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Lieben die ArbeiterInnen die Arbeit? - Wildcat

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Vor 1914<br />

Eine Fülle von Daten zeigt, dass <strong>Arbeit</strong>er jahrhundertelang ihren Lohn mit<br />

ihren handwerklichen Fähigkeiten und ihrer Würde rechtfertigten. Sie<br />

handelten so, als sei ihr Recht auf einen gerechten Lohn (und auf gerechte<br />

Preise im Rahmen der von E. P. Thompson beschriebenen »moralischen<br />

Ökonomie«) von ihrer Plackerei und Fachkunde abgeleitet.<br />

Wenn sie aber im Namen der <strong>Arbeit</strong> Forderungen stellten und rebellierten,<br />

kämpften sie dann für eine Welt, in der sie selbst den Platz ihrer Meister<br />

einnehmen würden? Zur Beantwortung <strong>die</strong>ser Frage müssen wir zwischen<br />

<strong>Arbeit</strong>erpraxis und <strong>Arbeit</strong>erideologie unterscheiden.<br />

Alte soziale Bewegungen werden als Bestrebungen zur Durchsetzung<br />

einer Utopie geschildert, in der <strong>die</strong> <strong>Arbeit</strong> König sein sollte. Dies war sicherlich<br />

eine ihrer Dimensionen, aber nicht <strong>die</strong> einzige und auch nicht <strong>die</strong><br />

zentrale, <strong>die</strong> alle anderen verband. Woher sonst <strong>die</strong> häufigen Forderungen,<br />

weniger zu abeiten? In Lyon zettelten <strong>die</strong> Drucker 1539 einen viermonatigen<br />

Streik für kürzere <strong>Arbeit</strong>szeiten und mehr Feiertage an. Im 18. Jahrhundert<br />

nahmen sich französische Papiermacher »illegalen« Urlaub. Marx<br />

erwähnt, wie schockiert <strong>die</strong> englischen Bourgeois auf <strong>Arbeit</strong>er reagierten,<br />

<strong>die</strong> lieber weniger arbeiteten (und ver<strong>die</strong>nten) und dafür nur vier statt sechs<br />

Tage in <strong>die</strong> Fabrik kamen.<br />

»Entweder als <strong>Arbeit</strong>er leben oder als Kämpfer sterben.« Die berühmte<br />

Parole der Seidenspinner von Lyon aus den 1830er Jahren bedeutet natürlich<br />

eine Forderung nach <strong>Arbeit</strong>, aber weniger nach <strong>Arbeit</strong> als einer positiven<br />

Realität, als vielmehr nach einem Mittel des Widerstands gegen<br />

schlechter werdende Bezahlung. Der Grund für den Aufstand der Seidenspinner<br />

im Jahre 1834 war nicht <strong>die</strong> Einführung von Maschinen, <strong>die</strong> sie<br />

arbeitslos gemacht hätten. Die Maschinen waren bereits da. Die <strong>Arbeit</strong>er<br />

kämpften gegen <strong>die</strong> Macht der Händler, <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>Arbeit</strong> willkürlich vergaben<br />

und sehr wenig zahlten. Wenn der Seidenspinner <strong>die</strong> Qualität seiner Seide<br />

lobte, dann redete er nicht wie ein mittelalterlicher Handwerksmeister: Es<br />

ging um sein Leben.<br />

Es stimmt, dass <strong>die</strong> Schließung der Französischen Nationalwerkstätten<br />

durch <strong>die</strong> Regierung im Juni 1848 den Pariser Aufstand auslöste. Aber<br />

Februar 2003 7

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