Personalforschung an Hochschulen - Rainer Hampp Verlag
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Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 391<br />
1. Personalm<strong>an</strong>agement allgemein/Strategisches<br />
Personalm<strong>an</strong>agement/Steuerung der Personalarbeit<br />
Maike Andresen<br />
Corporate Universities als Instrument des strategischen<br />
M<strong>an</strong>agements von Person, Gruppe und Org<strong>an</strong>isation *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Michel E. Domsch, Universität der Bundeswehr<br />
Hamburg<br />
1. Ausg<strong>an</strong>gspunkt<br />
Insbesondere seit den 1990er Jahren wird den als Corporate University bezeichneten<br />
firmeneigenen Lerninstitutionen weltweit eine hohe Aufmerksamkeit zuteil, die<br />
v.a. auf ihre vielfach propagierte stützende Rolle im Rahmen des strategischen M<strong>an</strong>agements<br />
von Unternehmen zurückgeführt werden k<strong>an</strong>n. Zum Ausdruck gebracht wird<br />
hier die Einsicht, dass die Mitarbeiter eines Unternehmens der entscheidende Faktor<br />
sind, wenn Strategien wirksam werden sollen.<br />
Im Rahmen des strategischen M<strong>an</strong>agements streben Unternehmen eine optimale<br />
Abstimmung von Umwelt, Strategie, Struktur und Personalpraktiken einschließlich<br />
der Lernprozesse <strong>an</strong>. Bildlich gesprochen ist die Wettbewerbsfähigkeit auf nationaler,<br />
aber insbesondere auch auf internationaler Ebene nicht so sehr eine Frage dessen, wie<br />
der Wind weht, sondern vielmehr wie m<strong>an</strong> seine Segel setzt. Daher müssen Unternehmen<br />
nicht nur in der Lage sein, die Richtung und Stärke des Windes bzw. die<br />
Umweltfaktoren, die ihre Geschäftstätigkeit beeinflussen, zu bestimmen, sondern<br />
insbesondere auch eine hoch qualifizierte Crew zu entwickeln. Diese muss die Fähigkeiten<br />
besitzen, die gegenwärtige und zukünftig gewünschte Position wie auch die<br />
übergeordneten strategischen Ziele des Unternehmens zu bestimmen, den zur Erreichung<br />
der gesetzten Ziele als günstig erscheinenden Kurs festzulegen und einzuschlagen<br />
sowie die Firma zu navigieren. Mit diesem Bild soll verdeutlicht werden,<br />
dass eine kooperierende Mitarbeiterschaft, die über ein im Vergleich zu Konkurrenzunternehmen<br />
überlegenes Wissen und bessere Kompetenzen verfügt und in der Lage<br />
ist, das eigene Unternehmen zu führen und zu tr<strong>an</strong>sformieren, ein bedeutender Faktor<br />
für die Erzielung eines nachhaltigen Wettbewerbsvorteils ist.<br />
*<br />
Maike Andresen: Corporate Universities als Instrument des strategischen M<strong>an</strong>agements von<br />
Person, Gruppe und Org<strong>an</strong>isation – Eine Systematisierung aus strukturationstheoretischer und<br />
radikal konstruktivistischer Perspektive. Dissertation veröffentlicht in der Schriftenreihe<br />
„Personalm<strong>an</strong>agement – Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement“, hrsg. von Michel E. Domsch, Désirée<br />
H. Ladwig, Bd. 7, L<strong>an</strong>g, Hamburg u.a. 2003.
392 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Corporate Universities werden als zentrales Instrument der Unternehmensführung<br />
<strong>an</strong>gesehen, welches genutzt werden k<strong>an</strong>n, um das benötigte unternehmensspezifische<br />
Hum<strong>an</strong>kapital aufzubauen und über maßgeschneiderte, strategieorientierte<br />
Weiterbildungspraktiken mittels der Ressource ‚Mensch’ sowie des in ihr ver<strong>an</strong>kerten<br />
Wissens Wettbewerbsvorteile zu generieren.<br />
2. Problemstellung<br />
Unklar blieb sowohl in der praktischen als auch wissenschaftlichen Diskussion<br />
bisher, was konkret unter einer Corporate University verst<strong>an</strong>den wird und wie mit ihrer<br />
Hilfe eine Förderung des strategischen M<strong>an</strong>agements über ein strategisches Lernen<br />
in und von Unternehmen erreicht werden k<strong>an</strong>n. Zum Ausdruck kommt dies nicht<br />
zuletzt in den zahlreichen in (primär praxisorientierten) Publikationen <strong>an</strong>geführten<br />
Definitionen, die sowohl durch Überschneidungen als auch Widersprüche gekennzeichnet<br />
sind. So stellen einige Autoren gar kritisch heraus, dass es sich bei dem Begriff<br />
‚Corporate University’ um einen Etikettenschwindel h<strong>an</strong>delt, hinter dem sich in<br />
vielen Unternehmen traditionelle Weiterbildungsmaßnahmen verbergen, welche in<br />
der Firmenuniversität integriert sind und sich durch keine grundlegenden inhaltlichen<br />
oder strukturellen Neuerungen auszeichnen. Ausgeweitet werden die diesbezüglichen<br />
Unsicherheiten durch die Vielzahl <strong>an</strong> beobachtbaren unterschiedlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten<br />
von Corporate Universities in Unternehmen. Auch Benchmarkingstudien<br />
und die m<strong>an</strong>nigfaltigen Beschreibungsmodelle in der Literatur konnten<br />
bisl<strong>an</strong>g keine Ergebnisse liefern, aus denen sich eindeutige H<strong>an</strong>dlungs<strong>an</strong>weisungen<br />
und Erkenntnisse hinsichtlich dieses Aspekts ableiten lassen. Zur Klärung des Konzeptes<br />
fehlt daher eine theoriebasierte, wissenschaftliche Aufarbeitung und Fundierung,<br />
welche in der Arbeit geleistet wird.<br />
3. Untersuchungsgegenst<strong>an</strong>d<br />
Es wird von der nachfolgenden Definition ausgeg<strong>an</strong>gen: Corporate Universities<br />
sind firmeneigene Lerninstitutionen, welche das strategische M<strong>an</strong>agement in Unternehmen<br />
stützen. Sie fördern ein strategisches Lernen, indem die Personalentwicklungsprogramme<br />
in verbindliche strategische Entwicklungskonzepte des jeweiligen<br />
Unternehmens und damit unmittelbar in das Org<strong>an</strong>isationsgeschehen konkret eingebunden<br />
sind. Lernen und strategisches H<strong>an</strong>deln werden somit als integraler Prozess<br />
verst<strong>an</strong>den. Ziel des H<strong>an</strong>delns ist die Konzipierung oder Implementierung von Strukturen<br />
sowie die Konstruktion von Wissen. Das dadurch aufgebaute Hum<strong>an</strong>kapital ist<br />
unternehmensspezifisch bzw. dient dem Unternehmenszweck.<br />
Obige Begriffsbestimmung bringt einen Perspektivenwechsel zum Ausdruck,<br />
demzufolge die Aufgabe der Personalentwicklung nicht länger rein darin gesehen<br />
wird, die notwendigen Kompetenzen aufzubauen, um die gegenwärtige Leistung im<br />
Unternehmen aufrechterhalten bzw. verbessern zu können und ein Erreichen zukünftiger<br />
ökonomischer Leistungsziele zu gewährleisten. Stattdessen werden die Prozesse<br />
auf Org<strong>an</strong>isationsebene als Rahmen der Personalentwicklung interpretiert. Die im<br />
Geiste vollzogene Trennung zwischen Personalebene und Org<strong>an</strong>isationsebene, die
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 393<br />
bisl<strong>an</strong>g auch in der org<strong>an</strong>isatorischen Ausgliederung beispielsweise in Form einer<br />
Abteilung für Aus- und Weiterbildung ihren Ausdruck f<strong>an</strong>d, wird damit aufgegeben.<br />
Corporate Universities sind daher idealerweise direkt dem Vorst<strong>an</strong>d bzw. der Geschäftsführung<br />
unterstellt und werden als strategische Org<strong>an</strong>isationseinheit verst<strong>an</strong>den.<br />
4. Zielsetzung und theoretische Basis<br />
Im Rahmen des strategischen M<strong>an</strong>agements stellen sich Unternehmen insbesondere<br />
zwei Herausforderungen:<br />
Erstens müssen die sich in dem dynamischen und komplexen Unternehmensumfeld<br />
stellenden Herausforderungen bewältigt werden, indem die Entwicklung des<br />
Unternehmens in der Art vor<strong>an</strong>getrieben wird, dass eine Abstimmung zwischen<br />
Unternehmen und Umwelt erreicht wird (Org<strong>an</strong>isationsebene).<br />
Zweitens bedarf es einer darauf abgestimmten (g<strong>an</strong>zheitlichen) Entwicklung der<br />
involvierten Mitarbeiter, welche einzeln und in ihrer Gesamtheit die Entwicklungen<br />
auf Unternehmensebene vor<strong>an</strong>treiben (Person-/Gruppenebene).<br />
Ziel der Arbeit ist es daher zum einen herauszuarbeiten, wie sich auf Org<strong>an</strong>isationsebene<br />
die H<strong>an</strong>dlungsspielräume unternehmerischen H<strong>an</strong>delns beschreiben lassen,<br />
wodurch diese eingegrenzt werden, und wie sie genutzt, aber auch durch das H<strong>an</strong>deln<br />
aktiv beeinflusst werden können. Schließlich soll auch beleuchtet werden, welche<br />
H<strong>an</strong>dlungen durch unternehmerische Akteure eingeleitet werden können. Zu berücksichtigen<br />
ist hier, dass das gegenwärtige org<strong>an</strong>isationale H<strong>an</strong>deln nicht allein vom<br />
Wissen, sondern zusätzlich von vorhergehenden H<strong>an</strong>dlungsakten einerseits und der<br />
Nachwirkung gegenwärtiger H<strong>an</strong>dlungen in der Zukunft <strong>an</strong>dererseits bedingt ist. Die<br />
H<strong>an</strong>dlungsprozesse stellen somit eine konstituierende Bedingung bzw. Ausg<strong>an</strong>gspunkte<br />
org<strong>an</strong>isationaler Tätigkeit dar. Die Betrachtung derartiger h<strong>an</strong>dlungsbedingter<br />
und h<strong>an</strong>dlungsbedingender Faktoren ist Gegenst<strong>an</strong>d der Analyse vom W<strong>an</strong>del der<br />
Unternehmen. Die die Org<strong>an</strong>isationsebene betreffenden Aspekte werden mit Hilfe der<br />
Strukturationstheorie beleuchtet.<br />
Zum <strong>an</strong>deren soll dargelegt werden, auf welche Weise auf Person-/Gruppenebene<br />
diese H<strong>an</strong>dlungsfähigkeit von Individuen aufgebaut und wie über eine Koordination<br />
der H<strong>an</strong>dlungen Einzelner zusätzlich eine H<strong>an</strong>dlungsfähigkeit von Org<strong>an</strong>isationen<br />
herbeigeführt werden k<strong>an</strong>n. Die diesbezügliche Anleitung und Begleitung der<br />
H<strong>an</strong>delnden k<strong>an</strong>n im Rahmen einer Corporate University erfolgen. Um die auf Person-/Gruppenebene<br />
benötigten Lernprozesse erklären zu können, wird auf den Ansatz<br />
des radikalen Konstruktivismus zurückgegriffen.<br />
Beide Theorien, die aus der Soziologie herrührende Strukturationstheorie und<br />
der radikale Konstruktivismus als Lerntheorie, die in dieser Arbeit verknüpft werden,<br />
vermögen sich in idealer Weise zu ergänzen, um die Prozesse in Unternehmen umfassend<br />
und g<strong>an</strong>zheitlich zu erklären. Die Arbeit ist folglich trotz eines betriebswirtschaftlichen<br />
Ausg<strong>an</strong>gspunkts stark interdisziplinär ausgerichtet.
394 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
5. Kernergebnis der theoretischen und empirischen Untersuchung<br />
Zur Klärung des komplexen Konstrukts der Corporate University wird ausgehend<br />
von einer theoretischen Grundlegung <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der Strukturationstheorie sowie des<br />
radikalen Konstruktivismus einerseits und einer fallstudienbasierten Analyse von 88<br />
Corporate Universities in den USA und Europa <strong>an</strong>dererseits eine Systematik entwickelt.<br />
Darauf aufbauend werden mit Hilfe eines Erklärungsmodells die Funktionsweisen<br />
bestehender Corporate Universities erklärt, Hinweise für ihre maßgeschneiderte<br />
Gestaltung in der Praxis gegeben und Nutzungsmöglichkeiten im Rahmen des strategischen<br />
M<strong>an</strong>agements in Gegenwart und Zukunft aufgezeigt.<br />
Eines der zentralen Ergebnisse der theorie- und empiriebasierten Analyse ist,<br />
dass es nicht die Corporate University bzw. eine begrenzte Zahl von ‚Typen’ gibt,<br />
wie in bestehenden Beschreibungsmodellen suggeriert, sondern vielmehr mehrere<br />
Bausteine identifiziert werden können, die von Unternehmen entsprechend ihrer unternehmensspezifischen<br />
Herausforderungen und Bedürfnisse ausgewählt und in für<br />
sie optimaler Weise mitein<strong>an</strong>der kombiniert werden. Verschiedene Einflussfaktoren<br />
in der internen und externen Umwelt, welche die Ausgestaltung von Corporate Universities<br />
steuern, werden aufgezeigt und des Weiteren die identifizierten Bausteine<br />
ausführlich beschrieben sowie deren Zusammenwirken dargestellt.<br />
Es h<strong>an</strong>delt sich insofern um einen Beitrag zur <strong>an</strong>wendungsorientierten Forschung,<br />
in deren Rahmen Wissenschaft und Praxis verbunden werden. So soll für den<br />
Bereich der Praxis Wissen über den Themenbereich der Corporate Universities erzeugt<br />
werden, das dazu befähigt, die zu ihrer Umsetzung benötigten Bedingungen<br />
und Voraussetzungen in Unternehmen zu erkennen, bereits bestehende Praktiken kritisch<br />
zu <strong>an</strong>alysieren, selbst H<strong>an</strong>dlungen durchzuführen und Probleme zu lösen. Der<br />
Mehrwert der Anwendungsorientierung liegt in einer Erfassung und H<strong>an</strong>dhabung der<br />
Komplexität der Unternehmenspraxis und der sich dort bietenden Probleme sowie in<br />
der Kommunikationsunterstützung über die Bereitstellung eines geeigneten Vokabulars.<br />
Für den personalwirtschaftlichen Bereich der Wissenschaft ergeben sich neue<br />
Erkenntnisse aus der interdisziplinären Betrachtung des strategischen Lernens in und<br />
von Unternehmen im Rahmen der Corporate University. Verknüpft werden betriebswirtschaftliche<br />
Aspekte auf Org<strong>an</strong>isationsebene (strategisches M<strong>an</strong>agement) mit lerntheoretischen/didaktischen<br />
Gesichtspunkten auf Individual-/Gruppenebene (strategisches<br />
Lernen). Für die bisl<strong>an</strong>g als eher theoriearm <strong>an</strong>gesehene Disziplin Personalwirtschaft<br />
soll mittels der für die Personalwirtschaftslehre zugänglich gemachten und<br />
mitein<strong>an</strong>der verknüpften Theorien der Strukturation sowie des radikalen Konstruktivismus<br />
ein Beitrag zur fundierteren Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit personalwirtschaftlichen<br />
Fragestellungen in der Zukunft geleistet werden.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 395<br />
Barbara Brenzikofer<br />
Die Reputation von Professoren – Implikationen für das Hum<strong>an</strong><br />
Resource M<strong>an</strong>agement von Universitäten *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Bruno Staffelbach, Universität Zürich<br />
1. Problemhinführung und Fragestellung<br />
Die Universitäten im deutschsprachigen Raum sehen sich zu Beginn des neuen<br />
Jahrtausends großen Umweltveränderungen ausgesetzt. Dies schlägt sich unter <strong>an</strong>derem<br />
in einer Reform der gesetzlichen Grundlagen von Universitäten sowie dem vermehrten<br />
Einsatz betriebswirtschaftlicher Grundsätze und Methoden nieder.<br />
Mit dem Einsatz betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse soll erreicht werden, dass<br />
Universitäten unter den veränderten Bedingungen nach wie vor hochwertige Leistungen<br />
in den Bereichen Forschung und Lehre sowie Dienstleistungen <strong>an</strong>bieten können.<br />
Diese Leistungen sind, <strong>an</strong>alog zu Dienstleistungsunternehmen, meist sehr eng <strong>an</strong> die<br />
Menschen gebunden, die sie erbringen.<br />
Umso erstaunlicher ist es, dass das Personalm<strong>an</strong>agement bzw. HRM von Universitäten<br />
bisher nur im Ausnahmefall Gegenst<strong>an</strong>d wissenschaftlicher Abh<strong>an</strong>dlungen<br />
war. Die HRM-Konzepte für Universitäten haben dabei den spezifischen Besonderheiten<br />
von Universitäten Rechnung zu tragen. Das Streben nach Reputation, dem v.a.<br />
für Professorinnen und Professoren <strong>an</strong> Universitäten eine große Bedeutung zugeschrieben<br />
wird, ist eine solche Besonderheit.<br />
Im Zentrum steht deshalb die Analyse der Reputation von Professoren und die<br />
Bedeutung der Reputation für das Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement von Universitäten.<br />
Im Einzelnen werden folgende Teilziele verfolgt:<br />
einerseits vorerst ein Framework zur systematischen und differenzierten Erfassung<br />
des HRM von Universitäten zu entwickeln und mit dessen Hilfe exemplarisch<br />
einen Teilbereich des HRM der Universität Zürich zu beschreiben;<br />
<strong>an</strong>dererseits im eigentlichen Hauptteil den Begriff sowie die Prozesse der Entstehung,<br />
Erhaltung und Auswirkungen der Reputation von Professoren zu <strong>an</strong>alysieren<br />
und daraus ein differenziertes Prozessmodell der individuellen Reputation<br />
von Professoren zu entwickeln, wobei die disziplinenbedingten Unterschiede zu<br />
berücksichtigen sind;<br />
*<br />
Barbara Brenzikofer: Reputation von Professoren – Implikationen für das Hum<strong>an</strong> Resource<br />
M<strong>an</strong>agement von Universitäten. Personalwirtschaftliche Schriften, hrsg. von Dudo von E-<br />
ckardstein und Oswald Neuberger, B<strong>an</strong>d 19. ISBN 3-87988-701-2, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>,<br />
München und Mering, 2002, 316 S., € 29,80
396 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
<br />
<br />
dabei die besonderen Merkmale der Tätigkeit von Professoren sowie die Bedingungen<br />
für ihre Arbeitszufriedenheit und Motivation herauszuarbeiten und daraus<br />
den Stellenwert der Reputation abzuleiten;<br />
aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse zur Reputation Implikationen für das<br />
HRM von Professoren <strong>an</strong> Universitäten zu formulieren und zu beurteilen.<br />
2. Theoretische Basis<br />
Die theoretische Basis ist durch drei Merkmale charakterisiert: Betriebswirtschaftliche<br />
Perspektive, Interdisziplinarität und Anwendungsorientierung: Mit der<br />
Übertragung der Grundzüge des HRM in Unternehmen auf Universitäten (unter Berücksichtigung<br />
von deren Besonderheiten) wird eine betriebswirtschaftliche Perspektive<br />
eingenommen. Bei der eingenommenen Perspektive ist Interdisziplinarität<br />
konstitutiv, da das komplexe Reputationsphänomen nicht mit einer reduktionistischen,<br />
disziplinären Sichtweise adäquat erfasst und erklärt werden k<strong>an</strong>n. Die Betriebswirtschaftslehre<br />
ist eine <strong>an</strong>wendungsorientierte Wissenschaft, der Praxisbezug<br />
somit konstitutiv. Das heißt, dass es im vorliegenden Zusammenh<strong>an</strong>g der Zweck einer<br />
solchen Wissenschaft ist, den Führungsver<strong>an</strong>twortlichen der Universität fundiertes<br />
H<strong>an</strong>deln in der Praxis zu ermöglichen<br />
Grundlage für die theoretische Herleitung des Prozessmodells der Reputation<br />
bildet eine Analyse der relev<strong>an</strong>ten Literatur. Dabei wird zweistufig vorgeg<strong>an</strong>gen: Im<br />
ersten Schritt wird die Reputation aus ökonomischer, psychologischer und soziologischer<br />
Perspektive <strong>an</strong>alysiert. Die Erkenntnisse werden sod<strong>an</strong>n zu einem umfassenden<br />
allgemeinen Prozessmodell der individuellen Reputation integriert, das unabhängig<br />
von bestimmten Org<strong>an</strong>isationen die Prozesse der Reputationsbildung und -erhaltung<br />
sowie deren Auswirkungen erfasst. In einem zweiten Schritt wird zusätzlich universitäts-<br />
und wissenschaftsbezogene Literatur in die Analyse miteinbezogen, um das Modell<br />
für Professoren zu konkretisieren und nach Aufgaben zu differenzieren. Daraus<br />
resultieren schließlich die Prozessmodelle der individuellen Forschungs-, Lehr-,<br />
Dienstleistungs- und Selbstverwaltungsreputation von Professoren, die eng mitein<strong>an</strong>der<br />
verknüpft sind und insgesamt die Reputation von Professoren modellieren.<br />
3. Empirische Untersuchung<br />
Das Hauptziel der empirischen Untersuchung besteht darin, disziplinenbedingte<br />
Unterschiede der Reputation von Professoren in Bezug auf das Begriffsverständnis,<br />
aber auch bezüglich der Quellen, der Wahrnehmung, der Erfassung sowie der Auswirkungen<br />
von Reputation aufzudecken und damit die soziale Konstruktion von Reputation<br />
zu beschreiben. Zu diesem Zweck werden Personen aus zwei unterschiedlichen<br />
Disziplinen bzw. Fachbereichen befragt. D<strong>an</strong>eben werden die theoretisch hergeleiteten<br />
Erkenntnisse zur Reputation von Professoren <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d konkreter Erfahrungen<br />
von Professoren der Universität Zürich auf ihre praktische Relev<strong>an</strong>z geprüft und ergänzt.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 397<br />
Für die Untersuchung wird ein qualitatives Forschungsdesign gewählt. Als Erhebungsverfahren<br />
wird das problemzentrierte Interview eingesetzt, das <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d eines<br />
Interviewleitfadens halbst<strong>an</strong>dardisiert und auf eine bestimmte Problemstellung zentriert<br />
ist, wobei die Problemstellung vom Interviewer bereits vorher <strong>an</strong>alysiert wurde.<br />
Die Befragungen sind gleichzeitig auch Experteninterviews, da themenbezogene<br />
„Schlüsselpersonen“ befragt werden, also Personen, die aufgrund eigener Beobachtungen<br />
in der Universität mit dem Thema Reputation von Professoren umfassende Erfahrungen<br />
gesammelt haben. Diese Schlüsselpersonen – Professoren der Universität<br />
Zürich, die gleichzeitig auch Leitungsfunktionen <strong>an</strong> der Universität innehaben –<br />
stammen aus zwei, <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d epistemologischer Kriterien charakterisierter, sehr unterschiedlicher<br />
Wissenschaftsgebiete: Betriebswirtschaftslehre und ausgewählte Naturwissenschaften.<br />
Neben diesen problemzentrierten Interviews werden weitere empirische Zugänge<br />
zum Untersuchungsobjekt eingesetzt: die Erfahrung aus der Mitarbeit in einer universitären<br />
Arbeitsgruppe zur Entwicklung einer neuen Personalverordnung für die<br />
Universität Zürich (qualitativ-teilnehmende Beobachtung) und das Fallbeispiel der<br />
Universität Zürich (Einzelfall<strong>an</strong>alyse).<br />
4. Ergebnisse der Untersuchung<br />
Die Reputation von Professoren beruht auf verschiedenen Quellen: Bezogen auf<br />
die Forschungsreputation sind das z.B. Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften<br />
und die Zugehörigkeit zu einer renommierten Fakultät, bei der Lehrreputation<br />
z.B. Lehrbücher und didaktische Qualifikationen, bei der Dienstleistungsreputation<br />
z.B. Referate und Gutachten und bei der Selbstverwaltungsreputation z.B. Zugehörigkeit<br />
zu universitären Gremien und verfasste Arbeitspapiere. Die Wahrnehmung<br />
dieser Reputationsquellen ist abhängig von den jeweiligen Reputationsbeurteilern –<br />
wie Scientific Community, Studierende, Auftraggeber und Universitätsleitung und -<br />
verwaltung – und verleiht der Reputation einen subjektiven Aspekt. Zudem unterliegt<br />
sie verschiedenen Verzerrungen und ist abhängig von der Erhältlichkeit, der Einfachheit<br />
und der Konsistenz der reputationsrelev<strong>an</strong>ten Informationen. Die Reputation (als<br />
Produkt) resultiert aus der Kombination von Quellen und deren Wahrnehmung. Sie<br />
ist definiert als eine subjektiv wahrgenommene, sozial konstruierte, veränderliche<br />
Konfiguration von Annahmen über verschiedene, auf der Verg<strong>an</strong>genheit beruhende,<br />
aufgabenrelev<strong>an</strong>te Aspekte eines Professors, die von mehreren Reputationsbeurteilern<br />
geteilt und dadurch teilweise objektiviert wird. Von der Reputation eines Professors<br />
gehen verschiedene Wirkungen aus. Zu den Auswirkungen auf der Individualebene<br />
gehören beispielsweise Karrieremöglichkeiten, eine bessere Ressourcenausstattung<br />
und persönliche Befriedigung. Da sich die Reputation eines Professors auf Faktoren<br />
auswirkt, die gleichzeitig auch die Quellen der Reputation bilden, entstehen Rückkoppelungseffekte,<br />
und ein eigentlicher Kreislauf setzt sich in G<strong>an</strong>g. So führt z.B. eine<br />
bessere Ressourcenausstattung zu besseren Arbeitsbedingungen, die wiederum<br />
mehr und bessere Publikationen, Lehrver<strong>an</strong>staltungen und Dienstleistungen ermöglichen.<br />
Der beschriebene Ablauf (Reputation als Prozess) führt zu verschiedenen Aus-
398 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
wirkungen auf der Systemebene: Reputation übernimmt dort insbesondere eine Orientierungs-<br />
bzw. Informations- und eine Motivationsfunktion. D<strong>an</strong>eben führt sie aber<br />
auch zu negativen Auswirkungen wie der taktischen Wahl von Themen (Forschungsreputation),<br />
der Überbelegung von Lehrver<strong>an</strong>staltungen (Lehrreputation) sowie der<br />
Vernachlässigung <strong>an</strong>derer Aufgaben (Dienstleistungsreputation). Zur Erfassung der<br />
individuellen Reputation eines Professors existieren in Abhängigkeit der konkreten<br />
Teilreputationen verschiedene Indikatoren; die Alternative dazu besteht in der Befragung<br />
der entsprechenden Reputationsbeurteiler.<br />
Das Verhältnis der Teilreputationen zuein<strong>an</strong>der und ihre Gewichtung für die Gesamtreputation<br />
eines Professors hängt von verschiedenen Faktoren ab, die in ihrer<br />
konkreten Ausprägung das Resultat eines normativen Entscheides darstellen. Neben<br />
<strong>an</strong>deren Einflussfaktoren nimmt die wissenschaftliche Disziplin dabei eine Schlüsselstellung<br />
ein. Die Zugehörigkeit eines Professors zu einem bestimmten Fachgebiet<br />
wirkt sich zudem auf die Bedeutsamkeit einzelner Reputationsquellen und Reputationsbeurteiler,<br />
auf den Wahrnehmungsprozess, die Auswirkungen der Reputation und<br />
auf geeignete Indikatoren zur Erfassung der Reputation aus. Das sind die Schlussfolgerungen<br />
aus der empirischen Untersuchung. Die beiden Disziplinen Betriebswirtschaftslehre<br />
und ausgewählte Naturwissenschaften unterscheiden sich konkret in folgenden<br />
Punkten:<br />
Die Naturwissenschaften gewichten forschungsbezogene Aspekte der Reputation<br />
stärker.<br />
In der Betriebswirtschaftslehre besteht ein größerer Freiraum für die persönliche<br />
Gewichtung und insgesamt ein gleichmäßigeres Verhältnis bei der Gewichtung<br />
der Teilreputationen aufgrund des höheren Stellenwertes der Dienstleistungsreputation.<br />
In den Naturwissenschaften herrscht ein größerer Konsens über Indikatoren zur<br />
<br />
Erfassung der Reputation.<br />
Teamarbeit bzw. die Erarbeitung von Reputationsquellen im Team und Internationalität<br />
bzw. die internationale Wahrnehmung von Reputationsquellen sind in<br />
den Naturwissenschaften für den Aufbau von Reputation wichtiger.<br />
Darüber hinaus deuten insbesondere die empirisch festgestellten Gemeinsamkeiten<br />
darauf hin, dass das theoretisch entwickelte Prozessmodell der individuellen Reputation<br />
von Professoren von großer praktischer Relev<strong>an</strong>z ist.<br />
Die Erkenntnisse aus der theoretischen und empirischen Analyse der Reputation<br />
von Professoren haben diverse Implikationen für das Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement<br />
von Universitäten. Für ein reputationsbasiertes HRM für Professoren von Universitäten<br />
lassen sich u.a. folgende Schlussfolgerungen formulieren:<br />
Die Unterstützung der Professoren beim Aufbau von Reputation seitens der U-<br />
niversität k<strong>an</strong>n als Anreiz eingesetzt werden.<br />
<br />
Die individuelle Reputation von Professoren k<strong>an</strong>n – unter Beachtung der beschränkten<br />
Validität – bei der Selektion und Evaluation als Informationssubstitut<br />
eingesetzt werden.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 399<br />
Die Wahrscheinlichkeit der Fluktuation ist bei Professoren mit hoher Reputation<br />
größer und erfordert ein entsprechendes Retentionsm<strong>an</strong>agement.<br />
Die disziplinenbedingten Reputationsunterschiede erfordern ein differentielles<br />
reputationsbasiertes HRM für Professoren nach Fachgebieten.<br />
5. Weiterführende Fragen<br />
Die Arbeit liefert einen profunden Beitrag zu einem institutionenspezifischen<br />
HRM und thematisiert gleichzeitig für das allgemeine HRM eine neue Fragestellung:<br />
Die Reputation. Das entwickelte Modell könnte <strong>an</strong>alog z.B. auch in der Politik oder<br />
für Unternehmen genutzt werden. Dabei ginge es d<strong>an</strong>n um die Reputation von Angehörigen<br />
des Top M<strong>an</strong>agements oder um die Reputation von Politikern.<br />
Wolfg<strong>an</strong>g H. Güttel<br />
Die Identifikation strategischer immaterieller Vermögenswerte<br />
im Post-Merger-Integrationsprozess: Ressourcen- und<br />
Wissensm<strong>an</strong>agement bei Mergers-<strong>an</strong>d-Acquisitions *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Dudo von Eckardstein, Wirtschaftsuniversität<br />
Wien<br />
In der Literatur über Mergers-<strong>an</strong>d-Acquisitions liegen kontroverse Befunde vor.<br />
Einerseits wird hervorgehoben, dass Akquisitionen und Fusionen eine einzigartige<br />
Möglichkeit darstellen, ein Unternehmen sprunghaft weiterzuentwickeln. Durch die<br />
Integration der beiden fusionierten Unternehmen sollen die Marktmacht gesteigert,<br />
vorh<strong>an</strong>dene Kompetenzen wechselseitig optimiert oder Synergiepotenziale erschlossen<br />
werden. Andererseits zeigen empirische Analysen, dass nach dem Vollzug der<br />
Unternehmensvereinigung die Realisierung der erwarteten Vorteile vielfach scheitert<br />
und in Folge insgesamt Unternehmenswerte vernichtet werden.<br />
Seit der Wende im strategischen M<strong>an</strong>agement vom Market-based- zum Resource-based-View<br />
wird unternehmensinternen Vermögenswerten die zentrale strategische<br />
Bedeutung zur Erringung und zur Sicherung von Wettbewerbsvorteilen zugeschrieben.<br />
Gerade hierbei kommt den Hum<strong>an</strong> Resources (z.B. dem individuellen und<br />
org<strong>an</strong>isationalen Wissen) eine g<strong>an</strong>z zentrale Rolle zu. Der Erwerb von Kernkompetenzen<br />
oder strategischen Ressourcen ist jedoch bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Pa-<br />
*<br />
Wolfg<strong>an</strong>g H. Güttel: Die Identifikation strategischer immaterieller Vermögenswerte im Post-<br />
Merger-Integrationsprozess. Ressourcen- und Wissensm<strong>an</strong>agement bei Mergers-<strong>an</strong>d-<br />
Acquisitions. Personalwirtschaftliche Schriften, hrsg. von D. von Eckardstein und O. Neuberger,<br />
B<strong>an</strong>d 20, ISBN 3-87988-760-8, München und Mering 2003, 261 S., € 24,80.
400 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
tente, Lizenzen) nicht über herkömmliche Faktormärkte möglich. Deshalb ist eine<br />
Akquisition von Unternehmen bzw. Unternehmensteilen – neben der l<strong>an</strong>gfristigen internen<br />
Entwicklung oder dem Eingehen von Kooperationen – eine der wenigen Möglichkeiten,<br />
strategische Vermögenswerte zu erwerben.<br />
Nach dem Vollzug der Akquisition ist für die zielgerichtete Gestaltung des Post-<br />
Merger-Integrationsprozesses eine Identifikation der strategischen Vermögenswerte<br />
notwendig, da der Akquisiteur kaum (Meta-)Wissen über strategisch relev<strong>an</strong>te Elemente<br />
der Ressourcen- und Wissensbasis des Akquisitionsobjekts besitzt. Bei der Zusammenlegung<br />
von Org<strong>an</strong>isationseinheiten, der Desinvestition von Unternehmensteilen<br />
oder bei der Freisetzung von Mitarbeitern ist sicherzustellen, dass wettbewerbsrelev<strong>an</strong>te<br />
Kompetenzen nicht unbeabsichtigt zerstört werden. Selbst wenn das akquirierte<br />
Unternehmen org<strong>an</strong>isatorisch nicht in die Strukturen des Akquisiteurs eingegliedert<br />
wird, also „St<strong>an</strong>d Alone“ bleibt, k<strong>an</strong>n etwa ein Tr<strong>an</strong>sfer von Best-Practices<br />
und Wissen initiiert werden.<br />
Bisl<strong>an</strong>g wurde in der Forschung über Mergers-<strong>an</strong>d-Acquisitions der Identifikation<br />
der strategischen Vermögenswerte kaum Aufmerksamkeit gewidmet, obwohl damit<br />
die Grundlagen für ressourcenorientierte Aktivitäten zur Unternehmensintegration<br />
geschaffen werden. In der Arbeit wird deshalb auf jenen Aspekt fokussiert, der für<br />
die zielgerichtete Gestaltung der Ressourcen- und Wissensbasis im Post-Merger-<br />
Integrationsprozess von grundlegender Bedeutung ist. Das Gesamtziel ist die konzeptionelle<br />
Entwicklung von inhaltlichen, methodischen und prozessualen Entscheidungsalternativen<br />
für die Gestaltung des Identifikationsprozesses von strategischen<br />
immateriellen Vermögenswerten in der Post-Merger-Phase. Für die Be<strong>an</strong>twortung der<br />
Forschungsfrage, welche Alternativen bestehen, um strategische immaterielle Vermögenswerte<br />
im Post-Merger-Integrationsprozess zu identifizieren, wird als Bezugsrahmen<br />
– der strategischen Bedeutung von unternehmensinternen Potenzialen entsprechend<br />
– auf den Resource-based View zurückgegriffen. Die Identifikation fokussiert<br />
auf die immateriellen Vermögenswerte von strategischer Bedeutung. Während<br />
materielle Vermögenswerte im Post-Merger-Integrationsprozess zum Teil über die<br />
Auswertung der Daten der Buchhaltung und der M<strong>an</strong>agementinformationssysteme erfasst<br />
werden können, entziehen sich immaterielle Vermögenswerte einer solchen I-<br />
dentifikation. Es existieren in Unternehmen etwa kaum Daten über die Ausprägung<br />
und das Wirkungsgefüge von Kernkompetenzen oder Aufzeichnungen über die strategisch<br />
relev<strong>an</strong>ten org<strong>an</strong>isationalen bzw. individuellen Wissensbestände im Bereich<br />
der Hum<strong>an</strong> Resources.<br />
Im Detail werden drei Themenbereiche aufgearbeitet. Erstens werden die strategischen<br />
immateriellen Vermögenswerte auf Basis des Resource-based View systematisiert,<br />
um das Spektrum möglicher Identifikationsinhalte aufzuzeigen. Dadurch wird<br />
ein breiter Analyserahmen geschaffen, der zeigt, welche immateriellen Vermögenswerte<br />
von strategischer Bedeutung sind (Dynamic Capabilities, Kernkompetenzen,<br />
sowie Kompetenzen, org<strong>an</strong>isationale Routinen bzw. Elemente der Ressourcen- und<br />
Wissensbasis mit strategischer Relev<strong>an</strong>z) und <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d welcher Kennzeichen sie identifiziert<br />
werden können.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 401<br />
Zweitens wird gezeigt, mit welchen Methoden die verschiedenen strategischen<br />
immateriellen Vermögenswerte – auf Basis der erarbeiteten Kennzeichen – erfasst<br />
werden können. Dazu wird im Bereich der Dynamic Capabilities auf interpretative<br />
Ansätze zur Analyse von Unternehmenskulturen, auf Methoden zur Identifikation<br />
von Kernkompetenzen, auf Identifikations<strong>an</strong>sätze aus dem Resource-based-View sowie<br />
auf Methoden der Wissensidentifikation zurückgegriffen. Auf Basis ressourcenorientierter<br />
Aktivitäten im Post-Merger-Integrationsprozess wird das Anwendungsspektrum<br />
der einzelnen Methoden für die Identifikation strategischer immaterieller<br />
Vermögenswerte in der Post-Merger-Phase erläutert.<br />
Drittens werden Gestaltungsalternativen für die Prozessarchitektur (z.B. Analyseebenen,<br />
Steuerungs- und Vorgehensmodelle) der Identifikation im Post-Merger-<br />
Integrationsprozess in Bezug auf die zu identifizierenden strategischen immateriellen<br />
Vermögenswerte und die dazu zur Verfügung stehenden Methoden strukturiert aufbereitet<br />
sowie deren Anwendbarkeit unter ressourcenorientierter Perspektive diskutiert.<br />
Nachfolgende Arbeiten sollten auf empirischer Basis die Identifikation strategischer<br />
immaterieller Vermögenswerte bei Mergers-<strong>an</strong>d-Acquisitions <strong>an</strong>alysieren. Es<br />
fehlt ferner eine Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit der Identifikation und Bewertung der strategischen<br />
immateriellen Vermögenswerte im Gesamtprozess der Unternehmensvereinigungen.<br />
Gerade bei Mergers-<strong>an</strong>d-Acquisitions ist eine Identifikation und Bewertung<br />
der Potenziale des Akquisitionsobjekts auch in der Pre-Merger-Phase (Auswahl des<br />
Akquisitionsk<strong>an</strong>didaten) und in der Merger-Phase (Kaufpreisbildung) notwendig. Es<br />
ist zu fragen, ob die derzeit existierenden Identifikations- und Bewertungs<strong>an</strong>sätze –<br />
etwa strategische und Hum<strong>an</strong>-Resource-Due Diligence-Teilreviews – dafür geeignet<br />
sind und inwieweit Potenziale, die in der Pre-Merger- und Merger-Phase aus externer<br />
Perspektive als solche identifiziert werden, d<strong>an</strong>n in der Post-Merger-<br />
Integrationsphase vom Akquisiteur tatsächlich genutzt werden können.
402 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Michael Heidecker<br />
Wertorientiertes Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agement (WHCM). Zur<br />
Steigerung des Unternehmenswertes durch die Personalarbeit *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Michel Domsch, Universität der Bundeswehr<br />
Hamburg<br />
1. Ausg<strong>an</strong>gsfragen: Welchen Beitrag leistet die Personalarbeit zum Unternehmenserfolg<br />
und was sind ihre Werttreiber?<br />
„Die Mitarbeiter sind unser wichtigster Erfolgsfaktor!“ Diese oder ähnliche<br />
Aussagen finden sich in Geschäftsberichten und PR-Broschüren vieler namhafter<br />
Firmen. Doch in vielen Fällen vermittelt ein Blick hinter die Kulissen ein <strong>an</strong>deres<br />
Bild: M<strong>an</strong>ager konzentrieren sich mehr auf Statistiken als auf ihre Angestellten, Mitarbeiter<br />
werden entlassen, Personalkosten kontinuierlich gesenkt und Personalabteilungen<br />
fehlt es <strong>an</strong> der notwendigen Glaubwürdigkeit, weil ihre Worte nicht mit ihren<br />
Taten im Einkl<strong>an</strong>g stehen. Vergleicht m<strong>an</strong>, wie professionell viele Unternehmen ihr<br />
Fin<strong>an</strong>zkapital m<strong>an</strong>agen mit der Art und Weise, wie sie mit ihrem Hum<strong>an</strong>kapital umgehen,<br />
zeigt sich oft ein himmelweiter Unterschied. Fragt m<strong>an</strong> Praktiker nach den<br />
größten Schwierigkeiten der Personalarbeit, lauten die Antworten oft ähnlich: „Wir<br />
glauben zwar, dass unsere Mitarbeiter wichtig sind. Aber genau messen können wir<br />
ihren Beitrag zum Erfolg des Unternehmens nicht. Und daher werden sie in erster Linie<br />
unter Kosten- und nicht Investitionsgesichtspunkten gesehen.“ Ein großes Problem.<br />
Denn Kosten gilt es heutzutage zu minimieren. Investitionen leisten dagegen einen<br />
messbaren Beitrag zum Unternehmenserfolg und genießen daher eine viel höhere<br />
Aufmerksamkeit seitens des Top-M<strong>an</strong>agements.<br />
Vor diesem Hintergrund wurde in der Dissertation vier Kernfragen nachgeg<strong>an</strong>gen:<br />
1. Gibt es eine Kausalität zwischen „guter“ Personalarbeit und dem fin<strong>an</strong>ziellen<br />
Erfolg von Unternehmen?<br />
2. Wenn ja, wie hoch ist der fin<strong>an</strong>zielle Beitrag der Personalarbeit zur Unternehmenswertschaffung?<br />
3. Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren bzw. Werttreiber der Personalarbeit?<br />
4. Wie k<strong>an</strong>n eine am Unternehmenswert orientierte Personalarbeit, ein „Wertorientiertes<br />
Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agement (WHCM)“, in die Praxis umgesetzt werden?<br />
*<br />
Heidecker, Michael (2003): Wertorientiertes Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agement. Zur Steigerung des<br />
Unternehmenswertes durch die Personalarbeit. ISBN: 3-8244-7850-1, Gabler Edition Wissenschaft,<br />
Deutscher Universitäts-<strong>Verlag</strong>, Wiesbaden, 2003, XXVI + 426 S., € 59,90.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 403<br />
2. Theoretischer Hintergrund: Verbindung von Wert- und Hum<strong>an</strong> Capital<br />
M<strong>an</strong>agement zum „Wertorientierten Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agement“<br />
In der Literatur hat es mit dem „Hum<strong>an</strong> Resource Accounting“ und der Forschung<br />
zu „High Perform<strong>an</strong>ce Work Systems“ zwar erste Ansätze gegeben, den Wert<br />
des Hum<strong>an</strong>kapitals stärker in den Vordergrund zu rücken. Ihre Grundlagen und<br />
Messgrößen sind aber noch zu weit von dem entfernt, was die Entscheidungsträger <strong>an</strong><br />
den Unternehmensspitzen am meisten interessiert: Wie können wir den fin<strong>an</strong>ziellen<br />
Erfolg und damit die Wertschaffung unseres Unternehmens nachhaltig steigern?<br />
Prominent wird diese Frage durch den amerik<strong>an</strong>ischen Shareholder Value-Ansatz adressiert,<br />
der mittlerweile auch in vielen deutschen Firmen Einzug gehalten hat.<br />
Ziel der Dissertation war es daher, die Methodik und das Kennzahlensystem des<br />
Shareholder Value bzw. Wertm<strong>an</strong>agements mit der Theorie des Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agements<br />
zu verbinden und daraus ein „Wertorientiertes Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agement“<br />
zu konzipieren. Konkret wurden als wichtigste Theoriebausteine das „Total<br />
Value M<strong>an</strong>agement“ und der „Workonomics“-Ansatz der Boston Consulting Group<br />
verwendet sowie die Erkenntnisse der vorwiegend amerik<strong>an</strong>isch geprägten Forschung<br />
zu „High Perform<strong>an</strong>ce Work Systems“.<br />
3. Untersuchungsdesign und empirische Überprüfung<br />
Das Herzstück der Dissertation und gleichzeitig die größte wissenschaftliche Erkenntnis<br />
best<strong>an</strong>d darin, den Wertbeitrag des Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agements qu<strong>an</strong>titativ<br />
zu ermitteln. Denn nur dadurch konnte das Ziel erreicht werden, die Bedeutung des<br />
Hum<strong>an</strong>- und des Fin<strong>an</strong>zkapitals mitein<strong>an</strong>der zu vergleichen und die Aufmerksamkeit<br />
der Unternehmensführer stärker auf den Faktor „Mensch“ zu lenken.<br />
Um das Konzept des „Wertorientierten Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agements“ so valide<br />
wie möglich zu gestalten, wurde es auf drei Säulen gestellt:<br />
1. Theorie: Analyse der einschlägigen Literatur zu den Themen Wert- und Hum<strong>an</strong><br />
Capital M<strong>an</strong>agement sowie der relev<strong>an</strong>ten Studien zum Thema Personal und Unternehmenserfolg.<br />
Auf dieser Basis theoretische Verschmelzung beider Disziplinen<br />
zum „Wertorientierten Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agement“. Anschließend Operationalisierung<br />
des WHCM in einem empirisch überprüfbaren Modell mit personalorientierten<br />
Wertkennzahlen (z.B. Value Added per Person) und einem umf<strong>an</strong>greichen<br />
Werttreiberbaum, der alle relev<strong>an</strong>ten Dimensionen der Personalarbeit<br />
abdeckt und für die Empirie in einem „Hum<strong>an</strong> Capital Valuation Index“ zusammengefasst<br />
wurde.<br />
2. Statistik: Mittels Fragebogen wurden, unterstützt durch die Boston Consulting<br />
Group, 70 deutsche Unternehmen aus dem CDAX zur Qualität ihrer Personalarbeit<br />
befragt. Die Ergebnisse wurden statistisch ausgewertet und mit den maßgeblichen<br />
Wertkennzahlen der Unternehmen korreliert. Dadurch konnte der Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
zwischen der Qualität der Personalarbeit und der Unternehmenswertschaffung<br />
überprüft und die relev<strong>an</strong>ten Werttreiber identifiziert werden.
404 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
3. Qualitative Überprüfung in Experteninterviews: Nach Abschluss der statistischen<br />
Analysen wurden die Ergebnisse im Rahmen von Experteninterviews mit<br />
Personal-M<strong>an</strong>agern sowohl der befragten als auch <strong>an</strong>derer Unternehmen außerhalb<br />
der Stichprobe überprüft. Dadurch wurden drei Ziele erreicht: Erstens<br />
konnte die Validität der Antworten in den Fragebögen getestet werden. Zweitens<br />
konnte gezeigt werden, dass die Ergebnisse nicht nur statistisch belastbar, sondern<br />
auch inhaltlich aus Praktikersicht haltbar sind. Drittens konnten Daten generiert<br />
werden, die im Rahmen des Fragebogens und der Statistik nicht erhoben<br />
werden konnten. In erster Linie zählten hierzu empirische Belege dafür, dass die<br />
Personalarbeit primär den Unternehmenswert beeinflusst und nicht umgekehrt<br />
(Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität). D<strong>an</strong>eben konnten viele interess<strong>an</strong>te<br />
Fallbeispiele für erfolgreiche Personalpraktiken gesammelt werden.<br />
Basierend auf dem Ansatz einer HR-Scorecard wurde darüber hinaus eine siebenstufige<br />
Methodik entwickelt, wie das „Wertorientierte Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agement“<br />
erfolgreich in die Praxis umgesetzt werden k<strong>an</strong>n.<br />
4. Wesentliche Ergebnisse: Die Qualität der Personalarbeit ist ein signifik<strong>an</strong>ter<br />
und großer Hebel, um den Unternehmenswert zu erhöhen<br />
Im Rahmen der Dissertation wurde eine Vielzahl <strong>an</strong> qu<strong>an</strong>titativen und qualitativen<br />
Ergebnissen erzielt sowohl zu den Inhalten des „Wertorientierten Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agements“<br />
als auch zur Methodik, wie m<strong>an</strong> den Wertbeitrag des Hum<strong>an</strong>kapitals in der<br />
Praxis messen k<strong>an</strong>n. Am wichtigsten waren vor allem die folgenden Erkenntnisse:<br />
Es gibt eine statistisch signifik<strong>an</strong>te Korrelation zwischen der Qualität der Personalarbeit<br />
(gemessen durch einen umf<strong>an</strong>greichen Hum<strong>an</strong> Capital Valuation Index)<br />
und der Wertschaffung von Unternehmen (gemessen durch den Value Added<br />
per Person und die Aktienrendite – auch „Total Shareholder Return“ gen<strong>an</strong>nt).<br />
Die primäre Kausalbeziehung geht hierbei von der Personalarbeit aus und nicht<br />
vom Unternehmenserfolg.<br />
Die Hebelwirkung des WHCM ist ökonomisch relev<strong>an</strong>t: Wenn Unternehmen die<br />
Qualität ihrer Personalarbeit signifik<strong>an</strong>t entl<strong>an</strong>g der ermittelten Werttreiber<br />
verbessern, können sie ihren „Value Added per Person“ und ihre Aktienrendite<br />
im zweistelligen Prozentbereich erhöhen.<br />
Die ermittelten Werttreiber sind vielfältig und unterschiedlich gewichtet. Sie<br />
erstrecken sich nicht nur über den gesamten Personalprozess von der Rekrutierung<br />
bis zum Outplacement, sondern schließen auch Faktoren wie Unternehmenskultur,<br />
Führungsstil und Org<strong>an</strong>isation des Personalbereiches ein.<br />
5. Fazit und Ausblick<br />
Mit den Ergebnissen der Dissertation wurden Wissenschaftlern und Praktikern<br />
vor allem zwei Dinge <strong>an</strong> die H<strong>an</strong>d gegeben: Ein empirischer „Business Case“ für die<br />
Bedeutung der Personalarbeit sowie eine einfache und mit Praktikern zusammen entwickelte<br />
Vorgehensweise zur Implementierung eines „Wertorientierten Hum<strong>an</strong> Capi-
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 405<br />
tal M<strong>an</strong>agements“. Für die zukünftige Forschung gibt es jedoch viele Ansatzpunkte,<br />
um die Theorie des WHCM weiter auszubauen: Hierzu gehören u.a. Analysen zu den<br />
spezifischen Kausalketten zwischen einzelnen Personalwerttreibern und dem Unternehmenserfolg,<br />
die Untersuchung des Einflusses von „Irrationalitäten“ und Mikropolitik<br />
auf das WHCM oder die Übertragung seiner Methodik auf Bereiche außerhalb<br />
der Privatwirtschaft, z.B. den öffentlichen Dienst.<br />
In Summe geben die Ergebnisse der Dissertation Mut und Hoffnung für die Zukunft,<br />
denn eines wurde g<strong>an</strong>z klar deutlich: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sitzen im<br />
selben Boot und können das Wohl ihres Unternehmens nur d<strong>an</strong>n optimieren, wenn sie<br />
eng mitein<strong>an</strong>der kooperieren und sich nicht bekämpfen. Eine erfreuliche Perspektive!<br />
Alwine Mohnen<br />
Investitionssteuerung, Motivation und Perform<strong>an</strong>cemessung *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Herbert Hax, Universität zu<br />
Köln<br />
1. Motivation und Problemstellung<br />
Vor dem Hintergrund der gewachsenen Bedeutung von Kapitalmärkten ist die<br />
Steuerung von Investitionsentscheidungen im Sinn einer marktwertorientierten Unternehmenssteuerung<br />
von großer Bedeutung. Denn es sind vor allem die Entscheidungen<br />
von mit Rechten zur Durchführung von Projekten ausgestatteten M<strong>an</strong>agern,<br />
die den Marktwert eines Unternehmens beeinflussen. Geht m<strong>an</strong> von der Trennung<br />
von Eigentums- und Verfügungsrechten aus, so liegt ein klassisches Agency-Problem<br />
vor. Die Eigentümer kennen in der Regel nicht die möglichen Investitionsprojekte<br />
oder sind nicht in der Lage, diese fachgerecht zu beurteilen. Aus der Delegation von<br />
Entscheidungen folgt die Gefahr opportunistischen Verhaltens seitens des M<strong>an</strong>agements.<br />
1 Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, werden erfolgsabhängige Entlohnungssysteme<br />
eingeführt.<br />
2. Theoretischer Hintergrund<br />
Die Steuerung von Entscheidungen über Anreizmech<strong>an</strong>ismen ist ein in den letzten<br />
Jahrzehnten theoretisch viel beachtetes und praktisch relev<strong>an</strong>tes Thema. Bisl<strong>an</strong>g<br />
lag der Fokus auf der Vertragsform, der Frage also, welcher Funktionsverlauf zu<br />
*<br />
1<br />
Erschienen unter dem Titel „Perform<strong>an</strong>cemessung und die Steuerung von Investitionsentscheidungen“,<br />
2002, Beiträge zur betriebswirtschaftlichen Forschung, Gabler <strong>Verlag</strong> und<br />
Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden (290 S.).<br />
Im Folgenden werden die Begriffe Eigentümer und Principal sowie die Begriffe M<strong>an</strong>ager und<br />
Agent synonym verwendet.
406 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
wählen ist, wohingegen die Frage, von welcher Erfolgsgröße der Vertrag abhängen<br />
sollte, kaum Berücksichtigung f<strong>an</strong>d. Erst in jüngster Zeit widmet sich die Forschung<br />
verstärkt der Perform<strong>an</strong>cemessung. An diesem Punkt schließt die vorliegende Arbeit<br />
<strong>an</strong> und betrachtet speziell den Fall von Investitionsentscheidungen.<br />
Die Maximierung des Shareholder Value, des Marktwerts des Eigenkapitals entspricht<br />
der Zielsetzung der Eigentümer. Durch die Durchführung von Projekten mit<br />
positivem Kapitalwert wird der Shareholder Value erhöht, folglich dient es dem Interesse<br />
der Eigentümer, wenn der M<strong>an</strong>ager solche Projekte durchführt und solche mit<br />
negativem Kapitalwert unterlässt. Wie aber nun k<strong>an</strong>n der M<strong>an</strong>ager dazu motiviert<br />
werden? Ausgehend von Risikoneutralität maximiert der M<strong>an</strong>ager den Barwert der<br />
erwarteten Entlohnungszahlungen über seinen Pl<strong>an</strong>ungshorizont. Ziel ist es deshalb,<br />
Kompatibilität zwischen dem Barwert der Lohnzahlungen und dem Kapitalwert herzustellen.<br />
Unterstellt m<strong>an</strong> eine lineare Entlohnungsfunktion bestehend aus einem im<br />
Zeitablauf konst<strong>an</strong>ten Fixgehalt zuzüglich einer erfolgsabhängigen Prämie muss<br />
Zielkongruenz hinsichtlich des Barwerts der Prämienzahlungen und des Kapitalwerts<br />
gelten. Gefordert wird somit eine Kongruenz zwischen Entscheidungs- und Kontrollrechnung.<br />
Die Entscheidungsrechnung ,,Kapitalwert“ soll dieselbe Entscheidung induzieren<br />
wie die Kontrollrechnung, denn der M<strong>an</strong>ager wird ex <strong>an</strong>te, also vor Durchführung<br />
eines Investitionsprojekts, seine Entscheidung nicht <strong>an</strong> der Investitionsrechnung<br />
ausrichten, sondern sich <strong>an</strong> der Kontrollrechnung orientieren, da von dieser die<br />
Höhe seiner Entlohnung abhängt.<br />
3. Analyse verschiedener Perform<strong>an</strong>cemaße<br />
Die Analyse verschiedener Perform<strong>an</strong>cemaße konzentriert sich auf Größen des<br />
Rechnungswesens. Da sich in der Praxis Renditemaße großer Beliebtheit erfreuen,<br />
werden diese zunächst diskutiert. Es wird nachgewiesen, dass im Allgemeinen nur im<br />
Einperioden-Fall Kompatibilität zwischen Kapitalwert und Renditemaß hergestellt<br />
werden k<strong>an</strong>n. Aber auch im Einperioden-Fall werden bezüglich der Investitionspolitik<br />
Fehl<strong>an</strong>reize gesetzt. Der M<strong>an</strong>ager maximiert nämlich die Rendite, indem er nur<br />
das Projekt mit der höchsten Rendite durchführt und alle <strong>an</strong>deren Projekte, auch solche<br />
mit positivem Kapitalwert unterlässt. Sofern aber keine Budgetbeschränkungen<br />
vorliegen, führt dies nicht zur Maximierung des Kapitalwerts. Als Konsequenz folgt<br />
die Ablehnung von Renditen als Perform<strong>an</strong>cemaß.<br />
Die Analyse absoluter Perform<strong>an</strong>cemaße beginnt mit den auch der Investitionsrechnung<br />
zugrundeliegenden Ein- und Auszahlungen. Leider weisen auch diese<br />
Nachteile auf, wie nun kurz <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d weniger Argumente erläutert wird. Beteiligt m<strong>an</strong><br />
den M<strong>an</strong>ager in jeder Periode mit einem konst<strong>an</strong>ten Prämiensatz <strong>an</strong> den Cash Flows,<br />
d<strong>an</strong>n wird Zielkongruenz zwischen M<strong>an</strong>ager und Eigentümer erreicht, sofern der<br />
M<strong>an</strong>ager bei gleichem Pl<strong>an</strong>ungshorizont den gleichen Diskontierungsfaktor nutzt wie<br />
der Eigentümer. Kritisch ist auch, dass keine Eigenmittelbeschränkung des Agent<br />
vorliegen darf, denn er muss die Anf<strong>an</strong>gsauszahlung und die sonstigen Auszahlungen<br />
aus dem Projekt mitfin<strong>an</strong>zieren. Beteiligt m<strong>an</strong> den Agent <strong>an</strong> den kumulierten und<br />
bisher realisierten Cash Flows, so k<strong>an</strong>n Zielkongruenz nur erzielt werden, wenn die
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 407<br />
Prämienzahlung proportional zum realisierten Kapitalwert am Ende der Projektlaufzeit<br />
gezahlt wird. M<strong>an</strong>ager mit kürzerem Pl<strong>an</strong>ungshorizont können so nicht zur gewünschten<br />
Entscheidung motiviert werden. Bei Sicherheit könnte über den ökonomischen<br />
Gewinn nach Zinsen, der alle künftigen Cash Flows einbezieht, und deshalb im<br />
Zeitpunkt der Investitionsentscheidung den Kapitalwert widerspiegelt, die gewünschte<br />
Entscheidung induziert werden. Unterstellt m<strong>an</strong> allerdings Unsicherheit, d<strong>an</strong>n eröffnet<br />
dieses Erfolgsmaß m<strong>an</strong>nigfache M<strong>an</strong>ipulationsmöglichkeiten. Da hier neben<br />
der Zielkongruenz die M<strong>an</strong>ipulationsfreiheit des Perform<strong>an</strong>cemaßes am stärksten in<br />
die Beurteilung der Perform<strong>an</strong>cemaße einfließt, führen auf Cash Flow-basierende Erfolgsgrößen<br />
nicht zu den gewünschten Eigenschaften.<br />
Nahe liegend ist nun die Betrachtung periodisierter Größen des Rechnungswesens.<br />
Ausgehend von M<strong>an</strong>ipulations<strong>an</strong>reizen sind die Daten der externen Rechnungslegung<br />
denen des internen Rechnungswesens vorzuziehen, denn erstere unterliegen<br />
meist einer internen Überprüfung, beispielsweise durch den Aufsichtsrat bei Aktiengesellschaften,<br />
und bei allen Kapitalgesellschaften einer externen Überprüfung durch<br />
qualifizierte Dritte, den Wirtschaftsprüfer. Das auch dies keine Gewähr für M<strong>an</strong>ipulationsfreiheit<br />
ist, zeigen die US-amerik<strong>an</strong>ischen Bil<strong>an</strong>zsk<strong>an</strong>dale der letzten Monate.<br />
Da die Daten des externen Rechnungswesens dennoch einen vergleichsweise hohen<br />
Grad <strong>an</strong> M<strong>an</strong>ipulationsfreiheit aufweisen, ist es Ziel, innerhalb dieser Datenmenge<br />
eine möglichst zielkongruente Erfolgskennzahl zu bestimmen.<br />
Der einfache Gewinn ist aufgrund der Periodisierung der Cash Flows nicht<br />
kompatibel zum Kapitalwert. Lücke (1955) zeigte, dass die Berücksichtigung kalkulatorischer<br />
Zinsen auf das gebundene Kapital einen Ausgleich schafft und somit<br />
Kompatibilität zwischen dem Kapitalwert und dem Barwert der so gen<strong>an</strong>nten Residualgewinne<br />
geschaffen werden k<strong>an</strong>n. Geht m<strong>an</strong> von einem kurzen Pl<strong>an</strong>ungshorizont<br />
des M<strong>an</strong>agers oder von unterschiedlichen Diskontierungsfaktoren der Vertragspartner<br />
aus, reicht die Barwertidentität zwischen Cash-Flows und periodisierten Größen nicht<br />
mehr aus. Über das so gen<strong>an</strong>nte relative Beitragsverfahren (Rogerson 1997 und Reichelstein<br />
1997) k<strong>an</strong>n hier Abhilfe geschaffen werden. Der Erfolgsausweis<br />
,,Residualgewinn“ weist d<strong>an</strong>n in jeder Periode das gleiche Vorzeichen auf wie der<br />
Kapitalwert. Allerdings ist dieses Konzept mit einer Einschränkung verbunden. Neben<br />
der Anf<strong>an</strong>gsauszahlung müssen alle <strong>an</strong>deren Cash Flows das gleiche Vorzeichen<br />
haben. In dieser Arbeit wird die gen<strong>an</strong>nte Einschränkung durch eine Verallgemeinerung<br />
des Belastungsverfahrens aufgehoben. Es wird gezeigt, dass für beliebig<br />
schw<strong>an</strong>kende Cash Flows durch eine geeignete Belastungsmethode in jeder Periode<br />
der Residualgewinn das gleiche Vorzeichen aufweisen k<strong>an</strong>n wie der zugehörige Kapitalwert.<br />
Die Informations<strong>an</strong>forderungen dazu sind identisch mit denen bei Rogerson<br />
oder Reichelstein. Weiterhin wird gezeigt, dass bei verschiedenen, vielfach geringeren<br />
Informations<strong>an</strong>nahmen der Principal abschätzen k<strong>an</strong>n, ob Zielkongruenz gegeben<br />
ist. Hierzu werden verschiedene Szenarien durchgespielt. Aufgrund der hergeleiteten<br />
optimalen Belastungsregel bei schw<strong>an</strong>kenden Cash Flows k<strong>an</strong>n das Modell mit realitätsnäheren<br />
Annahmen formuliert werden. So k<strong>an</strong>n auch bei beschränktem Investitionsbudget<br />
oder sich gegenseitig ausschließenden Projekten die gewünschte Investiti-
408 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
onsentscheidung induziert werden. Außerdem wird gemäß den Ansätzen der internationalen<br />
Rechnungslegung die Bewertung zu Marktwerten <strong>an</strong>alysiert. Dieser Wert<strong>an</strong>satz<br />
führt dazu, dass der M<strong>an</strong>ager einen Anreiz hat, zum kapitalwertmaximierenden<br />
Zeitpunkt aus einem Projekt auszusteigen, was als intertemporale Zielkongruenz bezeichnet<br />
wird.<br />
In einem separaten Kapitel werden die in der Praxis eingesetzten Konzepte des<br />
EVA (Economic Value Added) und seine Vari<strong>an</strong>ten sowie die EVA-Bonusb<strong>an</strong>k mit<br />
den Ergebnissen der Theorie verglichen und kritisch <strong>an</strong>alysiert. Es werden zur theoretischen<br />
Untermauerung der Existenz sowie der Gestaltung der EVA-Bonusb<strong>an</strong>k verschiedene<br />
Ansätze hergeleitet.<br />
Im letzten Teil der Arbeit werden explizit Agency-Modelle betrachtet. In der<br />
bisherigen Arbeit st<strong>an</strong>d zwar ein Principal-Agent-Modell im Hintergrund, doch wurde<br />
der Schwerpunkt auf die Bestimmung des Erfolgsmaßes gelegt. Es wird nun gezeigt,<br />
dass die Agency-Costs bei Cash Flows als Bemessungsgrundlage höher sind als<br />
beim Residualgewinn, wenn von einem höheren Diskontierungszinssatz des Agent<br />
ausgeg<strong>an</strong>gen wird. Die Betrachtung nichtmonetärer Vorteile, wie Prestige durch große<br />
Projekte, wird ebenfalls modelliert. Ausführlich wird der Fall einer kurzen Vertragsdauer<br />
betrachtet, wobei hier auch dem M<strong>an</strong>ager die Möglichkeit zur Beeinflussung<br />
der Rückflüsse aus dem Projekt nach dessen Aufnahme eingeräumt wird.<br />
4. Resümee<br />
Die Arbeit ist weitgehend theoretischer Natur, doch wird in den einzelnen Kapiteln<br />
immer wieder die Umsetzbarkeit in der Praxis, insbesondere in der Rechnungslegung<br />
<strong>an</strong>gesprochen. Es werden sowohl für die Gestaltung der Erfolgsmessung als<br />
auch für die der Rechnungslegung Denk<strong>an</strong>stöße geliefert. Vor allem die neuen theoretischen<br />
Erkenntnisse führen zu einem größeren praktischen Anwendungsbereich.<br />
D<strong>an</strong>a Vosberg<br />
Der Markt für Personaldienstleistungen –<br />
Ökonomische Analyse von Nachfrage und Angebot <br />
Betreuerin: Prof. Dr. Silvia Föhr, Universität Leipzig<br />
1. Problemstellung und Ziel der Untersuchung<br />
Die Zahl von Personalberatungen, Personalvermittlern sowie Zeitarbeits- oder<br />
Outplacementfirmen in den Industrieländern wächst stetig und die von diesen Unter-<br />
<br />
D<strong>an</strong>a Vosberg (2003): Der Markt für Personaldienstleistungen – Ökonomische Analyse von<br />
Nachfrage und Angebot. ISBN 3-8244-7785-8, DUV Gabler Edition Wissenschaft, Wiesbaden,<br />
296 S., € 49,90.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 409<br />
nehmen <strong>an</strong>gebotenen Personaldienstleistungen werden immer häufiger in Anspruch<br />
genommen. Die Frage nach den Gründen für diese Entwicklung ist Ausg<strong>an</strong>gspunkt<br />
der vorliegenden Arbeit mit dem Ziel, sowohl die Nachfrage als auch das Angebot<br />
von Personaldienstleistungen umfassend zu untersuchen und sowohl theoretisch als<br />
auch empirisch zu <strong>an</strong>alysieren. Auf der Nachfrageseite wird herausgearbeitet, für<br />
welche Personalfunktionen ein besonders starkes Auslagerungsinteresse besteht und<br />
welche Aufgaben des betrieblichen Personalwesens möglicherweise gar nicht extern<br />
koordiniert werden können. Gegenst<strong>an</strong>d der Analyse der Angebotsseite ist die Rekonstruktion<br />
der Entstehung von Personaldienstleistungsunternehmen. Dabei interessiert<br />
nicht nur, inwieweit mögliche Vorteile von Personaldienstleistern dazu beitragen,<br />
ihre Existenz zu erklären. Beleuchtet wird auch, welche Marktstrukturen sich<br />
herausgebildet haben und für die Zukunft zu erwarten sind.<br />
2. Theoretische Basis der Untersuchung<br />
Um die gen<strong>an</strong>nten Ziele zu erreichen, werden institutionenökonomische Erkenntnisse<br />
sowie markt- und produktionstheoretische Argumente zusammengeführt,<br />
weiterentwickelt und auf die Nachfrage und das Angebot von Personaldienstleistungen<br />
übertragen. Durch die Kombination der gen<strong>an</strong>nten Theoriebausteine wird ein<br />
konzeptioneller Rahmen entwickelt, der eine umfassende Untersuchung des gesamten<br />
Spektrums <strong>an</strong>gebotener und nachgefragter Personaldienstleistungen ermöglicht. Auf<br />
diese Weise k<strong>an</strong>n erstmals in allgemeiner Form die Existenz von Personaldienstleistern<br />
und die In<strong>an</strong>spruchnahme der von ihnen <strong>an</strong>gebotenen Personaldienstleistungen<br />
theoretisch begründet werden. Für die Nachfrageseite wird die Entscheidung<br />
zwischen Eigenfertigung oder Fremdbezug von Personalfunktionen auf Basis<br />
eines tr<strong>an</strong>saktionskostentheoretischen Modells theoriegestützt <strong>an</strong>alysiert und in praxisrelev<strong>an</strong>te<br />
Gestaltungsempfehlungen überführt. Unter Berücksichtigung weiterer<br />
institutionenökonomischer sowie markt- und produktionstheoretischer Argumente<br />
k<strong>an</strong>n für die Angebotsseite rekonstruiert werden, warum Personaldienstleister entstehen<br />
und woraus mögliche Vorteile bei der Leistungserstellung und -abwicklung resultieren.<br />
3. Datenbasis und statistische Methoden<br />
Die auf der Grundlage der entwickelten theoretischen Basis formulierten Thesen<br />
werden mit empirischen Studien zur Nachfrage sowie mit den Ergebnissen zweier im<br />
Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Primärerhebungen zum Angebot von Personaldienstleistungen<br />
in Deutschl<strong>an</strong>d und den USA verglichen und auf ihren Erklärungsgehalt<br />
hin untersucht. Dazu werden Indikatoren entwickelt, mit denen die gefundenen<br />
Merkmale für den Marktauftritt von Personaldienstleistern (Spezialisierungsgrad, Intensität<br />
der Zusammenarbeit, Qualitätssicherung) operationalisiert werden können.<br />
Mit Hilfe dieser Indikatoren und unter Einsatz nichtparametrischer statistischer Verfahren<br />
werden die zur Entstehung von Personaldienstleistern formulierten Thesen ü-<br />
berprüft. Mit Hilfe einer Regressions<strong>an</strong>alyse wird die Umsatzwirkung dieser Merkmale<br />
des Marktauftritts qu<strong>an</strong>tifiziert sowie deren Einfluss auf relative Leistungsmaße
410 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
qualitativ bestimmt. Dabei können Erfolgsfaktoren herausgearbeitet werden, mit deren<br />
Hilfe zwischen sehr leistungsfähigen und weniger leistungsfähigen Personaldienstleistern<br />
unterschieden werden k<strong>an</strong>n. Um charakteristische Marktsegmente zu<br />
identifizieren, werden die Unternehmen schließlich mittels einer Cluster<strong>an</strong>alyse hinsichtlich<br />
ihrer Tätigkeitsschwerpunkte untersucht und gruppiert. Anh<strong>an</strong>d von Unterschieden<br />
zwischen den Vergleichsmärkten wird der Einfluss institutioneller Rahmenbedingungen<br />
auf das Verhalten der Marktteilnehmer verdeutlicht.<br />
4. Ergebnisse der Untersuchung<br />
Es wurde gezeigt, dass Nachfrage nach Personaldienstleistungen entsteht, wenn<br />
die marktliche Koordination von Personalfunktionen aufgrund von Produktions- und<br />
Tr<strong>an</strong>saktionskostenvorteilen kostengünstiger ist als die unternehmensinterne Durchführung<br />
personalwirtschaftlicher Tr<strong>an</strong>saktionen. Ausgehend von dem dazu entwickelten<br />
tr<strong>an</strong>saktionskostentheoretischen Modell wurden Regeln abgeleitet, die die Unternehmen<br />
bei der Entscheidung über die grundsätzliche Koordination der Personalarbeit<br />
unterstützen können. Durch die Differenzierung einzelner personalwirtschaftlicher<br />
Tr<strong>an</strong>saktionen hinsichtlich ihrer Eigenschaften (Spezifität, Unsicherheit, Häufigkeit)<br />
in Verbindung mit den tr<strong>an</strong>saktionskostentheoretischen Modellaussagen<br />
konnten weiterhin spezielle Koordinationsempfehlungen dafür hergeleitet werden,<br />
welche Personalfunktionen im Unternehmen verbleiben sollten und welche als Personaldienstleistungen<br />
vom Markt zu beziehen sind.<br />
Ausgehend von den durch die Anwendung der beschriebenen statistischen Verfahren<br />
gewonnenen Ergebnissen konnten die zum Angebot <strong>an</strong> Personaldienstleistungen<br />
entwickelten Thesen für die befragten deutschen und US-amerik<strong>an</strong>ischen Unternehmen<br />
im Wesentlichen bestätigt werden. Sowohl die Art der <strong>an</strong>gebotenen Leistungen<br />
als auch die org<strong>an</strong>isatorische Umsetzung des Angebots sprechen dafür, dass die<br />
Personaldienstleistungsunternehmen das in ihrem Tätigkeitsfeld liegende Potential<br />
zur Senkung von Produktions- und Tr<strong>an</strong>saktionskosten nutzen. Für grundlegende<br />
Entstehungsbedingungen sind also auf den beiden ausgewählten Vergleichsmärkten<br />
kaum Abweichungen zwischen dem laut ökonomischer Analyse zu erwartenden und<br />
dem tatsächlichen Verhalten der Akteure festzustellen. Die Gegenüberstellung des<br />
deutschen und des US-amerik<strong>an</strong>ischen Angebots <strong>an</strong> Personaldienstleistungen zeigte<br />
aber auch, dass Unterschiede existieren, die sich aus den jeweils geltenden Rahmenbedingungen<br />
ergeben. Insgesamt wurden aus den Untersuchungsergebnissen sowohl<br />
l<strong>an</strong>desunabhängige Aussagen zur Struktur des gesamten Marktes für Personaldienstleistungen<br />
als auch l<strong>an</strong>desspezifische Unterschiede aufgrund unterschiedlicher institutioneller<br />
Rahmenbedingungen abgeleitet.<br />
5. Zusammenfassung und weiterer Forschungsbedarf<br />
Mit Hilfe der in dieser Arbeit belegten theoretischen und empirischen Ergebnisse<br />
konnten die Fragen zur Entstehung von Personaldienstleistungsunternehmen und<br />
zur In<strong>an</strong>spruchnahme der von ihnen <strong>an</strong>gebotenen Personaldienstleistungen im Wesentlichen<br />
be<strong>an</strong>twortet werden. Damit wurde die bisherige Forschungslücke im Be-
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 411<br />
reich dieses Dienstleistungssegmentes erheblich verringert. Gleichwohl besteht hinsichtlich<br />
bestimmter Teilprobleme und <strong>an</strong>knüpfend <strong>an</strong> einige überraschende Ergebnisse<br />
aus den empirischen Erhebungen weiterer Forschungsbedarf. So könnte im<br />
Rahmen des entwickelten tr<strong>an</strong>saktionskostentheoretischen Modells zur Unterstützung<br />
der E/F-Entscheidung für Personaldienstleistungen noch stärker die Kostenwirkung<br />
institutioneller Rahmenbedingungen einbezogen werden. Weiterhin könnte die Systematik<br />
der Entstehung von Personaldienstleistern um eine Zeitkomponente erweitert<br />
und damit die dynamische Entwicklung dieses Marktes stärker zeitbezogen <strong>an</strong>alysiert<br />
werden. Schließlich sollten die Untersuchungen zur Nachfrage und zum Angebot von<br />
Personaldienstleistungen auf einer breiteren empirischen Basis durchgeführt werden.<br />
Dabei wäre es vorteilhaft, einen einheitlichen Katalog nachgefragter und <strong>an</strong>gebotener<br />
Leistungen zu entwickeln, um der Komplementarität beider Marktseiten besser zu<br />
entsprechen. Auf diese Weise können die aus theoretischer und empirischer Sicht abgeleiteten<br />
Erkenntnisse für diesen sehr interess<strong>an</strong>ten und vielfältigen Markt weiter<br />
vertieft und präzisiert werden.<br />
2. Theoretische und ethische Grundlagen<br />
S<strong>an</strong>dra Bissels<br />
Vertrauen. Eine datenver<strong>an</strong>kerte Theorieentwicklung *<br />
Betreuerin: Prof. Sonja Sackm<strong>an</strong>n, PhD, Universität der Bundeswehr<br />
München<br />
1. Fragestellung der Untersuchung<br />
Ziel der Arbeit ist die empirische Klärung des Konstruktes zwischenmenschliches<br />
Vertrauen durch die Entwicklung einer gegenst<strong>an</strong>dsver<strong>an</strong>kerten Theorie. Dadurch<br />
soll der m<strong>an</strong>gelnden theoretischen Fundierung von Vertrauenskonzepten in der<br />
Forschung entgegengewirkt werden (vgl. z.B. Bigley & Pearce, 1998). Zwischenmenschliches<br />
Vertrauen wird dabei nicht als isoliertes Konzept betrachtet, sondern in<br />
seinem prozesshaften Charakter und im Kontext von Beziehungen untersucht.<br />
2. Theoretische Basis und verwendete Methoden<br />
Die Analyse von zwischenmenschlichem Vertrauen basierte auf dem methodologischen<br />
Ansatz der „grounded theory“ nach Strauss und Corbin (1997). Die Daten<br />
wurden über Interviews erhoben, die <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gs narrativen Charakter und im Verlauf der<br />
*<br />
Bissels, S<strong>an</strong>dra R. (2002). Vertrauen. Eine datenver<strong>an</strong>kerte Theorieentwicklung. Berlin:<br />
Mensch und Buch <strong>Verlag</strong>
412 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Theoriebildung zunehmend problemzentrierter wurden (in der „grounded theory“<br />
verläuft die Datenerhebung und -auswertung nicht sequenziell, sondern zyklisch). Die<br />
Auswahl der befragten Vertrauenserfahrungen richtet sich in der „grounded theory“<br />
nicht nach dem klassischen Kriterium der statistischen Repräsentativität, sondern ist<br />
theoriegeleitet und strebt kontrastierende und gleichartige Fälle <strong>an</strong>. Da Vertrauen als<br />
konstitutives Element sozialer Bindung und Beziehung gilt (z.B. Erikson, 1968), verlief<br />
die Kontrastierung der Vertrauenserfahrungen in dieser Arbeit über das Kriterium<br />
der Beziehungsart als kontextuelle Variable (z.B. private versus berufliche Beziehung).<br />
Insgesamt wurden 14 Vertrauensfälle (Zahl befragter Beziehungsarten) in den<br />
Interviews erfragt. Das Herzstück der Arbeit bildete die datenver<strong>an</strong>kerte Theorieentwicklung<br />
zum zwischenmenschlichen Vertrauen aus dem qualitativen Datenmaterial.<br />
Die subjektiven Theorien der Befragten wurden mit Hilfe der Analysewerkzeuge offene<br />
und axiale Kodierung rekonstruiert und in eine gegenst<strong>an</strong>dsver<strong>an</strong>kerte Theorie<br />
integriert (Entwicklung einer Schlüsselkategorie, selektive Kodierung).<br />
3. Ergebnisse der Untersuchung<br />
Die Untersuchung zwischenmenschlichen Vertrauens mit Hilfe der „grounded<br />
theory“ ergab ein phasenspezifisches Modell zu verschiedenen Formen von Vertrauensbeziehungen,<br />
das die phasentypische Rolle von zwischenmenschlichem Vertrauen<br />
in der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Beziehungen aufdeckte. Dabei wurden<br />
verschiedene Vertrauensformen identifiziert (z.B. erlebtes Vertrauen), die wesentlich<br />
die Qualität einer Beziehung definieren.<br />
Am Anf<strong>an</strong>g einer Beziehung hat Vertrauen die Qualität einer Entscheidung und<br />
des Willens zu vertrauen und ist deshalb als volitionales Vertrauen Basis der beginnenden<br />
Beziehung. Trotz meist geringem Wissen über eine Person wird von deren<br />
Vertrauenswürdigkeit ausgeg<strong>an</strong>gen (kognitives Vertrauen). Ein starkes Interesse <strong>an</strong><br />
dem Kontakt zu einer Person, z.B. mit Blick auf ein gutes Geschäft, beeinflussen das<br />
Entstehen volitionalen Vertrauens. Wird der „Vertrauensvorschuss“ nicht gegeben,<br />
wird Kontakt – falls möglich – gemieden oder eine rein formale Beziehung ohne Vertrauen<br />
eingeg<strong>an</strong>gen.<br />
Ein zentraler Unterschied zu späteren Formen von Vertrauen liegt im Grad <strong>an</strong><br />
Erfahrung mit der Vertrauensperson. Erst das Erleben positiver Erfahrungen über die<br />
Zeit resultiert in einem erfahrungsbasierten Vertrauen. Ohne dieses positive Erleben<br />
k<strong>an</strong>n das Vertrauen zwar weiterhin als Wille und Kognition verbleiben, entwickelt<br />
sich aber mit der Zeit und mit dem Auftreten vertrauenskonfligierender Erfahrungen<br />
zunehmend zu einer Vertrauensillusion. Die Illusion von Vertrauen nährt sich aus<br />
dem Wunsch und/oder der Notwendigkeit, die Beziehung zur Vertrauensperson aufrechtzuerhalten<br />
und dem dazu als notwendig erlebten Bedarf <strong>an</strong> Vertrauen. Erfahrungen,<br />
die nicht mit der zugeschriebenen Vertrauenswürdigkeit der Zielperson vereinbar<br />
sind, führen zum Erleben von Inkongruenzen, die über kognitive Disson<strong>an</strong>zreduzierung<br />
abgebaut werden (z.B. Rechtfertigung von Fehlverhalten), um die Wunschbeziehung<br />
aufrechterhalten zu können.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 413<br />
Das Erleben positiver Erfahrungen über die Zeit resultiert dagegen in einem erfahrungsbasierten,<br />
sog. erlebten Vertrauen. In dieser Qualität schwindet der Beziehungsaspekt<br />
aus dem bewussten Aufmerksamkeitsfokus einer Person und k<strong>an</strong>n dadurch<br />
Ressourcen für die Beschäftigung mit persönlichen, arbeitsbezogenen, sozialen<br />
Themen etc. freisetzen. Das Erleben positiver Vertrauenserfahrungen in einer Beziehung<br />
reduziert die Tendenz, sich gegen Fehlverhalten der Vertrauensperson absichern<br />
zu wollen. Dagegen wird in Beziehungen mit rein volitionalem und kognitivem Vertrauen,<br />
d.h. am Anf<strong>an</strong>g einer Beziehung und in der Vertrauensillusion, auf Schutzund<br />
Kontrollstrategien nicht verzichtet (z.B. Zurückhaltung sensibler Informationen).<br />
Das Phasenmodell zeigt, dass zwischenmenschliches Vertrauen kein eindimensionales<br />
Konstrukt ist. Nur eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen Vertrauensqualitäten<br />
(volitionales, kognitives, erlebtes Vertrauen) erlaubt eine Sicht auf<br />
die komplexen Wirkungszusammenhänge. In der Literatur werden zwar rationale und<br />
emotionale Komponenten von Vertrauen unterschieden und auch kognitive Prozesse<br />
als bestimmend für <strong>an</strong>fängliches Vertrauen <strong>an</strong>genommen (z.B. rationale Erwägungen<br />
der Kosten-Nutzen-Aspekte einer Beziehung, Abschätzung der Vertrauenswürdigkeit;<br />
vgl. Lewicki & Bunker, 1996). Wenig Beachtung finden aber die volitionalen<br />
Anteile in der Vertrauens- und Beziehungsbildung, die sich in dieser Studie als wesentliche<br />
Qualität <strong>an</strong>fänglichen Vertrauens herausgestellt haben. Die Vertrauensvolition<br />
gründet dabei nicht auf rein rationalen Überlegungen, sondern besitzt einen stark<br />
emotionalen Charakter und hängt ab von der Kontaktmotivation.<br />
Was bedeuten die Ergebnisse für Org<strong>an</strong>isationen? Die Ergebnisse zeigen, dass<br />
echte, d.h. erlebte Vertrauensbeziehungen durchaus Vorteile für Unternehmen mit<br />
sich bringen können: der Wegfall von Selbstschutz- und Kontrollstrategien, die Freisetzung<br />
von Ressourcen für die Aufgabenerfüllung und ein positives Arbeitsklima.<br />
Erlebte Vertrauensbeziehungen sind jedoch eher seltene Phänomene, denn Org<strong>an</strong>isationen<br />
bieten i.d.R. keine günstigen Rahmenbedingungen für ihr Entstehen. Die in<br />
Org<strong>an</strong>isationen oft herrschenden (einseitigen) Abhängigkeiten und die meist strukturell<br />
vorgegebenen Kontaktnotwendigkeiten produzieren die Anwendung sog. beziehungserhaltender<br />
Strategien und fördern damit eher Entstehung von Vertrauensillusionen<br />
als von Vertrauen. Deshalb k<strong>an</strong>n es für Unternehmen und ihre Mitarbeiter von<br />
Vorteil sein, realistische Einschätzungen von Arbeitsbeziehungen zu fördern und damit<br />
auch „gesundes“ Misstrauen zuzulassen und formale Beziehungsformen zu begünstigen,<br />
als (sog.) Vertrauen in den Arbeitsbeziehungen zu propagieren.<br />
4. Weiterführende oder noch offene Fragen<br />
Für die Vertrauensforschung steht eine differenziertere Operationalisierung der<br />
Vertrauensqualitäten <strong>an</strong>, um etwa die unzulässige Vermengung von Vertrauensillusion<br />
und erlebtem Vertrauen zu vermeiden. Gerade die Identifizierung der Vertrauensillusion<br />
erwies sich selbst auf Basis der reichhaltigen und kontextreichen qualitativen<br />
Daten als schwierig und stellt eine Herausforderung für weitere Forschung dar.<br />
Literatur
414 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Bigley, G.A./Pearce, J.L. (1998): Straining for shared me<strong>an</strong>ing in org<strong>an</strong>ization science: Problems of<br />
trust <strong>an</strong>d distrust. In: Academy of M<strong>an</strong>agement Review, 23, 405-421.<br />
Erikson, E. (1968). Kindheit und Gesellschaft. Stuttgart: Klett.<br />
Lewicki, R.J./Bunker, B.B. (1996): Developing <strong>an</strong>d maintaining trust in work relationships. R.<br />
Kramer/T. Tyler (eds.): Trust in org<strong>an</strong>izations. London: Sage, 114-139.<br />
Strauss, A./Corbin, J. (eds.) (1997): Grounded theory in Practice. Thous<strong>an</strong>d Oaks: Sage.<br />
Joh<strong>an</strong>nes Hütte<br />
Unternehmensethik als Synthese aus Ethik und Ökonomik *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Wolfg<strong>an</strong>g Weber, Universität Paderborn<br />
1. Problemstellung und Methode<br />
Unternehmerisches H<strong>an</strong>deln sieht sich heute einer Vielzahl unterschiedlicher<br />
Anforderungen und Interessen gegenüber. Neben ökonomisch-systemimm<strong>an</strong>enten Erfordernissen<br />
werden vor dem Hintergrund einer kritischen Öffentlichkeit auch zunehmend<br />
systemfremde Ansprüche zu erfolgsrelev<strong>an</strong>ten Parametern erfolgreicher<br />
Unternehmensführung. Die durch differenzierte Strukturen und heterogene Anspruchsgruppen<br />
gekennzeichneten Einzelkonflikte machen allerdings deutlich, dass<br />
es nicht mehr um den prinzipiell lokalisierbaren und damit auch <strong>an</strong>tizipierbaren Konflikt<br />
zwischen Arbeit und Kapital geht, sondern dass prinzipielle Steuerungs- und<br />
Koordinierungsdefizite von Markt und Recht auftreten, die eine Ergänzung durch eine<br />
Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik notwendig erscheinen lassen. Als unternehmensethischem<br />
Gestaltungsfeld kommt dem Personalm<strong>an</strong>agement hierbei vor allen<br />
<strong>an</strong>deren betriebswirtschaftlichen Funktionen eine hervorgehobene Rolle zu: Einerseits<br />
ist Personalm<strong>an</strong>agement Objekt unternehmensethischer Geltungs<strong>an</strong>sprüche,<br />
<strong>an</strong>dererseits ist Personalm<strong>an</strong>agement zugleich Subjekt von Unternehmensethik in der<br />
Institutionalisierung von Unternehmensethik auf der Ebene unternehmerischer H<strong>an</strong>dlungszusammenhänge.<br />
Werden ethische Geltungs<strong>an</strong>sprüche auf der Ebene unternehmerischen H<strong>an</strong>delns<br />
durchaus als konfliktträchtige Problemstellung wahrgenommen, zeigt ein Blick in die<br />
einschlägige Fachliteratur, dass dem Thema ‚Unternehmensethik’ sowohl im Personalm<strong>an</strong>agement<br />
als auch im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre insgesamt eine eher<br />
r<strong>an</strong>dständige Bedeutung zukommt. Als Grund hierfür wird g<strong>an</strong>z wesentlich der unklare<br />
wissenschaftstheoretische Status von Unternehmensethik vor dem Hintergrund<br />
ihrer Referenzwissenschaften Ökonomik und Ethik gen<strong>an</strong>nt. Darüber hinaus ist es<br />
auffallend, dass unternehmensethische Fragestellungen häufig entweder unter den<br />
*<br />
Joh<strong>an</strong>nes Hütte: Unternehmensethik als Synthese aus Ethik und Ökonomik. ISBN 3-87988-<br />
676-8, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, München und Mering 2002, 272 S., € 27,80.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 415<br />
Kategorien des Moralischen oder unter den Kategorien des Ökonomischen betrachtet<br />
werden. Eine interdisziplinäre Analyse mit methodisch-wissenschaftlichem Anspruch<br />
bleibt jedoch häufig aus. Genau <strong>an</strong> diesen Punkt knüpft die Zielperspektive einer Unternehmensethik<br />
als Synthese aus Ethik und Ökonomik <strong>an</strong>: das In-Beziehung-Setzen<br />
einer Theorie der Begründung und einer Theorie der Rechtfertigung als metatheoretischer<br />
Hintergrund von Personalm<strong>an</strong>agementpraxis.<br />
Die Rekonstruktion dieser interdisziplinären Perspektive, die sowohl ethische,<br />
als auch ökonomische Geltungs<strong>an</strong>sprüche theoretisch-praktisch integriert, verfolgt in<br />
der Argumentation für Unternehmensethik als Synthese aus Ethik und Ökonomik<br />
dementsprechend eine dreifach gestufte Perspektive:<br />
1. Analyse der fundamentalen philosophischen, ökonomischen und wissenschaftstheoretischen<br />
Bedingungen von Unternehmensethik.<br />
2. Analyse der konzeptionellen Elemente von zwei ausgewählten unternehmensethischen<br />
Ansätzen im Hinblick auf methodische und begründungslogische Hintergrund<strong>an</strong>nahmen<br />
und ihrer <strong>an</strong>wendungsorientierten Implikationen.<br />
3. Spezifische Analyse der klassischen M<strong>an</strong>agementfunktion Personal als Gestaltungsfeld<br />
für unternehmensethische Überlegungen vor dem Hintergrund einer<br />
integrativen Fundierungsperspektive personalm<strong>an</strong>agementbezogener Anwendungsfragen.<br />
2. Wissenschaftssystematische Parameter von Unternehmensethik<br />
Um die Ambivalenz ethischer und ökonomischer Geltungs<strong>an</strong>sprüche – die gerade<br />
in der Personalm<strong>an</strong>agementpraxis und -theorie hervortritt – und den unklaren wissenschaftstheoretischen<br />
Status zu überwinden, greift Unternehmensethik als Synthese<br />
aus Ethik und Ökonomik hermeneutisch auf das aristotelische Model praktischer Philosophie<br />
zurück: die inhaltliche und strukturelle Interdependenz von Ethik, Politik<br />
und Ökonomik. Damit hat Unternehmensethik den Charakter einer ‚Grundriss-<br />
Wissenschaft’, die es ermöglicht, unterschiedliche Fragestellungen aus Ethik und<br />
Ökonomie unter ihrem spezifischen Blickwinkel zu integrieren, ohne dass das spezifische<br />
wissenschaftstheoretische und forschungslogische Moment der Referenzwissenschaften<br />
jeweils in nuce einer differenzierten, reziproken Kritik unterzogen werden<br />
muss. Den wissenschaftstheoretischen Unterbau hierfür gewinnt Unternehmensethik<br />
aus der möglichen Kongruenz des Falsifikationsprinzips der Betriebswirtschaftslehre<br />
und des formal-prozeduralen Diskursprinzips der Ethik. Gerechtfertigte<br />
unternehmensethische Geltungs<strong>an</strong>sprüche besitzen von dieser argumentationslogischen<br />
Basis aus d<strong>an</strong>n ebenfalls einen methodologisch-wissenschaftstheoretisch fundierten<br />
Status, der Grundlage für die Begründung unternehmensethischer Geltungs<strong>an</strong>sprüche<br />
sein k<strong>an</strong>n und sein muss.<br />
3. Reparaturethik oder Vernunftethik<br />
Im deutschsprachigen Raum sind neben <strong>an</strong>deren insb. der unternehmensethische<br />
Ansatz von Karl Hom<strong>an</strong>n et. al. und der von Horst Steinm<strong>an</strong>n et. al. von Bedeutung.<br />
Karl Hom<strong>an</strong>n argumentiert in seinen Überlegungen zur Unternehmensethik auf der
416 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Grundlage einer ökonomischen Theorie der Moral und mit der Annahme einer vollständigen<br />
Substituierbarkeit ethischer Prinzipien durch ökonomische Anreize und<br />
Restriktionen. Horst Steinm<strong>an</strong>n hingegen plädiert in seinen Überlegungen zur Unternehmensethik<br />
für eine, durch die Diskurstheorie und das ‚Friedensprinzip’ des Konstruktivismus<br />
vermittelte, ‚situative Beschränkung des Gewinnprinzips’. Ist die Argumentation<br />
einer Ökonomischen Theorie der Moral eher durch eine makroökonomische<br />
Perspektive geprägt, so ist eine Unternehmensethik als Dialogethik eher aus einer<br />
individualethischen Perspektive heraus darauf <strong>an</strong>gelegt, unternehmensethische<br />
Geltungs<strong>an</strong>sprüche vor dem Hintergrund org<strong>an</strong>isationstheoretischer Überlegungen in<br />
den unternehmerischen H<strong>an</strong>dlungszusammenh<strong>an</strong>g strategisch zu implementieren.<br />
Neben verschiedenen argumentativen Brüchen in den jeweiligen Hintergrund<strong>an</strong>nahmen<br />
gelingt es allerdings beiden Ansätzen nicht, auf einer eindeutigen wissenschaftstheoretischen<br />
Basis die unterschiedlichen Geltungs<strong>an</strong>sprüche von Ethik und Ökonomik<br />
strukturell hinreichend zu integrieren bzw. zu fundieren. Beide Ansätze bleiben<br />
insofern hinter dem argumentativen Anspruch einer Unternehmensethik als Synthese<br />
aus Ethik und Ökonomik zurück.<br />
4. Personalm<strong>an</strong>agement als unternehmensethisches Gestaltungsfeld<br />
Nachdem die wissenschaftslogischen Parameter einer ‚Personalm<strong>an</strong>agementethik’<br />
– wie in den vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>genen Ausführungen überblickhaft skizziert – <strong>an</strong>alysiert<br />
worden sind, und darüber hinaus die grundsätzlichen Kritikpunkte und argumentativen<br />
Schwächen der unternehmensethischen Überlegungen von Karl Hom<strong>an</strong>n und<br />
Horst Steinm<strong>an</strong>n herausgearbeitet wurden, sind für die weitere Untersuchung der<br />
möglichen Grundlegung einer Personalm<strong>an</strong>agementethik zwei Fragen wesentlich:<br />
Können Elemente einer ökonomischen Theorie der Moral bzw. einer Unternehmensethik<br />
als situative Beschränkung des Gewinnprinzips für eine unternehmensethische<br />
Betrachtung von Personalm<strong>an</strong>agementtheorie fruchtbar gemacht<br />
werden?<br />
Wie k<strong>an</strong>n eine unternehmensethisch reflektierte Personalm<strong>an</strong>agementtheorie<br />
und -praxis auf der Grundlage einer Unternehmensethik als Synthese aus Ethik<br />
und Ökonomik rekonstruiert werden und welche forschungsmethodologischen<br />
Zugänge und welche Personalm<strong>an</strong>agementtheorien lassen sich hierbei integrieren?<br />
Je nachdem welchen Zug<strong>an</strong>g – beispielsweise einen instrumentell-funktionalen<br />
oder einen h<strong>an</strong>dlungstheoretischen – m<strong>an</strong> in der Betrachtung von Personalm<strong>an</strong>agement<br />
und Unternehmensethik wählt, ergeben sich unterschiedliche Anknüpfungspunkte<br />
für unternehmensethische Geltungs<strong>an</strong>sprüche. Gilt dieses für die Integration<br />
von Unternehmensethik in Personalm<strong>an</strong>agementtheorie und -praxis insgesamt, so<br />
auch für Elemente einer ökonomischen Theorie der Moral einerseits und einer situativ<br />
das Gewinnprinzip beschränkenden Dialogethik <strong>an</strong>dererseits. Neben den strukturellen<br />
theorieimm<strong>an</strong>ent ungelösten Fragen der beiden Ansätze eignen sich diese jedoch<br />
auch aus einem weiteren Grund nicht für eine Fundierung von Unternehmensethik<br />
als integraler Best<strong>an</strong>dteil von Personalm<strong>an</strong>agementtheorie und -praxis: Sie sind
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 417<br />
wechselseitig nicht in der Lage die unterschiedlichen Objekttheorien der Personalm<strong>an</strong>agementforschung<br />
zu integrieren und insofern lassen diese letztlich auf der Ebene<br />
der Ableitung möglicher Gestaltungsempfehlungen nur eine Argumentation entweder<br />
unter dem Primat der Ökonomik oder der Ethik zu. Wenn Unternehmensethik im unternehmerischen<br />
H<strong>an</strong>dlungszusammenh<strong>an</strong>g systematisch ihre Wirkung entfalten soll,<br />
ist die theoretische Integration von Ethik und Ökonomik jedoch Voraussetzung.<br />
Eine Unternehmensethik als Synthese aus Ethik und Ökonomik erhebt demgegenüber<br />
den Anspruch, grundsätzlich eine ethisch und ökonomisch tragfähige normative<br />
Grundlage für ein personalwirtschaftliches Theoriegebäude und in der Ableitung<br />
auch für ein moralisches und ökonomisches Personalm<strong>an</strong>agementh<strong>an</strong>deln zu sein. In<br />
dieser Absicht interpretiert eine Unternehmensethik als Synthese aus Ethik und Ökonomik<br />
Unternehmensethik als Metatheorie des Personalm<strong>an</strong>agements. Metatheorie<br />
meint einerseits, dass der Gegenst<strong>an</strong>dsbereich einer integrativen Personalm<strong>an</strong>agementtheorie<br />
definiert werden soll, und zum <strong>an</strong>deren, dass der Geltungsbereich der<br />
einzelnen (Objekt-) Theorien bestimmt werden soll. Insofern fundiert Unternehmensethik<br />
d<strong>an</strong>n nicht nur unterschiedliche Objekttheorien und setzt diese in Beziehung,<br />
sondern bindet darüber hinaus Personalm<strong>an</strong>agementtheorie in eine allgemeine Unternehmensethiktheorie<br />
ein. Unternehmensethik als Synthese aus Ethik und Ökonomik<br />
macht damit bereits auf der theoretisch-begründungslogischen Ebene des Personalm<strong>an</strong>agements<br />
die Dualität ethischer und ökonomischer Geltungs<strong>an</strong>sprüche passierbar,<br />
ohne ihren spezifischen Erklärungs- bzw. Rechtfertigungscharakter zu nivellieren.<br />
5. Weiterführende Perspektiven<br />
Eine Unternehmensethik als Synthese aus Ethik und Ökonomik integriert sowohl<br />
betriebswirtschaftliche H<strong>an</strong>dlungs<strong>an</strong>forderungen als auch moralische H<strong>an</strong>dlungsaufforderungen.<br />
Aus dieser Situierung von Unternehmensethik ergeben sich für<br />
den unternehmerischen H<strong>an</strong>dlungszusammenh<strong>an</strong>g insgesamt sowohl individuelle, als<br />
auch strukturelle Anwendungsperspektiven. Jeder Mitarbeiter ist für die Legitimität<br />
seiner Entscheidungen ver<strong>an</strong>twortlich und muss insofern intellektuell und institutionell<br />
in die Lage versetzt werden, Entscheidungen moralisch und ökonomisch ver<strong>an</strong>twortlich<br />
zu treffen. Das Stichwort hierzu lautet individuelle Ver<strong>an</strong>twortungsübernahme<br />
und Demokratisierung von Strukturen. Dass sowohl ein ökonomischrationales<br />
Effizienzkalkül als auch eine rational-vernünftige Konsensethik damit<br />
durchaus auf ähnliche individuelle und institutionelle Fähigkeiten und Voraussetzungen<br />
rekurrieren, k<strong>an</strong>n für die Implementation von Unternehmensethik in den betriebswirtschaftlichen<br />
H<strong>an</strong>dlungskontext nur von Vorteil sein.
418 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Matthias Meifert<br />
Vertrauen als Org<strong>an</strong>isationsprinzip. Eine theoretische und<br />
empirische Studie über Vertrauen zwischen Angestellten und<br />
Führungskräften *<br />
Betreuer: Prof. Dr. Peter Pawlowsky, Technische Universität<br />
Chemnitz<br />
Vertrauen besitzt einen großen Stellenwert für das ökonomische Leben. Insbesondere<br />
in Org<strong>an</strong>isationen spielt es eine herausragende Rolle. In der gegenwärtigen<br />
Org<strong>an</strong>isationstheorie wird innerbetrieblichem Vertrauen der Status eines „Produktionsfaktors“<br />
zugesprochen. Es wird auch als „Fundament einer funktionsfähigen Org<strong>an</strong>isation“<br />
und Bedingung für wirtschaftlichen Erfolg bezeichnet. Vertrauensbeziehungen<br />
haben vor allem im Gefolge neuer M<strong>an</strong>agementkonzepte als Regulierungsmech<strong>an</strong>ismen<br />
der Binnenbeziehungen in Org<strong>an</strong>isationen <strong>an</strong> Bedeutung gewonnen.<br />
Sie besitzen den Status eines schwer zu imitierenden Wettbewerbsvorteils.<br />
Org<strong>an</strong>isationen sind auf die Allokation von Vertrauen <strong>an</strong>gewiesen. Dennoch<br />
setzte sich die ökonomische Theorie bisher nur sporadisch mit der Kategorie ausein<strong>an</strong>der.<br />
Obwohl sich in den letzten Jahren eine wachsende Anzahl von Ökonomen und<br />
Theorierichtungen dem Thema widmete, m<strong>an</strong>gelt es aufgrund der l<strong>an</strong>gjährigen disziplinären<br />
Nichtbeachtung bis dato vor allem <strong>an</strong> systematischen Darstellungen, die<br />
die Rolle von Vertrauen als Org<strong>an</strong>isationsprinzip <strong>an</strong>alysieren. Die vorliegende Untersuchung<br />
will einen Beitrag dazu leisten, diese Lücke zu schließen und einen theoretisch<br />
wie auch empirisch fundierten Beitrag zur Vertrauens- bzw. Org<strong>an</strong>isationstheorie<br />
liefern. Die Erkenntnisziele und Fragestellungen der Arbeit lauten folgendermaßen:<br />
Was ist das Wesen von Vertrauen in Org<strong>an</strong>isationen, d.h. vor allem, welche Dimensionen<br />
besitzt es?<br />
Welche Bedeutung besitzt Vertrauen theoretisch und empirisch als Org<strong>an</strong>isationsprinzip<br />
von Arbeit?<br />
Welche Ansatzpunkte existieren für die innerbetriebliche Gestaltung von Vertrauensbeziehungen?<br />
*<br />
Matthias Meifert: Vertrauensm<strong>an</strong>agement in Unternehmen. Eine empirische Studie über Vertrauen<br />
zwischen Angestellten und ihren Führungskräften. Arbeit, Org<strong>an</strong>isation und Personal<br />
im Tr<strong>an</strong>sformationsprozess. Herausgegeben von R. L<strong>an</strong>g, Chr. Baitsch, P. Pawlowsky, Bd.<br />
15, ISBN 3-87988-744-6, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, München und Mering, 2. Aufl. 2003, 326 S.,<br />
€ 29,80.<br />
Die Dissertation ist unter dem Namen Seifert veröffentlicht worden. Inzwischen hat der Autor<br />
geheiratet und heißt jetzt Meifert.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 419<br />
Die Arbeit besitzt einen interdisziplinären Blickwinkel. Dieser ist notwendig, da<br />
in der Betriebswirtschaftslehre eine Diskrep<strong>an</strong>z zwischen der zuerk<strong>an</strong>nten Bedeutung<br />
und der faktischen Beschäftigung mit dem Thema Vertrauen existiert, aus der ein<br />
Forschungs- und Theoriedefizit resultiert. Andere Disziplinen, vor allem die Soziologie<br />
und die Sozialpsychologie, haben sich intensiver mit dem Thema befasst.<br />
Zweitens rekurriert die Arbeit nicht nur auf einen theoretischen Ansatz, sondern<br />
verbindet durch eine integrative Vorgehensweise verschiedene Vertrauenstheorien zu<br />
einem neuen Modell. Dieser modus vivendi ist in der Vertrauensforschung nicht unüblich,<br />
da die „disziplinäre Situierung“ des Konzepts zwischen Soziologie, Psychologie<br />
und Betriebswirtschaftslehre nicht leicht fällt und ein Hin- und Herw<strong>an</strong>dern zwischen<br />
Fachgebieten und Theorien oftmals unumgänglich ist.<br />
Vertrauen ist ein vielschichtiges Phänomen. Sein Verstehen erfordert stets neue<br />
Anläufe, ein wiederholtes, schrittweises Zugehen von verschiedenen Seiten auf den<br />
Erkenntnisgegenst<strong>an</strong>d. Es wird daher zunächst nicht definiert, sondern im Rahmen<br />
eines sem<strong>an</strong>tisch argumentierenden Kapitels als Konstrukt aus verschiedenen Blickwinkeln<br />
beschrieben und org<strong>an</strong>isationstheoretisch verortet. Die Arbeit geht davon<br />
aus, dass die von Akteuren infolge ihres Vertrauens getätigten H<strong>an</strong>dlungen, die<br />
Strukturen reproduzieren, die auf ihre Vertrauensentscheidungen Einfluss nehmen.<br />
(Vertrauens-) Strukturen und (Vertrauens-) H<strong>an</strong>dlungen in Org<strong>an</strong>isationen werden also<br />
unter Rückgriff auf die Strukturationstheorie von Giddens als Dualität konzipiert.<br />
Sie sind keine <strong>an</strong>tagonistischen Gegensätze, sondern konstituieren und bedingen sich<br />
gegenseitig.<br />
Mit dem dritten Kapitel beginnt die modellorientierte Aufarbeitung des Wissensgebietes<br />
Vertrauen in Unternehmen (vgl. Abb. 1). Das Modell illustriert die Bedingungen,<br />
Entscheidungsprozesse und Folgen von Vertrauen. Da die Vergabe von<br />
Vertrauen Resultat einer individuellen Entscheidung ist, bildet das Modell diesen<br />
Prozess und seine Bedingungen aus Sicht des vertrauenden Individuums ab. Wie <strong>an</strong>dere<br />
Modelle auch stellt es einen heuristischen Ordnungsversuch und damit eine<br />
Idealisierung dar. Zwar existieren bereits einige Vertrauensmodelle, die mit dem hier<br />
entwickelten vergleichbar sind. Sie sind jedoch nicht auf Org<strong>an</strong>isationen zugeschnitten<br />
und berücksichtigen daher nicht die Rahmenbedingungen und Strukturen, denen<br />
interpersonelle Vertrauensbeziehungen in Org<strong>an</strong>isationen unterliegen. Diese zu identifizieren<br />
und in ihrer Wirkung darzustellen, ist eine Besonderheit und der Zweck des<br />
vorliegenden Modells. Darüber hinaus geht es darum, mit seiner Hilfe die Forschung<br />
zu systematisieren, die Interaktion von Akteur und Vertrauensperson zu verstehen<br />
und nicht zuletzt die Wechselwirkung von Vertrauensh<strong>an</strong>dlungen und Strukturen aufzuzeigen.<br />
Das Vertrauensmodell beginnt – von links nach rechts gelesen – mit einer Identifizierung<br />
der situativen Bedingungen, unter denen Vertrauen in Org<strong>an</strong>isationen relev<strong>an</strong>t<br />
wird. Denn nur Kontexte, die sich durch Verhaltensunsicherheit, Verlustgefahr<br />
und Entscheidungsfreiheit des Akteurs auszeichnen, erzeugen einen Vertrauensbedarf.<br />
Dar<strong>an</strong> <strong>an</strong>knüpfend wird die Vertrauensentscheidung betrieblicher Akteure als<br />
ein Resultat von rationalen, emotionalen und habituellen Prozessen konzipiert. Kal-
420 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
küle, Gefühle und Gewohnheiten sind die Grundlage von Vertrauen. Hat sich z.B. ein<br />
Angestellter dazu entschlossen, Vertrauen zu vergeben, hegt er bestimmte Erwartung,<br />
deren Erfüllung vom Vorgesetzten erwartet wird. Die dreidimensionale Vertrauenserwartung<br />
umfasst die Kompetenzen, die Integrität und die Gesinnung von VertrauensempfängerInnen<br />
und stellt den inhaltlich-definitorischen Kern des hier zugrundegelegten<br />
Vertrauensverständnisses dar. Welche Strukturen innerhalb von Org<strong>an</strong>isationen<br />
günstig sind für eine positive Vertrauensentscheidung und die Genese von Vertrauen,<br />
wird im Anschluss beleuchtet. Analysiert werden drei Klassen von Vertrauensfaktoren:<br />
gesellschaftliche, org<strong>an</strong>isationale und personale Strukturen, die als Vertrauensfaktoren<br />
Eing<strong>an</strong>g in die Entscheidung von Akteuren finden bzw. „hinter ihrem<br />
Rücken“ gewohnheitsmäßig die Entstehung und Entwicklung von Vertrauensbeziehungen<br />
beeinflussen. Zu den gesellschaftlichen Faktoren gehören die Nationalkultur<br />
und der Arbeitsmarkt. Org<strong>an</strong>isationale Vertrauensfaktoren sind der Org<strong>an</strong>isationserfolg,<br />
die Org<strong>an</strong>isationsgeschichte und -zukunft, Arbeitsorg<strong>an</strong>isation, Leistungspolitik,<br />
Unternehmenskultur und der Führungsstil. Als personale Faktoren wurde die Beziehungsart<br />
der Akteure und die Reputation von InteraktionspartnerInnen identifiziert.<br />
Abb. 1: Vertrauensmodell - Bedingungen, Prozess und Folgen von Vertrauen<br />
Vertrautheit<br />
Personale Faktoren: VertrauensempfängerIn<br />
Vertrauenswürdigkeit/Reputation<br />
Art der Beziehung zum Geber/Geberin<br />
<br />
Kompetenz<br />
Integrität<br />
Gesinnung<br />
Spezifik von<br />
Vertrauenssituationen<br />
Verhaltensunsicherheit<br />
Verlustgefahr<br />
Entscheidungsfreiheit<br />
Vertrauensentscheidung<br />
Gewohnheit<br />
Kalkül<br />
Gefühl<br />
Vertrauenserwartung<br />
Vertrauensh<strong>an</strong>dlung<br />
risk<strong>an</strong>te Vorleistung<br />
Kontrollverzicht<br />
Gesellschaft<br />
Nationalkultur<br />
Arbeitsmarkt<br />
Org<strong>an</strong>isationale Faktoren<br />
Org<strong>an</strong>isationsgeschichte, -zukunft<br />
Org<strong>an</strong>isationserfolg<br />
Unternehmenskultur<br />
Führungsstil, Leistungspolitik<br />
Arbeitsorg<strong>an</strong>isation<br />
Dualität der Struktur<br />
Hat sich ein Akteur für Vertrauen entschieden oder vertraut er routinemäßig,<br />
geht dies zumeist auch mit bestimmten H<strong>an</strong>dlungen einher. Mit den Vertrauensh<strong>an</strong>dlungen,<br />
die für Individuen, Teams und Org<strong>an</strong>isationen Bedeutung besitzen, finden die<br />
theoretischen Ausführungen ihren Abschluss. Vertrauen lässt sich auf dieser Grundlage<br />
folgendermaßen definieren: es ist die gefühlsmäßige, kalkulierte oder habituelle<br />
Bereitschaft eines Akteurs, auf die Kontrolle eines <strong>an</strong>deren zu verzichten und eine
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 421<br />
risk<strong>an</strong>te Vorleistung (H<strong>an</strong>dlung) zu erbringen, die mit der kognitiven Erwartung und<br />
dem Gefühl einhergeht, dass der oder die VertrauensempfängerIn kompetent, integer<br />
und wohlwollend ist.<br />
Vertrauen ist ein problematischer Begriff, der viele Bedeutungen besitzt und nur<br />
schwer einzugrenzen ist. Allein mit exakten und immer auch künstlichen Definitionen<br />
k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> das Phänomen nicht in den Griff bekommen. Diese Arbeit geht daher<br />
einen Schritt weiter, indem sie versucht, es auch empirisch zu erfassen. Die Empirie<br />
fungiert dabei als ein Baustein der Modellentwicklung und dient zugleich ihrer Überprüfung.<br />
Untersucht werden die wechselseitigen Vertrauensbeziehungen zwischen Vertriebs<strong>an</strong>gestellten<br />
und ihren Vorgesetzten sowie GeschäftsführerInnen in vier Unternehmen<br />
aus drei Br<strong>an</strong>chen. In diesen Unternehmen wurden 42 Leitfadeninterviews<br />
mit Beschäftigten aller Hierarchieebenen geführt. Die Darstellung der vier Betriebe<br />
erfolgt in Form von Fall<strong>an</strong>alysen, wobei sich die Auswertung der Interviews auf die<br />
Wirkungsweise der Vertrauensfaktoren und die Beschreibung der Dreidimensionalität<br />
von Vertrauen konzentriert.<br />
Das erste zum Sample gehörende Unternehmen ist ein in Ostdeutschl<strong>an</strong>d <strong>an</strong>gesiedelter<br />
metallverarbeitenden Betrieb, der als „low trust“-Org<strong>an</strong>isation charakterisiert<br />
wird. Dies liegt vor allem dar<strong>an</strong>, dass sich die betrieblichen Akteure Kompetenzdefizite<br />
zuschreiben, deren Grundlage unerfüllte Output- und Reziprozitätserwartungen<br />
sind. Der zweite Fallbetrieb gehört der gleichen Br<strong>an</strong>che <strong>an</strong>, besitzt jedoch<br />
aufgrund <strong>an</strong>derer struktureller Bedingungen ein höheres org<strong>an</strong>isationales Vertrauensniveau,<br />
obwohl auch in diesem Unternehmen Vertrauensprobleme – vor allem in der<br />
Integritätsdimension – existieren. Ähnlich verhält es sich mit der dritten Firma, die<br />
infolge eines vertrauenzerstörenden Führungsstils, verschärfter Wettbewerbsbedingungen<br />
auf dem Energiemarkt und struktureller Anpassungen <strong>an</strong> diese unter der Erosion<br />
von Vertrauen – vor allem in der Vertriebsabteilung – leidet. Hervorzuheben<br />
sind in diesem Unternehmen die Gesinnungszweifel, die die Beschäftigten gegenüber<br />
ihrem Vertriebsleiter hegen. Der vierte und letzte Fall schließlich ist ein seit Jahren<br />
sehr erfolgreiches „high trust“-Unternehmen aus Süddeutschl<strong>an</strong>d. Eine entscheidende<br />
Säule des gegenseitigen Vertrauens sind in diesem Betrieb die erfüllten Gesinnungserwartungen:<br />
der Geschäftsleiter kommt seiner Fürsorgepflicht nach („demonstrating<br />
concern“), die Beschäftigten entsprechen seinen Loyalitätserwartungen.<br />
Den Abschluss der Arbeit bildet die Zusammenfassung und eine synoptische<br />
Präsentation der theoretischen und empirischen Ergebnisse. Es wird noch einmal betont,<br />
welche essentielle Bedeutung emotional begründetes und gewohnheitsmäßig<br />
vergebenes Vertrauen für Unternehmen als Org<strong>an</strong>isationsprinzip von Arbeit hat. Vertrauen<br />
ist eine individuelle Erwartungshaltung eines Akteurs und Grundlage seines<br />
kooperativen bzw. prosozialen Verhaltens im Umg<strong>an</strong>g mit <strong>an</strong>deren. Verändert sich<br />
das <strong>an</strong>deren Akteuren entgegengebrachte Vertrauen, ändert sich auch die Beziehung.<br />
Die Kategorie beschreibt damit auch die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen,<br />
d.h. eine Eigenschaft kollektiver Einheiten, die sich im Wesentlichen aus den Interaktionen<br />
ihrer Mitglieder zusammensetzen. Vertrauen ist ein soziales Bindeglied,
422 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
das individuelles und kollektives H<strong>an</strong>deln mitein<strong>an</strong>der verknüpft. Es besitzt einen<br />
Subjektbezug – es ist immer ein Akteur, der über die Vergabe von Vertrauen entscheidet<br />
– und fungiert zugleich als Org<strong>an</strong>isationsprinzip, denn es org<strong>an</strong>isiert individuelles<br />
H<strong>an</strong>deln zu einem strukturierten sozialen G<strong>an</strong>zen. Für die Org<strong>an</strong>isationstheorie<br />
ist es daher eine Erklärungsvariable von großem Wert.<br />
Das Schlusskapitel der vorliegenden Arbeit betont auch noch einmal, dass Vertrauen<br />
für Org<strong>an</strong>isationen einen Nutzen stiftet, vor allem weil es Verh<strong>an</strong>dlungs-,<br />
Kontraktentwurfs- und Kontrollkosten reduziert. Ähnlich wie Wissen ist es jedoch<br />
ein „int<strong>an</strong>gible asset“, d.h. es ist nur schwer zu messen und nicht nach Belieben m<strong>an</strong>ipulierbar.<br />
Es ist oft ein „by-product“ von H<strong>an</strong>dlungen, die einen Vertrauenseffekt<br />
gar nicht haben sollen. Damit sind betriebliche Akteure jedoch nicht zur Untätigkeit<br />
verdammt. Vertrauen wird durch gesellschaftliche, org<strong>an</strong>isationale und personale<br />
Faktoren beeinflusst. Insbesondere über die beiden letzteren ist das betriebliche Vertrauensniveau<br />
gestaltbar. Die Arbeit schließt daher mit einigen Regeln, die org<strong>an</strong>isationales<br />
Vertrauensm<strong>an</strong>agement zu berücksichtigen hat, wenngleich sie kein Rezept<br />
darstellen und keinen Automatismus gar<strong>an</strong>tieren.<br />
Holger Morick<br />
Differentielle Personalwirtschaft – Theoretisches Fundament<br />
und praktische Konsequenzen *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. <strong>Rainer</strong> Marr, Universität der Bundeswehr<br />
München<br />
1. Fokussierung des Themas und Ziel der Arbeit<br />
Verschiedenheit und Individualität sind grundlegende Phänomene menschlichen<br />
Lebens. Dieser Tatsache k<strong>an</strong>n sich auch die Personalwirtschaft nicht verschließen.<br />
Doch die Suche nach Bestimmungsgründen für menschliches Leistungsverhalten<br />
stellt Wissenschaft wie Praxis immer wieder vor ungelöste Fragen: Warum führen<br />
gleiche personalwirtschaftliche Maßnahmen bei Mitarbeitern zu unterschiedlichem<br />
Leistungsverhalten? Warum z. B. führt in gleichem Maße gewährter Freiraum bei einem<br />
Mitarbeiter zu Unter-, bei einem <strong>an</strong>deren zu Überforderung? Demographische<br />
Entwicklung, Individualisierungstendenzen oder Wertew<strong>an</strong>del schärfen noch den<br />
Blick für die Vielfalt der Mitarbeiter. Die Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen<br />
Bedürfnisse und Interessen wird zur zentralen personalwirtschaftlichen Herausforde-<br />
*<br />
Holger Morick: Differentielle Personalwirtschaft – Theoretisches Fundament und praktische<br />
Konsequenzen. Neubiberg 2002, XII, 334 Seiten, gebunden, 46 Abbildungen und Tabellen,<br />
edition gfw, € 29,60, ISBN 3-9807539-3-X.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 423<br />
rung. Können für den Umg<strong>an</strong>g mit diesem Mitarbeiterpotenzial Charakteristika gefunden<br />
werden, Konst<strong>an</strong>ten, die Personalver<strong>an</strong>twortlichen Orientierung bei der Beurteilung<br />
und Gestaltung dieses Leistungsverhaltens zu geben vermögen?<br />
Allgemeinen personalwirtschaftlichen Aussagesystemen liegt – mit etwas spekulativem<br />
Mut – implizit oder explizit folgendes Bild des Normalmitarbeiters zu Grunde:<br />
männlich, von mittlerem Alter, körperlich gesund, deutsch, Lehr- oder Meisterqualifikation,<br />
Angestellter und nicht zuletzt in traditioneller Vollzeiterwerbstätigkeit.<br />
Weil rechtlich herleitbar oder vermeintlich sichtbar werden als „besondere“ Mitarbeitergruppen<br />
immer wieder gerne Ältere, Frauen oder etwa Ausländer beh<strong>an</strong>delt – als<br />
Abweichungen vom skizzierten Bild. Christo Stojtschkow, Europas Fußballer des<br />
Jahres 1994, wird der Satz zugeschrieben: „Es gibt keine jungen oder alten Spieler, es<br />
gibt nur gute oder schlechte.“ Treffender lässt sich kaum ausdrücken, dass soziodemographische<br />
Merkmale nur sehr bedingt aussagekräftig für Leistungsverhalten<br />
sind und dass wichtige Orientierungspunkte für Personalver<strong>an</strong>twortliche eher im<br />
Verborgenen liegen. Es gilt also, differenzierter zu denken. Genau dafür bietet sich<br />
die Differentielle Personalwirtschaft <strong>an</strong> – nicht nur vom Namen her in bewusster Anlehnung<br />
<strong>an</strong> die Differentielle Psychologie. Denn im Vordergrund steht die Ergänzung<br />
allgemeiner personalwirtschaftlicher Aussagesysteme durch differentielle Aussagesysteme<br />
– und dies auf einem soliden theoretischen Fundament. Es geht um weit<br />
mehr als eine l’art pour l’art. Denn es ergibt sich damit die Ch<strong>an</strong>ce, zu Subgruppen<br />
von Mitarbeitern zu gel<strong>an</strong>gen, deren Leistungsverhalten zutreffender als bisher prognostiziert<br />
werden k<strong>an</strong>n. Aus dieser Erkenntnis heraus lassen sich personalwirtschaftliche<br />
Gestaltungsmaßnahmen ergreifen, welche die Effizienz der Personalarbeit (z.B.<br />
durch fundiertere Maßnahmenauswahl im o.g. Beispiel) und damit letztlich auch einer<br />
gesamten Org<strong>an</strong>isation steigern.<br />
2. Vorgehensweise und Ergebnisse<br />
Die Arbeit gel<strong>an</strong>gt in drei Hauptteilen zu ihren Ergebnissen:<br />
In Teil I werden die Grundlagen der Differentiellen Personalwirtschaft gelegt:<br />
Aus der Diskussion der Relev<strong>an</strong>z des Themas und der Analyse des aktuellen St<strong>an</strong>des<br />
der Forschung wird dabei deutlich, dass die Betrachtung „gängiger“ Abweichungen<br />
vom Bild des Normalmitarbeiters für das Ziel der Arbeit wenig aufschlussreich ist.<br />
Andererseits scheint erst durch den <strong>an</strong>gelsächsischen (Re-)Import der Diversity-<br />
Forschung eine breitere Diskussion über die Verschiedenartigkeit von Mitarbeiterbedürfnissen<br />
<strong>an</strong>gestoßen zu werden. Denn die ged<strong>an</strong>klichen Wurzeln einer differenzierteren<br />
Betrachtungsweise lassen sich im deutschsprachigen Raum durchaus bis zu<br />
Heinrich Nicklisch, Oswald von Nell-Breuning und Guido Fischer zurückverfolgen.<br />
Seit den 1970er Jahren lieferten Ulich, Sch<strong>an</strong>z, Drumm oder Marr hilfreiche Problemskizzen.<br />
Klar wird: Die Arbeit unternimmt einen Bal<strong>an</strong>ceakt zwischen Generalisierung<br />
und Individualisierung. In methodischer Hinsicht wird dazu im Sinne einer<br />
pluralistischen Vorgehensweise eine interdisziplinär <strong>an</strong>gelegte Modellbau-Strategie<br />
verfolgt. Am Ende von Teil I führen die Überlegungen zu einem tragfähigen Rah-
424 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
menmodell, das die besonders relev<strong>an</strong>ten Untersuchungselemente zur Entwicklung<br />
der Differentiellen Personalwirtschaft zusammenträgt.<br />
Diese Modellbausteine werden in Teil II theoretisch untermauert. Gezeigt wird<br />
die differentielle Bedeutung von vier Sozialisationsphasen (Mitarbeitergewinnung, -<br />
integration, -bindung und -loslösung) sowie der vier interdependenten Determin<strong>an</strong>ten<br />
menschlichen Verhaltens (Kultur, Motivation, Qualifikation und Struktur): Der Kultur<br />
(soziales Dürfen) kommt dabei vorstrukturierende Bedeutung zu. Als Erklärungs<strong>an</strong>satz<br />
für die Motivation (Leistungsbereitschaft) wird die im deutschsprachigen<br />
Raum bedauerlicherweise wenig bek<strong>an</strong>nte Selbstbestimmungstheorie von Deci und<br />
Ry<strong>an</strong> her<strong>an</strong>gezogen. Diese Motivationstheorie lieferte bereits l<strong>an</strong>ge vor Sprengers<br />
„Mythos Motivation“ eine wissenschaftliche Begründung für dessen Hauptthese „alles<br />
Motivieren ist Demotivieren“. Die Art der motivationalen Prägung eines Menschen<br />
und dessen subjektive Wahrnehmung von extrinsischen Anreizen liefern Gestaltungshinweise<br />
für die situative Ermöglichung. Vergleichbare Hinweise ergeben<br />
sich aus der Betrachtung des Könnens (Leistungsfähigkeit). Mit dem Konstrukt der<br />
spont<strong>an</strong>en Verhaltensoptimierung k<strong>an</strong>n erklärt werden, warum unter sonst gleichen<br />
Bedingungen der eine Teil der Mitarbeiter einen effizienteren Lösungsweg bei der<br />
Bewältigung von Aufgaben einschlägt als der <strong>an</strong>dere. Mit der Struktur (situative Ermöglichung)<br />
werden die objektiven Voraussetzungen zur Leistungserbringung geschaffen,<br />
die sich auch kurzfristig gestalten lassen. Der <strong>an</strong>gebotene g<strong>an</strong>zheitliche Ansatz<br />
zur Systematisierung differentiellen Denkens und H<strong>an</strong>delns wird damit in einem<br />
ersten Schritt exemplarisch ausgefüllt durch stabile motivationale und kognitive Persönlichkeitsmerkmale<br />
als Differenzierungsvariablen.<br />
Ein solcher Differenzierungs<strong>an</strong>satz jenseits individueller Erfahrungen und<br />
schematischer Konventionen zieht verschiedene praktische Konsequenzen nach sich.<br />
Teil III liefert Anregungen vor allem zu Fragen der H<strong>an</strong>dhabbarkeit der mit der Differentiellen<br />
Personalwirtschaft verbundenen Komplexität: Erste Operationalisierungs<strong>an</strong>sätze<br />
zeigen Wege auf, um die Passung zwischen Stelle und Mitarbeiter zu optimieren.<br />
Die vorgeschlagene wertmäßige Abbildung des Hum<strong>an</strong>vermögens in Org<strong>an</strong>isationen<br />
k<strong>an</strong>n den Nachweis der Effizienz differentieller personalwirtschaftlicher<br />
Gestaltungsmaßnahmen erleichtern. Auch werden die Konsequenzen einer unterschiedlichen<br />
Mitarbeiterbeh<strong>an</strong>dlung unter Gerechtigkeitsaspekten und die Berechtigung<br />
persönlichkeitsverändernder Maßnahmen als personalwirtschaftliches Gestaltungsziel<br />
thematisiert. Nicht zuletzt lassen sich Aussagen zu den Ver<strong>an</strong>twortlichkeiten<br />
für eine differentielle Personalarbeit und den dazu zur Verfügung stehenden Koordinationsmech<strong>an</strong>ismen<br />
treffen.<br />
3. Fazit und Ausblick<br />
Die Skizzierung von Entwicklungslinien der Personalwirtschaft, die theoretischen<br />
Überlegungen, aber auch die abgeleiteten praktischen Konsequenzen führen zu<br />
einem Differenzierungs<strong>an</strong>satz, der im Rahmen der Personalwirtschaft geeignet erscheint,<br />
menschlichem Leistungsverhalten besser als bisher gerecht zu werden. An<br />
die damit geschaffene Basis können zukünftig Implementierungsüberlegungen <strong>an</strong>-
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 425<br />
knüpfen. In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g übernimmt die Differentielle Personalwirtschaft<br />
eine Präventivfunktion. Nicht in ihrem Sinne zu differenzieren bedeutet bloße Reaktion<br />
auf M<strong>an</strong>agementfehler, die eben dadurch entstehen, dass leistungsrelev<strong>an</strong>te individuelle<br />
Unterschiede von Mitarbeitern nicht ausreichend berücksichtigt werden.<br />
Damit stellt die Differentielle Personalwirtschaft für Org<strong>an</strong>isationen einen Wettbewerbsvorteil<br />
dar. L<strong>an</strong>gfristig muss das Ziel der Differentiellen Personalwirtschaft<br />
sein, dass differentielles Denken und H<strong>an</strong>deln als allgemeine Prämissen Einzug in die<br />
Personalwirtschaft finden. Der entwickelte g<strong>an</strong>zheitliche Ansatz liefert somit letztlich<br />
auch für die Personalwirtschaft als wissenschaftliche Disziplin eine theoretische Systematisierung<br />
personalwirtschaftlicher Aspekte.<br />
Vielleicht sind für die Personalwirtschaft sogar die allgemeinen Aussagen der<br />
Selbstbestimmungstheorie – wie selbstbestimmtes H<strong>an</strong>deln gefördert werden k<strong>an</strong>n und<br />
sich mit höherer intrinsischer Motivation und mehr Engagement auch die Qualität des<br />
H<strong>an</strong>delns steigert – von viel größerer Bedeutung als ihre differentiellen Aussagen. Differentielle<br />
Personalwirtschaft ist aber unabdingbar. Denn es ist eben von zentraler Bedeutung,<br />
die Mitarbeiter nicht dort zu suchen, wo sie aufgrund eines „Schubladendenkens“<br />
nur ged<strong>an</strong>klich hingestellt wurden, aber nicht wirklich stehen. Entscheidend ist<br />
es, die Mitarbeiter dort abzuholen, wo sie sich gegenwärtig befinden.<br />
3. Personal und Arbeitsmarkt<br />
Güldem Demirer<br />
Unternehmensgründungen aus <strong>Hochschulen</strong> und der Einfluss<br />
von Arbeitsmarktregulierungen. Eine prospecttheoretische<br />
Analyse<br />
Betreuerin: Prof. Dr. Uschi Backes-Gellner, Universität Zürich,<br />
vorher Universität zu Köln<br />
1. Forschungsfrage: Welchen Einfluss haben Arbeitsmarktregulierungen auf<br />
die Erwerbsneigung von Hochschülern?<br />
Die Entscheidung zur Unternehmensgründung von Hochschülern stellt eine<br />
mögliche Alternative der Erwerbstätigkeit nach der Ausbildung dar. Allerdings wird<br />
diese Alternative von vielen Hochschülern nicht in Erwägung gezogen, da sie selten<br />
mit einem gleich hohen Nutzen im Vergleich zur abhängigen Erwerbstätigkeit bewertet<br />
wird. Die Bedingungen, die dazu führen, dass ein Hochschulabsolvent die Funktion<br />
des Unternehmers oder des Arbeitnehmers im Wirtschaftsgeschehen auswählt,<br />
sind in der vorliegenden Arbeit von besonderem Interesse. Basierend auf der Erkenntnis,<br />
dass Selbständige mit Hochschulabschluss häufiger Unternehmen mit Beschäftigung<br />
gründen als Selbständige ohne Hochschulabschluss (Moog 2000, 182-
426 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
186), wird vermutet, dass gerade die personalpolitische Flexibilität von Unternehmen<br />
ein ausschlaggebendes Kriterium für die Erwerbswahl darstellt. Es stellt sich die Frage<br />
unter welchen Bedingungen wirken sich in welcher Form personalpolitisch relev<strong>an</strong>te<br />
Regulierungen auf die (latente) Gründungsentscheidung von Hochschülern aus.<br />
Es wird unterschieden in die faktische und die wahrgenommene Wirkung institutioneller<br />
Regulierungen auf die personalpolitische Flexibilität von Unternehmensgründungen.<br />
Die wahrgenommene personalpolitische Flexibilität von Hochschülern wird<br />
unterschiedlich stark – in Abhängigkeit des Individuums – von der faktischen personalpolitischen<br />
Flexibilität abweichen. Demnach ist das Gründerpotenzial <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
abhängig von der individuellen Wahrnehmung der Hochschüler. Die individuelle<br />
Wahrnehmung ist u.a. abhängig von Informationen über die faktische personalpolitische<br />
Flexibilität.<br />
In einem ersten Schritt wird die Relev<strong>an</strong>z der personalpolitischen Institutionen<br />
für Hochschulabsolventen, die bereits Unternehmer sind, untersucht. Aufbauend auf<br />
den Ergebnissen der faktischen Einflussnahme personalpolitisch relev<strong>an</strong>ter Institutionen<br />
auf die unternehmerische H<strong>an</strong>dlungsfreiheit, wird in einem zweiten Schritt deren<br />
wahrgenommene Wirkung betrachtet. Die Wahrnehmung personalpolitischer Flexibilität<br />
beeinflusst Erwartungen über die abhängige und selbständige Erwerbstätigkeit<br />
und damit die Erwerbsentscheidung von Hochschülern. Daraus folgt die Spezifizierung<br />
der Forschungsfrage: Welchen Einfluss hat die individuell wahrgenommene<br />
personalpolitische Flexibilität auf hochschulinduzierte Unternehmensgründungen?<br />
2. Theoretische Analyse: Prospecttheorie<br />
Der Prozess des Entscheidungs- und Vorentscheidungsverhaltens hinsichtlich<br />
einer selbständigen oder abhängigen Erwerbswahl wird mittels eines modernen, präskriptiv<br />
orientierten Ansatzes der Entscheidungstheorie die Prospecttheorie untersucht.<br />
Der Forschungsfortschritt der Prospecttheorie liegt darin, den Entscheidungsprozess<br />
in das Kalkül einzubeziehen. Wohingegen die klassische Erwartungsnutzenbewertung<br />
(gewichtete Summe bewerteter Konsequenzen) die reine Betrachtung<br />
der Outputs einer Nutzenfunktion abbildet. Als zentrale Konzepte der<br />
Prospecttheorie sind die referenzpunktabhängige Bewertung und die nichtlineare<br />
Wahrscheinlichkeitsgewichtung implementiert. In dieser Arbeit hat die prospecttheoretische<br />
Erweiterung der Erwartungsnutzentheorie eine präskriptiv-beratende Funktion<br />
in der Analyse der Erwerbsentscheidung von Studierenden. Die Erkenntnisse über<br />
die systematisch abweichende Erwerbsentscheidung vom normativen Rationalitätspostulat<br />
sollen als Grundlage für eine verbesserte Entscheidungshilfe dienen, in der<br />
Form, dass die Verbesserung der H<strong>an</strong>dlungsempfehlungen zu einer verstärkten Aktivierung<br />
des Gründungspotenzials <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> führen.<br />
3. Untersuchungsdesign<br />
Im Unterschied zu <strong>an</strong>deren Studien wird in dieser Arbeit vermutet, dass schon<br />
allein die individuelle Wahrnehmung der relev<strong>an</strong>ten Regulierungen – unabhängig da-
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 427<br />
von, ob diese der Realität entspricht – eine eigene, direkte Wirkung auf das Entscheidungskalkül<br />
hinsichtlich der Erwerbswahl hat. Die folgende Analyse der latenten Erwerbsentscheidung<br />
vor dem Hintergrund institutioneller Regulierungen fokussiert<br />
drei Faktoren, die im Wirkungszusammenh<strong>an</strong>g zu dem Entscheidungsproblem stehen.<br />
Die Analyse ist wie folgt aufgebaut: Es wird ein einfaches ökonomisches Entscheidungsproblem<br />
der Erwerbsneigung vorgestellt, auf dessen Basis verschiedene<br />
Entscheidungsregeln <strong>an</strong>gewendet werden. Zunächst wird dem klassischen Unternehmermodell<br />
folgend, die Erwartungswertregel betrachtet. Der Residualeinkommensempfänger<br />
wird hier als risikoneutral definiert, d.h., indifferent gegenüber Einkommensvolatilitäten.<br />
Weiterhin differenzieren sich die Entscheidungsträger <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d unterschiedlich<br />
wahrgenommener personalpolitischer Flexibilität. Dieser Wahrnehmungsunterschied<br />
bildet die Grundlage für die Generierung der ersten Hypothese.<br />
Anschließend wird der möglichen Risikoaversion von Unternehmensgründern durch<br />
die Erwartungsnutzentheorie Rechnung getragen und darauf aufbauend die zweite<br />
Hypothese formuliert. Nachfolgend werden Erkenntnisse über die eingeschränkt rationale<br />
Entscheidung von Akteuren, die die Prognosekraft der ökonomischen Modellierung<br />
schwächen, aufgearbeitet und in dem Kalkül der Entscheidungsträger durch<br />
die Einbeziehung prospecttheoretischer Implikationen in der Antizipierung von<br />
Markttendenzen berücksichtigt. Dieses bildet die Grundlage für die Entwicklung der<br />
dritten Hypothese.<br />
4. Die empirische Überprüfung<br />
Im Rahmen des Schwerpunktprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
(DFG) „Interdisziplinäre Gründungsforschung” wurde das Forschungsprojekt<br />
GrünCol! (Gründungen in Cologne!) durchgeführt. Dabei wurde der so gen<strong>an</strong>nte<br />
GrünCol!-Hochschuldatensatz auf Basis der st<strong>an</strong>dardisierten Fragebogenaktion generiert.<br />
Ziel der Erstellung des Hochschuldatensatzes war es, das Potenzial <strong>an</strong> Unternehmensgründern<br />
durch die Befragung der Studierenden in Köln zu <strong>an</strong>alysieren.<br />
Hierbei lag das Hauptinteresse auf der Vorgründungsphase, wobei insbesondere der<br />
Einfluss hum<strong>an</strong>kapitaltheoretisch und entscheidungstheoretisch motivierter Überlegungen<br />
zur Gründungsneigung von Hochschülern untersucht werden sollte. Aufgrund<br />
der absoluten Größe der Nettostichprobe (Zahl der gültigen Fragebögen) mit 5.520<br />
Fragebögen liegt ein für die Fragestellung der hochschulinduzierten Unternehmensgründungen<br />
einzigartiger Datensatz vor. Die Analyse der Hypothesen wurde auf Basis<br />
einer multivariaten Regressions<strong>an</strong>alyse durchgeführt.<br />
5. Ergebnisse der Untersuchung<br />
Die Analyse der de facto Wirkung personalpolitisch relev<strong>an</strong>ter Institutionen<br />
zeigt, dass der Vorwurf eines zu rigiden Regelkorsetts für Unternehmensgründungen<br />
derart pauschal nicht aufrecht erhalten werden k<strong>an</strong>n. Kleine Unternehmen überbieten<br />
die rechtlichen Mindest<strong>an</strong>forderungen sogar freiwillig und viele rechtliche Eingriffe<br />
sind, für die typische Unternehmensgründung – aufgrund der Mitarbeitergröße –
428 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
nicht verhaltenswirksam. Die multivariate Regressionsalyse hat bestätigt, dass die individuelle<br />
Wahrnehmung institutioneller Rahmenbedingungen einen eigenständigen<br />
Einfluss auf die Erwerbsneigung der Hochschüler hat.<br />
Gerade die Förderung von hochschulinduzierten Unternehmensgründungen bedarf<br />
einer Berücksichtigung der Risikopräferenz des Gründers. Häufig wird der Entscheider<br />
in der ökonomischen Modellierung als indifferent gegenüber Einkommensvolatilitäten<br />
bestimmt. Die daraus resultierenden Empfehlungen zur Förderung der<br />
Selbständigkeit und entscheidungsunterstützenden Maßnahmen werden demnach den<br />
Aspekt der Risikopräferenz sträflich vernachlässigen. Wenn m<strong>an</strong> robuste Vorhersagen<br />
über die Erwerbsentscheidung treffen möchte sowie unterstützende Maßnahmen<br />
effizient gestalten will, ist die Einbeziehung der Risikoaversionsgrade in die Analyse<br />
für die Gestaltung von Fördermaßnahmen in <strong>Hochschulen</strong> unumgänglich.<br />
Die Fähigkeit des Hochschülers, Marktch<strong>an</strong>cen und -risiken realistisch einzuschätzen,<br />
stellt einen ausschlaggebenden Faktor für eine Gründung dar. Die vorliegenden<br />
ökonometrischen Ergebnisse bestätigen die prospecttheoretischen Implikationen,<br />
dass ein hohes Maß <strong>an</strong> Kenntnissen über einen Themenkomplex zu geringeren<br />
Abweichungen vom rationalen Entscheidungskalkül – im Sinne der Einhaltung normativ-logischer<br />
Regeln – führt. Sie deuten auf eine verstärkte Aktivierung des Gründungspotenzials<br />
durch die Vermittlung von Praxis- und Marktkenntnissen mittels<br />
gründungsrelev<strong>an</strong>ter Inhalte hin.<br />
Literatur:<br />
Moog, P. (2000): Hum<strong>an</strong> Capital <strong>an</strong>d its Influence on Entrepreneurial Success: In: RENT IV - Research<br />
in Entrepreneurship <strong>an</strong>d Small Business. Conference Volume Prague November/2000:<br />
182-186.<br />
Silke Flegel<br />
Die Arbeitssituation von Hochschulabsolventen.<br />
Bewältigungsmöglichkeiten in inadäquaten<br />
Beschäftigungssituationen *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Albert Martin, Universität Lüneburg<br />
1. Problemhinführung<br />
Der Anteil der Hochschulabsolventen nimmt durch ein geändertes Bildungsverhalten<br />
der Bevölkerung ständig zu. Dem steigenden Angebot <strong>an</strong> Akademikern auf<br />
*<br />
Silke Flegel: Die Arbeitssituation von Hochschulabsolventen. Bewältigungsmöglichkeiten in<br />
inadäquaten Beschäftigungssituationen. Empirische Personal- und Org<strong>an</strong>isationsforschung,<br />
hrsg. von W. Weber, A. Martin, W. Nienhüser, Bd. 22, ISBN 3-87988-748-9, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong><br />
<strong>Verlag</strong>, München und Mering 2003, € 27,80.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 429<br />
dem Arbeitsmarkt stehen aber nur gering veränderte Tätigkeitsstrukturen in den Unternehmen<br />
gegenüber. Daher sind immer mehr Akademiker gezwungen, auch eine<br />
Beschäftigung <strong>an</strong>zunehmen, die ihrer formalen Qualifikation nicht oder nur bedingt<br />
<strong>an</strong>gemessen ist. Empirische Studien beziffern die Größenordnung der „unterwertig“<br />
beschäftigten Akademiker auf bis zu 25%. Dies wirft die Frage auf, wie die Betroffenen<br />
mit einer inadäquaten Beschäftigung umgehen können. Hierzu versucht diese<br />
Arbeit einen Erklärungsbeitrag zu leisten. In einem theoretischen Teil wird ein eigenständiger<br />
kognitiver Ansatz über den möglichen Umg<strong>an</strong>g mit unterwertigen Beschäftigungssituationen<br />
entwickelt. Im dar<strong>an</strong> <strong>an</strong>schließenden empirischen Teil werden die<br />
theoretischen Überlegungen überprüft.<br />
2. Theoretischer Zug<strong>an</strong>g und eigener Ansatz<br />
Im Rahmen der Arbeit werden vier verschiedene Ansätze vorgestellt, die sich<br />
mit der individuellen Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit Arbeitssituationen beschäftigen. Thomas<br />
und Velthouse untersuchen die Auswirkungen der Wahrnehmungen auf das Verhalten.<br />
Weick beschäftigt sich mit dem Prozess des „Sinnmachens“ von H<strong>an</strong>dlungen<br />
oder von Situationen. Hackm<strong>an</strong> und Oldham stellen die Ausgestaltung der Tätigkeit<br />
in den Vordergrund und untersuchen die Auswirkungen von Arbeitsergebnis, Ver<strong>an</strong>twortung<br />
und Bedeutung auf die intrinsische Motivation. Bruggem<strong>an</strong>n untersucht,<br />
wie bestimmte Formen der Arbeitszufriedenheit erzeugt werden.<br />
In dem hier vorliegenden Ansatz werden einzelne Elemente der dargestellten<br />
Ansätze aufgegriffen und zusammengeführt. Die subjektive Wahrnehmung der Individuen<br />
wird berücksichtigt und Reaktionsformen auf unterwertige Arbeitssituationen<br />
werden heraus gearbeitet. Das Bedürfnis nach sinnvollem oder bedeutungsvollem<br />
Tun und die Sinngebung erhalten hierbei eine zentrale Rolle. Dies ist zu betonen, da<br />
bisl<strong>an</strong>g das Sinnkonzept in der Arbeitszufriedenheitsforschung keine Berücksichtigung<br />
gefunden hat.<br />
Zentrale Bedeutung für die Herausbildung von Bewältigungsstilen bzw. „Sinntypen“<br />
beim Umg<strong>an</strong>g mit unterwertigen Arbeitssituationen haben individuelle Arbeitsorientierungen,<br />
die mit fundamentalen Verhaltensdispositionen verbunden sind.<br />
Die kognitive Ver<strong>an</strong>kerung dieser Verhaltensdispositionen entscheidet darüber, welche<br />
kognitiven Prozesse im Umg<strong>an</strong>g mit der unterwertigen Arbeitssituation zum Zuge<br />
kommen. Sie bestimmt damit auch über die Herausbildung bestimmter Bewältigungsstile.<br />
Insgesamt werden sieben verschiedene Bewältigungsstile bzw. „Sinntypen“<br />
identifiziert.
430 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Das Argumentationsschema ist in der folgenden Abbildung dargestellt.<br />
3. Empirische Untersuchung<br />
In einer empirischen Untersuchung wurden Absolventen der Universität Lüneburg<br />
der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und der Betriebswirtschaftslehre des<br />
Zeitraums Juni 1997 bis Oktober 2000 befragt. Mittels Fragebogen wurden neben der<br />
beruflichen Situation und der Arbeitszufriedenheit die in der Arbeit beh<strong>an</strong>delten Verhaltensdispositionen<br />
erfasst. Außerdem wurden mit Hilfe von zur Auswahl stehenden<br />
Selbstbeschreibungen die Bewältigungsstile bzw. „Sinntypen“ erfragt. Für drei der<br />
Bewältigungsstile bzw. „Sinntypen“ liegen leider nur geringe Fallzahlen vor, so dass<br />
eine Konzentration der Auswertung auf die Typen „Veränderer“, „Optimierer“, „Abwarter“<br />
und „Nischentyp“ erfolgen musste.<br />
Es zeigt sich, dass insbesondere Leistungsmotivation und Selbstwirksamkeit mit<br />
den Bewältigungsstilen bzw. „Sinntypen“ zusammenhängen. Beispielsweise findet<br />
sich die Bewältigungsstrategie „Verändern“ besonders bei Personen mit einer hohen<br />
Selbstwirksamkeit.<br />
Weiterhin wird deutlich, dass die Arbeitszufriedenheit bzw. -unzufriedenheit eine<br />
Funktion von Situation und Person (individuelle Verhaltensdispositionen) ist. Interess<strong>an</strong>t<br />
ist, dass Personen mit „aktiverer“ Disposition, d.h. Personen mit hoher<br />
Selbstwirksamkeit und Leistungsmotivation sowie Internalisierung von Arbeitsnormen<br />
selbst in inadäquaten Situationen zufriedener sind als Personen mit „passiverer“<br />
Disposition.<br />
4. Resümee<br />
Ein kognitiver Ansatz über den möglichen Umg<strong>an</strong>g mit unterwertigen Beschäftigungssituationen<br />
konnte entwickelt werden. Mit ihrer theoretischen Argumentation<br />
liefert die vorliegende Arbeit Anregungen für eine Weiterentwicklung der Arbeitszufriedenheitsforschung.<br />
Darüber hinaus leistet sie mit Hilfe der Absolventenbefragung<br />
auch einen empirischen Beitrag zur Erforschung des Arbeitslebens. Das theoretische
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 431<br />
Konzept konnte hier nutzbringend für die Beschreibung von Zusammenhängen zwischen<br />
der Arbeitssituation und der Arbeitszufriedenheit von jungen Akademikern <strong>an</strong>gewendet<br />
werden.<br />
4. Personalentwicklung, Karriere, Kompetenzerwerb und<br />
Wissensm<strong>an</strong>agement<br />
Steffen Behler<br />
Ermittlung und Entwicklung von M<strong>an</strong>agementkompetenzen<br />
in wachstumsorientierten Unternehmen in der Gründungsphase<br />
*<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Je<strong>an</strong>-Paul Thommen, Europe<strong>an</strong> Business<br />
School, Oestrich-Winkel<br />
1. Einleitung<br />
Im Zuge des in den letzten Jahren stattfindenden Gründungsbooms stehen einer<br />
Vielzahl von erfolgreichen Unternehmensgründungen eine hohe Anzahl von gescheiterten<br />
Unternehmensgründungen entgegen. Als ein entscheidender Faktor für den Erfolg<br />
bzw. Misserfolg von Unternehmensgründungen ist das M<strong>an</strong>agement von Gründungsunternehmen<br />
<strong>an</strong>zusehen, da die Gründer als zentral h<strong>an</strong>delnde Personen die<br />
wichtigste Ressource eines Gründungsunternehmens repräsentieren. Alleine die Bereitschaft<br />
und Motivation zur Gründung eines Unternehmens sind zur erfolgreichen<br />
Umsetzung dieses Vorhabens allerdings nicht ausreichend. Vielmehr müssen Gründer<br />
über eine Reihe von Kompetenzen verfügen bzw. sich diese während der Unternehmensgründung<br />
verschaffen, um diese erfolgreich zu realisieren. In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
eröffnet sich die Frage, welche M<strong>an</strong>agementkompetenzen für Gründer von<br />
wachstumsorientierten Unternehmen erfolgsrelev<strong>an</strong>t sind und welche Maßnahmen<br />
zur Entwicklung von Kompetenzen genutzt werden können. Die Be<strong>an</strong>twortung dieser<br />
Fragestellung war das Ziel einer explorativen Untersuchung, die in Form einer<br />
schriftlichen Befragung von Unternehmensgründern durchgeführt wurde.<br />
*<br />
Behler, Steffen (2002): Ermittlung und Entwicklung von M<strong>an</strong>agementkompetenzen in wachstumsorientierten<br />
Unternehmen in der Gründungsphase, Shaker <strong>Verlag</strong>, Aachen.
432 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
2. Charakterisierung der Untersuchung<br />
Als theoretische Grundlage der Untersuchung diente ein situativer Ansatz. Als<br />
situative Faktoren, die einen möglichen Einfluss auf die Anforderungen <strong>an</strong> die M<strong>an</strong>agementkompetenzen<br />
von Gründern ausüben, wurden die Strategie, die Gründungsphase,<br />
die Unternehmensstruktur sowie das Marktumfeld von Gründungsunternehmen<br />
<strong>an</strong>gesehen.<br />
Zur Überprüfung der situativen Faktoren wurde eine explorative empirische Untersuchung<br />
in Form einer schriftlichen Befragung durchgeführt. Wachstumsorientierte<br />
Gründungsunternehmen bildeten als primärer Untersuchungsgegenst<strong>an</strong>d die<br />
Hauptstichprobe der Untersuchung (Vers<strong>an</strong>d 507 und Rücklauf 50 Fragebögen). Zudem<br />
wurden zwei Vergleichsstichproben von unselbständig-wachstumsorientierten<br />
(Vers<strong>an</strong>d 43 und Rücklauf 10) und selbständig-best<strong>an</strong>dsorientierten (Vers<strong>an</strong>d 55 und<br />
Rücklauf 28) Gründungsunternehmen erhoben. Unter der explorativ ausgerichteten<br />
Zielsetzung ermöglichte der Rücklauf mit insgesamt 14,6% erste Aussagen zu den<br />
Anforderungen <strong>an</strong> die M<strong>an</strong>agementkompetenzen von Unternehmensgründern.<br />
3. Wachstumsorientierte Gründungsunternehmen<br />
Im Mittelpunkt der Betrachtung st<strong>an</strong>den wachstumsorientiert-selbständige<br />
Gründungsunternehmen, bei denen natürliche Personen als Gründer und Eigentümer<br />
des Unternehmens Träger des unternehmerischen Risikos sind. Die strategische Ausrichtung<br />
von wachstumsorientierten Gründungsunternehmen liegt in einem starken<br />
und exp<strong>an</strong>siven Wachstum, welches das Unternehmen innerhalb kurzer Zeit der Klasse<br />
der Großunternehmungen nahe bringt. Dagegen sind am <strong>an</strong>deren Ende eines Kontinuums<br />
best<strong>an</strong>dsorientierte Gründungsunternehmen zu sehen, deren Entwicklung im<br />
Zeitablauf zum marginalen Überleben als Kleinunternehmen führt. Als wachstumsorientiert<br />
wurden Gründungsunternehmen mit einem jährlichen Umsatz- oder Mitarbeiterwachstum<br />
von größer als 50% in den letzten drei Jahren eingeschätzt.<br />
Einen Schwerpunkt der Untersuchung bildete der Prozess der Gründung, der<br />
sowohl alle vorbereitenden und pl<strong>an</strong>enden Aktivitäten als auch die ersten Entwicklungsschritte<br />
nach dem juristisch vollzogenen Gründungsakt (Eintrag ins H<strong>an</strong>delsregister<br />
oder Gewerbe<strong>an</strong>meldung) umfasst. Dabei können drei Phasen unterschieden<br />
werden: die Vorgründungsphase (Zeitpunkt vor der juristischen Gründung), die Realisierungsphase<br />
(Aufnahme des Geschätsbetriebes) und die Wachstumsphase (Gewinnerzielung<br />
und Exp<strong>an</strong>sion der Geschäftsaktivitäten).<br />
4. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse<br />
Im Rahmen der Untersuchung konnte ein stark signifik<strong>an</strong>ter Einfluss der Strategie<br />
(Best<strong>an</strong>ds- vs. Wachstumsorientierung) sowie der Phase der Unternehmensgründung<br />
auf die Anforderungen <strong>an</strong> die M<strong>an</strong>agementkompetenzen der Gründer festgestellt<br />
werden. Das Marktumfeld und die Unternehmensstruktur (Eigentümerstruktur,<br />
Anzahl der Gründer etc.) spielten nur eine geringe Rolle.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 433<br />
In wachstumsorientierten Gründungsunternehmen erscheint aufgrund des exp<strong>an</strong>siven<br />
Wachstums ein schneller Aufbau von professionellen M<strong>an</strong>agementstrukturen<br />
notwendig. Gründer müssen sich von umsetzungsorientierten „Machern“ zu führungsorientierten<br />
„Org<strong>an</strong>isatoren“ entwickeln. Während zu Beginn einer Unternehmensgründung<br />
zunächst Umsetzungs- und Innovationskompetenzen in Form von Innovations-<br />
und Risikobereitschaft, Durchhaltevermögen, Kreativität sowie Begeisterungs-<br />
und Kontaktfähigkeit gefragt sind, um Produkt- und Verfahrensinnovationen<br />
zu realisieren, werden im Laufe der Unternehmensentwicklung zunehmend Führungs-,<br />
Fach- und Methodenkompetenzen wichtiger.<br />
In der Untersuchung wurde auch deutlich, dass nicht alle Kompetenzen bei jedem<br />
einzelnen Gründer liegen müssen. Defizite hinsichtlich fachlicher und systemorientierter<br />
Kompetenzen können als Teamkompetenzen durch komplementäre Fähigkeiten<br />
weiterer (Mit-)Gründer oder externer Personen ausgeglichen werden. Dagegen<br />
stellen führungs- und umsetzungsorientierte Kompetenzen Einzelkompetenzen<br />
dar, die als Grundlage für die Vernetzung der Teamkompetenzen bei jedem Gründer<br />
vorh<strong>an</strong>den sein sollten, um eine Unternehmensgründung erfolgreich realisieren zu<br />
können.<br />
Neben der Frage, welche Kompetenzen in der Gründungsphase vorh<strong>an</strong>den sein<br />
müssen, interessieren auch die Möglichkeiten bzw. Maßnahmen, mit denen fehlende<br />
oder ungenügend vorh<strong>an</strong>dene M<strong>an</strong>agementkompetenzen entwickelt werden können.<br />
Diese variieren sowohl nach Art der fehlenden Kompetenzen als auch in Bezug auf<br />
die jeweilige Gründungsphase. Während in frühen Gründungsphasen aufgrund der<br />
geringen (fin<strong>an</strong>ziellen) Ressourcenausstattung insbesondere Maßnahmen der Kompetenzförderung<br />
(Weiterbildung, Beratung und Coaching) sowie Maßnahmen der Integration<br />
interner M<strong>an</strong>ager (Teamerweiterung und Einbindung von Kapitalgebern) Anwendung<br />
finden, kommt im Laufe der Unternehmensentwicklung zunehmend der<br />
Anstellung von externen M<strong>an</strong>agern eine höhere Bedeutung zu. Phasenunabhängig<br />
stellt zudem das Outsourcing von betrieblichen Funktionen (Aufgabenerfüllung durch<br />
rechtlich selbständige Org<strong>an</strong>isationen wie z.B. Steuerberater) eine geeignete Maßnahme<br />
zur Generierung von Kompetenzen dar.<br />
Nach der Ermittlung der Anforderungen <strong>an</strong> die M<strong>an</strong>agementkompetenzen von<br />
Gründern erscheint im Weiteren interess<strong>an</strong>t, inwieweit erfolgreiche Gründer bzw.<br />
Gründerteams in der Praxis tatsächlich auch über diese Kompetenzen verfügen. Dazu<br />
könnten die explorativ ermittelten Anforderungen im Rahmen einer Feldstudie in erfolgreichen<br />
Gründungsunternehmen weiter verifiziert werden. Zudem eröffnet sich<br />
die Frage, wie eine erfolgversprechende Kompetenzverteilung in Gründerteams aussehen<br />
könnte.
434 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Ulrike Kastler<br />
Einflüsse auf Bildungseinstellung und Bildungsverhalten in<br />
der Erwachsenenbildung, unter besonderer Berücksichtigung<br />
des sozialen Kontextes *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Werner Fröhlich, Donau-Universität Krems<br />
1. Fragestellung, Problemhinführung<br />
„Weiterbildung“ ist in ihrer Bedeutung mittlerweile unumstritten. Sie vermittelt<br />
das Rüstzeug, um in einer dynamischen, von Globalisierung und immer rascheren Innovationszyklen<br />
geprägten Welt zu bestehen. Lebensl<strong>an</strong>ges Lernen hat sich daher als<br />
ein unverzichtbares Mittel für die Konkurrenzfähigkeit am Arbeitsmarkt oder – <strong>an</strong>ders<br />
ausgedrückt – dafür, den Mitbewerbern immer eine Nasenlänge voraus zu sein,<br />
erwiesen.<br />
Bei allem (hypothetischen) Wissen um die Wichtigkeit von Fortbildung drängt<br />
sich aber eine Frage auf: Welches subjektive Weiterbildungsverhalten prägt jene Person,<br />
die diese tatsächlich für sich realisiert? Weit unklarer als die Tatsache, dass<br />
Schulungsmaßnahmen ergriffen werden (müssen), ist nämlich, warum diese im Einzelfall<br />
tatsächlich ergriffen werden, welche Sorgen, Befürchtungen, aber auch Erwartungen<br />
und Hoffnungen diesen vor<strong>an</strong>gehen. Und nicht minder sp<strong>an</strong>nend ist die Frage,<br />
wie der eingeschlagene Bildungsweg letztlich durch den Teilnehmer verarbeitet wird.<br />
(Bestehen Hürden wie Prüfungs<strong>an</strong>gst, Lernschwächen? Inwiefern motiviert das Lernumfeld<br />
den individuellen Bildungsfortg<strong>an</strong>g?)<br />
In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g gilt es auf ein M<strong>an</strong>ko in der existierenden Weiterbildungsliteratur<br />
hinzuweisen: Kaum ein empirischer Forschungsbeitrag beschäftigt sich<br />
mit sozialen Interaktionen (Berufsumfeld, Familie), die aber zweifellos – wie sich in<br />
der Weiterbildungsarbeit immer wieder bestätigte – in wechselseitigem Verhältnis<br />
zum Weiterbildungsbesuch stehen. Insbesondere die Familie versteht sich als ein<br />
Bindeglied zwischen dem Leben des Einzelnen und den Einwirkungen durch die<br />
Umwelt, bildlich gesprochen verkörpert sie eine „Bühne“, auf der sich übergreifende<br />
Prozesse und Ereignisse abspielen.<br />
Die zugrunde liegende Arbeit bemühte sich nun um eine lebensnahe Schilderung<br />
des individuellen Bildungsverhaltens und darüber hinaus um eine ebenso wirklichkeitsgetreue<br />
Abbildung der Rolle des sozialen Kontextes. Insbesondere der Konnex<br />
*<br />
Die Dissertation wird als überarbeitete Fassung unter dem Titel „Weiterbildung im sozialen<br />
Kontext. Eine empirische Studie zu fortbildungsbedingten Implikationen innerhalb der Familie“<br />
in der Edition Donau-Universität Krems als B<strong>an</strong>d Nr. 4 der Reihe “Studies in Lifelong<br />
Learning“ im Frühjahr 2004 erscheinen.<br />
Kontaktaufnahme mit der Autorin unter ulrike.kastler@donau-uni.ac.at.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 435<br />
der beiden Themengebiete Weiterbildung und Familie konnte durch umf<strong>an</strong>greiche<br />
qualitative Studien gut herausgearbeitet werden.<br />
2. Theoretische Basis<br />
Der Bildungsweg wurde als psychosozialer Prozess – quasi von Entscheidungsphase<br />
bis zu abschließendem Kursrückblick – in den Rahmen motivations- und volitionstheoretischer<br />
Erkenntnisse eingeflochten. Als wissenschaftliches Fundament<br />
diente das Konzept der „Kritischen Lebensereignisse“, dessen Kernaussage sich wie<br />
folgt formulieren lässt: Wird in den kognitiven Strukturen des Betroffenen eine Disharmonie<br />
verursacht, zeichnet ein kritisches Moment dafür ver<strong>an</strong>twortlich. Im Weiterbildungskontext<br />
bestünde eine „kritische“ Wirkung beispielsweise in einer Inkonsistenz<br />
von intrapersonal gewollter und (beruflich oder gesellschaftlich) erwünschter<br />
Bildungsbetätigung. Die Konsequenz dieser Disson<strong>an</strong>z ist eine so gen<strong>an</strong>nte „Sp<strong>an</strong>nung“,<br />
ein erhöhter Stresszust<strong>an</strong>d, der unter Mitwirkung externer Unterstützung (z.B.<br />
durch die Familie) wieder zu reduzieren versucht wird.<br />
Ursprünglich aus der Medizin entst<strong>an</strong>den, hat dieses Modell mittlerweile große<br />
Verbreitung in der Anwendung auf psychologisch-soziologische Lebenssituationen<br />
gefunden. Es ist daher auch für die Erklärung des Weiterbildungskontextes im familiären<br />
Umfeld besonders gut geeignet: Die Familie versteht sich einerseits als Träger<br />
eines konfliktbehafteten Ereignisses, <strong>an</strong>dererseits wirkt sie in ihrer Reaktion unterstützend<br />
auf den Partner ein.<br />
3. Untersuchungsdesign<br />
Aufgrund der eing<strong>an</strong>gs formulierten Fragestellung ist eine Methodentri<strong>an</strong>gulation<br />
naheliegend. Die durchleuchteten Kriterien beinhalten nur zum Teil qu<strong>an</strong>tifizierbare<br />
Tatbestände (z.B. im Bereich „Familie“) oder entziehen sich aufgrund fehlender<br />
Skaleneigenschaften einer Auswertung mittels Inferenzstatistik. Es wurde daher neben<br />
qu<strong>an</strong>titativen auf qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung zurückgegriffen,<br />
die in Teilbereichen eine bessere Abbildung des Forschungsgegenst<strong>an</strong>des<br />
erlauben. Es ergibt sich somit eine Kombination von qu<strong>an</strong>titativen und qualitativen<br />
Verfahren mit dem Bestreben, zu einer Theorieentwicklung und Hypothesengenerierung<br />
zu gel<strong>an</strong>gen. Zur Datengewinnung kamen im Wesentlichen zwei Instrumente<br />
(Fragebogen, qualitatives Interview) zur Anwendung, wobei eine roulierende Modifikation<br />
im Hinblick auf entstehende, bis dato noch nicht erfasste Forschungsfragen<br />
sinnvoll erschien. Die Datenauswertung erfolgte zum einen computergestützt (Fragebogenerhebung),<br />
zum <strong>an</strong>deren mittels qualitativer Inhalts<strong>an</strong>alyse nach Mayring.<br />
Als Prob<strong>an</strong>den wurden ausschließlich Studierende der Donau-Universität Krems<br />
her<strong>an</strong>gezogen. Der enge Kontakt zu den Studierenden erwies sich vor allem in der Interviewsituation<br />
als unersetzliche Hilfestellung. Durch das persönliche Verhältnis<br />
konnte der äußerst sensible Bereich „Familie“ nicht nur behutsam aufgerollt, sondern<br />
d<strong>an</strong>k der bereitwilligen Auskünfte auch mit reichhaltigem Datenmaterial unterlegt<br />
werden.
436 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
4. Ergebnisse<br />
Themenkreis „Intrapersonale Bildungsbewältigung“<br />
Aus Sicht der Bildungsk<strong>an</strong>didaten war zunächst zwischen sp<strong>an</strong>nungsbedingten<br />
und sp<strong>an</strong>nungsunabhängigen Konsequenzen zu unterscheiden.<br />
Die Analyse der erhobenen Daten ließ erkennen, dass der überwiegende Teil der<br />
Befragten keiner oder nur äußerst mäßiger Sp<strong>an</strong>nung unterlag. Anders ausgedrückt:<br />
Nur eine kleine Minderheit sah sich mit einem erhöhten Stresszust<strong>an</strong>d konfrontiert,<br />
der eindeutig dem Ereignis „Weiterbildung“ bzw. den in Frage gestellten kognitiven<br />
Denkstrukturen zuzurechnen war. Für 8 von 10 Prob<strong>an</strong>den war „Weiterbildung“ offenbar<br />
im Weltbild integriert; der befürchtete „Bildungsschock“ blieb aus. Sofern a-<br />
ber Sp<strong>an</strong>nung konstatiert wurde, zeichnete nicht nur die Fortbildung per se, sondern<br />
der unternehmerische Entscheidungsprozess (= „Befehl“ von oben, die Weiterbildung<br />
besuchen zu müssen) dafür ver<strong>an</strong>twortlich. Somit ließen sich zwei kritische Ereignisse<br />
identifizieren: Weiterbildung auf der einen, der Unternehmensbeschluss auf der<br />
<strong>an</strong>deren Seite. Es zeigte sich weiters, dass Letzterer in höherem Maße eine diagnostizierte<br />
Inkonsistenz verursachte.<br />
Sp<strong>an</strong>nungsunabhängige, negative Faktoren traten in Form von Prüfungsstress<br />
und unzureichendem Lernverhalten in Erscheinung. Als wesentliche Pluspunkte<br />
konnten hingegen die Aspekte „Selbstbestätigung“ sowie „beruflich-materielle Hoffnungen“<br />
(Karriere, Einkommen) identifiziert werden.<br />
Themenkreis „Familie“<br />
Wie erwartet, wurden individuelle, weiterbildungsbedingte Befindlichkeiten auf<br />
der Seite der Studierenden zu allererst am familiären Schauplatz ausgetragen. Dies<br />
betraf sowohl sp<strong>an</strong>nungsabhängige als auch -unabhängige Effekte. Geortet wurden<br />
innerfamiliäre Auswirkungen auf mehreren Ebenen:<br />
zeitlich (oftmalige Abwesenheit, Zeitaufw<strong>an</strong>d für Lernen vermindert Familienzeit)<br />
emotional (negativ – Gereiztheit, Überlastung des Partners durch Erziehungsaufgaben;<br />
positiv – Kommunikation, Alternativinteressen gesteigerte Beziehungsintensität)<br />
materiell (Hoffnung auf zukünftige Steigerung des Familieneinkommens)<br />
intellektuell (Bereicherung der Kommunikation um Fachthemen)<br />
Während der größte Malus in der Partnerschaft dem knappen Zeitbudget zufiel,<br />
betraf das positive Pend<strong>an</strong>t die emotionale Dimension. Diese ging – genauso überraschend<br />
wie eindeutig – als „overall winner“ des Weiterbildungsbesuches hervor.<br />
Zwar wurden mehrere Faktoren identifiziert, die die partnerschaftliche Stimmung positiv<br />
beeinflussten, am häufigsten gen<strong>an</strong>nt wurden jedoch die Stichworte „Kommunikation“<br />
und „Alternative Interessen“: Durch die Erlebnisse im Kurs (egal ob fachlicher<br />
oder <strong>an</strong>ekdotischer Natur) gab es in der – von Alltagsgesprächen dominierten –<br />
Partnerschaft wieder Neues zu berichten, was von beiden Beteiligten als überaus er-
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 437<br />
frischend empfunden wurde. Viel gewichtiger erwies sich jedoch noch der Einfluss<br />
der „alternativen Interessen“ als Sammelbegriff für die Möglichkeit des Partners,<br />
sich frei und ohne schlechtes Gewissen den eigenen Interessen zu widmen. Insbesondere<br />
Frauen neigen dazu, ihre Aktivitäten ausschließlich auf Kind und Ehem<strong>an</strong>n auszurichten.<br />
Ein (zw<strong>an</strong>gsweise auferlegter) Freiraum – bedingt durch die Abwesenheit<br />
des Partners – eröffnete ihnen nun die Ch<strong>an</strong>ce, längst vergessene Hobbys wieder aufleben<br />
zu lassen, befreit dem Shopping nachzugehen oder einfach nur Müßigg<strong>an</strong>g zu<br />
betreiben. G<strong>an</strong>z augenscheinlich förderte der Weiterbildungsbesuch also in doppelter<br />
Weise die persönliche Entfaltung: Zum einen in Bezug auf den Studierenden (vgl.<br />
oben), zum <strong>an</strong>deren hinsichtlich des zu Hause verweilenden Partners. Diese beidseitige<br />
„Orientierung am Ich“ entpuppte sich als Balsam für die eigene Seele und wirkte<br />
in weiterer Folge auch befruchtend für die Zweisamkeit.<br />
Obwohl im Verhältnis zum Kind insgesamt weniger starke Effekte nachgewiesen<br />
werden konnten, gilt es die reziproke Wirkung der Weiterbildung hervorzuheben.<br />
Während vom Kind – allein durch seine Präsenz – eine ungeheure Kraftquelle auszugehen<br />
schien, die dem Vater/der Mutter die <strong>an</strong>strengende Lehrg<strong>an</strong>gssituation erleichterte,<br />
bewirkte der studierende Elternteil umgekehrt einen Einstellungstr<strong>an</strong>sfer. „Weiterbildung<br />
ist wichtig und gehört zum Leben dazu“ lautete die Botschaft, die dem<br />
Nachwuchs implizit mitgegeben wurde. Von negativen Auswirkungen des Studiums<br />
auf das Kind, wie sie in der partnerschaftlichen Beziehung zu vernehmen waren,<br />
wurde hingegen nur vereinzelt berichtet. Vielmehr wurde g<strong>an</strong>z bewusst versucht,<br />
Sohn und Tochter nicht in Mitleidenschaft zu ziehen.<br />
Fazit: Der Partner musste oftmals als „Blitzableiter“ während des Weiterbildungsbesuches<br />
fungieren, konnte allerdings auch den größeren Nutzen für sich und<br />
die Partnerschaft verzeichnen. Im Vergleich dazu wurde nur eine bescheidene – jedoch<br />
fast immer positive – Auswirkung auf die Kinder registriert.<br />
Themenkreis „Beruf“<br />
Der Einfluss des Unternehmens war oftmals problematisch: Mitarbeiter wurden,<br />
freilich in bester Absicht (zwecks Qualifikationserwerb), zum Weiterbildungsbesuch<br />
ents<strong>an</strong>dt; die Art und Weise, wie die Auswahl der geeigneten K<strong>an</strong>didaten erfolgte,<br />
erwies sich jedoch mehrfach als misslungen. Nicht wenige der „geförderten“ Mitarbeiter<br />
waren mit dem Prozedere der Unternehmensentscheidung nicht einverst<strong>an</strong>den<br />
und daher von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> sp<strong>an</strong>nungsbehaftet. Es konnte eindeutig belegt werden, dass<br />
diese Sp<strong>an</strong>nung wiederum – besonders in den Bereichen „Familie“ und „Intrapersonale<br />
Lehrg<strong>an</strong>gsbewältigung“ – die Abfolge der o.a. belastenden Ereignisse zu ver<strong>an</strong>tworten<br />
hatte.<br />
Heikel war die berufliche Situation auch während der Weiterbildungsteilnahme.<br />
So konnte dokumentiert werden, dass<br />
die Zeitknappheit im Beruf,<br />
der Erfolgsdruck, dem die studierenden Mitarbeiter ausgesetzt sind, und
438 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Beschwerden der Kollegen im Unternehmen (aufgrund der Mehrbelastung, die<br />
ihnen durch die Abwesenheit des Studierenden zufiel)<br />
die Hauptschuld <strong>an</strong> einem diagnostizierten Belastungszust<strong>an</strong>d tragen.<br />
5. Resümee<br />
Als Quintessenz der Arbeit ist die Verzahnung von Weiterbildung und Familie<br />
zu unterstreichen: Weiterbildung hinterlässt durchwegs eine positive Bil<strong>an</strong>z, sowohl<br />
was das Verhältnis zum Partner als auch das zum Kind <strong>an</strong>bel<strong>an</strong>gt. Ich betrachte es als<br />
ein wichtiges Ergebnis der vorliegenden Arbeit, diesen Effekt empirisch nachgewiesen<br />
zu haben. Vielleicht wurde damit ein Beitrag geleistet, um diesbezügliche Sorgen<br />
der Studierenden (und deren Familien) zu zerstreuen und sich etwas befreiter auf das<br />
Weiterbildungsvorhaben einzulassen. Denn dieses versteht sich offenbar nicht nur als<br />
Antrieb für den beruflichen Fortg<strong>an</strong>g, sondern ebenso als Gelegenheit, neuen<br />
Schwung in das Privatleben zu bringen.<br />
Cornelia Martin<br />
Interkulturelle Kompetenzen und deren Vermittelbarkeit<br />
durch Repatriates *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Dres. h.c. Eduard Gaugler, Universität<br />
M<strong>an</strong>nheim<br />
1. Fragestellung der Untersuchung<br />
In Unternehmen mit einem hohen Anteil <strong>an</strong> internationalen Aktivitäten und daraus<br />
bedingten Ausl<strong>an</strong>dsentsendungen besteht ein Bedarf <strong>an</strong> Vorbereitungsmaßnahmen<br />
im Vorfeld einer Entsendung. Im Kern zielen diese Bemühungen auf die Vermittlung<br />
von interkulturellen Kompetenzen zur Erleichterung der Interaktion mit<br />
fremdkulturell geprägten Geschäftspartnern ab, um eine erfolgreiche Ausl<strong>an</strong>dstätigkeit<br />
bei dem für die Ausl<strong>an</strong>dentsendung vorgesehenen Mitarbeiter bestmöglich zu unterstützen.<br />
Gleichzeitig besteht durch zurückgekehrte Ausl<strong>an</strong>dsents<strong>an</strong>dte eine unternehmensinterne<br />
Hum<strong>an</strong>ressource bei der bedingt durch ihren Ausl<strong>an</strong>dsaufenthalt und<br />
ihre Bewährung im fremdkulturellen Umfeld die Grund<strong>an</strong>nahme des Erwerbs interkultureller<br />
Kompetenzen vorliegt.<br />
*<br />
Cornelia Martin: Interkulturelle Kompetenzen und deren Vermittelbarkeit durch Repatriates.<br />
Profession. Wissenschaftsedition im <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, Folge 33, ISBN 3-87988-568-0,<br />
<strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, München und Mering 2001, 280 S., € 29,65.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 439<br />
Der Ausg<strong>an</strong>gspunkt der Untersuchung besteht darin, die beiden Aspekte internationalen<br />
Personalm<strong>an</strong>agements – Nachfrage und Angebot <strong>an</strong> interkulturellen Kompetenzen<br />
– zusammenzubringen und zu untersuchen, ob und inwieweit reintegrierte<br />
Führungskräfte als Ressource zur Bedarfsdeckung dieser spezifischen Qualifizierungs<strong>an</strong>forderungen<br />
einsetzbar sind. Im Mittelpunkt steht damit die Erörterung der<br />
Eignung von Repatriates zur Vermittlung interkultureller Kompetenzen..<br />
Zur Absicherung dieser Fragestellung wurde in einer hinführenden Befragung<br />
international agierender Unternehmen erk<strong>an</strong>nt, dass der Themenaspekt des Repatriates<br />
als Trainer derzeit kaum Einsatz findet und ein Untersuchungsdefizit vorliegt.<br />
2. Vorgehen<br />
Als theoretische Basis für die praxisorientierte Untersuchung dient die Erörterung<br />
des Qualifikationsbegriffs „interkulturelle Kompetenzen“ im Unternehmenskontext,<br />
fundierend auf dem Kulturbegriff und den Ergebnissen der kulturvergleichenden<br />
M<strong>an</strong>agementforschung. Eine Differenzierung in kulturübergreifende, länderkulturspezifische<br />
und tätigkeitsabhängige Qualifikationselemente als Einzelcluster des<br />
komplexen Qualifikationskonstrukts ermöglicht durch die Her<strong>an</strong>ziehung der didaktischen<br />
Dimensionen eine Bewertung der einzelnen Qualifikationsbest<strong>an</strong>dteile. Die<br />
hinsichtlich ihrer Vermittelbarkeit bewerteten Einzelaspekte der interkulturellen<br />
Kompetenzen sowie ein entwickeltes generelles Anforderungsprofils für Trainer in<br />
Vorbereitungsmaßnahmen für Ausl<strong>an</strong>dsentsendungen bilden das konzeptionelle<br />
Grundgerüst für die Untersuchung der Verwertbarkeit von Repatriates zur Vorbereitung<br />
von Mitarbeitern auf Ausl<strong>an</strong>dseinsätze. Dabei wird diskutiert, inwieweit Repatriates<br />
den formalen Anforderungen der betrieblichen Vermittlungspraxis genügen<br />
und welche Erfordernisse <strong>an</strong> die Vermittlungssituation bestehen, damit eine Einsatzeignung<br />
des Repatriates zu erwarten ist. Der zentrale Diskussionspunkt der inhaltlichen<br />
Eignungsuntersuchung orientiert sich dabei <strong>an</strong> der Fragestellung, inwieweit verschiedene<br />
Typen von Repatriates während ihrer vorgelagerten Entsendung interkulturelle<br />
Kompetenzen erwerben konnten. Interkulturelles Lernen während des Ausl<strong>an</strong>dseinsatzes<br />
wird dabei über das Beziehungsgeflecht der exogenen und endogenen<br />
Determin<strong>an</strong>ten der Person des Repatriates, des Unternehmens sowie der Gastl<strong>an</strong>dskultur<br />
untersucht.<br />
Durch die Untersuchung von Qualifizierungsmethoden zur Vermittlung interkultureller<br />
Kompetenzen, die sich hinsichtlich ihrer didaktischen Zugehörigkeit bzw. ihrer<br />
inhaltlichen Ausrichtung und deren Gestaltungsbedingungen unterscheiden, werden<br />
jeweils Einsatzmöglichkeiten der Repatriates in den Phasen der Vorbereitung und<br />
Durchführung der Qualifizierungsmaßnahmen herausgearbeitet und bewertet. Hierbei<br />
sind Zielsetzung und Inhalte sowie Zielgruppe der interkulturellen Vorbereitungsmaßnahmen<br />
maßgeblich zur Entscheidung der Einsatzbefähigung des Repatriates,<br />
wobei unterschiedliche Anforderungen geprüft werden, die durch die Ausgestaltungsmöglichkeiten<br />
des Trainings und die vorgesehene Rolle des Repatriates entstehen.
440 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Gestützt und <strong>an</strong> der praxisrelev<strong>an</strong>ten Realität gemessen wird das theoretische<br />
Konstrukt durch eine explorative Studie mit 41 Prob<strong>an</strong>den aus dem Segment großer,<br />
international tätiger Unternehmen in Deutschl<strong>an</strong>d.<br />
3. Ergebnisse<br />
Der vielgestaltige und amorphe Begriff der interkulturellen Kompetenzen erfährt<br />
eine Konkretisierung und Systematisierung, welche einen Bezugsrahmen für weiterführende<br />
Fragestellungen generiert. Weiterhin werden relev<strong>an</strong>te Parameter herausgearbeitet,<br />
die Einfluss nehmen auf den Erwerb und Ausbildung interkultureller Kompetenzen.<br />
Auf Grundlage des entwickelten Modells interkultureller Kompetenzen werden<br />
Empfehlungen zur Strukturierung von Methoden interkulturellen Trainings entwickelt.<br />
Weiterhin liefert das Modell einen Orientierungsrahmen für die Durchführung<br />
interkultureller Trainingsmaßnahmen, bei welchem Repatriates zum Einsatz gel<strong>an</strong>gen.<br />
Das entwickelte Modell k<strong>an</strong>n dazu dienen, Entscheidungssituationen zur Auswahl<br />
von Repatriates sowie zur Beurteilung deren spezifischer Eignung und Einsatzmöglichkeiten<br />
im didaktischen Vermittlungsprozess interkultureller Kompetenzen zu<br />
strukturieren.<br />
Birgit Renzl<br />
Wissensbasierte Interaktion – Selbst-evolvierende Wissensströme<br />
in Unternehmen *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dipl.-Ing. Dr. H<strong>an</strong>s H. Hinterhuber<br />
1. Problemstellung und theoretischer Hintergrund<br />
Die Errungenschaften der Informations- und Kommunikationstechnologie ebneten<br />
den Weg für die Wissensgesellschaft und üben einen maßgeblichen Einfluss auf<br />
die Unternehmensumwelt aus. Die Technik bietet die Möglichkeit, Grenzen in Bezug<br />
auf Raum, Zeit und Geschwindigkeit zu überwinden. Eine immer größer werdende<br />
Menge von Daten und Informationen k<strong>an</strong>n in immer kürzen Zeitabständen verarbeitet<br />
werden. Die menschliche Informationsverarbeitungskapazität ist beschränkt. Es gilt,<br />
aus der Flut <strong>an</strong> Informationen, die tagtäglich auf ein Unternehmen hereinstürzt, das<br />
Relev<strong>an</strong>te herauszufiltern, dieses zu verarbeiten, in die Produkte und Leistungen einfließen<br />
zu lassen und neues Wissen zu kreieren.<br />
*<br />
Renzl, Birgit: Wissensbasierte Interaktion – Selbst-evolvierende Wissensströme in Unternehmen,<br />
erschienen in der Reihe Strategisches Kompetenzm<strong>an</strong>agement, DUV, Wiesbaden<br />
2003, 263 S., € 49,90.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 441<br />
Wissen stellt eine Quelle von Wettbewerbvorteilen für Unternehmen dar, insbesondere<br />
aus ressourcenorientierter Perspektive, die sich in der Diskussion der strategischen<br />
Unternehmensführung etabliert hat. Innerhalb des ressourcenorientierten Ansatzes<br />
ist die Perform<strong>an</strong>ce eines Unternehmens nicht primär abhängig vom Marktverhalten<br />
und der Marktstruktur, sondern von den unternehmenseigenen, besonderen<br />
Leistungspotenzialen.<br />
Im Vordergrund stehen daher Aufbau und Kultivierung der Ressourcen einer<br />
Org<strong>an</strong>isation. Dabei nimmt die Ressource Wissen eine Sonderstellung ein und bildet<br />
die Grundlage für eine wissensorientierte Perspektive. Demzufolge vermögen Unternehmen<br />
durch einzigartige Fähigkeiten und Fertigkeiten Wettbewerbsvorteile gegenüber<br />
den Mitbewerbern zu generieren. Unternehmensindividuelle Kompetenzen basieren<br />
auf Wissen, das in der Org<strong>an</strong>isation zirkuliert. Aufgabe der Org<strong>an</strong>isation ist es,<br />
Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen optimalen Wissensfluss innerhalb des<br />
Unternehmens ermöglichen und fördern.<br />
Im Umg<strong>an</strong>g mit der Ressource Wissen sind dessen spezifische Charakteristika<br />
zu berücksichtigen. Wissen umfasst zwei komplementäre Dimensionen, einen expliziten<br />
und einen impliziten Anteil. Explizites Wissen ist formalisier- und artikulierbar,<br />
stellt jedoch nur die Spitze des Eisberges des gesamten Wissensvolumens dar. Implizites<br />
Wissen wird oftmals über persönliche Erfahrungen erl<strong>an</strong>gt, ist häufig unbewusst<br />
und stellt das Fundament, die Wissensbasis dar. Durch die Interaktion zwischen implizitem<br />
und explizitem Wissen mehrer Individuen bzw. Gruppen von Personen entsteht<br />
neues Wissen. Eine weitere Unterscheidung ist jene in individuelles und kollektives<br />
Wissen. Wettbewerbsvorteile entstehen durch die Org<strong>an</strong>isation des kollektiven<br />
Wissens. Kollektives Wissen ist eine Mischung aus explizitem und verborgenem<br />
Wissen, es ist in ein Netz von Beziehungen so eingebettet, dass m<strong>an</strong> es nicht in Einzelteile<br />
zerlegen und als solche imitieren oder erwerben k<strong>an</strong>n. Die Übermittlung von<br />
Wissen im Unternehmen wird durch diese Kontextgebundenheit erschwert. Diesem<br />
Umst<strong>an</strong>d wird in der Literatur nicht ausreichend Rechnung getragen. Die erste zentrale<br />
Forschungsfrage lautet daher:<br />
„Wie k<strong>an</strong>n Wissen vor allem dessen implizite Dimension innerhalb der Org<strong>an</strong>isation<br />
tr<strong>an</strong>sformiert, i.e. ausgetauscht und weiterentwickelt werden?“<br />
Wissen wird nicht als objektiv gegebener Inputfaktor verst<strong>an</strong>den, sondern wird<br />
in den Prozessen der Interaktion konstruiert. Wissen entsteht durch das Zusammenspiel<br />
zwischen den beteiligten Personen. Dieses Zusammenspiel ist abhängig vom<br />
zugrunde liegenden Kommunikationsprozess, wie sich die Individuen unterein<strong>an</strong>der<br />
verständigen und ihre Ideen erklären können, wie sie Informationen selektieren und<br />
interpretieren. Bereits vorh<strong>an</strong>denes Wissen wird in den Prozessen der Interaktion<br />
zwischen den Org<strong>an</strong>isationsmitgliedern ausgetauscht und weiterentwickelt, sodass<br />
Wissen tr<strong>an</strong>sformiert wird und neues Wissen entsteht. Es besteht allerdings Unklarheit<br />
über den Ablauf der zugrunde liegenden Prozesse. Daraus ergibt sich die zweite<br />
Forschungsfrage:<br />
„Welche Faktoren beeinflussen die Prozesse der wissensbasierten Interaktion?“
442 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
In den Interaktionsprozessen h<strong>an</strong>deln die Individuen gemäß ihrer kognitiven<br />
Konstrukte oder mentalen Modelle. Diese Denk- und Verhaltensmuster, die Selektion<br />
und Interpretation von Informationen beeinflussen und h<strong>an</strong>dlungsleitend wirken, sind<br />
zumeist unbewusst und dennoch von entscheidendem Einfluss auf die Wissenstr<strong>an</strong>sformation.<br />
Faktoren, die menschliches Verhalten beeinflussen, rücken dabei ins Zentrum<br />
des Interesses. Entscheidend für die Tr<strong>an</strong>sformation von implizitem Wissen sind<br />
Intuition, Fingerspitzengefühl und emotionale Befähigung – typisch menschliche Eigenschaften<br />
bei denen die technischen Errungenschaften <strong>an</strong> ihre Grenzen stoßen.<br />
Diese Prozesse finden in der Literatur zur Wissensorg<strong>an</strong>isation jedoch kaum Berücksichtigung.<br />
Die dritte zentrale Forschungsfrage heißt daher:<br />
„Wie können die Prozesse der wissensbasierten Interaktion beeinflusst werden,<br />
um die Entwicklung von selbst-evolvierenden Wissensströmen im Unternehmen zu<br />
ermöglichen?“<br />
2. Aufbau der Arbeit und empirische Vorgehensweise<br />
Wissen in Org<strong>an</strong>isationen wird in der vorliegenden Arbeit auf der Grundlage einer<br />
konstruktivistischen Definition des Wissensbegriffs bearbeitet. Dies stellt für das<br />
M<strong>an</strong>agement von Wissen eine neue Herausforderung dar. Es gilt, etwas Unbek<strong>an</strong>ntes,<br />
nicht Greifbares zu org<strong>an</strong>isieren, zu steuern und zielgerichtet zu lenken. Dabei steht<br />
der wichtigste Einflussfaktor, das Individuum und sein Verhalten bei der Wissenstr<strong>an</strong>sformation,<br />
im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Die Prozesse der wissensbasierten<br />
Interaktion stellen die zentrale Analyseebene dieser Arbeit dar. Im Vordergrund<br />
stehen Art und Ablauf der Interaktionsprozesse, die von den mentalen Modellen<br />
und kognitiven Konstrukten der h<strong>an</strong>delnden Akteure beeinflusst werden.<br />
Ausg<strong>an</strong>gspunkt dieser Arbeit ist der ressourcenorientierte Ansatz und die besondere<br />
Rolle der int<strong>an</strong>giblen Ressourcen. Es wird auf die besonderen Charakteristika<br />
von Wissen und die daraus abgeleiteten Anforderungen für Wissen in Org<strong>an</strong>isationen<br />
hingewiesen. Die Bedeutung der impliziten Wissensdimension wird dargelegt und<br />
gezeigt, dass Wissen immer aus den beiden komplementären Anteilen des expliziten<br />
und impliziten Wissens besteht, und wie diese beiden Dimensionen zusammenwirken.<br />
Wissen stellt sich als ein Prozess dar, indem bewusst oder unbewusst unterschiedliche<br />
Aspekte des Wissens zu einem kohärenten G<strong>an</strong>zen integriert werden. Das<br />
bedeutet, dass Wissen nicht als statisches Objekt erachtet wird, sondern der dynamische<br />
Prozess des Wissens im Vordergrund steht, der immer auf eine konkrete Situation<br />
oder Problemstellung bezogen ist. Wissen ist mit der konkreten Problemstellung<br />
der wissenden Personen verknüpft und wird innerhalb des sozialen Gefüges konstruiert.<br />
Darauf aufbauend werden die Prozesse der Wissenstr<strong>an</strong>sformation, wie Wissen<br />
ausgetauscht und weiterentwickelt wird, näher betrachtet. Dabei zeigt sich, dass die<br />
Prozesse der Interaktion der beteiligten Personen von zentraler Bedeutung für die<br />
Wissenstr<strong>an</strong>sformation sind. Die wissensbasierte Interaktion stellt den Mittelpunkt<br />
der Wissensprozesse dar. Es wird daher die Interaktion thematisiert und auf den Ein-
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 443<br />
fluss der kognitiven Strukturen der beteiligten Personen hingewiesen. Es werden sieben<br />
Thesen formuliert und die damit verbundenen Implikationen für die Org<strong>an</strong>isation<br />
von Wissen in Unternehmen abgeleitet. Die Thesen stellen eine Zusammenfassung<br />
jener kritischen Faktoren dar, die es auf dem Weg zu selbst-evolvierenden Wissensströmen<br />
zu berücksichtigen gilt.<br />
In der empirischen Analyse wird eine konstruktivistische Annäherung <strong>an</strong> die<br />
Thematik gewählt und Fallstudien durchgeführt. Aufbauend auf die Methode des<br />
Cognitive Mapping wird eine Vorgehensweise konzipiert, die durch die Intervention<br />
in die Prozesse der wissensbasierten Interaktion Möglichkeiten der Kultivierung der<br />
Ressource Wissen bietet und selbst-evolvierende Wissensströme in Unternehmen <strong>an</strong>regt.<br />
Claudia Thielm<strong>an</strong>n-Holzmayer<br />
Die interne Bildung von Personalvermögen durch integratives<br />
Personalentwicklungsmarketing: Theoretische Begründung<br />
und konzeptionelle Bedingungen zur Übertragung des<br />
Marketings auf die Personalentwicklung als personalwirtschaftliche<br />
Aufgabe *<br />
Betreuer:<br />
Univ.-Prof. Dr. Dr. Gerhard E. Ortner, FernUniversität<br />
Hagen<br />
1. Problemstellung und Zielsetzung<br />
Der unternehmerische Erfolg hängt entscheidend von der zielgerichteten Nutzung<br />
geeigneter Qualifikationen und Motivationen der Mitarbeiter, ihren individuellen<br />
Personalvermögen, ab. Dem Bilden und Bereitstellen der für den unternehmerischen<br />
Leistungserstellungsprozess benötigten und oftmals knappen Personalvermögen<br />
kommt so im betriebswirtschaftlichen Kontext eine große Bedeutung zu. Hierdurch<br />
lässt sich Personalentwicklung als eine wichtige personalwirtschaftliche Teilaufgabe<br />
zur möglichst optimalen unternehmensinternen Bildung von Personalvermögen<br />
begründen. Dieser wissenschaftlichen Arbeit liegt aufbauend auf diesem Verständnis<br />
ein streng betriebswirtschaftliches Erkenntnisinteresse, bezogen auf das Erfahrungsobjekt<br />
„Personal“, zugrunde. Ein solches unterlag in der Verg<strong>an</strong>genheit vielerlei<br />
Kritik und ist auch bisl<strong>an</strong>g in Theorie und Praxis noch nicht ohne Vorbehalte<br />
*<br />
Claudia Thielm<strong>an</strong>n-Holzmayer: Interne Bildung von Personalvermögen durch integratives<br />
Personalentwicklungsmarketing, ISBN 3-8244-7722-X, Deutscher Universitäts-<strong>Verlag</strong> GmbH<br />
(DUV), Reihe GABLER Edition Wissenschaft, Wiesbaden 2002, € 54,90.
444 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
legitimiert. Dieses hängt auch damit zusammen, dass es l<strong>an</strong>ge Zeit <strong>an</strong> einem operationalen<br />
Ansatz für die Personalwirtschaft im Allgemeinen und die Personalentwicklung<br />
im Besonderen fehlte, der ein Wirtschaften im marktorientierten Verständnis ermöglicht,<br />
nach welchem Unternehmen und Mitarbeiter als Tauschpartner interpretiert und<br />
ihre Tauschgüter eindeutig bestimmt werden können.<br />
Die Autorin unternimmt es daher in ihrer Arbeit, zwei aktuelle Topoi der gegenwärtigen<br />
Personaltheoriediskussion auf ihre Eignung als Theoreme einer Personalwirtschaftslehre<br />
i. e. S. zu überprüfen. Die beiden von ihr hierfür ausgewählten<br />
komplexen Themenbereiche sind „Personalentwicklung“ einerseits sowie „Personalmarketing“<br />
<strong>an</strong>dererseits. Das Ziel besteht darin, auf theoretischer Ebene einen Ansatz<br />
einer operationalen marktorientierten Personalwirtschaft(-slehre) speziell für den<br />
Teilbereich der Personalentwicklung herzuleiten und zu begründen. Dar<strong>an</strong> <strong>an</strong>knüpfend<br />
wird der Frage nachgeg<strong>an</strong>gen, ob Marketing zur unternehmenszielbezogenen,<br />
möglichst optimalen Gestaltung und Steuerung der Bildung benötigter Qualifikationen<br />
und Motivationen von Mitarbeitern beitragen k<strong>an</strong>n. Hierzu werden aus personalwirtschaftlicher<br />
Sicht konzeptionelle Bedingungen für ein integratives Personalentwicklungsmarketing<br />
formuliert.<br />
2. Theoretische Basis<br />
Die Bearbeitung des Themas erfolgt insgesamt im Rahmen einer umf<strong>an</strong>greichen<br />
wissenschaftlichen Literaturarbeit.<br />
Die Arbeit basiert auf dem von Ortner begründeten Personalvermögens-<br />
Konzept, welches das Verfolgen eines streng personalwirtschaftlichen Erkenntnisinteresses<br />
unter Zugrundelegung einer Marktorientierung ermöglicht, losgelöst von<br />
<strong>an</strong>thropologischen, ethischen oder sonstigen Vorbehalten. Es erweist sich daher sowohl<br />
für die personalwirtschaftliche Theorie(-bildung) als auch für die personalwirtschaftliche<br />
Praxis als operational. Die sich <strong>an</strong>schließende Konzeption eines integrativen<br />
Personalentwicklungsmarketing knüpft <strong>an</strong> die Marketing-Konzeption nach Becker<br />
<strong>an</strong> und bezieht ferner Aspekte des Personalmarketing, des (Weiter-)Bildungsmarketing<br />
sowie des internen Marketing mit ein.<br />
3. Inhaltliches Vorgehen<br />
Ausgehend von der grundlegenden Annahme, dass bestimmte individuelle Qualifikationen<br />
und Motivationen der Mitarbeiter ein wichtiges und in bestimmten Wirtschaftsbereichen<br />
zunehmend knapper werdendes Gut bzw. einen zentralen (Produktions-)Faktor<br />
im unternehmerischen Leistungserstellungsprozess zur Erreichung der<br />
jeweilig verfolgten Unternehmensziele darstellen, wird – aufbauend auf dem Personalvermögens-Konzept<br />
– ein streng personalwirtschaftliches Erkenntnisinteresse abgeleitet.<br />
Die personalwirtschaftliche Aufgabe wird als zielgerichtete Bereitstellung<br />
benötigter und knapper Qualifikationen und Motivationen für den unternehmerischen<br />
Leistungserstellungsprozess unter Berücksichtigung des ökonomischen Denkens und<br />
H<strong>an</strong>delns auf Basis marktorientierter Tauschprozesse definiert. Sie wird hierdurch
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 445<br />
von <strong>an</strong>deren, nicht streng ökonomischen Erkenntnisinteressen bezogen auf das Erfahrungsobjekt<br />
„Personal“ bzw. „personale Arbeit im Unternehmen“ abgegrenzt. Der<br />
von Ortner geprägte Begriff „Personalvermögen“ wird dazu ausführlich <strong>an</strong>deren in<br />
Theorie und Praxis gebräuchlichen Begriffen, wie „Hum<strong>an</strong>-/Arbeitskapital“ und<br />
„Hum<strong>an</strong>-/Arbeitsvermögen“, gegenübergestellt und in seiner Relev<strong>an</strong>z für die personalwirtschaftliche<br />
Erkenntnisgewinnung im marktorientierten Verständnis erläutert.<br />
Personalentwicklung wird als eine wichtige personalwirtschaftliche Aufgabe mit<br />
investivem Charakter betrachtet und themenbezogen vor dem Hintergrund des Personalvermögens-Konzeptes<br />
unter Berücksichtigung der Gesamtheitlichkeit erläutert.<br />
Aus diesem Verständnis leitet sich die in dieser Arbeit vorgenommene intensive Beschäftigung<br />
mit der gesamtheitlichen internen Personalvermögensbildung ab, die als<br />
bedarfs- und potentialorientierte, zielgerichtete Erschließung von individuellen Personalentwicklungsvermögen<br />
im Unternehmen unter ausgewogener Berücksichtigung<br />
von Unternehmens- und Mitarbeiterzielen verst<strong>an</strong>den wird.<br />
Im weiteren Verlauf wird der Frage nachgeg<strong>an</strong>gen, ob es plausibel ist, gesamtheitliche<br />
interne Personalvermögensbildung im Sinne von Austauschbeziehungen<br />
zu interpretieren. Es wird dazu ein Marktverständnis hergeleitet, nach welchen<br />
Beziehungen zwischen Unternehmen und Mitarbeitern als Kunden-Liefer<strong>an</strong>ten-<br />
Beziehungen aufgefasst werden können. In diesem marktorientierten Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
werden Problembereiche herausgearbeitet, die Ungleichgewichtszustände im Rahmen<br />
der gesamtheitlichen internen Personalvermögensbildung begründen können. Dar<strong>an</strong><br />
<strong>an</strong>schließend wird <strong>an</strong>alysiert, inwieweit es möglich und personalwirtschaftlich legitimierbar<br />
ist, zur Optimierung dieser personalvermögensbasierten Tauschbeziehungen<br />
Marketing einzusetzen. Nach Darstellung allgemeiner Charakteristika des Marketing<br />
werden das Personalmarketing, das (Weiter-)Bildungsmarketing sowie das interne<br />
Marketing, von denen jeweils ein enger Bezug zur internen Personalvermögensbildung<br />
durch Personalentwicklung <strong>an</strong>genommen wird, hinsichtlich ihrer Ziele aus<br />
personalwirtschaftlichem Erkenntnisinteresse vor dem Hintergrund des Personalvermögens-Konzeptes<br />
<strong>an</strong>alysiert und bewertet. Als ein wichtiges Teilergebnis wird herausgearbeitet,<br />
dass diese Aspekte aufweisen, die durchaus zur Optimierung der internen<br />
Personalvermögensbildung genutzt werden können. Darauf aufbauend wird ein<br />
integratives Personalentwicklungsmarketing-Konzept entwickelt. Es wird gezeigt,<br />
dass es möglich ist, klassische Marketinginstrumente auf die, für ein integratives Personalentwicklungsmarketing<br />
charakteristische Absatz- und Beschaffungsorientierung<br />
zu übertragen und im personalwirtschaftlichen Verständnis zu gestalten. Von der<br />
Ziel- über die Strategieformulierung sowie dem Aufzeigen von Gestaltungsmöglichkeiten<br />
im Bereich des Marketing-Mix bis hin zu einer personalwirtschaftlichen Bewertung<br />
wird eine in sich geschlossene, vollständige Marketingkonzeption entwickelt,<br />
von der ein positiver Beitrag zur mittel- bis l<strong>an</strong>gfristigen Optimierung der internen<br />
Personalvermögensbildung erwartet wird.
446 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
4. Zusammenfassung und Ausblick<br />
Durch die in dieser wissenschaftlichen Arbeit zugrunde gelegte marktorientierte<br />
Perspektive im Zusammenh<strong>an</strong>g mit personaler Arbeit im Unternehmen wird schlüssig<br />
begründet, dass Marketing zur unternehmenszielgerichteten Gestaltung und Steuerung<br />
der internen Bildung von Personalvermögen eingesetzt werden k<strong>an</strong>n. Dieses<br />
marktorientierte, streng betriebswirtschaftliche Verständnis aufbauend auf dem Personalvermögens-Konzept<br />
wird von der Autorin als richtungsweisend betrachtet, um<br />
zukünftig der personalwirtschaftlichen Aufgabe, wie jeder <strong>an</strong>deren betriebwirtschaftlichen<br />
Aufgabe auch, erfolgreich und ohne Vorbehalte unter dem Primat ökonomischen<br />
Denkens und H<strong>an</strong>delns gerecht werden zu können. Erst hierdurch scheint es<br />
nach Ansicht der Autorin möglich, die Personalwirtschaft gleichberechtigt neben die<br />
übrigen betriebswirtschaftlichen Teilfunktionen treten zu lassen. Dieser Ansatz erlaubt<br />
es zudem, Mitarbeiter und Unternehmen als gleichberechtigte Vertragspartner<br />
zu interpretieren. Dieses ermöglicht eine moderne partnerschaftliche Betrachtung und<br />
Beh<strong>an</strong>dlung von Beziehungen zwischen Unternehmen und Mitarbeitern als Kunden-<br />
Liefer<strong>an</strong>ten-Beziehungen, was dem Ged<strong>an</strong>ken einer modernen Dienstleistungswirtschaft<br />
entspricht.<br />
5. Anreize und Kompensation<br />
Joachim Prinz<br />
Why Are Wages Upward Sloping with Tenure? An Empirical<br />
Test from the Professional Team Sports Industry<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Bernd Frick, Universität Witten-Herdecke<br />
1. Introduction <strong>an</strong>d Research Question<br />
Why is there a link between a worker’s wage <strong>an</strong>d job seniority, <strong>an</strong>d what is the<br />
role of productivity between this relation? During the past 40 years, several economists<br />
have worked out theories that explain this finding. Since Becker’s (1964) pioneering<br />
work on hum<strong>an</strong> capital investment, a multitude of alternative expl<strong>an</strong>ations<br />
have emulated Becker’s theory. Lazear’s (1981) delayed compensation <strong>an</strong>d Jov<strong>an</strong>ovic’s<br />
(1979a) matching approach are the most prominent of these competing theories.<br />
Generally, these researchers argue that workers with more job seniority earn more<br />
th<strong>an</strong> other workers with identical years of total labor market experience <strong>an</strong>d similar<br />
education. Thus, the upward-sloping <strong>an</strong>d concave age-earnings profile as theorized, is<br />
one of the most stylized facts in modern labor economics.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 447<br />
This finding is rather unspectacular, because intuitively it seems to be reasonable<br />
that workers’ wages are a function of the time spend in the labor market <strong>an</strong>d in<br />
particular of the length devoted with one <strong>an</strong>d the same employer. While this positive<br />
correlation is a commonly accepted result, a lot of controversial talk over the interpretation<br />
of the noticed association between earnings <strong>an</strong>d tenure has grown up over the<br />
past two decades, as the authors derived their findings from very different assumptions.<br />
Even years before the emergence of the two rival theories, Mincer (1974) questioned<br />
the hum<strong>an</strong> capital model, if <strong>an</strong> empirical test would fail to show that wage<br />
growth correlates with productivity progress. The first of the countless studies which<br />
were to follow on that attempted to <strong>an</strong>swer the question whether wages actually increase<br />
with productivity via tenure was Medoff/Abraham (1980,1981) who concluded<br />
that the hum<strong>an</strong> capital theory might not be adequate in explaining the upward-sloping<br />
age-earnings profile but instead the Lazear style model is more appropriate.<br />
Over time, progress has been made concerning the debate which researcher’s<br />
theory (or combination of theories) provides the best expl<strong>an</strong>ation for the positive<br />
wage-tenure relationship. In the mid 80’s Jov<strong>an</strong>ovic’s matching model was favored<br />
while the other two alternatives were discredited. Two very influential papers, Abraham/Farber<br />
(1987) <strong>an</strong>d Altonji/Shakotko (1987) concluded that wages slope upwards<br />
due to unobserved individual <strong>an</strong>d match heterogeneity <strong>an</strong>d not due to job seniority. In<br />
a subsequent work, Topel (1991) disproved these results <strong>an</strong>d argued that when the<br />
formers’ econometric problems were solved for, findings were supportive of the hum<strong>an</strong><br />
capital pattern. Altonji/Williams (1997) stroke back, reexamining <strong>an</strong>d defending<br />
the Altonji/Shakotko findings from 1987.<br />
To date, there is still <strong>an</strong> ongoing empirical dispute, seeking to clarify the relationship<br />
between wages <strong>an</strong>d tenure. Indeed, as noted by Felli/Harris (1996), this debate<br />
remains <strong>an</strong> open question in the empirical <strong>an</strong>alysis of labor markets. While even<br />
the latest bulk of empirical work has tested whether or not one particular theory c<strong>an</strong><br />
indeed explain the upward-sloping age-earnings profile (see Neumark/Taubm<strong>an</strong><br />
(1995) <strong>an</strong>d Azfar/D<strong>an</strong>ninger (2001)) studies that aimed to discriminate between all<br />
three competing hypotheses has not been conducted yet. In this respect, previous empirical<br />
evidence is suggestive but inconclusive, because of the difficulties in measuring<br />
precisely <strong>an</strong>d objectively individual worker productivity.<br />
The principal objective of this paper is to pave the road in order to gain a full<br />
underst<strong>an</strong>ding of the question which one theory provides the best expl<strong>an</strong>ation why<br />
wages increase with seniority. The fact, that empirical studies have not yet tackled the<br />
obvious question of checking all three major theories versus each other using data<br />
from one single industry with homogenous job characteristics is somewhat surprising.<br />
Due to this deficit, I believe that there is considerable room for improvement. Consequently,<br />
it’s time to breath new life into the puzzle that emerged more th<strong>an</strong> 20 years<br />
ago.
448 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
2. A Brief Review of the Theories<br />
The most recognized expl<strong>an</strong>ation of the wage-tenure profile is the theory of hum<strong>an</strong><br />
capital. Generally, the theory suggests that the accumulation of skills <strong>an</strong>d knowledge<br />
leads to <strong>an</strong> increase in productivity which, in turn leads to <strong>an</strong> increase in wages<br />
over the lifetime of a worker. The rising productivity is either due to firm-specific or<br />
general hum<strong>an</strong> capital aggregation. If on the one h<strong>an</strong>d the investment in hum<strong>an</strong> capital<br />
is general it is productive in raising productivity at every firm by the same amount.<br />
Thus, the wage mimics productivity. If on the other h<strong>an</strong>d the investment was made in<br />
specific hum<strong>an</strong> capital, the worker’s output will only increase in the present firm because<br />
it is useless in <strong>an</strong>y other. As such, a worker’s wage profile is initially higher<br />
<strong>an</strong>d after a certain (training) period lower th<strong>an</strong> his productivity.<br />
Alternatively, the theory of incentive wage, which suggests that backloading<br />
payment is used as a worker discipline device. Workers are undercompensated early<br />
in their career but are motivated to work hard in order to stay with the firm <strong>an</strong>d reap<br />
their due compensation that comes with longer tenure. This results because holding<br />
out payment until late in the individual’s lifetime alters the worker’s incentives to reduce<br />
his effort on the job. According to theory, incentive wages are most likely to be<br />
found where monitoring costs are high. As implicated above, hum<strong>an</strong> capital <strong>an</strong>d incentive<br />
wage theories agree on the fact that earnings rise with additional tenure, but<br />
they differ in whether productivity rises faster or slower th<strong>an</strong> does the wage, assuming<br />
perform<strong>an</strong>ce rises at all.<br />
The matching story proposes that due to information asymmetries recently hired<br />
workers earn less th<strong>an</strong> observationally similar employees whose perform<strong>an</strong>ce is<br />
known to the employer. As the employer learns a worker’s „real“ productivity, he either<br />
lays him off or pays him a wage that reflects his true productivity. As the percentage<br />
of workers whose productivity is unknown to the employer decends over<br />
time, wages rise with tenure. Whether the effect of tenure on wages is subst<strong>an</strong>tial was<br />
questioned by several economists due to the problem of unobserved heterogeneity<br />
across individuals <strong>an</strong>d across job matches in p<strong>an</strong>el settings. Briefly, they stress that<br />
this problem causes upward biased estimates of the tenure coefficient in a traditional<br />
OLS specification, because of the likely correlation between tenure <strong>an</strong>d unobserved<br />
individual <strong>an</strong>d job match specific effects. In order to remedy this distortion it is necessary<br />
to purge the estimation via a procedure that employs a specific instrumental<br />
variable for tenure that is correlated with it, but has actually nothing to do with the error<br />
term. As a result, the estimation will produce consistent returns to tenure. Testing<br />
these competing theories empirically is difficult, because most often real productivity<br />
measures are simply not available. The <strong>an</strong>alysis accounts for this setback.<br />
3. Data, Models <strong>an</strong>d Empirical Findings<br />
A unique database from a single professional sports industry, the National Basketball<br />
Association (NBA) is used to test the superiority of one model over others in<br />
explaining basketball players upward sloping age-earnings profiles. The data set is
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 449<br />
drawn from two primary sources, the Sporting News Official NBA Register <strong>an</strong>d the<br />
Sporting News Official NBA Guide. It consists of all players that appeared in at least<br />
one regular season game in <strong>an</strong>y of the ten consecutive NBA-seasons 1990/91-<br />
1999/2000. The total number of observations is about 4.500, with some players being<br />
active in all ten seasons <strong>an</strong>d others in only one of them. While player perform<strong>an</strong>ce<br />
figures (games played, minutes, field goals, free throws, three points, rebounds, assists,<br />
blocks, turnovers, steals etc.) <strong>an</strong>d individual characteristics (age, career duration,<br />
years with current team, draft number, participation in all star games <strong>an</strong>d a player’s<br />
height) are available for all athletes, this is not the case for player salaries. This<br />
information is missing for approximately 3% of the population.<br />
As indicated, empirical support for one or the other theory is rather comme ci<br />
comme ça, because these investigations rely on proxies for worker productivity that<br />
are more or less accurate. Since the professional sports scene provides the relev<strong>an</strong>t<br />
data, a reliable test of the various theories seems feasible. In <strong>an</strong> attempt to set a specification<br />
that tests the different theories, a traditional Mincer-type wage equation is<br />
used that tries to identify the determin<strong>an</strong>ts of player salaries via OLS regression <strong>an</strong>alysis.<br />
More precisely in this equation, players’ log earnings is used as dependent variable,<br />
wheras the regressors such as hum<strong>an</strong> capital variables (experience <strong>an</strong>d tenure),<br />
perform<strong>an</strong>ce parameters <strong>an</strong>d other controls try to explain the vari<strong>an</strong>ce in players’ salaries.<br />
According to hum<strong>an</strong> capital, player wages are determined solely on the basis of<br />
productivity improvements through the acquisition of general <strong>an</strong>d/or specific training.<br />
If this would be the case we would observe all coefficients in the wage equation except<br />
of the perform<strong>an</strong>ce coefficients to be zero: Productivity equals earnings. Controversely,<br />
the shirkling-threat model, which forecasts a positive correlation between<br />
tenure <strong>an</strong>d wage, independent of perform<strong>an</strong>ce. Or more simply: The magnitude of the<br />
tenure effect in the wage equation should be materially reduced after plugging in perform<strong>an</strong>ce<br />
statistics. However, if this is not being the case there exists <strong>an</strong> „isolated“<br />
tenure effect which c<strong>an</strong>not be justified via productivity improvements. Bringing in<br />
matching theory complicates the <strong>an</strong>alysis, due to the problem of individual <strong>an</strong>d job<br />
match specific effects. Thus, a valid instrument for tenure is used that purges the e-<br />
quation from estimation errors. If job match specific effects do indeed play a subst<strong>an</strong>tial<br />
role in determining a player’s wage, wage growth is rather a function of match<br />
quality th<strong>an</strong> a function of perform<strong>an</strong>ce improvements as postulated by hum<strong>an</strong> capital<br />
through the accumulation of tenure.<br />
My prefered 2SLS overall model suggests that shirking <strong>an</strong>d job matching theories<br />
in concert provide the best expl<strong>an</strong>ation for the upwards sloping age-earnings profiles<br />
of NBA players. Returns to tenure are found to be signific<strong>an</strong>t but it’s magnitude<br />
is reduced by 43%, when the spurious bias – stemming from OLS – is controlled for.<br />
The fact that tenure remains considerably large – unaffected of productivity – but is<br />
simult<strong>an</strong>eously subst<strong>an</strong>tially reduced due to job match specific effects, is in harmony<br />
with incentive <strong>an</strong>d matching arguments.
450 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
4. Final Thoughts<br />
The empirical findings refute to some extent the hum<strong>an</strong> capital model, a result<br />
that comes in rather surprisingly. While matching theory seems appealing it is not apparent<br />
why the shirking model holds to be true in <strong>an</strong> environment that is characterized<br />
by little monitoring costs. In this situation – which is most likely the case for NBA<br />
players – a piece rate compensation scheme a la Stiglitz (1975) would simply be employers’<br />
best response.<br />
An expl<strong>an</strong>ation why this is not observed comes from Blass (1992) who argues<br />
that piecemeal contracting causes high tr<strong>an</strong>saction costs for employers <strong>an</strong>d workers.<br />
Moreover, income „undiversified” players would not agree to such a compensation<br />
system due to it’s inherited risk that is in particular relev<strong>an</strong>t in the world of sports.<br />
Thus, the best „compromise” between principal <strong>an</strong>d agent is a deal that induces players<br />
to work hard <strong>an</strong>d takes away some of the risk players are exposed to. This is eleg<strong>an</strong>tly<br />
achieved via a relatively flat but upwards gradient age-earnings profile.<br />
Lars Reichm<strong>an</strong>n<br />
Entgeltflexibilisierung: Betriebswirtschaftliche und rechtliche<br />
Möglichkeiten <strong>an</strong> Beispielen der IT-Br<strong>an</strong>che <br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Walter A. Oechsler, Universität M<strong>an</strong>nheim<br />
1. Problemhinführung<br />
Mit einer Flexibilisierung von Entgeltsystemen werden in erster Linier zwei Ziele<br />
verfolgt. Zum einen sollen Personalkosten in Abhängigkeit der wirtschaftlichen<br />
Lage des Unternehmens flexibilisiert werden und leistungsunabhängige Entgeltsteigerungen<br />
vermieden werden. Zum <strong>an</strong>deren sollen wirksamere Anreize zu Produktivitäts-<br />
und Qualitätssteigerungen gesetzt werden.<br />
Innerhalb der Diskussionen um eine Flexibilisierung von Entgelten, wie auch<br />
um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft insgesamt, werden das deutsche<br />
Arbeitsrecht und insbesondere die bestehenden Tarifverträge immer wieder als<br />
St<strong>an</strong>dortnachteile bezeichnet. Trotz der vielfach beklagten rechtlichen Probleme einer<br />
Flexibilisierung von Entgelten in Deutschl<strong>an</strong>d haben erste Untersuchungen jedoch<br />
auch gezeigt, dass es einigen Unternehmen durch innovative Entgeltsysteme auch innerhalb<br />
des gegenwärtigen rechtlichen Regelungsrahmens vergleichsweise gut ge-<br />
<br />
Diese Arbeit ist 2002 unter dem Titel „Entgeltflexibilisierung: Betriebswirtschaftliche und<br />
rechtliche Möglichkeiten <strong>an</strong> Beispielen der IT-Br<strong>an</strong>che“ im Josef Eul <strong>Verlag</strong> erschienen.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 451<br />
lingt, sich Flexibilisierungspotentiale im Entgeltbereich zu verschaffen, während <strong>an</strong>dere<br />
Unternehmen die ihnen rechtlich zur Verfügung stehenden Spielräume nicht<br />
nutzen.<br />
Angesichts der von vielen Seiten beklagten m<strong>an</strong>gelnden Flexibilität der Entgeltsysteme<br />
stellt sich somit die Frage, ob diese vornehmlich auf die be<strong>an</strong>st<strong>an</strong>deten rechtlichen<br />
Hemmnisse oder auf ein m<strong>an</strong>gelhaftes Angebot geeigneter betriebswirtschaftlicher<br />
Lösungs<strong>an</strong>sätze im Bereich der Entgeltgestaltung zurückzuführen ist. Weiterhin<br />
k<strong>an</strong>n die m<strong>an</strong>gelnde Flexibilität bestehender Entgeltsysteme auch auf eine ungenügende<br />
Nutzung des aus betriebswirtschaftlicher und rechtlicher Sicht zur Verfügung<br />
stehenden Spielraums bei der flexiblen Gestaltung von Entgelten zurückzuführen<br />
sein.<br />
2. Theoretischer Zug<strong>an</strong>g der Untersuchung<br />
Um den Spielraum für eine Flexibilisierung von Entgelten und dessen Nutzung<br />
ermitteln zu können, bedarf es eines Analyserahmens, der neben den aus einem strategischen<br />
Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement erwachsenden Anforderungen und Einflussfaktoren<br />
auch weitere Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren auf die Flexibilisierung<br />
von Entgelten, insbesondere das im deutschen Kontext bedeutende System der<br />
industriellen Beziehungen, mit einbezieht.<br />
Als Ansatz für die Untersuchung dient eine modifizierte Form des aus der Industrial-Relations-Forschung<br />
stammenden Strategic-Choice-Ansatzes, mit dessen Hilfe<br />
sowohl die H<strong>an</strong>dlungsoptionen für eine Flexibilisierung innerhalb des Systems der<br />
industriellen Beziehungen, als auch die aus der Wahl der Akteure resultierenden Flexibilitätswirkungen<br />
<strong>an</strong>alysiert werden.<br />
3. Untersuchungsdesign<br />
Ziel der Arbeit ist es, die bestehenden Möglichkeiten zur Flexibilisierung von<br />
Entgelten in Deutschl<strong>an</strong>d aufzuzeigen und deren Nutzung in der Unternehmenspraxis<br />
kritisch zu hinterfragen. Entsprechend des gewählten konzeptionellen Rahmens werden<br />
zunächst die bestehenden rechtlichen H<strong>an</strong>dlungsspielräume aufgezeigt, die den<br />
Akteuren innerhalb des Systems der industriellen Beziehungen grundsätzlich zur Verfügung<br />
stehen. Im nächsten Schritt werden den rechtlichen Spielräumen die in der<br />
Betriebswirtschaft, und hier im Speziellen der Personalwirtschaft, zum gegenwärtigen<br />
Zeitpunkt bestehenden Optionen für die Gestaltung von Entgeltsystemen gegenübergestellt.<br />
Basierend auf den aufgezeigten bestehenden rechtlichen und betriebswirtschaftlichen<br />
H<strong>an</strong>dlungsspielräumen wird deren Nutzung <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der Untersuchung<br />
von Beispielen aus der Informations- und Kommunikationsbr<strong>an</strong>che <strong>an</strong>alysiert.<br />
4. Die empirische Überprüfung<br />
Zur Untersuchung der Nutzung der theoretisch bestehenden H<strong>an</strong>dlungsspielräume<br />
werden qualitative Fallstudien eingesetzt. Entsprechend des Strategic-Choice-<br />
Ansatzes wird hierbei die Nutzung der bestehenden H<strong>an</strong>dlungsspielräume unter Be-
452 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
achtung der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen in den betrachteten<br />
Unternehmen <strong>an</strong>alysiert.<br />
Die Arbeit verzichtet mit Blick auf das komplexe und noch weitgehend unerforschte<br />
Feld der Entgeltflexibilisierung auf eine empirisch breit <strong>an</strong>gelegte Untersuchung.<br />
Stattdessen werden vier Fallstudien mit explorativem Charakter durchgeführt,<br />
in denen insbesondere auf die Zusammenhänge zwischen bestehenden wirtschaftlichen<br />
Situationen der Unternehmen, den jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen<br />
und der Flexibilisierung von Entgelten eingeg<strong>an</strong>gen wird.<br />
Die Datenerhebung erfolgte aus Dokumenten wie Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen<br />
sowie über qualitative Interviews mit Personalver<strong>an</strong>twortlichen in den<br />
Unternehmen.<br />
5. Zielerreichung<br />
Anh<strong>an</strong>d des gewählten konzeptionellen Rahmens wurden zunächst die theoretischen<br />
rechtlichen und personalwirtschaftlichen H<strong>an</strong>dlungsspielräume deutscher Unternehmen<br />
für eine Flexibilisierung von Entgelten herausgearbeitet. Anh<strong>an</strong>d der Fallstudien<br />
wird deutlich, welche unterschiedlichen Strategien zur Flexibilisierung von<br />
Entgelten in der Praxis bestehen.<br />
Die Arbeit macht dabei deutlich, dass das Ausmaß der Flexibilisierung von Entgelten<br />
nicht generell durch arbeitsrechtliche Hemmnisse verhindert wird, sondern von<br />
komplexen Zusammenhängen von Faktoren innerhalb und außerhalb des Unternehmens<br />
bestimmt wird. Sie zeigt zudem beispielhaft verschiedenen Wege innerhalb des<br />
Systems der industriellen Beziehungen auf, wie Unternehmen zu einer Flexibilisierung<br />
von Entgelten gel<strong>an</strong>gen können und macht deutlich, dass eine optimale Lösung<br />
stets nur durch auf die spezifische Situation des Unternehmens zugeschnittene Lösungen<br />
erreicht werden k<strong>an</strong>n.<br />
6. Resümee<br />
Innerhalb der Diskussion um eine Flexibilisierung von Entgelten wird das deutsche<br />
Arbeitsrecht immer wieder als St<strong>an</strong>dortnachteil bezeichnet, da der durch die hohe<br />
Regelungsdichte des deutschen Systems der industriellen Beziehungen im internationalen<br />
Vergleich stark eingeschränkte Gestaltungsspielraum im Bereich des Personalm<strong>an</strong>agements<br />
die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen am<br />
St<strong>an</strong>dort Deutschl<strong>an</strong>d einschränke. Aus theoretischer Sicht besteht jedoch sowohl aus<br />
juristischer als auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht eine Reihe von Möglichkeiten<br />
zur Flexibilisierung von Entgelten.<br />
Auf der faktischen Seite stehen den ungenutzten rechtlichen Möglichkeiten von<br />
den Unternehmen ausgehende Restriktionen gegenüber. Diese betreffen in erster Linie<br />
die Strategien, Werte und gewachsenen Strukturen in den Unternehmen. Aus diesen<br />
resultieren zum einen unterschiedliche Flexibilitätsbedarfe in den Unternehmen,<br />
zum <strong>an</strong>deren eine Einschränkung der sinnvollen H<strong>an</strong>dlungsalternativen. Insbesondere<br />
zeigt sich hier, dass eine Flexibilisierung nicht um jeden Preis verfolgt wird. In ratio-
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 453<br />
nal begründeten Kalkülen wird hier häufig den guten Beziehungen zu Arbeitnehmervertretern<br />
auf betrieblicher und tariflicher Ebene der Vorzug gegenüber einer harten<br />
Flexibilisierungsstrategie gegeben, um ein <strong>an</strong>genehmes und produktivitätsförderndes<br />
Arbeitsklima zu gewährleisten.<br />
Für eine weitere Flexibilisierung von Entgelten besteht eine Reihe von Ansatzpunkten,<br />
die alle beteiligten Akteure betreffen können. Gewerkschaften und Betriebsräte<br />
können durch eine offenere Haltung zu flexiblen Entgelten eine verstärkte Nutzung<br />
flexibler Komponenten fördern. Die Rechtsprechung und die Gesetzgebung<br />
können durch eine Klärung unzureichend oder ungenau gelöster Probleme gerade bei<br />
einzelvertraglichen Flexibilisierungsinstrumenten deren Einsatz erleichtern. Die entscheidende<br />
Rolle bei einer weiteren Flexibilisierung müssen jedoch in jedem Fall die<br />
Unternehmen spielen. Nur wenn hier Flexibilisierungsstrategien mit entsprechendem<br />
Nachdruck verfolgt werden und bestehende Spielräume genutzt werden, k<strong>an</strong>n eine<br />
Flexibilisierung erfolgreich vor<strong>an</strong>getrieben werden.<br />
Axel Schlinghoff<br />
Karriere<strong>an</strong>reize für deutsche und amerik<strong>an</strong>ische<br />
Hochschullehrer – eine personalökonomische und empirische<br />
Untersuchung des l<strong>an</strong>gfristigen Forschungsoutputs<br />
Betreuerin: Prof. Dr. Uschi Backes-Gellner, Universität Zürich,<br />
vorher Universität zu Köln<br />
1. Fragestellung<br />
Immer wieder hört m<strong>an</strong>, dass das deutsche Hochschulsystem im internationalen<br />
Vergleich einen verhältnismäßig geringen Forschungsoutput hat. Wenn m<strong>an</strong> Indikatoren<br />
wie Nobelpreise pro Einwohner, Veröffentlichung in internationalen Spitzenzeitschriften<br />
oder die Anzahl der erhaltenen Zitate betrachtet, so k<strong>an</strong>n tatsächlich<br />
festgestellt werden, dass sich das deutsche Hochschulsystem bestenfalls im internationalen<br />
Mittelfeld der R<strong>an</strong>kings, <strong>an</strong> deren Spitze das US-amerik<strong>an</strong>ische, das britische<br />
und kleinere europäische Hochschulsysteme stehen, bewegt. Ebenso fällt aber auf,<br />
dass der Abst<strong>an</strong>d abnimmt, je breiter Forschungsoutput gemessen wird. Hiermit ist<br />
oft der Hinweis verbunden, dass deutsche Hochschullehrer insbesondere nach der ersten<br />
Berufung zu wenige Anreize hätten, um ihre Forschungsleistungen zu steigern.<br />
Vor der ersten Berufung st<strong>an</strong>d bisher die Habilitation, die <strong>an</strong>geblich die Eigenständigkeit<br />
der Nachwuchswissenschaftler und damit das Ausschöpfen ihrer Produktivität<br />
behindern soll. Da auch im internationalen Vergleich kurzfristige explizite Anreize<br />
für Hochschullehrer wenig üblich sind, untersucht die vorliegende Arbeit die Anreize,
454 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
die aus der Gestaltung von Karrierepfaden für Hochschullehrer hervorgehen und deren<br />
Auswirkungen auf den Forschungsoutput im Verlauf der Karriere.<br />
2. Leistung- und Qualifizierungsturniere als Erklärung für die<br />
Produktivitätsschw<strong>an</strong>kungen im Karriereverlauf<br />
Analytisches Hilfsmittel sind Alterspublikationsprofile, bei denen der Forschungsoutput<br />
gegen eine Zeitachse abgetragen wird. Solche Alterspublikationsprofile<br />
zeigen typischerweise einen Anstieg zu Beginn der Karriere und einen Abfall<br />
zum Ende hin. Bei amerik<strong>an</strong>ischen Wirtschaftswissenschaftlern ist dieser Anstieg<br />
stärker ausgeprägt und gefolgt von einem Abfall nach ca. sechs Jahren. Anschließend<br />
bleibt der Forschungsoutput auf etwa gleichem Niveau, bevor er zum Karriereende<br />
hin abfällt. Bei deutschen Wirtschaftswissenschaftlern bleibt der Forschungsoutput<br />
auf dem Niveau des ursprünglichen Anstiegs und fällt d<strong>an</strong>n zum Karriereende hin e-<br />
benfalls l<strong>an</strong>gsam ab. In individuellen Alterspublikationsprofilen beobachtet m<strong>an</strong> neben<br />
diesem Verlauf auch das Auftreten deutlicher Spitzen des Forschungsoutputs.<br />
Ausgehend vom Grundmodell der Tournamenttheorie nach Lazear/Rosen (1981) sollen<br />
die oben beschriebenen stilisierten Fakten für den Verlauf von Alterspublikationsprofilen<br />
erklärt werden. Die Tournamenttheorie postuliert, dass ein Arbeitnehmer<br />
sich vor Beförderungen umso stärker <strong>an</strong>strengt, je größer der mit der Beförderung<br />
verbundene Preis ist und je besser er durch sein Verhalten die Ch<strong>an</strong>cen einer Beförderung<br />
steigern k<strong>an</strong>n. Entsprechend wird auch der Output vor einer Beförderung erhöht<br />
sein. In einer Modellerweiterung wird zugelassen, dass der Arbeitnehmer auch<br />
in Hum<strong>an</strong>kapital investieren k<strong>an</strong>n, das seine Produktivität und bei variabler Vergütung<br />
auch die Verdienstmöglichkeiten steigert. Für die Beförderungsentscheidung<br />
werden nun gewichtete Leistungs- und Qualifikationskriterien her<strong>an</strong>gezogen. Zu Beginn<br />
der Karriere zieht ein Arbeitnehmer Leistungs<strong>an</strong>strengungen gegenüber Qualifizierungs<strong>an</strong>strengungen<br />
umso stärker vor, je größer der Gewinn aus der unmittelbar<br />
nächsten Beförderung ist, je stärker Leistungskriterien gewichtet werden und je weniger<br />
variabel das Einkommen nach der Beförderung ist. Entsprechend ist d<strong>an</strong>n auch<br />
der Output stärker vor dem Karriereereignis konzentriert. Anderfalls ist zu erwarten,<br />
dass der Arbeitnehmer eher in Hum<strong>an</strong>kapital investiert und der Output dem traditionellen<br />
Muster der Hum<strong>an</strong>kapitaltheorie folgt. Hochschullehrer konkurrieren ebenfalls<br />
im Rahmen von Turnieren um Berufungen. Sie können Forschungsleistungen produzieren<br />
oder in weitere Qualifikationen investieren. Um die vorstehenden Überlegungen<br />
auf Berufungsturniere zu übertragen, bedarf es zunächst einiger Operationalisierungen,<br />
die im <strong>an</strong>schließenden Abschnitt beschrieben werden.<br />
3. Empirische Untersuchungen zu Karrieren von Hochschullehrern und ihren<br />
Anreizwirkungen<br />
Die zu erklärende Variable ist der Forschungsoutput eines Hochschullehrers zu<br />
einem bestimmten Zeitpunkt. Der Forschungsoutput wird dabei operationalisiert als<br />
(gewichteter) Publikationsoutput. Publikationsoutput als Maß für die Forschungsproduktivität<br />
ist vergleichsweise einfach und Zeitpunkt bezogen verfügbar und k<strong>an</strong>n
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 455<br />
Qualitätsunterschiede berücksichtigen. Deutschsprachige und internationale Veröffentlichungen<br />
werden jeweils einer von drei Kategorien zugeordnet: Artikel in Spitzenzeitschriften,<br />
in sonstigen Zeitschriften und in Sammelwerken. Anh<strong>an</strong>d von<br />
selbsterstellten, auf Zitations<strong>an</strong>alysen beruhenden R<strong>an</strong>kings wurden jeweils vier<br />
deutschsprachige Spitzenzeitschriften der BWL und VWL ermittelt. Die R<strong>an</strong>kings<br />
sind im Zeitverlauf stabil, so dass einheitliche Kategorien für den gesamten Untersuchungszeitraum<br />
verwendet werden können. Analog wurden aus bestehenden R<strong>an</strong>kings<br />
je 12 internationale Spitzenzeitschriften der BWL und VWL ermittelt. Die Anzahl<br />
der Zeitschriften wurde dabei so ermittelt, dass deutsche und amerik<strong>an</strong>ische Forscher<br />
gleiche Ch<strong>an</strong>cen haben, in deutschsprachigen bzw. internationalen Spitzenzeitschriften<br />
zu veröffentlichen. Die Veröffentlichungen von je drei Jahren werden zu einem<br />
Beobachtungspunkt zusammengefasst. Koautorenschaften werden umgekehrt<br />
proportional zur Anzahl der Autoren gewichtet. Um unbeobachtete Heterogenität<br />
(Fächereigenschaften, Produktivitätsunterschiede aufgrund von Talenten) herauszurechnen,<br />
wurde der Forschungsoutput eines Hochschullehrers st<strong>an</strong>dardisiert. Der<br />
st<strong>an</strong>dardisierte Forschungsoutput gibt somit <strong>an</strong>, ob der betreffende Hochschullehrer<br />
zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger als im Durchschnitt seiner Karriere<br />
produziert hat.<br />
Preise stellen in Berufungsturnieren einerseits monetäre Zugewinne dar. Die erste<br />
Berufung eines Nachwuchswissenschaftlers bewirkt eine Steigerung des monatlichen<br />
Grundgehalts um ca. € 1400, während Folgerufe aus dem Inl<strong>an</strong>d eine Steigerung<br />
um maximal € 599 bedeuten. Da mit der ersten Berufung bisher auch eine Verbeamtung<br />
auf Lebenszeit verbunden ist, gewinnt der Nachwuchswissenschaftler, der zuvor<br />
in der Regel in befristeten Arbeitsverhältnissen steht, ein großes Potenzial <strong>an</strong> Arbeitsplatzsicherheit<br />
dazu. Auch der Statuszugewinn einer Professur k<strong>an</strong>n zum Preis<br />
bei Gewinn eines Berufungsturniers gezählt werden. Der Statusgewinn wird umso<br />
höher sein, je prestigeträchtiger der berufende Fachbereich ist. Insgesamt sind in<br />
Deutschl<strong>an</strong>d die Zugewinne einer ersten Berufung höher einzuschätzen als die von<br />
Folgerufen.<br />
Entsprechend wird erwartet, dass vor Erstberufungen der Forschungsoutput<br />
stärker konzentriert ist als vor Folgerufen. Im amerik<strong>an</strong>ischen Hochschulsystem sind<br />
Beförderungen zum Full Professor fin<strong>an</strong>ziell deutlich attraktiver als Beförderungen<br />
zum Associate Professor, die meistens mit der Entscheidung über die Tenure einhergeht.<br />
Andererseits bedeutet Tenure, dass der Hochschullehrer eine ähnliche Arbeitsplatzsicherheit<br />
genießt wie verbeamtete Hochschullehrer in Deutschl<strong>an</strong>d. Es k<strong>an</strong>n<br />
hier nicht vorhergesagt werden, ob die Tenure-Entscheidung oder die Beförderung<br />
zum Full-Professor stärkere Anreize induziert. Erwartet wird hier eine ähnliche Wirkung<br />
auf den Forschungsoutput.<br />
Wie k<strong>an</strong>n ein Wissenschaftler seine Ch<strong>an</strong>cen beeinflussen, einen Ruf zu erhalten?<br />
Hierzu wurde <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d von 102 Wirtschaftswissenschaftlern, die sich zu Beginn<br />
der neunziger Jahre habilitierten, ermittelt, wie sich in der Folgezeit Berufene von<br />
Nicht-Berufenen unterscheiden. Sowohl <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d von Mittelwertvergleichen als auch<br />
mit Hilfe von logistischer Regression k<strong>an</strong>n gezeigt werden, dass Berufene einen deut-
456 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
lich höheren Forschungsoutput während der Zeit vor der Berufung haben. Insbesondere<br />
Artikel in deutschsprachigen Top-Zeitschriften und sonstigen deutschsprachigen<br />
Zeitschriften haben einen signifk<strong>an</strong>ten Einfluss auf die Berufungswahrscheinlichkeit.<br />
Weiterhin hat auch die Reputation der Herkunftsfakultät eines Habilitierten einen<br />
deutlich positiven (wenn auch nicht signifik<strong>an</strong>ten) Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit,<br />
einen Ruf zu erhalten. Hier findet sich mit der Habilitation im deutschen System<br />
ein Qualifizierungsindikator. Signifik<strong>an</strong>t ist weiterhin die fachspezische Arbeitsmarktsituation<br />
für Professoren. Für die Entscheidung über Tenure amerik<strong>an</strong>ischer<br />
Wirtschaftswissenschaftler ist vor allem der Forschungsoutput in der Zeit als Assist<strong>an</strong>t-Professor<br />
bedeutend, während Indikatoren für weitere Qualifizierung nach<br />
dem Ph.D. keine Rolle spielen. Ebenso ist die Entscheidung über die Beförderung<br />
zum Full-Professor vom Forschungsoutput während der Zeit als Associate-Professor<br />
abhängig. Qualität spielt hierbei noch einmal eine besondere Rolle. Während amerik<strong>an</strong>ische<br />
Forscher in reinen Leistungsturnieren konkurrieren, sind deutsche Forscher<br />
eher in kombinierten Leistungs- und Qualifizierungsturnieren <strong>an</strong>zutreffen. Entsprechend<br />
wird erwartet, dass der Forschungsoutput bei amerik<strong>an</strong>ischen Forschern vor<br />
den Karriereereignissen besonders konzentriert ist, während bei deutschen Forschern<br />
auch ein hum<strong>an</strong>kapitaltheoretischer Verlauf feststellbar ist. Amerik<strong>an</strong>ische <strong>Hochschulen</strong><br />
können in eher forschungs- und eher lehrorientierte Institutionen unterschieden<br />
werden. Da <strong>an</strong> den forschungsorientierten <strong>Hochschulen</strong> das Gehalt stärker vom<br />
Forschungsoutput abhängig ist, ist zu erwarten, dass Forscher <strong>an</strong> diesen <strong>Hochschulen</strong><br />
früh in der Karriere mehr in Hum<strong>an</strong>kapital investieren als Hochschullehrer <strong>an</strong> lehrorientierten<br />
<strong>Hochschulen</strong>.<br />
Um diese Zusammenhänge empirisch zu überprüfen, wurden von 189 deutschen<br />
und 112 amerik<strong>an</strong>ischen Hochschullehrern Lebensläufe und Publikationsverzeichnisse<br />
im Rahmen von Internetrecherchen ausgewertet. Die erfassten Hochschullehrer<br />
sind bezüglich Alter und Fächerverteilung repräsentativ.<br />
Wenn ein Karriereereignis wie vermutet Anreizwirkungen entfaltet, d<strong>an</strong>n sollte<br />
der Forschungsoutput in der Periode bevor das Karriereereignis auftritt, erhöht sein<br />
und sich in der Periode d<strong>an</strong>ach wieder auf durchschnittlichem Niveau bewegen. Es<br />
wird versucht, dieses Schema mit Hilfe von linearen Regressionstechniken, bei denen<br />
der st<strong>an</strong>dardisierte Publikationsoutput – einmal gewichtet, um die Qualität des Forschungsoutput<br />
zu berücksichtigen, und einmal ungewichtet, um reine Qu<strong>an</strong>titätsunterschiede<br />
zu erfassen, – die abhängige Variable darstellt, nachzuvollziehen.<br />
4. Ergebnisse<br />
Der Ausg<strong>an</strong>gsbefund, dass deutsche Wissenschaftler vergleichsweise wenig in<br />
internationalen, insbesondere hoch renommierten Zeitschriften veröffentlichen, k<strong>an</strong>n<br />
zunächst auch <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der hier gesammelten Publikationsdaten bestätigt werden. Bezieht<br />
m<strong>an</strong> jedoch alle Zeitschriften ein, so haben deutsche Hochschullehrer einen<br />
Output von 0,66 Artikeln im Jahr und amerik<strong>an</strong>ische Hochschullehrer einen durchschnittlichen<br />
Output von 0,57 Artikeln. Unter Einbeziehung von Beiträgen in Sam-
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 457<br />
melwerken veröffentlichen deutsche Hochschullehrer (1,41) sogar noch mehr als ihre<br />
amerik<strong>an</strong>ischen Kollegen (0,782).<br />
Es k<strong>an</strong>n festgestellt werden, dass sowohl Erst- als auch Folgeberufungen keinen<br />
Einfluss auf den ungewichteten Publikationsoutput haben. Jedoch nimmt wie erwartet<br />
der gewichtete Forschungsoutput vor Erstberufungen zu und fällt d<strong>an</strong>n wieder auf das<br />
Durchschnittsniveau ab. Für Folgerufe k<strong>an</strong>n ein entsprechendes Muster nicht festgestellt<br />
werden. Signifik<strong>an</strong>te Auswirkungen auf den Forschungsoutput haben bei deutschen<br />
Wirtschaftswissenschaftlern scheinbar nur Erstberufungen. Aufgrund der höheren<br />
Preise wurden hier auch stärkere Anreizwirkungen erwartet. Die zusätzlichen Anstrengungen<br />
werden dabei vor allem zur Erhöhung der Qualität der Forschungsergebnisse<br />
verwendet. Bei amerik<strong>an</strong>ischen Hochschullehrern k<strong>an</strong>n ein Anstieg des ungewichteten<br />
Forschungsoutputs vor der Tenureentscheidung festgestellt werden. Der<br />
gewichtete Forschungsoutput ist sowohl vor der Tenure-Entscheidung als auch vor<br />
der Beförderung zum Full-Professor signifik<strong>an</strong>t erhöht. Auch hier reagieren die<br />
Hochschullehrer wieder effizient auf die jeweiligen Entscheidungskriterien. Weiterhin<br />
stellt m<strong>an</strong> fest, dass der relative Erklärungsgehalt von Karriereentscheidungen für<br />
den Forschungsoutput bei den amerik<strong>an</strong>ischen Hochschullehrern höher ist, was auf<br />
eine stärkere Konzentration vor den Karriereereignissen bei den amerik<strong>an</strong>ischen Forschern<br />
hindeutet. Durch Einbeziehung der wissenschaftlichen Berufserfahrung und<br />
der quadrierten Berufserfahrung in die Schätzgleichung soll der Einfluss von Qualifizierung<br />
auf den Output geschätzt werden. Hier erhält m<strong>an</strong> das erwartete Ergebnis,<br />
dass Qualifizierung im deutschen Hochschulsystem eine größere Rolle spielt als <strong>an</strong><br />
forschungsorientierten amerik<strong>an</strong>ischen <strong>Hochschulen</strong> und dort wiederum eine größere<br />
Rolle als <strong>an</strong> lehrorientierten.<br />
Abschließend werden <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der gewonnenen Resultate Rückschlüsse auf die<br />
Wirkungen der Dienstrechtsreform gezogen. Die Einführung der Juniorprofessur bedeutet,<br />
dass die Zeit zwischen Promotion und Berufung auf eine Lebenszeitprofessur<br />
weniger qualifikatorischen und mehr leistungsbezogenen Charakter als bisher hat.<br />
Prognostiziert wird, dass Nachwuchswissenschaftler mehr Anstrengungen unternehmen,<br />
die in die Produktion kurzfristigen, gegebenenfalls qualitativ hochwertigen eingehen.<br />
Der Erwerb von Wissen wird abnehmen und dazu führen, dass der Forschungsoutput<br />
in späteren Karrierephasen sinkt. Die Einführung einer variablen Vergütung<br />
in der zweiten Karrierephase könnte dies wieder ausgleichen. Hier stellt sich<br />
die Frage, ob durch Folgerufe nicht ein geeignetes Instrument schon vorh<strong>an</strong>den ist.<br />
Auf jeden Fall müssen die monetären Anreize hinreichend hoch sein, um entsprechende<br />
Anreizwirkungen generieren zu können. Letzteres widerspricht jedoch der Intention<br />
die Dienstrechtsreform kostenneutral durchzuführen.<br />
Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde die Lehre als zweite wichtige<br />
Aufgabe von Hochschullehrern vollkommen ausgeklammert. Zwei Sichtweisen sind<br />
denkbar. Forschung und Lehre eines Hochschullehrers sind einerseits Kuppelprodukte.<br />
D<strong>an</strong>n sind die hier gewonnenen Erkenntnisse in ähnlicher Form auf die Lehre ü-<br />
bertragbar. Sind Forschung und Lehre <strong>an</strong>derseits zwei Produkte, die um den Einsatz<br />
von Ressourcen konkurrieren, stellt sich die Frage, wie Hochschullehrer ihr Zeitbud-
458 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
get auf die beiden Aktivitäten aufteilen. Die Vermutung ist, dass sie jeweils die Aktivität<br />
verstärkt ausüben, die bei der nächsten Beförderungsentscheidung stärker gewichtet<br />
wird. So veröffentlichen Hochschullehrer auch <strong>an</strong> lehrorientierten amerik<strong>an</strong>ischen<br />
<strong>Hochschulen</strong> vor der Gewährung von Tenure relativ viel, da eine gewisse Anzahl<br />
<strong>an</strong> Veröffentlichungen notwendig ist, um Tenure zu erhalten. Später konzentrieren<br />
sie sich d<strong>an</strong>n aber auf die Lehre, da Lehrevaluationen für folgende Einkommenssprünge<br />
eher ausschlaggebend sind.<br />
6. Arbeitsverhalten (und Mikropolitik)<br />
Renate Ortlieb<br />
Betrieblicher Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d als personalpolitische Arena.<br />
Eine Längsschnitt<strong>an</strong>alyse <br />
Betreuerin:<br />
Prof. Dr. Gertraude Krell, Freie Universität Berlin<br />
1. Ausg<strong>an</strong>gsproblem und Ziel der Analyse<br />
Der betriebliche Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d ist „umkämpftes Terrain“: Zum einen werden in<br />
der Wissenschaft, der betrieblichen Praxis und der öffentlich-politischen Diskussion<br />
unterschiedliche Positionen vertreten, wenn es um das Ausmaß, die Ursachen und<br />
Maßnahmen zur Reduktion des Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>des geht. Zum <strong>an</strong>deren ist der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d<br />
selbst zugleich Medium und Ergebnis verschiedener Aush<strong>an</strong>dlungsprozesse<br />
auf individueller, betrieblicher und gesellschaftlicher Ebene.<br />
Konkretes Ausg<strong>an</strong>gsproblem der Analyse ist die Variation des betrieblichen<br />
Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>des im Zeitverlauf, ein Phänomen, das in allen Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>dsstatistiken<br />
beobachtet werden k<strong>an</strong>n. Ziel ist es, einen Beitrag zur Erklärung dieser Variation zu<br />
leisten. Der Fokus liegt dabei zum einen auf der längerfristigen Variation, das heißt,<br />
auf Schw<strong>an</strong>kungen in einem Zeithorizont von mehreren Jahren (und nicht etwa von<br />
einzelnen Jahren, Monaten oder Wochen), und zum <strong>an</strong>deren auf der Meso-Ebene der<br />
Org<strong>an</strong>isation, das heißt, auf bis zu Gruppen- oder Org<strong>an</strong>isationsebene aggregierten<br />
Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>dsdaten (und nicht auf Nationen-, Br<strong>an</strong>chen-, intra- oder interindividuellen<br />
Unterschieden).<br />
<br />
Renate Ortlieb (2003): Betrieblicher Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d als personalpolitische Arena. Eine Längsschnitt<strong>an</strong>alyse.<br />
Betriebliche Personalpolitik, hrsg. von Gertraude Krell, mit einem Geleitwort<br />
von Gertraude Krell und Werner Nienhüser. Wiesbaden: DUV Gabler Edition Wissenschaft.<br />
ISBN 3-8244-7786-6, 227 Seiten, € 49,90.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 459<br />
2. Bezugsrahmen<br />
Die personalpolitikorientierte Perspektive<br />
Aus einer personalpolitikorientierten Perspektive wird zunächst gezeigt, dass der<br />
Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d Ergebnis von interessengeleiteten Aush<strong>an</strong>dlungsprozessen ist, die innerhalb<br />
eines bestimmten Herrschaftsrahmens stattfinden und diesen zugleich verändern<br />
können. Hierfür werden in einem ersten Schritt die Konstellationen und Positionen<br />
der Akteurinnen und Akteure in der Arena des betrieblichen Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>des herausgearbeitet.<br />
Sod<strong>an</strong>n werden Interessen, Ressourcen, Spielzüge und rhetorische Mittel<br />
der Unternehmensleitungen und Arbeitgeberverbände, der Beschäftigten und Gewerkschaften<br />
sowie der staatlichen Akteure <strong>an</strong>alysiert. Außerdem wird die Debatte<br />
über den betrieblichen Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d – insbesondere auch die These vom Missbrauch<br />
von Sozialleistungen (hier: im Wesentlichen bezogen auf die Entgeltfortzahlung im<br />
Kr<strong>an</strong>kheitsfall) – ideologiekritisch rekonstruiert.<br />
Das austauschtheoretische Konzept von Gibson<br />
Der theoretische Bezugsrahmen für die empirische Untersuchung knüpft eng <strong>an</strong><br />
diese politikorienterte Analyse <strong>an</strong>: In dem austauschtheoretisch orientierten Konzept<br />
zur Erklärung von kr<strong>an</strong>kheitsbedingtem Fehlen von R. Oliver Gibson (1966) wird<br />
kr<strong>an</strong>kheitsbedingtes Fehlen am Arbeitsplatz auf eine bestimmte Beurteilung der Austauschbeziehung<br />
zwischen Individuum und Org<strong>an</strong>isation – des so gen<strong>an</strong>nten psychologischen<br />
Vertrags – zurückgeführt. Unter der Voraussetzung, dass Individuen über<br />
einen gewissen Verhaltensspielraum verfügen, fehlen sie ceteris paribus eher d<strong>an</strong>n,<br />
wenn sie die Austauschbeziehung als unausgeglichen beurteilen oder der psychologische<br />
Vertrag durch die Org<strong>an</strong>isation gebrochen worden ist. Denn in diesem Fall können<br />
sie kr<strong>an</strong>kheitsbedingtes Fehlen gegenüber sich selbst und gegenüber der Org<strong>an</strong>isation<br />
besser legitimieren. Das Konzept von Gibson integriert sowohl ökonomische<br />
als auch psychologische und soziologische Ansätze und erscheint nach verschiedenen<br />
Präzisierungen (insbesondere in Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem Konstrukt des psychologischen<br />
Vertrags) als besonders fruchtbar für eine Analyse des betrieblichen Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>des.<br />
Da dieses Konzept allerdings nicht unmittelbar auf eine Längsschnittbetrachtung<br />
ausgerichtet ist, wird es mit dem methodisch orientierten Konzept der Kohorten<strong>an</strong>alyse<br />
integriert.<br />
Das methodisch orientierte Konzept der Kohorten<strong>an</strong>alyse<br />
Nach dem Konzept der Kohorten<strong>an</strong>alyse lässt sich die Variation einer abhängigen<br />
Variable im Zeitverlauf auf das gleichzeitige Wirken von individuellen Alterungs-<br />
oder Reifungsprozessen (hier: speziell in Bezug auf die Betriebszugehörigkeitsdauer)<br />
sowie von Veränderungen des historischen Kontextes zurückführen. Neben<br />
diesen so gen<strong>an</strong>nten Betriebszugehörigkeitsdauer- und Periodeneffekten werden<br />
außerdem Kohorteneffekte berücksichtigt, die sich als eine Kombination aus diesen<br />
beiden Effekten bzw. aus der Betriebszugehörigkeitsdauer und dem historischen Kontext<br />
ergeben. Eine besondere Stärke dieses methodischen Ansatzes ist, dass Verände-
460 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
rungen auf der Mikro-Ebene (in Form der Alterungsprozesse) gleichermaßen betrachtet<br />
werden wie Veränderungen auf der Makro-Ebene (in Form der Veränderungen des<br />
historischen Kontextes).<br />
Für den Bezugsrahmen der empirischen Analyse werden das Konzept von Gibson<br />
und das Konzept der Kohorten<strong>an</strong>alyse integriert, indem die drei im Rahmen der<br />
Kohorten<strong>an</strong>alyse unterschiedenen Effekte inhaltlich durch das Konzept von Gibson<br />
ausgefüllt werden. Dabei übernimmt das Konzept der Kohorten<strong>an</strong>alyse eine hypothesengenerierende<br />
Funktion, und das Konzept von Gibson dient der inhaltlichen, theoretischen<br />
Fundierung der Untersuchungshypothesen und damit auch der Ergebnisinterpretation.<br />
Die Untersuchungshypothesen beziehen sich daher im Wesentlichen auf<br />
die Existenz der drei Effekte („Es existiert ein Betriebszugehörigkeitsdauereffekt.“,<br />
„Es existiert ein Periodeneffekt.“, „Es existiert ein Kohorteneffekt.“).<br />
3. Datenbasis und Methoden<br />
Die empirische Analyse basiert auf einer Vollerhebung der An- und Abwesenheitstage<br />
von insgesamt 624 Beschäftigten eines mittelständischen Unternehmens der<br />
Werkzeug- und Maschinenbaubr<strong>an</strong>che im Zeitraum zwischen J<strong>an</strong>uar 1962 und Dezember<br />
1998. Ergänzt werden diese Daten um die individuelle Betriebszugehörigkeitsdauer<br />
sowie – zur statistischen Kontrolle von Alterseffekten – um das individuelle<br />
Lebensalter der Beschäftigten. Zur Abbildung des historischen Kontextes dienen<br />
folgende Indikatoren: erstens das monatliche Volumen der Auftragseingänge im betrachteten<br />
Unternehmen (teilweise substituiert durch die relative Personalbest<strong>an</strong>dsveränderung<br />
im betrachteten Unternehmen), zweitens die lokale Arbeitslosenquote,<br />
drittens ein Verkleinerungsprozess, der zu Beginn der 1990er Jahre in dem betrachteten<br />
Unternehmen stattf<strong>an</strong>d, sowie viertens die Änderungen der gesetzlichen Regelungen<br />
zur Entgeltfortzahlung im Kr<strong>an</strong>kheitsfall im Oktober 1996. Die Kohorten wurden<br />
gebildet, indem jeweils diejenigen Beschäftigten zu einer Kohorte zusammengefasst<br />
wurden, die während derselben Phase des wirtschaftlichen Auf- oder Abschwungs in<br />
das betrachtete Unternehmen eingetreten sind. Dieses Datenmaterial hat gegenüber<br />
den in bisherigen Studien <strong>an</strong>alysierten Daten vielerlei Vorzüge, insbesondere durch<br />
die kontinuierliche (und nicht stichtags-bezogene) Erhebung der Abwesenheitszeiten<br />
auf Individualebene (und nicht nur Unternehmensebene) sowie die Nähe der verwendeten<br />
Indikatoren für den historischen Kontext zu den betrachteten Personen.<br />
Bei der Wahl der Analysemethoden wurde – neben der inhaltlichen und statistischen<br />
Angemessenheit – insbesondere auf Übersichtlichkeit und Einfachheit geachtet.<br />
Daher haben zum einen grafische Verfahren einen hohen Stellenwert. Zum <strong>an</strong>deren<br />
wurden (größtenteils multiple) lineare Regressionsmodelle, teilweise mit Dummy-Variablen,<br />
geschätzt. Soweit notwendig und möglich wurde überprüft, ob zentrale<br />
Annahmen des Regressionsmodells eingehalten werden.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 461<br />
4. Ergebnisse<br />
Grundsätzlich lassen sich alle drei Effekte – ein Betriebszugehörigkeitsdauer-,<br />
ein Perioden- und ein Kohorteneffekt – identifizieren. Dabei zeigt sich sowohl in bivariaten<br />
als auch in multivariaten Analysen stets ein verhältnismäßig starker Periodeneffekt.<br />
Insbesondere können ein (positiver) Einfluss der wirtschaftlichen Lage des<br />
betrachteten Unternehmens und des damit zusammenhängenden Verkleinerungsprozesses<br />
(d.h., mit zunehmendem Volumen der Auftragseingänge und während des<br />
Verkleinerungsprozesses steigt der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d) sowie ein (negativer) Einfluss der<br />
Arbeitsmarktlage (d.h., mit zunehmender Arbeitslosenquote sinkt der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d)<br />
festgestellt werden. Diese Zusammenhänge lassen sich vor dem Hintergrund des<br />
Konzeptes von Gibson in einer sehr plausiblen und konsistenten Weise interpretieren,<br />
denn diese Aspekte des historischen Kontextes beeinflussen sowohl die Tauschbeziehung<br />
zwischen Individuum und Org<strong>an</strong>isation als auch die Tauschalternativen unmittelbar.<br />
Ein Einfluss der Änderungen der gesetzlichen Regelungen zur Entgeltfortzahlung<br />
im Kr<strong>an</strong>kheitsfall im Oktober 1996 lässt sich nur bedingt zeigen.<br />
Insgesamt scheint der Periodeneffekt klar zu dominieren, allerdings nicht für alle<br />
Betriebszugehörigkeitsdauerjahre bzw. nicht für alle Kohorten gleichermaßen. So ist<br />
beispielsweise während des Verkleinerungsprozesses, der in dem Unternehmen stattgefunden<br />
hat, der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d der älteren Kohorten deutlich höher als der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d<br />
der jüngeren Kohorten. Außerdem lässt sich ein (negativer) Einfluss der Betriebszugehörigkeitsdauer<br />
zeigen (d.h., mit zunehmender Betriebszugehörigkeitsdauer<br />
sinkt der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d). Und auch ein Kohorteneffekt k<strong>an</strong>n identifiziert werden,<br />
d.h., der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d einiger Kohorten unterscheidet sich deutlich vom Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d<br />
<strong>an</strong>derer Kohorten. Allerdings lässt sich das Muster solcher Unterschiede nur<br />
schwer interpretieren, und der Kohorteneffekt ist insgesamt verhältnismäßig schwach.<br />
5. Fazit<br />
Vor allem die Befunde in Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem Periodeneffekt zeigen, dass<br />
die Vari<strong>an</strong>z des Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>des keineswegs nur über individuelle Unterschiede, sondern<br />
unabhängig davon zu einem guten Teil über – viele Personen gleichermaßen<br />
betreffende – Situationsdifferenzen erklärt werden k<strong>an</strong>n. Dies legt nahe, den Fokus<br />
von häufig vorfindbaren Argumentations- und Attributionsweisen sowie von betrieblichen<br />
Praktiken zu verlagern – nämlich weg von bestimmten Personen und Personengruppen<br />
hin zu bestimmten Situationen. Außerdem ist wegen der zentralen Rolle<br />
der situativen – auch außer-org<strong>an</strong>isationaler – Situationsvariablen fraglich, inwieweit<br />
der betriebliche Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d grundsätzlich m<strong>an</strong>agebar ist. Das heißt, vermutlich ist<br />
der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d über Gestaltungsmaßnahmen, die auf der Individualebene <strong>an</strong>setzen,<br />
in erheblich geringerem Ausmaß veränderbar, als m<strong>an</strong> nach der Lektüre gestaltungsorientierter<br />
Literatur meinen sollte.<br />
Sowohl das (präzisierte) Konzept von Gibson als auch das Konzept der Kohorten<strong>an</strong>alyse<br />
erweisen sich in der Analyse als fruchtbar, dennoch wird weiterer Präzisierungsbedarf<br />
deutlich: In Bezug auf das Konzept von Gibson betrifft dies insbeson-
462 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
dere die Integration von gesundheitsbeeinträchtigenden Arbeitsbelastungen, die den<br />
individuellen Verhaltensspielraum für kr<strong>an</strong>kheitsbedingtes Fehlen mitunter stark beeinflussen,<br />
sowie Entstehungs- und Diffusionsprozesse von Normen über kr<strong>an</strong>kheitsbedingtes<br />
Fehlen. Ferner ist empirische Forschung zu konkreten Inhalten von psychologischen<br />
Verträgen – insbesondere auch zu Gerechtigkeitsempfindungen in Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
mit kr<strong>an</strong>kheitsbedingtem Fehlen – notwendig. Im Hinblick auf die Kohorten<strong>an</strong>alyse<br />
gilt es insbesondere das Kohortenkonzept selbst zu spezifizieren. So bleibt<br />
beispielsweise noch zu klären, welche Rolle Interaktionen zwischen Kohortenmitgliedern<br />
oder auch eine Art Kohortenidentität für das Herausbilden von Normen über<br />
kr<strong>an</strong>kheitsbedingtes Fehlen und für das Verhalten der Kohortenmitglieder spielen.<br />
Auch hier besteht neben theoretisch-konzeptionellem Forschungsbedarf auch (qualitativ-)empirischer.<br />
Rol<strong>an</strong>d Röder:<br />
Kooperation <strong>an</strong> Schnittstellen –<br />
Eine empirische Untersuchung *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Rolf Bronner, Universität Mainz<br />
1. Problemstellung und Ziele<br />
In den letzten Jahren ist in Org<strong>an</strong>isationen eine Tendenz zur Verflachung von<br />
Hierarchien und damit einhergehend eine Delegation von Ver<strong>an</strong>twortung zu beobachten.<br />
Mit dieser Entwicklung wird zunehmend auch der vormals durch die Hierarchie<br />
gedeckte Koordinationsbedarf zwischen Teileinheiten als kooperativ zu lösende Aufgabe<br />
den Teileinheiten selbst aufgegeben. Die Gestaltung der Beziehungen zwischen<br />
Teileinheiten <strong>an</strong> den so gen<strong>an</strong>nten Schnittstellen einer Org<strong>an</strong>isation wird so zu einem<br />
kritischen Einflussfaktor für den Unternehmenserfolg. Betriebswirtschaftliche Forschungsarbeiten<br />
zum M<strong>an</strong>agement von Schnittstellen sind überwiegend <strong>an</strong> der Gestaltung<br />
konkreter aufgaben- oder funktionsbezogener Phänomene orientiert. Soziale,<br />
speziell gruppenbezogene Effekte sind dagegen in der Literatur zwar erwähnt, werden<br />
aber in der Betriebswirtschaftslehre nur sehr vereinzelt systematisch untersucht<br />
und stehen daher im Mittelpunkt der Arbeit.<br />
Teileinheiten in Org<strong>an</strong>isationen sind überwiegend multipersonal besetzt. Sie bilden<br />
soziale Gruppen und werden von deren Mitgliedern und Nichtmitgliedern auch<br />
als solche wahrgenommen. Als Folge der sozialen Kategorisierung in Eigen- und<br />
Fremdgruppe ergeben sich gruppenbezogene Phänomene des Strebens nach sozialer<br />
*<br />
Die Arbeit wurde 2001 im Peter L<strong>an</strong>g-<strong>Verlag</strong>, Fr<strong>an</strong>kfurt/Main et al. (ISBN 3-631-38417-3)<br />
veröffentlicht.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 463<br />
Geltung. Unter deren Einfluss erwachsen psychologische Barrieren, die sich in einer<br />
wechselseitigen sozialen Abgrenzung und Vorteilsorientierung zwischen den Teileinheiten<br />
äußern können. Das konkrete Forschungsinteresse zu den gruppenbezogenen<br />
Phänomenen des Strebens nach sozialer Geltung k<strong>an</strong>n in folgenden allgemeinen Fragen<br />
ausgedrückt werden:<br />
Wie lassen sich die Einflüsse der Kategorisierung in Eigen- und Fremdgruppe in<br />
die Betrachtung der Kooperation <strong>an</strong> Schnittstellen integrieren?<br />
Sind diese Einflüsse immer negativ beziehungsweise dysfunktional?<br />
Bestehen Wechselwirkungen mit zentralen aufgabenbezogenen Einflussfaktoren?<br />
W<strong>an</strong>n und wie bestehen Auswirkungen auf das Ergebnis, speziell die Effektivität<br />
der Kooperation <strong>an</strong> Schnittstellen?<br />
2. Theoretischer Unterbau und Forschungsbedarf<br />
Die für das Verständnis von Beziehungen zwischen kooperierenden Gruppen<br />
wichtigsten sozial- und org<strong>an</strong>isationswissenschaftlichen Erklärungs- und Forschungs<strong>an</strong>sätze<br />
werden referiert. Dabei h<strong>an</strong>delt es sich zunächst um die verw<strong>an</strong>dten<br />
Ansätze Theory of Social Comparisson Processes, Realistic Conflict Theory, Social<br />
Identity Theory sowie Theory of Embedded Groups. Diese eher sozialwissenschaftlichen<br />
Erklärungs<strong>an</strong>sätze werden mit Beiträgen der Kooperationsforschung erweitert.<br />
Anschließend wird der St<strong>an</strong>d der empirischen Forschung beschrieben und weiterer<br />
theoretischer und empirischer Forschungsbedarf begründet. Dabei zeigt sich<br />
aus theoretischer Sicht Bedarf für die Integration der sozial- und org<strong>an</strong>isationswissenschaftlichen<br />
Forschungsgebiete zur Übertragung auf den betriebswirtschaftlichen<br />
Kontext. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, wie und unter welchen<br />
Bedingungen der durchaus als pathologisch zu bezeichnende und praktisch bedeutsame<br />
Fall eintritt, dass gruppenbezogene Phänonmene dynsfunktionale Wirkung auf<br />
die Aufgabenerfüllung besitzen. Aus der Zusammenführung der Theorien wird ein<br />
Rahmenmodell der Schnittstellen-Kooperation in Org<strong>an</strong>isationen erarbeitet.<br />
Die Aufarbeitung des empirischen Forschungsbedarfs lässt erkennen, dass in der<br />
bisherigen – stark sozialpsychologisch geprägten – Forschung Einflüsse auf die Leistungserstellung<br />
der Gruppen nur unzureichend untersucht wurden. Dies gilt besonders<br />
für die Wirkung der Identifikation mit der Teileinheit. Zudem besteht Forschungsbedarf<br />
für die Untersuchung von Ressourcen- oder Aktivitätsverkettungen bei<br />
der Leistungserstellung. Diese Interdependenz stellt den Rahmen für den daraus resultierenden<br />
Kontakt zwischen Teileinheiten. Darüber hinaus liegen bisl<strong>an</strong>g nur wenige<br />
empirische Arbeiten zur Untersuchung der Wirkung von Persönlichkeitsmerkmalen<br />
in diesem Kontext vor. Die Beziehungen <strong>an</strong> Schnittstellen in Org<strong>an</strong>isationen<br />
werden auch durch individuelle Neigungen zu Kooperation und Wettbewerb bestimmt.
464 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Den empirischen Forschungsbedarf aufgreifend werden die zuvor isoliert betrachteten<br />
Erklärungsvariablen in ihrer Entstehung und Wirkung beschrieben. Die<br />
Wirkungsbeschreibungen werden zu Hypothesen verdichtet.<br />
3. Untersuchungskonzeption<br />
Als Untersuchungsmethode wurde das Laborexperiment gewählt. An der Untersuchung<br />
nahmen 30 Gruppen, besetzt mit studentischen Versuchspersonen zu je<br />
drei Personen, teil. Die zugrunde gelegte, komplexe Untersuchungsaufgabe best<strong>an</strong>d<br />
in der Bewertung der Forschungs- und Lehrqualität in zwei universitären Fachbereichen<br />
<strong>an</strong>h<strong>an</strong>d einer Fülle von vorgegebenen Informationen, die Gegenst<strong>an</strong>d der<br />
allgemeinen Diskussion um Hochschulreformen sind. Die Identifikation mit der<br />
Teileinheit wurde über die Zugehörigkeit zu den jeweiligen Fachbereichen operationalisiert.<br />
Die Aufgabeninterdependenz wurde über den Grad der wechselseitigen<br />
Abhängigkeit bei der Erfüllung von Teilaufgaben gesteuert. Zur Untersuchung der<br />
Wirkung individueller Kooperations- und Wettbewerbsmotivation ist die Diagnose<br />
der individuellen Ausprägungen dieser Motivationen erforderlich. Dabei kam ein<br />
eigens entwickeltes und in der Arbeit vollständig dokumentiertes, vollst<strong>an</strong>dardisiertes<br />
Testinstrumentarium zum Einsatz.<br />
4. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchung<br />
Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung bestätigen deutliche Auswirkungen<br />
auf die Kooperationseffektivität, die wechselseitige Wertschätzung der Teileinheiten<br />
und die Bereitschaft für künftige Zusammenarbeit. Die theoretisch wie auch<br />
empirisch bedeutendste der untersuchten Variablen ist die Identifikation mit der Eigengruppe.<br />
Bei hoher Identifikation tritt eine Wahrnehmungsverschiebung bei den<br />
Kooperationspartnern zugunsten von zwei unterschiedlichen Gruppen statt einer zusammengehörenden<br />
Kooperationsgruppe ein. Außerdem konnte eine Wechselwirkung<br />
von Identifikation und Aufgabeninterdependenz nachgewiesen werden. Besonders<br />
umf<strong>an</strong>greich wurde versucht, die Wirkung der Identifikation auf die Effektivität<br />
der Kooperation zu erfassen. Sowohl für niedrige wie auch für hohe Aufgabeninterdependenz<br />
ergab sich ein Effektivitätsverlust <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der Bezugspunkte Leistungsresultat,<br />
Leistungsh<strong>an</strong>dlung und Leistungsbewertung. Die vermutete belastungssteigernde<br />
Wirkung der Identifikation konnte nur bei hoher Aufgabeninterdependenz<br />
nachgewiesen werden. Ebenso wurde eine Beeinträchtigung der Bereitschaft für<br />
künftige Kooperationen bei hoher Identifikation bestätigt.<br />
5. Implikationen der Untersuchung<br />
Aus den Ergebnissen werden Rückschlüsse auf die Weiterentwicklung der verwendeten<br />
Theorien gezogen sowie weiterer empirischer Forschungsbedarf begründet.<br />
Darüber hinaus werden konkrete Gestaltungsempfehlungen für das M<strong>an</strong>agement von<br />
Schnittstellen entwickelt.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 465<br />
Michael Schiffinger<br />
Zur Messung mikropolitischer Taktiken im Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
mit Karriereerfolg und Karrierekontext<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Joh<strong>an</strong>nes Steyrer und Prof. Dr. Helmut<br />
Kasper, beide Wirtschaftsuniversität Wien<br />
Das zentrale Thema der Dissertation sind mikropolitische Taktiken sowie die<br />
Zusammenhänge zwischen dem Einsatz dieser Taktiken und karrierebezogenen Variablen,<br />
nämlich Karriereerfolg und Karrierekontext. Der Schwerpunkt liegt dabei nicht<br />
auf einer theoretischen Erörterung der verschiedenen Spielarten mikropolitischen<br />
Verhaltens und unterstellter Zusammenhänge mit Karriereerfolg oder Karrierekontext,<br />
sondern einerseits auf der Entwicklung eines Konzepts (bzw. in weiterer Folge<br />
verschiedener daraus abgeleiteter Zugänge) zur Operationalisierung mikropolitischer<br />
Taktiken, <strong>an</strong>dererseits auf einer empirischen Analyse der Zusammenhänge zwischen<br />
dem Einsatz dieser Taktiken und Karriereerfolg sowie Karrierekontext.<br />
Konkret soll sich die durch diese Arbeit repräsentierte Forschungsaktivität in<br />
drei Bereichen ausdrücken:<br />
Im theoretisch-konzeptuellen Bereich lag das Ziel darin, auf Basis vorh<strong>an</strong>dener<br />
Literatur eine Konzeption mikropolitischer Taktiken zu schaffen, die auf einer theoretisch<br />
fundierten Struktur basiert, wobei die theoretische Aufarbeitung auch den<br />
„Rahmen“ umfasst, in den diese Taktiken später eingebettet wurden (Karriere, bzw.<br />
Karriereerfolg und Karrierekontext).<br />
Im Bereich der Skalenkonstruktion sollte dieses Konzept sowohl literaturgestützt<br />
als auch in weiterer Folge unter Zuhilfenahme statistischer Verfahren operationalisiert,<br />
verschiedene Zugänge zur Operationalisierung genauer ausgearbeitet und<br />
die Eigenschaften der verschiedenen Operationalisierungen näher <strong>an</strong>alysiert werden.<br />
In diesem Bereich liegt auch der thematische Schwerpunkt dieser Arbeit.<br />
Auf der empirischen Ebene i.e.S. sollten schließlich verschiedene Vari<strong>an</strong>ten der<br />
Operationalisierung auf Zusammenhänge mit Karriereerfolg und Karrierekontext hin<br />
untersucht werden. Neben einer explorativen Untersuchung wurden auch auf Basis<br />
bisheriger empirischer Studien Annahmen über Zusammenhänge zwischen einzelnen<br />
Karrieretaktiken und Karriereerfolg sowie Karrierekontext getroffen und überprüft.<br />
Im theoretischen Teil der Arbeit wird – nach einigen kurzen Ausführungen zu<br />
Karriere und Karrierekontext – der Begriff mikropolitischer Taktiken genauer definiert<br />
und drei Vari<strong>an</strong>ten mikropolitischen Verhaltens vorgestellt: Einflusstaktiken,<br />
Impression-M<strong>an</strong>agement-Taktiken und Networking-Taktiken. Jede dieser drei Vari<strong>an</strong>ten<br />
wird auf Basis einschlägiger Literaturquellen weiter in einzelne Taktiken differenziert,<br />
zu denen d<strong>an</strong>n jeweils Items formuliert wurden. Insgesamt umfasste der literaturbasierte<br />
Fragenpool 19 Skalen mit insgesamt 148 Items.<br />
Dieser Itempool wurde einer Stichprobe von 201 Berufstätigen vorgelegt. Die<br />
Stichprobe best<strong>an</strong>d hauptsächlich aus Personen aus der österreichischen Privatwirt-
466 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
schaft; das Geschlechterverhältnis war beinahe ausgewogen – 101 Frauen und 100<br />
Männer.<br />
Auf Basis der erhaltenen Ergebnisse wurden einerseits die literaturbasierten Skalen<br />
bezüglich ihrer psychometrischen Eigenschaften <strong>an</strong>alysiert (Skalenkonsistenz,<br />
Rohwerteverteilung) und teilweise optimiert. Andererseits wurde auf empirischem<br />
Weg untersucht, inwieweit sich die theoriebasierte Einteilung durch statistische Verfahren<br />
reproduzieren lässt. Des Weiteren wurde eine Faktoren<strong>an</strong>alyse über den gesamten<br />
Itempool gerechnet und die erhaltenen Faktoren ebenfalls bezüglich ihrer<br />
Skalenkonsistenz optimiert.<br />
Abschließend wurden die verschiedenen Skalen zur Erfassung mikropolitischen<br />
Verhaltens zum Karriereerfolg (und auch zum Karrierekontext) der Prob<strong>an</strong>den in Bezug<br />
gesetzt. Da die Erhebung für unterschiedliche Karriereumfelder gültig sein sollte,<br />
erschien die in empirischen Studien häufig gewählte Operationalisierung von Karriereerfolg<br />
durch „erreichte hierarchische Stufe“, „Anzahl der Beförderungen“ o.ä. nicht<br />
geeignet. Auch auf die Erfragung des Einkommens wurde insbesondere mit Augenmerk<br />
auf den Rücklauf verzichtet. 1<br />
Stattdessen wurde auf Basis der erhobenen Variablen Berufsbezeichnung, Alter,<br />
der Frage nach einer etwaigen Führungstätigkeit und deren Dauer sowie der Frage<br />
nach einer etwaigen selbständigen Tätigkeit auf heuristischem Weg eine Unterteilung<br />
in drei Gruppen vorgenommen, wobei die erste Gruppe (keine Führungsposition) den<br />
„niedrigsten“ Karriereerfolg aufwies und beispielsweise Berufe wie „Sachbearbeiter“<br />
oder „Verkaufsunterstützung“ umfasste; in der zweiten Gruppe (meist Innehabung<br />
einer Führungsposition) waren hingegen Berufe wie „Assistenz der Geschäftsführung“<br />
oder „Product M<strong>an</strong>ager“ vertreten; die dritte und „erfolgreichste“ Gruppe umfasste<br />
Berufe wie „Leiter des Fin<strong>an</strong>z- und Rechnungswesens“, „Geschäftsführer“ o-<br />
der „Vorst<strong>an</strong>d“ mit l<strong>an</strong>ger Führungstätigkeit.<br />
Die Unterscheidung bezüglich Karrierekontext basierte auf der Beschäftigungsform<br />
(<strong>an</strong>gestellt vs. selbständig) und der br<strong>an</strong>chenüblichen Verweildauer innerhalb<br />
derselben Org<strong>an</strong>isation. Auch hier wurden die Prob<strong>an</strong>den in drei Gruppen eingeteilt –<br />
jene mit einer sicheren und dauerhaften Bindung <strong>an</strong> einen Job, jene, die zwar <strong>an</strong>gestellt<br />
aber dennoch in unsteteren Verhältnissen tätig sind, und schließlich jene, die<br />
wirtschaftlich selbständig arbeiteten.<br />
Die Analyse der Zusammenhänge zwischen mikropolitischen Taktiken und Karriereerfolg<br />
nach der oben erwähnten Operationalisierung ergab für die meisten Taktiken<br />
einen signifik<strong>an</strong>ten Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem Karriereerfolg – d.h. fast alle Taktiken<br />
wurden von den „erfolgreicheren“ Gruppen stärker eingesetzt. Besonders auffällig<br />
war, dass es nicht die am stärksten eingesetzten Taktiken waren, die den deutlichs-<br />
1<br />
Der Fragebogen war gleichzeitig ein Pretest-Instrument für die Entwicklung eines allgemeineren<br />
Fragebogens zu Karrieretaktiken im Rahmen des FWF-geförderten Vienna Career P<strong>an</strong>el<br />
Project der IVM der WU Wien (http://www.vicapp.at).
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 467<br />
ten Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem Karriereerfolg aufwiesen, sondern eher schlecht beleumundete<br />
Taktiken wie offenes Pochen auf die eigene Positionsmacht, opportunistisches<br />
Bemühen um <strong>an</strong>dere je nach deren potentieller Nützlichkeit für die eigene Karriere,<br />
„einschleimendes“ Sich-<strong>an</strong>biedern und aggressives Einschüchtern des sozialen<br />
Umfelds.<br />
Mit dem Karrierekontext ergaben sich hingegen nur in wenigen Fällen aussagekräftige<br />
Zusammenhänge, was auch dar<strong>an</strong> liegen mag, dass die „Selbständigen“ im<br />
Sample in den meisten Fällen l<strong>an</strong>ggediente Führungskräfte waren, für die die Selbständigkeit<br />
wohl eher ein Ausdruck beruflicher Selbstverwirklichung ist als ein Ergebnis<br />
allzu unsicherer Beschäftigungsverhältnisse. Auch die Unterschiede zwischen<br />
den Geschlechtern fielen nur gering aus, was die am stärksten und am wenigsten eingesetzten<br />
Taktiken betraf, allerdings waren die Taktiken mit dem deutlichsten Erfolgszusammenh<strong>an</strong>g<br />
bei den Männern <strong>an</strong>dere als bei den Frauen.<br />
7. Führung und Führungskräfte<br />
Jürgen Michael Bischoff<br />
„Vom nächsten Sprung ins kalte Wasser“. Sozialisationsund<br />
Strukturationsprozesse bei der Übernahme der ersten<br />
Führungsfunktion im mittleren M<strong>an</strong>agement<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Oswald Neuberger, Universität Augsburg<br />
Die über 600 Seiten l<strong>an</strong>ge Arbeit (ergänzt durch ein 56-seitiges Literaturverzeichnis<br />
und einen kleinen Anh<strong>an</strong>g mit den verwendeten Fragebögen und Interviewleitfäden)<br />
untersucht folgende Leitfragen:<br />
Wie lassen sich interaktionale Strukturations- und Sozialisationsprozesse bei der<br />
Übernahme der ersten Führungsfunktion beschreiben und erklären?<br />
<br />
<br />
Wie werden diese Prozesse von den neuen Führungskräften erlebt?<br />
Welche Auswirkungen haben die Strukturations- und Sozialisationsprozesse auf<br />
die beteiligten Org<strong>an</strong>isationen und Personen?<br />
Um diese Fragen zu be<strong>an</strong>tworten, entscheidet sich der Autor für ein qualitatives<br />
Vorgehen, bei dem er einen Methodenmix einsetzt [Interviews, Fragebögen, teilnehmende<br />
Beobachtung (und implizit: Dokumenten<strong>an</strong>alyse)].<br />
Die Datenerhebung f<strong>an</strong>d in zwei Unternehmensbereichen eines Großunternehmens<br />
der Informations- und Telekommunikationstechnik statt. Sie erstreckte sich ü-<br />
ber einen Zeitraum von 5 Jahren (1994-1998). In Querschnittserhebungen wurde mit<br />
teilst<strong>an</strong>dardisierten schriftlichen Fragebogen gearbeitet, die auf eine engere Thematik<br />
eingeengt waren (Eruierung des Qualifikationsbedarfs). Den Kern der Arbeit macht<br />
eine Längsschnittstudie aus, bei der 10 neue Führungskräfte, deren Vorgesetzte, jeweils<br />
ein Mitarbeiter und in zwei Fällen auch Kollegen sowie noch drei „Experten“
468 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
interviewt wurden (insg. also 35 Personen). Es gab mehrere Untersuchungswellen:<br />
die TeilnehmerInnen wurden kurz vor oder unmittelbar nach der Übernahme der neuen<br />
Position und im Verlauf weiterer zwei Jahre mehrmals (im Schnitt dreimal) interviewt<br />
(S. 213).<br />
Die Auswertung der Interviews orientiert sich am Konzept von Froschauer &<br />
Lueger, deren programmatische Empfehlungen und Interpretationsschema dargestellt<br />
werden.<br />
Das umf<strong>an</strong>greiche empirische Material wird auf dem Hintergrund eines elaborierten<br />
theoretischen Modells, das durch die Strukturationstheorie Giddens’ inspiriert<br />
ist, geordnet. Nicht die Konstatierung empirischer Sachverhalte, sondern die Interpretation<br />
ihres Zust<strong>an</strong>dekommens und ihrer Folgewirkungen steht im Mittelpunkt; der<br />
Leser erhält jedoch durch die sehr ausführlichen Interviewzitate die Möglichkeit, die<br />
theoretischen Einordnungen und Schlussfolgerungen direkt zu überprüfen. Die Diskussion<br />
bal<strong>an</strong>ciert mehrere Ebenen: eine strukturelle org<strong>an</strong>isationale, eine interaktionale<br />
interpersonale und schließlich eine subjektive intrapersonale. Allen drei Strukturationsdimensionen<br />
wird Rechnung getragen: der signifikatorischen (sinngebende<br />
Wirklichkeitskonstruktion), der legitimatorischen (normative Rechtfertigung) und der<br />
autoritativ-ökonomischen (in der es um den Einsatz von Macht und die Allokation<br />
von Ressourcen geht). Dieser komplexe Ansatz bewahrt den Autor vor einigen in der<br />
Fachliteratur vorfindbaren Simplifizierungen (exemplarisch seien die beliebten Phasenmodelle<br />
der Sozialisation gen<strong>an</strong>nt).<br />
Die Erfahrungen, die die neuen Führungskräfte in der ersten Zeit nach ihrer Ernennung<br />
machen, werden entsprechend dem strukturationstheoretischen Rahmenmodell<br />
interpretiert: Zuerst werden (1) strukturelle Rahmenbedingungen und Positionsmerkmale<br />
beh<strong>an</strong>delt, d<strong>an</strong>n (2) interaktionale Prozesse und Beziehungsnetze und<br />
schließlich (3) intrapersonale Prozesse.<br />
zu (1): Im Hinblick auf die „übergreifenden“ Rahmenbedingungen werden u.a. folgende<br />
Akzentsetzungen berichtet:<br />
Neue Führungskräfte erleben deutlich ihre Interdependenz. Sie müssen Netzwerke<br />
aufbauen und pflegen und sich selbst als attraktiver (Tausch-)Partner einbringen.<br />
Das bedeutet auf der <strong>an</strong>deren Seite auch, dass die unilaterale hierarchische<br />
Linienstruktur (zwischen Vorgesetzten und Unterstellten) durch Verbindungen<br />
über die Dienststellengrenzen hinaus erweitert werden muss, wodurch<br />
prekäre Bal<strong>an</strong>ceakte nötig werden können.<br />
Die Beziehungsgeflechte sind <strong>an</strong>dererseits ein Gegengewicht zur domin<strong>an</strong>ten<br />
und stets aktiven Dependenz von den höheren Hierarchieebenen, die Strategien<br />
und Strukturen definieren, Ressourcen zuteilen und entziehen und zur Durchsetzung<br />
ihrer eigenen Interessen verlässliche „executives“ – als die sie die untergeordneten<br />
Führungskräfte sehen – haben wollen. Weil die „Hierarchen“ Gatekeeper<br />
und Promotoren sind, ist es wichtig, von ihnen gesehen zu werden, positiv<br />
aufzufallen, ihre Erwartungen zu dechiffrieren und zu erfüllen. Insofern leben<br />
die jungen Führungskräfte in einer belastenden Dauer-Testsituation, die ihnen
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 469<br />
weit mehr als nur normalen Einsatz abverl<strong>an</strong>gt – bei gleichzeitiger Unsicherheit<br />
über die Bewährungskriterien im konkreten Fall.<br />
Neu ern<strong>an</strong>nte Führungskräfte müssen auch erkennen, dass ihnen zwar die Aufgabe<br />
der Personalführung übertragen wird, für die sie kaum vorbereitet werden,<br />
dass aber zugleich fachliche Kompetenz und hoher Output weit höher gewichtet<br />
werden.<br />
Junge Führungskräfte müssen lernen, dass zwar Regeln und Vorschriften zu beachten<br />
sind, gleichzeitig aber Spielräume (bis hin zur Regelverletzung) vorh<strong>an</strong>den<br />
sind und genutzt werden müssen, will m<strong>an</strong> den heterogenen und z.T. <strong>an</strong>tagonistischen<br />
Erwartungen genügen.<br />
Gleichzeitig müssen sie dar<strong>an</strong> arbeiten, ihren Ver<strong>an</strong>twortungsbereich auszudehnen,<br />
neue Aufgaben zu finden, in denen sie (ihre Vorgesetzten) überzeugen und<br />
ihre Position absichern können.<br />
zu (2): Bei den interaktionalen Prozessen wird Folgendes hervorgehoben:<br />
Die meisten neuen Führungskräften fühlen sich von ihren unmittelbaren Vorgesetzten<br />
(und der Personalabteilung) im Stich gelassen. Nicht selten werden sie<br />
„ihrer M<strong>an</strong>nschaft“ gar nicht richtig vorgestellt, bereits vor der formellen Ernennung<br />
mit Führungsaufgaben betraut (ohne offiziell dazu die Kompetenzen zu<br />
erhalten) und müssen mit Rivalen um die Abgrenzung ihrer Aufgabengebiete<br />
und nötige Ressourcen konkurrieren. Sie werden, kurz gesagt, ins kalte Wasser<br />
geworfen.<br />
Besonderes Gewicht hat der Aufbau von guten Beziehungen zu den unterstellten<br />
MitarbeiterInnen, die oft genug – weil „Beförderung aus den eigenen Reihen“<br />
eine sehr häufige Politik ist – früher KollegInnen waren. In einem m<strong>an</strong>chmal<br />
enttäuschungsreichen Prozess müssen die jungen Führungskräfte erkennen, dass<br />
sie ihre eigenen Leistungshaltungen nicht generalisieren dürfen, dass sie Aufgaben<br />
(die sie selbst besser und schneller lösen könnten) abgeben müssen, dass sie<br />
MitarbeiterInnen vertrauen müssen und dennoch mit Rivalität oder Illoyalität<br />
fertig werden und sich ab und zu sehr entschieden durchsetzen müssen.<br />
Dies alles läuft unter Beobachtung, nicht nur durch den unmittelbaren und die<br />
höheren Vorgesetzten, die erwarten – diese Formel zitiert Bischoff des öfteren –<br />
dass der oder die Neue keine Probleme macht, sondern Probleme löst. Die vorherrschende<br />
Outputorientierung bringt es mit sich, dass sich Führungskräfte<br />
trotz unklaren und wechselnden Zielen, selten expliziten Stellenbeschreibungen<br />
und Ressourcenausstattungen als verlässliche Ausführungsorg<strong>an</strong>e bewähren sollen<br />
und nicht durch „Personalprobleme“ auffallen dürfen.<br />
Für die formalen Personalinstrumente (Durchsprachen, Mitarbeitergespräche<br />
etc.) werden sie wenig trainiert; zudem erleben sie, dass reale (Personal-)Entscheidungen<br />
häufig „von oben“ nach <strong>an</strong>deren Kriterien getroffen werden, als es<br />
die geltenden Leitsätze und öffentlichen Bekundungen proklamieren.<br />
Auf diese Weise werden die „Rookies“ dazu gebracht, die mikropolitischen<br />
Spielregeln zu lernen und <strong>an</strong>zuwenden; in ihrem Umfeld, vor allem in den Füh-
470 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
rungsebenen finden sie viele Modelle, die ihnen erfolgreiches Taktieren vorleben.<br />
zu (3): Nicht nur Rahmenbedingungen und Interaktionen, auch die Personen selbst<br />
ändern sich mit dem Überg<strong>an</strong>g in die neue Rolle „Führungskraft“:<br />
Die hohen Anforderungen in der Dauer-Testsituation, die Serien von Erfolgen<br />
und Misserfolgen, Siegen und Niederlagen wirken sich auch auf die Selbstbilder<br />
aus. Neue Führungskräfte müssen lernen, wie ihre Vorgesetzten „cool“ zu werden,<br />
den Erfolg der Sache über Gefühle (zu MitarbeiterInnen, zu sich selbst –<br />
wie etwa Ängste, Zweifel) zu stellen und eigene Bedürfnisse zu verdrängen oder<br />
zumindest zu kontrollieren.<br />
Sie müssen sich klar werden, dass sie die Seiten gewechselt haben, nicht mehr<br />
durch Fachkompetenz Bestätigung finden, sondern eine Führungskarriere eingeschlagen<br />
haben, die – wenn sie weiter erfolgreich verlaufen soll – ihnen Umorientierungen<br />
in ihren Lebensplänen sowie den kollegialen und privaten Beziehungen<br />
abverl<strong>an</strong>gt: Sie müssen eine „Vorgesetztenidentität“ erwerben.<br />
<br />
Dabei müssen sie sich nach allen Seiten neu kalibrieren: zu den unmittelbaren<br />
und höheren Vorgesetzten, zu den MitarbeiterInnen, zum Unternehmensumfeld.<br />
Und all das verändert rekursiv sie selbst.<br />
Es ist ein l<strong>an</strong>g <strong>an</strong>haltender, von Krisen, Selbstzweifeln und Enttäuschungen, a-<br />
ber auch von Durchbrüchen und Erfolgserlebnissen geprägter Prozess des umfassenden<br />
W<strong>an</strong>dels der eigenen Identität, der Fähigkeiten, Emotionen, Weltsichten<br />
und H<strong>an</strong>dlungsprogramme der Führungskraft konditioniert und sie ein „<strong>an</strong>derer<br />
Mensch“ werden lässt.<br />
Thomas Bissels<br />
Vertrauen zum Vorgesetzten: Konstruktvalidierung und Wirkung<br />
auf das Leistungsverhalten der Mitarbeiter *<br />
Betreuerin: Prof. Sonja Sackm<strong>an</strong>n, PhD, Universität der Bundeswehr<br />
München<br />
1. Fragestellung der Untersuchung<br />
In der Literatur wird davon ausgeg<strong>an</strong>gen, dass Vertrauen eine wichtige Basis für<br />
gelingende Kooperation und Kommunikation sowie für ein hohes Leistungsniveau<br />
einzelner Mitarbeiter oder Teams darstellt (vgl. z.B. Tyler & Kramer, 1996). Um so<br />
*<br />
Bissels, Thomas (2003). Vertrauen zum Vorgesetzten: Konstruktvalidierung und Wirkung auf<br />
das Leistungsverhalten der Mitarbeiter. Berlin: Mensch und Buch <strong>Verlag</strong>.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 471<br />
mehr überrascht, dass es kaum Studien gibt, die die Effekte von Vertrauen konsequent<br />
überprüft haben. Insbesondere mit Blick auf den Einfluss von Vertrauen auf individuelle<br />
Leistung existieren zwar einzelne Studien, jedoch wurden mit Ausnahme<br />
der Untersuchung von Dirks (1999) unterschiedliche Wirkungsmöglichkeiten von<br />
Vertrauen auf individuelles Leistungsverhalten (z.B. direkter Einfluss, vermittelter<br />
Einfluss oder Einfluss als moderierende Variable) und deren theoretische Begründungen<br />
nicht <strong>an</strong>alysiert.<br />
Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt daher in der systematischen Untersuchung<br />
des Einflusses des Vertrauens zum Vorgesetzten auf das Leistungsverhalten einzelner<br />
MitarbeiterInnen (vertragliche Arbeitsleistung, Extra-Rollenverhalten). Insbesondere<br />
sollen die vermittelnden Mech<strong>an</strong>ismen dieser Beziehung untersucht werden unter<br />
dem Blickwinkel, dass Vertrauen etwa soziale Tr<strong>an</strong>saktionskosten in der Zusammenarbeit<br />
reduziert. Damit liefert die Studie erstmalig eine systematische Überprüfung<br />
der zugrundeliegenden Mech<strong>an</strong>ismen der oftmals postulierten Leistungseffekte des<br />
Vertrauens zu Vorgesetzten.<br />
2. Theoretische Basis und verwendete Methoden<br />
Die vorliegende Arbeit systematisiert zunächst bestehende Ansätze zum interpersonellen<br />
Vertrauen in Org<strong>an</strong>isationen. Auf Basis der Literatur<strong>an</strong>alyse wird ein intentionales<br />
Vertrauenskonzept in einem ersten Schritt theoretisch hergeleitet (Vertrauen<br />
wird als Verhaltensintention in Anlehnung <strong>an</strong> die Theorie überlegten H<strong>an</strong>delns<br />
aus der Einstellungsforschung verst<strong>an</strong>den; Frey/Stahlberg/Gollwitzer, 1993) und in<br />
einem zweiten Schritt empirisch überprüft. Dabei wird der Rahmen der Theorie überlegten<br />
H<strong>an</strong>delns durch die explizite Untersuchung von Einflussfaktoren des Vertrauens,<br />
die nicht kognitiver Natur sind wie etwa Stimmungen oder die Qualität der Beziehung<br />
zu Vorgesetzten, erweitert.<br />
Empirisch überprüft wurden die direkten Wirkung des Vertrauens zum Vorgesetzten<br />
auf das Leistungsverhalten der MitarbeiterInnen (vertragliche Arbeitsleistung,<br />
Extra-Rollenverhalten wie z.B. Unterstützung von Kollegen, Einreichen von Verbesserungsvorschlägen)<br />
sowie die indirekten Wirkungen (vermittelt über die Variablen<br />
subjektives Wohlbefinden in der Arbeit, Senkung der sozialen Tr<strong>an</strong>saktionskosten,<br />
vermehrte Anstrengung und Wahrnehmung erweiterter Tätigkeitsspielräume). Dazu<br />
wurden MitarbeiterInnen aus 14 Verwaltungsabteilungen eines in Europa operierenden<br />
Großunternehmens (n=225) per Fragebogen untersucht (der Fragebogen wurde in<br />
einer umf<strong>an</strong>greichen Vorstudie entwickelt). Die statistischen Analysen wurden mit<br />
Strukturgleichungsmodellen berechnet.<br />
3. Ergebnisse der Untersuchung<br />
Auf Basis einer kritischen Betrachtung bestehender Ansätze interpersonellen<br />
Vertrauens in Org<strong>an</strong>isationen wurde in Anlehnung <strong>an</strong> Mayer et al. (1995) ein Modell<br />
des Vertrauens zum Vorgesetzten und seiner Einflussfaktoren entwickelt und empirisch<br />
überprüft, das zwischen Vertrauen, seinen Einflussfaktoren und Konsequenzen
472 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
unterscheidet. Faktoren<strong>an</strong>alysen im Rahmen von Strukturgleichungsmodellen (latente<br />
Variablen) lieferten Belege für das intentionale Vertrauenskonzept. Ferner gel<strong>an</strong>g die<br />
valide Unterscheidung des Vertrauens zum Vorgesetzten von seinen dispositionellen<br />
(Vertrauensneigung), sozial-motivationalen (Qualität der Austauschbeziehung zum<br />
Vorgesetzten), kognitiven (wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit) sowie affektiven<br />
(Stimmungen gegenüber dem Vorgesetzten) Einflussfaktoren. Insbesondere die Vielfalt<br />
der Konzepte zur wahrgenommenen Vertrauenswürdigkeit des Vorgesetzten ließ<br />
sich bündeln und vereinfachen. Mithilfe multipler Regressionsrechnung (latente Variablen)<br />
konnte gezeigt werden, dass die <strong>an</strong>genommenen Einflussfaktoren das Ausmaß<br />
des Mitarbeitervertrauens zum Vorgesetzten tatsächlich bestimmten. Zusammengenommen<br />
ließen sich somit erste Belege für die Validität des Modells des Vertrauens<br />
zum Vorgesetzten und seiner Einflussfaktoren feststellen.<br />
„Does trust matter?“ fragen Zaheer et al. (1998, 141) pointiert. Während bei<br />
Dirks (1999) das Vertrauen nicht in Beziehung zu Leistungsindikatoren st<strong>an</strong>d, ergaben<br />
sich in der vorliegenden Studie moderate Zusammenhänge zwischen Vertrauen<br />
und Leistungsverhalten. Die Daten unterstützen ein Modell, in dem sowohl direkte<br />
Effekte des Vertrauens zum Vorgesetzten (Vertrauen Leistungsverhalten) als auch<br />
indirekte Effekte über die vier <strong>an</strong>genommenen vermittelnden Variablen (subjektives<br />
Wohlbefinden in der Arbeit, Senkung der sozialen Tr<strong>an</strong>saktionskosten, vermehrte<br />
Anstrengung und Wahrnehmung großer Tätigkeitsspielräume; Vertrauen zum Vorgesetzten<br />
vermittelnde Variablen Leistungsverhalten) eine Rolle spielen. Die Ü-<br />
berprüfung einzelner Beziehungen zwischen den Variablen verdeutlichte, dass nur<br />
Anstrengung als vermittelnder Mech<strong>an</strong>ismus fungierte, und zwar mit Blick auf die<br />
Beziehung zwischen Vertrauen zum Vorgesetzten und Extra-Rollenverhalten. Das<br />
heißt, vertraut der Mitarbeiter seinem Vorgesetzten, so strengt er sich stärker <strong>an</strong>, was<br />
wiederum dazu führt, dass der Mitarbeiter ausgeprägteres Extra-Rollenverhalten zeigt<br />
(z.B. mehr Verbesserungsvorschläge macht). Somit ließ sich Anstrengung als der<br />
zentrale vermittelnde Mech<strong>an</strong>ismus der Effekte des Vertrauens zum Vorgesetzten auf<br />
das Leistungsverhalten der Mitarbeiter identifizieren.<br />
Für Unternehmen empfiehlt sich deshalb, verstärkt Maßnahmen zur Förderung<br />
des Vertrauens zum Vorgesetzten einzusetzen, die nicht auf direkte Leistungseffekte<br />
abzielen, sondern die in einer ersten Phase zunächst das Erleben der Arbeit (subjektives<br />
Wohlbefinden in der Arbeit, Wahrnehmung erweiterter Tätigkeitsspielräume) und<br />
die Qualität der Arbeitsprozesse (Senkung sozialer Tr<strong>an</strong>saktionskosten, vermehrte<br />
Anstrengung) positiv beeinflussen. Zeitlich versetzt können sich hier<strong>an</strong> <strong>an</strong>schließend<br />
positive Leistungseffekte – vermittelt über das Erleben der Arbeit und die Qualität<br />
der Arbeitsprozesse – einstellen. Als Maßnahmen zur Förderung des Vertrauens zum<br />
Vorgesetzten sollten Führungskräfte auf ihre Vertrauenswürdigkeit achten, indem sie<br />
als Vorbild fungieren, faire Verfahrensweisen beherzigen und MitarbeiterInnen <strong>an</strong><br />
Entscheidungen sowie <strong>an</strong> deren Umsetzung teilhaben lassen. Zudem k<strong>an</strong>n in Selbstm<strong>an</strong>agementtrainings<br />
die Wahrnehmung von (kritischen) Stimmungen bei Mitarbeitern<br />
geschult werden.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 473<br />
4. Weiterführende oder noch offene Fragen<br />
Neben der Überprüfung des intentionalen Vertrauensmodells im Längsschnitt<br />
sollte die Wirkung der identifizierten Mediatoren in <strong>an</strong>deren Kontexten wie z.B. in<br />
Verh<strong>an</strong>dlungssituationen oder virtuellen Teams überprüft werden.<br />
Literatur<br />
Dirks, K.T. (1999): The effects of interpersonal trust on work group perform<strong>an</strong>ce. In: Journal of<br />
Applied Psychology, 84, 445-455.<br />
Frey, D./Stahlberg, D./Gollwitzer, P.M. (1993): Einstellung und Verhalten: Die Theorie überlegten<br />
Verhaltens und die Theorie gepl<strong>an</strong>ten Verhaltens. In: D. Frey & M. Irle (Hrsg.): Theorien der<br />
Sozialpsychologie, B<strong>an</strong>d 1: Kognitive Theorien. Bern: Huber, 361-398.<br />
Mayer, C.R./Davis, J.H./Schoorm<strong>an</strong>, F.D. (1995): An integrative model of org<strong>an</strong>izational trust. In:<br />
Academy of M<strong>an</strong>agement Review, 20, 709-734.<br />
Tyler, T.R./Kramer, R.M. (1996): Whither Trust? In: R. Kramer & T. Tyler (eds.): Trust in org<strong>an</strong>izations,<br />
London: Sage, 1-15.<br />
Evelin Dietrich<br />
Werte und Wertew<strong>an</strong>del in gesellschaftlichen Tr<strong>an</strong>sformationsprozessen<br />
– dargestellt am Beispiel Führungskräfte* <br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Rainhart L<strong>an</strong>g, Technische Universität<br />
Chemnitz<br />
1. Problemstellung und Ziele<br />
Seit Beginn des Tr<strong>an</strong>sformationsprozesses wurde es möglich, das Thema der<br />
Werte unter den Bedingungen gravierender gesellschaftlicher Umbrüche zu untersuchen.<br />
Die beobachtbaren Veränderungen in Ostdeutschl<strong>an</strong>d wurden dabei sehr zeitig<br />
als grundlegender Wertew<strong>an</strong>del eingeordnet. Bei der Betrachtung theoretischer und<br />
empirischer Forschungsarbeiten fällt jedoch auf, dass die Analyse des Wertew<strong>an</strong>dels<br />
der wirtschaftlichen Akteure in Ostdeutschl<strong>an</strong>d überwiegend erst nach 1990 beg<strong>an</strong>n<br />
und auf dieser Basis oftmals eine stereotype Kategorisierung der ostdeutschen Akteure<br />
erfolgte. Es wird kaum unterschieden zwischen dem Wertew<strong>an</strong>del, der sich bereits<br />
innerhalb der Entwicklungsetappen der DDR vollzog und durch die neuen Rahmenbedingungen<br />
offenkundig wird, und dem Prozess der Wertetr<strong>an</strong>sformation, der durch<br />
die deutsche Wiedervereinigung eingeleitet wurde und seine spezifische Ausprägung<br />
<br />
Evelin Dietrich: Werte und Wertew<strong>an</strong>del in gesellschaftlichen Tr<strong>an</strong>sformationsprozessen dargestellt<br />
am Beispiel Führungskräfte. Schriftenreihe: Arbeit, Org<strong>an</strong>isation und Personal im<br />
Tr<strong>an</strong>sformationsprozess, herausgegeben von R. L<strong>an</strong>g, C. Baitsch, P. Pawlowsky, Bd. 20,<br />
ISBN 3-87988-730-6, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, München u. Mering 2003, 268 S., € 24,80.
474 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
durch die Art und Weise des Vereinigungsprozesses erhält. Auch die Annahmen über<br />
Werte und deren W<strong>an</strong>del im real existierenden Sozialismus sind sehr widersprüchlich<br />
und die unterschiedlichen Traditionen der Werteforschung werden weitestgehend ignoriert.<br />
Ziel dieser Arbeit ist, die individuellen Werte und Prozesse des Wertew<strong>an</strong>dels<br />
der Leiter/Führungskräfte, die in der DDR eine besondere Stellung einnahmen und im<br />
Tr<strong>an</strong>sformationsprozess als wichtige wirtschaftliche Akteure <strong>an</strong>gesehen werden können,<br />
systemübergreifend zu <strong>an</strong>alysieren. Wesentliche Fragestellungen dabei sind:<br />
Welche individuellen Werte waren bei den Leitern in der DDR vorh<strong>an</strong>den und<br />
welche Werteentwicklungen haben sich bei dieser Gruppe bereits in der DDR vollzogen?<br />
Wie veränderten sich die individuellen Werte der ostdeutschen Führungskräfte<br />
im Verlauf des Tr<strong>an</strong>sformationsprozesses?<br />
Welche Wertveränderungen der Gruppe der Leiter/Führungskräfte sind Ende der<br />
neunziger Jahre im Vergleich zum Ende der achtziger Jahre feststellbar?<br />
2. Aufbau der Arbeit<br />
Den Ausg<strong>an</strong>gspunkt der Arbeit bildet eine Analyse der Ergebnisse der Werteforschung<br />
im Tr<strong>an</strong>sformationsprozess und die Herausarbeitung einer Vielzahl von<br />
allgemeinen, strukturellen und methodischen Defiziten des Forschungsfeldes sowie<br />
von Problemen einer systemübergreifenden Betrachtung der Werte und des Wertew<strong>an</strong>dels<br />
(Abschn. A). Im Anschluss erfolgt ein Blick auf die Definitionen des Begriffs<br />
„Wert“ und ein Vergleich der Wertauffassungen aus der Sicht verschiedener<br />
Wissenschaftsdisziplinen in Ost- und Westdeutschl<strong>an</strong>d (Abschn. B). Im Abschnitt C<br />
wird, ausgehend davon, dass der Systemw<strong>an</strong>del von der Pl<strong>an</strong>- zur Marktwirtschaft ein<br />
Veränderungsprozess ist, der sowohl die gesellschaftliche, die org<strong>an</strong>isationale als<br />
auch die individuelle Ebene berührt (vgl. Abbildung 1), die Entstehung und Veränderung<br />
von Werten, die zentrale Bedeutung individueller Werte und der Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
gesellschaftlicher und individueller Wertsysteme dargestellt; Dimensionen und<br />
Tendenzen des Wertew<strong>an</strong>dels werden aufgezeigt. Mit Hilfe von Exkursen sowie eines<br />
Anh<strong>an</strong>gs werden die jeweiligen Spezifika in der DDR bzw. im Tr<strong>an</strong>sformationsprozess<br />
betrachtet. Im empirischen Teil der Arbeit (Abschn. D) wird zunächst die methodische<br />
Vorgehensweise diskutiert. D<strong>an</strong>ach werden die Befunde aus zwölf empirischen<br />
Studien – fünf davon aus der Zeit vor der Wende – vorgestellt. Die Zusammenstellung<br />
und Interpretation der Befunde erfolgt entl<strong>an</strong>g der o. g. Fragestellungen vor<br />
dem Hintergrund der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen in Ostdeutschl<strong>an</strong>d<br />
und der H<strong>an</strong>dlungskontexte der Führungskräfte (vgl. Abb. 1). Den Abschluss<br />
der Arbeit bildet Abschnitt E, in dem die Ergebnisse kritisch hinterfragt und<br />
offene Probleme sowie mögliche Anknüpfungspunkte für die Praxis aufgezeigt werden.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 475<br />
Abb. 1: Ebenen des Tr<strong>an</strong>sformationsprozesses 1<br />
Gesellschaft<br />
(Subsysteme, Strukturen,<br />
Kulturen)<br />
Werte und Wertsysteme<br />
Unternehmen<br />
(Br<strong>an</strong>che, Umfeld, Kultur,<br />
Struktur)<br />
Werte und Wertsysteme<br />
Individuum<br />
(Sozialisation, Persönlichkeit,<br />
Identität, Rollen, Verhalten,<br />
Zufriedenheit)<br />
Werte und Wertsysteme<br />
3. Ausgewählte Ergebnisse der Untersuchung<br />
Beim Vergleich der Wertauffassungen werden Unterschiede sichtbar, z.B. dass<br />
die Werteforschung West den Begriff inhaltlich breiter und differenzierter fasst als<br />
die Werteforschung Ost und von den Forschern Ost bei der Interpretation ihrer Forschungsergebnisse<br />
der ideologische Aspekt besonders zu beachten war, und Gemeinsamkeiten,<br />
z.B. dass Werte über Sozialisationsprozesse erworben werden, ein wesentliches<br />
Kriterium der Persönlichkeit sind und immer ein subjektives Moment enthalten,<br />
Best<strong>an</strong>dteil einer Kultur sind und unterschiedlichen Wertebereichen zugeordnet<br />
werden können.<br />
Aus der differenzierten und detaillierten Beschreibung der Werte und des Wertew<strong>an</strong>dels<br />
der Leiter in der DDR und der ostdeutschen Führungskräfte im Tr<strong>an</strong>sformationsprozess<br />
sowie systemübergreifender Tendenzen erscheint besonders interess<strong>an</strong>t:<br />
In der DDR kam es Ende der siebziger Jahre zu einer Aufwertung der Werte<br />
Freizeit und Einkommen und einer Abwertung des Wertes Qualifizierung und Entwicklungsmöglichkeiten.<br />
In den achtziger Jahren nahm die Einkommensorientierung<br />
ab. Unverändert hoch blieb die Wichtigkeit der Familie, einer interess<strong>an</strong>ten Arbeitstätigkeit<br />
und guter kollektiver Beziehungen. Die tradierten sozialen Werte wie Kollektivgeist,<br />
Gemeinschaftsleben und das Engagement für den Betrieb behielten eine hohe<br />
Bedeutung. Die Zunahme einer kritischen Haltung war besonders auf die Faktoren<br />
des Systems gerichtet, durch welche eine selbständige, kontinuierliche und pl<strong>an</strong>mäßige<br />
Arbeit verhindert wurde. Durch die Verbesserungen im sozialpolitischen Bereich<br />
1 Die Ebenen sind durch Prozesse der Institutionalisierung und Sozialisierung sowie des individuellen<br />
und kollektiven H<strong>an</strong>delns verbunden. Die Werte in Org<strong>an</strong>isationen sind in das kulturelle<br />
Muster der jeweiligen Gesellschaft eingebettet, Best<strong>an</strong>dteil der Unternehmenskultur und<br />
nehmen neben <strong>an</strong>deren Faktoren Einfluss auf Strukturen und Verhalten in Org<strong>an</strong>isationen. Individuelle<br />
Werte sind Ergebnis verg<strong>an</strong>gener Sozialisationsumwelten der DDR und der DDR-<br />
Betriebe und in der Biografie der Führungskräfte ver<strong>an</strong>kerte Erfahrungen, die von aktuellen<br />
Erfahrungen beeinflusst werden. Den Werten kommt jeweils konstituierende Bedeutung für<br />
die Systeme und Strukturen zu; zugleich sichern die Strukturen zumindest tendenziell die Reproduktion<br />
und damit eine relative Stabilität der Wertmuster.
476 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
gel<strong>an</strong>g es in den achtziger Jahren kaum noch, die Wertentwicklung maßgeblich zu<br />
beeinflussen.<br />
Im Tr<strong>an</strong>sformationsprozess nahm bei den arbeitsbezogenen Werten die Wichtigkeit<br />
der national-, sozial-, leistungs-, einkommens- und aufstiegsorientierten Werte<br />
ab. Wichtiger wurden die familien- und freizeitorientierten Werte. Bei den sog. allgemeinen<br />
Werten (Pflicht-, Akzept<strong>an</strong>z- und Selbstentfaltungswerte) verlief der Wertew<strong>an</strong>del<br />
bei den Führungskräften der mittleren Altersgruppe als Werteverlust. Besonders<br />
stark <strong>an</strong> Bedeutung verloren haben dabei die Selbstentfaltungswerte. Für die<br />
älteren Führungskräfte wurden die Pflicht- und Akzept<strong>an</strong>zwerte wichtiger. Bei den<br />
jüngeren Führungskräften f<strong>an</strong>d bei den Selbstentfaltungswerten eine Wertsynthese<br />
bei gleichzeitiger Bedeutungszunahme der Pflicht- und Akzept<strong>an</strong>zwerte statt.<br />
Systemübergreifend ist bei den Pflicht-, Akzept<strong>an</strong>z- und Selbstentfaltungswerten<br />
als Wertegruppen eine hohe Stabilität erkennbar. Im Arbeitsbereich nahm die Wichtigkeit<br />
kollektivistischer Werte ab und es erfolgte eine Umorientierung in der sozialen<br />
Ausrichtung. Die Betriebsverbundenheit ist nach wie vor stark ausgeprägt.<br />
4. Weiterführende und noch offene Fragen<br />
Kritisch <strong>an</strong>gemerkt werden muss, dass bei der Interpretation der Daten als Wertew<strong>an</strong>del<br />
die Veränderungen nach Skalenpunkten teilweise sehr geringfügig sind und<br />
sich der Wertew<strong>an</strong>del, der aus einem vom Prob<strong>an</strong>den <strong>an</strong>ders interpretierten Bezug<br />
aufgrund der systemspezifisch unterschiedlichen Konkretisierung und Spezifizierung<br />
normativer Werte, wie z.B.: Gleichbeh<strong>an</strong>dlung, Selbstverwirklichung, Demokratie<br />
und der bereichsbezogenen Thematisierung resultieren könnte, <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d des ausgewerteten<br />
Datenmaterials nicht nachweisen lässt.<br />
Weiterführende Erkenntnisse könnten durch die stärkere Offenlegung der Referenzsysteme<br />
und Bezugspunkte der Werte bei der Interpretation der Daten, Forschungen<br />
zur Ver<strong>an</strong>kerung der normativen Wertmuster der Gesellschaft in den individuellen<br />
Wertstrukturen, die Einbeziehung und Verknüpfung qualitativer und qu<strong>an</strong>titativer<br />
Daten und die Ansätze einer kulturvergleichenden Wertew<strong>an</strong>delsforschung gewonnen<br />
werden.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 477<br />
Nicola Struß<br />
Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement – Eine empirische Analyse<br />
innovativer Wachstumsunternehmen *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Je<strong>an</strong>-Paul Thommen, Europe<strong>an</strong> Business<br />
School, Oestrich-Winkel<br />
1. Problemhinführung<br />
Führungskräfte agieren heute nicht mehr allein, sondern sie steuern im Rahmen<br />
von M<strong>an</strong>agementteams die unternehmerischen Prozesse. Die Teams unterliegen als<br />
zentrale int<strong>an</strong>gible Unternehmensressource Veränderungen im Zeitablauf, die vor<br />
dem Hintergrund der Sicherung unternehmerischer Führungskontinuität kritisch zu<br />
betrachten sind. Die personellen Veränderungen der M<strong>an</strong>agementteams in Form von<br />
Führungswechseln werden in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt. Während<br />
die Wirkungen des Wechsels in der Unternehmensführung in der wissenschaftlichen<br />
Literatur bereits thematisiert wurde, sind die Ursachen, die zu einem Führungswechsel<br />
im M<strong>an</strong>agement führen, bisl<strong>an</strong>g weitgehend unbeleuchtet. Die Studie fragt nach<br />
den Ursachen, die zu einem Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement führen.<br />
Die empirische Analyse verfolgt dabei das Ziel, den Kenntnisst<strong>an</strong>d über die Determin<strong>an</strong>ten<br />
des Führungswechsels in M<strong>an</strong>agementteams innovativer Wachstumsunternehmen<br />
zu erweitern. Die wichtigsten Subziele bestehen in der Ermittlung relev<strong>an</strong>ter<br />
Einflussfaktoren auf den Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement, deren Systematisierung<br />
und der Analyse des Zusammenh<strong>an</strong>ges zwischen den Strukturen des M<strong>an</strong>agementteams<br />
und den Führungswechseln in innovativen Wachstumsunternehmen. Zu<br />
diesem Zweck werden idealtypische Formen des Führungswechsels, das Ausscheiden<br />
von Teammitgliedern sowie die Erweiterung des Teams um neue Mitglieder, abgeleitet.<br />
Neben der Erklärung potenzieller Zusammenhänge zwischen den Variablen der<br />
Teamstrukturen und dem Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement wird <strong>an</strong>gestrebt, <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d<br />
der ermittelten empirischen Befunde Implikationen für die Unternehmenspraxis zu<br />
formulieren.<br />
2. Theoretischer Zug<strong>an</strong>g zur Untersuchung<br />
Auf Basis der Struktur<strong>an</strong>alyse und des Resource-based View werden in der Arbeit<br />
Teamstrukturen im M<strong>an</strong>agement <strong>an</strong>alysiert und potenzielle Einflussfaktoren auf<br />
den Führungswechsel herausgearbeitet. Um sich der Bestimmung und Analyse der<br />
*<br />
Nicola Struß: Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement – Eine empirische Analyse innovativer<br />
Wachstumsunternehmen. ebs Forschung – Schriftenreihe der Europe<strong>an</strong> Business School,<br />
Schloß Reichartshausen, hrsg. von K.-W. Schulte, Bd. 42. ISBN 3-8244-0692-6, Deutscher-<br />
Universitäts-<strong>Verlag</strong>, Wiesbaden 2003, 338 S., € 54,90.
478 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Einflussfaktoren des Führungswechsels im M<strong>an</strong>agement innovativer Wachstumsunternehmen<br />
<strong>an</strong>zunähern, wird das Phänomen des Führungswechsels aus der Perspektive<br />
des Resource-based View betrachtet. Der Resource-based View weist auf die Relev<strong>an</strong>z<br />
und Bedeutung der Hum<strong>an</strong>ressourcen insbesondere der Ressourcen des M<strong>an</strong>agements<br />
für die l<strong>an</strong>gfristige Unternehmensentwicklung hin. Gezeigt wird, dass aus<br />
dem Pool der Hum<strong>an</strong>ressourcen des Unternehmens die Fähigkeiten, Fertigkeiten und<br />
das Wissen der Führungskräfte in Form eines M<strong>an</strong>agementteams („Team of Resources“)<br />
zusammengeführt werden können. Aus der Perspektive des Resource-based<br />
View werden Veränderungen der M<strong>an</strong>agementteams <strong>an</strong>alysiert und erste Hinweise<br />
auf mögliche Determin<strong>an</strong>ten des Führungswechsels abgeleitet.<br />
Aufbauend auf diesen Überlegungen wird die Struktur<strong>an</strong>alyse zur Identifikation<br />
einzelner Teamstrukturen im M<strong>an</strong>agement her<strong>an</strong>gezogen. Ausgehend von der<br />
Systematisierung der sozialtheoretischen Strukturbegriffe wird ein mehrdimensionales<br />
Modell der Struktur<strong>an</strong>alyse entwickelt. Die Differenzierung der Teamstruktur<br />
des M<strong>an</strong>agementteams in die Dimensionen der Kommunikations-, der Aufgabenund<br />
Rollenstruktur, des Status und der Machtstruktur sowie der Affektstruktur ermöglicht<br />
die Analyse und Systematisierung potenzieller Einflussfaktoren des Führungswechsels<br />
im M<strong>an</strong>agement.<br />
3. Untersuchungsdesign<br />
Das Forschungsziel der Untersuchung besteht darin, Charakteristika der M<strong>an</strong>agementteams<br />
innovativer Wachstumsunternehmen aufzuzeigen, wesentliche Determin<strong>an</strong>ten<br />
ihrer Strukturen zu erklären und mögliche Einflussfaktoren auf den Führungswechsel<br />
im M<strong>an</strong>agement abzuleiten. Ziel ist es, diese Variablen auf Basis verschiedener<br />
theoretischer Ansätze zu erläutern, sie in Form von Hypothesen abzufassen<br />
und empirisch zu prüfen. Eine umf<strong>an</strong>greiche Literatur<strong>an</strong>alyse sowie eine Expertenstudie<br />
mit Vorständen und Beratern innovativer Wachstumsunternehmen bilden<br />
die Datengrundlage zur Hypothesengenerierung der Untersuchung. Die Aggregation<br />
der Befunde der Literatur<strong>an</strong>alyse und der Experteninterviews führt zu einer Auswahl<br />
von 21 Merkmalen, denen ein bedeutender Einfluss auf den Führungswechsel im<br />
M<strong>an</strong>agement innovativer Wachstumsunternehmen zugeschrieben wird.<br />
Ein Bezugsrahmen wird entwickelt, der die einzelnen Determin<strong>an</strong>ten des Führungswechsels<br />
systematisiert. Der Bezugsrahmen der Untersuchung stellt die zur<br />
Erklärung des Führungswechsels im M<strong>an</strong>agement innovativer Wachstumsunternehmen<br />
her<strong>an</strong>gezogenen Variablen und ihre Verkettungen schematisch dar. Zu den<br />
getroffenen Annahmen über die Beziehungszusammenhänge und Wirkungsrichtungen<br />
der Faktoren auf den Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement werden Hypothesen<br />
abgeleitet. Die Reflexion der Ergebnisse der Literaturfeld<strong>an</strong>alyse und Expertenstudie<br />
ermöglicht die Formulierung von 21 Forschungshypothesen, die sich auf die Erfassung<br />
des Zusammenh<strong>an</strong>ges zwischen den möglichen Determin<strong>an</strong>ten und dem<br />
Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement konzentrieren.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 479<br />
4. Empirische Untersuchung<br />
Das Hypothesensystem wird in einer Fragebogenerhebung in innovativen<br />
Wachstumsunternehmen überprüft. Die Autorin liefert eine Vollerhebung von 342<br />
deutschen, börsennotierten Aktiengesellschaften im Sommer 2001. Die Charakteristika<br />
des Führungswechsels und relev<strong>an</strong>te Determin<strong>an</strong>ten des Führungswechsels werden<br />
in der schriftlichen Befragung bestimmt. Befragt werden die Vorst<strong>an</strong>dsvorsitzenden<br />
bzw. Fin<strong>an</strong>zvorstände der Unternehmen des Börsensegmentes Neuer Markt der Deutschen<br />
Börse AG.<br />
Als Untersuchungsform wird eine Querschnitts<strong>an</strong>alyse der M<strong>an</strong>agementteams<br />
innovativer Wachstumsunternehmen eingesetzt, die als unechte Längsschnitts<strong>an</strong>alyse<br />
konzipiert wurde. Um den Aufbau und die Verständlichkeit des Fragebogens zu testen,<br />
wurde vorab ein Pre-Test durchgeführt. Ein Brutto-Rücklauf von 32,0% konnte<br />
erzielt werden. Abzüglich der Korrekturfaktoren entspricht dies einer Netto- Rücklaufquote<br />
von 30,3%. Vor dem Hintergrund der Befragungsintensität Neuer Markt-<br />
Unternehmen k<strong>an</strong>n sie als überdurchschnittlich gut <strong>an</strong>gesehen werden.<br />
5. Deskriptive Analyse und hypothesengeleitete Ergebnisdarstellung<br />
Die empirische Analyse – bestehend aus der deskriptiven Analyse und der hypothesengeleiteten<br />
Ergebnisdarstellung – erfolgt <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d strukturbeschreibender, strukturentdeckender<br />
und strukturüberprüfender statistischer Verfahren. Insgesamt werden<br />
21 Wirkungs- und Zusammenh<strong>an</strong>gshypothesen zu potenziellen Einflussfaktoren des<br />
Führungswechsels im M<strong>an</strong>agement innovativer Wachstumsunternehmen empirisch<br />
getestet. Anh<strong>an</strong>d von Signifik<strong>an</strong>ztests wird geprüft, ob die einzelnen Variablen Einfluss<br />
auf den Führungswechsel im M<strong>an</strong>agementteam der Unternehmen besitzen.<br />
Durch einen Mittelwertvergleich im Rahmen des t-Tests und der Vari<strong>an</strong>z<strong>an</strong>alyse<br />
können Unterschiede oder Gemeinsamkeiten in den Teams mit Führungswechsel und<br />
den Teams ohne Führungswechsel festgestellt werden. Weist eine unabhängige Variable<br />
im Rahmen der Hypothesentests einen signifik<strong>an</strong>ten Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem<br />
Führungswechsel auf, wird sie als Einflussfaktor auf den Führungswechsel positiv selektiert.<br />
Ist im Rahmen der statistischen Tests für eine Variable kein signifik<strong>an</strong>ter Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
feststellbar, scheidet sie als potenzieller Einflussfaktor aus. Die statistische<br />
Analyse der Wechselereignisse bestätigt 18 vermutete Wirkungszusammenhänge,<br />
für drei Variablen (Grundwerte, persönliche Abstimmung und Br<strong>an</strong>chenzugehörigkeit)<br />
k<strong>an</strong>n der Wirkungszusammenh<strong>an</strong>g nicht bestätigt werden.<br />
6. Resümee<br />
Die konzeptionelle Analyse und empirische Auswertung der Führungswechsel<br />
im M<strong>an</strong>agement verdeutlichen den St<strong>an</strong>d der Forschung für Wissenschaft und Praxis.<br />
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass es sich bei den Führungswechseln im<br />
M<strong>an</strong>agementteam um ein praxisrelev<strong>an</strong>tes Problem der Betriebswirtschaftslehre h<strong>an</strong>delt.<br />
Führungswechsel im M<strong>an</strong>agementteam innovativer Wachstumsunternehmen
480 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
werden durch eine Vielzahl von Faktoren signifik<strong>an</strong>t beeinflusst, die durch die Dimensionen<br />
des M<strong>an</strong>agementteams systematisiert werden können.<br />
Die Ergebnisse bestätigen dabei weitgehend die aus der Literatur sowie der Expertenstudie<br />
abgeleiteten Überlegungen zu den potenziellen Einflussfaktoren des<br />
Führungswechsels im M<strong>an</strong>agementteam. Einzelne Variablen der Teamstruktur des<br />
M<strong>an</strong>agements beeinflussen den Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement signifik<strong>an</strong>t. Ihnen<br />
ist bei der Zusammensetzung der M<strong>an</strong>agementteams und Gestaltung der Teamprozesse<br />
besonderes Augenmerk zu schenken. So wirkt die Zusammensetzung des M<strong>an</strong>agementteams<br />
signifik<strong>an</strong>t auf die Häufigkeit von Führungswechseln im M<strong>an</strong>agement<br />
innovativer Wachstumsunternehmen.<br />
Der empirische Teil der Arbeit stellt die Grundlage dar, praxisorientierte Aussagen<br />
über den Führungswechsel im M<strong>an</strong>agementteam abzuleiten. Die ermittelten Befunde<br />
sensibilisieren für ausgewählte Variablen der Teamstruktur des M<strong>an</strong>agements.<br />
Die empirischen Ergebnisse können als ein erster Schritt zur abschließenden Adressierung<br />
weiterer Einflussfaktoren des Führungswechsels betrachtet werden. In weiterführenden<br />
Zusammenh<strong>an</strong>gs<strong>an</strong>alysen können die identifizierten und <strong>an</strong>alysierten Determin<strong>an</strong>ten<br />
des Führungswechsels im M<strong>an</strong>agement geprüft und getestet werden. Für<br />
die unternehmerische Praxis können auf diese Weise valide Implikationen für die<br />
Steuerung und Konstitution der M<strong>an</strong>agementteams bzw. für den Umg<strong>an</strong>g mit den Determin<strong>an</strong>ten<br />
des Führungswechsels im M<strong>an</strong>agement formuliert werden. Insgesamt eröffnet<br />
sich ein komplexes Feld für weitere betriebswirtschaftliche Forschungsvorhaben.<br />
Der Themenkomplex „Führungswechsel in M<strong>an</strong>agementteams“ k<strong>an</strong>n daher noch<br />
keine abschließende Beurteilung erfahren. Die Forschungsergebnisse der Untersuchung<br />
tragen jedoch wesentlich zur Tr<strong>an</strong>sparenz der Beziehungszusammenhänge bei.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 481<br />
8. Unternehmensführung und -politik, M<strong>an</strong>agement und<br />
Innovation<br />
Georg Bonn<br />
Personalm<strong>an</strong>agement und Kreativität von Unternehmen.<br />
Der Einfluss von personalpolitischen Maßnahmen auf die<br />
Innovationsfähigkeit *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Rüdiger G. Klimecki, Universität Konst<strong>an</strong>z<br />
1. Problemhinführung<br />
Die Entwicklung von Unternehmen lässt sich immer weniger eindeutig kalkulieren,<br />
das Entscheidungsumfeld ist von einer Zunahme der Komplexität gekennzeichnet.<br />
Globalisierung und Digitalisierung haben die Welt entscheidend beschleunigt.<br />
Unternehmen vermögen ihre Lebensfähigkeit nur d<strong>an</strong>n l<strong>an</strong>gfristig zu sichern, wenn es<br />
ihnen gelingt, sich immer wieder aufs neue <strong>an</strong> die sich w<strong>an</strong>delnden Umwelt<strong>an</strong>forderungen<br />
<strong>an</strong>zupassen. In der Literatur wird mehrfach darauf hingewiesen, dass wegen<br />
dieser zunehmenden Unsicherheit es das Ziel der Unternehmen sein muss, ihren Mitarbeitern<br />
ein solches Arbeitsumfeld zu bieten, in dem ein kreatives Arbeiten möglich<br />
ist. Erst d<strong>an</strong>n, so wird argumentiert, k<strong>an</strong>n ein Unternehmen seine Hum<strong>an</strong>-Ressourcen<br />
optimal einsetzten und sich erfolgreich am Markt behaupten. Indem das M<strong>an</strong>agement<br />
durch personalpolitische Maßnahmen steuernd in die innerorg<strong>an</strong>isatorische Konstellation<br />
aus Org<strong>an</strong>isationsstruktur, Führungsstil oder interner Kommunikation eingreift,<br />
k<strong>an</strong>n es im Idealfall das kreative Klima der jeweiligen Unternehmen günstig beeinflussen.<br />
Mit dieser Arbeit wird erstmalig versucht, <strong>an</strong>lehnend <strong>an</strong> einen konzeptionellen<br />
Rahmen, das Kreativitätsklima im direkten Zusammenh<strong>an</strong>g zur Ausgestaltung der<br />
Personalpolitik zu messen. Es wurde im Rahmen einer empirischen Studie untersucht,<br />
wie sich das personalpolitische Strukturmuster eines Unternehmens auf das kreative<br />
Potential solcher Unternehmen auswirkt. Die zentralen Fragen der Untersuchung lauten:<br />
1. Gibt es einen Zusammenh<strong>an</strong>g zwischen der inhaltlichen Ausgestaltung der Personalpolitik<br />
und dem kreativen Klima eines Unternehmens?<br />
2. Gibt es einen Zusammenh<strong>an</strong>g zwischen dem kreativen Klima und dem Unternehmenserfolg?<br />
*<br />
Georg Bonn (2002): Personalpolitik und Kreativität von Unternehmen. Der Einfluss von personalpolitischen<br />
Maßnahmen auf die Innovationsfähigkeit. ISBN 3-8244-7676-2, DUV,<br />
Gabler Edition Wissenschaft, 262 Seiten, € 49,90.
482 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
2. Theoretische Basis der Arbeit:<br />
Entwicklungsorientiertes Personalm<strong>an</strong>agement<br />
Der Ansatz des entwicklungsorientierten Personalm<strong>an</strong>agements nach Klimecki<br />
und Gmür stellt eine konzeptionelle Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit Funktionen und Instrumenten<br />
der Personalarbeit dar. Es wird davon ausgeg<strong>an</strong>gen, dass in Unternehmen<br />
ständig Prozesse der Variation, Selektion und Retention ablaufen. Die vorh<strong>an</strong>denen<br />
Qualifikationen und Motivationen, deren Gesamtheit als die Ressource Personal definiert<br />
wird, verändern sich im Zeitverlauf unabhängig von bewussten Eingriffen durch<br />
das M<strong>an</strong>agement. Die Unternehmensführung k<strong>an</strong>n jedoch durch personalpolitische<br />
Maßnahmen Einfluss auf die evolutionären Teilprozesse (Variation, Selektion, Retention)<br />
nehmen.<br />
Damit k<strong>an</strong>n das M<strong>an</strong>agement steuernd in den evolutionären Veränderungsprozess<br />
von Motivationen und Qualifikationen eingreifen und somit das kreative Klima<br />
der jeweiligen Unternehmen günstig beeinflussen. Die in dieser Studie untersuchten<br />
Unternehmen befinden sich aufgrund ihrer Br<strong>an</strong>chenzugehörigkeit automatisch in einer<br />
komplexen Umwelt. Es geht in dieser Studie darum, wie das kreative Klima durch<br />
aktivierende und lenkende personalpolitische Maßnahmen beeinflusst werden k<strong>an</strong>n.<br />
3. Grundlagen für das Untersuchungsdesign<br />
Unter Berücksichtigung von Teilbereichen des bestehenden personalpolitischen<br />
Modells von Klimecki und Gmür (2001) und des Ansatzes zur Messung des kreativen<br />
Klimas von Amabile et al. (1996) wurde ein integrierter Ansatz entwickelt. Ausgehend<br />
von der Grund<strong>an</strong>nahme, dass die aktivierenden und lenkenden Maßnahmen von<br />
Personalpolitik Einfluss auf das kreative Klima von Unternehmen nehmen, wurden<br />
zwölf Forschungshypothesen, unterteilt in Aktivierungsleistung und Lenkungsleistung,<br />
im Hinblick auf das Kreativitätsniveau von Unternehmen formuliert. Ebenfalls<br />
wurde d<strong>an</strong>n für den zweiten Untersuchungsschritt eine weitere Hypothese zum vermuteten<br />
Zusammenh<strong>an</strong>g von kreativem Klima und dem Unternehmenserfolg verfasst.<br />
Die Arbeit prüfte durch mehrere multivariate Regressionsmodelle den Einfluss<br />
von aktivierenden und lenkenden personalpolitischen Maßnahmen auf den kreativen<br />
Prozess. In einem zweiten Untersuchungsschritt wurde der Zusammenh<strong>an</strong>g zwischen<br />
dem kreativen Klima und dem Unternehmenserfolg bivariat untersucht.<br />
4. Empirische Untersuchung<br />
Die Datenerhebung erfolgte im Rahmen einer schriftlichen Befragung einer<br />
Stichprobe von Unternehmen, die dem Typus des „knowledge intensive firm“ entsprachen.<br />
Da die Wertschöpfung in diesen Unternehmen nahezu vollständig durch<br />
Arbeitsleistungen und den Einsatz von Wissen entsteht, sollte der Einfluss personalpolitischer<br />
Maßnahmen hier besonders deutlich zum Ausdruck kommen. Auch weisen<br />
Betriebe dieser Br<strong>an</strong>chen, nicht zuletzt durch Globalisierungseffekte, ein hohes<br />
Maß <strong>an</strong> Umweltkomplexität auf. Aus Unternehmen der Br<strong>an</strong>chen Versicherungsgewerbe,<br />
Kreditgewerbe, Unternehmensberatung und Softwarehäuser wurde von der i-
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 483<br />
dentifizierten Grundgesamtheit für den deutschsprachigen Bereich (N = 1566) eine<br />
geschichtete Stichprobe von ca. 20 Prozent befragt.<br />
5. Ergebnisse<br />
Die Studie zeigt, dass der aktivierende personalpolitische Maßnahmenblock<br />
nach den empirischen Ergebnissen einen teilweisen Einfluss auf das kreative Klima<br />
von Unternehmen hat, wohingegen die lenkenden personalpolitischen Maßnahmen<br />
keinen Einfluss auf ein kreatives Klima zu haben scheinen. Die Arbeit hat weiterhin<br />
belegt, dass die drei Kontrollvariablen (Best<strong>an</strong>d, Umsatz und Mitarbeiter) einen erheblichen<br />
Zugewinn für die Modellqualität als G<strong>an</strong>zes sowie die Erklärungsmacht der<br />
einzelnen unabhängigen Variablen bedeuten.<br />
Die Ergebnisse der Untersuchung haben ebenfalls gezeigt, dass erstens die betriebliche<br />
Personalpolitik und somit die Gestaltung der Steuerung der „Hum<strong>an</strong> Resources“<br />
in der Tat einen empirisch messbaren, direkten Einfluss auf das kreative<br />
Klima eines Unternehmens haben, und dass zweitens ein solches Klima einen Einfluss<br />
auf den Unternehmenserfolg hat. Insbesondere scheint die Varietät der Qualifikationen<br />
der Mitarbeiter von Bedeutung zu sein.<br />
Es ist daher wichtig, dass die Personalarbeit eng in die strategische Unternehmensführung<br />
eingebunden wird und somit zu einem „strategischen Partner“ der Unternehmensführung<br />
wird. Ein Unternehmen, welches sich einer hochkomplexen Umwelt<br />
gegenübergestellt sieht, sollte sich ein möglichst breites Qualifikationspotential<br />
bzw. eine hohe Varietät <strong>an</strong> Qualifikationen mit Hilfe entsprechender personalpolitischer<br />
Interventionen schaffen. Die hier vorliegende Arbeit hat, auch unterstützt durch<br />
die empirischen Ergebnisse der Untersuchung, gezeigt, dass eine solche zukunftsorientierte<br />
M<strong>an</strong>agementphilosophie ein „gesundes“ kreatives Klima in einem Unternehmen<br />
fördern sollte, um die notwendige H<strong>an</strong>dlungsfähigkeit zu gewährleisten.<br />
Thomas Brönnim<strong>an</strong>n<br />
Corporate Govern<strong>an</strong>ce und die Org<strong>an</strong>isation des<br />
Verwaltungsrates *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Norbert Thom, Universität Bern<br />
1. Themengegenst<strong>an</strong>d<br />
Seit rund zehn Jahren ist Corporate Govern<strong>an</strong>ce (CG) als Oberbegriff für die<br />
Regelung der Unternehmensüberwachung und strategische Unternehmungsführung<br />
*<br />
Die Dissertation wird im Haupt <strong>Verlag</strong> Bern/Stuttgart/Wien erscheinen.
484 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
verstärkt Gegenst<strong>an</strong>d internationaler Forschungsbestrebungen der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften,<br />
wobei die juristische Sichtweise bis <strong>an</strong>hin dominiert. Ausgelöst<br />
wurde diese intensivierte CG-Diskussion durch Aufsehen erregende Konkurse<br />
und Insolvenzerklärungen verschiedenster Unternehmungen im <strong>an</strong>gelsächsischen und<br />
deutschsprachigen Raum, deren Spitzenorg<strong>an</strong>isationen und Überwachungsmech<strong>an</strong>ismen<br />
dem dynamisierten und globalisierten Wettbewerbsumfeld nicht genügend <strong>an</strong>gepasst<br />
waren. Schweizerische Großunternehmungen, die sich im internationalen Wettbewerbsumfeld<br />
behaupten müssen, sehen sich neuen Tr<strong>an</strong>sparenzforderungen hinsichtlich<br />
der Zusammensetzung und Org<strong>an</strong>isation ihrer Unternehmensspitze ausgesetzt.<br />
Von erheblicher Gestaltungsrelev<strong>an</strong>z für die Spitzenorg<strong>an</strong>isationen schweizerischer<br />
Aktiengesellschaften ist zudem das 1992 in Kraft getretene revidierte Aktienrecht,<br />
bei dem die Verbesserung der Struktur und Funktionswahrnehmung der Org<strong>an</strong>e,<br />
insbesondere des Spitzenorg<strong>an</strong>es Verwaltungsrat (VR), einen Kernpunkt darstellt.<br />
Die Rechts- und Machtverhältnisse der Spitzenorg<strong>an</strong>e sind nunmehr eindeutiger festgelegt<br />
2. Aufbau und Ziel der Arbeit<br />
Corporate Govern<strong>an</strong>ce ist ein komplexer, interdisziplinärer Begriff und ein noch<br />
junges Forschungsfeld, weshalb die theoretische Durchdringung und die Synthese unterschiedlichster<br />
Forschungsarbeiten noch nicht weit fortgeschritten sind. Dieser Umst<strong>an</strong>d<br />
erschwert es, einen g<strong>an</strong>zheitlichen Überblick über dieses facettenreiche Themengebiet<br />
zu gewinnen und einzelne CG-Beiträge einzuordnen. Das Ziel besteht deshalb<br />
darin, eine Übersichtsarbeit zu verfassen, welche den St<strong>an</strong>d der internationalen<br />
CG-Diskussion aufzeigt sowie Unterschiede und Gemeinsamkeiten diverser CG-<br />
Definitionen und -Verständnisse ersichtlich macht.<br />
Um die relev<strong>an</strong>ten Elemente und deren Beziehungen unterein<strong>an</strong>der aufzuzeigen,<br />
wird in der Arbeit das Instrument des konzeptionellen Bezugsrahmens verwendet.<br />
Dieser umfasst die Elemente Bedingungsgrößen, Aktionsparameter und Effektivitäts-<br />
/Effizienzkonzept. Die Rahmenbedingungen beschränken den H<strong>an</strong>dlungsspielraum<br />
für die spitzenorg<strong>an</strong>isatorischen Entscheidungsträger innerhalb einer Unternehmung.<br />
Besonders beachtet werden dabei die personellen Bedingungsgrößen. Bei den Aktionsparametern<br />
wird von den mittel- bis l<strong>an</strong>gfristig veränderbaren Größen Kultur,<br />
Strategie und Struktur ausgeg<strong>an</strong>gen, wobei die Struktur mit den org<strong>an</strong>isatorischen<br />
Größen Arbeitsteilung, Koordination und Konfiguration im Forschungsmittelpunkt<br />
steht. Beim Effektivitäts-/Effizienzkonzept wird ein Vorgehen gewählt, das auf Deduktionsschritten<br />
fußt. Der Ausg<strong>an</strong>gspunkt sind die ökonomisch-technische, die flexibilitätsorientierte<br />
und die individual-soziale Effizienzdimension. Die Effizienzkriterien<br />
stehen zwischen den Effizienzdimensionen und den Effizienzindikatoren, welche<br />
konkrete Messgrößen sind.<br />
Basierend auf einem praktisch-normativen Wissenschaftsverständnis geht der<br />
Verfasser davon aus, dass betriebswirtschaftliche Forschungstätigkeiten letztlich eine<br />
<strong>an</strong>forderungsgerechte Orientierungshilfe zur Bewältigung von Problemstellungen in<br />
der Praxis bieten sollen. Das vorr<strong>an</strong>gige praxisbezogene Projektziel besteht in der
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 485<br />
Ausarbeitung theoretisch und empirisch zumindest partiell abgestützter H<strong>an</strong>dlungsempfehlungen.<br />
Um dies zu erreichen, wird eine heuristische Vorgehensweise bei der<br />
spitzenorg<strong>an</strong>isatorischen Gestaltung <strong>an</strong>gestrebt.<br />
3. Untersuchungsmethoden<br />
Es wird in erster Linie eine <strong>an</strong>alytische Forschungsstrategie <strong>an</strong>gewendet. Zur Sicherstellung<br />
des Praxisbezuges werden zwei qualitative Untersuchungen durchgeführt.<br />
Auf eine qu<strong>an</strong>titative Erhebung wird verzichtet, da aufgrund des hohen Sensitivitätsgrades<br />
des Themengegenst<strong>an</strong>des der erreichbare Informationsgehalt (z.B. mittels<br />
st<strong>an</strong>dardisierter Fragebögen) als gering eingestuft wird. Im Vordergrund des empirischen<br />
Teils steht nicht eine fundierte Bestätigung von Hypothesen/Modellen, sondern<br />
die Identifizierung unterschiedlicher Elemente und der Zusammenhänge zwischen<br />
den einzelnen Elementen. Bei den Studien h<strong>an</strong>delt es sich einerseits um leitfadengestützte<br />
Experteninterviews und <strong>an</strong>dererseits um Fallstudien, bei welchen<br />
schweizerische Großunternehmungen hinsichtlich der Org<strong>an</strong>isation und Zusammensetzung<br />
der höchsten Entscheidungsgremien untersucht werden.<br />
Im Vordergrund der Expertengespräche steht die Erkennung von spezifischen<br />
Merkmalen, welche die CG-Situation der Schweiz kennzeichnen. Insgesamt wurden<br />
mit 13 Experten qualitative Interviews durchgeführt, wobei darauf Wert gelegt wurde,<br />
unterschiedliche Sichtweisen einzuf<strong>an</strong>gen, was sich besonders bei der Expertenauswahl<br />
akzentuiert. Bei den Fallstudien wäre grundsätzlich ein Methodenpluralismus<br />
möglich, da nicht-teilnehmende Beobachtungen (z.B. bei VR-Sitzungen), Dokumenten<strong>an</strong>alysen<br />
und Interviews durchgeführt werden könnten. Damit aber überhaupt<br />
eine Analyse bei einzelnen Unternehmungen möglich war, musste auf die Diskretionswünsche<br />
der 6 untersuchten Unternehmen eingeg<strong>an</strong>gen werden und so eine<br />
Beschränkung auf Interviews und die Analyse von Dokumenten erfolgen. Aus Diskretionsgründen<br />
k<strong>an</strong>n auch nur eine neutrale Darstellung der spitzenorg<strong>an</strong>isatorischen<br />
Ausgestaltungen erfolgen, was zu einem eher illustrativen Charakter der Fallstudien<br />
führt.<br />
4. Untersuchungsergebnisse und Ausblick<br />
Das theoretische Hauptziel der Arbeit ist die Erarbeitung eines konzeptionellen<br />
Bezugsrahmens mit den Größen Rahmenbedingungen, Aktionsparameter und Effektivitäts-/Effizienzkonzept<br />
für die oberste Unternehmensleitung als zentrale Gestaltungsträgerin.<br />
Als überblicksartige Ergebnisdarstellung können folgende Aspekte<br />
aufgezeigt werden:<br />
Rahmenbedingungen: Rechtliche Aspekte kristallisieren sich als die relev<strong>an</strong>testen<br />
generellen Rahmenbedingungen heraus. Die Eigen- und Fremdkapitalgeber sowie<br />
die externe Revisionsstelle sind die wichtigsten problemspezifischen Bedingungsgrößen.<br />
Bei den betrieblichen Rahmengrößen sind insbesondere der St<strong>an</strong>dort, die Rechtsform<br />
und die Fin<strong>an</strong>zstruktur zu erwähnen.
486 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Aktionsparameter: Bei der Arbeitsteilung ist besonders die Bildung von Ausschüssen<br />
zu beachten und bei der Koordination die Verwendung von Informationsund<br />
Anreizsystemen. Beim konfigurativen Aufbau der Unternehmensspitze ist die<br />
Gliederungstiefe weniger problembehaftet als die Gliederungsbreite, bei der die Anzahl<br />
VR-Mitglieder im Mittelpunkt steht. Bei der Ablauforg<strong>an</strong>isation sind Informationsprozesse<br />
zentral, die auch koordinative Wirkungen entfalten.<br />
Effektivitäts-/Effizienzkonzept: Die Unternehmenskontinuität stellt das Oberziel<br />
dar und zur Bewertung spitzenorg<strong>an</strong>isatorischer Lösungen ist ein mehrteiliger Effizienzkriterienkatalog<br />
zu verwenden. Das Bewertungsverfahren k<strong>an</strong>n mittels einer<br />
Nutzwert<strong>an</strong>alyse numerisch unterstützt werden.<br />
Die spitzenorg<strong>an</strong>isatorische Vorgehensweise, welche das praxisorientierte<br />
Hauptziel der Dissertation darstellt, gliedert sich in die vier Hauptphasen „Analyse<br />
des Problemfeldes und Vorbereitung der Gestaltung“, „VR-Zusammensetzung“,<br />
„Ausgestaltung der org<strong>an</strong>isatorischen Aktionsparameter“ sowie „Strukturauswahl, -<br />
implementation und -weiterentwicklung“. Bei dieser zeitlichen Einteilung h<strong>an</strong>delt es<br />
sich um eine idealtypische Ordnung, die im konkreten Fall u. U. mehrfach durchlaufen<br />
werden muss. Bei den personalwirtschaftlichen Aspekten ist auf die VR-Größe zu<br />
achten. Gruppentheoretische Überlegungen führen zur Vermutung, dass ein Team<br />
von mehr als sieben bis acht Personen keine effiziente Arbeitserfüllung mehr erlaubt<br />
und negative Gruppeneffekte vermehrt auftreten. Bei der VR-Zusammensetzung sind<br />
generelle Kriterien zu definieren, welche alle VR-Mitglieder zu erfüllen haben (z.B.<br />
Kommunikations-, Konfliktaustragungs- und Teamfähigkeit), gruppenbezogene Kriterien<br />
(z.B. Verhältnis zwischen In- und Ausländern) sowie personenbezogene Kriterien,<br />
welche Erfahrungen und Fähigkeiten widerspiegeln, die zumindest eines der<br />
VR-Mitglieder besitzen sollte.<br />
Für zukünftige Forschungsprojekte wäre die Durchführung von qu<strong>an</strong>titativen<br />
Studien ins Auge zu fassen. Diese würden die Gewinnung von Erkenntnissen erlauben<br />
(z.B. welche Kriterien bei der VR-Zusammensetzung tatsächlich verwendet werden),<br />
die mit einer begrenzten Anzahl von Untersuchungsobjekten nicht möglich<br />
sind. Freilich würde sich bei diesem Forschungsgebiet das Problem der Datenerhebung<br />
mit besonderer Schärfe zeigen.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 487<br />
Holger J. Dürrfeld<br />
Konzerngesellschaften effizient steuern. Eine entscheidungsprozessorientierte<br />
Analyse *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Macharzina, Universität<br />
Hohenheim<br />
1. Fragestellung der Untersuchung<br />
Setzen Konzernzentralen den von ihnen für die strategische Steuerung von<br />
Tochtergesellschaften definierten (De)Zentralisierungsgrad tatsächlich auch um? Die<br />
Relev<strong>an</strong>z dieser Thematik ergibt sich aus der Diskussion um effiziente Konzernstrukturen:<br />
Strebt die Konzernzentrale bspw. eine stark zentralisierte strategische Steuerung<br />
ihrer Gesellschaften <strong>an</strong>, k<strong>an</strong>n diese aber – möglicherweise auf Grund einer zu<br />
starken Entfernung von deren Geschäftssystemen – nicht (mehr) realisieren, führt<br />
dies im Gesamtkonzern zu Ineffizienzen. Erstens werden in der Konzernzentrale entsprechende<br />
Strukturen vorgehalten, die im Hinblick auf die strategische Steuerung<br />
der Gesellschaften kaum einen „Mehrwert“ erbringen, und zweitens müssen in den<br />
Konzerngesellschaften parallele Strukturen aufgebaut werden, die ihrerseits Ressourcen<br />
binden. Darüber hinaus k<strong>an</strong>n es in solchen Fällen bspw. auch zu Verzögerungen<br />
im Entscheidungsprozess oder sogar zu Demotivation und Blockadehaltungen kommen,<br />
wenn beide Org<strong>an</strong>isationseinheiten um eine Vormachtstellung ringen.<br />
Die hier besonders fokussierte Frage, wie Konzernzentralen bei der strategischen<br />
Steuerung von Konzerngesellschaften im Vergleich zum intendierten Verhalten tatsächlich<br />
agieren, berührt sowohl die Aspekte effizienter Konzernstrukturen und der<br />
Größe von Konzernzentralen, als auch die Diskussion um einen von der Zentrale zu<br />
schaffenden Mehrwert sowie die Analyse des realen Steuerungs- oder Führungsverhaltens<br />
im Konzern.<br />
Im Hinblick auf den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ergibt sich als vorr<strong>an</strong>giges<br />
Ziel der Arbeit die Tr<strong>an</strong>sformation von bisher überwiegend qualitativ beschreibenden<br />
Positionierungen des Steuerungs- oder Führungsverhaltens auf dem<br />
Kontinuum zwischen maximaler Zentralität und maximaler Dezentralität in qualitativ<br />
begründete und qu<strong>an</strong>titativ erfassbare Positionierungen. Dazu wird ein Prozessbewertungsmodell<br />
entwickelt, das Entscheidungsprozesse zwischen Zentrale und Dezentrale<br />
abbildet und es erlaubt, deren (De-)Zentralisationsgrade zu bestimmen. Besonderes<br />
Augenmerk soll dabei auf den Bereich koordinativer Steuerung gelegt werden, der<br />
bisher häufig als schwer zu fassender „Graubereich“ in der Mitte des Kontinuums<br />
vernachlässigt wird. Unter einer qualitativ begründeten Zentralitätsbewertung von<br />
Entscheidungsprozessen wird hier eine auf Basis theoretischer Erkenntnisse argumen-<br />
*<br />
Die Arbeit ist im Gabler <strong>Verlag</strong> erschienen, Wiesbaden 2003.
488 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
tierende Verteilung von Entscheidungsrechten zwischen Zentrale und Dezentrale verst<strong>an</strong>den.<br />
2. Theoretische Basis<br />
Das Effizienzkriterium einer Übereinstimmung von Steuerungsbedarf und Steuerungsverhalten<br />
wird mit Hilfe des Informationsverarbeitungs<strong>an</strong>satzes theoretisch<br />
begründet, indem der Steuerungsbedarf als Informationsverarbeitungsbedarf und das<br />
Steuerungsverhalten als Informationsverarbeitungskapazität der Org<strong>an</strong>isation interpretiert<br />
wird.<br />
Die Entwicklung des Prozessbewertungsmodells erfolgt auf Basis von Ansätzen<br />
aus der neuen Institutionenökonomie, mit deren Hilfe der Einfluss von Zentrale und<br />
Dezentrale im strategischen Entscheidungsprozess bestimmt wird. Eine auf solche<br />
Ansätze gestützte Prozessbewertung bietet sich <strong>an</strong>, da bei unterschiedlichen Informationsverteilungen<br />
im Konzern regelmäßig Abhängigkeitsverhältnisse, Informationsasymmetrien<br />
und Verhaltensspielräume entstehen, die den Analysegegenst<strong>an</strong>d der<br />
neuen Institutionenökonomie bilden. Die Prinzipal-Agenten-Theorie liefert vor allem<br />
Ansatzpunkte für die Bewertung von Informationsasymmetrien im Entscheidungsprozess<br />
zwischen Konzernzentrale und Konzerngesellschaft. Die Theorie der Verfügungsrechte<br />
ergänzt diese Sichtweise, indem Schritte im Entscheidungsprozess als<br />
Property Rights interpretiert werden, deren Verteilung wiederum Anhaltspunkte für<br />
Zentralitätsgrade von Entscheidungsprozessen gibt.<br />
3. Verwendete Methoden<br />
In der Arbeit wird eine qualitative Explorationsstrategie verfolgt, deren Ergebnisse<br />
zur Effizienz der strategischen Gesellschaftssteuerung im Konzern in Form von<br />
Hypothesen formuliert sind. Zwei Überlegungen haben zur Wahl dieser Forschungsstrategie<br />
geführt: Erstens konnte die Datenerhebung für den qu<strong>an</strong>titativen Teil auf<br />
Grund der Komplexität der Materie nur durch Experteninterviews erfolgen. Weiterhin<br />
wird mit der Analyse von Steuerungsbedarf und Steuerungsverhalten in Konzernzentralen<br />
ein bisher in der Betriebswirtschaft stark vernachlässigtes Thema aufgegriffen,<br />
für dessen detaillierte methodische Durchdringung ein eigener Ansatz entwickelt<br />
werden muss. Diese Vorgehensweise auf Basis qualitativer Daten – die erst im späteren<br />
Verlauf der Untersuchung zu einer qu<strong>an</strong>titativen Analyse führen – erstrebt das<br />
Ziel, erste Wirkungszusammenhänge zwischen Steuerungsbedarf und Steuerungsverhalten<br />
nachzuweisen sowie strukturierte Verhaltenstypen zu bilden.<br />
Im Rahmen der Entwicklung des Prozessbewertungsmodells konnten bestehende<br />
Ansätze zur Berücksichtigung der Entscheidungsvorbereitungsphase von strategischen<br />
Entscheidungsprozessen in Konzernen weiterentwickelt werden. Die qualitative<br />
Begründung der (De-)Zentralität von Entscheidungsprozessmustern und ihre Bewertung<br />
ermöglichte erstmals den Überg<strong>an</strong>g von einem nur beschreibenden Kontinuum<br />
zwischen Zentralität und Dezentralität auf ein qu<strong>an</strong>titativ bestimmtes. Die Entwicklung<br />
des Prozessbewertungsmodells auf Basis der neuen Institutionenökonomie
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 489<br />
stellt einen ersten Ansatz zur Modellierung von Entscheidungsprozessen und die Ü-<br />
bersetzung von qualitativen Bewertungen in qu<strong>an</strong>titative dar. Diese qu<strong>an</strong>titative Bewertung<br />
der Prozessverläufe ermöglicht die Definition fester Grenzen einer zentralen,<br />
koordinativen und dezentralen Steuerung oder Führung. Darauf aufbauend wurde der<br />
Abgleich zwischen Steuerungsbedarf und Steuerungsverhalten vorgenommen.<br />
4. Ergebnisse<br />
In der Arbeit wurden für jeden Konzern 29 Entscheidungen der strategischen<br />
Gesellschaftssteuerung untersucht. Diese wurden zu vier Entscheidungsfeldern gebündelt,<br />
die in einer Hierarchie abnehmender konzernstrategischer Relev<strong>an</strong>z stehen.<br />
Die Zusammenführung von Konzernen mit einem in den Entscheidungsfeldern ähnlichen<br />
Verhalten bei der strategischen Gesellschaftssteuerung führte zu einer Typbildung.<br />
Hierbei zeigte sich, dass Formen der koordinativen Steuerung in der Praxis<br />
sehr weit verbreitet sind und – in unterschiedlicher Intensität – bei allen Holdingkonzernen<br />
zu beobachten sind.<br />
Typische Ausprägungen bestehender Holdingkonzeptionen, bei denen die Ver<strong>an</strong>twortung<br />
für die strategische Gesellschaftssteuerung entweder voll im Bereich der<br />
Zentrale oder voll im Bereich der Dezentrale liegt, konnten nur in Ansätzen nachgewiesen<br />
werden. Im Hinblick auf Rollendefinitionen von Konzernzentralen bei der<br />
strategischen Steuerung von Konzerngesellschaften konnten bestehende Erkenntnisse<br />
dahingehend erweitert werden, dass ein zentrales, koordinatives oder dezentrales<br />
Steuerungs- oder Führungsverhalten nicht grundsätzlich durchgängig, sondern sogar<br />
überwiegend in Kombinationen <strong>an</strong>zutreffen ist. Die Abweichungs<strong>an</strong>alyse zwischen<br />
dem intendierten und dem realisierten Steuerungsverhalten zeigt bei den konzernindividuellen<br />
Steuerungseffizienzen große Unterschiede: Einerseits sind Konzerne<br />
nachzuweisen, deren strategische Gesellschaftssteuerung nahezu ohne Effizienzverluste<br />
erfolgt, bei <strong>an</strong>deren Konzernen entstehen im Gegensatz dazu sehr hohe Effizienzverluste,<br />
die sich zudem in allen Entscheidungsfeldern finden. Die Studie zeigt,<br />
dass im Hinblick auf die strategische Gesellschaftssteuerung effiziente Konzernstrukturen<br />
noch wenig verbreitet sind.<br />
Es konnte weiterhin festgestellt werden, dass mit zunehmender Streuung der<br />
Steuerungsprobleme über viele Entscheidungsfelder auch die durchschnittlichen<br />
Steuerungsineffizienzen innerhalb der Entscheidungsfelder zunehmen: Steuerungsoder<br />
Führungsprobleme haben somit eine Tendenz zur Selbstverstärkung! Für die<br />
ermittelten Konzerntypen ergaben sich mark<strong>an</strong>te Effizienzunterschiede. Zusammenfassend<br />
zeigt sich, dass die Gesamtsteuerungseffizienz der strategischen Gesellschaftssteuerung<br />
umso höher ist, je stärker die Konzernzentralen die Steuerung unterschiedlicher<br />
Entscheidungsfelder differenzieren oder spreizen<br />
5. Weiterführende Fragen<br />
Die Studie basiert auf 20 Experteninterviews und untersucht das Entscheidungsverhalten<br />
jeweils nur für eine Gesellschaft im Konzernverbund. Auf Grund dieser Da-
490 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
tenbasis enthält die Studie einen insgesamt explorativen Charakter, obgleich 574 Prozessverläufe<br />
<strong>an</strong>alysiert wurden, die im Hinblick auf mögliche existierende Prozessverläufe<br />
in der Praxis jedoch als repräsentativ <strong>an</strong>zusehen sind. Eine Ausweitung der<br />
Datenbasis zur empirischen Absicherung oder Weiterentwicklung der Ergebnisse ist<br />
ein wichtiges Aufgabengebiet künftiger Forschung. Neue Erkenntnisse sind auch dadurch<br />
zu gewinnen, dass neben der Sichtweise von Konzernzentralen auch die der<br />
Konzerngesellschaften (als Spiegelbild) in spezifische Untersuchungen einzubeziehen<br />
sind.<br />
Christina Hoon<br />
Reformen öffentlicher Verwaltungen –<br />
Ein Beitrag zur Strategieprozessforschung <br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. H.-G. Ridder, Universität H<strong>an</strong>nover<br />
1. Problemstellung<br />
Aktuelle Arbeiten zum St<strong>an</strong>d der Verwaltungsreform zeigen, dass die Reformbestrebungen<br />
häufig wenig nachhaltig verlaufen und nicht die beabsichtigten Wirkungen<br />
erzielen. Die Untersuchungen vermuten die Ursachen für das Scheitern in der<br />
spezifischen Struktur- und Funktionslogik öffentlicher Verwaltungen und konzentrieren<br />
sich auf die inhaltliche Weiterentwicklung der Reformelemente zur Erreichung<br />
der gesetzten Reformziele. Es sind jedoch auch Hinweise zu finden, die identifizierten<br />
Richtungs- und Wirkungsverluste auf Blockaden bei der Umsetzung von Maßnahmen<br />
oder einer m<strong>an</strong>gelnden Einbindung der Beteiligten zurückzuführen. Ziel der<br />
vorliegenden Untersuchung ist es daher, den Verlauf von Reformprojekten zu betrachten<br />
und ein prozessuales Verständnis zu einem Reformprojekt zu entwickeln. Es<br />
wird der Frage nachgeg<strong>an</strong>gen, wie prozessuale Größen Einfluss auf Reformvorhaben<br />
öffentlicher Verwaltungen nehmen und welche fördernden oder verzögernden Wirkungen<br />
diese Faktoren auf den Prozessverlauf haben. Die Reformbestrebungen der<br />
öffentlichen Verwaltung lassen sich als Strategieprozess begreifen, in dessen Verlauf<br />
sich innerhalb interner und externer Kontextbedingungen Strategien entwickeln, die<br />
modifiziert und umgesetzt werden und den strategischen Kontext für weiterführende<br />
Initiativen bilden.<br />
<br />
Christina Hoon: Reformen öffentlicher Verwaltungen – Ein Beitrag zur Strategieprozessforschung.<br />
ISBN 3-8244-0708-6, Deutscher Universitäts-<strong>Verlag</strong>, Wiesbaden 2003.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 491<br />
2. Untersuchungsdesign und methodisches Vorgehen<br />
Es wird eine Prozessstudie durchgeführt, in der die Einführung von Personalentwicklung<br />
in einer Hochschulverwaltung über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren untersucht<br />
wird. Der Prozessstudie liegt das Ziel der Theorieentwicklung nach Eisenhardt<br />
zugrunde. Die Theorieentwicklung umfasst in einem iterativen Vorgehen die<br />
Analyse des empirischen Materials, die Formulierung von Konstrukten und deren<br />
Vergleich mit einem relev<strong>an</strong>ten Theoriesegment. Aus dem iterativen Abgleich der<br />
sich herausbildenden Konstrukte mit der Literatur resultieren Propositionen, deren<br />
Spiegelung <strong>an</strong> den theoretischen Erkenntnissen zu einer höheren Validität, einer höheren<br />
Generalisierbarkeit und höherem konzeptionellen Level eines Theoriesegments<br />
beitragen k<strong>an</strong>n. Die Daten der Einzelfallstudie resultieren aus Interviews mit allen am<br />
Prozess beteiligten Personen, externen und internen Dokumenten, Memos sowie aus<br />
Protokollen. Des Weiteren stützt sich die Datenerhebung auf eine „particip<strong>an</strong>t observer<br />
study“, die den Strategieprozess und seinen Verlauf über vier Jahre unmittelbar<br />
begleitforscht. Entsprechend des methodischen Ansatzes werden die Daten einer qualitativen<br />
Analyse unterzogen, um mit Hilfe der Sequenzbildung, „coding tracks“ und<br />
der „visual mapping strategy“ nach wiederkehrenden H<strong>an</strong>dlungsmustern, d.h. nach<br />
den dahinter liegenden Logiken im Prozessverlauf zu suchen. Aus der Analyse der<br />
empirischen Daten werden in einem ersten Schritt Konstrukte identifiziert. Diese induktiv<br />
abgeleiteten H<strong>an</strong>dlungsmuster bzw. die dem Muster imm<strong>an</strong>enten Konstrukte<br />
werden in einem zweiten Schritt mit Hilfe theoretischer Erklärungs<strong>an</strong>sätze erschlossen,<br />
und es findet eine Verfeinerung, Erweiterung und Verbesserung der empirisch<br />
abgeleiteten Konstrukte statt. Die theoretisch verfeinerten Konstrukte werden in einem<br />
dritten Schritt dazu her<strong>an</strong>gezogen, um Propositionen zu formulieren und diese <strong>an</strong><br />
dem Theoriesegment zu spiegeln.<br />
3. Strategieprozessforschung als theoretischer Rahmen<br />
Den theoretischen Rahmen der Arbeit liefern Konzepte der Strategieprozessforschung.<br />
In Abgrenzung zur Strategieinhaltsforschung fokussiert die Strategieprozessforschung<br />
auf den dynamischen Ablauf von strategischen Prozessen und fragt nach<br />
dem „wie“, d.h. nach dem Prozessverlauf sowie den Faktoren, die auf den Verlauf<br />
Einfluss nehmen. Innerhalb der Arbeiten zur Strategieprozessforschung begreift der<br />
Leading-Ch<strong>an</strong>ge Ansatz den Strategieprozess als Zusammenspiel unterschiedlicher<br />
Akteure und Akteursgruppen, aus dem sich im Prozessverlauf Strategien herausbilden.<br />
Die Arbeiten des Strategic Decision-Making Ansatzes bieten einen Erklärungsbeitrag<br />
zu dem formalen und informellen Entscheidungsverhalten der Akteure sowie<br />
zu den Prozesscharakteristika wie das Konsens- und Konfliktverhalten innerhalb von<br />
Entscheidungsprozessen.<br />
4. Ausgewählte Ergebnisse der Untersuchung<br />
Insgesamt machen die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung die Notwendigkeit<br />
deutlich, Reformbestrebungen öffentlicher Verwaltungen zu gestalten und
492 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Faktoren zu berücksichtigen, die fördernden oder unterstützenden Einfluss auf den<br />
Verlauf von Reformprozessen nehmen. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass<br />
sich der Reformprozess als enges Zusammenspiel von Führungskräften der mittleren<br />
und der oberen Hierarchieebene gestaltet, indem mittlere M<strong>an</strong>ager innovative Thematiken<br />
<strong>an</strong> die oberen Führungskräfte „verkaufen“ und das Entscheidungsverhalten der<br />
oberen Führungskräfte den strategischen Rahmen für weiterführende Initiativen bildet.<br />
Dabei wirken sich unklare strategische Vorgaben sowie ein wahrgenommener externer<br />
H<strong>an</strong>dlungsdruck verzögernd auf das strategische Initiativverhalten der Akteure<br />
und damit auf den Prozessverlauf aus. Das Initiativverhalten geht von mittleren M<strong>an</strong>agern<br />
aus, die aufgrund ihrer formalen Position im mittleren M<strong>an</strong>agement oder einer<br />
vergleichbaren informellen Position über den H<strong>an</strong>dlungsspielraum verfügen, um innovative<br />
Themen zu erkennen und diese auf die Agenda der Org<strong>an</strong>isation zu bringen.<br />
Zudem beeinflusst die Einrichtung eines Komitees bei unklaren strategischen Vorgaben<br />
den Prozessverlauf positiv. Das Komitee stellt sich als formaler Mech<strong>an</strong>ismus<br />
dar, der durch die frühe Einbindung von Interessenvertretungen, den Austausch von<br />
Zielen sowie die Diskussion und Bewertung von H<strong>an</strong>dlungsalternativen die Entscheidungsbildung<br />
unterstützt. In Bezug auf das strategische Verhalten wird deutlich, dass<br />
<strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nte Expertenmeinungen und informelle Vorabsprachen wirkungsvolle Taktiken<br />
darstellen, um weiterführende Prozessaktivitäten zu legitimieren und die Unterstützung<br />
für <strong>an</strong>stehende Entscheidungen zu sichern. Der Einsatz der Taktiken nimmt<br />
daher positiven Einfluss auf den Verlauf des betrachteten Prozesses. Die Untersuchungsergebnisse<br />
machen weiterhin deutlich, dass im Prozessverlauf durch das Top-<br />
M<strong>an</strong>agement Entscheidungen mit geringer strategischer Reichweite getroffen werden.<br />
Dabei erweist sich das Entscheidungsverhalten, kurzfristig revidierbare und wenig<br />
ressourcenintensive Entscheidungen zu treffen, als förderlich für den Prozessverlauf,<br />
da sich die Entscheidungen schnell umsetzen lassen und damit weiterführende Prozessaktivitäten<br />
sichern. Die strategischen Entscheidungen werden durch die Führungskräfte<br />
der oberen Hierarchieebene getroffen. Hier machen die Untersuchungsergebnisse<br />
deutlich, dass die oberen Führungskräfte durch ihr Entscheidungsverhalten<br />
den H<strong>an</strong>dlungsrahmen für weiterführende Prozessaktivitäten der beteiligten Akteure<br />
vorgeben. Weiterführendes Initiativverhalten richtet sich dar<strong>an</strong> aus, ob und in wie<br />
weit die oberen Führungskräfte durch ihr Entscheidungsverhalten Unterstützung signalisieren<br />
und weiterführende Aktivitäten legitimieren.<br />
Zudem können die Propositionen und ihre Spiegelung <strong>an</strong> den Arbeiten der Strategieprozessforschung<br />
einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Theoriesegments<br />
leisten. Durch den Abgleich der Propositionen der vorliegenden Arbeit mit dem Theoriesegment<br />
konnten zum einen Untersuchungen der Strategieprozessforschung mit<br />
ähnlichem Ergebnis bestärkt werden. Zum <strong>an</strong>deren bilden abweichende Ergebnisse<br />
den Ausg<strong>an</strong>gspunkt für eine vertiefte Betrachtung der Untersuchungsergebnisse sowie<br />
für die Suche nach Erklärungen in den Arbeiten der Strategieprozessforschung<br />
und zeigen einen weiterführenden Forschungsbedarf auf.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 493<br />
Bettina Huber<br />
Die politische Realität in Unternehmen: Diagnose, Analyse,<br />
Evaluation<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Bruno Staffelbach, Universität Zürich<br />
1. Problemstellung<br />
Während die Begriffe der Politik bzw. des Politischen in oder von Unternehmen<br />
in der betriebswirtschaftlichen Diskussion nichts Neues oder gar Unbek<strong>an</strong>ntes darstellen<br />
und die Unternehmenspraxis in ihrem alltäglichen H<strong>an</strong>deln direkt und intensiv<br />
mit politischen Phänomenen konfrontiert ist, ist das Verständnis darüber, was unter<br />
Politik in Unternehmen nun genau (nicht) zu verstehen ist bzw. was das Politische der<br />
Unternehmensrealität konkret ausmacht, äußerst umstritten. Trotz der allgemein bek<strong>an</strong>nten<br />
und breit akzeptierten Signifik<strong>an</strong>z von Politik in Unternehmen spielt die theoretische<br />
Reflexion über die politische Perspektive des Unternehmens in der Betriebswirtschaftslehre<br />
bisl<strong>an</strong>g nur eine marginale Rolle und ist entsprechend wenig<br />
entwickelt und nur oberflächlich fundiert.<br />
Dies zeigt sich vor allem darin, dass innerhalb der modernen betriebswirtschaftlichen<br />
Forschung zum einen kein integratives und in sich kohärentes politisches Theorieprogramm<br />
des Unternehmens existiert, zum <strong>an</strong>deren Ansätze dazu nur in einer<br />
fragmentierten, partiellen und sprunghaften Diskussion vorliegen. In den jeweiligen<br />
Ansätzen und Modellen zum Geschehen in Unternehmen wird dem Politischen entweder<br />
so viel Raum zugest<strong>an</strong>den, dass die Unternehmen als Arenen der Macht und<br />
des Konflikts aufgefasst werden, die ausschließlich durch die Politik geprägt sind,<br />
oder dass Politik in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g möglichst wenig bis gar nicht thematisiert<br />
wird. Dazu zeigen sich – neben operationalen Fragestellungen hinsichtlich der<br />
unterschiedlichen Beobachtungs- und Messebenen des Politischen in Unternehmen –<br />
insbesondere konzeptionelle Differenzen: So wird Politik in Unternehmen einerseits<br />
als Qualität bestimmter H<strong>an</strong>dlungsprozesse im unternehmensbezogenen Kontext verst<strong>an</strong>den,<br />
<strong>an</strong>dererseits als machiavellistisches Verhalten einzelner Akteure aufgefasst;<br />
einerseits als theoretische Unternehmensperspektive konzeptionalisiert, <strong>an</strong>dererseits<br />
als informeller, dysfunktional wirkender Beeinflussungsprozess bestimmt.<br />
Trotz des steigenden Interesses am Untersuchungsobjekt des Politischen in Unternehmen<br />
lassen sich in der Betriebswirtschaftslehre bis heute nur vereinzelt tiefer<br />
gehende Analysen und umfassende theoretische Ausarbeitungen der politischen Unternehmensperspektive<br />
erkennen. Was jedoch in der betriebswirtschaftlichen Forschung<br />
fehlt, ist nicht nur ein kohärenter theoretischer Hintergrund, sondern auch eine<br />
konsistente begrifflich-konzeptionelle Grundlage, <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der die politische Unternehmensrealität<br />
erst <strong>an</strong>gemessen diagnostiziert, <strong>an</strong>alysiert und evaluiert werden<br />
könnte – Restriktionen, die dazu führen, dass der politische Aspekt bei der Untersuchung<br />
und Gestaltung des Geschehens in Unternehmen vernachlässigt oder sogar<br />
gänzlich ignoriert wird.
494 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
2. Zielsetzung<br />
Angesichts dieser betriebswirtschaftlichen Problemstellung einer zwar breit akzeptierten,<br />
unbestrittenen Signifik<strong>an</strong>z von Politik in Unternehmen einerseits und einer<br />
wenig fundierten theoretischen Basis dieser politischen Unternehmensrealität <strong>an</strong>dererseits<br />
liegt die Zielsetzung der vorliegenden Dissertation darin, die politische Natur<br />
des Geschehens in Unternehmen einer vertieften theoretischen Untersuchung zuzuführen<br />
und damit den defizitären St<strong>an</strong>d der betriebswirtschaftlichen Forschung zu<br />
verbessern, was die theoretisch-konzeptionelle Erfassung der politischen Unternehmensrealität<br />
<strong>an</strong>bel<strong>an</strong>gt. Als oberstes erkenntnisleitendes Ziel dieser Dissertation ist in<br />
diesem Sinne der theoretisch-konzeptionelle Erkenntnisfortschritt über die politische<br />
Realität in Unternehmen zu bezeichnen. Diese primäre Zielstellung wird <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d dreier<br />
derivativ abgeleiteter Ziele konkretisiert: nämlich a) durch die Diagnose, b) durch<br />
die Analyse und c) durch die Evaluation der politischen Realität in Unternehmen.<br />
Die drei forschungsleitenden Ziele entsprechen im Grundsatz der Differenzierung<br />
zwischen phänomenalen, kausalen und aktionalen Erkenntnisinteressen. Das<br />
phänomenale Interesse (Diagnose) richtet sich auf die zu untersuchende Erscheinung<br />
und orientiert sich <strong>an</strong> den tatsächlichen, also den faktischen Gegebenheiten, ihren<br />
Merkmalen und Eigenschaften. Es geht nicht (nur) um die oberflächlichen Merkmale<br />
eines Phänomens, sondern hauptsächlich um dessen Wesenseigenschaften; im Zentrum<br />
der Betrachtung stehen demnach diese wesentlichen, erkenntnistheoretischen<br />
Züge und Eigenschaften der politischen Unternehmensrealität. Das kausale Interesse<br />
(Analyse) fragt nach den ursächlichen Determin<strong>an</strong>ten von entsprechenden Phänomenen.<br />
Von zentraler Bedeutung sind hier die Bestimmungsfaktoren oder Ursachen der<br />
politischen Realität in Unternehmen. Das aktionale Interesse (Evaluation) orientiert<br />
sich <strong>an</strong> den Wirkungen eines Phänomens in der Praxis, d.h. <strong>an</strong> seiner Beurteilung innerhalb<br />
des praktischen H<strong>an</strong>delns. Im Vordergrund der Betrachtung steht daher die<br />
Evaluation der (Aus-)Wirkungen und Möglichkeiten der politischen Realität in der<br />
Unternehmenspraxis.<br />
3. Erkenntnisleitende Methodik<br />
Angesichts des in dieser Arbeit zu erforschenden Phänomens der politischen<br />
Realität in Unternehmen – ein Phänomen, das einen äußerst komplexen, schlecht operationalisierbaren<br />
Charakter aufweist – k<strong>an</strong>n dessen wissenschaftliche Beh<strong>an</strong>dlung<br />
nicht auf die Darstellung empirisch operationalisierter und damit auch oftmals unzulässig<br />
vereinfachter, idealisierter Zustände oder Ereignisse zurückgreifen. Im erkenntnisleitenden<br />
Vordergrund steht vielmehr das Herausarbeiten von Zusammenhängen,<br />
Beziehungen und Abhängigkeitsstrukturen, die das spezifisch Politische in<br />
Unternehmen überhaupt erst ausmachen; dies k<strong>an</strong>n – entsprechend der nur schwierig<br />
beobachtbaren „Natur“ dieses Forschungsgegenst<strong>an</strong>des – durch eine theoretische<br />
Darstellung erfüllt werden.<br />
Die theoeretisch-abstrakte Forschungsstrategie gilt daher als erkenntnisleitende<br />
Methodik der vorliegenden Dissertation, wobei eine Kombination von synthetisieren-
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 495<br />
der und konzeptionalisierender Perspektive vorgenommen wird. Synthetisierend<br />
meint die systematische und klassifikatorische Einteilung der relev<strong>an</strong>ten Informationen<br />
über ein bestimmtes Phänomen, um damit eine breite, allgemeingültige Perspektive<br />
über den Forschungsst<strong>an</strong>d aufzuzeigen; konzeptionalisierend meint die Entwicklung<br />
von Modellen, Frameworks oder Typologien, die der systematischen Aufdeckung,<br />
Erklärung und Evaluation eines bestimmten Phänomens dienen.<br />
Da der Gegenst<strong>an</strong>d des Politischen es in einem hohen Masse mit Begriffen zu<br />
tun hat, die bestimmte Prinzipien oder Ordnungsstrukturen symbolisch vertreten, erweist<br />
sich die hermeneutische Methode als besonders erkenntnisleitend und adäquat.<br />
Die Hermeneutik findet innerhalb der Theoriebildung über politische Phänomene sogar<br />
einen ihrer vorzüglichsten Anwendungsbereiche, dass sie strukturierend auf die<br />
politische Realität einwirkt und ihre Erkenntnisse – auf Grund deren Entwurfscharakters<br />
– über den Weg der sinndeutenden Auslegung selber wieder neue, sozialwissenschaftlich<br />
relev<strong>an</strong>te Tatsachen erwirken können. Im Speziellen lässt sich die in dieser<br />
Dissertation zu Grunde liegende Methodik als sog. hermeneutisch-theoretische Forschungsstrategie<br />
positionieren.<br />
Angesichts der erkenntnisleitenden Zielsetzung, der intendierten Ergebnisse und<br />
der davon abgeleiteten Forschungsstrategie ist die Zielorientierung der gewählten<br />
Methodik entdeckend, d.h. <strong>an</strong> einem Entdeckungszusammenh<strong>an</strong>g in Bezug auf betriebswirtschaftliche<br />
Aussagen orientiert. Dies führt dazu, dass die ebenfalls <strong>an</strong>zustrebende<br />
Orientierung am Begründungszusammenh<strong>an</strong>g der wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />
nicht in gleichem Ausmaß gewährleistet werden k<strong>an</strong>n. Die Dissertation<br />
positioniert sich damit als eine explorative Untersuchung.<br />
4. Ergebnisse<br />
Die Ergebnisse der Arbeit können als Antworten auf vier Kernfragen zusammengefasst<br />
werden:<br />
1. Wie lässt sich das Phänomen des Politischen in Unternehmen sowohl aus betriebswirtschaftlicher<br />
als auch aus sozialwissenschaftlicher Perspektive definieren<br />
und kategorial abgrenzen?<br />
Als Ergebnis zeigt sich das Politische in Unternehmen als ein mehrdimensionales<br />
Phänomen, das <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d eines integrativen Bezugsrahmens des unternehmensbezogenen<br />
Geschehens tr<strong>an</strong>sparent zu machen ist.<br />
2. Wie lässt sich insbesondere die politische Realität in Unternehmen auf der<br />
Grundlage allgemein gültiger Diagnose-Kriterien der unternehmensbezogenen<br />
Realität diagnostizieren und damit erkenntnistheoretisch erfassen?<br />
Als Ergebnis wird ein integratives, mehrdimensionales Diagnose-Modell entwickelt,<br />
das eine idealtypische Erschließbarkeit der politischen Realität in Unternehmen<br />
ermöglicht.<br />
3. Wie lässt sich die spezifische politische Realität in Unternehmen auf der Grundlage<br />
allgemein gültiger Analyse-Kriterien der unternehmensbezogenen Realität<br />
<strong>an</strong>alysieren und damit kausaltheoretisch erklären?
496 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Als Ergebnis wird ein integratives, mehrdimensionales Analyse-Modell entwickelt,<br />
das eine idealtypische Kausal-Analyse der politischen Realität in Unternehmen<br />
und damit auch eine Erklärung ermöglicht.<br />
4. Wie lässt sich die spezifische politische Realität in Unternehmen auf der Grundlage<br />
allgemein gültiger Evaluations-Kriterien der unternehmensbezogenen Realität<br />
evaluieren und damit auf ihre (Aus-)Wirkungen hin beurteilen?<br />
Als Ergebnis wird ein integratives, mehrdimensionales Evaluations-Modell entwickelt,<br />
das eine idealtypische Beurteilung der politischen Realität in Unternehmen<br />
ermöglicht.<br />
5. Resümee<br />
Mit vorliegender Dissertation beabsichtigt die Autorin, eine zentrale betriebswirtschaftliche<br />
Problemstellung konzeptionell zu fassen und theoretisch zu verorten.<br />
Dabei wird das Politische sowohl als „Gegenst<strong>an</strong>d“ bzw. als Objektbereich wie auch<br />
als Perspektive wissenschaftlicher Analyse aufgefasst. Die Arbeit stellt einen eigenständigen<br />
und profunden Beitrag zu einer politik-orientierten Theorie des Unternehmens<br />
und zu einer entsprechenden Betriebswirtschaftslehre dar. Der Nutzen der Dissertation<br />
liegt einerseits darin, dass der konzeptionelle Rahmen zur Erfassung des Politischen<br />
als Objektbereich und als Perspektive der Betriebswirtschaftslehre aufgesp<strong>an</strong>nt<br />
wird, womit <strong>an</strong>dererseits eine Grundlage zur Diagnose, Analyse und Evaluation<br />
der politischen Realität in konkreten Fällen geschaffen wird.<br />
Adri<strong>an</strong> Ritz<br />
Evaluation von New Public M<strong>an</strong>agement. Grundlagen und<br />
empirische Ergebnisse der Bewertung von Verwaltungsreformen<br />
in der schweizerischen Bundesverwaltung *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Norbert Thom, Universität Bern<br />
1. Problemstellung<br />
Reformen kennzeichnen die tägliche Arbeit der Verwaltungsmitarbeitenden seit<br />
dem Bestehen politisch-administrativer Systeme. Meistens übt die politische Elite einen<br />
großen Einfluss auf die staatliche Org<strong>an</strong>isation aus, was zur Folge hat, dass<br />
Machtwechsel in der Politik eine wesentliche Ursache von Reformen darstellen. Zu-<br />
*<br />
Die Dissertation wurde im Paul Haupt-<strong>Verlag</strong> Bern (2003) publiziert, gebundene Ausgabe,<br />
560 S., ISBN: 3258065977, € 56,00.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 497<br />
sätzlich wirken externe Beeinflusser wie z.B. Wissenschaft, Politik- oder Unternehmensberatungen<br />
auf die Verwaltungsstrukturen ein.<br />
Vor diesem Hintergrund k<strong>an</strong>n auch die Entstehung der Verwaltungsreform New<br />
Public M<strong>an</strong>agement (NPM) seit Beginn der 1990er Jahre als Prozess politischer und<br />
externer Einflussfaktoren bezeichnet werden. NPM ist eine weltweite Verwaltungsreform<br />
des ausgehenden 20. Jahrhunderts, welche die Folgen staatlichen H<strong>an</strong>delns<br />
durch eine stärkere Wettbewerbs-, Leistungs- und Wirkungsorientierung sowohl ins<br />
Zentrum der administrativen als auch politischen Führungsver<strong>an</strong>twortung rückt.<br />
Gleichzeitig wird der Veränderung der Verwaltungskultur und -struktur eine hohe<br />
Bedeutung beigemessen.<br />
Angesichts der Reformziele und spezifischen Betonung der Wirkungsorientierung<br />
stellt sich die grundsätzliche Frage, welche Auswirkungen NPM-Reformen haben.<br />
Vermögen sie wirklich zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung im öffentlichen<br />
Sektor beizutragen? Verändert sich die Verwaltungskultur und verhalten sich die<br />
Mitarbeitenden in den Reformämtern <strong>an</strong>ders als zuvor?<br />
Die bisherige Forschung kommt mehrheitlich zum Ergebnis, dass echte Wirkungsevaluationen<br />
zu NPM-Reformprojekten sehr komplex und schwer durchführbar<br />
sind. Evaluationen, welche die gegenseitige Beeinflussung von neuen Interventionsinstrumenten<br />
und deren verwaltungsinterne sowie -externe Folgen thematisieren, sind<br />
äußerst rar.<br />
Die Dissertation von Adri<strong>an</strong> Ritz widmet sich dieser Thematik und versucht <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d<br />
einer exemplarischen Reform-Evaluation Wirkungsketten sowie Zweck-Mittel-<br />
Zusammenhänge aufzuzeigen. Angesichts der Zunahme von Reformprojekten in Europa<br />
gegen Ende des verg<strong>an</strong>genen Jahrhunderts k<strong>an</strong>n davon ausgeg<strong>an</strong>gen werden,<br />
dass in den nächsten Jahren die Evaluation und Analyse institutioneller Veränderungsprozesse<br />
<strong>an</strong> Bedeutung gewinnen wird.<br />
Nebst der Reformbewertung kommt dem Thema jedoch eine weitere besondere<br />
Bedeutung zu: Die Evaluationsforschung bzw. Evaluierung von politischen Programmen<br />
erl<strong>an</strong>gte in den 1970er Jahren einen großen Stellenwert innerhalb der amerik<strong>an</strong>ischen<br />
Verwaltungs- und Politikwissenschaften. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts<br />
vermochte sich die Evaluationsforschung aber kaum als zentrales, entscheiderstützendes<br />
Instrument in der Verwaltungspraxis durchzusetzen. Die Einführung wirkungsorientierter<br />
Instrumente im Rahmen von NPM verl<strong>an</strong>gt jedoch unmittelbar nach<br />
Evaluationen zur Überprüfung der Wirkungen staatlichen H<strong>an</strong>delns. Im Falle der institutionellen<br />
Reformen interessiert insbesondere das Verhalten der unterschiedlichen<br />
Akteure innerhalb des politisch-administrativen Systems (z.B. Parlamentsmitglieder,<br />
Verwaltungsmitarbeitende). Die Dissertation verfolgt das weitere Ziel, die unterschiedlichen<br />
Ansätze der Evaluationsforschung und ihre Eigenschaften darzustellen,<br />
das Begriffsverständnis im Hinblick auf die Reform-Evaluation zu erweitern und diese<br />
Form der Evaluation näher zu beschreiben.
498 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
2. Theoretische Basis<br />
Vor dem Hintergrund des entscheidungsorientierten Ansatzes der Betriebswirtschaftslehre<br />
Heinens und auch des systemorientierten Ansatzes von Ulrich verl<strong>an</strong>gt<br />
die Reform-Evaluation nach Ergebnissen, die das Entscheidungsverhalten der Reformver<strong>an</strong>twortlichen<br />
beeinflussen und im besten Falle zur zukunftsorientierten Gestaltung<br />
des politisch-administrativen Systems beitragen. Folglich besteht das<br />
Bestreben des Autors in der Generierung von praktisch nutzbarem Wissen. Dazu<br />
wird methodisch nach dem Analyseinstrument des konzeptionellen Bezugsrahmens<br />
von Grochla aus der Org<strong>an</strong>isationsforschung vorgeg<strong>an</strong>gen. Zur Herleitung des<br />
Konzeptionsrahmens sowie der begrifflichen, deskriptiven und expl<strong>an</strong>atorischen<br />
Aussagen verfolgt der Verfasser eine sachlich-<strong>an</strong>alytische sowie eine empirische<br />
Forschungsstrategie.<br />
3. Empirische Untersuchung<br />
Die Kriterien<strong>an</strong>wendung im Rahmen der empirischen Strategie bildet einen<br />
Schwerpunkt der Arbeit. Im Sinne einer multiplen Tri<strong>an</strong>gulation wurden verschiedene<br />
Untersuchungszeitpunkte, -orte, -personen, -methoden sowie -daten mitein<strong>an</strong>der<br />
kombiniert. Das Evaluationsdesign bezieht sich nicht nur auf eine Personengruppe,<br />
sondern integriert alle <strong>an</strong> der Reform beteiligten Akteure und ausgewählten Kundengruppen,<br />
die von den Reformauswirkungen betroffen sind. Das Schwergewicht liegt<br />
bei den von den Reformen betroffenen Mitarbeitenden in den Dienststellen. Während<br />
der vierjährigen Evaluation wurden in vier Bundesämtern mehrere qu<strong>an</strong>titative<br />
Längsschnitt- und Querschnittvergleiche durchgeführt, die mittels einer qualitativen<br />
Untersuchungsstrategie ergänzt wurden. Die Erhebungen f<strong>an</strong>den auf allen Ebenen des<br />
politisch-administrativen Systems statt und erfassten im Rahmen der Wirkungsevaluation<br />
auch die Leistungsempfänger außerhalb der Verwaltung. Eine externe Validierung<br />
<strong>an</strong>h<strong>an</strong>d von Sekundärdaten diente schließlich der Überprüfung zuvor festgestellter<br />
Ergebnisse.<br />
Dieses Evaluationsdesign verdeutlicht das aufwändige methodische Vorgehen,<br />
welches der empirischen Strategie zu Grunde liegt. Nur so konnte das <strong>an</strong>fänglich<br />
formulierte Ziel, einen Forschungsbeitrag hinsichtlich einer systematischen Wirkungsevaluation<br />
von Verwaltungsreformen leisten zu wollen, erreicht werden.<br />
4. Ergebnisse der Untersuchung<br />
Die Merkmale einer Reform-Evaluation wurden auf der Basis des Bezugsrahmens<br />
und <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d eines Vergleichs mit insgesamt neun Evaluationsstudien von Verwaltungsreformen<br />
<strong>an</strong>alysiert. Aus diesem Vergleich resultieren folgende Erkenntnisse<br />
bez. der Gemeinsamkeiten von Reform-Evaluationen:<br />
1. Der Zweck von Reform-Evaluationen ist primär die Entscheidungsorientierung.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 499<br />
2. Die zu Grunde liegenden Beurteilungskriterien sind hauptsächlich deskriptiver<br />
Natur und richten sich nach allgemeinen NPM-Zielen oder auch speziellen Projektzielen.<br />
3. Die zentralen Fragestellungen fallen primär in die Bereiche „M<strong>an</strong>agement/Führung“<br />
und „Motivation/Qualifikation“.<br />
4. Qualitative Vorgehensweisen gehören in jedem Fall zur Evaluationsmethodik.<br />
Sie werden teilweise ergänzt durch qu<strong>an</strong>titative Analysen oder durch die Qu<strong>an</strong>tifizierung<br />
qualitativ erhobener Informationen.<br />
Der praktische Teil der Dissertation befasst sich mit der Reform-Evaluation eines<br />
NPM-Projekts in der schweizerischen Bundesverwaltung. Am Beispiel der untersuchten<br />
Verwaltungsstellen werden am Schluss des Kapitels Wirkungszusammenhänge<br />
aufgezeigt. Die <strong>an</strong>gestellten Vergleiche zwischen Ämtern führen zur Erkenntnis,<br />
dass eine gute Reformvorbereitung und -umsetzung sowie die gezielte Unterstützung<br />
durch die politische Führung nachhaltige Reformwirkungen generieren können,<br />
die auf eine längerfristige Qualifizierung der Reforminstitutionen hinweisen. Der<br />
Vergleich unterschiedlicher Reformämter vermag insbesondere aufzuzeigen, dass der<br />
tiefere Einschnitt im Rahmen der Verselbständigung zur öffentlich-rechtlichen Anstalt<br />
systematisch stärkere Wirkungen zu Tage gefördert hat. Die Resultate werden<br />
zusätzlich durch eine externe Validierung überprüft.<br />
Nebst Wirkungen beim Parlament, bei der Regierung und bei Leistungsempfängern<br />
widmete sich die Studie eingehend der in Reform-Evaluationen oft vernachlässigten<br />
Mitarbeitendenebene. Die Dissertation liefert u. a. auf folgende Fragen Ergebnisse<br />
(in Klammern):<br />
Werden die Mitarbeitenden von den Reformen überhaupt t<strong>an</strong>giert? (Ja, jedoch<br />
erst nach einer gewissen Dauer der Pilotprojekte.)<br />
Sind die Mitarbeitenden verschiedener Amtsstellen unterschiedlich zufrieden?<br />
Was ist der Hintergrund der Differenzen? (Ja, denn die jeweiligen Reformprozesse<br />
verliefen sehr unterschiedlich und die Ämter differieren ebenso stark in ihren<br />
Merkmalen.)<br />
Welche Auswirkungen sind bei den Reformbetroffenen festzustellen? Intendierte<br />
(z.B. mehr Leistungsorientierung) oder nicht intendierte (z.B. Arbeitsbelastung,<br />
Konkurrenz)? (Die Arbeitsbelastung hat in den <strong>an</strong>alysierten Dienststellen<br />
sehr stark zugenommen und die fin<strong>an</strong>ziellen Anreize vermögen nicht im erwünschten<br />
Ausmaß zu motivieren.)<br />
Sind Unterschiede zwischen den Hierarchieebenen (oberes, unteres Kader, Mitarbeitende<br />
ohne Führungsaufgaben) erkennbar? (Ja, die oberen Kaderpersonen<br />
sind viel stärker von den Reformen betroffen, jedoch alle Mitarbeitenden sind<br />
aufgrund der Reformen zufriedener geworden.)<br />
Ist ein Kulturw<strong>an</strong>del eingetreten? In welche Richtung zielt er (z.B. Kostenbewusstsein,<br />
Kunden-, Innovationsorientierung)? (Der Kulturw<strong>an</strong>del ist <strong>an</strong>satzweise<br />
eingetreten, k<strong>an</strong>n jedoch nach so kurzer Reformdauer kaum aussagekräftig<br />
beurteilt werden.)
500 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Ist die <strong>an</strong>gestrebte Erweiterung des H<strong>an</strong>dlungsspielraums für die Amtspersonen<br />
eingetroffen? (Der H<strong>an</strong>dlungsspielraum ist besonders bei den Amtsleitungen<br />
eingetreten und bezieht sich primär auf fin<strong>an</strong>zielle Aspekte.)<br />
Die Schlussbewertung basiert auf der Analyse der <strong>an</strong>fänglich aufgeworfenen<br />
Fragestellungen und damit zusammenhängenden Hypothesen. Die Bewertung gel<strong>an</strong>gt<br />
nach der Darstellung aller Ergebnisse zum Fazit, dass sich die NPM-Reform im spezifischen<br />
Falle mehrheitlich zur Erreichung der reformintendierten Ziele eignet, obwohl<br />
die dafür zentralen und die Systemebenen übergreifenden Informations- sowie<br />
Führungsprozesse noch weit von einer routinemäßigen Anwendung entfernt sind. Auf<br />
der politischen Steuerungsebene wurden zudem Funktionsmängel festgestellt, ohne<br />
deren Verbesserung ein Hauptziel der Reform, die Wirkungsorientierung, verfehlt<br />
werden könnte.<br />
5. Fazit<br />
Die Arbeit zeigt exemplarisch auf, wie ein Evaluationsprojekt auf der methodologischen<br />
Grundlage des entscheidungsorientierten Ansatzes der Betriebswirtschaftslehre<br />
konzipiert und durchgeführt werden k<strong>an</strong>n. Insofern wird ein Beitrag zur Tr<strong>an</strong>sdisziplin<br />
Evaluationsforschung geliefert, als sie in der Betriebswirtschaftslehre auf<br />
wissenschaftstheoretische Grundlagen stößt, die gut mit der Evaluationsforschung<br />
vereinbar sind.<br />
Die Evaluationsergebnisse liefern vielfältige Hinweise auf die Ver<strong>an</strong>kerung der<br />
Reformen auf der politischen Ebene und bei den Mitarbeitenden der Reformämter.<br />
Dabei zeigt sich, dass die Ver<strong>an</strong>kerung der Reformen auf parlamentarischer Ebene<br />
und bei den Mitarbeitenden in den Ämtern Zeit sowie weitere Entwicklungsschritte<br />
benötigt. Die Amtsleitungen dagegen sind direkter betroffen und äußerten sich sehr<br />
positiv über den erweiterten H<strong>an</strong>dlungsspielraum bzw. ihre neuen Kompetenzen.<br />
Die vom Verfasser formulierten weiterführenden Forschungsfragen zeigen auf,<br />
dass diese Verknüpfung betriebswirtschaftlicher Ansätze und politikwissenschaftlicher<br />
Evaluationsforschung einen wichtigen Best<strong>an</strong>dteil zukünftiger Bewertungsversuche<br />
von NPM-Reformen darstellt. Insbesondere die Erfassung der Kosteneffizienz<br />
von Veränderungen innerhalb der Verwaltungen und deren Auswirkungen bei den<br />
Bürgern und Leistungsempfängern muss weiter untersucht werden.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 501<br />
9. Arbeitsstrukturen und Arbeitszeit<br />
Lars Renner<br />
Individualisierung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation zur Steigerung der<br />
Unternehmungsflexibilität – Eine kritische Diskussion der<br />
Flexibilitätswirkungen individualisierter Arbeitsinhalts- und<br />
Arbeitszeitgestaltung *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Jürgen Berthel, Universität Siegen<br />
1. Fragestellung der Untersuchung<br />
Die vorliegende Arbeit untersucht, ob und inwieweit eine Individualisierung (i.<br />
S. e. Anpassung <strong>an</strong> individuelle Mitarbeiterbedürfnisse) der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation zur<br />
Steigerung der Flexibilität von Unternehmungen beitragen k<strong>an</strong>n.<br />
Die Gestaltung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation spielt sich im Sp<strong>an</strong>nungsfeld zweier Interessenlagen<br />
ab: Auf der einen Seite die explizite Berücksichtigung des Unternehmungsinteresses,<br />
die durch die Gestaltung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation die Aktivierung<br />
und Vergrößerung der Anpassungsfähigkeit der Unternehmung <strong>an</strong>strebt, auf der <strong>an</strong>deren<br />
Seite die Berücksichtigung der differenzierten Mitarbeiterinteressen und deren<br />
individueller Werte, Ziele und Bedürfnisse.<br />
Diese beiden Gestaltungsinteressen werden in der Literatur häufig vereinfachend<br />
als gegensätzlich dargestellt. Seit Ende der 1970er Jahre wird ein Ansatz diskutiert,<br />
dessen Protagonisten behaupten, eine verhaltenstheoretische Antwort auf die org<strong>an</strong>isationstheoretische<br />
Frage geben zu können, wie die Integration von Individuum und<br />
Org<strong>an</strong>isation am effektivsten für beide Seiten erreicht werden k<strong>an</strong>n. Dieser Ansatz<br />
der „individualisierten Org<strong>an</strong>isation“ bzw. „Individualisierung“ setzt <strong>an</strong> der expliziten<br />
Berücksichtigung der Mitarbeiterinteressen <strong>an</strong> und fordert die Abschaffung starrer<br />
Einheitskonzepte, die sich insbesondere in einer Dest<strong>an</strong>dardisierung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation<br />
m<strong>an</strong>ifestiert. Die Individualisierung verl<strong>an</strong>gt die Schaffung alternativer Arbeitssituationen,<br />
aus denen die Mitarbeiter als Agent ihrer eigenen Bedürfnisse auswählen<br />
können. Dadurch soll der Verschiedenheit der individuellen Bedürfnisstrukturen<br />
der Mitarbeiter bei der Gestaltung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation Rechnung getragen<br />
werde. Die derartige Befriedigung individueller Bedürfnisse verbessere schließlich<br />
auch die org<strong>an</strong>isationale Leistungsfähigkeit der Unternehmung.<br />
*<br />
Veröffentlicht 2002 unter dem Titel: „Flexibilität durch individualisierte Arbeitsinhalte und<br />
Arbeitszeiten“ im Josef Eul <strong>Verlag</strong>; Lohmar, Köln. ISBN: 3-89012-988-9.
502 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
2. G<strong>an</strong>g der Untersuchung<br />
Ausg<strong>an</strong>gspunkt der Untersuchung ist die Definition und Strukturierung von Unternehmungsflexibilität.<br />
Es wird dargelegt, dass es sich bei der Unternehmungsflexibilität<br />
um eine mehrdimensionale Eigenschaft h<strong>an</strong>delt, die in sozio-technischen Systemen<br />
bewusst gestaltet werden muss.<br />
Die Schaffung von Flexibilität stellt keinen Selbstzweck dar, sondern sie dient<br />
als Mittel zur Sicherung der Entwicklung und der Lebensfähigkeit der Unternehmung.<br />
Wenn der Flexibilität auf der strategischen M<strong>an</strong>agementebene dennoch selbst<br />
Zielcharakter zugesprochen werden k<strong>an</strong>n, so unterstreicht das nur ihren Mittelcharakter<br />
für die normative M<strong>an</strong>agementebene. Ein richtiges Maß <strong>an</strong> Flexibilität innerhalb<br />
einer Unternehmung lässt sich nur schwer bestimmen. Das Flexibilitätspotential sollte<br />
den jeweiligen Flexibilitätsbedarf decken; der wiederum ist aber nur vage zu bestimmen,<br />
da er sich aus den zukünftigen Änderungen der In- und Umweltbedingungen ableitet.<br />
Flexibilität k<strong>an</strong>n in der Unternehmung auf verschiedenen Unternehmungsebenen<br />
erreicht werden: Die Mikroebene betrachtet die einzelnen Stellen und deren Funktionsträger,<br />
die Mesoebene betrachtet Teileinheiten, Arbeitssysteme, Abteilungen oder<br />
Prozesse, die Makroebene hat die Gesamtunternehmung zum Betrachtungsgegenst<strong>an</strong>d.<br />
Die Flexibilität auf niedrigeren Ebenen beeinflusst aber diejenige auf den höheren<br />
Ebenen, so dass eine Flexibilität der Unternehmung als G<strong>an</strong>zes nur durch eine integrierte<br />
Abstimmung der Unternehmungsebenen zust<strong>an</strong>de kommen k<strong>an</strong>n.<br />
Als Träger externer Flexibilität werden die Marktleistung und als Träger interner<br />
Flexibilität die Unternehmungsstruktur sowie das Verhalten der Akteure identifiziert.<br />
Durch die Gestaltung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation k<strong>an</strong>n deshalb hauptsächlich eine Beeinflussung<br />
der internen Flexibilität der Unternehmung erreicht werden. Aufgrund ihrer<br />
Mehrdimensionalität und Mehrstufigkeit lässt sich Flexibilität nur qualitativ bewerten.<br />
Nach der Entwicklung des dieser Arbeit zugrunde liegenden Flexibilitätsverständnisses<br />
wird die Individualisierung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation präzisiert. Dabei wird<br />
festgestellt, dass es sich bei der Individualisierung um einen graduellen personalwirtschaftlichen<br />
Gestaltungs<strong>an</strong>satz h<strong>an</strong>delt, der in verstärktem Maß das Einzelne und Besondere<br />
im Mitarbeiter in die gestaltenden Überlegungen einbezieht. Da die Individualisierung<br />
einen als utopisch zu bezeichnenden Idealzust<strong>an</strong>d <strong>an</strong>strebt, der jedem Mitarbeiter<br />
eine vollständig auf ihn zugeschnittene Arbeitssituation zur Verfügung stellt,<br />
k<strong>an</strong>n die Individualisierung als konkret-konstruktive Utopie mit Leitbildfunktion bezeichnet<br />
werden, die die Abkehr von Einheitslösungen fördert. Dieses Leitbild wird<br />
durch die drei konstitutiven Strategien der Variation, Selektion und Adaption konkretisiert.<br />
Anh<strong>an</strong>d der drei Individualisierungsstrategien wird gezeigt, dass es sich bei<br />
der Individualisierung um eine Form der Selbstorg<strong>an</strong>isation h<strong>an</strong>delt, die eine stärkere<br />
H<strong>an</strong>dlungsautonomie innerhalb eines fremdorg<strong>an</strong>isierten Rahmens <strong>an</strong>strebt.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 503<br />
Bei Anwendung der Individualisierung auf die Arbeitsorg<strong>an</strong>isation wird zwischen<br />
den beiden Gestaltungsfeldern Arbeitsinhalt und Arbeitszeit unterschieden.<br />
Nachdem deren theoretisches Gestaltungsspektrum aufgezeigt wird, k<strong>an</strong>n <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d von<br />
verschiedenen Umsetzungsmöglichkeiten dargelegt werden, wie m<strong>an</strong> sich eine Individualisierung<br />
von Arbeitsinhalt und Arbeitszeit vorzustellen hat.<br />
Mittels der so geschaffenen Grundlagen werden im Hauptkapitel der Arbeit die<br />
Flexibilitätswirkungen einer Individualisierung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation erörtert. Aus<br />
<strong>an</strong>alytischen Gründen werden die beiden Gestaltungsfelder der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation<br />
zunächst getrennt vonein<strong>an</strong>der untersucht, ehe sie gemeinsam betrachtet werden. Zudem<br />
werden die Wirkungen auf der Mikro-, der Meso- und der Makroebene nachein<strong>an</strong>der,<br />
aber aufein<strong>an</strong>der aufbauend <strong>an</strong>alysiert. Als Beurteilungskriterien dienen jeweils<br />
die fünf Flexibilitätsdimensionen.<br />
3. Ergebnisse der Untersuchung<br />
Die Untersuchungen haben ergeben, dass eine Individualisierung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation<br />
die Flexibilität auf allen Ebenen der Unternehmung erhöht. Sie schafft erhebliche<br />
Flexibilitätspotentiale und trägt gleichzeitig mit dazu bei, dass diese Flexibilitätspotentiale<br />
auch zielgerecht durch die Akteure genutzt werden. Dadurch fördert<br />
die Individualisierung die Vergrößerung und Aktivierung der Anpassungsfähigkeit<br />
der Unternehmung und verwirklicht so ein wesentliches Interesse der Unternehmung<br />
bei der Gestaltung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation. Da die Individualisierung <strong>an</strong>dererseits<br />
ausdrücklich <strong>an</strong> der Berücksichtigung der Mitarbeiterinteressen <strong>an</strong>setzt, ist sie tatsächlich<br />
als integrierendes Leitbild für die Gestaltung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation geeignet<br />
und in der Lage, den scheinbaren Interessengegensatz zwischen Unternehmung<br />
und Mitarbeitern weitgehend aufzulösen.<br />
Darüber hinaus haben die Untersuchungen aber auch ergeben, dass die festgestellten<br />
Flexibilitätswirkungen von bestimmten Bedingungen abhängen: Hier werden<br />
besonders die Unternehmungskultur und die Qualifikation der Mitarbeiter als wichtige<br />
Faktoren identifiziert, die das Ausmaß der Flexibilitätswirkungen, aber auch den<br />
möglichen Individualisierungsgrad beeinflussen. Vor diesem Hintergrund kommt<br />
dem Prozesscharakter der Individualisierung eine große Bedeutung zu.<br />
Da die Gestaltung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation in einem größeren Kontext stattfindet,<br />
ist ebenfalls zu beachten, dass auch die Ausgestaltungen <strong>an</strong>derer Teilbereiche des<br />
Personal-M<strong>an</strong>agements die Flexibilitätswirkungen beeinflussen können. Diese sollten<br />
mit der Individualisierung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation abgestimmt sein, um eine möglichst<br />
große Flexibilitätswirkung zu erzielen. In besonderem Maße trifft das auf das<br />
Führungssystem, das Anreizsystem und auf die Personalentwicklung zu.<br />
Der Vergleich konkreter Umsetzungsmöglichkeiten zur Individualisierung der<br />
Arbeitsorg<strong>an</strong>isation zeigt, dass kein Modell allen <strong>an</strong>deren hinsichtlich seiner Flexibilitätswirkungen<br />
überlegen ist. Entsprechend dem Grundged<strong>an</strong>ken der Individualisierung,<br />
viele unterschiedliche Arbeitssituationen zu schaffen, sollten die Modelle bzw.<br />
ihre Modellelemente sowohl kombiniert als auch alternativ zur Anwendung kommen.
504 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Eine gegenseitige Verstärkung der Flexibilitätswirkungen k<strong>an</strong>n dabei durch die<br />
Kombination von Modellen zur Individualisierung des Arbeitsinhalts und der Arbeitszeit<br />
erzielt werden, vorausgesetzt die Mitarbeiter werden dadurch nicht überfordert.<br />
10. Besondere Beschäftigtengruppen<br />
Katharina Hartl<br />
Expatriate Women M<strong>an</strong>agers: Gender, Culture <strong>an</strong>d Career *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Steph<strong>an</strong> Laske, Universität Innsbruck<br />
Mit dem Anwachsen der internationalen Geschäftstätigkeit und der Globalisierung<br />
des Wettbewerbs hat auch das internationale Personalm<strong>an</strong>agement wesentlich <strong>an</strong><br />
Bedeutung gewonnen. Es wird einerseits zunehmend notwendig, MitarbeiterInnen<br />
auch für längere Zeiträume ins Ausl<strong>an</strong>d zu entsenden; <strong>an</strong>dererseits gilt in m<strong>an</strong>chen<br />
Org<strong>an</strong>isationen heute eine längere Ausl<strong>an</strong>dserfahrung als unverzichtbarer Karrierebaustein.<br />
Die Wirtschaftspraxis ist von einer geringen, wenn auch wachsenden Präsenz<br />
von Frauen im internationalen M<strong>an</strong>agement geprägt, und auch in der „Expatriate-Forschung“<br />
sind Frauen eine weitgehend vernachlässigte Personengruppe. Die<br />
Dissertation von Katharina Hartl gibt einen theoretisch fundierten Überblick über einen<br />
wichtigen Teilbereich des internationalen Personalm<strong>an</strong>agements, der innovativ<br />
über vorliegende Konzepte hinausweist und nicht nur für weibliche Führungskräfte<br />
von Relev<strong>an</strong>z ist.<br />
Im Mittelpunkt der Forschungsinteressen st<strong>an</strong>den u.a. Fragen nach der Auswahl<br />
für, der Vorbereitung auf und der Begleitung der M<strong>an</strong>ager während des Ausl<strong>an</strong>dsaufenthalts,<br />
der Bewältigung der kulturellen Differenzen, der Nachfolgepl<strong>an</strong>ung, der<br />
Reintegration nach dem Ausl<strong>an</strong>dsaufenthalt usw. Dominierend sind dabei eher individuumzentrierte,<br />
psychologische Ansätze, die letztlich mit der Absicht verfolgt werden,<br />
in Auswahlprozessen die „richtigen“ Personen mit den erforderlichen fachlichen<br />
und sozialen Kompetenzen auswählen zu können. Erst neuerdings k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> ein gewisses<br />
Abrücken von dieser Forschungsrichtung beobachten, d.h. es werden Ausl<strong>an</strong>dsaufenthalte<br />
von M<strong>an</strong>agern stärker als individuelle und org<strong>an</strong>isationale Ent-<br />
*<br />
Katharina Hartl: Expatriate Women M<strong>an</strong>agers. Gender, Culture <strong>an</strong>d Career. Reihe<br />
ORGANISATION & PERSONAL, hrsg. von Oswald Neuberger, Bd. 12, ISBN 3-87988-711-<br />
X, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, München und Mering 2003, 183 S., € 22,80.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 505<br />
wicklungs- und Veränderungsprozesse betrachtet und in einen karrieretheoretischen<br />
Rahmen eingeordnet. 1<br />
Vor diesem Hintergrund formuliert die Verfasserin das <strong>an</strong>spruchsvolle Ziel ihrer<br />
Untersuchung: „The central objective of this research is to <strong>an</strong>alyse expatriation of<br />
Western women m<strong>an</strong>agers from a career theory perspective. Drawing on Giddens’<br />
Theory of Structuration a theoretical framework is developed to elucidate the relationship<br />
between gender, culture <strong>an</strong>d career. ... the me<strong>an</strong>ings Western wom<strong>an</strong> m<strong>an</strong>agers<br />
attribute to their career path <strong>an</strong>d expatriate experience are to be explored <strong>an</strong>d related<br />
to existing literature on women-in-(international)-m<strong>an</strong>agement <strong>an</strong>d the theoretical<br />
framework developed in this research.”<br />
Die Arbeit besteht aus fünf aufbauenden Teilen. Der erste Teil „Introduction“<br />
führt in den Themenzusammenh<strong>an</strong>g und dessen Bedeutung ein, erläutert die wesentlichsten<br />
Forschungsfragen, klärt terminologische Grundbegriffe der Arbeit (gender,<br />
career und expatriation) und stellt schließlich in aller Kürze den Aufbau der Arbeit<br />
dar. Zwei Kernfragen möchte die Verfasserin im Rahmen ihrer Untersuchung klären:<br />
(1) Wie wird Karriere in einem interkulturellen Zusammenh<strong>an</strong>g sozial konstruiert,<br />
reproduziert und verändert? Sowie (2) welche strukturellen Faktoren bestimmen das<br />
H<strong>an</strong>deln westlicher Top-M<strong>an</strong>agerinnen im Fernen Osten, wie werden diese wahrgenommen<br />
und welchen Einfluss üben sie auf unterschiedliche Akteure aus?<br />
Um sich diesem Fragenzusammenh<strong>an</strong>g <strong>an</strong>zunähern, erarbeitet die Verfasserin<br />
im zweiten Teil der Arbeit zunächst einen Überblick über den aktuellen St<strong>an</strong>d der<br />
Fachdiskussion zur Situation von Frauen im (internationalen) M<strong>an</strong>agement. In einer<br />
sehr konsistenten Weise erörtert sie dabei das Problem der geschlechtsspezifischen<br />
Zugänge zu M<strong>an</strong>agementpositionen aus unterschiedlichen Perspektive sowie die Differenz<br />
zwischen traditionellen, „maskulin präformierten“ Karrierevorstellungen, in<br />
denen der Beruf und der berufliche Aufstieg zweifellos im Vordergrund stehen, und<br />
einer „frauenspezifisch“ geprägten Karrieretheorie, die sehr viel differenziertere Karrierevorstellungen<br />
und Sp<strong>an</strong>nungsfelder berücksichtigen will bzw. auch muss. Teil 2<br />
endet mit einer Übersicht über zentrale Forschungsergebnisse zur Situation von Frauen<br />
als Expatriates, in der die Autorin eine klare und reflektierte Einschätzung des<br />
Stellenwerts der zitierten Forschungsarbeiten gibt.<br />
Im dritten Teil der Arbeit wird der Bezugsrahmen entwickelt, vor dessen Hintergrund<br />
die empirische Befragung von Frauen in gehobenen M<strong>an</strong>agementpositionen<br />
in Hong Kong gestaltet wird und in den schließlich die Befunde eingeordnet werden.<br />
Ihre theoretische Basis findet die Verfasserin dabei in der Strukturationstheorie von<br />
A. Giddens, die einen hervorragenden Ansatz für die Analyse des Zusammenh<strong>an</strong>gs<br />
von H<strong>an</strong>dlung und Struktur darstellt. 2 Die strukturationstheoretischen Überlegungen<br />
1<br />
2<br />
Siehe etwa Peltonen, T.: Narrative construction of expatriate experience <strong>an</strong>d career cycle, in:<br />
International Journal of Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement 9 (5) 1998.<br />
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Auer, M.: Vereinbarungskarrieren, München und Mering<br />
2000.
506 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
verbindet sie einerseits mit einer Perspektive, die „gender“ nicht einfach als „Besitz“<br />
oder als „Wesenskategorie“, sondern als gesellschaftlich und kulturell durch Interaktion<br />
produziert und reproduziert versteht („doing gender“), zum <strong>an</strong>deren mit Karrierevorstellungen,<br />
bei denen die H<strong>an</strong>dlungen des Individuums, sein persönliches<br />
Selbst-Konzept, die Strukturen der Org<strong>an</strong>isation und kulturelle Faktoren im Zeitablauf<br />
zusammenwirken. Der Teil endet zunächst mit einer Interpretation der Expatriate-Situation<br />
als „rite de passage“, die zu einer Umgestaltung des Selbst- und des Karrierekonzepts<br />
führt und gleichzeitig soziale Strukturen (re-)produziert. Nach einer<br />
kurzen Zusammenfassung folgt ein Exkurs („epilogue”), in dem (sehr dicht, aber<br />
auch sehr überzeugend) das Problem der zunehmenden Individualisierung diskutiert<br />
und die in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g besonders für Frauen bestehenden Optionen einer<br />
„work-life-bal<strong>an</strong>ce“ erörtert werden.<br />
Der vierte Teil „Empirical Part – Experiences of 12 Western wom<strong>an</strong> m<strong>an</strong>agers<br />
in Hong Kong“ stellt umf<strong>an</strong>g- und inhaltsmäßig ein Kernelement der Arbeit dar. Dieses<br />
besteht zum einen aus einer sorgfältigen, begründeten Darstellung der Forschungsmethodik;<br />
zum <strong>an</strong>deren werden die wesentlichsten Ergebnisse der Interviews<br />
mit den ausgewählten M<strong>an</strong>agerinnen präsentiert. Der Problemstellung der Arbeit und<br />
dem theoretischen Bezugsrahmen entsprechend hat sich die Verfasserin für einen<br />
qualitativen Forschungs<strong>an</strong>satz und das Arbeiten mit Fallstudien entschieden. Das empirische<br />
„Material“ gewinnt sie über Fall-Interviews, in denen sie die jeweilige Lebensgeschichte<br />
und den Karriereverlauf, die derzeitige Aufgabe und das org<strong>an</strong>isationale<br />
Umfeld, die Erfahrungen und die Wahrnehmung als M<strong>an</strong>agerin im Allgemeinen<br />
und als „expatriate m<strong>an</strong>ager“ im Besonderen, die Arbeits- und Lebenssituation in<br />
Hong Kong sowie eine Gesamteinschätzung der „expatriate-Erfahrung“ abfrägt. Mit<br />
Hilfe einer qualitativen Inhalts<strong>an</strong>alyse und einem Fallvergleich werden die Ergebnisse<br />
– rückgekoppelt mit den Interviewten – schließlich zu Teilnehmerinnen-Profilen<br />
verdichtet.<br />
Den Teilnehmerinnen-Profilen vor<strong>an</strong>gestellt wird eine wiederum sehr dichte Beschreibung<br />
des St<strong>an</strong>dorts Hong Kong. Vor diesem Hintergrund beschreibt die Verfasserin<br />
systematisch die Arbeits- und Lebenssituation ihrer 12 Gesprächspartnerinnen.<br />
Dabei entfaltet sie ein äußerst vielfältiges Bild individueller Lebensgeschichten, die<br />
<strong>an</strong>schließend im Rahmen von vier zentralen Fragestellungen zwar nicht verallgemeinert<br />
aber verdichtet und mit Zitaten aus den Interviews untermauert werden: die persönliche<br />
Einstellung zur Situation von Frauen im M<strong>an</strong>agement, die Erfahrungen als<br />
M<strong>an</strong>agerin in Hong Kong, die Erfahrungen als „expatriate“ sowie schließlich die Bal<strong>an</strong>ce<br />
zwischen Arbeits- und Privatleben. Ohne die Diskussion im Einzelnen inhaltlich<br />
wiedergeben zu wollen sei festgestellt, dass in dieser Aus- und Aufarbeitung der<br />
Materialien ein besonderer Wert der Arbeit zu sehen ist.<br />
Der abschließende fünfte Teil enthält eine zusammenfassende Diskussion, die<br />
Verknüpfung der wesentlichsten Untersuchungsergebnisse mit dem strukturationstheoretischen<br />
Bezugsrahmen und schließlich einen kurzen Ausblick auf Folgerungen,<br />
die sich aus der Untersuchung für weitere Forschungsarbeiten, aber auch für die
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 507<br />
Praxis des internationalen M<strong>an</strong>agements – etwa für interkulturelle Trainings – ergeben.<br />
Der wissenschaftliche Beitrag der vorliegenden Arbeit liegt in der theoretisch<br />
fundierten Analyse der Lebens- und Arbeitssituation von „western women m<strong>an</strong>ager<br />
expatriates“ in einem fremden sozio-kulturellen Umfeld, einer Situation, die – versehen<br />
mit zahlreichen org<strong>an</strong>isationsstrukturellen und -kulturellen Hindernissen – zu<br />
quasi unvermeidbaren Ausein<strong>an</strong>dersetzungen mit der eigenen Identität und dem gesellschaftlichen<br />
Umfeld und damit (ebenso unvermeidbar) zu entsprechenden Modifikationen<br />
von Selbstkonzept und Karrierevorstellungen führen. M<strong>an</strong>che Passagen<br />
der Arbeit hätten vielleicht eine etwas ausführlichere Diskussion verdient; dennoch<br />
vermag die Dissertation fachwissenschaftlich und methodisch absolut zu überzeugen.<br />
11. Personalpl<strong>an</strong>ung<br />
Martell Beck<br />
Grundsätze der Personalpl<strong>an</strong>ung. Ausrichtung der Betriebsverfassung<br />
am Strategischen Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Walter A. Oechsler, Universität M<strong>an</strong>nheim<br />
1. Problemhinführung<br />
Das geltende Arbeitsrecht, dessen Basis bis zu den 70er Jahren geschaffen wurde,<br />
mit seiner starken Betonung von Regelungen zum Personalabbau im Rahmen des<br />
Betriebsverfassungsgesetzes, des Kündigungsschutzgesetzes und der Rechtsprechung,<br />
orientiert sich heute noch am Produktionsprozess der starren Massenproduktion.<br />
Hier hat der Betriebsrat die zentrale Personalabteilung als Ansprechpartner zur<br />
Durchsetzung seiner Mitwirkungsrechte. Die Aufgaben der zentralen Personalabteilung<br />
haben sich jedoch grundlegend gew<strong>an</strong>delt. Diese beschäftigt sich heutzutage in<br />
einer Zeit der zunehmenden Bedeutung des Dienstleistungssektors und der flexiblen<br />
Produktions- und Beschäftigungsmöglichkeiten vor allem mit der Erstellung einer in<br />
die strategische Unternehmenspl<strong>an</strong>ung integrierten Personalpl<strong>an</strong>ung, die lediglich<br />
Aussagen über die gepl<strong>an</strong>te zukünftige Beschäftigungsentwicklung, aber keine detaillierten<br />
Aussagen über die H<strong>an</strong>dhabung der personalpolitischen Instrumente auf dezentraler<br />
Ebene machen k<strong>an</strong>n, da sie nicht mehr Entscheidungsträger beim Einsatz<br />
dieser Instrumente ist. Stattdessen wird auf dezentraler Ebene der Fertigungsteams<br />
selbstständig über die Aufteilung der Arbeit, Einstellungen oder Versetzungen entschieden.<br />
Als Konsequenz daraus entwickeln sich in der Praxis zum Betriebsverfassungsgesetz<br />
divergierende informelle Entscheidungsstrukturen, die durch eine <strong>Verlag</strong>erung
508 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
der Aufgaben des Betriebsrats von personellen Einzelmaßnahmen der operativen Personalpl<strong>an</strong>ung<br />
hin zum strategischen Bereich der Personalpl<strong>an</strong>ung, d.h. der Ausrichtung<br />
personeller Maßnahmen am strategischen H<strong>an</strong>deln des Unternehmens, gekennzeichnet<br />
sind. In der Folge bedarf es einer Anpassung der Betriebsverfassung <strong>an</strong> die<br />
neuen Gegebenheiten, insbesondere durch eine neue Ver<strong>an</strong>kerung der Personalpl<strong>an</strong>ung,<br />
wodurch dem Betriebsrat erstmals ein systematischer Zugriff auf seine Beteiligungsrechte<br />
im Kontext der Unternehmensstrategie ermöglicht würde.<br />
Als problematisch erweist sich dabei allerdings, dass eine inadäquat betriebene<br />
Personalpl<strong>an</strong>ung, z.B. durch eine fehlende Abstimmung dieser mit der l<strong>an</strong>gfristigen<br />
Unternehmensstrategie, die zur Realisierung des Leistungsprozesses notwendigen<br />
Qu<strong>an</strong>titäten und Qualitäten <strong>an</strong> Personal nicht abschätzen k<strong>an</strong>n. Dies hat zur Folge,<br />
dass die Wahrnehmung der Partizipationsrechte des Betriebsrats auf einer falschen<br />
Informationsbasis beruhen würde. Demnach würde eine neue Einbindung der Personalpl<strong>an</strong>ung<br />
in der Betriebsverfassung alleine nicht ausreichen. Es bedarf vielmehr der<br />
Entwicklung eines Grundsatzsystems einer Personalpl<strong>an</strong>ung, mit dessen Hilfe es für<br />
Unternehmen möglich ist, eine möglichst qualitätsgesicherte Personalpl<strong>an</strong>ung durchzuführen.<br />
Damit ist es Ziel dieser Arbeit, Grundsätze einer Personalpl<strong>an</strong>ung zu entwickeln,<br />
so dass die Betriebsverfassung am strategischen H<strong>an</strong>deln der Unternehmen<br />
ausgerichtet werden k<strong>an</strong>n.<br />
2. Theoretischer Zug<strong>an</strong>g der Untersuchung<br />
Der Arbeit liegt der Ansatz des Strategischen Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement der<br />
Michig<strong>an</strong> School zu Grunde. Dieser erscheint zur Erstellung der Grundsätze geeignet,<br />
bezieht er doch konsequent die auf das Unternehmen einwirkende Umwelt mit ein. So<br />
führen gravierende Änderungen der Umwelt beispielsweise durch eine nachhaltige<br />
Veränderung der Absatz- und Beschaffungsmärkte zw<strong>an</strong>gsläufig zu einer Anpassung<br />
in der Gestaltung der effizienzbestimmenden Faktoren Unternehmensstrategie, Org<strong>an</strong>isationsstruktur<br />
und Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement. Damit trägt der Ansatz sowohl<br />
der spezifischen Unternehmenssituation in einer sich verändernden Umwelt als auch<br />
der Tatsache der Ressourcenabhängigkeit von Unternehmen Rechnung. Zudem stellt<br />
der Ansatz mit dem Hum<strong>an</strong> Resource Cycle eine Systematik der personellen Teilfunktionen<br />
bereit, die sich am dynamischen Prozess der Leistungserstellung und nicht<br />
<strong>an</strong> starren Funktionen und Tätigkeiten ausrichtet. Diese Teilfunktionen sind gleichsam<br />
Ansatzpunkte für die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats.<br />
Durch die Identifikation des Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement als effizienzbestimmenden<br />
Parameter eines Unternehmens und seine konsequente integrative Verbindung<br />
mit der Org<strong>an</strong>isationsstruktur und der Unternehmensstrategie wird auch der<br />
ökonomische Beitrag der Personalfunktion zum Unternehmenserfolg <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt. Um<br />
den daraus resultierenden Erfolgsfaktor Personal ökonomisch sinnvoll nutzen zu<br />
können, bedarf es einer Ausrichtung der Personalfunktion <strong>an</strong> den l<strong>an</strong>gfristigen strategischen<br />
Zielen des Unternehmens, womit die Personalfunktion in der Lage ist, auch<br />
einen originären Beitrag zum Unternehmenserfolg zu leisten, und folglich ihren kurzfristig<br />
derivativen Charakter eines reinen Mengen- und Qualifikations<strong>an</strong>passers im
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 509<br />
Sinne eines Lückenkonzeptes zu überwinden. Dies setzt somit <strong>an</strong>tizipatives personalwirtschaftliches<br />
H<strong>an</strong>deln und damit eine Personalpl<strong>an</strong>ung voraus, die ihrerseits<br />
Beiträge und Anregungen für eine Investitions-, Produktions- oder Fin<strong>an</strong>zpl<strong>an</strong>ung<br />
geben k<strong>an</strong>n. Damit gibt der Ansatz die benötigten Hinweise zur Ausgestaltung einer<br />
Personalpl<strong>an</strong>ung.<br />
3. Untersuchungsdesign<br />
Um den mit der Erstellung von Grundsätzen einer Personalpl<strong>an</strong>ung verfolgten<br />
Zweck erfüllen zu können, bedarf es umfassender Erkenntnisquellen. Zu solchen Erkenntnisquellen<br />
gehören einerseits sowohl die Forschungsergebnisse der betriebswirtschaftlichen<br />
Personalpl<strong>an</strong>ungsliteratur, die vor dem Hintergrund des Strategischen<br />
Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement betrachtet werden, als auch die einschlägig kodifizierten<br />
Rechtsnormen, insbesondere des Betriebsverfassungsgesetzes, und ihre<br />
Auslegung durch die Rechtsprechung. Hier ist es Ziel, auf deduktivem Wege Informationen<br />
zur Formulierung von Grundsätzen der Personalpl<strong>an</strong>ung zu gewinnen.<br />
Es ist allerdings zu beachten, dass die Deduktion als solche nur Informationen<br />
liefert, die bereits in den gesetzten Prämissen enthalten sind, mit der Folge, dass der<br />
Entdeckungszusammenh<strong>an</strong>g außer Acht gelassen wird. Das Entdecken verschiedenster<br />
Pl<strong>an</strong>ungsvari<strong>an</strong>ten, z.B. aus der Praxis, ist aber notwendige Voraussetzung zur<br />
Deduktion mit der Folge, dass eine deduktive Vorgehensweise eine induktive nicht<br />
g<strong>an</strong>z und gar ausklammern k<strong>an</strong>n. Folglich erscheint nur ein Methodenmix sinnvoll.<br />
Damit werden auch Informationen aus der erfolgreichen Personalpl<strong>an</strong>ungspraxis in<br />
die Formulierung von Grundsätzen der Personalpl<strong>an</strong>ung mit einbezogen, was mit Hilfe<br />
von Fallstudien auf induktivem Wege erfolgt.<br />
4. Empirische Überprüfung<br />
Eine empirische Überprüfung des Ergebnisses wird im Rahmen dieser Arbeit<br />
nicht vorgenommen, werden doch qualitative Aussagen darüber getroffen, wie eine<br />
am Strategischen Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement ausgerichtete Personalpl<strong>an</strong>ung ausgestaltet<br />
sein sollte und nicht, wie sie in der Praxis ausgestaltet ist. Folglich st<strong>an</strong>den<br />
bei der Gewinnung von Praxisinformationen nicht empirische Erhebungen als Abbild<br />
der Praxis im Vordergrund, die lediglich den dort vorherrschenden m<strong>an</strong>gelnden Ausbaust<strong>an</strong>d<br />
der Personalpl<strong>an</strong>ung aufzeigen können, sondern vielmehr solche, die eine<br />
erfolgreiche Personalpl<strong>an</strong>ung betreiben. Damit ist eine empirische Überprüfung des<br />
vorgestellten Grundsatzsystems mit Hilfe qu<strong>an</strong>titativer Methoden nicht zielführend.<br />
Es bleibt weiteren Forschungsarbeiten überlassen, dieses Grundsatzsystem in weiteren<br />
Fallstudien zu prüfen.<br />
5. Zielerreichung / Resümee<br />
Mit Hilfe der vorliegenden Arbeit gelingt eine verbindliche Einbindung der<br />
Grundsätze der Personalpl<strong>an</strong>ung in die Betriebsverfassung, womit eine konsequente<br />
Ausrichtung der Betriebsverfassung am Strategischen Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement
510 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
möglich wird. So wird die Einzelfallbezogenheit des Gesetzes durch die am Strategischen<br />
Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement ausgerichtete Information des Betriebsrates ü-<br />
ber die Beschäftigungsentwicklung im Kontext der Unternehmensstrategie überwunden,<br />
so dass nun der Betriebsrat einen systematischen Zugriff auf seine Rechte erhält.<br />
Dies führt zudem zu einer Reflexion über die zukünftige Beschäftigungsentwicklung<br />
und -fähigkeit, statt zum Denken in ökonomischen Kalkülen des Sozialpl<strong>an</strong>s, was<br />
sowohl zur Umkehrung der herrschenden Logik des Betriebsverfassungsgesetzes als<br />
auch zu einer Ausrichtung der Betriebsverfassung am Grundged<strong>an</strong>ken des Strategischen<br />
M<strong>an</strong>agements führt. Letztlich kommt es durch die Einführung einer verpflichtenden<br />
Personalpl<strong>an</strong>ung zu einer gew<strong>an</strong>delten Sichtweise des Mitarbeiters weg vom<br />
Kosten- hin zum Erfolgsfaktor, was ebenfalls im Sinne des Strategischen Hum<strong>an</strong> Resource<br />
M<strong>an</strong>agement ist.<br />
Michael Knörzer<br />
Flexible Arbeitszeiten und alternative Beschäftigungsformen<br />
in der Personalpl<strong>an</strong>ung – Optimierungsmodelle aus Unternehmenssicht<br />
und Kompromissmodelle zur Berücksichtigung<br />
betrieblicher Mitbestimmung *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Hugo Kossbiel, Universität Fr<strong>an</strong>kfurt am<br />
Main<br />
1. Problemstellung<br />
Schlagworte wie „Die Abkehr vom Normalarbeitstag“ und „Die Erosion des<br />
Normalarbeitsverhältnisses“ beschreiben die In<strong>an</strong>spruchnahme „zeitlicher Flexibilität“<br />
durch Abweichungen von einer regelmäßigen tariflichen bzw. betrieblichen Arbeitszeit<br />
(z.B. durch Mehrarbeit, Teilzeitarbeit, Jahresarbeitszeitverträge) respektive<br />
die zunehmende Nutzung „alternativer“ oder „atypischer“ Beschäftigungsverhältnisse<br />
(z.B. geringfügige Beschäftigung, befristete Arbeitsverhältnisse, Leiharbeitsverhältnisse).<br />
Diese Entwicklungen werden durch Tarifverträge und Gesetzgebung<br />
ermöglicht. So haben die Tarifvertragsparteien seit dem historischen „Leber-<br />
Kompromiss“ zur 38,5–Stunden-Woche in der Metallindustrie im Jahr 1984 eine Fülle<br />
neuer Formen der flexiblen Arbeitszeitgestaltung initiiert. Parallel dazu hat der Ge-<br />
*<br />
Michael Knörzer: Flexible Arbeitszeiten und alternative Beschäftigungsformen in der Personalpl<strong>an</strong>ung.<br />
Optimierungsmodelle aus Unternehmenssicht und Kompromissmodelle zur Berücksichtigung<br />
betrieblicher Mitbestimmung. ISBN 3-87988-639-3, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>,<br />
München und Mering 2002, 365 S., € 34,80.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 511<br />
setzgeber mit der Ersetzung der alten Arbeitszeitordnung durch das Arbeitszeitgesetz<br />
über die Verabschiedung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes bis hin zur Einführung<br />
des Teilzeit- und Befristungsgesetzes zum 01. J<strong>an</strong>uar 2001 die rechtlichen Rahmenbedingungen<br />
für diese aktuellen Tendenzen geschaffen. Die dadurch ermöglichten<br />
H<strong>an</strong>dlungsspielräume für Arbeitgeber können aufgrund der im Betriebsverfassungsgesetz<br />
festgelegten Mitbestimmungsrechte bzw. der Regelungen in Tarifverträgen,<br />
in denen die Tarifvertragsparteien den Betriebsräten z.T. über die gesetzlichen<br />
Vorgaben hinausgehende Mitwirkungsrechte zugestehen, oft nur im Konsens mit den<br />
Betriebsräten genutzt werden.<br />
Für die Personalpl<strong>an</strong>ung erwachsen aus diesen Entwicklungen zwei Problemstellungen:<br />
1. Die rechtlichen und tariflichen Regelungen zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung<br />
und zu alternativen Beschäftigungsformen müssen in Pl<strong>an</strong>ungs<strong>an</strong>sätzen so umgesetzt<br />
werden, dass einerseits eine optimale Nutzung dieser Möglichkeiten erzielt<br />
wird, <strong>an</strong>dererseits die rechtliche Zulässigkeit (Vorgaben des Gesetzgebers<br />
bzw. der Tarifvertragsparteien) der Lösungen gewährleistet ist.<br />
2. Die Personalpl<strong>an</strong>ung sollte nicht nur die Ziele des Arbeitgebers (z.B. Reduzierung<br />
der Personalkosten), sondern auch die Interessen des Betriebsrates (z.B.<br />
Vermeidung von Entlassungen) berücksichtigen. Da die Ziele von Arbeitgeber<br />
und Betriebsrat nur zum Teil übereinstimmen, ist die Frage zu be<strong>an</strong>tworten, wie<br />
ein Interessenausgleich zwischen den Parteien erzielt werden k<strong>an</strong>n.<br />
Trotz zunehmender Beh<strong>an</strong>dlung von Problemen der Personalpl<strong>an</strong>ung in den letzten<br />
Jahrzehnten ist den oben <strong>an</strong>gesprochen Problemstellungen bisher in keiner oder<br />
nur in unzureichender Weise Rechnung getragen worden. Die Wissenschaft beschränkt<br />
sich fast ausschließlich auf die Beschreibung und Erklärung der Verbreitung<br />
flexibler Arbeitszeiten und alternativer Beschäftigungsformen, sie liefert jedoch<br />
kaum Ansätze zur Entscheidungsunterstützung für die Praxis. So existiert weder eine<br />
Umsetzung der aktuell wichtigsten tariflichen und gesetzlichen Regelungen zur flexiblen<br />
Arbeitszeitgestaltung und zu alternativen Beschäftigungsformen in Pl<strong>an</strong>ungs<strong>an</strong>sätze,<br />
noch ist bisher eine befriedigende Einbeziehung betrieblicher Mitbestimmung<br />
in die Personalpl<strong>an</strong>ung gelungen.<br />
2. G<strong>an</strong>g der Untersuchung<br />
Nach einer Einführung in die Problemstellung werden im zweiten Teil die Bedeutung<br />
flexibler Personalausstattungen für die Deckung von Personalbedarfen hergeleitet<br />
sowie die Verbreitung und die rechtlichen Grundlagen verschiedener Arbeitszeit-<br />
und Beschäftigungsformen beschrieben. Der dritte Teil der Arbeit stellt die Berücksichtigung<br />
von Zielen der Betriebsräte bei der Personalpl<strong>an</strong>ung in den Mittelpunkt.<br />
Dazu werden sowohl Arbeiten aus der Gewerkschaftstheorie als auch empirische<br />
Untersuchungen über das Mitbestimmungsverhalten von Betriebsräten aufbereitet.<br />
Ein weiterer Abschnitt der Arbeit ist d<strong>an</strong>n dem Problem gewidmet, wie die Berücksichtigung<br />
der Betriebsratsziele in Ansätzen der Personalpl<strong>an</strong>ung erfolgen k<strong>an</strong>n<br />
und wie die Zielsetzungen von Arbeitgeber und Betriebsrat zu einem Kompromiss
512 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
geführt werden können. Teil vier der Arbeit ist Modellen der Personalpl<strong>an</strong>ung gewidmet.<br />
Dort werden zunächst in Tarifverträgen bedeutender Br<strong>an</strong>chen vorzufindende<br />
Regelungen zu flexiblen Arbeitszeiten <strong>an</strong>alysiert und in Pl<strong>an</strong>ungs<strong>an</strong>sätze umgesetzt.<br />
D<strong>an</strong>ach werden Ansätze zur Nutzung von befristeten Beschäftigungs- und<br />
Leiharbeitsverhältnissen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Regelungen vorgestellt.<br />
Zu jedem Problembereich wird ein Beispiel zum Interessenausgleich zwischen<br />
Arbeitgeber und Betriebsrat gegeben. Die Arbeit schließt mit einer kritischen Betrachtung<br />
der vorgestellten Pl<strong>an</strong>ungs<strong>an</strong>sätze und der verwendeten Kompromisslösungen.<br />
3. Inhalt, Methodik und Ergebnisse<br />
Um eine möglichst breite Anwendung der vorgestellten Pl<strong>an</strong>ungs<strong>an</strong>sätze zu erzielen,<br />
sind neben den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes<br />
und des Teilzeit- und Befristungsgesetzes einschlägige Tarifverträge<br />
her<strong>an</strong>gezogen worden. So wurden Regelungen zur Arbeitszeitflexibilisierung u.a. aus<br />
Tarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie, der Chemischen Industrie, der<br />
Druckindustrie und des Einzelh<strong>an</strong>dels als Grundlage für die Personalpl<strong>an</strong>ungsmodelle<br />
berücksichtigt. Wegen der überragenden Bedeutung, die der Nutzung von Überstunden<br />
in der Praxis zukommt (in den letzten Jahren stets bis fast 2 Mrd. Überstunden<br />
pro Jahr), und wegen der Vielfalt der in Tarifverträgen vorfindbaren Regelungen<br />
zum Freizeitausgleich wurde diesem Themenkomplex besonderes Gewicht beigemessen.<br />
Zudem finden sich im Arbeitszeitgesetz und in vielen Tarifverträgen Möglichkeiten<br />
der „Verteilung“ von Arbeitszeit in sog. Ausgleichs- oder Verteil(ungs)zeiträumen<br />
bis hin zu Jahresarbeitszeitregelungen, die ebenfalls betrachtet<br />
wurden. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz f<strong>an</strong>d ebenso Berücksichtigung, wie die<br />
in der Wirtschaftspraxis am meisten genutzte alternative Beschäftigungsform, die im<br />
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geregelten Leiharbeitsverhältnisse. Diese Beschäftigungsform<br />
steht wie keine zweite für die „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“.<br />
So stieg die Zahl der Leiharbeitskräfte von knapp 12.000 Mitte der 70er Jahre auf fast<br />
300.000 im Jahr 2000.<br />
Gesetzliche und tarifliche Regelungen bilden die Grundlage der vorgestellten<br />
Pl<strong>an</strong>ungsmodelle. Dazu wurden die in Tarifverträgen vorgefundenen Arbeitszeitregelungen<br />
auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede untersucht, klassifiziert und <strong>an</strong>schließend<br />
in Pl<strong>an</strong>ungsmodelle umgesetzt. Ausgehend von Referenzmodellen, die auf einer<br />
häufig vorfindbaren und sehr grundsätzlichen Arbeitszeitregelung basieren, werden<br />
Vari<strong>an</strong>ten vorgestellt. Diese verl<strong>an</strong>gen oft nur eine vergleichsweise geringfügige Veränderung<br />
des Referenzmodells, was als Indiz für die „Robustheit“ der zuvor entwickelten<br />
Referenzmodelle gegenüber Modifikationen der Arbeitszeitregelungen gelten<br />
k<strong>an</strong>n. Neben den gesetzlichen und tariflichen Vorgaben spielt die arbeitsgerichtliche<br />
Beurteilung bestimmter Sachverhalte, das sog. „Richterrecht“, eine herausragende<br />
Rolle im Arbeitsrecht. Um z.B. im Rahmen von befristeter Beschäftigung oder von<br />
Leiharbeit sog. „Kettenarbeitsverträge“ auszuschließen, sind in der Personalpl<strong>an</strong>ung<br />
Vorgaben der Arbeitsgerichte zu berücksichtigen.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 513<br />
Der Umf<strong>an</strong>g und die Komplexität der Pl<strong>an</strong>ungs<strong>an</strong>sätze erfordern zu ihrer Lösung<br />
mathematische Verfahren, insbesondere der linearen Optimierung. Wie die zahlreichen<br />
Beispiele zu den einzelnen Pl<strong>an</strong>ungsmodellen zeigen, führen die Ansätze<br />
nicht nur zu rechtlich zulässigen und optimalen, sondern auch zu „intuitiv plausiblen“<br />
Ergebnissen.<br />
Die in der Arbeit verwendeten „Ausgleichslösungen“ mussten zwei Kriterien erfüllen:<br />
<br />
<br />
erstens sollten sie geeignet sein, die Verh<strong>an</strong>dlungssituation adäquat abzubilden,<br />
zweitens sollte eine Kompromisslösung für die Beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter<br />
möglichst gut nachvollziehbar sein, um eine hohe Akzept<strong>an</strong>z<br />
zu erzielen.<br />
Verh<strong>an</strong>dlungslösungen der sog. kooperativen Spieltheorie erfüllen diese Voraussetzungen<br />
wie keine <strong>an</strong>dere Klasse von Verfahren der Mehrzielentscheidung. Zum<br />
einen sind sie geeignet, über die Berücksichtigung sowohl der bei Konsens der Verh<strong>an</strong>dlungspartner<br />
möglichen Ergebnisse als auch der im Konfliktfall zur Verfügung<br />
stehenden Verhaltensweisen zu erfassen. Zum <strong>an</strong>deren legen diese Verh<strong>an</strong>dlungslösungen<br />
die ihnen zugrunde liegenden „Gerechtigkeitsvorstellungen“ offen. Es wird<br />
gezeigt, dass die mathematisch formal formulierten Axiome, aus denen die Lösungen<br />
abgeleitet sind, oft intuitiv nachvollziehbare und alltägliche Vorstellungen von Fairness<br />
widerspiegeln und wie sich diese in Verh<strong>an</strong>dlungen zwischen Arbeitgeber und<br />
Betriebsrat auswirken.<br />
12. Internationales Personalm<strong>an</strong>agement<br />
Iris Kollinger<br />
Der Ausl<strong>an</strong>dseinsatz von weiblichen Führungskräften<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Dudo von Eckardstein, Wirtschaftsuniversität<br />
Wien<br />
Weibliche Führungskräfte sind im internationalen M<strong>an</strong>agement noch immer<br />
deutlich unterrepräsentiert, obwohl die Zahl <strong>an</strong> hoch qualifizierten und karriereorientierten<br />
Frauen, die auch auf internationaler Ebene eine Karriere <strong>an</strong>streben, stetig zunimmt.<br />
In der vorliegenden Arbeit steht der Aspekt der Unterrepräsent<strong>an</strong>z von Female<br />
Expatriates im Vordergrund, in deren Rahmen untersucht wird, ob eine Ausl<strong>an</strong>dsentsendung<br />
(bzw. ein Ausl<strong>an</strong>dseinsatz im Allgemeinen) für weibliche Führungskräfte<br />
g<strong>an</strong>z grundsätzlich ein Diskriminierungspotenzial in sich birgt und eine weitere Hürde<br />
für den Karriereverlauf von Frauen darstellt. Es wird überprüft, ob in der Entsendungspraxis<br />
der Unternehmen eine Diskriminierung, eine bloße qu<strong>an</strong>titative Unterrepräsent<strong>an</strong>z<br />
oder vielleicht sogar eine Bevorzugung von weiblichen Führungskräften
514 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
vorliegt, indem der Anteil von Frauen <strong>an</strong> Führungskräften in Österreich mit dem Anteil<br />
von Frauen <strong>an</strong> Führungskräften, die ins Ausl<strong>an</strong>d geschickt werden, verglichen<br />
wird. Dar<strong>an</strong> <strong>an</strong>schließend werden die Gründe für die Diskriminierung bzw. Unterrepräsent<strong>an</strong>z<br />
von Female Expatriates beurteilt, wobei nicht nur auf bereits bestehende<br />
Argumentationsmuster der einschlägigen Literatur zurückgegriffen wird, sondern<br />
auch neue Erkenntnisse, die aus dem empirischen Teil der Arbeit hervorgehen, eingearbeitet<br />
werden.<br />
Zu diesem Zweck wird in einem ersten Schritt der konzeptionelle Rahmen, in<br />
dem die Forschungsfrage eingebettet ist, aufgearbeitet: Es werden die allgemeinen<br />
Merkmale des Entsendungsprozesses erläutert sowie nach den Gründen für die qu<strong>an</strong>titative<br />
(Unter-) Repräsent<strong>an</strong>z der weiblichen Ents<strong>an</strong>dten gefragt. Weiters werden die<br />
möglichen theoretischen Erklärungs<strong>an</strong>sätze zur Unterrepräsent<strong>an</strong>z von weiblichen<br />
Ausl<strong>an</strong>dsents<strong>an</strong>dten beh<strong>an</strong>delt. Dabei erfolgt eine Konzentration auf die geschlechtsspezifische<br />
Sozialisationstheorie bzw. auf die Überlegungen der geschlechtsspezifischen<br />
Arbeitsmarktsegregation, da deren Erklärungsbeitrag für die Forschungsfrage<br />
im Gegensatz zu <strong>an</strong>deren, wie bspw. rechtlichen oder biologischen, Ansätzen als besonders<br />
hoch beurteilt wird. In einem zweiten Schritt erfolgt die empirische Aufarbeitung<br />
der Forschungsfrage. Basierend auf einer qualitativen Vorerhebung wurde im<br />
Zeitraum Juni bis August 2001 eine Fragebogenerhebung unter den TOP 500 Unternehmen<br />
sowie den jeweils 25 größten B<strong>an</strong>ken, Versicherungsunternehmen und Unternehmensberatern<br />
in Österreich durchgeführt (Rücklauf 18,3%). Nach einer Beschreibung<br />
der Ziele, des Aufbaus sowie der allgemeinen Vorg<strong>an</strong>gsweise der Erhebung<br />
werden die Ergebnisse der Untersuchung dargestellt, mit der bestehenden Literatur<br />
verglichen und Rückschlüsse auf die Forschungsfrage gezogen. Abschließend<br />
werden für die Personalver<strong>an</strong>twortlichen mögliche H<strong>an</strong>dlungsempfehlungen abgegeben,<br />
um den Anteil <strong>an</strong> weiblichen Ents<strong>an</strong>dten entsprechend zu erhöhen.<br />
Die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit lauten wie folgt: In nahezu der Hälfte der<br />
Fälle k<strong>an</strong>n eine Diskriminierung von Frauen als wahrscheinlich <strong>an</strong>genommen werden.<br />
13,7% der Respondenten haben weder auf nationaler noch auf internationaler<br />
Ebene weibliche Führungskräfte beschäftigt, rund 1/3 der befragten Unternehmen haben<br />
zwar auf nationaler Ebene weibliche Führungskräfte, entsenden aber keine Frauen<br />
ins Ausl<strong>an</strong>d. Bei rund einem weiteren Drittel der Stichprobe k<strong>an</strong>n eine Unterrepräsent<strong>an</strong>z<br />
von weiblichen Ents<strong>an</strong>dten festgestellt werden, d.h. der Anteil von weiblichen<br />
Führungskräften auf nationaler Ebene übersteigt den auf internationaler Ebene.<br />
Bei rund einem Viertel der Respondenten liegt der Anteil der Female Expatriates über<br />
dem der weiblichen Führungskräfte auf nationaler Ebene, es h<strong>an</strong>delt sich hier um eine<br />
relative Besserstellung von Frauen. Dies untermauert die Annahme, dass bei diesen<br />
Unternehmen Frauen, wenn sie einmal den Sprung ins M<strong>an</strong>agement geschafft haben,<br />
auch häufiger bei Ausl<strong>an</strong>dseinsätzen berücksichtigt werden. Auch wenn die in der Literatur<br />
und Praxis grundsätzlich geäußerte qu<strong>an</strong>titative Unterrepräsent<strong>an</strong>z von weiblichen<br />
Ausl<strong>an</strong>dsents<strong>an</strong>dten durch die Fragebogenerhebung bestätigt werden konnte,<br />
k<strong>an</strong>n dabei allerdings nicht vorbehaltlos von einer durchgängigen Unterrepräsent<strong>an</strong>z<br />
bzw. Diskriminierung von Frauen bei Entsendungen gesprochen werden.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 515<br />
Der durchschnittlich geringe Anteil von Female Expatriates (12,8%) k<strong>an</strong>n vor<br />
allem durch die Unterrepräsent<strong>an</strong>z von Frauen in den für Ausl<strong>an</strong>dseinsätze relev<strong>an</strong>ten<br />
Hierarchieebenen (20,3%) sowie in den jeweiligen Br<strong>an</strong>chen (23,9%) begründet werden.<br />
Weiters spielen kulturelle Vorbehalte des Entsendungsl<strong>an</strong>des (17,5%) sowie die<br />
familiären Verpflichtungen (13,9%) ebenso eine große, wenn auch nicht eine so stark<br />
ausgeprägte Rolle. Im Gegensatz dazu kommt Faktoren, wie etwa einer fehlenden<br />
fachlichen Spezialisierung (7,6%), fehlenden Führungsqualitäten (3,6%)oder einer<br />
fehlenden Berufs- (2,8%) bzw. Ausl<strong>an</strong>dserfahrung (2,4%) nur eine geringe Bedeutung<br />
zu. Allerdings wird durch die Entscheidung für eine qu<strong>an</strong>titative Vorg<strong>an</strong>gsweise<br />
die Aussagekraft der Ergebnisse dadurch geschmälert, dass subjektive Sichtweisen,<br />
Denkschemata und Deutungsmuster der Personalver<strong>an</strong>twortlichen nicht erfasst und<br />
rekonstruiert werden. Es besteht somit der Bedarf nach qualitativen Folgeuntersuchungen,<br />
die dieses Defizit ausgleichen und die vorliegenden Untersuchungsergebnisse<br />
ergänzen.<br />
Zusammenfassend k<strong>an</strong>n festgehalten werden, dass die Repräsent<strong>an</strong>z der weiblichen<br />
Ents<strong>an</strong>dten weniger ein entsendungsspezifisches, sondern ein grundsätzlich<br />
frauenpolitisches Problem ist, sodass zunächst alle Maßnahmen, die zur Förderung<br />
von Frauen im M<strong>an</strong>agement ergriffen werden können, ebenso oder in leicht modifizierter<br />
Form auch der Förderung (des Anteils) von Female Expatriates dienen, wie<br />
bspw. eine qualifikationsbezogene Auswahl der Adressaten der Personalentwicklung,<br />
eine spezifische frauenorientierte Karrierepl<strong>an</strong>ung, die Förderung der Vereinbarkeit<br />
von Familie und Karriere etc. Weiters empfehlen sich aufbauend auf diesen Maßnahmen<br />
die Schaffung von spezifischen Rahmenbedingungen, wie bspw. die Schaffung<br />
von freiwilligen, institutionalisierten Bewerberpools für Ausl<strong>an</strong>dseinsätze, die<br />
Integration von Ausl<strong>an</strong>dseinsätzen in die Laufbahnpl<strong>an</strong>ung, die Formalisierung des<br />
Auswahlverfahrens oder die Einrichtung von Mentorensystemen.<br />
Anja Seng<br />
Erwartungen potentieller Bewerber/innen als Grundlage<br />
einer gezielten Nachwuchsrekrutierung im internationalen<br />
Personalm<strong>an</strong>agement *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Dudo von Eckardstein, Wirtschaftsuniversität<br />
Wien<br />
Die internationale Geschäftstätigkeit ist für Unternehmen, die davon betroffenen<br />
Länder und die Weltwirtschaft zum Schlüsselfaktor des Erfolgs geworden (Machar-<br />
*<br />
Erschienen im Privus <strong>Verlag</strong>, H<strong>an</strong>nover 2001, ISBN Nr. 3-926000-12-0.
516 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
zina et al. 1994). Den strukturellen Herausforderungen, die sich durch die Globalisierung<br />
ergeben, begegnen die Unternehmen durch Neuorg<strong>an</strong>isation der Arbeitsstrukturen<br />
von starr gegliederten und hierarchischen Strukturen hin zu offenen, flexiblen und<br />
kundenorientierten Org<strong>an</strong>isationssystemen, in denen Hierarchien flacher, die Entscheidungszuständigkeit<br />
in den operativen Ebenen wesentlich erweitert und die Arbeitsbereiche<br />
fach- und funktionsübergreifend komplexer gestaltet sind. Wirtschaftlicher<br />
Leitged<strong>an</strong>ke für diese Umstrukturierung ist die Erkenntnis, dass weniger die<br />
Technik- und Kapitalstrukturen als vielmehr die Personalstrukturen wesentliche Rationalisierungsreserven<br />
darstellen (Warnecke 1997). Eine der entscheidenden Ressourcen,<br />
die wirtschaftlichen Herausforderungen im globalen Maßstab erfolgreich zu bestehen,<br />
werden zunehmend die Menschen sein, die für das jeweilige Unternehmen tätig<br />
sind. Trendforscher M. Horx sagt ein neuartiges Personalm<strong>an</strong>agement voraus:<br />
„Nach dem Kampf um Bits und Bytes kommt jetzt der War for Talent. Die Welle der<br />
Produktivitätssteigerung durch Computer und Informationstechnik ist vorbei. Jetzt<br />
wird es darum gehen, die Produktivität der Hum<strong>an</strong> Resources zu steigern“ (Gloger<br />
2001). Bei weltweit zahlenmäßig zu geringem und zum Teil nicht entsprechend ausgebildetem<br />
M<strong>an</strong>agementnachwuchs bedeutet dies für jedes Unternehmen, sich durch<br />
den Aufbau eigener Attraktivität die benötigten Fach- und Führungskräfte zu sichern.<br />
Die Entwicklungen am Arbeitsmarkt gepaart mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />
Globalisierungsprozessen verursachen für die international tätigen<br />
Unternehmen die Notwendigkeit eines strategischen, international orientierten Personalmarketing<br />
unter den Zielsetzungen:<br />
sich eindeutig auf dem internationalen Arbeitsmarkt als Arbeitgeber zu positionieren<br />
und dabei kulturelle Unterschiede zu berücksichtigen,<br />
eine internationale Bek<strong>an</strong>ntheit zu erreichen und gegenüber der unternehmens-<br />
<br />
spezifischen Zielgruppe eine Attraktivität zu vermitteln,<br />
um extern wie intern unabhängig von lokalen Grenzen, aber abhängig von dem<br />
Bedarf kontinuierlich über ein qualifiziertes Mitarbeiterpotential verfügen zu<br />
können.<br />
In der vorliegenden Arbeit liegt der Fokus auf dem strategischen, extern orientierten<br />
Personalmarketing, wobei als Zielgruppe diejenige der internationalen Führungsnachwuchskräfte,<br />
insbesondere mit wirtschafts- und ingenieurwissenschaftlicher<br />
Orientierung, gewählt wird. Die kulturbezogene Analyse betrachtet Deutschl<strong>an</strong>d<br />
sowie die übergreifenden Regionen Osteuropas und Asiens. So k<strong>an</strong>n der Frage nachgeg<strong>an</strong>gen<br />
werden, wie bei einem Tr<strong>an</strong>sfer bestehender, ethnozentrisch geprägter Personalmarketing-Ansätze<br />
interkulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu berücksichtigen<br />
sind.<br />
Ausg<strong>an</strong>gspunkt der vorliegenden Arbeit bilden somit Überlegungen zur Notwendigkeit<br />
einer Differenzierung bei der Konzeption und Umsetzung eines international<br />
orientierten Personalmarketings aufgrund kultureller Unterschiede im Rahmen<br />
des Globalisierungsprozesses. Inhalt ist die Beobachtung der Existenz bzw. der Ausprägung<br />
von kulturellen Unterschieden von internationalen Führungsnachwuchskräf-
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 517<br />
ten und die Ableitung von H<strong>an</strong>dlungsempfehlungen für ein internationales Personalmarketing.<br />
Aufgabe im Laufe der Betrachtung ist es, zunächst eine theoretische Grundlage<br />
auf Basis von Personalm<strong>an</strong>agement, Marketing, Motivationsforschung und internationaler<br />
Forschung in Form eines strategischen Personalmarketings zu erarbeiten. Dabei<br />
liegt der Schwerpunkt auf der Betrachtung für das internationale Personalmarketing<br />
relev<strong>an</strong>ter interkultureller Unterschiede, die <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d einer qu<strong>an</strong>titativ und einer<br />
qualitativ orientierten empirischer Untersuchungen erhoben werden. Im Rahmen der<br />
qu<strong>an</strong>titativen Befragung wurden 900 Fragebögen verteilt, wobei der Rücklauf von<br />
282 Fragebögen einer Quote von 31,8% entspricht. In Betrachtung der kulturellen<br />
Gruppen ergeben sich folgende Rücklaufquoten: Asiaten: 49,8%, Osteuropäer:<br />
20,6%, Deutsche: 23,7%. Die Auswertung der Fragebögen erfolgt elektronisch unterstützt<br />
via SPSS Version 8.0. Anwendung finden unter <strong>an</strong>derem Signifik<strong>an</strong>ztests, Korrelations<strong>an</strong>alysen,<br />
Mittelwertvergleiche und Faktoren<strong>an</strong>alysen. In die Auswertung der<br />
qualitativ orientierten Gruppendiskussion gehen je kultureller Gruppe 2 bzw. 3 Diskussionsrunden<br />
ein, die mit jeweils 2 – 8 Teilnehmern besetzt waren. Die Auswertung<br />
erfolgt via Inhalts<strong>an</strong>alyse. Wie sich im Rahmen der empirischen Erhebung zeigt,<br />
bestehen hinsichtlich der Erwartungen und Motive der Zielgruppe der internationalen<br />
Führungsnachwuchskräfte einerseits interkulturelle Unterschiede, <strong>an</strong>dererseits aber<br />
auch übergreifende Gemeinsamkeiten, die für die Unternehmen im Zuge der Pl<strong>an</strong>ung<br />
und Umsetzung des Personalmarketing relev<strong>an</strong>t sind.<br />
Den erarbeiteten theoretischen Bezugsrahmen zur Konzeption eines strategischen<br />
Personalmarketing gilt es, sowohl individuell für das Unternehmen auszugestalten<br />
als auch gezielt auf die Zielgruppe auszurichten. Während der Analyse- und<br />
Pl<strong>an</strong>ungsphase identifiziert das Unternehmen nicht nur die gegenwärtige Positionierung,<br />
sondern auch die Zielposition bei der zu definierenden Zielgruppe. In dieser<br />
Phase entscheidet das Unternehmen bereits über den internationalen Wirkungsgrad<br />
mit Folgen für die regionale Differenzierung des Personalmarketing. Die empirische<br />
Studie zeigt, dass im Zuge einer optimalen regionalen Positionierung kulturelle Unterschiede<br />
zu berücksichtigen und in konkreten Maßnahmen umzusetzen sind:<br />
Die abgeleiteteten ‚Org<strong>an</strong>isationalen Faktoren’ ermöglichen Rückschlüsse für<br />
die zu tr<strong>an</strong>sportierenden Inhalte, die ein Unternehmen mit seiner Positionierung<br />
verbunden wissen möchte. Internationalität spielt beispielsweise für alle K<strong>an</strong>didatengruppen<br />
eine große Rolle. Die unterschiedliche Bewertung konkreter Ausgestaltungsmöglichkeiten<br />
dieser Internationalität, wie z.B. interkulturelle Kontakte<br />
oder internationale Einsätze, erfordern jedoch eine den Bedürfnissen der<br />
Zielgruppe <strong>an</strong>gepassten Kommunikation, deren Umsetzung es im Unternehmen<br />
nach der Eintrittsentscheidung des K<strong>an</strong>didaten zu reflektieren gilt.<br />
Die interpretierten ‚Motivationalen Faktoren’ sind besonders für die Bestimmung<br />
der Soll-Position relev<strong>an</strong>t. Sie ermöglichen differenzierte Rückschlüsse<br />
auf die Motivation der Zielgruppe und auf mögliche Attraktivitätspotentiale, die<br />
eine Positionierung am kulturspezifischen Arbeitsmarkt beeinflussen.
518 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
Die abgeleiteten ‚Instrumentellen Faktoren’ bieten Ansatzpunkte für die operative<br />
Ausgestaltung von Rekrutierungs- und Kommunikations-Mix.<br />
Wenn die durchgeführte Studie auch keinen Anspruch auf Repräsentativität erhebt,<br />
so k<strong>an</strong>n sie doch wertvolle Hinweise und Ansatzpunkte für ein strategisches, international<br />
orientiertes Personalmarketing für das <strong>an</strong>gehende neue Jahrtausend liefern<br />
und dem Unternehmen im Wettbewerb um qualifizierte Nachwuchskräfte einen entscheidenden<br />
Vorteil verschaffen.<br />
Noch offen ist folglich die Frage nach der Begründung der identifizierten interkulturellen<br />
Unterschiede. Auch eine Differenzierung hinsichtlich der Studienrichtungen<br />
bietet Raum für eine ergänzende Untersuchung.<br />
Literatur<br />
Gloger, A. (2001): Kampf um Talente, Die Welt, 05.03.2001, 16.<br />
Macharzina, K./Welge, M.K./Kutschker, M./Engelhard, J. (1994): Vorwort. In: Wolf, J. (Hg.): Internationales<br />
Personalm<strong>an</strong>agement: Kontext, Koordination, Erfolg, Wiesbaden: Gabler, 1994,<br />
V.<br />
Warnecke, H.-J. (1997): Qualifikation der Ingenieure im weltweiten Strukturw<strong>an</strong>del. In: Verein<br />
Deutscher Ingenieure (Hrsg.): Technik und Kommunikation ohne Grenzen – Ingenieure im<br />
weltweiten Strukturw<strong>an</strong>del – Deutscher Ingenieurtag 1997, Leipzig, 13./14. Mai 1997, Düsseldorf:<br />
VDI <strong>Verlag</strong>, 1997, 203-215.<br />
13. Arbeitsbeziehungen<br />
Werner Dentz<br />
Dynamik der Mitbestimmung. Eine Studie zur betrieblichen<br />
Mitbestimmung in einem Großunternehmen auf der Grundlage<br />
von 25 Praxisfällen im Zeitraum zwischen 1980 und 1995 *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Hartmut Wächter, Universität Trier<br />
1. Problemstellung<br />
Die in Deutschl<strong>an</strong>d gesetzlich geregelte Mitbestimmung ist immer wieder Gegenst<strong>an</strong>d<br />
sozialwissenschaftlicher Forschung geworden. Zunächst st<strong>an</strong>den die Beschreibung<br />
der durch die Mitbestimmung geprägten Abläufe in Betrieben und Unternehmen<br />
unter Berücksichtigung der gesetzlichen Regelungen im Vordergrund. Die<br />
*<br />
Werner Dentz: Betriebliche Mitbestimmung. Beispiele – Analysen – Lösungen. H<strong>an</strong>dbücher<br />
für die Unternehmenspraxis. ISBN 3-7663-3488-3. Bund-<strong>Verlag</strong> GmbH. Fr<strong>an</strong>kfurt am Main<br />
2003, 330 S. EURO 29,90. (Anmerkung: Das Fach- und Lehrbuch umfasst eine auf die Praxisfälle<br />
gekürzte Fassung der Dissertation.)
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 519<br />
Literatur der 70er Jahre konzentrierte sich eher auf die demokratietheoretische<br />
Grundlage der Mitbestimmung und versuchte, vermutete und tatsächliche Defizite zu<br />
ermitteln. Gegenüber dieser eher normativen Haltung haben die 90er Jahre eine deutliche<br />
Hinwendung zu einer ökonomischen Bewertung der Mitbestimmung mit sich<br />
gebracht. Die Literatur ist unter Verwendung institutionenökonomischer Denkfiguren<br />
eher theoretisch ausgerichtet. Die empirische Erforschung im Rahmen dieses Ansatzes<br />
ist ausgesprochen schwierig und kommt über die Verknüpfung von ökonomischen<br />
Outputdaten und einigen die Mitbestimmung charakterisierenden Variablen<br />
kaum hinaus. Es wurden meist weniger die Entscheidungsprozesse selbst und die<br />
Mitbestimmungswirkungen im Einzelnen untersucht als vielmehr die Wirkung der<br />
Existenz eines Betriebsrats, also der Betriebsratspräsenz, überhaupt. Was in der Mitbestimmungsforschung<br />
vor allem fehlt, sind Detailstudien, die sowohl die Abläufe als<br />
auch die Ergebnisse mitbestimmungsgeprägten H<strong>an</strong>delns berücksichtigen. Eine am<br />
Betriebsrat als wichtigstem Akteur der Mitbestimmung ausgerichtete Analyse betrieblicher<br />
Entscheidungen ist in besonderer Weise wünschenswert.<br />
Ziel dieser Arbeit war es daher, <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d von 25 Praxisfällen durch teilnehmende<br />
Beobachtung in einem international tätigen Großunternehmen der Elektronikbr<strong>an</strong>che<br />
im Zeitraum von 1980 bis 1995 zu klären, welche Konsequenzen die betriebliche<br />
Mitbestimmung hat. Der Autor war im dortigen Hauptbetrieb 15 Jahre l<strong>an</strong>g Betriebsratsmitglied.<br />
Bei der Analyse ging es im Wesentlichen um die praktische Anwendung<br />
des Betriebsverfassungsgesetzes im Sinne eines Arbeitnehmerschutzes: Wie sieht eine<br />
Entscheidungsbeteiligung konkret aus und welche Wirkungsmech<strong>an</strong>ismen laufen<br />
in den Aush<strong>an</strong>dlungsprozessen ab? Für viele Ökonomen gilt heute die Mitbestimmung<br />
d<strong>an</strong>n als wirtschaftlich effizient, wenn bestimmte unternehmerische oder<br />
volkswirtschaftliche Kennzahlen – wie Börsenkurse, Gewinnraten, Arbeitsproduktivität,<br />
Lohnstückkosten, Beschäftigungsniveau oder Innovation – günstigere Werte<br />
aufweisen als in Unternehmen ohne Mitbestimmung.<br />
Folgende Forschungsfragen sollten mit der Untersuchung be<strong>an</strong>twortet werden:<br />
4. Inwieweit sind die immer komplexeren H<strong>an</strong>dlungsfelder des Betriebsrats durch<br />
gesetzliche und tarifliche Regelungen erfasst?<br />
5. In welchem Umf<strong>an</strong>g nutzt der Betriebsrat die sich eröffnenden H<strong>an</strong>dlungsspielräume?<br />
6. Welche Faktoren beeinflussen hauptsächlich das Betriebsh<strong>an</strong>deln?<br />
7. Welche Wirkungen hat das Betriebratsh<strong>an</strong>deln auf Entscheidungsprozesse, -ergebnisse<br />
und Unternehmensziele?<br />
Bei der theoretischen betriebswirtschaftlichen Fundierung konzentrierte sich die<br />
Arbeit sowohl auf die demokratische Teilhabe als auch auf den Hum<strong>an</strong>kapital- und<br />
den Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement-Ansatz.<br />
2. Untersuchungsdesign<br />
Die Analyse von Mitbestimmungsprozessen und -wirkungen erfolgt in den 25<br />
Praxisfällen <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d eines abstrakten Rahmenmodells. Der Tr<strong>an</strong>sformationsprozess
520 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
vom Aufgreifen eines Verh<strong>an</strong>dlungsgegenst<strong>an</strong>ds bis hin zu seinen Wirkungen wird in<br />
einem Input-Output-Schema dargestellt. Die Mitbestimmungswirkung des Betriebsrats<br />
als abhängige Variable (Outputs) wird in Beziehung gesetzt zu einer Reihe von<br />
unabhängigen Variablen (Inputs). Die Verh<strong>an</strong>dlungsprozesse zwischen Betriebsrat<br />
und Arbeitgeber können prinzipiell kooperativ oder konfliktionär sein. Das Rahmenmodell<br />
besitzt folgende Elemente:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Gesetzliche Mitbestimmungsregeln sowie tarifliche Vorgaben beeinflussen das<br />
H<strong>an</strong>deln des Betriebsrats und der <strong>an</strong>deren Akteure. Diese Regeln werden von<br />
den Akteuren interpretiert, und auf der Grundlage ihres Zielsystems werden<br />
H<strong>an</strong>dlungsspielräume im Aush<strong>an</strong>dlungsprozess ausgenutzt. Zu überprüfen war<br />
z.B., ob das H<strong>an</strong>deln des Betriebsrats ein Abbild der gesetzlichen Regelungen<br />
darstellt und welche H<strong>an</strong>dlungsspielräume existieren.<br />
Einflussvariablen: Das Ausnutzen bestehender H<strong>an</strong>dlungsspielräume durch die<br />
Betriebsakteure ist wiederum von einer g<strong>an</strong>zen Reihe von Einflussfaktoren abhängig.<br />
Hier sind auch die strukturellen Gegebenheiten der Umwelt zu beachten,<br />
denn sie markieren die Möglichkeiten und Grenzen für die Akteure. Mit Hilfe<br />
von Literaturrecherchen und eigenen Erfahrungen wurden elf Faktoren identifiziert.<br />
Verh<strong>an</strong>dlungsprozess: Grundlage für die Analyse des Verh<strong>an</strong>dlungsprozesses<br />
sind Strategien und Taktiken der Akteure – vor allem, wenn sie Zw<strong>an</strong>gs- oder<br />
Drucktaktiken eingesetzt haben. Betriebsrat, Personalwesen und M<strong>an</strong>agement<br />
sind im Aush<strong>an</strong>dlungsprozess als getrennte Akteure zu interpretieren. Das M<strong>an</strong>agement<br />
wurde insofern gesondert <strong>an</strong>geführt, da Führungskräfte vorübergehende<br />
Koalitionen mit dem Betriebsrat eingehen können, um ihre eigenen Bereichs-<br />
oder Abteilungsinteressen durchzusetzen.<br />
Wirkungen auf den Entscheidungsprozess: Hierbei waren die Wirkungen auf<br />
den Entscheidungsprozess selbst zu betrachten, wie sich z.B. die Mitbestimmung<br />
auf die Verh<strong>an</strong>dlungskultur, auf die Formalisierung von Abläufen oder<br />
auf die Professionalisierung der Personalarbeit auswirkt. Insbesondere war zu<br />
überprüfen, ob durch das Betriebsverfassungsgesetz die Personal- und Sozialentscheidungen<br />
nachprüfbar und verallgemeinerbar sind. Im Sinne des Hum<strong>an</strong><br />
Resource M<strong>an</strong>agement-Ansatzes wurde die Artikulation von Arbeitnehmerinteressen<br />
in seiner Vertretung durch den Betriebsrat in den verschiedenen Unternehmensebenen<br />
untersucht.<br />
Mitbestimmungswirkungen auf das Entscheidungsergebnis: Nach der Hum<strong>an</strong>kapitaltheorie<br />
wurde der Einfluss der Mitbestimmung auf die Hum<strong>an</strong>kapitalbildung<br />
sowie auf das Beschäftigungsverhältnis überprüft.<br />
Mitbestimmungswirkungen auf die Unternehmensziele: Hier waren die Gesamtwirkungen<br />
der betrieblichen Mitbestimmung abzuschätzen, d.h. ihr Einfluss<br />
auf die Unterstützung von Unternehmenszielen, ihr Beitrag zum Wohl des Betriebs.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 521<br />
3. Die empirische Überprüfung<br />
Die Systematik der 25 Fallbeispiele erfolgt in vier Teilen – vorr<strong>an</strong>gig nach den<br />
Mitbestimmungsbereichen des Betriebsverfassungsgesetzes:<br />
1. wirtschaftliche Angelegenheiten, wie betriebsorg<strong>an</strong>isatorische Änderungen (8<br />
Beispiele),<br />
2. personelle Angelegenheiten, insbesondere Personalpl<strong>an</strong>ung und -entwicklung,<br />
Einstellungen, Kündigungen/Personalabbau (6 Fallbeispiele),<br />
3. soziale Angelegenheiten, im Besonderen 6 Fallbeispiele der Entgeltfindung,<br />
4. institutionelle Fälle der Zusammenarbeit zwischen den Betriebsratsebenen sowie<br />
der Relationen von arbeits- und tarifvertraglichen Regelungen (5 Fallbeispiele).<br />
Die Aufarbeitung der Fallbeispiele geschah nach einem <strong>an</strong>alogen Gliederungsschema:<br />
Nach einer rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Grundlegung des Beispiels<br />
folgt die jeweilige Problemstellung, ergänzt um Problemfragen und Antworten.<br />
Die jeweilige Lösung wurde in einem vierten Teilabschnitt beschrieben. Der<br />
fünfte Teilabschnitt klärt die Frage der H<strong>an</strong>dlungsempfehlungen und -alternativen<br />
aus Praxissicht. Maßgeblich wird die Frage geklärt, inwieweit der Betriebsrat die<br />
gesetzlichen H<strong>an</strong>dlungsspielräume nutzen konnte oder nicht. Die Analyse und<br />
Auswertung des jeweiligen Beispiels mit Bezug zu den theoretischen Grundlagen<br />
erfolgte im sechsten Teilabschnitt, vorr<strong>an</strong>gig als Einschätzung des Falls zum Analyseraster<br />
des Rahmenmodells und der Mitbestimmungswirkungen auf Entscheidungsprozesse,<br />
-ergebnisse und Unternehmensziele.<br />
4. Ergebnisse<br />
Die Auswertung der Praxisfälle zeigt ein sehr differenziertes Bild: Einerseits<br />
wurden z.B. durch die betriebliche Interessenvertretung in 40 Prozent der Fälle die<br />
gesetzlichen Grenzen überschritten und <strong>an</strong>dererseits bei <strong>an</strong>nähernd 30 Prozent der<br />
Fälle das gesetzliche Instrumentarium nicht konsequent genutzt. Die Ergebnisse der<br />
25 Fallbeispiele sind in acht Thesen zusammengefasst:<br />
1. These: Das Partizipationsmuster des Betriebrats und die Betriebsratswirkungen<br />
sind vor allem von der fachlichen Kompetenz, der H<strong>an</strong>dlungsdisposition des Betriebsrats,<br />
der Arbeitnehmer-Unterstützung, der Verh<strong>an</strong>dlungskultur und vom situativen<br />
Faktor “globale Unternehmensstrategie” abhängig.<br />
2. These: Die K<strong>an</strong>alisierung der Konflikte zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber<br />
durch den Betriebsrat führt zu einer Formalisierung von Abläufen.<br />
3. These: Der Betriebsratseinfluss erleichtert (im untersuchten Großbetrieb) Umstrukturierungen<br />
von Betrieben und Unternehmen.<br />
4. These: Betriebliche Mitbestimmung führt zu erhöhter Beschäftigungssicherung.<br />
5. These: Eine sichere Beschäftigung erlaubt den Arbeitnehmern spezifische Qualifizierungen,<br />
die sich längerfristig in Einkommenserhöhungen niederschlagen.
522 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
6. These: Wenn sich die Betriebe zersplittern und org<strong>an</strong>isatorische Änderungen<br />
auftreten, d<strong>an</strong>n konzentriert sich auf Seiten der Mitbestimmung die Verh<strong>an</strong>dlungsmacht<br />
auf den Gesamtbetriebsrat und seine Ausschüsse.<br />
7. These: Durch neue Arbeitsformen entstehen Vertretungsdefizite für die Arbeitnehmer<br />
auf Arbeitsplatzebene.<br />
8. These: Firmentarifverträge bieten nur unter bestimmten Bedingungen, vor allem<br />
bei einem hohen Org<strong>an</strong>isationsgrad der Beschäftigten, den gleichen Arbeitnehmerschutz<br />
wie Flächentarifverträge.<br />
Wie sieht der theoretische Ertrag aus? In Bezug auf die Hum<strong>an</strong>kapitaltheorie<br />
wird eine immer kleiner werdende Stammbelegschaft geschützt (Beschäftigung, Qualifizierung,<br />
Einkommen), um Tr<strong>an</strong>saktionskosten zu senken. Nach dem Hum<strong>an</strong>-<br />
Resource-M<strong>an</strong>agement-Ansatz ist die Mitbestimmung institutionalisiert, jedoch abhängig<br />
vom Einfluss des Personalwesens im Gesamtunternehmen. Gemäß dem Collective-Voice-Ansatz<br />
führen formalisierte Abläufe zu Konfliktbereinigungen.<br />
5. Resümee<br />
Aufgrund der Ergebnisse und der Veränderungen empfiehlt der Verfasser die<br />
<strong>Verlag</strong>erung von Mitbestimmungsrechten auf die Arbeitsplatzebene mit einigen Vorbehalten.<br />
Denn infolge hoher org<strong>an</strong>isatorischer Flexibilität werden Arbeitnehmerinteressen<br />
auf Arbeitsplatzebene nicht ausreichend berücksichtigt. Doch durch den Gesamtbetriebsrat<br />
erfolgt ein wirksamer Arbeitnehmer-Schutz, da er eine immerwährende<br />
Institution darstellt. Trotzt Kompetenzsteigerungen durch l<strong>an</strong>gjährige Mitgliedschaft<br />
empfiehlt sich ein Wechsel im Betriebsratsamt. An offenen Fragen bleiben die<br />
Übertragbarkeit der Ergebnisse insbesondere auf Klein- und Mittelbetriebe sowie eine<br />
theoretische Beachtung in der Betriebswirtschaftslehre. Gleichsam nebenbei liefert<br />
die Fallsammlung eine umfassende Aufarbeitung der Mitbestimmungspraxis in einem<br />
Großunternehmen und bietet eine Fülle <strong>an</strong>schaulichen Materials, gegliedert nach<br />
Mitbestimmungsfeldern.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 523<br />
S<strong>an</strong>g-Min Lee<br />
Betriebliche Mitbestimmung und technologische Innovationen<br />
in Deutschl<strong>an</strong>d und Südkorea im Vergleich:<br />
personalökonomische Analysen und empirische Befunde<br />
Betreuerin: Prof. Dr. Uschi Backes-Gellner, Universität Zürich,<br />
vorher Universität zu Köln<br />
1. Fragestellung<br />
Betriebe können durch Produkt- sowie Prozessinnovationen neue Märkte eröffnen<br />
oder auf vorh<strong>an</strong>denen Märkten Differenzierungs- oder Kostenvorteile gegenüber<br />
Konkurrenten erzielen. Angesichts dieser Relev<strong>an</strong>z ist die Innovationsforschung in<br />
der Betriebswirtschaftslehre unter dem Begriff „Innovationsm<strong>an</strong>agement“ thematisiert.<br />
Die bisherige Innovationsm<strong>an</strong>agementlehre hat wenig Aufmerksamkeit für die<br />
Rolle der betrieblichen Arbeitnehmervertretungen gezeigt. Um diese Forschungslücke<br />
zu decken, beh<strong>an</strong>delt die vorliegende Studie den Arbeitnehmervertretungseffekt<br />
auf die betriebliche Innovationskompetenz. Es stellt sich vor allem die Frage, ob die<br />
betrieblichen Arbeitnehmervertretungen Innovationsaktivitäten fördern oder hemmen.<br />
Viele Länder regulieren betriebliche Arbeitnehmervertretungen und autorisieren<br />
rechtlich den Umf<strong>an</strong>g ihrer Mitspracherechte. Die rechtliche Autorisation in einem<br />
L<strong>an</strong>d k<strong>an</strong>n als innovationsfördernd charakterisiert werden, wenn die rechtlich autorisierten<br />
Arbeitnehmervertretungen einen positiven Nettoeffekt auf die betrieblichen<br />
Innovationen haben. Eine weitere Frage, die sich aus der Perspektive des Innovationsm<strong>an</strong>agements<br />
stellt, lautet, inwieweit eine Betriebsleitung unter diesen gesetzlichen<br />
Rahmenbedingungen den negativen Arbeitnehmervertretungseffekt abmildern<br />
und dadurch die Innovationskompetenz verstärken k<strong>an</strong>n. Diese Studie konzentriert<br />
sich auf den aus dem Hold Up-Problem bei Kapitalinvestitionen resultierenden negativen<br />
Arbeitnehmervertretungseffekt.<br />
2. Spieltheoretische Ansätze über die Überwindung des Hold Up-Problems<br />
Der Arbeitnehmervertretungseffekt auf technologische Innovationen k<strong>an</strong>n mit<br />
dem Collective Voice-, Kündigungsschutz- und Lohnerhöhungs<strong>an</strong>satz erklärt werden.<br />
Angesichts des Collective Voice-Ansatzes können die Arbeitnehmervertretungen auf<br />
der einen Seite durch die Erhöhung der Qualität der Innovationsentscheidungen und<br />
der Akzept<strong>an</strong>z derselben sowie durch die Kreativität der Konsultation die Innovationskompetenz<br />
verbessern. Auf der <strong>an</strong>deren Seite können sie die Innovationsaktivitäten<br />
dadurch negativ beeinflussen, dass ihre Beteiligung am Innovationsprozess die<br />
rechtzeitig zu treffenden Innovationsentscheidungen verzögert. Mit dem Kündigungsschutzeffekt<br />
können die Arbeitnehmervertretungen einerseits die Beschäftigungssicherheit<br />
der Arbeitnehmer verbessern und ihren Zeithorizont verlängern. Mit<br />
der verbesserten Beschäftigungssicherheit können die Arbeitnehmer mehr in das spe-
524 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
zifische Hum<strong>an</strong>kapital für Innovationen investieren. Wenn der unternehmerische<br />
Zeithorizont nicht genügend l<strong>an</strong>gfristig ist, können die Arbeitnehmer mit ihrem l<strong>an</strong>gfristigen<br />
Zeithorizont mehr Kapitalinvestitionen fordern, weil die Beschäftigungssicherheit<br />
und das zukünftige Einkommen der Arbeitnehmer auf die betrieblichen Innovationsaktivitäten<br />
<strong>an</strong>gewiesen sind. Andererseits können die Arbeitnehmervertretungen<br />
nach dem Kündigungsschutz<strong>an</strong>satz arbeitssparenden Kapitalinvestitionen widersprechen.<br />
Mit dem Lohnerhöhungseffekt können die Arbeitnehmervertretungen<br />
einerseits durch die Erhöhung des Arbeitnehmer<strong>an</strong>teils <strong>an</strong> der Innovationsrente die<br />
Innovationsbereitschaft der Arbeitnehmer steigern. Andererseits können sie den Investitions<strong>an</strong>reiz<br />
der Betriebsleitung dadurch verringern, dass sie durch die Lohnerhöhung<br />
die Quasirente der Kapitalinvestitionen erschöpfen. Aufgrund dieses erwarteten<br />
Hold Up-Problems könnte die Betriebsleitung ineffizient unterinvestieren.<br />
Es wird <strong>an</strong>genommen, dass die betriebliche Innovationskompetenz eine Funktion<br />
des Umf<strong>an</strong>gs der Mitspracherechte ist. Bis zu einem bestimmten Umf<strong>an</strong>g der Mitspracherechte<br />
können die positiven Arbeitnehmervertretungseffekte die negativen Effekte<br />
überkompensieren. Durch diesen positiven Nettoeffekt wird die Innovationskompetenz<br />
erhöht. Bei zu weitreichenden Mitsprachemöglichkeiten verstärken sich<br />
allerdings die negativen Arbeitnehmervertretungseffekte und dominieren die positiven<br />
Effekte. Folglich wird die Innovationskompetenz wieder verschlechtert. Es ist<br />
darum eine empirische Frage, ob eine Arbeitnehmervertretung mit einem rechtlich<br />
autorisierten Umf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> Mitsprachemöglichkeiten innovationsfördernd oder –hindernd<br />
ist. Wenn eine Betriebsleitung die aus dem Hold Up-Problem resultierende Unterinvestition<br />
vermeiden k<strong>an</strong>n, d<strong>an</strong>n k<strong>an</strong>n sie unter den gesetzlichen Regelungen die<br />
Innovationskompetenz verbessern. Nach der folgenden spieltheoretischen Analyse<br />
können die Betriebsparteien unter bestimmten Bedingungen einen „sich selbst durchsetzenden<br />
Kontrakt“ für effiziente Kapitalinvestitionen abschließen und damit das<br />
Hold Up-Problem überwinden:<br />
Ein Betrieb und eine Arbeitnehmervertretung befinden sich in einem dreistufigen<br />
Spiel, wobei der Betrieb in der ersten Stufe ein Kapitaleinsatzniveau, die Arbeitnehmervertretung<br />
in der zweiten Stufe einen Lohnsatz und der Betrieb in der dritten<br />
Stufe ein Beschäftigungsniveau auswählt. Jeder Spieler k<strong>an</strong>n vor seiner Auswahl die<br />
vorherige Auswahl des <strong>an</strong>deren Spielers genau beobachten, und die Auszahlungsfunktion<br />
eines Spielers ist dem <strong>an</strong>deren bek<strong>an</strong>nt. In einem endlich oft wiederholten<br />
Spiel ist die Unterinvestition bzw. die Unterbeschäftigung die beste Antwort des Betriebs<br />
auf die gegebene Lohnforderungsstrategie der Arbeitnehmervertretung, und die<br />
erhebliche Lohnerhöhung ist die beste Antwort der Arbeitnehmervertretung auf die<br />
gegebene Investitions- bzw. Beschäftigungsstrategie des Betriebs. Daher konstituieren<br />
die Unterinvestition, die erhebliche Lohnerhöhung und die Unterbeschäftigung<br />
ein einziges Gleichgewicht. In einem wiederholten Spiel unter einer genügenden Unsicherheit,<br />
w<strong>an</strong>n das Spiel beendet wird, können die Betriebsparteien dieses ineffiziente<br />
Gleichgewicht verlassen und mehr Auszahlungen in einem effizienten Gleichgewicht<br />
erzielen. Nach der „Forgiving Trigger-Strategie“ f<strong>an</strong>gen beide Parteien das<br />
Spiel mit dem erwünschten Verhalten – die effiziente Kapitalinvestition, die mäßige
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 525<br />
Lohnerhöhung und die effiziente Beschäftigung – <strong>an</strong> und setzen diese Verhaltensweise<br />
fort, sol<strong>an</strong>ge niem<strong>an</strong>d davon abweicht. Wenn der Betrieb einen genügend l<strong>an</strong>gfristigen<br />
Zeithorizont hat, d<strong>an</strong>n will er vom erwünschten Verhalten nicht abweichen und<br />
ferner die Abweichung der Arbeitnehmervertretung verhindern. Damit k<strong>an</strong>n das effiziente<br />
Gleichgewicht erreicht werden. Wenn der unternehmerische Zeithorizont nicht<br />
genügend l<strong>an</strong>gfristig ist, d<strong>an</strong>n wird jem<strong>an</strong>d vom erwünschten Verhalten abweichen.<br />
Die Abweichung löst eine Bestrafungsphase aus, wobei eine Partei sich nicht mehr<br />
wie erwünscht verhält, um die Abweichung der <strong>an</strong>deren Partei zu bestrafen. Wenn die<br />
Betriebsparteien in die Bestrafungsphase eintreten, k<strong>an</strong>n das effiziente Gleichgewicht<br />
nicht konstituiert werden, obwohl der unternehmerische Zeithorizont in der Phase genügend<br />
l<strong>an</strong>gfristig ist. Aber nach dieser Phase versuchen sie, sich wieder wie erwünscht<br />
zu verhalten. Wenn die <strong>an</strong>tagonistischen Arbeitsbeziehungen als der Charakter<br />
der Bestrafungsphase <strong>an</strong>gesehen werden, d<strong>an</strong>n können die kooperativen Arbeitsbeziehungen<br />
als der Charakter der Perioden, in denen keine Partei abweicht, oder der<br />
Perioden nach der Aufhebung der Bestrafungsaktionen betrachtet werden. Damit<br />
werden zwei Faktoren für die Überwindung des Hold Up-Problems herausgefunden,<br />
nämlich der genügend l<strong>an</strong>gfristige unternehmerische Zeithorizont und die kooperativen<br />
Arbeitsbeziehungen.<br />
3. Verwendete Datensätze und empirische Befunde<br />
Um die theoretischen Ansätze empirisch zu überprüfen, werden die betrieblichen<br />
Arbeitnehmervertretungen in Deutschl<strong>an</strong>d und Südkorea als Forschungsgegenstände<br />
ausgewählt. Obwohl die Betriebsräte in beiden Ländern gemeinsam rechtlich autorisiert<br />
sind, stehen deutschen Betriebsräten Mitbestimmungsrechte zu, während kore<strong>an</strong>ische<br />
Betriebsräte nur über Mitberatungsrechte verfügen. In Korea sind neben Betriebsräten<br />
auch Gewerkschaften auf betrieblicher Ebene institutionalisiert. Damit<br />
werden drei Formen der betrieblichen Arbeitnehmervertretung verglichen, nämlich<br />
der mitberatende kore<strong>an</strong>ische Betriebsrat, der mitbestimmende deutsche Betriebsrat<br />
und die kore<strong>an</strong>ische Betriebsgewerkschaft mit Streikrecht. Für die Analyse deutscher<br />
Fälle wird der Datensatz aus dem IAB-Betriebsp<strong>an</strong>el 1996, 1997 und 1998 ausgewertet.<br />
Der Datensatz umfasst die Daten von 3.731 Betrieben mit 5 oder mehr ständigen<br />
Beschäftigten in privaten Sektoren, die in allen drei Jahren <strong>an</strong> den Befragungen teilgenommen<br />
haben. Für die Untersuchung kore<strong>an</strong>ischer Fälle wird der Datensatz aus<br />
der KLEI(Korea Labor Education Institute)-Betriebsrätebefragung 2001 verwendet,<br />
der die Daten von 285 Betrieben mit mindestens 30 ständigen Beschäftigten in privaten<br />
Sektoren enthält.<br />
Weil viele kore<strong>an</strong>ische Betriebsräte aufgrund der gesetzlichen Vorschrift offiziell<br />
eingerichtet worden sind, aber nur dem Namen nach existieren, wird ein Dummy<br />
für einen „effektiven Betriebsrat“ eingeführt, wobei ein kore<strong>an</strong>ischer Betriebsrat als<br />
effektiv <strong>an</strong>gesehen wird, wenn die Betriebsratssitzungen nach dem Gesetz zur Förderung<br />
der Partizipation und Kooperation (GFPK) §12 jährlich mehr als viermal stattfinden.<br />
Die betriebliche Innovationskompetenz wird mit der Dummyvariable für die<br />
Einführung der Produktinnovationen gemessen. Die Effizienz der Kapitalinvestition
526 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
wird mit dem Anteil der FE-Beschäftigten, die im Betrieb ausschließlich mit Forschungs-<br />
und Entwicklungsaufgaben befasst sind, und dem vom Betrieb selbst beurteilten<br />
technischen St<strong>an</strong>d der Betriebs<strong>an</strong>lagen geprüft. Aufgrund der begrenzten Datenverfügbarkeit<br />
wird der Effekt des l<strong>an</strong>gfristigen unternehmerischen Zeithorizonts<br />
lediglich für deutsche Betriebe und der Effekt der kooperativen Arbeitsbeziehungen<br />
nur für kore<strong>an</strong>ische Betriebe untersucht. Eine umfassende Liste der wichtigen Erklärungsvariablen<br />
wird verwendet, damit die Auswirkungen der Personalpolitik, der<br />
Struktur der Arbeitskräfte und der betrieblichen Charakteristika kontrolliert werden.<br />
Mit der logistischen Regressions<strong>an</strong>alyse wird ermittelt, dass deutsche Betriebsräte<br />
und kore<strong>an</strong>ische effektive Betriebsräte einen positiven Nettoeffekt auf Produktinnovationen<br />
haben, während kore<strong>an</strong>ische Betriebsgewerkschaften Produktinnovationen<br />
negativ beeinflussen. Mit der Pfad<strong>an</strong>alyse für deutsche Betriebe wird festgestellt,<br />
dass deutsche Betriebsräte einen positiven Einfluss auf die Innovationskompetenz indirekt<br />
über den Anteil der FE-Beschäftigten und einen negativen Effekt indirekt über<br />
den technischen St<strong>an</strong>d der Betriebs<strong>an</strong>lagen haben. Empirisch wird bestätigt, dass<br />
deutsche Betriebe mit einem Betriebsrat durch den l<strong>an</strong>gfristigen unternehmerischen<br />
Zeithorizont diesen negativen Betriebsratseffekt auf den technischen St<strong>an</strong>d der Betriebs<strong>an</strong>lagen<br />
signifik<strong>an</strong>t abschwächen können. Hingegen hat der unternehmerische<br />
Zeithorizont in Betrieben ohne Betriebsrat keinen signifik<strong>an</strong>ten Einfluss. Mit der<br />
Pfad<strong>an</strong>alyse für kore<strong>an</strong>ische Betriebe wird festgestellt, dass kore<strong>an</strong>ische effektive Betriebsräte<br />
einen positiven und Betriebsgewerkschaften einen negativen Einfluss auf<br />
technologische Innovationen indirekt über den technischen St<strong>an</strong>d der Betriebs<strong>an</strong>lagen<br />
haben, aber der indirekte Betriebsrats- sowie Betriebsgewerkschaftseffekt über den<br />
Anteil der FE-Beschäftigten insignifik<strong>an</strong>t ist. Bei kore<strong>an</strong>ischen Betrieben wird weiter<br />
empirisch bestätigt, dass die kooperativen Arbeitsbeziehungen in Betrieben mit einer<br />
Betriebsgewerkschaft den negativen Betriebsgewerkschaftseffekt auf den technischen<br />
St<strong>an</strong>d der Betriebs<strong>an</strong>lagen vermindern. Im Gegensatz übt der Charakter der Arbeitsbeziehungen<br />
in Betrieben ohne Betriebsgewerkschaft keinen signifik<strong>an</strong>ten Einfluss<br />
aus.<br />
4. Schlussfolgerung<br />
M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n schlussfolgern, dass das deutsche Betriebsverfassungsgesetz und das<br />
kore<strong>an</strong>ische GFPK innovationsfördernd sind, während das dezentralisierte Tarifverh<strong>an</strong>dlungssystem<br />
in Korea die Innovationsaktivitäten hemmt. Wenn die „betrieblichen<br />
Bündnisse für Arbeit“ der letzten Jahre in Deutschl<strong>an</strong>d als der Abschluss des effizienten<br />
Kontrakts <strong>an</strong>gesehen werden, d<strong>an</strong>n können nur die Arbeitgeber, die einen<br />
genügend l<strong>an</strong>gfristigen unternehmerischen Zeithorizont haben, diese innovationsfördernden<br />
Vereinbarungen abschließen. Obwohl in Korea die Betriebsgewerkschaften<br />
die Innovationskompetenz negativ beeinflussen, k<strong>an</strong>n ihr negativer Effekt unter den<br />
kooperativen Arbeitsbeziehungen vermindert oder vermieden werden.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 527<br />
Thomas Peuntner<br />
Kontextsteuerung von Entscheidungen? Untersuchung<br />
des Einflusses arbeitsrechtlicher Veränderungen auf<br />
Beschäftigungsentscheidungen<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Walter A. Oechsler, Universität M<strong>an</strong>nheim<br />
1. Problemhinführung<br />
Die Arbeitslosigkeit stellt nicht nur in Deutschl<strong>an</strong>d, sondern auch in <strong>an</strong>deren<br />
hochentwickelten Volkswirtschaften, ein zentrales Problem dar und ist seit den<br />
1970er Jahren nahezu ununterbrochen Gegenst<strong>an</strong>d umf<strong>an</strong>greicher theoretischer wie<br />
politischer Diskussionen. Diese haben zu zahlreichen unterschiedlichen Vorschlägen<br />
und auch Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geführt, die sich auf einer<br />
B<strong>an</strong>dbreite von keynesi<strong>an</strong>ischer Nachfragepolitik mit einer starken Rolle des<br />
Staates bis zu einer neoklassischen Angebotspolitik, in der sich der Staat stärker auf<br />
die Kontextsteuerung also das Schaffen von Rahmenbedingungen, die Wachstum und<br />
Beschäftigung fördern sollen, beschränkt. Zu letzterer Politik ist auch die Politik der<br />
Deregulierung zu zählen, die der Erkenntnis bzw. Annahme entspr<strong>an</strong>g, dass der institutionelle<br />
Rahmen des Arbeitsmarktes in Deutschl<strong>an</strong>d zu starr und reglementiert ist<br />
und das Beschäftigungswachstum hemmt.<br />
Die mit der Verabschiedung gesetzlicher Änderungen des arbeitsrechtlichen<br />
Rahmens seit dem Jahre 1994 (z.B. Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz,<br />
Arbeitsförderungs-Reformgesetz) <strong>an</strong>gestrebten positiven Auswirkungen auf die<br />
Beschäftigungssituation in Deutschl<strong>an</strong>d haben sich aber nicht im erhofften Maße niedergeschlagen.<br />
Zielsetzung der Arbeit war es, zu untersuchen, inwieweit bzw. ob arbeitsrechtliche<br />
Kontextänderungen der Jahre 1996/97, namentlich Änderungen des<br />
Beschäftigungsförderungsgesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, des Kündigungsschutzgesetzes,<br />
des Betriebsverfassungsgesetzes sowie des Entgeltfortzahlungsgesetzes,<br />
im Rahmen von Einstellungs- und Beschäftigungsentscheidungen in<br />
Unternehmen eine Rolle spielen.<br />
2. Theoretischer Zug<strong>an</strong>g der Untersuchung: Strategic Choice-Ansatz<br />
Als theoretische Grundlage der Arbeit dient der Strategic Choice-Ansatz von<br />
Koch<strong>an</strong>/Katz/McKersie, der einen konzeptionellen Rahmen für die Untersuchung der<br />
Wirkungen industrieller Beziehungen auf strategische Optionen der Unternehmen<br />
und Ergebnisse für die Gesellschaft gibt.<br />
Der Strategic Choice Ansatz wurde zu Beginn der achtziger Jahre entwickelt<br />
und stellte einen h<strong>an</strong>dlungstheoretischen Analyserahmen für die Untersuchung der<br />
Entwicklung der Industriellen Beziehungen in den Vereinigten Staaten von Amerika<br />
dar. Im Zentrum der Analyse h<strong>an</strong>dlungstheoretischer Erklärungs<strong>an</strong>sätze stehen die Interaktionen<br />
strategisch h<strong>an</strong>delnder Akteure. Dabei werden im Gegensatz zur determi-
528 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
nistischen Sichtweise der systemtheoretischen und marxistischen Ansätze die politischen<br />
Prozesse in Org<strong>an</strong>isationen betont, die sich aus der Unbestimmtheit des Arbeitsvertrages<br />
sowie den Machtspielen der betrieblichen Akteure ergeben. Demnach<br />
gibt es keine normative Vorschrift oder den „one-best-way“ der Arbeitgeber-<br />
Arbeitnehmer-Beziehungen, sondern diese bleiben vielfältig und nicht determinierbar.<br />
Das grundlegende Ziel des Strategic Choice-Ansatzes ist die Identifikation von<br />
Entscheidungsparametern und -spielräumen für die Aktivitäten und strategischen Ziele<br />
der Akteure.<br />
Da der Strategic Choice-Ansatz für die Untersuchung der US-amerik<strong>an</strong>ischen<br />
Industrial Relations konzipiert wurde, war eine Modifikation des konzeptionellen<br />
Rahmens auf die deutschen industriellen Beziehungen notwendig.<br />
3. Untersuchungsdesign<br />
Da die Deregulierungsdiskussion in den frühen 1980er Jahren beg<strong>an</strong>n und die<br />
erste größere arbeitsrechtliche Deregulierungsmaßnahme im Jahr 1985 umgesetzt<br />
wurde, ist es wenig verwunderlich, dass bereits empirische Untersuchungen zur Wirkung<br />
dieser Deregulierungsmaßnahmen existieren. Wenngleich diese wertvolle Erkenntnisse<br />
über die Wirkung der untersuchten arbeitsrechtlichen Veränderungen gebracht<br />
haben, die in der Summe auch eine eher geringe Wirksamkeit der Deregulierungsmaßnahmen<br />
<strong>an</strong>zeigen, ist aus mehreren Gründen weiterer Forschungsbedarf zu<br />
konstatieren.<br />
An erster Stelle ist hier der beinahe b<strong>an</strong>al erscheinende Grund zu nennen, dass<br />
es in den Jahren 1996 und 1997 die gen<strong>an</strong>nten weiteren arbeitsrechtlichen Deregulierungen<br />
gab, die noch nicht Gegenst<strong>an</strong>d wissenschaftlicher Untersuchungen hinsichtlich<br />
ihrer Wirkung auf Beschäftigungsentscheidungen waren und insofern einen neuen<br />
Forschungsgegenst<strong>an</strong>d darstellen.<br />
Neben der Analyse der Beschäftigungswirkungen der arbeitsrechtlichen Veränderungen<br />
besteht ein weiteres Ziel der Untersuchung darin, den bisher eher geringen<br />
Wirkungsgrad arbeitsrechtlicher Deregulierungsmaßnahmen zu <strong>an</strong>alysieren. Hier sind<br />
Fragen zu stellen nach den Gründen, die zu der geringen Wirksamkeit führen, zur Art<br />
der Konstellationen, in denen die Änderungen wirksam sind, und ob es eher unternehmensinterne<br />
oder unternehmensexterne Ursachen sind, welche die Wirksamkeit<br />
der Maßnahmen bestimmen.<br />
Bei diesen Betrachtungen ist d<strong>an</strong>n auch dar<strong>an</strong> zu denken, dass es zu Veränderungen<br />
im relev<strong>an</strong>ten Umfeld gekommen ist, die eine Kontextsteuerung im nationalen<br />
Rahmen möglicher Weise unwirksam oder zumindest weniger wirksam machen. So<br />
betrifft die Globalisierung der Wirtschaft immer mehr Unternehmen und erweitert deren<br />
Möglichkeiten international zu agieren. Dies mag auch damit einher gehen, dass<br />
es zu einem Systemwettbewerb auch arbeitsrechtlicher Systeme kommt, der die Unternehmen<br />
zunächst für verschiedene arbeitsrechtliche Systeme sensibilisiert und in<br />
einem zweiten Schritt auch zu einem „Ausweichen“ der Unternehmen auf St<strong>an</strong>dorte
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 529<br />
mit einem für das Unternehmen günstigeren arbeitsrechtlichen Regelungsrahmen führen<br />
k<strong>an</strong>n.<br />
Weiterhin liegt die Annahme nahe, dass in Zeiten schneller Veränderungen der<br />
Unternehmensumwelt die Bedeutung des strategischen M<strong>an</strong>agements für die Unternehmen<br />
zunimmt und in diesem Zuge die Reaktion auf sich kurzfristig ergebende<br />
Ch<strong>an</strong>cen, die sich nur bedingt mit der Strategie des Unternehmens in Einkl<strong>an</strong>g bringen<br />
lassen, eher verhalten ausfällt bzw. gar keine Reaktion nach sich zieht. Die Strategie<br />
des Unternehmens würde also quasi als Filter für Einflüsse aus der Umwelt des<br />
Unternehmens dienen und nur strategierelev<strong>an</strong>te Veränderungen im unternehmerischen<br />
H<strong>an</strong>deln berücksichtigen.<br />
Auch ist zu bedenken, dass sich die Arbeitswelt vor allem in den 1990er Jahren<br />
tiefgreifend verändert hat und weiterhin in einem Veränderungsprozess begriffen ist.<br />
Dies m<strong>an</strong>ifestiert sich in der Entwicklung von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft.<br />
Ein volkswirtschaftliches Indiz für diese Entwicklung k<strong>an</strong>n in der<br />
Abnahme des Anteils der Erwerbstätigen im produzierenden Gewerbe (sekundärer<br />
Sektor) bei gleichzeitiger Zunahme des Anteils der Erwerbstätigen im Dienstleistungsbereich<br />
(tertiärer Sektor) gesehen werden. Diese Veränderungen sind mit neuen<br />
Anforderungen <strong>an</strong> die Arbeitnehmer und Unternehmen verbunden und stellen die Relev<strong>an</strong>z<br />
des arbeitsrechtlichen Regelungsrahmens in seiner jetzigen Form, die aus der<br />
Zeit der Industriegesellschaft stammt, zumindest partiell in Frage.<br />
Zusammenfassend sind folgende Hauptziele der Arbeit zu nennen:<br />
Es sollen Erkenntnisse über den Einfluss der gesetzlichen Änderungen bzw. Deregulierungsmaßnahmen<br />
auf Beschäftigungsentscheidungen in Unternehmen<br />
sowie deren Beschäftigungswirkungen gewonnen werden. Hier steht der Entscheidungsprozess<br />
in den Unternehmen im Fokus der Betrachtung. Damit ist<br />
auch die Frage verbunden, ob arbeitsrechtliche Deregulierung ein Mittel der Beschäftigungspolitik<br />
sein k<strong>an</strong>n.<br />
Auf Grund der bisherigen Erfahrungen mit arbeitsrechtlichen Deregulierungsmaßnahmen<br />
ist nach den Ursachen für die eher geringe Wirksamkeit zu fragen.<br />
Es ist zu klären, ob es bestimmte Konstellationen gibt, in denen die Änderungen<br />
wirksam bzw. unwirksam waren. In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g ist auch zu <strong>an</strong>alysieren,<br />
welche Rolle die Globalisierung, die Strategie der Unternehmen und der<br />
W<strong>an</strong>del der Arbeitswelt einnehmen.<br />
<br />
Und letztlich ist zu prüfen, ob sich in Abhängigkeit von den Ergebnissen der<br />
Untersuchung Ansatzpunkte für eine beschäftigungsfördernde Form der Regulierung<br />
ergeben, welche zudem die Entwicklungen in den Unternehmen und der<br />
relev<strong>an</strong>ten Unternehmensumwelt stärker berücksichtigt.<br />
Die dargestellte Problemstellung und die daraus folgenden Fragen werden in<br />
drei Untersuchungsschritten bearbeitet.<br />
Zunächst erfolgt die Entwicklung eines konzeptionellen Rahmens, der als<br />
Grundlage für die weitere Untersuchung dient. Nach der Ableitung von Anforderungen<br />
<strong>an</strong> einen konzeptionellen Rahmen, der eine adäquate Bearbeitung der vorliegen-
530 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
den Problemstellung ermöglicht, werden verschiedene theoretische und konzeptionelle<br />
Ansätze, die sich mit der Erklärung von Systemen der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-<br />
Beziehungen beschäftigen, auf deren Geeignetheit als konzeptioneller Rahmen für die<br />
vorliegende Arbeit untersucht. Als geeigneter konzeptioneller Ansatz wird der o.g.<br />
Strategic Choice-Ansatz von Koch<strong>an</strong> et al. identifiziert.<br />
Nach der Entwicklung des konzeptionellen Rahmens für die Arbeit werden die<br />
inhaltlichen Grundlagen für die empirische Untersuchung erarbeitet. Zuerst wird die<br />
Deregulierungsdiskussion retrospektiv wiedergegeben und werden deren theoretische<br />
Grundlagen erläutert. Dem schließt sich eine Darstellung der wichtigsten arbeitsrechtlichen<br />
Deregulierungsmaßnahmen in Deutschl<strong>an</strong>d seit 1985 <strong>an</strong>. Weiterhin werden die<br />
Ergebnisse empirischer Untersuchungen zur Beschäftigungswirkung von Veränderungen<br />
des Beschäftigungsförderungsgesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes,<br />
des Entgeltfortzahlungsgesetzes, des Kündigungsschutzgesetzes und des Betriebsverfassungsgesetzes<br />
vorgestellt, um zuletzt Implikationen der empirischen Untersuchungen<br />
für die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte empirische Untersuchung<br />
abzuleiten.<br />
Im empirischen Teil der Arbeit erfolgt neben der methodischen Beschreibung<br />
die Darstellung der Ergebnisse der schriftlichen Befragung sowie die Dokumentation<br />
und Interpretation der qualitativen Interviews.<br />
4. Empirische Überprüfung<br />
Es wurde zunächst eine schriftliche, st<strong>an</strong>dardisierte Befragung der rund 1.500<br />
Mitgliedsunternehmen der Deutschen Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP)<br />
vorgenommen, um in einem größeren Rahmen eine Meinungsbild und Erkenntnisse<br />
über Unternehmen verschiedener Br<strong>an</strong>chen und Unternehmensgrößen zu erhalten.<br />
In einem zweiten Schritt wurden zehn qualitative Fallstudien in ausgewählten<br />
Unternehmen durchgeführt, in denen per Interview Entscheidungsprozesse bei Beschäftigungsentscheidungen<br />
rekonstruiert wurden. Auch hier st<strong>an</strong>d der Einfluss des<br />
arbeitsrechtlichen Kontextes im Vordergrund der Untersuchung.<br />
5. Zielerreichung<br />
Die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen haben gezeigt, dass das Ziel<br />
der Beschäftigungsförderung nur in sehr geringem Ausmaß erreicht wurde. Es zeigte<br />
sich weiterhin, dass nur die Änderungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes, das<br />
die Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne sachlichen Grund auf die Dauer von 24<br />
Monaten erweitert hatte, und die Ausweitung der Überlassungshöchstdauer des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes<br />
überhaupt nennenswerte Auswirkungen auf die Beschäftigungsentscheidungen<br />
in Unternehmen hatten.<br />
Eine weitere wichtige Erkenntnis besteht darin, dass insbesondere größere Unternehmen<br />
von den neuen Möglichkeiten Gebrauch gemacht haben. Auch zeigte sich,<br />
dass Unternehmen, die sowohl tarifgebunden sind, als auch einen Betriebsrat und<br />
evtl. auch starke gewerkschaftliche Strukturen haben, häufiger auf die neue arbeits-
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 531<br />
rechtliche Flexibilität zurückgegriffen haben. Hier besteht offenbar ein hoher Bedarf<br />
nach mehr Flexibilität. In den Unternehmen, die dem qualifizierten Dienstleistungsbereich<br />
zuzurechnen sind, bestehen hingegen weniger die klassischen Arbeitgeber-<br />
Arbeitnehmer-Beziehungen, es wurde jedoch dennoch Kritik am arbeitsrechtlichen<br />
Rahmen geübt, da die Strukturen als nicht adäquat für ihre Unternehmenssituation<br />
<strong>an</strong>gesehen wurde.<br />
6. Resümee<br />
Insgesamt ist festzustellen, dass die bisher vorgenommene Deregulierung nicht<br />
im erwünschten Maße gewirkt hat. Auch die negativen Erwartungen, wie z.B. eine<br />
„hire <strong>an</strong>d fire-Mentalität“ kamen jedoch nicht zum Tragen. Insofern – und vor dem<br />
Hintergrund einer veränderten Arbeitswelt – erscheint eine weitere arbeitsrechtliche<br />
Deregulierung wünschenswert. Eine tief greifende Verbesserung der Beschäftigungssituation<br />
darf jedoch nicht erwartet werden. Hierfür ist die Rolle des Arbeitsrechts bei<br />
betrieblichen Einstellungsentscheidungen im Vergleich zur Bedeutung der Unternehmensstrategie<br />
und den Entwicklungen auf den Absatzmärkten zu gering.<br />
14. Personalentscheidungen<br />
Markus Grün<br />
Die tiefenpsychologische Fundierung von<br />
Personalentscheidungen *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Thomas Spengler, Universität Magdeburg<br />
1. Problemstellung<br />
Die personalwirtschaftlichen Primärprobleme liegen in der Herstellung und Sicherung<br />
der Disponibilität über sowie der Funktionalität von Personal. Sie entstehen<br />
u.a. dadurch, dass menschliche Arbeitskraft knapp ist, nachgefragte sowie <strong>an</strong>gebotene<br />
Qualifikationen nicht notwendig deckungsgleich und betriebliche Personalbedarfe<br />
sowie Personalausstattungen variabel sind, Verhaltens<strong>an</strong>sprüche des Betriebes sowie<br />
Verhaltens<strong>an</strong>triebe der Arbeitskräfte divergieren und Änderungen im Zeitablauf unterliegen<br />
können. Zu ihrer Lösung k<strong>an</strong>n der Betrieb auf ein facettenreiches Instrumentarium<br />
aus den Bereichen „Personalpl<strong>an</strong>ung“ und „Personalführung“ zurückgreifen.<br />
Um jedoch eine ökonomisch sinnvolle Auswahl der Instrumente vornehmen zu<br />
*<br />
Markus Grün: Die tiefenpsychologische Fundierung von Personalentscheidungen. ISBN 3-<br />
87988-712-8, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, München und Mering 2003, 211 S., € 24,80
532 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
können, ist er auf die Berücksichtigung personalwirtschaftlicher Konditionen <strong>an</strong>gewiesen,<br />
unter denen die Persönlichkeitsmerkmale der Mitarbeiter eine wesentliche<br />
Rolle spielen. In der Psychologie hat die Untersuchung differenzierter Persönlichkeitstypen<br />
und die Analyse der korrespondierenden individuellen Verhaltensweisen<br />
bzw. -muster eine relativ l<strong>an</strong>ge Tradition. Für die Betriebswirtschaftslehre im Allgemeinen<br />
und die M<strong>an</strong>agement- sowie die Personalwirtschaftslehre im Besonderen<br />
k<strong>an</strong>n dies jedoch nicht konstatiert werden. Dies ist umso verwunderlicher, als der<br />
Einfluss menschlicher H<strong>an</strong>dlungen auf den Unternehmenserfolg häufig als beträchtlich<br />
herausgestellt wird. Die korrespondierenden Defizite kommentiert W. Staehle<br />
mit den Worten, dass sich „bedauerlicherweise [...] in der M<strong>an</strong>agementpraxis die <strong>an</strong>spruchsvolleren<br />
Theorien der Persönlichkeit, vor allem der psycho<strong>an</strong>alytische Ansatz<br />
auf der Basis von Freuds Strukturmodell des Psychischen [...] nicht durchgesetzt [...]“<br />
(Staehle 1994, 168) haben. Diese Einschätzung gilt ohne größere Einschränkungen<br />
nicht nur für die M<strong>an</strong>agementpraxis, sondern auch für die M<strong>an</strong>agementtheorie. Die<br />
hier in Rede stehende Dissertation ist der Aufgabe gewidmet, Möglichkeiten und<br />
Grenzen der Übertragung tiefenpsychologischer (vor allem persönlichkeitstheoretischer)<br />
Erkenntnisse in personalwirtschaftliches Terrain auszuloten und zu überprüfen,<br />
inwiefern solche Erkenntnisse für ökonomisch legitimierbare Personalentscheidungen<br />
genutzt werden können.<br />
2. Theoretischer Hintergrund<br />
Als betriebswirtschaftlicher Bezugsrahmen für die Erläuterungen wird das personalwirtschaftliche<br />
H<strong>an</strong>dlungsstukturmodell von Kossbiel gewählt. Mit Hilfe dieses<br />
Modells lassen sich personalwirtschaftliche Entscheidungsprobleme systematisch ü-<br />
ber die Elemente Ziele, Maßnahmen, Wirkungen sowie den Zielerreichungsgrad und<br />
die obwaltenden Bedingungen <strong>an</strong>alysieren. Zu den Bedingungen, die (u.a.) sowohl<br />
die Alternativenwahl bestimmen als auch deren Effekte beeinflussen können, zählen<br />
die Determin<strong>an</strong>ten menschlichen Verhaltens. Dazu gehören die situativen Bedingungen<br />
des H<strong>an</strong>dlungsvollzuges sowie individuelle Eigenschaften und Charakterzüge,<br />
oder allgemeiner: die Persönlichkeit von Individuen.<br />
Ein möglicher Zug<strong>an</strong>g zur Persönlichkeit findet sich in der Tiefenpsychologie<br />
mit ihren umf<strong>an</strong>greichen Modellen und Theorien. Als allgemeiner theoretischer Ansatz<br />
aus der Psychologie wird – wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung und trotz<br />
der vielfältigen Weiterentwicklungen auf diesem Gebiet – das sog. Drei-Inst<strong>an</strong>zen-<br />
Modell Freuds verwendet. Als spezielles Konzept, mit dessen Hilfe sich Personalentscheidungen<br />
fundieren lassen, wird die klinische Charakterologie aus der Tiefenpsychologie<br />
dargestellt. In dieser Typologie finden sich Charaktertypen wie der Zw<strong>an</strong>ghafte,<br />
der Hysteriker, der Depressive, der Schizoide, der Narzisst, der Phobiker sowie<br />
der Par<strong>an</strong>oide.<br />
3. Ausgewählte Ergebnisse<br />
Die Verknüpfung von Fragestellungen aus der Personalwirtschaft mit den Inhalten<br />
tiefenpsychologischer Konzepte und Theorien führt zu interess<strong>an</strong>ten Erklärungs-
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 533<br />
<strong>an</strong>sätzen, die zum einen org<strong>an</strong>isationales Verhalten im Allgemeinen und das Verhalten<br />
von Org<strong>an</strong>isationsmitgliedern mit den erwähnten Charaktermerkmalen im Besonderen<br />
thematisieren. Aus diesen Ansätzen lassen sich Maßnahmen ableiten. Einige<br />
ausgewählte Ergebnisse der Untersuchungen werden im Folgenden aufgeführt:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Bei Verhaltensweisen von Org<strong>an</strong>isationsmitgliedern, wie Emotionalisierung und<br />
Rationalisierung oder der Entstehung von Angstzuständen, k<strong>an</strong>n es sich um tiefenpsychologisch<br />
erklärbare Verhaltensweisen der intraindividuellen Konfliktverarbeitung<br />
h<strong>an</strong>deln. Anführen lassen sich Abwehrmech<strong>an</strong>ismen oder Neurosen,<br />
zu denen beispielsweise auch die Phobien zählen.<br />
Starke Bindungen zwischen Mitarbeitern innerhalb einer Org<strong>an</strong>isation können<br />
auf die Existenz bzw. den Aufbau interpersonaler Abwehrkonstellationen hinweisen.<br />
In solchen Konstellationen entwickeln die Partner ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl<br />
und stabilisieren sich gegenseitig. Die so entstehenden<br />
Bindungen sind zwar per se nicht negativ zu bewerten, können jedoch zur Bildung<br />
von spezifischen Wert- und Einstellungsmustern führen, die denen der Org<strong>an</strong>isation<br />
entgegenstehen. Darüber hinaus k<strong>an</strong>n der Aufbruch solcher Bindungen,<br />
wie beispielsweise durch Versetzung eines Partners, zu sehr hoher Unzufriedenheit<br />
führen.<br />
Abwehrmech<strong>an</strong>ismen, Neurosen oder Charaktermerkmale einzelner Mitarbeitergruppen<br />
oder Führungspersönlichkeiten sind in der Lage, Unternehmenskulturen<br />
zu beeinflussen. Die entstehenden Unternehmenskulturen weisen Merkmale auf,<br />
die den Charakteren aus der tiefenpsychologischen Charakterkunde entsprechen.<br />
Durch die Identifizierung einer solchen Unternehmenskultur lassen sich geeignete<br />
Maßnahmen zu deren Veränderung ableiten, und zwar zum Zwecke der<br />
Steuerung org<strong>an</strong>isationalen Verhaltens.<br />
Charaktermerkmale von Individuen bedingen, ob Unternehmen als Arbeitgeber<br />
attraktiv empfunden werden oder nicht. Die Kenntnis dieser Einstellungen gegenüber<br />
Org<strong>an</strong>isationen lässt sich bei Maßnahmen zur Gestaltung von Personalausstattungen<br />
berücksichtigen. Wenn Arbeitskräfte mit erwünschten Qualifikationen<br />
die herrschende Kulturform nicht als attraktiv erachten, müssen beispielsweise<br />
zusätzliche Anreize eingesetzt werden, um eine Teilnahmeentscheidung<br />
herbeizuführen.<br />
Da mit Charaktertypen auch Eigenschaften und Fähigkeiten verbunden werden,<br />
die als extrafunktionale Qualifikationen bezeichnet werden können, wie beispielsweise<br />
Beharrlichkeit, Flexibilität oder Kommunikationsfähigkeit, lässt sich<br />
der Charakter auch als Indikator verwenden, um zum einen Personal mit den erwünschten<br />
Fähigkeiten zu rekrutieren und zum <strong>an</strong>deren Fehlallokationen von<br />
Personal im Rahmen von Einsatzänderungen zu vermeiden.<br />
Eine Integration sowohl von Eigenschaften als auch Präferenzen der Charaktere<br />
in Aktivitäten zur Personalrekrutierung k<strong>an</strong>n weiterhin dazu beitragen, Maßnahmen<br />
auf diesem Gebiet effizienter zu gestalten. Durch das Wissen um das<br />
Verhalten bei der Informationsaufnahme und um die Vorlieben hinsichtlich des
534 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
<br />
<br />
Arbeitsfeldes und Arbeitsumfeldes der verschiedenen Charaktertypen lassen sich<br />
Informationsk<strong>an</strong>äle und die Inhalte bei der Ansprache potentieller Mitarbeiter<br />
gezielter auswählen und gestalten.<br />
Maßnahmen zur Verhaltenssteuerung und Verhaltenskontrolle sollten nicht ohne<br />
eine Berücksichtigung des <strong>an</strong>zusprechenden Charaktertyps ergriffen werden. Art<br />
und Frequenz der Verhaltenskontrolle können völlig unterschiedlich bewer- tet<br />
werden. Je nach Charakterform reichen die Bewertungen einer konst<strong>an</strong>ten Kontrolle<br />
von Arbeitsergebnissen im Extremfall von unzumutbarer Überwachung<br />
bis erwünschter, stabilisierender Rückmeldung. Je nach Charaktertyp wird der<br />
gleiche Kontrollmech<strong>an</strong>ismus als positiver Anreiz oder aber als S<strong>an</strong>ktion empfunden,<br />
die es über Zusatz<strong>an</strong>reize zu neutralisieren gilt. Wird beispielsweise<br />
letzteres versäumt, k<strong>an</strong>n dies Arbeitsunzufriedenheit mit einer erhöhten Fluktuationsneigung<br />
zur Folge haben.<br />
Gratifikationen können erheblich <strong>an</strong> Anreizcharakter verlieren, wenn sie einem<br />
Charaktertyp zugeordnet werden, der eine Gratifikation nicht als solche wahrnimmt,<br />
weil seine Präferenzen <strong>an</strong>ders geartet sind. In solchen Fällen k<strong>an</strong>n es<br />
d<strong>an</strong>n noch einmal notwendig werden, zusätzliche Belohnungen auszuschütten,<br />
um die Arbeitsleistung aus Sicht des Charaktertyps <strong>an</strong>gemessen zu vergüten. Eine<br />
frühzeitige Berücksichtigung von Charakterstrukturen trägt dazu bei, diesen<br />
Zusatzaufw<strong>an</strong>d zu vermeiden.<br />
4. Resümee<br />
Die Inhalte tiefenpsychologischer Theorien haben bis zum heutigen Tag kaum<br />
Eing<strong>an</strong>g in die Betriebswirtschaftslehre und ihre Teildisziplinen gefunden, obgleich<br />
die Persönlichkeit von Individuen bei ökonomischen Entscheidungsprozessen eine<br />
tragende Rolle spielt. Dem Wissen um den systematischen Aufbau und der adäquaten<br />
Identifikation von Persönlichkeitstypen kommt somit eine nicht zu unterschätzende<br />
Bedeutung zu, um Verhalten zu <strong>an</strong>alysieren, zu bewerten und zu beeinflussen und<br />
letztendlich Personalentscheidungen ökonomisch zu legitimieren. Eine Vernachlässigung<br />
dieser personalwirtschaftlichen Bedingung ist daher vielfach mit einem ineffizienten<br />
Einsatz von personalwirtschaftlichen Instrumenten und mit der Verschwendung<br />
knapper Ressourcen verbunden. Die Erkenntnisse der Tiefenpsychologie sollten<br />
nicht allein für die Personalwirtschaftslehre von Interesse sein, sondern auch in <strong>an</strong>deren<br />
Teilbereichen der Betriebswirtschaftslehre, wie beispielsweise der Entscheidungstheorie<br />
oder dem Marketing zu neuen Erkenntnissen führen können. Trotz der gewonnen<br />
Erkenntnisse müssen wegen des grundsätzlichen Charakters der Arbeit einige<br />
Punkte offen bleiben. So zeigt sich u.a., dass vor allem im Hinblick auf die empirische<br />
Fundierung der Ergebnisse noch erheblicher Forschungsbedarf besteht.<br />
Literatur:<br />
Staehle, W. H. (1994): M<strong>an</strong>agement: eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive. 7. Aufl., überarbeitet<br />
von Peter Conrad; Jörg Sydow. München 1994.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 535<br />
Wolfg<strong>an</strong>g Koppert<br />
Der H<strong>an</strong>dlungsspielraum von Personalreferentenstellen im<br />
Personalm<strong>an</strong>agement großer Industrieunternehmen *<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr. Dres. h.c. Eduard Gaugler, Universität<br />
M<strong>an</strong>nheim<br />
Die Dissertation beh<strong>an</strong>delt zwei zentrale Fragestellungen:<br />
Zum einen wird der Frage nachgeg<strong>an</strong>gen, wie sich die Dezentralisierung der<br />
Personalfunktion, ein derzeit breit diskutiertes Thema, im H<strong>an</strong>dlungsspielraum der<br />
Personalreferenten auswirkt. Zum <strong>an</strong>deren geht die Untersuchung auf die betriebliche<br />
Mitbestimmung als Rahmenbedingung des Personalm<strong>an</strong>agements ein. Der betrieblichen<br />
Mitbestimmung schreibt m<strong>an</strong> in Bezug auf die Org<strong>an</strong>isation der Personalfunktion<br />
einen zentralisierenden Effekt zu. Es stellt sich also die Frage, ob sich ein Sp<strong>an</strong>nungsfeld<br />
zwischen den Zentralisierungserfordernissen aus der betrieblichen Mitbestimmung<br />
und der Dezentralisierung der Personalfunktion ergibt und wie mit diesem<br />
Sp<strong>an</strong>nungsfeld org<strong>an</strong>isatorisch umzugehen ist.<br />
Die Untersuchung folgt dabei einer modell<strong>an</strong>alytischen Betrachtungsweise, deren<br />
Aussagen durch Sekundär<strong>an</strong>alyse und einer überschaubaren schriftlichen Befragung<br />
von 10 Industrieunternehmen mit Personalreferatssystemen fundiert wurden.<br />
Die Dezentralisierung der Personalfunktion betrifft zwei Dimensionen:<br />
Zum einen bezieht sie sich auf die Entscheidungsdelegation innerhalb des Personalressorts.<br />
Zum <strong>an</strong>deren geht es um das Ausmaß der Reintegration von Personalm<strong>an</strong>agementaufgaben<br />
in das Aufgabengebiet der Führungskräfte. Mit Hilfe<br />
dieser beiden Dimensionen lassen sich drei idealtypische Personalreferentenstellen<br />
mit entsprechenden H<strong>an</strong>dlungsspielräumen ableiten: die Personalreferentenstellen<br />
im zentralisierten und im dezentralisierten Personalreferatssystem sowie<br />
<br />
in einem Personalreferatssystem mit mittlerem Dezentralisierungsgrad.<br />
Der zweite Schwerpunkt der Dissertation widmet sich dem Einfluss bzw. den<br />
Wirkungen der betrieblichen Mitbestimmung auf die Org<strong>an</strong>isation der Personalfunktion<br />
bzw. den H<strong>an</strong>dlungsspielraum des Personalreferenten.<br />
Neben den direkten Änderungen im H<strong>an</strong>dlungsspielraum des Personalreferenten<br />
und der personalver<strong>an</strong>twortlichen Führungskräfte, die sich logisch aus den Rechtsnormen<br />
des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben, sind Schlussfolgerungen aus dem<br />
Umst<strong>an</strong>d zu ziehen, dass sich die betriebliche Mitbestimmung als sozialer Prozess<br />
vollzieht. In einigen personalwirtschaftlichen Entscheidungsprozessen tritt nun der<br />
Betriebsrat als weiterer Entscheidungs- und H<strong>an</strong>dlungsträger auf, der üblicherweise<br />
*<br />
Wolfg<strong>an</strong>g Koppert: Der H<strong>an</strong>dlungsspielraum von Personalreferenten im Personalm<strong>an</strong>agement<br />
großer Industrieunternehmen. ISBN 3-87988-741-1, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, München u. Mering<br />
2003, 380 S., € 32,80.
536 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
ein Zielsystem mit <strong>an</strong>deren Schwerpunkten als die arbeitgeberseitigen Entscheidungsund<br />
H<strong>an</strong>dlungsträger vertritt. Damit ist das Risiko gegeben, dass die Entscheidungen<br />
nicht in Übereinstimmung mit dem Zielsystem des Arbeitgebers getroffen werden.<br />
Dieses grundlegende Risikopotential wird umso stärker zur Geltung gebracht, je größer<br />
die Unterschiede zwischen dem eigenen Zielsystem und dem des Betriebsrates<br />
sind und je stärker das Einflusspotential des Betriebsrates bzw. je schwächer das<br />
H<strong>an</strong>dlungspotential der arbeitgeberseitigen H<strong>an</strong>dlungsträger ausgeprägt ist. Im Kontext<br />
einer dezentralen Org<strong>an</strong>isation der Personalfunktion (dezentrales Personalreferatssystem<br />
1 ) und vertretungsstarken Betriebsräten werden nun mögliche Ursachen<br />
und Folgen für ein im Vergleich zum Betriebsrat defizitäres H<strong>an</strong>dlungs- und Einflusspotential<br />
der Arbeitgeberseite abgeleitet. Ferner werden einige Maßnahmen der<br />
formalen Org<strong>an</strong>isationsgestaltung diskutiert, die geeignet erscheinen, die aus dem defizitären<br />
H<strong>an</strong>dlungs- und Einflusspotential resultierenden Funktionsdefizite zu neutralisieren.<br />
Als zusammenfassendes Ergebnis wird festgehalten, dass die betriebliche Mitbestimmung<br />
und die Forderung nach Reintegration der Personalaufgaben widersprüchliche<br />
Anforderungen <strong>an</strong> die Org<strong>an</strong>isation der Personalfunktion stellen. Die Überlegungen<br />
zu den Einflussverhältnissen bei mitbestimmten personalwirtschaftlichen<br />
Entscheidungsprozessen machen deutlich, dass eine institutionalisierte Personalabteilung<br />
wichtige Funktionen wahrnehmen k<strong>an</strong>n, wie die Koordination einer in Kernfragen<br />
einheitlichen Personalpolitik, die Vermeidung von Ausstrahlungseffekten dezentraler,<br />
mitbestimmungspflichtiger Personalentscheidungen 2 sowie die Bereitstellung<br />
von Expertenwissen. Der Verzicht auf eine institutionalisierte Form des Personalm<strong>an</strong>agements<br />
ist daher nicht empfehlenswert. Selbst das dezentrale Personalreferatsmodell<br />
bringt unter bestimmten Bedingungen, die in der Struktur des Führungskräftekaders<br />
sowie der im Betrieb gepflegten Mitbestimmungspraxis zu sehen sind, erhebliche<br />
Risiken mit sich. Das Personalreferatssystem stellt aber eine Org<strong>an</strong>isationsform<br />
dar, welche aufgrund ihrer strukturellen Anpassungsfähigkeit eine ideale Plattform<br />
bietet, um adäquate Org<strong>an</strong>isationsstrukturen für die H<strong>an</strong>dhabung der skizzierten<br />
Rahmenbedingungen zu entwickeln.<br />
Mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes 2001 wurden Formen der dezentralen<br />
Org<strong>an</strong>isation der betrieblichen Mitbestimmung legitimiert. Ein weiterführender<br />
Forschungsbedarf könnte darin bestehen, die praktische Umsetzung dieser<br />
neuen Org<strong>an</strong>isationsformen zu beleuchten und zu überprüfen, ob damit die Anforderungen<br />
aus der betrieblichen Mitbestimmung <strong>an</strong> die Org<strong>an</strong>isation der Personalfunkti-<br />
1<br />
2<br />
In diesem Modell sind die Führungskräfte die zentralen arbeitgeberseitigen H<strong>an</strong>dlungsträger,<br />
während sich die Personalreferenten im Wesentlichen auf beratende Funktionen zurückziehen<br />
Ausstrahlungseffekte können auftreten, wenn der Betriebsrat dezentral getroffene Entscheidungen,<br />
die einzelne Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen besser stellen, über das Gebot<br />
der Gleichbeh<strong>an</strong>dlung auf das Gesamtunternehmen ausdehnt.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 537<br />
on mit der Forderung nach Dezentralisierung des Personalm<strong>an</strong>agements in Einkl<strong>an</strong>g<br />
gebracht werden können.<br />
Carsten Schwaab<br />
Effektive Urteilsprozesse. Eine empirische Untersuchung von<br />
Personalentscheidungen *<br />
Betreuer: Prof. Dr. Rolf Bronner, Universität Mainz<br />
1. Problemstellung und Ziele<br />
Urteilsprozesse spielen im unternehmerischen Alltag, insbesondere im Rahmen<br />
der Personalauswahl und der Personalbeurteilung, eine zentrale Rolle. Daher<br />
kommt dem Verständnis, welche Einflussfaktoren in welcher Form auf Urteilerleistungen<br />
wirken, ein zentrales ökonomisches Interesse zu. Die betriebswirtschaftlich<br />
orientierte Urteilsforschung beschäftigt sich allerdings vorr<strong>an</strong>gig mit Verfahrensgrundlagen.<br />
Die sozialpsychologische Urteilsforschung, die den Beurteiler als motivierten<br />
Strategen und sozialen Akteur auffasst, wird hingegen häufig vernachlässigt.<br />
Hier setzt die vorliegende Untersuchung <strong>an</strong>, indem sie personale sowie org<strong>an</strong>isationale<br />
Einflussfaktoren auf den Urteilsprozess des Entscheiders und deren Auswirkungen<br />
auf Urteilerleistungen zunächst theoretisch <strong>an</strong>alysiert und in einem<br />
zweiten Schritt empirisch prüft. Vor diesem Hintergrund lassen sich als wichtigste<br />
Teilfragen der Untersuchung ableiten:<br />
Welche Faktoren beeinflussen die Prozess- und Ergebniseffektivität von Beurteilungen<br />
und in welcher Weise wirkt sich dieser Einfluss aus?<br />
Welche Dimensionen von Urteilseffektivität sind für eine ökonomische Analyse<br />
her<strong>an</strong>zuziehen?<br />
Welche Rolle kommt der Informationsverarbeitung des Beurteilers im Urteilsprozess<br />
zu und durch welche Faktoren wird diese beeinflusst?<br />
Zur Be<strong>an</strong>twortung dieser Fragen wird ein Forschungsrahmen entwickelt, der als<br />
Urteilsdetermin<strong>an</strong>ten die Informationsqualität der Beurteilungsgrundlagen, die Ver<strong>an</strong>twortung,<br />
die kognitive Strukturiertheit und die Urteilserfahrung des Beurteilers<br />
enthält. Zur Abbildung des Urteilsprozesses dient der kognitive Urteilsaufw<strong>an</strong>d des<br />
Beurteilers. Die Urteilseffektivität wird über die Genauigkeit der Beurteilung, die<br />
Konsistenz über mehrere Beurteilungen hinweg, die Einsicht des Beurteilers in seine<br />
eigene Urteilsstrategie und die Kalibrierung der Urteilszuversicht des Beurteilers in<br />
seine Entscheidungsleistung operationalisiert.<br />
*<br />
Die Arbeit wurde vom Peter L<strong>an</strong>g-<strong>Verlag</strong> zur Publikation <strong>an</strong>genommen. Sie erscheint voraussichtlich<br />
im Herbst 2003 unter dem Titel „Effektive Urteilsprozesse“ in der Reihe ‚Schriften<br />
zur Empirischen Entscheidungs- und Org<strong>an</strong>isationsforschung‘ hrsg. von Prof. Dr. Rolf Bronner.
538 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />
2. Theoretischer Rahmen<br />
Das Linsenmodell von Brunswik stellt einen allgemeinen deskriptiven Ansatz<br />
zur Interpretation von Urteilsprozessen dar und skizziert den methodischen Rahmen<br />
für die empirische Untersuchung der Arbeit. Weiterhin werden mit dem Ansatz der<br />
sozialen Informationsverarbeitung und dem ergänzenden Elaboration-Likelihood-<br />
Modell von Petty/Cacioppo zwei kognitive Theorien der Sozialpsychologie berücksichtigt,<br />
die sich zur Erklärung des Urteilerverhaltens auf Annahmen über nicht direkt<br />
beobachtbare innere Prozesse des Menschen stützen. Diese sind insbesondere zur Erklärung<br />
der Informationsverarbeitungsmotivation und -fähigkeit eines Beurteilers geeignet.<br />
Zur Analyse des Einflusses von Ver<strong>an</strong>twortung auf Beurteilungen wird das<br />
soziale Kontingenzmodell von Tetlock her<strong>an</strong>gezogen. Auf der Grundlage dieser Theorien<br />
werden detailliert vorliegende empirische Befunde der gen<strong>an</strong>nten Urteilsfaktoren<br />
diskutiert. Die vermuteten Zusammenhänge zwischen Determin<strong>an</strong>ten, Verlauf<br />
und Ergebnissen von Urteilsprozessen werden abschließend in einem umf<strong>an</strong>greichen<br />
Hypothesenmodell abgebildet.<br />
3. Methodik<br />
Als Forschungsform der empirischen Untersuchung wurde das Laborexperiment<br />
gewählt, <strong>an</strong> dem 102 studentische Versuchspersonen teilnahmen. Betrieblicher Anwendungsbereich<br />
für die experimentelle Gestaltung war die Personalvorauswahl, da<br />
diese im Rahmen der Urteilsforschung ein bisl<strong>an</strong>g vergleichsweise wenig erforschtes<br />
Gebiet darstellt. Es wurde eine spezielle Fallsimulation als experimentelle Beurteilungsaufgabe<br />
konzipiert. Konkrete Problemstellung war die Stellenbesetzung einer<br />
Nachwuchs-Führungskraft in einem großen Unternehmen. Die Versuchsperson hatte<br />
die Rolle eines Personalreferenten zu übernehmen.<br />
Ein Ziel der Untersuchung war es, Prozessvariablen zu erheben, die das Urteilsverhalten<br />
beziehungsweise die ‚black box’ der Informationsverarbeitung der Versuchsteilnehmer<br />
abbilden. Aus diesem Grund wurde ein Policy Capturing-Ansatz<br />
gewählt, mit dessen Hilfe es möglich ist zu erkennen, in welcher Weise Entscheidungsträger<br />
verfügbare Informationen nutzen, wenn sie Beurteilungen vornehmen.<br />
Der Zweck der Methodik liegt in der Erfassung der Entscheidungsstrategien von Beurteilern<br />
und ermöglicht insbesondere eine Messung von Abweichungen im subjektiv<br />
wahrgenommen Entscheidungsverhalten.<br />
4. Wichtigste Ergebnisse<br />
Als ausgewählte Befunde der Untersuchung können festgehalten werden:<br />
Die Erfahrung des Beurteilers besitzt den stärksten Einfluss auf die Urteilseffektivität.<br />
Durch die Urteilserfahrung werden sowohl die Urteilsgenauigkeit wie<br />
auch die Urteilskonsistenz und zum Teil auch die Urteilseinsicht des Beurteilers<br />
positiv beeinflusst. Im Einkl<strong>an</strong>g mit früheren empirischen Untersuchungen werden<br />
die Ergebnisse dahingehend interpretiert, dass bei erfahreneren Beurteilern<br />
geeignetere Beurteilungsschemata vorliegen.
Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 539<br />
<br />
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Die Informationsqualität der Beurteilungsgrundlagen stellt ebenfalls eine einflussreiche<br />
Variable bezüglich der Beurteilerleistungen dar. Es wird hypothesenkonform<br />
gezeigt, dass durch sie die Urteilsgenauigkeit und die Urteilseinsicht<br />
eines Beurteilers positiv beeinflusst werden. Die Beurteiler sind bei Informationsmerkmalen<br />
hoher Informationsgüte besser in der Lage, genaue Leistungseinschätzungen<br />
von Stimuluspersonen vorzunehmen. Zudem führt eine hohe<br />
Informationsqualität, das heißt günstige Urteilsbedingungen, zu einer Aktivierung<br />
der vorh<strong>an</strong>denen Beurteilerpotentiale.<br />
Hinsichtlich der Ver<strong>an</strong>twortung des Beurteilers zeigen sich differenzierte Befunde:<br />
Die Gesamtbetrachtung aller Ver<strong>an</strong>twortungsbefunde lässt den Schluss<br />
zu, dass Ver<strong>an</strong>twortung generell zu einer Strategie der defensiven Absicherung<br />
eines Beurteilers führt, bei der eine nachträgliche Legitimation der getroffenen<br />
Entscheidungen vor einer Rechenschaftsinst<strong>an</strong>z berücksichtigt wird. Weiterhin<br />
ergibt sich durch hohe Ver<strong>an</strong>twortung keine ungerechtfertigte Entscheidungszuversicht<br />
des Beurteilers.<br />
Die kognitive Strukturiertheit des Beurteilers spielt in Urteilsprozessen eine untergeordnete<br />
Rolle.<br />
Die individuellen Urteilsstrategien aller Versuchspersonen können am geeignetsten<br />
durch relativ simple, linear-additive multiple Regressionsfunktionen<br />
nachvollzogen werden.<br />
Der kognitive Urteilsaufw<strong>an</strong>d stellt einerseits eine geeignete Variable zur Abbildung<br />
des Urteilsprozesses dar, <strong>an</strong>dererseits reicht sie nicht aus, die informationsverarbeitenden<br />
Vorgänge eines Beurteilers im Urteilsprozess vollständig zu<br />
erfassen.<br />
5. Zukünftiger Forschungsbedarf und praktische Implikationen<br />
Die Untersuchungsergebnisse werden in der Arbeit aus theoretischer und methodischer<br />
Perspektive diskutiert. Drei Punkte sollen hier hervorgehoben werden:<br />
Weiterer Forschungsbedarf wird erstens für die Variable der Ver<strong>an</strong>twortung des Urteilers<br />
identifiziert, da zentrale Annahmen des sozialen Kontingenzmodells von Tetlock<br />
in der empirischen Untersuchung nicht bestätigt werden konnten. Zweitens dürfte<br />
die zukünftige Analyse einschränkender situativer Urteilsbedingungen, wie zum<br />
Beispiel der Einfluss hohen Zeitdrucks des Urteilers, vielversprechend sein. Drittens<br />
erscheint die noch nicht hinreichend geklärte Fragestellung interess<strong>an</strong>t, in welcher<br />
Form sich Urteilerleistungen über einen längeren Zeitraum hinweg entwickeln und<br />
verändern können.<br />
Aus den Forschungsergebnissen der Untersuchung werden abschließend verschiedene<br />
praktische Gestaltungshinweise entwickelt. Die Überlegungen beziehen<br />
sich auf Maßnahmen zur Sicherung einer hohen Qualität der Beurteilungsgrundlagen<br />
und auf die Vermeidung von Ver<strong>an</strong>twortungsdiffusion in betrieblichen Urteilsprozessen<br />
sowie auf den Nutzen von Beurteilertrainings.