1994 Gegenstand dieser Betrachtung sein sollte, verdient es nicht nur aufgrund der<br />

außergewöhnlichen geographischen und historischen Nähe zum hiesigen Betrachter,<br />

nach angemessenem zeitlichen Abstand einer genaueren Untersuchung unterzogen<br />

zu werden. Wurde doch der Konflikt in all seiner Vielschichtigkeit und Komplexität im<br />

Zeitraum seines Verlaufes aus Sicht des Autors von zahlreichen Beobachtern<br />

vielfach mißinterpretiert und - vieler relevanter und rationaler Motive entkleidet - <strong>als</strong><br />

weitgehend historisch bedingter Zusammenstoß jahrhundertealter<br />

unaufgearbeiteteter gleichsam atavistischer anachronistischer Ressentiments und<br />

Nationalismen dargestellt. Nach eingehender Befassung mit der Materie kann sich<br />

der Autor dieser simplifizierten Interpretation nicht anschließen.<br />

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit konnten Aspekte und Thesen herausgearbeitet<br />

werden, die das weitgehend vorherrschende Bild vom irrationalen und weitgehend<br />

unkontrollierbaren Krieg gleichsam natürlich verfeindeter Völkerschaften weitgehend<br />

<strong>als</strong> Fehleinschätzung demaskieren sollten. Vielmehr war es im Rahmen der<br />

Forschungs- und Interpretationstätigkeit für diese Arbeit fast ein leichtes, rationale<br />

und nachvollziehbare Handlungsmuster der Hauptakteure vor dem und im Krieg zu<br />

erkennen und zu skizzieren, die den Konflikt im ehemaligen Jugoslawien sowohl in<br />

seinem Inneren <strong>als</strong> auch seitens der äußeren einflußnehmenden Kräfte, d.h. primär<br />

EG, UN und die unter Führung der USA stehende NATO, in die letzlich offen<br />

ersichtlichen Bahnen lenkten.<br />

Nachdem sich Osteuropa 1989-91 friedlich vom Kommunismus befreit hatte, stand<br />

auch die jugoslawische Führung vor dem politischen Dilemma, einen Systemwandel<br />

<strong>als</strong> unabwendbar erkennen zu müssen. Hatte sich doch auch der jahrzehntelang <strong>als</strong><br />

den osteuropäischen Nachbarsystemen überlegen propagierte „eigene Weg“ Titos im<br />

sozialistischen Jugoslawien angesichts einer zunehmend prekären wirtschaftlichen<br />

Lage Ende der 80er Jahre vor allem für die meisten Bürger des Staates <strong>als</strong> bankrott<br />

dargestellt. Die Führungen in den jeweiligen Teilrepubliken hatten dies wohl erkannt<br />

und setzten darauf, das sozialistische durch ein anderes Credo zu substituieren. Vor<br />

allem angesichts der wirtschaftlichen Zwangslage und der eklatanten ökonomischen<br />

Disparität zwischen dem reicheren Norden und dem weitgehend mittellosen Süden<br />

des Staates bot sich für Eliten in den Teilrepubliken zweifellos die Gelegenheit, mit<br />

einem entfachten Nationalismus die Völkerschaften gegeneinander aufzubringen,<br />

sich damit gleichzeitig an der Spitze der nationalistischen Bewegungen zu etablieren<br />

und damit die mit dem sozialistischen System schwindenden Privilegien und<br />

125


Einflußmöglichkeiten politischer wie militärischer Art für sich persönlich und sein<br />

Staatswesen zu erhalten.<br />

In einer besonderen Situation befand sich diesen Transformationszustand betreffend<br />

die Jugoslawische Armee. Diese Armee, Anfang der 90er Jahre die viertstärkste in<br />

Europa, war sowohl im Offizierskorps <strong>als</strong> - aufgrund der bevölkerungsmäßigen<br />

Dominanz im Staat - auch bei den Mannschaften eindeutig von einer Völkerschaft,<br />

den Serben dominiert. Gleichzeitig traf sich diese serbische Dominanz mit einer<br />

eindeutigen kommunistisch-gesamtjugoslawischen Ausrichtung dies JNA-<br />

Offizierskorps und ließ daher angesichts drohender zentrifugaler Tendenzen die<br />

Instrumentalisierung der Armee „<strong>als</strong> Einigerin der Völker Jugoslawiens“ und Garant<br />

für den stabilen Fortbestand des Staatswesens aus Sicht vor allem der serbisch<br />

dominierten Zentralregierung nur logisch erscheinen.<br />

Gleichzeitig mußte die serbische Seite, in einer von der Interessenslage her rational<br />

erklärbaren symbiotischen Beziehung mit der Armeespitze <strong>als</strong> „sozialistischste“<br />

Institution im Staat und bedeutender Arbeitsgeber für zahlreiche Landsleute, davon<br />

ausgehen, daß ein „neues“ Jugoslawien, das dem Drängen der aus deren Sicht<br />

politisch unterdrückten und ökonomisch ausgebeuteten Republiken (v.a. Slowenien<br />

und Kroatien) in Richtung Unabhängigkeit nachgegeben hatte, für die starke Armee<br />

zu klein sein werde. Somit schwebte aus Sicht des Autors nicht nur über den Spitzen<br />

der slowenischen und kroatischen, später auch der bosnischen<br />

Unabhängigkeitsbestrebungen, repräsentiert durch die Republikspräsidenten Milan<br />

Kucan, Franjo Tudjman und Alija Izetbegovic, sondern auch über jenen der<br />

serbischen Führung, repräsentiert durch Slobodan Milosevic, die Gefahr, von der<br />

Armee zur Seite geschoben zu werden, sollte man sich mit ihr nicht in ihrem Sinne<br />

arrangieren (diese These stützt sich auch auf die Haltung des Westens, der noch<br />

1991 bestrebt war, Jugoslawien <strong>als</strong> Staat zu erhalten und zu diesem Behufe<br />

eventuell sogar eine militärische Dominanz im Staat zu dulden geneigt war, was<br />

anfangs zweifellos zu verstärktem offensiven Auftreten der Armee beitragen sollte).<br />

Milosevic hatte aufgrund der oben skizzierten strukturellen Verhältnisse im Staat die<br />

beste Ausgangsposition und reagierte am schnellsten.<br />

War die eher demonstrative Militärintervention der Bundesarmee in Slowenien<br />

seitens der serbisch dominierten Zentrale offenbar primär darauf ausgerichtet,<br />

einerseits die Slowenen für die Milosevic nicht zugesagte Hilfe gegen die Kroaten zu<br />

„bestrafen“ und den Kroaten die Entschlossenheit zu militärischem Vorgehen zu<br />

verdeutlichen, vor allem aber um die Armeeführung, die nach wie vor auf die<br />

Sicherung der Republiksgrenzen nach außen abzielte, zu kalmieren, so hatte sich<br />

der Charakter der Auseinandersetzung mit dem im Brioni-Abkommen Anfang Juli<br />

1991 zwischen Slowenien und der Belgrader Zentrale akkordierten Ausscheiden der<br />

nördlichsten Teilrepublik grundlegend gewandelt.<br />

126


Die Auseinandersetzung der im Verlauf des Sommers 1991 weitgehend zu einer<br />

serbischen Armee mutierten Bundesarmee und den jungen kroatischen Streitkräften<br />

kann somit in Verlauf und Charakteristik in keinster Weise mit jener in Slowenien<br />

verglichen werden. An Slowenien hatte die serbische Führung keinerlei Interesse,<br />

lebten dort doch praktisch keine Serben und waren die Slowenen militärisch gut<br />

vorbereitet. Gleichzeitig verlor die serbische Führung - was zahlreiche Jugoslawien-<br />

Verfechter beklagten, aus Sicht Milosevics aber intendiert war - die Option, weiterhin<br />

<strong>als</strong> Verfechter eines Jugoslawien unter Einschluß aller sechs Teilrepubliken auftreten<br />

zu können.<br />

Um einerseits die Armee aktiv und bei der Stange zu halten, gleichzeitig die JNA <strong>als</strong><br />

Arbeitgeber für die eigenen Landsleute ebenso wie die zahlreichen Rüstungsbetriebe<br />

und militärischen Anlagen in Kroatien und vor allem in Bosnien zu erhalten, vollzog<br />

die serbische Spitze unter Federführung Miliosevics, der taktisch geschickt genug<br />

war, nach Bedarf ständig zwischen Nationalismus und Sozialismus zu lavieren (in<br />

Wahrheit jedoch mit größter Sicherheit werder der einen noch der anderen<br />

Geisteshaltung zuneigte sondern diese vermutlich - im Unterschied zu Tudjman -<br />

lediglich instrumentalisierte), im Sommer 1991 den Schwenk hin zur Propagierung<br />

einer an sich jahrhundertealten „großserbischen Idee“ unter Einschluß großer Teile<br />

(nicht nur serbisch besiedelter) Kroatiens und Bosniens bis an die Adria.<br />

Als Partner boten sich dabei die vom kroatischen Nationalismus provozierten<br />

Bewohner der kroatischen Krajina, Nachkommen der serbischen Wehrbauern in der<br />

Donaumonarchie, an. In weitgehend enger Kooperation ging die Armee ab Juli 1991<br />

offen gegen kroatische Freischärler und die neue Kroatische Nationalgarde, die sich<br />

zuvor mit illegalen Waffenimporten primär aus Osteuropa versorgt hatte, vor.<br />

Konnten die Kroaten - obwohl zahlenmäßig überlegen - zumindest in der<br />

Anfangsphase den bisweilen wuchtigen mechanisierten Vorstößen der<br />

Bundeseinheiten wenig entgegensetzen (was sich im Sommer in ständigem<br />

Geländeverlust widerspiegelte), zeigte sich doch ab Spätsommer, daß die JNA im<br />

gleichen Maße an Substanz verlor wie die Kroatische Armee stärker wurde. Zu<br />

diesem Umstand trug der Faktor bei, daß die serbische Seite trotz Eingliederung der<br />

von der Bundesarmee zumeist bewaffneten Freischärlerverbände in reguläre<br />

Armeeinheiten zu Jahresende 1991 (wie später auch in Bosnien) unter akutem<br />

Personalmangel ebenso wie unter der internationalen Ächtung wegen des<br />

militärischen Vorgehens und gewalttätiger Exzesse einiger Einheiten gegen Zivilisten<br />

litt. Gleichzeitig kann davon ausgegangen werden, daß entgegen anderslautenden<br />

Meinungen das Ende September von der UN verhängte Waffenembargo 480 gegen<br />

das gesamte ehemalige Jugoslawien auch für die Kroaten trotz ihres „Startnachteils“<br />

480 Das Waffenembargo wurde in der Tat von Anbeginn an nur bedingt eingehalten und unzureichend<br />

kontrolliert bzw. später von mehreren Zuliefererstaaten gezielt gebrochen oder ignoriert.<br />

127


gegenüber der JNA kaum nennenswerte Auswirkungen mit sich gebracht hatte, da<br />

es ohnehin permanent unterlaufen wurde.<br />

Jedenfalls hatten sich die kroatischen Streitkräfte bis zum Herbst 1991 an Kampfkraft<br />

und Organisation sichtlich konsolidiert und traten im strategisch wichtigen<br />

Westslawonien-Bereich zur Gegenoffensive an (offenbar, um nicht durch einen JNA-<br />

Vorstoß bis zur ungarischen Grenze in zwei Landesteile zerschnitten zu werden). Die<br />

JNA konnte trotz Einsatzes der Luftwaffe und von Raketen gegen die kroatische<br />

Hauptstadt Zagreb bis zum Jahresende keine nennenswerte territorialen Gewinnen<br />

mehr verbuchen und geriet im Gegenteil örtlich unter immer stärkeren kroatischen<br />

Druck. Das weitgehend hergestellte militärische Patt hatte zur Folge, daß der Krieg<br />

bereits einen beträchtlichen Zeitraum vor Inkrafttreten des von Cyrus Vance<br />

ausgehandelten Waffenstillstandes am 3.1.1992 in den meisten Kampfabschnitten zu<br />

einem regelrechten Stellungskrieg erstarrt war.<br />

Nach dem Abflauen der Kampfhandlungen in Kroatien (von deren Ende konnte<br />

keineswegs die Rede sein), vielmehr war der Waffenstillstand aus Sicht von<br />

Beobachtern nach wenigen Tagen wieder fast vollständig zusammengebrochen,<br />

sollte die Situation durch die Stationierung von über 13.000 UN-Soldaten entspannt<br />

und die Zeit des Waffenstillstandes zu Verhandlungen genutzt werden, um zu einem<br />

Abkommen zu gelangen. Allein die unterschiedliche Auslegung der relevanten<br />

Punkte im Waffenstillstandsabkommen zwischen Serben und Kroaten ließ die später<br />

bestätigte Befürchtung aufkommen, die Lage in Kroatien habe sich nur kurzzeitig<br />

beruhigt.<br />

Die Skeptiker die Lage in Kroatien betreffend sollten - betrachtet man die versuchten<br />

kroatischen Vorstöße des Jahres 1993 und die serbischen Antworten darauf - Recht<br />

behalten. Brach doch fast zeitgleich mit der vermeintlichen Stabilisierung der Lage in<br />

Kroatien der bewaffnete Konflikt in Bosnien aus. Auch hier war die serbische Seite<br />

<strong>als</strong> die am besten vorbereitete in den Krieg gegangen, hatte die meisten der aus<br />

Slowenien und dem unbesetzten Kroatien abgezogenen Armeeverbände in der<br />

Republik stationiert und die Einheiten kriegsbereit disloziert. Gleichzeitig brachte die<br />

serbische Führung ebenso wie die Kroaten die Erfahrungen aus dem Kroatien-<br />

Feldzug von 1991 mit und vermieden etwa eine Belagerung ihrer Kasernen durch<br />

rechtzeitiges Herausziehen ihrer Verbände ins Feld.<br />

Die kroatische Führung wiederum, die zuvor die Respektierung der Grenzen<br />

Bosniens betont hatte, stationierte gleichsam <strong>als</strong> Vorwärtsverteidigung bereits vor<br />

Kriegsausbruch im Frühjahr 1992 eine beträchtliche Anzahl an regulären Truppen<br />

und Material in der Nachbarrepublik (vor allem in der weitgehend offen<br />

beanspruchten Westherzegowina) und blieb <strong>als</strong> Militärfaktor während des gesamten<br />

Krieges in Bosnien präsent. Auch ist davon auszugehen, daß die bosnisch-<br />

128


kroatischen Einheiten in Bosnien ebenfalls weitgehend von Zagreb aus geführt<br />

wurden.<br />

In diesem Punkt zeigt sich eine augenscheinliche Parallele mit der serbischen Seite.<br />

Hatte doch der Abzug der jugoslawischen Einheiten aus Bosnien im Mai 1992 primär<br />

kosmetischen Charakter und war schnell klar, daß die serbische Führung in Belgrad<br />

vor allem in Person von Ratko Mladic <strong>als</strong> Bindeglied die bosnisch-serbischen<br />

Verbände befehligte. Belgrad versorgte die VRS mit Offizieren, wenn benötigt mit<br />

Truppeneinheiten (etwa im April 1994 vor Gorazde), Logistik (so war von einem<br />

integrierten Luftverteidigungssystem Jugoslawiens und der VRS auszugehen),<br />

Waffen und Nachschub. Gleichzeitig konnten die verbliebenen serbischen JNA-<br />

Einheiten, die anfangs mit rund 80.000 Mann auch zahlenmäßig noch im Vorteil<br />

waren, auf die umfangreiche militärische Infrastruktur der Tito-Armee zurückgreifen,<br />

die man für den Fall einer Invasion der Roten Armee angelegt hatte.<br />

So ging es den serbischen Verbänden in den ersten Wochen des Krieges<br />

naturgemäß in erster Linie um die Einnahme der wichtigsten Verkehrs- und<br />

Nachschublinien zur Mutterrepublik und die Besetzung der wichtigsten militärischindustriellen<br />

Einrichtungen (die meisten der militärisch-industriellen Einrichtungen im<br />

ehemaligen Jugoslawien waren bereits unter Tito gegen Zugriff von außen nach<br />

Bosnien verlagert worden - ein weiterer wichtiger Faktor im Kalkül der serbischen<br />

Führung. In der Folge sollten einige kriegswirtschaftlich wichtige Bereiche in<br />

serbisch-Bosnien weiter der Industrie Jugoslawiens unterstehen).<br />

Erleichtert wurde das serbische Vorrücken im Frühjahr 1992 durch die militärische<br />

Schwäche der moslemischen Seite, die sich nicht aktiv und dementsprechend<br />

geschlossen auf eine militärische Auseinandersetzung vorbereitet hatte. Sowohl<br />

zahlen- <strong>als</strong> auch ausrüstungsmäßig waren die moslemischen Einheiten zu Beginn<br />

des Krieges schwer unterlegen. Gleichzeitig zeichnete sich trotz örtlicher - auch<br />

schwererer Zusammenstöße - ein weitgehendes Stillhalten der serbischen und<br />

kroatischen Verbände gegeneinander ab. Dies zum einen, da die gegenseitigen<br />

territorialen Ansprüche in Bosnien marginal waren, die Serben die Moslems <strong>als</strong> ihre<br />

primären „natürlichen“ Feinde betrachteten und angeblich im Frühjahr 1991 zwischen<br />

den beiden Republikspräsidneten Tudjman und Milosevic ein geheimes Abkommen<br />

zur Aufteilung Bosniens geschlossen worden war. Gleichsam bestätigt wurde die<br />

serbisch-kroatische Koopertaion gegen die moslemisch dominierte<br />

Regierungsarmee, die sich relativ schnell militärisch konsolidieren und zur<br />

Überraschung vieler Beobachter vor allem den ersten Kriegswinter überleben konnte,<br />

durch einen serbisch-kroatischen Waffenstillstand vom Mai 1993.<br />

In der Folge entwickelte sich der serbisch-moslemische Konflikt aufgrund der<br />

bestehenden Konstellation und Balance (die Serben beschränkten sich nunmehr<br />

weitgehend auf das Halten der besetzten rund 60 Prozent des Landes und das<br />

129


Belagern von nicht-eingenommenen Städten, die Moslems hatten sich organisiert<br />

und vor allem infanteristisch stark verbessert) für ein rundes Jahr zu einem<br />

Nebenkriegsschauplatz. Spätestens ab Frühjahr tobte - was aufgrund der<br />

Eskalationsstufen und der kroatischen Annäherung an die bosnischen Serben<br />

weitgehend abzusehen war - die Auseinandersetzung zwischen Moslems und<br />

Kroaten in der Westherzegowina und in Zentralbosnien. Der Ausgang dieser zumeist<br />

auf äußerst kriegsrechtswidrigem Niveau geführten Schlacht war wiederum<br />

überaschend. Wie schon im vergangenen Winter überlebten die Moslems auch den<br />

Zweifrontenkrieg - wenn auch, wie bisweilen behauptet wird, nicht allein durch<br />

Improvisation, sondern vor allem offensichtlich durch die zunehmende Unterstützung<br />

aus der islamischen Welt und die schleichende Intervention der USA und der NATO<br />

in den Krieg. Seit Frühjahr 1993 überwachten die USA das Flugverbot über Bosnien<br />

und hatten begonnen, Hilfspakete über belagerten Enklaven abzuwerfen. Die<br />

Strategie der Moslems zielte in der Folge darauf ab, unter Ausnutzung ihres Opfer-<br />

Images vor allem in den USA, die UN, vor allem aber die USA bzw. die NATO gegen<br />

die Serben in den Krieg zu involvieren. Dazu sollten auch Provokationen und<br />

Übergriffe gegen die UN-Truppen beitragen, die man den Serben zuzuschieben<br />

beabsichtigte. Die neue US-Administration unter Bill Clinton kam der moslemischen<br />

Führung mit der gegenüber der Regierung Bush geänderten Linie des „Lift and<br />

strike“ entgegen, konnte sich aber vor allem bei den europäischen Vebründeten<br />

vorerst nicht durchsetzen.<br />

Dennoch setzte die NATO nach einem Granatangriff auf den Marktplatz von<br />

Sarajevo Anfang Februar 1994 (wobei nicht vollständig klar erscheint, ob die Granate<br />

tatsächlich aus serbischen Stellungen abgefeuert worden war) den serbischen<br />

Belagerern der Stadt ein Ultimatum - andernfalls werde man angreifen. Die Serben<br />

lenkten ein. Dennoch blieb die NATO-Aktion aus Sicht der moslemischen Führung<br />

weitgehend isoliert und ein Teilerfolg, kam es doch bis zum Jahresende 1994 zwar<br />

mehrm<strong>als</strong> zu NATO-Angriffen auf die Serben, die aber keinen unmittelbaren,<br />

substantiellen Erfolg für die ABiH nach sich zogen.<br />

Diese war - kampfkraftgestärkt durch die erfolgreiche Auseinandersetzung mit den<br />

Kroaten 1993/94 die auf Druck und Vermittlung der USA (die sich somit weiter in den<br />

Konflikt involvierten) beendet wurde und den Serben personell ohnehin überlegen -<br />

im Herbst 1994, <strong>als</strong> sich die Kämpfe vor allem um die Enklave Bihac bewegten, in<br />

die Offensive gegangen und hatte die Serben aus der Enklave heraus im Rahmen<br />

einer anfangs wuchtigen und erfolgreichen Offensive kurzfristig geworfen. Die<br />

umgehend einsetzende Gegenoffensive offenbarte wenige Tage später eindrucksvoll<br />

das Dilemma im kleinen, in dem sich der gesamte bosnische (und auch der<br />

kroatische) Kriegsschauplatz im großen zu Jahresende 1994 befand: Jede der drei<br />

Kriegsparteien hatte sich auf annähernd ähnlichem Niveau stabilisiert (die Serben<br />

130


konnten, unterstützt vom Mutterland, nach wie vor auf ihre Überlegenheit bei<br />

schweren Waffen bauen, die Moslems, mittlerweile direkt unterstützt von islamischen<br />

Staaten und indirekt von den USA, waren an Mannschaftsstärke überlegen), keine<br />

der Seiten war stark genug, die andere(n) entscheidend zu schlagen. Nach den<br />

Verhandlungen vom Herbst des Jahres und der allgemeinen Erschöpfung der<br />

Kriegsparteien bot sich angesichts des militärischen Patts ein Waffenstillstand an.<br />

Dieser wurde von Jimmy Carter Ende Dezember 1994 vermittelt und sollte in<br />

längerfristige und endgültige Friedensverhandlungen münden, wobei die Serben<br />

allein aufgrund des gehaltenen Territoriums in der tendenziell stärkeren Position sein<br />

würden.<br />

Die Erwartungshaltung an den Waffenstillstand war nicht nur seitens von<br />

Beobachtern sondern auch seitens der Kriegsparteien selbst gering. Die Motive der<br />

Fraktionen, einem Waffenstillstand zuzustimmen, waren naheliegend. Neben der<br />

generellen strategischen Balance der Kräfte in Bosnien-Herzegowina war auch der<br />

Wintereinbruch eine Voraussetzung für den Waffenstillstand, der, abgesehen von<br />

den Verletzungen im üblichen Ausmaß, anfangs eingehalten wurde. Nach wie vor<br />

konnte keine Seite damit rechnen, in absehbarer Zeit einen entscheidenden Schlag<br />

führen zu können. Obwohl eine gemeinsame Operationsführung kroatischer und<br />

moslemischer Verbände gegen die serbische Armee nicht realisiert werden konnte,<br />

zeichnete sich immer deutlicher ab, daß die serbischen Kräfte längerfristig<br />

gegenüber der bosnischen Armee ihre noch verbliebenen Vorteile einbüßen würden.<br />

Die sukzessive Aufrüstung der bosnischen Armee könnte sich noch innerhalb des<br />

Jahres 1995 gravierend auf dem Gefechtsfeld bemerkbar machen. Auf dem<br />

personellen Sektor war zu erwarten, daß die Serben in Bosnien selbst keine<br />

entscheidenden Reserven mehr mobilisieren konnten. „Insoferne könnte die oft<br />

ziterte strategische Wende in Bosnien im Jahr 1995 tatsächlich eintreten.“ 481 Somit<br />

hatten sich die strategischen Kräfteverhältnisse vom Zeitpunkt der Ausbruch des<br />

jugoslawischen Krieges 1991 bis zum Ende des Jahres 1994 grundlegend gewandelt<br />

und die militärische Ausgangslage nach einem eventuellen Auslaufen oder<br />

Zusammenbruch des von Carter vermittelten Waffenstillstandes ins Gegenteil zu<br />

jener 1991 verkehrt. Diese Entwicklung vor dem Hintergrund der (zumeist rationalen)<br />

Entscheidungs- und Handlungsmuster der Hauptakteure darzustellen, sollte Ziel<br />

dieser Arbeit sein.<br />

481 ÖMZ 2/1995. S. 186-187<br />

131


X. Bibliographie<br />

• James ADAMS, Wer finanziert den Terror? Die geheimen Geldgeber<br />

terroristischer Organisationen. Deutsche Ausgabe (Bergisch Gladbach 1992)<br />

• Anis H. BAJEKTAREVIC, Ethno-structure. One view of the former Yugoslavia -<br />

Territory, population density, ethno-background, religion, origins. 2nd edition<br />

(Vienna 1997)<br />

• Anton BEBLER, Staat im Staate. Zur Rolle des Militärs. In: Josip FURKES,<br />

Karl-Heinz SCHLARP, Jugoslawien. Ein Staat zerfällt (Frankfurt/Main 1991)<br />

• Hans BENEDIKTER, Die bitteren Früchte von Dayton. Völkermord und<br />

Vertreibungsterror in Kroatien und Bosnien-Herzegowina 1991-1995. Das<br />

Versagen des Westens, ein Friede ohne Gerechtigkeit, Menschenrechte und<br />

Demokratiefragen, die Protestbewegung in Belgrad (Bozen 1997)<br />

• Peter BILLING, Der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien. Ursachen-<br />

Hintergründe-Perspektiven. In: Hessische Stiftung Friedens- und<br />

Konfliktforschung - Report 1/1992. Peace Research Institute Frankfurt<br />

(Frankfurt/Main 1992)<br />

• Bojko BUCAR, Stein KUHNLE (Hg.), Small states compared: Politics of<br />

Norway and Slovenia (Ljubljana 1994)<br />

• Ferdo COLAK, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker zwischen Recht und<br />

Machtpolitik. Deutsche Ausgabe (Offenburg 1996)<br />

• Milo DOR, Leb wohl, Jugoslawien: Protokolle eines Zerfalls. 3., erweiterte<br />

Auflage (Salzburg - Wien 1996)<br />

• Walter ERDELITSCH, Friedrich ORTER, Krieg auf dem Balkan. Wie<br />

Fernsehreporter den Zusammenbruch Jugoslawiens erlebten. 1. Auflage (Wien<br />

1992)<br />

• Susanne GELHARD, Ab heute ist Krieg. Der blutige Konflikt im ehemaligen<br />

Jugoslawien (Frankfurt/Main 1992)<br />

• Hans-Joachim GIESSMANN, Ursel SCHLICHTING (Hg.), Handbuch<br />

Sicherheit. Militär und Sicherheit in Mittel- und Osteuropa. Daten-Fakten-<br />

Analysen (o.O. 1995)<br />

• Misha GLENNY, The fall of Yugoslavia. The third Balkan war (London 1992)<br />

• Bernhard GRÖSEL, Friedensvorschläge zu Bosnien-Herzegowina.<br />

Diplomarbeit aus Völkerrecht a der Universität Salzburg 1994<br />

• Roy GUTMAN, Augenzeuge des Völkermords. Reportagen aus Bosnien.<br />

Deutsche Ausgabe. 1. Auflage (Göttingen 1994)<br />

132


• Paul HARRIS, Somebody else’s war. Frontline reports from the Balkan wars<br />

1991-92 (Hertfordshire 1992)<br />

• Roland HOFWILER, Armeen, Milizen, Marodeure. Die kämpfenden Parteien<br />

und ihre Hintermänner - Eine Übersicht. In: Erich RATHFELDER, Krieg auf dem<br />

Balkan. Die europäische Verantwortung (Frankfurt/Main 1992)<br />

• Richard HOLBROOKE, Meine Mission. Vom Krieg zum Frieden in Bosnien.<br />

Deutsche Ausgabe (München 1998)<br />

• Hans HOLDERBACH, Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Aspekte eines<br />

bewaffneten Konflikts aus völkerrechtlicher Sicht. In: WGO - MfOR 1992<br />

• Jan Willem HONIG, Norbert BOTH, Srebrenica. Der größte Massenmord seit<br />

dem Zweiten Weltkrieg. Deutsche Ausgabe (München 1997)<br />

• Samuel P. HUNTINGTON, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der<br />

Weltpolitik im 21. Jahrhundert . Deutsche Ausgabe. 3. Auflage (München - Wien<br />

1996)<br />

• Anna HUSARSKA, Dateline Banja Luka: City of fear. In: Nader<br />

MOUSAVIZADEH (Hg.), The black book of Bosnia. The consequences of<br />

appeasement (New York 1996)<br />

• Otto KIMMINICH, Einführung in das Völkerrecht. 5. Auflage (Tübingen - Basel<br />

1993)<br />

• Erwin KONJECIC, Die Unabhängigwerdung Kroatiens. Diplomarbeit zur<br />

Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Rechtswissenschaften<br />

an der Universität Salzburg 1995<br />

• Charles LANE, Call to arms. In: Nader MOUSAVIZADEH (Hg.), The black<br />

book of Bosnia. The consequences of appeasement (New York 1996)<br />

• Paul LENDVAI, Zwischen Hoffnung und Ernüchterung. Reflexionen über den<br />

Wandel in Osteuropa (Wien 1994)<br />

• Wolfgang LIBAL, Das Ende Jugoslawiens. Chronik einer Selbstzerstörung<br />

(Wien 1991)<br />

• Klemens LUDWIG, Europa zerfällt (Reinbek bei Hamburg 1993)<br />

• Dieter S. LUTZ, Interventionen - Krieg <strong>als</strong> Ultima ratio? Welche Folgen eine<br />

„Operation Balkansturm” hätte. In: Erich RATHFELDER (Hg.), Krieg auf dem<br />

Balkan. Die europäische Verantwortung (Frankfurt/Main 1992)<br />

• Peter MAASS, Die Sache mit dem Krieg - Bosnien von 1992 bis Dayton.<br />

Deutsche Erstausgabe (München 1997)<br />

• Trpimir MACAN, Josip SENTIJA, Kroatische Geschichte im Überblick. Aus<br />

dem Kroatischen übersetzt von Ute Kolorz (Zagreb 1992)<br />

• Noel MALCOLM, Geschichte Bosniens. Aus dem Englischen von Ilse<br />

Strasmann (Frankfurt/Main 1996)<br />

133


• Walter MANOSCHEK, „Serbien ist judenfrei“. Der deutsche Vernichtungskrieg<br />

in Südosteuropa 1941/42 (Wien 1993)<br />

• Eric MICHELETTI, The Balkans at war. Yugoslavia divided 1991 (Hong Kong<br />

1992)<br />

• Eric MICHELETTI, Yves DEBAY [Übersetzung ins Englische von Jean-Pierre<br />

Villaume], War in the Balkans 1991-1993 (Poole 1993)<br />

• David OWEN, Balkan-Odysee. Deutsche Ausgabe (München - Wien 1996)<br />

• Paul PARIN, Westeuropa hat Jugoslawien allein gelassen. Gedanken eines<br />

entsetzten Zuschauers. In: o. Hg., Europa im Krieg. Die Debatte über den Krieg<br />

im ehemaligen Jugoslawien (Frankfurt/Main 1992)<br />

• Anthony PARSONS, From cold war to hot peace. UN Interventions 1947-1994<br />

(London 1997)<br />

• Zarko PUHOVSKI, Der Krieg in Bosnien-Herzegowina und der serbischkroatische<br />

Konflikt (o.O., o.J.)<br />

• Albrecht RANDELZHOFER (Hg.), Völkerrechtliche Verträge. 6.,<br />

neubearbeitete Auflage (Nördlingen 1994)<br />

• Heinrich SCHNEIDER, Friede für Bosnien-Herzegowina?: Ein Vertragswerk<br />

<strong>als</strong> Herausforderung für Europa (Bonn 1996)<br />

• Laura SILBER, Alan LITTLE, Bruderkrieg. Der Kampf um Titos Erbe. Deutsche<br />

Bearbeitung von Walter Erdelitsch. 2. Auflage (Graz - Wien - Köln 1995)<br />

• Alexandra STIGLMAYER, Vergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina. In:<br />

Alexandra STIGLMAYER (Hg.), Massenvergewaltigung. Der Krieg gegen die<br />

Frauen (Frankfurt/Main 1993)<br />

• Michaela WIMMER, Stefan BRAUN, Joachim SPIERING, Brennpunkt<br />

Jugoslawien. Der Vielvölkerstaat in der Krise. Hintergründe, Geschichte,<br />

Analysen. 2. Auflage (München 1991)<br />

• Susan L. WOODWARD, Balkan tragedy. Chaos and dissolution after the Cold<br />

war (Washington DC 1995)<br />

• Tilman ZÜLCH (Hg.), „Ethnische Säuberung” - Völkermord für<br />

„Großserbien”. Eine Dokumentation der Gesellschaft für bedrohte Völker<br />

(Hamburg - Zürich 1993)<br />

• Schriften des Deutschen Roten Kreuzes: Die Genfer Rotkreuz-Abkommen vom<br />

12. August 1949 und die beiden Zusatzprotokolle vom 8. Juni 1997 sowie das<br />

Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 18.<br />

Oktober 1907 und Anlage [Haager Landkriegsordnung] (Bonn 1988)<br />

134


Verwendete Periodika<br />

• International Herald Tribune, 23.7.1991<br />

• KURIER, 29.11.1991<br />

• KURIER, 1.1.1995<br />

• KURIER, 4.2.1995<br />

• KURIER, 13.3.1995<br />

• KURIER, 5.10.1995<br />

• Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 11.7.1991<br />

• NEWS 24/1997<br />

• Österreichische Militärische Zeitschrift (ÖMZ) 5/1991<br />

• ÖMZ 6/1991<br />

• ÖMZ 1/1992<br />

• ÖMZ 3/1992<br />

• ÖMZ 4/1992<br />

• ÖMZ 5/1992<br />

• ÖMZ 1/1995<br />

• ÖMZ 2/1995<br />

• ÖMZ 3/1995<br />

• PROFIL 44/1991<br />

• PROFIL 48/1991<br />

• PROFIL 2/1992<br />

• PROFIL 17/1992<br />

• PROFIL 1/95<br />

• PROFIL 25/1995<br />

• PROFIL 12/1998<br />

• DER SPIEGEL 29/1993<br />

• DER SPIEGEL 1/1995<br />

• DER SPIEGEL 17/1995<br />

• DER SPIEGEL 11/1998<br />

• DER STANDARD, 27.1.1995<br />

• DER STANDARD, 23.9.1995<br />

• TIME, December 26, 1994-January 2,1995<br />

• TIME, April 10, 1995<br />

• TIME, May 15,1995<br />

• TIME, July 17, 1995<br />

• TIME, August 28, 1995<br />

135


• TIME, April 20, 1998<br />

• Wirtschaftswoche 41/1991<br />

• Wirtschaftswoche 43/1991<br />

• Wirtschaftswoche 34/1993<br />

• Wirtschaftswoche 49/1993<br />

• Wirtschaftswoche 5/1994<br />

136


Weitere verwendete Quellen<br />

• Charles G. BOYD, Making peace with the guilty. The truth about Bosnia. In:<br />

Foreign Affairs, September/October 1995<br />

• Marinko CULIC, Kommentar in Split weekly “Feral tribune”, June 5, 1995.<br />

Internet: http://mediafilter.org/MFF/Mon.sp.html<br />

• Aleksa DJILAS, Tito’s last secret. How did he keep the Yugoslavs together? In:<br />

Foreign Affairs July/August 1995<br />

• Carsten GIERSCH, Daniel EISENMANN, Die westliche Politik und der<br />

Kroatien-Krieg 1991-1992. In: Südosteuropa, 43. Jhg., 3-4/1994<br />

• James GOW, Another year of war in Bosnia and Herzegovina, In: The<br />

Southeast European Yearbook 1994<br />

• Federico GRATTONI, Claudio TOSELLI, Young Croatian wings. In: Air Force<br />

Magazine, August 1996<br />

• Mladen KLEMENCIC, Clive SCHOFIELD, After the storm. Future challenges<br />

for Croatia. In: Jane’s Intelligence Review, December 1995<br />

• SFC Larry LANE, Mapping Bosnian minefields. Internet:<br />

http://www.redstone.army.mil/soldiers<br />

• Winston P. NAGAN, Rethinking Bosnia and Herzegovina’s right of selfdefence:<br />

A comment. In: International Commission of Jurists. The Review -<br />

Number 52/1994<br />

• Erich REITER, NATO-Beitritt Österreichs? Die Bedeutung Österreichs für die<br />

Bildung der künftigen Hegemonialbereiche in Europa. In:<br />

Landesverteidigungsakademie des Bundesministeriums für Landesverteidigung<br />

(Hg.), Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 6/1995. Studien und<br />

Berichte<br />

• Hans-Peter RULLMANN (Hg.), Ost-Dienst. Südosteuropa-Dienst. Serbien<br />

direkt am Krieg in Bosnien beteiligt: Der „Fall Gorazde” (Hamburg, April 1994)<br />

• Roland SCHÖNFELD, Auf dem Wege nach Dayton. In: Südosteuropa-<br />

Gesellschaft e.V. (Hg.), Südosteuropa Mitteilungen<br />

• Predrag SIMIC, The internationalization of the war in Yugoslavia. In: The<br />

Southeast European Yearbook 1994<br />

• LTC John E. SRAY/United States Army, Foreign Military Studies Office, Fort<br />

Leavenworth, Kansas, USA, 1995 : U.S. policy and the Bosnian civil war: A<br />

time for reevaluation. Internet: http://leavwww.army.mil/fmso/geo/pubs/bosnia.htm)<br />

137


• Milan VEGO, The Croatian Forces in Bosnia and Herzegovina. In: Jane’s<br />

Intelligence Review, March 1993 - Europe<br />

• Milan VEGO, The Croatian Army. In: Jane’s Intelligence Review, May 1993<br />

• Carsten WIELAND, Die aktuellen Konfliktlinien in Bosnien-Herzegowina. In:<br />

Südosteuropa Mitteilungen, 1995/Nr.3 - 35. Jahrgang<br />

• Vgl. Anton ZABKAR: Analysis of the Conflict in former Yugoslavia, National<br />

Defence Academy, Studies and Reports 2/1994 (Vienna 1994)<br />

• Anton ZABKAR, The drama in former Yugoslavia - The beginning of the end<br />

or the end of the beginning?. In: Schriftenreihe der<br />

Landesverteidigungsakademie/National Defence Academy Series 3/1995. Wien<br />

1995<br />

• Ethnische Verteilung in Bosnien gemäß Volkszählung von 1991 Internet:<br />

http://www.helsinki.fi/-tervio/bihdata.html):<br />

• Sarajevo-ethnic retirement. Ethnic Retirement of BH Army Gener<strong>als</strong>, AIM<br />

Sarajevo, 11 January, 1997. Internet:<br />

http://www.aimpress.ch/e/archive/data/97w04/970120/70120001.htm<br />

• Stellungnahme des Bundesministers für Auswärtige Angelegenheiten im Wall<br />

Street Journal: “Act now in Yugoslavia”, New York, am 14. November 1991;<br />

nach: Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten (Hg.), Österreichische<br />

außenpolitische Dokumentation. Sonderdruck Jugoslawische Krise (Wien 1992)<br />

• The facts and background of the paramilitary units on the territory of former<br />

Yugoslavia, Podgorica weekly “Monitor”, April 14, 1995. In: Balkan Media&Policy<br />

Monitor. News and Analysis Digest, Issue 11 Vol2 May 1, 1995. Internet:<br />

http://209.48.2.20/MFF/Mon11t.html<br />

• Tanjug-Meldung vom 8. Dezember 1994: UNPROFOR demands Croatia’s<br />

immediate pullout from Bosnia. In: Permanent Mission of the Federal Republic of<br />

Yugoslavia to the United Nations, Yugoslav Daily Survey, December 12, 1994<br />

• Tanjug-Meldung vom 9. Dezember 1994: Granic confirms Croatian Army<br />

engaged in Bosnian war. In: Permanent Mission of the Federal Republic of<br />

Yugoslavia to the United Nations, Yugoslav Daily Survey, December 12, 1994<br />

• Tanjug-Meldung vom 11. Dezember 1994: German paper says 200 CIA agents<br />

in Bosnian Serb Republic, Yugoslavia. In: Permanent Mission of the Federal<br />

Republic of Yugoslavia to the United Nations, Yugoslav Daily Survey, December<br />

12, 1994<br />

• Tanjug-Meldung vom 10. Dezember 1994: Izetbegovic prepares for continuation<br />

of war. In: Permanent Mission of the Federal Republic of Yugoslavia to the United<br />

Nations, Yugoslav Daily Survey, December 12, 1994<br />

138


• Tanjug-Meldung vom 19. Dezember 1994: Beginning of end to war in Bosnia.<br />

In: Permanent Mission of the Federal Republic of Yugoslavia to the United<br />

Nations, Yugoslav Daily Survey, December 21, 1994<br />

• TV-Dokumentation „Bruderkrieg - Der Kampf um Titos Erbe”, 2. Folge „Die<br />

Lunte brennt”<br />

• TV-Dokumentation „Bruderkrieg - Der Kampf um Titos Erbe”, 3. Folge<br />

„Explosionen”<br />

• TV-Dokumentation „Bruderkrieg - Der Kampf um Titos Erbe”, 4. Folge<br />

„Flächenbrand”<br />

• TV-Dokumentation „Bruderkrieg - Der Kampf um Titos Erbe”, 5. Folge<br />

„Sicherheitszonen”<br />

• Unterlage zur Pressekonferenz mit Nationalrat Prof. Dr. Andreas KHOL,<br />

Bosnien-Herzegowina: Wende oder Absturz? Zwischenbilanz eines Besuches<br />

im früheren Jugoslawien (Wien, 19.07.1993)<br />

• Interview mit General a.D. Jovan DIVJAK, Sarajewo, August 1997<br />

• Interview mit Bürgermeister a. D. Prof. Zoran DJINDJIC, Belgrad, Oktober 1997<br />

• Interview mit Gener<strong>als</strong>tabschef a. D. General a.D. Sefer HALILOVIC, Sarajevo,<br />

August 1997<br />

• Interview mit Außenminister a.D. NR Dr. Alois MOCK, Salzburg-Wien, Juni 1997<br />

• AFSOUTH-Sheet Operation Deliberate Force. Internet:<br />

gopher://marvin.nc3a.nato.int/00/yugo/df0611%09%09%2B)<br />

• Archiv der Gegenwart vom 21. November 1994, 39494<br />

• Archiv der Gegenwart vom 8. April 1995, 39887<br />

• Economic and Social Council/Commission on human rights, Special process on<br />

missing persons in the territory of the former Yugoslavia. Report submitted by Mr.<br />

Manfred Nowak, expert member of the Working Group on Enforced or Involuntary<br />

Disappearences, responsible for the special process, pursuant to paragraph 4 of<br />

Commission resolution 1995/35. E/CN.4/1996/36, 4 March 1996<br />

• Military intervention by the Republic of Croatia in the Republic of Bosnia and<br />

Herzegovina. Internet: http://suc.suc.org/-kosta/tar/external/emilitary_intervention_of_croatia--.html<br />

• NATO press release (94) 64: NATO AIRCRAFT CONDUCT AIR STRIKES AT<br />

REQUEST OF UNPROFOR, 5. August 1994. Internet:<br />

gopher://marvin.nc3a.nato.int/00/yugo/pr64.94%09%09%2B<br />

• NATO Press Release (94) 90, 22 September 1994. Internet:<br />

gopher://marvin.nc3a.nato.int/00/yugo/pr90.94%09%09%2B<br />

139


• NATO Press Release (94) 103, 28 October 1994: PRESS STATEMENT ISSUED<br />

JOINTLY BY UN AND NATO: Internet:<br />

gopher://marvin.nc3a.nato.int/00/yugo/pr103.94%09%09%2B<br />

• NATO Press Release (94) 110, 21 Novembner 1994: NATO AIRCRAFT ATTACK<br />

UDBINA AIRFIELD: Internet: Gopher://<br />

marvin.nc3a.nato.int/00/yugo/pr110.94%09%09%2B<br />

• NATO Press Release (94) 111, 23 November 1994: Internet:<br />

gopher://marvin.nc3a.nato.int/00/yugo/pr111.94%09%09%2B<br />

• NATO Press Release (94) 112, 23 November 1994: Internet:<br />

gopher://marvin.nc3a.nato.int/00/yugo/pr112.94%09%09%2B<br />

• Statement of Undersecretary of State for Political Affairs Peter Tarnoff, House<br />

International Relations Commitee, April 23, 1996. In: U.S. Government (Hg.), U.S.<br />

policy towards Bosnia. Hearing before the Commitee on International Relations<br />

House of Representatives one hundred fourth Congress second session, April 23,<br />

1996<br />

• Supplemental United States Submission of Information to UN Security Council in<br />

Accordance with Paragraph 5 of Resolution 771 (1992) and Paragraph 1 of<br />

Resolution 780 (1992), dated March 1, 1993, Sixth Report on war crimes in the<br />

former Yugoslavia (part 1). Internet:<br />

http://www.haverford.edu/relg/sells/reports/6th.htm<br />

• UN Economic and Social Council/Commission on Human Rights, Situation of<br />

human rights in the territory of the former Yugoslavia. Tenth periodic report on the<br />

situation of human rights in the territory of the former Yugoslavia submitted by Mr.<br />

Tadeusz Mazowiecki, Special Rapporteur of the Commission on Human Rights,<br />

pursuant to paragraph 37 of Commission resolution 1994/72 of 9 March 1994.<br />

E/CN.4/1995/57, 16 January 1995<br />

• UN Economic and Social Council/Commission on Human Rights, Situation of<br />

human rights in the territory of the former Yugoslavia. Tenth periodic report on the<br />

situation of human rights in the territory of the former Yugoslavia submitted by Mr.<br />

Tadeusz Mazowiecki, Special Rapporteur of the Commission on Human Rights,<br />

pursuant to paragraph 37 of Commission resolution 1994/72 of 9 March 1994.<br />

E/CN.4/1995/57, 16 January 1995<br />

• UNHCR-Office of the Special Envoy for former Yugoslavia, Information Notes on<br />

former Yugoslavia No. 1/95, January 1995, i<br />

• UNHCR-Office of the Special Envoy for former Yugoslavia, Information Notes on<br />

former Yugoslavia No. 2/95, February 1995, ii<br />

• UNHCR-Office of the Special Envoy for former Yugoslavia, Information Notes on<br />

former Yugoslavia No. 3/95, March 1995, i<br />

140


• UNHCR-Office of the Special Envoy for former Yugoslavia, Information Notes on<br />

former Yugoslavia No. 3/95, March 1995, iv<br />

• UNHCR-Office of the Special Envoy for former Yugoslavia, Information Notes on<br />

former Yugoslavia No. 4/95, April 1995, i<br />

• Use of safe areas for military purposes (Excerpts from the report of UN Secretary-<br />

General Doc. S/1994/1389) In: Permanent Mission of the Federal Republic of<br />

Yugoslavia to the United Nations, Yugoslav Daily Survey, December 7, 1994<br />

141


142

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