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Personalforschung an Hochschulen - Rainer Hampp Verlag

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Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 391<br />

1. Personalm<strong>an</strong>agement allgemein/Strategisches<br />

Personalm<strong>an</strong>agement/Steuerung der Personalarbeit<br />

Maike Andresen<br />

Corporate Universities als Instrument des strategischen<br />

M<strong>an</strong>agements von Person, Gruppe und Org<strong>an</strong>isation *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Michel E. Domsch, Universität der Bundeswehr<br />

Hamburg<br />

1. Ausg<strong>an</strong>gspunkt<br />

Insbesondere seit den 1990er Jahren wird den als Corporate University bezeichneten<br />

firmeneigenen Lerninstitutionen weltweit eine hohe Aufmerksamkeit zuteil, die<br />

v.a. auf ihre vielfach propagierte stützende Rolle im Rahmen des strategischen M<strong>an</strong>agements<br />

von Unternehmen zurückgeführt werden k<strong>an</strong>n. Zum Ausdruck gebracht wird<br />

hier die Einsicht, dass die Mitarbeiter eines Unternehmens der entscheidende Faktor<br />

sind, wenn Strategien wirksam werden sollen.<br />

Im Rahmen des strategischen M<strong>an</strong>agements streben Unternehmen eine optimale<br />

Abstimmung von Umwelt, Strategie, Struktur und Personalpraktiken einschließlich<br />

der Lernprozesse <strong>an</strong>. Bildlich gesprochen ist die Wettbewerbsfähigkeit auf nationaler,<br />

aber insbesondere auch auf internationaler Ebene nicht so sehr eine Frage dessen, wie<br />

der Wind weht, sondern vielmehr wie m<strong>an</strong> seine Segel setzt. Daher müssen Unternehmen<br />

nicht nur in der Lage sein, die Richtung und Stärke des Windes bzw. die<br />

Umweltfaktoren, die ihre Geschäftstätigkeit beeinflussen, zu bestimmen, sondern<br />

insbesondere auch eine hoch qualifizierte Crew zu entwickeln. Diese muss die Fähigkeiten<br />

besitzen, die gegenwärtige und zukünftig gewünschte Position wie auch die<br />

übergeordneten strategischen Ziele des Unternehmens zu bestimmen, den zur Erreichung<br />

der gesetzten Ziele als günstig erscheinenden Kurs festzulegen und einzuschlagen<br />

sowie die Firma zu navigieren. Mit diesem Bild soll verdeutlicht werden,<br />

dass eine kooperierende Mitarbeiterschaft, die über ein im Vergleich zu Konkurrenzunternehmen<br />

überlegenes Wissen und bessere Kompetenzen verfügt und in der Lage<br />

ist, das eigene Unternehmen zu führen und zu tr<strong>an</strong>sformieren, ein bedeutender Faktor<br />

für die Erzielung eines nachhaltigen Wettbewerbsvorteils ist.<br />

*<br />

Maike Andresen: Corporate Universities als Instrument des strategischen M<strong>an</strong>agements von<br />

Person, Gruppe und Org<strong>an</strong>isation – Eine Systematisierung aus strukturationstheoretischer und<br />

radikal konstruktivistischer Perspektive. Dissertation veröffentlicht in der Schriftenreihe<br />

„Personalm<strong>an</strong>agement – Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement“, hrsg. von Michel E. Domsch, Désirée<br />

H. Ladwig, Bd. 7, L<strong>an</strong>g, Hamburg u.a. 2003.


392 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Corporate Universities werden als zentrales Instrument der Unternehmensführung<br />

<strong>an</strong>gesehen, welches genutzt werden k<strong>an</strong>n, um das benötigte unternehmensspezifische<br />

Hum<strong>an</strong>kapital aufzubauen und über maßgeschneiderte, strategieorientierte<br />

Weiterbildungspraktiken mittels der Ressource ‚Mensch’ sowie des in ihr ver<strong>an</strong>kerten<br />

Wissens Wettbewerbsvorteile zu generieren.<br />

2. Problemstellung<br />

Unklar blieb sowohl in der praktischen als auch wissenschaftlichen Diskussion<br />

bisher, was konkret unter einer Corporate University verst<strong>an</strong>den wird und wie mit ihrer<br />

Hilfe eine Förderung des strategischen M<strong>an</strong>agements über ein strategisches Lernen<br />

in und von Unternehmen erreicht werden k<strong>an</strong>n. Zum Ausdruck kommt dies nicht<br />

zuletzt in den zahlreichen in (primär praxisorientierten) Publikationen <strong>an</strong>geführten<br />

Definitionen, die sowohl durch Überschneidungen als auch Widersprüche gekennzeichnet<br />

sind. So stellen einige Autoren gar kritisch heraus, dass es sich bei dem Begriff<br />

‚Corporate University’ um einen Etikettenschwindel h<strong>an</strong>delt, hinter dem sich in<br />

vielen Unternehmen traditionelle Weiterbildungsmaßnahmen verbergen, welche in<br />

der Firmenuniversität integriert sind und sich durch keine grundlegenden inhaltlichen<br />

oder strukturellen Neuerungen auszeichnen. Ausgeweitet werden die diesbezüglichen<br />

Unsicherheiten durch die Vielzahl <strong>an</strong> beobachtbaren unterschiedlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten<br />

von Corporate Universities in Unternehmen. Auch Benchmarkingstudien<br />

und die m<strong>an</strong>nigfaltigen Beschreibungsmodelle in der Literatur konnten<br />

bisl<strong>an</strong>g keine Ergebnisse liefern, aus denen sich eindeutige H<strong>an</strong>dlungs<strong>an</strong>weisungen<br />

und Erkenntnisse hinsichtlich dieses Aspekts ableiten lassen. Zur Klärung des Konzeptes<br />

fehlt daher eine theoriebasierte, wissenschaftliche Aufarbeitung und Fundierung,<br />

welche in der Arbeit geleistet wird.<br />

3. Untersuchungsgegenst<strong>an</strong>d<br />

Es wird von der nachfolgenden Definition ausgeg<strong>an</strong>gen: Corporate Universities<br />

sind firmeneigene Lerninstitutionen, welche das strategische M<strong>an</strong>agement in Unternehmen<br />

stützen. Sie fördern ein strategisches Lernen, indem die Personalentwicklungsprogramme<br />

in verbindliche strategische Entwicklungskonzepte des jeweiligen<br />

Unternehmens und damit unmittelbar in das Org<strong>an</strong>isationsgeschehen konkret eingebunden<br />

sind. Lernen und strategisches H<strong>an</strong>deln werden somit als integraler Prozess<br />

verst<strong>an</strong>den. Ziel des H<strong>an</strong>delns ist die Konzipierung oder Implementierung von Strukturen<br />

sowie die Konstruktion von Wissen. Das dadurch aufgebaute Hum<strong>an</strong>kapital ist<br />

unternehmensspezifisch bzw. dient dem Unternehmenszweck.<br />

Obige Begriffsbestimmung bringt einen Perspektivenwechsel zum Ausdruck,<br />

demzufolge die Aufgabe der Personalentwicklung nicht länger rein darin gesehen<br />

wird, die notwendigen Kompetenzen aufzubauen, um die gegenwärtige Leistung im<br />

Unternehmen aufrechterhalten bzw. verbessern zu können und ein Erreichen zukünftiger<br />

ökonomischer Leistungsziele zu gewährleisten. Stattdessen werden die Prozesse<br />

auf Org<strong>an</strong>isationsebene als Rahmen der Personalentwicklung interpretiert. Die im<br />

Geiste vollzogene Trennung zwischen Personalebene und Org<strong>an</strong>isationsebene, die


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 393<br />

bisl<strong>an</strong>g auch in der org<strong>an</strong>isatorischen Ausgliederung beispielsweise in Form einer<br />

Abteilung für Aus- und Weiterbildung ihren Ausdruck f<strong>an</strong>d, wird damit aufgegeben.<br />

Corporate Universities sind daher idealerweise direkt dem Vorst<strong>an</strong>d bzw. der Geschäftsführung<br />

unterstellt und werden als strategische Org<strong>an</strong>isationseinheit verst<strong>an</strong>den.<br />

4. Zielsetzung und theoretische Basis<br />

Im Rahmen des strategischen M<strong>an</strong>agements stellen sich Unternehmen insbesondere<br />

zwei Herausforderungen:<br />

Erstens müssen die sich in dem dynamischen und komplexen Unternehmensumfeld<br />

stellenden Herausforderungen bewältigt werden, indem die Entwicklung des<br />

Unternehmens in der Art vor<strong>an</strong>getrieben wird, dass eine Abstimmung zwischen<br />

Unternehmen und Umwelt erreicht wird (Org<strong>an</strong>isationsebene).<br />

Zweitens bedarf es einer darauf abgestimmten (g<strong>an</strong>zheitlichen) Entwicklung der<br />

involvierten Mitarbeiter, welche einzeln und in ihrer Gesamtheit die Entwicklungen<br />

auf Unternehmensebene vor<strong>an</strong>treiben (Person-/Gruppenebene).<br />

Ziel der Arbeit ist es daher zum einen herauszuarbeiten, wie sich auf Org<strong>an</strong>isationsebene<br />

die H<strong>an</strong>dlungsspielräume unternehmerischen H<strong>an</strong>delns beschreiben lassen,<br />

wodurch diese eingegrenzt werden, und wie sie genutzt, aber auch durch das H<strong>an</strong>deln<br />

aktiv beeinflusst werden können. Schließlich soll auch beleuchtet werden, welche<br />

H<strong>an</strong>dlungen durch unternehmerische Akteure eingeleitet werden können. Zu berücksichtigen<br />

ist hier, dass das gegenwärtige org<strong>an</strong>isationale H<strong>an</strong>deln nicht allein vom<br />

Wissen, sondern zusätzlich von vorhergehenden H<strong>an</strong>dlungsakten einerseits und der<br />

Nachwirkung gegenwärtiger H<strong>an</strong>dlungen in der Zukunft <strong>an</strong>dererseits bedingt ist. Die<br />

H<strong>an</strong>dlungsprozesse stellen somit eine konstituierende Bedingung bzw. Ausg<strong>an</strong>gspunkte<br />

org<strong>an</strong>isationaler Tätigkeit dar. Die Betrachtung derartiger h<strong>an</strong>dlungsbedingter<br />

und h<strong>an</strong>dlungsbedingender Faktoren ist Gegenst<strong>an</strong>d der Analyse vom W<strong>an</strong>del der<br />

Unternehmen. Die die Org<strong>an</strong>isationsebene betreffenden Aspekte werden mit Hilfe der<br />

Strukturationstheorie beleuchtet.<br />

Zum <strong>an</strong>deren soll dargelegt werden, auf welche Weise auf Person-/Gruppenebene<br />

diese H<strong>an</strong>dlungsfähigkeit von Individuen aufgebaut und wie über eine Koordination<br />

der H<strong>an</strong>dlungen Einzelner zusätzlich eine H<strong>an</strong>dlungsfähigkeit von Org<strong>an</strong>isationen<br />

herbeigeführt werden k<strong>an</strong>n. Die diesbezügliche Anleitung und Begleitung der<br />

H<strong>an</strong>delnden k<strong>an</strong>n im Rahmen einer Corporate University erfolgen. Um die auf Person-/Gruppenebene<br />

benötigten Lernprozesse erklären zu können, wird auf den Ansatz<br />

des radikalen Konstruktivismus zurückgegriffen.<br />

Beide Theorien, die aus der Soziologie herrührende Strukturationstheorie und<br />

der radikale Konstruktivismus als Lerntheorie, die in dieser Arbeit verknüpft werden,<br />

vermögen sich in idealer Weise zu ergänzen, um die Prozesse in Unternehmen umfassend<br />

und g<strong>an</strong>zheitlich zu erklären. Die Arbeit ist folglich trotz eines betriebswirtschaftlichen<br />

Ausg<strong>an</strong>gspunkts stark interdisziplinär ausgerichtet.


394 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

5. Kernergebnis der theoretischen und empirischen Untersuchung<br />

Zur Klärung des komplexen Konstrukts der Corporate University wird ausgehend<br />

von einer theoretischen Grundlegung <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der Strukturationstheorie sowie des<br />

radikalen Konstruktivismus einerseits und einer fallstudienbasierten Analyse von 88<br />

Corporate Universities in den USA und Europa <strong>an</strong>dererseits eine Systematik entwickelt.<br />

Darauf aufbauend werden mit Hilfe eines Erklärungsmodells die Funktionsweisen<br />

bestehender Corporate Universities erklärt, Hinweise für ihre maßgeschneiderte<br />

Gestaltung in der Praxis gegeben und Nutzungsmöglichkeiten im Rahmen des strategischen<br />

M<strong>an</strong>agements in Gegenwart und Zukunft aufgezeigt.<br />

Eines der zentralen Ergebnisse der theorie- und empiriebasierten Analyse ist,<br />

dass es nicht die Corporate University bzw. eine begrenzte Zahl von ‚Typen’ gibt,<br />

wie in bestehenden Beschreibungsmodellen suggeriert, sondern vielmehr mehrere<br />

Bausteine identifiziert werden können, die von Unternehmen entsprechend ihrer unternehmensspezifischen<br />

Herausforderungen und Bedürfnisse ausgewählt und in für<br />

sie optimaler Weise mitein<strong>an</strong>der kombiniert werden. Verschiedene Einflussfaktoren<br />

in der internen und externen Umwelt, welche die Ausgestaltung von Corporate Universities<br />

steuern, werden aufgezeigt und des Weiteren die identifizierten Bausteine<br />

ausführlich beschrieben sowie deren Zusammenwirken dargestellt.<br />

Es h<strong>an</strong>delt sich insofern um einen Beitrag zur <strong>an</strong>wendungsorientierten Forschung,<br />

in deren Rahmen Wissenschaft und Praxis verbunden werden. So soll für den<br />

Bereich der Praxis Wissen über den Themenbereich der Corporate Universities erzeugt<br />

werden, das dazu befähigt, die zu ihrer Umsetzung benötigten Bedingungen<br />

und Voraussetzungen in Unternehmen zu erkennen, bereits bestehende Praktiken kritisch<br />

zu <strong>an</strong>alysieren, selbst H<strong>an</strong>dlungen durchzuführen und Probleme zu lösen. Der<br />

Mehrwert der Anwendungsorientierung liegt in einer Erfassung und H<strong>an</strong>dhabung der<br />

Komplexität der Unternehmenspraxis und der sich dort bietenden Probleme sowie in<br />

der Kommunikationsunterstützung über die Bereitstellung eines geeigneten Vokabulars.<br />

Für den personalwirtschaftlichen Bereich der Wissenschaft ergeben sich neue<br />

Erkenntnisse aus der interdisziplinären Betrachtung des strategischen Lernens in und<br />

von Unternehmen im Rahmen der Corporate University. Verknüpft werden betriebswirtschaftliche<br />

Aspekte auf Org<strong>an</strong>isationsebene (strategisches M<strong>an</strong>agement) mit lerntheoretischen/didaktischen<br />

Gesichtspunkten auf Individual-/Gruppenebene (strategisches<br />

Lernen). Für die bisl<strong>an</strong>g als eher theoriearm <strong>an</strong>gesehene Disziplin Personalwirtschaft<br />

soll mittels der für die Personalwirtschaftslehre zugänglich gemachten und<br />

mitein<strong>an</strong>der verknüpften Theorien der Strukturation sowie des radikalen Konstruktivismus<br />

ein Beitrag zur fundierteren Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit personalwirtschaftlichen<br />

Fragestellungen in der Zukunft geleistet werden.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 395<br />

Barbara Brenzikofer<br />

Die Reputation von Professoren – Implikationen für das Hum<strong>an</strong><br />

Resource M<strong>an</strong>agement von Universitäten *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Bruno Staffelbach, Universität Zürich<br />

1. Problemhinführung und Fragestellung<br />

Die Universitäten im deutschsprachigen Raum sehen sich zu Beginn des neuen<br />

Jahrtausends großen Umweltveränderungen ausgesetzt. Dies schlägt sich unter <strong>an</strong>derem<br />

in einer Reform der gesetzlichen Grundlagen von Universitäten sowie dem vermehrten<br />

Einsatz betriebswirtschaftlicher Grundsätze und Methoden nieder.<br />

Mit dem Einsatz betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse soll erreicht werden, dass<br />

Universitäten unter den veränderten Bedingungen nach wie vor hochwertige Leistungen<br />

in den Bereichen Forschung und Lehre sowie Dienstleistungen <strong>an</strong>bieten können.<br />

Diese Leistungen sind, <strong>an</strong>alog zu Dienstleistungsunternehmen, meist sehr eng <strong>an</strong> die<br />

Menschen gebunden, die sie erbringen.<br />

Umso erstaunlicher ist es, dass das Personalm<strong>an</strong>agement bzw. HRM von Universitäten<br />

bisher nur im Ausnahmefall Gegenst<strong>an</strong>d wissenschaftlicher Abh<strong>an</strong>dlungen<br />

war. Die HRM-Konzepte für Universitäten haben dabei den spezifischen Besonderheiten<br />

von Universitäten Rechnung zu tragen. Das Streben nach Reputation, dem v.a.<br />

für Professorinnen und Professoren <strong>an</strong> Universitäten eine große Bedeutung zugeschrieben<br />

wird, ist eine solche Besonderheit.<br />

Im Zentrum steht deshalb die Analyse der Reputation von Professoren und die<br />

Bedeutung der Reputation für das Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement von Universitäten.<br />

Im Einzelnen werden folgende Teilziele verfolgt:<br />

einerseits vorerst ein Framework zur systematischen und differenzierten Erfassung<br />

des HRM von Universitäten zu entwickeln und mit dessen Hilfe exemplarisch<br />

einen Teilbereich des HRM der Universität Zürich zu beschreiben;<br />

<strong>an</strong>dererseits im eigentlichen Hauptteil den Begriff sowie die Prozesse der Entstehung,<br />

Erhaltung und Auswirkungen der Reputation von Professoren zu <strong>an</strong>alysieren<br />

und daraus ein differenziertes Prozessmodell der individuellen Reputation<br />

von Professoren zu entwickeln, wobei die disziplinenbedingten Unterschiede zu<br />

berücksichtigen sind;<br />

*<br />

Barbara Brenzikofer: Reputation von Professoren – Implikationen für das Hum<strong>an</strong> Resource<br />

M<strong>an</strong>agement von Universitäten. Personalwirtschaftliche Schriften, hrsg. von Dudo von E-<br />

ckardstein und Oswald Neuberger, B<strong>an</strong>d 19. ISBN 3-87988-701-2, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>,<br />

München und Mering, 2002, 316 S., € 29,80


396 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

<br />

<br />

dabei die besonderen Merkmale der Tätigkeit von Professoren sowie die Bedingungen<br />

für ihre Arbeitszufriedenheit und Motivation herauszuarbeiten und daraus<br />

den Stellenwert der Reputation abzuleiten;<br />

aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse zur Reputation Implikationen für das<br />

HRM von Professoren <strong>an</strong> Universitäten zu formulieren und zu beurteilen.<br />

2. Theoretische Basis<br />

Die theoretische Basis ist durch drei Merkmale charakterisiert: Betriebswirtschaftliche<br />

Perspektive, Interdisziplinarität und Anwendungsorientierung: Mit der<br />

Übertragung der Grundzüge des HRM in Unternehmen auf Universitäten (unter Berücksichtigung<br />

von deren Besonderheiten) wird eine betriebswirtschaftliche Perspektive<br />

eingenommen. Bei der eingenommenen Perspektive ist Interdisziplinarität<br />

konstitutiv, da das komplexe Reputationsphänomen nicht mit einer reduktionistischen,<br />

disziplinären Sichtweise adäquat erfasst und erklärt werden k<strong>an</strong>n. Die Betriebswirtschaftslehre<br />

ist eine <strong>an</strong>wendungsorientierte Wissenschaft, der Praxisbezug<br />

somit konstitutiv. Das heißt, dass es im vorliegenden Zusammenh<strong>an</strong>g der Zweck einer<br />

solchen Wissenschaft ist, den Führungsver<strong>an</strong>twortlichen der Universität fundiertes<br />

H<strong>an</strong>deln in der Praxis zu ermöglichen<br />

Grundlage für die theoretische Herleitung des Prozessmodells der Reputation<br />

bildet eine Analyse der relev<strong>an</strong>ten Literatur. Dabei wird zweistufig vorgeg<strong>an</strong>gen: Im<br />

ersten Schritt wird die Reputation aus ökonomischer, psychologischer und soziologischer<br />

Perspektive <strong>an</strong>alysiert. Die Erkenntnisse werden sod<strong>an</strong>n zu einem umfassenden<br />

allgemeinen Prozessmodell der individuellen Reputation integriert, das unabhängig<br />

von bestimmten Org<strong>an</strong>isationen die Prozesse der Reputationsbildung und -erhaltung<br />

sowie deren Auswirkungen erfasst. In einem zweiten Schritt wird zusätzlich universitäts-<br />

und wissenschaftsbezogene Literatur in die Analyse miteinbezogen, um das Modell<br />

für Professoren zu konkretisieren und nach Aufgaben zu differenzieren. Daraus<br />

resultieren schließlich die Prozessmodelle der individuellen Forschungs-, Lehr-,<br />

Dienstleistungs- und Selbstverwaltungsreputation von Professoren, die eng mitein<strong>an</strong>der<br />

verknüpft sind und insgesamt die Reputation von Professoren modellieren.<br />

3. Empirische Untersuchung<br />

Das Hauptziel der empirischen Untersuchung besteht darin, disziplinenbedingte<br />

Unterschiede der Reputation von Professoren in Bezug auf das Begriffsverständnis,<br />

aber auch bezüglich der Quellen, der Wahrnehmung, der Erfassung sowie der Auswirkungen<br />

von Reputation aufzudecken und damit die soziale Konstruktion von Reputation<br />

zu beschreiben. Zu diesem Zweck werden Personen aus zwei unterschiedlichen<br />

Disziplinen bzw. Fachbereichen befragt. D<strong>an</strong>eben werden die theoretisch hergeleiteten<br />

Erkenntnisse zur Reputation von Professoren <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d konkreter Erfahrungen<br />

von Professoren der Universität Zürich auf ihre praktische Relev<strong>an</strong>z geprüft und ergänzt.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 397<br />

Für die Untersuchung wird ein qualitatives Forschungsdesign gewählt. Als Erhebungsverfahren<br />

wird das problemzentrierte Interview eingesetzt, das <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d eines<br />

Interviewleitfadens halbst<strong>an</strong>dardisiert und auf eine bestimmte Problemstellung zentriert<br />

ist, wobei die Problemstellung vom Interviewer bereits vorher <strong>an</strong>alysiert wurde.<br />

Die Befragungen sind gleichzeitig auch Experteninterviews, da themenbezogene<br />

„Schlüsselpersonen“ befragt werden, also Personen, die aufgrund eigener Beobachtungen<br />

in der Universität mit dem Thema Reputation von Professoren umfassende Erfahrungen<br />

gesammelt haben. Diese Schlüsselpersonen – Professoren der Universität<br />

Zürich, die gleichzeitig auch Leitungsfunktionen <strong>an</strong> der Universität innehaben –<br />

stammen aus zwei, <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d epistemologischer Kriterien charakterisierter, sehr unterschiedlicher<br />

Wissenschaftsgebiete: Betriebswirtschaftslehre und ausgewählte Naturwissenschaften.<br />

Neben diesen problemzentrierten Interviews werden weitere empirische Zugänge<br />

zum Untersuchungsobjekt eingesetzt: die Erfahrung aus der Mitarbeit in einer universitären<br />

Arbeitsgruppe zur Entwicklung einer neuen Personalverordnung für die<br />

Universität Zürich (qualitativ-teilnehmende Beobachtung) und das Fallbeispiel der<br />

Universität Zürich (Einzelfall<strong>an</strong>alyse).<br />

4. Ergebnisse der Untersuchung<br />

Die Reputation von Professoren beruht auf verschiedenen Quellen: Bezogen auf<br />

die Forschungsreputation sind das z.B. Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften<br />

und die Zugehörigkeit zu einer renommierten Fakultät, bei der Lehrreputation<br />

z.B. Lehrbücher und didaktische Qualifikationen, bei der Dienstleistungsreputation<br />

z.B. Referate und Gutachten und bei der Selbstverwaltungsreputation z.B. Zugehörigkeit<br />

zu universitären Gremien und verfasste Arbeitspapiere. Die Wahrnehmung<br />

dieser Reputationsquellen ist abhängig von den jeweiligen Reputationsbeurteilern –<br />

wie Scientific Community, Studierende, Auftraggeber und Universitätsleitung und -<br />

verwaltung – und verleiht der Reputation einen subjektiven Aspekt. Zudem unterliegt<br />

sie verschiedenen Verzerrungen und ist abhängig von der Erhältlichkeit, der Einfachheit<br />

und der Konsistenz der reputationsrelev<strong>an</strong>ten Informationen. Die Reputation (als<br />

Produkt) resultiert aus der Kombination von Quellen und deren Wahrnehmung. Sie<br />

ist definiert als eine subjektiv wahrgenommene, sozial konstruierte, veränderliche<br />

Konfiguration von Annahmen über verschiedene, auf der Verg<strong>an</strong>genheit beruhende,<br />

aufgabenrelev<strong>an</strong>te Aspekte eines Professors, die von mehreren Reputationsbeurteilern<br />

geteilt und dadurch teilweise objektiviert wird. Von der Reputation eines Professors<br />

gehen verschiedene Wirkungen aus. Zu den Auswirkungen auf der Individualebene<br />

gehören beispielsweise Karrieremöglichkeiten, eine bessere Ressourcenausstattung<br />

und persönliche Befriedigung. Da sich die Reputation eines Professors auf Faktoren<br />

auswirkt, die gleichzeitig auch die Quellen der Reputation bilden, entstehen Rückkoppelungseffekte,<br />

und ein eigentlicher Kreislauf setzt sich in G<strong>an</strong>g. So führt z.B. eine<br />

bessere Ressourcenausstattung zu besseren Arbeitsbedingungen, die wiederum<br />

mehr und bessere Publikationen, Lehrver<strong>an</strong>staltungen und Dienstleistungen ermöglichen.<br />

Der beschriebene Ablauf (Reputation als Prozess) führt zu verschiedenen Aus-


398 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

wirkungen auf der Systemebene: Reputation übernimmt dort insbesondere eine Orientierungs-<br />

bzw. Informations- und eine Motivationsfunktion. D<strong>an</strong>eben führt sie aber<br />

auch zu negativen Auswirkungen wie der taktischen Wahl von Themen (Forschungsreputation),<br />

der Überbelegung von Lehrver<strong>an</strong>staltungen (Lehrreputation) sowie der<br />

Vernachlässigung <strong>an</strong>derer Aufgaben (Dienstleistungsreputation). Zur Erfassung der<br />

individuellen Reputation eines Professors existieren in Abhängigkeit der konkreten<br />

Teilreputationen verschiedene Indikatoren; die Alternative dazu besteht in der Befragung<br />

der entsprechenden Reputationsbeurteiler.<br />

Das Verhältnis der Teilreputationen zuein<strong>an</strong>der und ihre Gewichtung für die Gesamtreputation<br />

eines Professors hängt von verschiedenen Faktoren ab, die in ihrer<br />

konkreten Ausprägung das Resultat eines normativen Entscheides darstellen. Neben<br />

<strong>an</strong>deren Einflussfaktoren nimmt die wissenschaftliche Disziplin dabei eine Schlüsselstellung<br />

ein. Die Zugehörigkeit eines Professors zu einem bestimmten Fachgebiet<br />

wirkt sich zudem auf die Bedeutsamkeit einzelner Reputationsquellen und Reputationsbeurteiler,<br />

auf den Wahrnehmungsprozess, die Auswirkungen der Reputation und<br />

auf geeignete Indikatoren zur Erfassung der Reputation aus. Das sind die Schlussfolgerungen<br />

aus der empirischen Untersuchung. Die beiden Disziplinen Betriebswirtschaftslehre<br />

und ausgewählte Naturwissenschaften unterscheiden sich konkret in folgenden<br />

Punkten:<br />

Die Naturwissenschaften gewichten forschungsbezogene Aspekte der Reputation<br />

stärker.<br />

In der Betriebswirtschaftslehre besteht ein größerer Freiraum für die persönliche<br />

Gewichtung und insgesamt ein gleichmäßigeres Verhältnis bei der Gewichtung<br />

der Teilreputationen aufgrund des höheren Stellenwertes der Dienstleistungsreputation.<br />

In den Naturwissenschaften herrscht ein größerer Konsens über Indikatoren zur<br />

<br />

Erfassung der Reputation.<br />

Teamarbeit bzw. die Erarbeitung von Reputationsquellen im Team und Internationalität<br />

bzw. die internationale Wahrnehmung von Reputationsquellen sind in<br />

den Naturwissenschaften für den Aufbau von Reputation wichtiger.<br />

Darüber hinaus deuten insbesondere die empirisch festgestellten Gemeinsamkeiten<br />

darauf hin, dass das theoretisch entwickelte Prozessmodell der individuellen Reputation<br />

von Professoren von großer praktischer Relev<strong>an</strong>z ist.<br />

Die Erkenntnisse aus der theoretischen und empirischen Analyse der Reputation<br />

von Professoren haben diverse Implikationen für das Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement<br />

von Universitäten. Für ein reputationsbasiertes HRM für Professoren von Universitäten<br />

lassen sich u.a. folgende Schlussfolgerungen formulieren:<br />

Die Unterstützung der Professoren beim Aufbau von Reputation seitens der U-<br />

niversität k<strong>an</strong>n als Anreiz eingesetzt werden.<br />

<br />

Die individuelle Reputation von Professoren k<strong>an</strong>n – unter Beachtung der beschränkten<br />

Validität – bei der Selektion und Evaluation als Informationssubstitut<br />

eingesetzt werden.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 399<br />

Die Wahrscheinlichkeit der Fluktuation ist bei Professoren mit hoher Reputation<br />

größer und erfordert ein entsprechendes Retentionsm<strong>an</strong>agement.<br />

Die disziplinenbedingten Reputationsunterschiede erfordern ein differentielles<br />

reputationsbasiertes HRM für Professoren nach Fachgebieten.<br />

5. Weiterführende Fragen<br />

Die Arbeit liefert einen profunden Beitrag zu einem institutionenspezifischen<br />

HRM und thematisiert gleichzeitig für das allgemeine HRM eine neue Fragestellung:<br />

Die Reputation. Das entwickelte Modell könnte <strong>an</strong>alog z.B. auch in der Politik oder<br />

für Unternehmen genutzt werden. Dabei ginge es d<strong>an</strong>n um die Reputation von Angehörigen<br />

des Top M<strong>an</strong>agements oder um die Reputation von Politikern.<br />

Wolfg<strong>an</strong>g H. Güttel<br />

Die Identifikation strategischer immaterieller Vermögenswerte<br />

im Post-Merger-Integrationsprozess: Ressourcen- und<br />

Wissensm<strong>an</strong>agement bei Mergers-<strong>an</strong>d-Acquisitions *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Dudo von Eckardstein, Wirtschaftsuniversität<br />

Wien<br />

In der Literatur über Mergers-<strong>an</strong>d-Acquisitions liegen kontroverse Befunde vor.<br />

Einerseits wird hervorgehoben, dass Akquisitionen und Fusionen eine einzigartige<br />

Möglichkeit darstellen, ein Unternehmen sprunghaft weiterzuentwickeln. Durch die<br />

Integration der beiden fusionierten Unternehmen sollen die Marktmacht gesteigert,<br />

vorh<strong>an</strong>dene Kompetenzen wechselseitig optimiert oder Synergiepotenziale erschlossen<br />

werden. Andererseits zeigen empirische Analysen, dass nach dem Vollzug der<br />

Unternehmensvereinigung die Realisierung der erwarteten Vorteile vielfach scheitert<br />

und in Folge insgesamt Unternehmenswerte vernichtet werden.<br />

Seit der Wende im strategischen M<strong>an</strong>agement vom Market-based- zum Resource-based-View<br />

wird unternehmensinternen Vermögenswerten die zentrale strategische<br />

Bedeutung zur Erringung und zur Sicherung von Wettbewerbsvorteilen zugeschrieben.<br />

Gerade hierbei kommt den Hum<strong>an</strong> Resources (z.B. dem individuellen und<br />

org<strong>an</strong>isationalen Wissen) eine g<strong>an</strong>z zentrale Rolle zu. Der Erwerb von Kernkompetenzen<br />

oder strategischen Ressourcen ist jedoch bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Pa-<br />

*<br />

Wolfg<strong>an</strong>g H. Güttel: Die Identifikation strategischer immaterieller Vermögenswerte im Post-<br />

Merger-Integrationsprozess. Ressourcen- und Wissensm<strong>an</strong>agement bei Mergers-<strong>an</strong>d-<br />

Acquisitions. Personalwirtschaftliche Schriften, hrsg. von D. von Eckardstein und O. Neuberger,<br />

B<strong>an</strong>d 20, ISBN 3-87988-760-8, München und Mering 2003, 261 S., € 24,80.


400 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

tente, Lizenzen) nicht über herkömmliche Faktormärkte möglich. Deshalb ist eine<br />

Akquisition von Unternehmen bzw. Unternehmensteilen – neben der l<strong>an</strong>gfristigen internen<br />

Entwicklung oder dem Eingehen von Kooperationen – eine der wenigen Möglichkeiten,<br />

strategische Vermögenswerte zu erwerben.<br />

Nach dem Vollzug der Akquisition ist für die zielgerichtete Gestaltung des Post-<br />

Merger-Integrationsprozesses eine Identifikation der strategischen Vermögenswerte<br />

notwendig, da der Akquisiteur kaum (Meta-)Wissen über strategisch relev<strong>an</strong>te Elemente<br />

der Ressourcen- und Wissensbasis des Akquisitionsobjekts besitzt. Bei der Zusammenlegung<br />

von Org<strong>an</strong>isationseinheiten, der Desinvestition von Unternehmensteilen<br />

oder bei der Freisetzung von Mitarbeitern ist sicherzustellen, dass wettbewerbsrelev<strong>an</strong>te<br />

Kompetenzen nicht unbeabsichtigt zerstört werden. Selbst wenn das akquirierte<br />

Unternehmen org<strong>an</strong>isatorisch nicht in die Strukturen des Akquisiteurs eingegliedert<br />

wird, also „St<strong>an</strong>d Alone“ bleibt, k<strong>an</strong>n etwa ein Tr<strong>an</strong>sfer von Best-Practices<br />

und Wissen initiiert werden.<br />

Bisl<strong>an</strong>g wurde in der Forschung über Mergers-<strong>an</strong>d-Acquisitions der Identifikation<br />

der strategischen Vermögenswerte kaum Aufmerksamkeit gewidmet, obwohl damit<br />

die Grundlagen für ressourcenorientierte Aktivitäten zur Unternehmensintegration<br />

geschaffen werden. In der Arbeit wird deshalb auf jenen Aspekt fokussiert, der für<br />

die zielgerichtete Gestaltung der Ressourcen- und Wissensbasis im Post-Merger-<br />

Integrationsprozess von grundlegender Bedeutung ist. Das Gesamtziel ist die konzeptionelle<br />

Entwicklung von inhaltlichen, methodischen und prozessualen Entscheidungsalternativen<br />

für die Gestaltung des Identifikationsprozesses von strategischen<br />

immateriellen Vermögenswerten in der Post-Merger-Phase. Für die Be<strong>an</strong>twortung der<br />

Forschungsfrage, welche Alternativen bestehen, um strategische immaterielle Vermögenswerte<br />

im Post-Merger-Integrationsprozess zu identifizieren, wird als Bezugsrahmen<br />

– der strategischen Bedeutung von unternehmensinternen Potenzialen entsprechend<br />

– auf den Resource-based View zurückgegriffen. Die Identifikation fokussiert<br />

auf die immateriellen Vermögenswerte von strategischer Bedeutung. Während<br />

materielle Vermögenswerte im Post-Merger-Integrationsprozess zum Teil über die<br />

Auswertung der Daten der Buchhaltung und der M<strong>an</strong>agementinformationssysteme erfasst<br />

werden können, entziehen sich immaterielle Vermögenswerte einer solchen I-<br />

dentifikation. Es existieren in Unternehmen etwa kaum Daten über die Ausprägung<br />

und das Wirkungsgefüge von Kernkompetenzen oder Aufzeichnungen über die strategisch<br />

relev<strong>an</strong>ten org<strong>an</strong>isationalen bzw. individuellen Wissensbestände im Bereich<br />

der Hum<strong>an</strong> Resources.<br />

Im Detail werden drei Themenbereiche aufgearbeitet. Erstens werden die strategischen<br />

immateriellen Vermögenswerte auf Basis des Resource-based View systematisiert,<br />

um das Spektrum möglicher Identifikationsinhalte aufzuzeigen. Dadurch wird<br />

ein breiter Analyserahmen geschaffen, der zeigt, welche immateriellen Vermögenswerte<br />

von strategischer Bedeutung sind (Dynamic Capabilities, Kernkompetenzen,<br />

sowie Kompetenzen, org<strong>an</strong>isationale Routinen bzw. Elemente der Ressourcen- und<br />

Wissensbasis mit strategischer Relev<strong>an</strong>z) und <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d welcher Kennzeichen sie identifiziert<br />

werden können.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 401<br />

Zweitens wird gezeigt, mit welchen Methoden die verschiedenen strategischen<br />

immateriellen Vermögenswerte – auf Basis der erarbeiteten Kennzeichen – erfasst<br />

werden können. Dazu wird im Bereich der Dynamic Capabilities auf interpretative<br />

Ansätze zur Analyse von Unternehmenskulturen, auf Methoden zur Identifikation<br />

von Kernkompetenzen, auf Identifikations<strong>an</strong>sätze aus dem Resource-based-View sowie<br />

auf Methoden der Wissensidentifikation zurückgegriffen. Auf Basis ressourcenorientierter<br />

Aktivitäten im Post-Merger-Integrationsprozess wird das Anwendungsspektrum<br />

der einzelnen Methoden für die Identifikation strategischer immaterieller<br />

Vermögenswerte in der Post-Merger-Phase erläutert.<br />

Drittens werden Gestaltungsalternativen für die Prozessarchitektur (z.B. Analyseebenen,<br />

Steuerungs- und Vorgehensmodelle) der Identifikation im Post-Merger-<br />

Integrationsprozess in Bezug auf die zu identifizierenden strategischen immateriellen<br />

Vermögenswerte und die dazu zur Verfügung stehenden Methoden strukturiert aufbereitet<br />

sowie deren Anwendbarkeit unter ressourcenorientierter Perspektive diskutiert.<br />

Nachfolgende Arbeiten sollten auf empirischer Basis die Identifikation strategischer<br />

immaterieller Vermögenswerte bei Mergers-<strong>an</strong>d-Acquisitions <strong>an</strong>alysieren. Es<br />

fehlt ferner eine Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit der Identifikation und Bewertung der strategischen<br />

immateriellen Vermögenswerte im Gesamtprozess der Unternehmensvereinigungen.<br />

Gerade bei Mergers-<strong>an</strong>d-Acquisitions ist eine Identifikation und Bewertung<br />

der Potenziale des Akquisitionsobjekts auch in der Pre-Merger-Phase (Auswahl des<br />

Akquisitionsk<strong>an</strong>didaten) und in der Merger-Phase (Kaufpreisbildung) notwendig. Es<br />

ist zu fragen, ob die derzeit existierenden Identifikations- und Bewertungs<strong>an</strong>sätze –<br />

etwa strategische und Hum<strong>an</strong>-Resource-Due Diligence-Teilreviews – dafür geeignet<br />

sind und inwieweit Potenziale, die in der Pre-Merger- und Merger-Phase aus externer<br />

Perspektive als solche identifiziert werden, d<strong>an</strong>n in der Post-Merger-<br />

Integrationsphase vom Akquisiteur tatsächlich genutzt werden können.


402 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Michael Heidecker<br />

Wertorientiertes Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agement (WHCM). Zur<br />

Steigerung des Unternehmenswertes durch die Personalarbeit *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Michel Domsch, Universität der Bundeswehr<br />

Hamburg<br />

1. Ausg<strong>an</strong>gsfragen: Welchen Beitrag leistet die Personalarbeit zum Unternehmenserfolg<br />

und was sind ihre Werttreiber?<br />

„Die Mitarbeiter sind unser wichtigster Erfolgsfaktor!“ Diese oder ähnliche<br />

Aussagen finden sich in Geschäftsberichten und PR-Broschüren vieler namhafter<br />

Firmen. Doch in vielen Fällen vermittelt ein Blick hinter die Kulissen ein <strong>an</strong>deres<br />

Bild: M<strong>an</strong>ager konzentrieren sich mehr auf Statistiken als auf ihre Angestellten, Mitarbeiter<br />

werden entlassen, Personalkosten kontinuierlich gesenkt und Personalabteilungen<br />

fehlt es <strong>an</strong> der notwendigen Glaubwürdigkeit, weil ihre Worte nicht mit ihren<br />

Taten im Einkl<strong>an</strong>g stehen. Vergleicht m<strong>an</strong>, wie professionell viele Unternehmen ihr<br />

Fin<strong>an</strong>zkapital m<strong>an</strong>agen mit der Art und Weise, wie sie mit ihrem Hum<strong>an</strong>kapital umgehen,<br />

zeigt sich oft ein himmelweiter Unterschied. Fragt m<strong>an</strong> Praktiker nach den<br />

größten Schwierigkeiten der Personalarbeit, lauten die Antworten oft ähnlich: „Wir<br />

glauben zwar, dass unsere Mitarbeiter wichtig sind. Aber genau messen können wir<br />

ihren Beitrag zum Erfolg des Unternehmens nicht. Und daher werden sie in erster Linie<br />

unter Kosten- und nicht Investitionsgesichtspunkten gesehen.“ Ein großes Problem.<br />

Denn Kosten gilt es heutzutage zu minimieren. Investitionen leisten dagegen einen<br />

messbaren Beitrag zum Unternehmenserfolg und genießen daher eine viel höhere<br />

Aufmerksamkeit seitens des Top-M<strong>an</strong>agements.<br />

Vor diesem Hintergrund wurde in der Dissertation vier Kernfragen nachgeg<strong>an</strong>gen:<br />

1. Gibt es eine Kausalität zwischen „guter“ Personalarbeit und dem fin<strong>an</strong>ziellen<br />

Erfolg von Unternehmen?<br />

2. Wenn ja, wie hoch ist der fin<strong>an</strong>zielle Beitrag der Personalarbeit zur Unternehmenswertschaffung?<br />

3. Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren bzw. Werttreiber der Personalarbeit?<br />

4. Wie k<strong>an</strong>n eine am Unternehmenswert orientierte Personalarbeit, ein „Wertorientiertes<br />

Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agement (WHCM)“, in die Praxis umgesetzt werden?<br />

*<br />

Heidecker, Michael (2003): Wertorientiertes Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agement. Zur Steigerung des<br />

Unternehmenswertes durch die Personalarbeit. ISBN: 3-8244-7850-1, Gabler Edition Wissenschaft,<br />

Deutscher Universitäts-<strong>Verlag</strong>, Wiesbaden, 2003, XXVI + 426 S., € 59,90.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 403<br />

2. Theoretischer Hintergrund: Verbindung von Wert- und Hum<strong>an</strong> Capital<br />

M<strong>an</strong>agement zum „Wertorientierten Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agement“<br />

In der Literatur hat es mit dem „Hum<strong>an</strong> Resource Accounting“ und der Forschung<br />

zu „High Perform<strong>an</strong>ce Work Systems“ zwar erste Ansätze gegeben, den Wert<br />

des Hum<strong>an</strong>kapitals stärker in den Vordergrund zu rücken. Ihre Grundlagen und<br />

Messgrößen sind aber noch zu weit von dem entfernt, was die Entscheidungsträger <strong>an</strong><br />

den Unternehmensspitzen am meisten interessiert: Wie können wir den fin<strong>an</strong>ziellen<br />

Erfolg und damit die Wertschaffung unseres Unternehmens nachhaltig steigern?<br />

Prominent wird diese Frage durch den amerik<strong>an</strong>ischen Shareholder Value-Ansatz adressiert,<br />

der mittlerweile auch in vielen deutschen Firmen Einzug gehalten hat.<br />

Ziel der Dissertation war es daher, die Methodik und das Kennzahlensystem des<br />

Shareholder Value bzw. Wertm<strong>an</strong>agements mit der Theorie des Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agements<br />

zu verbinden und daraus ein „Wertorientiertes Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agement“<br />

zu konzipieren. Konkret wurden als wichtigste Theoriebausteine das „Total<br />

Value M<strong>an</strong>agement“ und der „Workonomics“-Ansatz der Boston Consulting Group<br />

verwendet sowie die Erkenntnisse der vorwiegend amerik<strong>an</strong>isch geprägten Forschung<br />

zu „High Perform<strong>an</strong>ce Work Systems“.<br />

3. Untersuchungsdesign und empirische Überprüfung<br />

Das Herzstück der Dissertation und gleichzeitig die größte wissenschaftliche Erkenntnis<br />

best<strong>an</strong>d darin, den Wertbeitrag des Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agements qu<strong>an</strong>titativ<br />

zu ermitteln. Denn nur dadurch konnte das Ziel erreicht werden, die Bedeutung des<br />

Hum<strong>an</strong>- und des Fin<strong>an</strong>zkapitals mitein<strong>an</strong>der zu vergleichen und die Aufmerksamkeit<br />

der Unternehmensführer stärker auf den Faktor „Mensch“ zu lenken.<br />

Um das Konzept des „Wertorientierten Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agements“ so valide<br />

wie möglich zu gestalten, wurde es auf drei Säulen gestellt:<br />

1. Theorie: Analyse der einschlägigen Literatur zu den Themen Wert- und Hum<strong>an</strong><br />

Capital M<strong>an</strong>agement sowie der relev<strong>an</strong>ten Studien zum Thema Personal und Unternehmenserfolg.<br />

Auf dieser Basis theoretische Verschmelzung beider Disziplinen<br />

zum „Wertorientierten Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agement“. Anschließend Operationalisierung<br />

des WHCM in einem empirisch überprüfbaren Modell mit personalorientierten<br />

Wertkennzahlen (z.B. Value Added per Person) und einem umf<strong>an</strong>greichen<br />

Werttreiberbaum, der alle relev<strong>an</strong>ten Dimensionen der Personalarbeit<br />

abdeckt und für die Empirie in einem „Hum<strong>an</strong> Capital Valuation Index“ zusammengefasst<br />

wurde.<br />

2. Statistik: Mittels Fragebogen wurden, unterstützt durch die Boston Consulting<br />

Group, 70 deutsche Unternehmen aus dem CDAX zur Qualität ihrer Personalarbeit<br />

befragt. Die Ergebnisse wurden statistisch ausgewertet und mit den maßgeblichen<br />

Wertkennzahlen der Unternehmen korreliert. Dadurch konnte der Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

zwischen der Qualität der Personalarbeit und der Unternehmenswertschaffung<br />

überprüft und die relev<strong>an</strong>ten Werttreiber identifiziert werden.


404 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

3. Qualitative Überprüfung in Experteninterviews: Nach Abschluss der statistischen<br />

Analysen wurden die Ergebnisse im Rahmen von Experteninterviews mit<br />

Personal-M<strong>an</strong>agern sowohl der befragten als auch <strong>an</strong>derer Unternehmen außerhalb<br />

der Stichprobe überprüft. Dadurch wurden drei Ziele erreicht: Erstens<br />

konnte die Validität der Antworten in den Fragebögen getestet werden. Zweitens<br />

konnte gezeigt werden, dass die Ergebnisse nicht nur statistisch belastbar, sondern<br />

auch inhaltlich aus Praktikersicht haltbar sind. Drittens konnten Daten generiert<br />

werden, die im Rahmen des Fragebogens und der Statistik nicht erhoben<br />

werden konnten. In erster Linie zählten hierzu empirische Belege dafür, dass die<br />

Personalarbeit primär den Unternehmenswert beeinflusst und nicht umgekehrt<br />

(Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität). D<strong>an</strong>eben konnten viele interess<strong>an</strong>te<br />

Fallbeispiele für erfolgreiche Personalpraktiken gesammelt werden.<br />

Basierend auf dem Ansatz einer HR-Scorecard wurde darüber hinaus eine siebenstufige<br />

Methodik entwickelt, wie das „Wertorientierte Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agement“<br />

erfolgreich in die Praxis umgesetzt werden k<strong>an</strong>n.<br />

4. Wesentliche Ergebnisse: Die Qualität der Personalarbeit ist ein signifik<strong>an</strong>ter<br />

und großer Hebel, um den Unternehmenswert zu erhöhen<br />

Im Rahmen der Dissertation wurde eine Vielzahl <strong>an</strong> qu<strong>an</strong>titativen und qualitativen<br />

Ergebnissen erzielt sowohl zu den Inhalten des „Wertorientierten Hum<strong>an</strong> Capital M<strong>an</strong>agements“<br />

als auch zur Methodik, wie m<strong>an</strong> den Wertbeitrag des Hum<strong>an</strong>kapitals in der<br />

Praxis messen k<strong>an</strong>n. Am wichtigsten waren vor allem die folgenden Erkenntnisse:<br />

Es gibt eine statistisch signifik<strong>an</strong>te Korrelation zwischen der Qualität der Personalarbeit<br />

(gemessen durch einen umf<strong>an</strong>greichen Hum<strong>an</strong> Capital Valuation Index)<br />

und der Wertschaffung von Unternehmen (gemessen durch den Value Added<br />

per Person und die Aktienrendite – auch „Total Shareholder Return“ gen<strong>an</strong>nt).<br />

Die primäre Kausalbeziehung geht hierbei von der Personalarbeit aus und nicht<br />

vom Unternehmenserfolg.<br />

Die Hebelwirkung des WHCM ist ökonomisch relev<strong>an</strong>t: Wenn Unternehmen die<br />

Qualität ihrer Personalarbeit signifik<strong>an</strong>t entl<strong>an</strong>g der ermittelten Werttreiber<br />

verbessern, können sie ihren „Value Added per Person“ und ihre Aktienrendite<br />

im zweistelligen Prozentbereich erhöhen.<br />

Die ermittelten Werttreiber sind vielfältig und unterschiedlich gewichtet. Sie<br />

erstrecken sich nicht nur über den gesamten Personalprozess von der Rekrutierung<br />

bis zum Outplacement, sondern schließen auch Faktoren wie Unternehmenskultur,<br />

Führungsstil und Org<strong>an</strong>isation des Personalbereiches ein.<br />

5. Fazit und Ausblick<br />

Mit den Ergebnissen der Dissertation wurden Wissenschaftlern und Praktikern<br />

vor allem zwei Dinge <strong>an</strong> die H<strong>an</strong>d gegeben: Ein empirischer „Business Case“ für die<br />

Bedeutung der Personalarbeit sowie eine einfache und mit Praktikern zusammen entwickelte<br />

Vorgehensweise zur Implementierung eines „Wertorientierten Hum<strong>an</strong> Capi-


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 405<br />

tal M<strong>an</strong>agements“. Für die zukünftige Forschung gibt es jedoch viele Ansatzpunkte,<br />

um die Theorie des WHCM weiter auszubauen: Hierzu gehören u.a. Analysen zu den<br />

spezifischen Kausalketten zwischen einzelnen Personalwerttreibern und dem Unternehmenserfolg,<br />

die Untersuchung des Einflusses von „Irrationalitäten“ und Mikropolitik<br />

auf das WHCM oder die Übertragung seiner Methodik auf Bereiche außerhalb<br />

der Privatwirtschaft, z.B. den öffentlichen Dienst.<br />

In Summe geben die Ergebnisse der Dissertation Mut und Hoffnung für die Zukunft,<br />

denn eines wurde g<strong>an</strong>z klar deutlich: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sitzen im<br />

selben Boot und können das Wohl ihres Unternehmens nur d<strong>an</strong>n optimieren, wenn sie<br />

eng mitein<strong>an</strong>der kooperieren und sich nicht bekämpfen. Eine erfreuliche Perspektive!<br />

Alwine Mohnen<br />

Investitionssteuerung, Motivation und Perform<strong>an</strong>cemessung *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Herbert Hax, Universität zu<br />

Köln<br />

1. Motivation und Problemstellung<br />

Vor dem Hintergrund der gewachsenen Bedeutung von Kapitalmärkten ist die<br />

Steuerung von Investitionsentscheidungen im Sinn einer marktwertorientierten Unternehmenssteuerung<br />

von großer Bedeutung. Denn es sind vor allem die Entscheidungen<br />

von mit Rechten zur Durchführung von Projekten ausgestatteten M<strong>an</strong>agern,<br />

die den Marktwert eines Unternehmens beeinflussen. Geht m<strong>an</strong> von der Trennung<br />

von Eigentums- und Verfügungsrechten aus, so liegt ein klassisches Agency-Problem<br />

vor. Die Eigentümer kennen in der Regel nicht die möglichen Investitionsprojekte<br />

oder sind nicht in der Lage, diese fachgerecht zu beurteilen. Aus der Delegation von<br />

Entscheidungen folgt die Gefahr opportunistischen Verhaltens seitens des M<strong>an</strong>agements.<br />

1 Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, werden erfolgsabhängige Entlohnungssysteme<br />

eingeführt.<br />

2. Theoretischer Hintergrund<br />

Die Steuerung von Entscheidungen über Anreizmech<strong>an</strong>ismen ist ein in den letzten<br />

Jahrzehnten theoretisch viel beachtetes und praktisch relev<strong>an</strong>tes Thema. Bisl<strong>an</strong>g<br />

lag der Fokus auf der Vertragsform, der Frage also, welcher Funktionsverlauf zu<br />

*<br />

1<br />

Erschienen unter dem Titel „Perform<strong>an</strong>cemessung und die Steuerung von Investitionsentscheidungen“,<br />

2002, Beiträge zur betriebswirtschaftlichen Forschung, Gabler <strong>Verlag</strong> und<br />

Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden (290 S.).<br />

Im Folgenden werden die Begriffe Eigentümer und Principal sowie die Begriffe M<strong>an</strong>ager und<br />

Agent synonym verwendet.


406 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

wählen ist, wohingegen die Frage, von welcher Erfolgsgröße der Vertrag abhängen<br />

sollte, kaum Berücksichtigung f<strong>an</strong>d. Erst in jüngster Zeit widmet sich die Forschung<br />

verstärkt der Perform<strong>an</strong>cemessung. An diesem Punkt schließt die vorliegende Arbeit<br />

<strong>an</strong> und betrachtet speziell den Fall von Investitionsentscheidungen.<br />

Die Maximierung des Shareholder Value, des Marktwerts des Eigenkapitals entspricht<br />

der Zielsetzung der Eigentümer. Durch die Durchführung von Projekten mit<br />

positivem Kapitalwert wird der Shareholder Value erhöht, folglich dient es dem Interesse<br />

der Eigentümer, wenn der M<strong>an</strong>ager solche Projekte durchführt und solche mit<br />

negativem Kapitalwert unterlässt. Wie aber nun k<strong>an</strong>n der M<strong>an</strong>ager dazu motiviert<br />

werden? Ausgehend von Risikoneutralität maximiert der M<strong>an</strong>ager den Barwert der<br />

erwarteten Entlohnungszahlungen über seinen Pl<strong>an</strong>ungshorizont. Ziel ist es deshalb,<br />

Kompatibilität zwischen dem Barwert der Lohnzahlungen und dem Kapitalwert herzustellen.<br />

Unterstellt m<strong>an</strong> eine lineare Entlohnungsfunktion bestehend aus einem im<br />

Zeitablauf konst<strong>an</strong>ten Fixgehalt zuzüglich einer erfolgsabhängigen Prämie muss<br />

Zielkongruenz hinsichtlich des Barwerts der Prämienzahlungen und des Kapitalwerts<br />

gelten. Gefordert wird somit eine Kongruenz zwischen Entscheidungs- und Kontrollrechnung.<br />

Die Entscheidungsrechnung ,,Kapitalwert“ soll dieselbe Entscheidung induzieren<br />

wie die Kontrollrechnung, denn der M<strong>an</strong>ager wird ex <strong>an</strong>te, also vor Durchführung<br />

eines Investitionsprojekts, seine Entscheidung nicht <strong>an</strong> der Investitionsrechnung<br />

ausrichten, sondern sich <strong>an</strong> der Kontrollrechnung orientieren, da von dieser die<br />

Höhe seiner Entlohnung abhängt.<br />

3. Analyse verschiedener Perform<strong>an</strong>cemaße<br />

Die Analyse verschiedener Perform<strong>an</strong>cemaße konzentriert sich auf Größen des<br />

Rechnungswesens. Da sich in der Praxis Renditemaße großer Beliebtheit erfreuen,<br />

werden diese zunächst diskutiert. Es wird nachgewiesen, dass im Allgemeinen nur im<br />

Einperioden-Fall Kompatibilität zwischen Kapitalwert und Renditemaß hergestellt<br />

werden k<strong>an</strong>n. Aber auch im Einperioden-Fall werden bezüglich der Investitionspolitik<br />

Fehl<strong>an</strong>reize gesetzt. Der M<strong>an</strong>ager maximiert nämlich die Rendite, indem er nur<br />

das Projekt mit der höchsten Rendite durchführt und alle <strong>an</strong>deren Projekte, auch solche<br />

mit positivem Kapitalwert unterlässt. Sofern aber keine Budgetbeschränkungen<br />

vorliegen, führt dies nicht zur Maximierung des Kapitalwerts. Als Konsequenz folgt<br />

die Ablehnung von Renditen als Perform<strong>an</strong>cemaß.<br />

Die Analyse absoluter Perform<strong>an</strong>cemaße beginnt mit den auch der Investitionsrechnung<br />

zugrundeliegenden Ein- und Auszahlungen. Leider weisen auch diese<br />

Nachteile auf, wie nun kurz <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d weniger Argumente erläutert wird. Beteiligt m<strong>an</strong><br />

den M<strong>an</strong>ager in jeder Periode mit einem konst<strong>an</strong>ten Prämiensatz <strong>an</strong> den Cash Flows,<br />

d<strong>an</strong>n wird Zielkongruenz zwischen M<strong>an</strong>ager und Eigentümer erreicht, sofern der<br />

M<strong>an</strong>ager bei gleichem Pl<strong>an</strong>ungshorizont den gleichen Diskontierungsfaktor nutzt wie<br />

der Eigentümer. Kritisch ist auch, dass keine Eigenmittelbeschränkung des Agent<br />

vorliegen darf, denn er muss die Anf<strong>an</strong>gsauszahlung und die sonstigen Auszahlungen<br />

aus dem Projekt mitfin<strong>an</strong>zieren. Beteiligt m<strong>an</strong> den Agent <strong>an</strong> den kumulierten und<br />

bisher realisierten Cash Flows, so k<strong>an</strong>n Zielkongruenz nur erzielt werden, wenn die


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 407<br />

Prämienzahlung proportional zum realisierten Kapitalwert am Ende der Projektlaufzeit<br />

gezahlt wird. M<strong>an</strong>ager mit kürzerem Pl<strong>an</strong>ungshorizont können so nicht zur gewünschten<br />

Entscheidung motiviert werden. Bei Sicherheit könnte über den ökonomischen<br />

Gewinn nach Zinsen, der alle künftigen Cash Flows einbezieht, und deshalb im<br />

Zeitpunkt der Investitionsentscheidung den Kapitalwert widerspiegelt, die gewünschte<br />

Entscheidung induziert werden. Unterstellt m<strong>an</strong> allerdings Unsicherheit, d<strong>an</strong>n eröffnet<br />

dieses Erfolgsmaß m<strong>an</strong>nigfache M<strong>an</strong>ipulationsmöglichkeiten. Da hier neben<br />

der Zielkongruenz die M<strong>an</strong>ipulationsfreiheit des Perform<strong>an</strong>cemaßes am stärksten in<br />

die Beurteilung der Perform<strong>an</strong>cemaße einfließt, führen auf Cash Flow-basierende Erfolgsgrößen<br />

nicht zu den gewünschten Eigenschaften.<br />

Nahe liegend ist nun die Betrachtung periodisierter Größen des Rechnungswesens.<br />

Ausgehend von M<strong>an</strong>ipulations<strong>an</strong>reizen sind die Daten der externen Rechnungslegung<br />

denen des internen Rechnungswesens vorzuziehen, denn erstere unterliegen<br />

meist einer internen Überprüfung, beispielsweise durch den Aufsichtsrat bei Aktiengesellschaften,<br />

und bei allen Kapitalgesellschaften einer externen Überprüfung durch<br />

qualifizierte Dritte, den Wirtschaftsprüfer. Das auch dies keine Gewähr für M<strong>an</strong>ipulationsfreiheit<br />

ist, zeigen die US-amerik<strong>an</strong>ischen Bil<strong>an</strong>zsk<strong>an</strong>dale der letzten Monate.<br />

Da die Daten des externen Rechnungswesens dennoch einen vergleichsweise hohen<br />

Grad <strong>an</strong> M<strong>an</strong>ipulationsfreiheit aufweisen, ist es Ziel, innerhalb dieser Datenmenge<br />

eine möglichst zielkongruente Erfolgskennzahl zu bestimmen.<br />

Der einfache Gewinn ist aufgrund der Periodisierung der Cash Flows nicht<br />

kompatibel zum Kapitalwert. Lücke (1955) zeigte, dass die Berücksichtigung kalkulatorischer<br />

Zinsen auf das gebundene Kapital einen Ausgleich schafft und somit<br />

Kompatibilität zwischen dem Kapitalwert und dem Barwert der so gen<strong>an</strong>nten Residualgewinne<br />

geschaffen werden k<strong>an</strong>n. Geht m<strong>an</strong> von einem kurzen Pl<strong>an</strong>ungshorizont<br />

des M<strong>an</strong>agers oder von unterschiedlichen Diskontierungsfaktoren der Vertragspartner<br />

aus, reicht die Barwertidentität zwischen Cash-Flows und periodisierten Größen nicht<br />

mehr aus. Über das so gen<strong>an</strong>nte relative Beitragsverfahren (Rogerson 1997 und Reichelstein<br />

1997) k<strong>an</strong>n hier Abhilfe geschaffen werden. Der Erfolgsausweis<br />

,,Residualgewinn“ weist d<strong>an</strong>n in jeder Periode das gleiche Vorzeichen auf wie der<br />

Kapitalwert. Allerdings ist dieses Konzept mit einer Einschränkung verbunden. Neben<br />

der Anf<strong>an</strong>gsauszahlung müssen alle <strong>an</strong>deren Cash Flows das gleiche Vorzeichen<br />

haben. In dieser Arbeit wird die gen<strong>an</strong>nte Einschränkung durch eine Verallgemeinerung<br />

des Belastungsverfahrens aufgehoben. Es wird gezeigt, dass für beliebig<br />

schw<strong>an</strong>kende Cash Flows durch eine geeignete Belastungsmethode in jeder Periode<br />

der Residualgewinn das gleiche Vorzeichen aufweisen k<strong>an</strong>n wie der zugehörige Kapitalwert.<br />

Die Informations<strong>an</strong>forderungen dazu sind identisch mit denen bei Rogerson<br />

oder Reichelstein. Weiterhin wird gezeigt, dass bei verschiedenen, vielfach geringeren<br />

Informations<strong>an</strong>nahmen der Principal abschätzen k<strong>an</strong>n, ob Zielkongruenz gegeben<br />

ist. Hierzu werden verschiedene Szenarien durchgespielt. Aufgrund der hergeleiteten<br />

optimalen Belastungsregel bei schw<strong>an</strong>kenden Cash Flows k<strong>an</strong>n das Modell mit realitätsnäheren<br />

Annahmen formuliert werden. So k<strong>an</strong>n auch bei beschränktem Investitionsbudget<br />

oder sich gegenseitig ausschließenden Projekten die gewünschte Investiti-


408 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

onsentscheidung induziert werden. Außerdem wird gemäß den Ansätzen der internationalen<br />

Rechnungslegung die Bewertung zu Marktwerten <strong>an</strong>alysiert. Dieser Wert<strong>an</strong>satz<br />

führt dazu, dass der M<strong>an</strong>ager einen Anreiz hat, zum kapitalwertmaximierenden<br />

Zeitpunkt aus einem Projekt auszusteigen, was als intertemporale Zielkongruenz bezeichnet<br />

wird.<br />

In einem separaten Kapitel werden die in der Praxis eingesetzten Konzepte des<br />

EVA (Economic Value Added) und seine Vari<strong>an</strong>ten sowie die EVA-Bonusb<strong>an</strong>k mit<br />

den Ergebnissen der Theorie verglichen und kritisch <strong>an</strong>alysiert. Es werden zur theoretischen<br />

Untermauerung der Existenz sowie der Gestaltung der EVA-Bonusb<strong>an</strong>k verschiedene<br />

Ansätze hergeleitet.<br />

Im letzten Teil der Arbeit werden explizit Agency-Modelle betrachtet. In der<br />

bisherigen Arbeit st<strong>an</strong>d zwar ein Principal-Agent-Modell im Hintergrund, doch wurde<br />

der Schwerpunkt auf die Bestimmung des Erfolgsmaßes gelegt. Es wird nun gezeigt,<br />

dass die Agency-Costs bei Cash Flows als Bemessungsgrundlage höher sind als<br />

beim Residualgewinn, wenn von einem höheren Diskontierungszinssatz des Agent<br />

ausgeg<strong>an</strong>gen wird. Die Betrachtung nichtmonetärer Vorteile, wie Prestige durch große<br />

Projekte, wird ebenfalls modelliert. Ausführlich wird der Fall einer kurzen Vertragsdauer<br />

betrachtet, wobei hier auch dem M<strong>an</strong>ager die Möglichkeit zur Beeinflussung<br />

der Rückflüsse aus dem Projekt nach dessen Aufnahme eingeräumt wird.<br />

4. Resümee<br />

Die Arbeit ist weitgehend theoretischer Natur, doch wird in den einzelnen Kapiteln<br />

immer wieder die Umsetzbarkeit in der Praxis, insbesondere in der Rechnungslegung<br />

<strong>an</strong>gesprochen. Es werden sowohl für die Gestaltung der Erfolgsmessung als<br />

auch für die der Rechnungslegung Denk<strong>an</strong>stöße geliefert. Vor allem die neuen theoretischen<br />

Erkenntnisse führen zu einem größeren praktischen Anwendungsbereich.<br />

D<strong>an</strong>a Vosberg<br />

Der Markt für Personaldienstleistungen –<br />

Ökonomische Analyse von Nachfrage und Angebot <br />

Betreuerin: Prof. Dr. Silvia Föhr, Universität Leipzig<br />

1. Problemstellung und Ziel der Untersuchung<br />

Die Zahl von Personalberatungen, Personalvermittlern sowie Zeitarbeits- oder<br />

Outplacementfirmen in den Industrieländern wächst stetig und die von diesen Unter-<br />

<br />

D<strong>an</strong>a Vosberg (2003): Der Markt für Personaldienstleistungen – Ökonomische Analyse von<br />

Nachfrage und Angebot. ISBN 3-8244-7785-8, DUV Gabler Edition Wissenschaft, Wiesbaden,<br />

296 S., € 49,90.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 409<br />

nehmen <strong>an</strong>gebotenen Personaldienstleistungen werden immer häufiger in Anspruch<br />

genommen. Die Frage nach den Gründen für diese Entwicklung ist Ausg<strong>an</strong>gspunkt<br />

der vorliegenden Arbeit mit dem Ziel, sowohl die Nachfrage als auch das Angebot<br />

von Personaldienstleistungen umfassend zu untersuchen und sowohl theoretisch als<br />

auch empirisch zu <strong>an</strong>alysieren. Auf der Nachfrageseite wird herausgearbeitet, für<br />

welche Personalfunktionen ein besonders starkes Auslagerungsinteresse besteht und<br />

welche Aufgaben des betrieblichen Personalwesens möglicherweise gar nicht extern<br />

koordiniert werden können. Gegenst<strong>an</strong>d der Analyse der Angebotsseite ist die Rekonstruktion<br />

der Entstehung von Personaldienstleistungsunternehmen. Dabei interessiert<br />

nicht nur, inwieweit mögliche Vorteile von Personaldienstleistern dazu beitragen,<br />

ihre Existenz zu erklären. Beleuchtet wird auch, welche Marktstrukturen sich<br />

herausgebildet haben und für die Zukunft zu erwarten sind.<br />

2. Theoretische Basis der Untersuchung<br />

Um die gen<strong>an</strong>nten Ziele zu erreichen, werden institutionenökonomische Erkenntnisse<br />

sowie markt- und produktionstheoretische Argumente zusammengeführt,<br />

weiterentwickelt und auf die Nachfrage und das Angebot von Personaldienstleistungen<br />

übertragen. Durch die Kombination der gen<strong>an</strong>nten Theoriebausteine wird ein<br />

konzeptioneller Rahmen entwickelt, der eine umfassende Untersuchung des gesamten<br />

Spektrums <strong>an</strong>gebotener und nachgefragter Personaldienstleistungen ermöglicht. Auf<br />

diese Weise k<strong>an</strong>n erstmals in allgemeiner Form die Existenz von Personaldienstleistern<br />

und die In<strong>an</strong>spruchnahme der von ihnen <strong>an</strong>gebotenen Personaldienstleistungen<br />

theoretisch begründet werden. Für die Nachfrageseite wird die Entscheidung<br />

zwischen Eigenfertigung oder Fremdbezug von Personalfunktionen auf Basis<br />

eines tr<strong>an</strong>saktionskostentheoretischen Modells theoriegestützt <strong>an</strong>alysiert und in praxisrelev<strong>an</strong>te<br />

Gestaltungsempfehlungen überführt. Unter Berücksichtigung weiterer<br />

institutionenökonomischer sowie markt- und produktionstheoretischer Argumente<br />

k<strong>an</strong>n für die Angebotsseite rekonstruiert werden, warum Personaldienstleister entstehen<br />

und woraus mögliche Vorteile bei der Leistungserstellung und -abwicklung resultieren.<br />

3. Datenbasis und statistische Methoden<br />

Die auf der Grundlage der entwickelten theoretischen Basis formulierten Thesen<br />

werden mit empirischen Studien zur Nachfrage sowie mit den Ergebnissen zweier im<br />

Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Primärerhebungen zum Angebot von Personaldienstleistungen<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d und den USA verglichen und auf ihren Erklärungsgehalt<br />

hin untersucht. Dazu werden Indikatoren entwickelt, mit denen die gefundenen<br />

Merkmale für den Marktauftritt von Personaldienstleistern (Spezialisierungsgrad, Intensität<br />

der Zusammenarbeit, Qualitätssicherung) operationalisiert werden können.<br />

Mit Hilfe dieser Indikatoren und unter Einsatz nichtparametrischer statistischer Verfahren<br />

werden die zur Entstehung von Personaldienstleistern formulierten Thesen ü-<br />

berprüft. Mit Hilfe einer Regressions<strong>an</strong>alyse wird die Umsatzwirkung dieser Merkmale<br />

des Marktauftritts qu<strong>an</strong>tifiziert sowie deren Einfluss auf relative Leistungsmaße


410 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

qualitativ bestimmt. Dabei können Erfolgsfaktoren herausgearbeitet werden, mit deren<br />

Hilfe zwischen sehr leistungsfähigen und weniger leistungsfähigen Personaldienstleistern<br />

unterschieden werden k<strong>an</strong>n. Um charakteristische Marktsegmente zu<br />

identifizieren, werden die Unternehmen schließlich mittels einer Cluster<strong>an</strong>alyse hinsichtlich<br />

ihrer Tätigkeitsschwerpunkte untersucht und gruppiert. Anh<strong>an</strong>d von Unterschieden<br />

zwischen den Vergleichsmärkten wird der Einfluss institutioneller Rahmenbedingungen<br />

auf das Verhalten der Marktteilnehmer verdeutlicht.<br />

4. Ergebnisse der Untersuchung<br />

Es wurde gezeigt, dass Nachfrage nach Personaldienstleistungen entsteht, wenn<br />

die marktliche Koordination von Personalfunktionen aufgrund von Produktions- und<br />

Tr<strong>an</strong>saktionskostenvorteilen kostengünstiger ist als die unternehmensinterne Durchführung<br />

personalwirtschaftlicher Tr<strong>an</strong>saktionen. Ausgehend von dem dazu entwickelten<br />

tr<strong>an</strong>saktionskostentheoretischen Modell wurden Regeln abgeleitet, die die Unternehmen<br />

bei der Entscheidung über die grundsätzliche Koordination der Personalarbeit<br />

unterstützen können. Durch die Differenzierung einzelner personalwirtschaftlicher<br />

Tr<strong>an</strong>saktionen hinsichtlich ihrer Eigenschaften (Spezifität, Unsicherheit, Häufigkeit)<br />

in Verbindung mit den tr<strong>an</strong>saktionskostentheoretischen Modellaussagen<br />

konnten weiterhin spezielle Koordinationsempfehlungen dafür hergeleitet werden,<br />

welche Personalfunktionen im Unternehmen verbleiben sollten und welche als Personaldienstleistungen<br />

vom Markt zu beziehen sind.<br />

Ausgehend von den durch die Anwendung der beschriebenen statistischen Verfahren<br />

gewonnenen Ergebnissen konnten die zum Angebot <strong>an</strong> Personaldienstleistungen<br />

entwickelten Thesen für die befragten deutschen und US-amerik<strong>an</strong>ischen Unternehmen<br />

im Wesentlichen bestätigt werden. Sowohl die Art der <strong>an</strong>gebotenen Leistungen<br />

als auch die org<strong>an</strong>isatorische Umsetzung des Angebots sprechen dafür, dass die<br />

Personaldienstleistungsunternehmen das in ihrem Tätigkeitsfeld liegende Potential<br />

zur Senkung von Produktions- und Tr<strong>an</strong>saktionskosten nutzen. Für grundlegende<br />

Entstehungsbedingungen sind also auf den beiden ausgewählten Vergleichsmärkten<br />

kaum Abweichungen zwischen dem laut ökonomischer Analyse zu erwartenden und<br />

dem tatsächlichen Verhalten der Akteure festzustellen. Die Gegenüberstellung des<br />

deutschen und des US-amerik<strong>an</strong>ischen Angebots <strong>an</strong> Personaldienstleistungen zeigte<br />

aber auch, dass Unterschiede existieren, die sich aus den jeweils geltenden Rahmenbedingungen<br />

ergeben. Insgesamt wurden aus den Untersuchungsergebnissen sowohl<br />

l<strong>an</strong>desunabhängige Aussagen zur Struktur des gesamten Marktes für Personaldienstleistungen<br />

als auch l<strong>an</strong>desspezifische Unterschiede aufgrund unterschiedlicher institutioneller<br />

Rahmenbedingungen abgeleitet.<br />

5. Zusammenfassung und weiterer Forschungsbedarf<br />

Mit Hilfe der in dieser Arbeit belegten theoretischen und empirischen Ergebnisse<br />

konnten die Fragen zur Entstehung von Personaldienstleistungsunternehmen und<br />

zur In<strong>an</strong>spruchnahme der von ihnen <strong>an</strong>gebotenen Personaldienstleistungen im Wesentlichen<br />

be<strong>an</strong>twortet werden. Damit wurde die bisherige Forschungslücke im Be-


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 411<br />

reich dieses Dienstleistungssegmentes erheblich verringert. Gleichwohl besteht hinsichtlich<br />

bestimmter Teilprobleme und <strong>an</strong>knüpfend <strong>an</strong> einige überraschende Ergebnisse<br />

aus den empirischen Erhebungen weiterer Forschungsbedarf. So könnte im<br />

Rahmen des entwickelten tr<strong>an</strong>saktionskostentheoretischen Modells zur Unterstützung<br />

der E/F-Entscheidung für Personaldienstleistungen noch stärker die Kostenwirkung<br />

institutioneller Rahmenbedingungen einbezogen werden. Weiterhin könnte die Systematik<br />

der Entstehung von Personaldienstleistern um eine Zeitkomponente erweitert<br />

und damit die dynamische Entwicklung dieses Marktes stärker zeitbezogen <strong>an</strong>alysiert<br />

werden. Schließlich sollten die Untersuchungen zur Nachfrage und zum Angebot von<br />

Personaldienstleistungen auf einer breiteren empirischen Basis durchgeführt werden.<br />

Dabei wäre es vorteilhaft, einen einheitlichen Katalog nachgefragter und <strong>an</strong>gebotener<br />

Leistungen zu entwickeln, um der Komplementarität beider Marktseiten besser zu<br />

entsprechen. Auf diese Weise können die aus theoretischer und empirischer Sicht abgeleiteten<br />

Erkenntnisse für diesen sehr interess<strong>an</strong>ten und vielfältigen Markt weiter<br />

vertieft und präzisiert werden.<br />

2. Theoretische und ethische Grundlagen<br />

S<strong>an</strong>dra Bissels<br />

Vertrauen. Eine datenver<strong>an</strong>kerte Theorieentwicklung *<br />

Betreuerin: Prof. Sonja Sackm<strong>an</strong>n, PhD, Universität der Bundeswehr<br />

München<br />

1. Fragestellung der Untersuchung<br />

Ziel der Arbeit ist die empirische Klärung des Konstruktes zwischenmenschliches<br />

Vertrauen durch die Entwicklung einer gegenst<strong>an</strong>dsver<strong>an</strong>kerten Theorie. Dadurch<br />

soll der m<strong>an</strong>gelnden theoretischen Fundierung von Vertrauenskonzepten in der<br />

Forschung entgegengewirkt werden (vgl. z.B. Bigley & Pearce, 1998). Zwischenmenschliches<br />

Vertrauen wird dabei nicht als isoliertes Konzept betrachtet, sondern in<br />

seinem prozesshaften Charakter und im Kontext von Beziehungen untersucht.<br />

2. Theoretische Basis und verwendete Methoden<br />

Die Analyse von zwischenmenschlichem Vertrauen basierte auf dem methodologischen<br />

Ansatz der „grounded theory“ nach Strauss und Corbin (1997). Die Daten<br />

wurden über Interviews erhoben, die <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gs narrativen Charakter und im Verlauf der<br />

*<br />

Bissels, S<strong>an</strong>dra R. (2002). Vertrauen. Eine datenver<strong>an</strong>kerte Theorieentwicklung. Berlin:<br />

Mensch und Buch <strong>Verlag</strong>


412 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Theoriebildung zunehmend problemzentrierter wurden (in der „grounded theory“<br />

verläuft die Datenerhebung und -auswertung nicht sequenziell, sondern zyklisch). Die<br />

Auswahl der befragten Vertrauenserfahrungen richtet sich in der „grounded theory“<br />

nicht nach dem klassischen Kriterium der statistischen Repräsentativität, sondern ist<br />

theoriegeleitet und strebt kontrastierende und gleichartige Fälle <strong>an</strong>. Da Vertrauen als<br />

konstitutives Element sozialer Bindung und Beziehung gilt (z.B. Erikson, 1968), verlief<br />

die Kontrastierung der Vertrauenserfahrungen in dieser Arbeit über das Kriterium<br />

der Beziehungsart als kontextuelle Variable (z.B. private versus berufliche Beziehung).<br />

Insgesamt wurden 14 Vertrauensfälle (Zahl befragter Beziehungsarten) in den<br />

Interviews erfragt. Das Herzstück der Arbeit bildete die datenver<strong>an</strong>kerte Theorieentwicklung<br />

zum zwischenmenschlichen Vertrauen aus dem qualitativen Datenmaterial.<br />

Die subjektiven Theorien der Befragten wurden mit Hilfe der Analysewerkzeuge offene<br />

und axiale Kodierung rekonstruiert und in eine gegenst<strong>an</strong>dsver<strong>an</strong>kerte Theorie<br />

integriert (Entwicklung einer Schlüsselkategorie, selektive Kodierung).<br />

3. Ergebnisse der Untersuchung<br />

Die Untersuchung zwischenmenschlichen Vertrauens mit Hilfe der „grounded<br />

theory“ ergab ein phasenspezifisches Modell zu verschiedenen Formen von Vertrauensbeziehungen,<br />

das die phasentypische Rolle von zwischenmenschlichem Vertrauen<br />

in der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Beziehungen aufdeckte. Dabei wurden<br />

verschiedene Vertrauensformen identifiziert (z.B. erlebtes Vertrauen), die wesentlich<br />

die Qualität einer Beziehung definieren.<br />

Am Anf<strong>an</strong>g einer Beziehung hat Vertrauen die Qualität einer Entscheidung und<br />

des Willens zu vertrauen und ist deshalb als volitionales Vertrauen Basis der beginnenden<br />

Beziehung. Trotz meist geringem Wissen über eine Person wird von deren<br />

Vertrauenswürdigkeit ausgeg<strong>an</strong>gen (kognitives Vertrauen). Ein starkes Interesse <strong>an</strong><br />

dem Kontakt zu einer Person, z.B. mit Blick auf ein gutes Geschäft, beeinflussen das<br />

Entstehen volitionalen Vertrauens. Wird der „Vertrauensvorschuss“ nicht gegeben,<br />

wird Kontakt – falls möglich – gemieden oder eine rein formale Beziehung ohne Vertrauen<br />

eingeg<strong>an</strong>gen.<br />

Ein zentraler Unterschied zu späteren Formen von Vertrauen liegt im Grad <strong>an</strong><br />

Erfahrung mit der Vertrauensperson. Erst das Erleben positiver Erfahrungen über die<br />

Zeit resultiert in einem erfahrungsbasierten Vertrauen. Ohne dieses positive Erleben<br />

k<strong>an</strong>n das Vertrauen zwar weiterhin als Wille und Kognition verbleiben, entwickelt<br />

sich aber mit der Zeit und mit dem Auftreten vertrauenskonfligierender Erfahrungen<br />

zunehmend zu einer Vertrauensillusion. Die Illusion von Vertrauen nährt sich aus<br />

dem Wunsch und/oder der Notwendigkeit, die Beziehung zur Vertrauensperson aufrechtzuerhalten<br />

und dem dazu als notwendig erlebten Bedarf <strong>an</strong> Vertrauen. Erfahrungen,<br />

die nicht mit der zugeschriebenen Vertrauenswürdigkeit der Zielperson vereinbar<br />

sind, führen zum Erleben von Inkongruenzen, die über kognitive Disson<strong>an</strong>zreduzierung<br />

abgebaut werden (z.B. Rechtfertigung von Fehlverhalten), um die Wunschbeziehung<br />

aufrechterhalten zu können.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 413<br />

Das Erleben positiver Erfahrungen über die Zeit resultiert dagegen in einem erfahrungsbasierten,<br />

sog. erlebten Vertrauen. In dieser Qualität schwindet der Beziehungsaspekt<br />

aus dem bewussten Aufmerksamkeitsfokus einer Person und k<strong>an</strong>n dadurch<br />

Ressourcen für die Beschäftigung mit persönlichen, arbeitsbezogenen, sozialen<br />

Themen etc. freisetzen. Das Erleben positiver Vertrauenserfahrungen in einer Beziehung<br />

reduziert die Tendenz, sich gegen Fehlverhalten der Vertrauensperson absichern<br />

zu wollen. Dagegen wird in Beziehungen mit rein volitionalem und kognitivem Vertrauen,<br />

d.h. am Anf<strong>an</strong>g einer Beziehung und in der Vertrauensillusion, auf Schutzund<br />

Kontrollstrategien nicht verzichtet (z.B. Zurückhaltung sensibler Informationen).<br />

Das Phasenmodell zeigt, dass zwischenmenschliches Vertrauen kein eindimensionales<br />

Konstrukt ist. Nur eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen Vertrauensqualitäten<br />

(volitionales, kognitives, erlebtes Vertrauen) erlaubt eine Sicht auf<br />

die komplexen Wirkungszusammenhänge. In der Literatur werden zwar rationale und<br />

emotionale Komponenten von Vertrauen unterschieden und auch kognitive Prozesse<br />

als bestimmend für <strong>an</strong>fängliches Vertrauen <strong>an</strong>genommen (z.B. rationale Erwägungen<br />

der Kosten-Nutzen-Aspekte einer Beziehung, Abschätzung der Vertrauenswürdigkeit;<br />

vgl. Lewicki & Bunker, 1996). Wenig Beachtung finden aber die volitionalen<br />

Anteile in der Vertrauens- und Beziehungsbildung, die sich in dieser Studie als wesentliche<br />

Qualität <strong>an</strong>fänglichen Vertrauens herausgestellt haben. Die Vertrauensvolition<br />

gründet dabei nicht auf rein rationalen Überlegungen, sondern besitzt einen stark<br />

emotionalen Charakter und hängt ab von der Kontaktmotivation.<br />

Was bedeuten die Ergebnisse für Org<strong>an</strong>isationen? Die Ergebnisse zeigen, dass<br />

echte, d.h. erlebte Vertrauensbeziehungen durchaus Vorteile für Unternehmen mit<br />

sich bringen können: der Wegfall von Selbstschutz- und Kontrollstrategien, die Freisetzung<br />

von Ressourcen für die Aufgabenerfüllung und ein positives Arbeitsklima.<br />

Erlebte Vertrauensbeziehungen sind jedoch eher seltene Phänomene, denn Org<strong>an</strong>isationen<br />

bieten i.d.R. keine günstigen Rahmenbedingungen für ihr Entstehen. Die in<br />

Org<strong>an</strong>isationen oft herrschenden (einseitigen) Abhängigkeiten und die meist strukturell<br />

vorgegebenen Kontaktnotwendigkeiten produzieren die Anwendung sog. beziehungserhaltender<br />

Strategien und fördern damit eher Entstehung von Vertrauensillusionen<br />

als von Vertrauen. Deshalb k<strong>an</strong>n es für Unternehmen und ihre Mitarbeiter von<br />

Vorteil sein, realistische Einschätzungen von Arbeitsbeziehungen zu fördern und damit<br />

auch „gesundes“ Misstrauen zuzulassen und formale Beziehungsformen zu begünstigen,<br />

als (sog.) Vertrauen in den Arbeitsbeziehungen zu propagieren.<br />

4. Weiterführende oder noch offene Fragen<br />

Für die Vertrauensforschung steht eine differenziertere Operationalisierung der<br />

Vertrauensqualitäten <strong>an</strong>, um etwa die unzulässige Vermengung von Vertrauensillusion<br />

und erlebtem Vertrauen zu vermeiden. Gerade die Identifizierung der Vertrauensillusion<br />

erwies sich selbst auf Basis der reichhaltigen und kontextreichen qualitativen<br />

Daten als schwierig und stellt eine Herausforderung für weitere Forschung dar.<br />

Literatur


414 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Bigley, G.A./Pearce, J.L. (1998): Straining for shared me<strong>an</strong>ing in org<strong>an</strong>ization science: Problems of<br />

trust <strong>an</strong>d distrust. In: Academy of M<strong>an</strong>agement Review, 23, 405-421.<br />

Erikson, E. (1968). Kindheit und Gesellschaft. Stuttgart: Klett.<br />

Lewicki, R.J./Bunker, B.B. (1996): Developing <strong>an</strong>d maintaining trust in work relationships. R.<br />

Kramer/T. Tyler (eds.): Trust in org<strong>an</strong>izations. London: Sage, 114-139.<br />

Strauss, A./Corbin, J. (eds.) (1997): Grounded theory in Practice. Thous<strong>an</strong>d Oaks: Sage.<br />

Joh<strong>an</strong>nes Hütte<br />

Unternehmensethik als Synthese aus Ethik und Ökonomik *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Wolfg<strong>an</strong>g Weber, Universität Paderborn<br />

1. Problemstellung und Methode<br />

Unternehmerisches H<strong>an</strong>deln sieht sich heute einer Vielzahl unterschiedlicher<br />

Anforderungen und Interessen gegenüber. Neben ökonomisch-systemimm<strong>an</strong>enten Erfordernissen<br />

werden vor dem Hintergrund einer kritischen Öffentlichkeit auch zunehmend<br />

systemfremde Ansprüche zu erfolgsrelev<strong>an</strong>ten Parametern erfolgreicher<br />

Unternehmensführung. Die durch differenzierte Strukturen und heterogene Anspruchsgruppen<br />

gekennzeichneten Einzelkonflikte machen allerdings deutlich, dass<br />

es nicht mehr um den prinzipiell lokalisierbaren und damit auch <strong>an</strong>tizipierbaren Konflikt<br />

zwischen Arbeit und Kapital geht, sondern dass prinzipielle Steuerungs- und<br />

Koordinierungsdefizite von Markt und Recht auftreten, die eine Ergänzung durch eine<br />

Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik notwendig erscheinen lassen. Als unternehmensethischem<br />

Gestaltungsfeld kommt dem Personalm<strong>an</strong>agement hierbei vor allen<br />

<strong>an</strong>deren betriebswirtschaftlichen Funktionen eine hervorgehobene Rolle zu: Einerseits<br />

ist Personalm<strong>an</strong>agement Objekt unternehmensethischer Geltungs<strong>an</strong>sprüche,<br />

<strong>an</strong>dererseits ist Personalm<strong>an</strong>agement zugleich Subjekt von Unternehmensethik in der<br />

Institutionalisierung von Unternehmensethik auf der Ebene unternehmerischer H<strong>an</strong>dlungszusammenhänge.<br />

Werden ethische Geltungs<strong>an</strong>sprüche auf der Ebene unternehmerischen H<strong>an</strong>delns<br />

durchaus als konfliktträchtige Problemstellung wahrgenommen, zeigt ein Blick in die<br />

einschlägige Fachliteratur, dass dem Thema ‚Unternehmensethik’ sowohl im Personalm<strong>an</strong>agement<br />

als auch im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre insgesamt eine eher<br />

r<strong>an</strong>dständige Bedeutung zukommt. Als Grund hierfür wird g<strong>an</strong>z wesentlich der unklare<br />

wissenschaftstheoretische Status von Unternehmensethik vor dem Hintergrund<br />

ihrer Referenzwissenschaften Ökonomik und Ethik gen<strong>an</strong>nt. Darüber hinaus ist es<br />

auffallend, dass unternehmensethische Fragestellungen häufig entweder unter den<br />

*<br />

Joh<strong>an</strong>nes Hütte: Unternehmensethik als Synthese aus Ethik und Ökonomik. ISBN 3-87988-<br />

676-8, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, München und Mering 2002, 272 S., € 27,80.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 415<br />

Kategorien des Moralischen oder unter den Kategorien des Ökonomischen betrachtet<br />

werden. Eine interdisziplinäre Analyse mit methodisch-wissenschaftlichem Anspruch<br />

bleibt jedoch häufig aus. Genau <strong>an</strong> diesen Punkt knüpft die Zielperspektive einer Unternehmensethik<br />

als Synthese aus Ethik und Ökonomik <strong>an</strong>: das In-Beziehung-Setzen<br />

einer Theorie der Begründung und einer Theorie der Rechtfertigung als metatheoretischer<br />

Hintergrund von Personalm<strong>an</strong>agementpraxis.<br />

Die Rekonstruktion dieser interdisziplinären Perspektive, die sowohl ethische,<br />

als auch ökonomische Geltungs<strong>an</strong>sprüche theoretisch-praktisch integriert, verfolgt in<br />

der Argumentation für Unternehmensethik als Synthese aus Ethik und Ökonomik<br />

dementsprechend eine dreifach gestufte Perspektive:<br />

1. Analyse der fundamentalen philosophischen, ökonomischen und wissenschaftstheoretischen<br />

Bedingungen von Unternehmensethik.<br />

2. Analyse der konzeptionellen Elemente von zwei ausgewählten unternehmensethischen<br />

Ansätzen im Hinblick auf methodische und begründungslogische Hintergrund<strong>an</strong>nahmen<br />

und ihrer <strong>an</strong>wendungsorientierten Implikationen.<br />

3. Spezifische Analyse der klassischen M<strong>an</strong>agementfunktion Personal als Gestaltungsfeld<br />

für unternehmensethische Überlegungen vor dem Hintergrund einer<br />

integrativen Fundierungsperspektive personalm<strong>an</strong>agementbezogener Anwendungsfragen.<br />

2. Wissenschaftssystematische Parameter von Unternehmensethik<br />

Um die Ambivalenz ethischer und ökonomischer Geltungs<strong>an</strong>sprüche – die gerade<br />

in der Personalm<strong>an</strong>agementpraxis und -theorie hervortritt – und den unklaren wissenschaftstheoretischen<br />

Status zu überwinden, greift Unternehmensethik als Synthese<br />

aus Ethik und Ökonomik hermeneutisch auf das aristotelische Model praktischer Philosophie<br />

zurück: die inhaltliche und strukturelle Interdependenz von Ethik, Politik<br />

und Ökonomik. Damit hat Unternehmensethik den Charakter einer ‚Grundriss-<br />

Wissenschaft’, die es ermöglicht, unterschiedliche Fragestellungen aus Ethik und<br />

Ökonomie unter ihrem spezifischen Blickwinkel zu integrieren, ohne dass das spezifische<br />

wissenschaftstheoretische und forschungslogische Moment der Referenzwissenschaften<br />

jeweils in nuce einer differenzierten, reziproken Kritik unterzogen werden<br />

muss. Den wissenschaftstheoretischen Unterbau hierfür gewinnt Unternehmensethik<br />

aus der möglichen Kongruenz des Falsifikationsprinzips der Betriebswirtschaftslehre<br />

und des formal-prozeduralen Diskursprinzips der Ethik. Gerechtfertigte<br />

unternehmensethische Geltungs<strong>an</strong>sprüche besitzen von dieser argumentationslogischen<br />

Basis aus d<strong>an</strong>n ebenfalls einen methodologisch-wissenschaftstheoretisch fundierten<br />

Status, der Grundlage für die Begründung unternehmensethischer Geltungs<strong>an</strong>sprüche<br />

sein k<strong>an</strong>n und sein muss.<br />

3. Reparaturethik oder Vernunftethik<br />

Im deutschsprachigen Raum sind neben <strong>an</strong>deren insb. der unternehmensethische<br />

Ansatz von Karl Hom<strong>an</strong>n et. al. und der von Horst Steinm<strong>an</strong>n et. al. von Bedeutung.<br />

Karl Hom<strong>an</strong>n argumentiert in seinen Überlegungen zur Unternehmensethik auf der


416 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Grundlage einer ökonomischen Theorie der Moral und mit der Annahme einer vollständigen<br />

Substituierbarkeit ethischer Prinzipien durch ökonomische Anreize und<br />

Restriktionen. Horst Steinm<strong>an</strong>n hingegen plädiert in seinen Überlegungen zur Unternehmensethik<br />

für eine, durch die Diskurstheorie und das ‚Friedensprinzip’ des Konstruktivismus<br />

vermittelte, ‚situative Beschränkung des Gewinnprinzips’. Ist die Argumentation<br />

einer Ökonomischen Theorie der Moral eher durch eine makroökonomische<br />

Perspektive geprägt, so ist eine Unternehmensethik als Dialogethik eher aus einer<br />

individualethischen Perspektive heraus darauf <strong>an</strong>gelegt, unternehmensethische<br />

Geltungs<strong>an</strong>sprüche vor dem Hintergrund org<strong>an</strong>isationstheoretischer Überlegungen in<br />

den unternehmerischen H<strong>an</strong>dlungszusammenh<strong>an</strong>g strategisch zu implementieren.<br />

Neben verschiedenen argumentativen Brüchen in den jeweiligen Hintergrund<strong>an</strong>nahmen<br />

gelingt es allerdings beiden Ansätzen nicht, auf einer eindeutigen wissenschaftstheoretischen<br />

Basis die unterschiedlichen Geltungs<strong>an</strong>sprüche von Ethik und Ökonomik<br />

strukturell hinreichend zu integrieren bzw. zu fundieren. Beide Ansätze bleiben<br />

insofern hinter dem argumentativen Anspruch einer Unternehmensethik als Synthese<br />

aus Ethik und Ökonomik zurück.<br />

4. Personalm<strong>an</strong>agement als unternehmensethisches Gestaltungsfeld<br />

Nachdem die wissenschaftslogischen Parameter einer ‚Personalm<strong>an</strong>agementethik’<br />

– wie in den vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>genen Ausführungen überblickhaft skizziert – <strong>an</strong>alysiert<br />

worden sind, und darüber hinaus die grundsätzlichen Kritikpunkte und argumentativen<br />

Schwächen der unternehmensethischen Überlegungen von Karl Hom<strong>an</strong>n und<br />

Horst Steinm<strong>an</strong>n herausgearbeitet wurden, sind für die weitere Untersuchung der<br />

möglichen Grundlegung einer Personalm<strong>an</strong>agementethik zwei Fragen wesentlich:<br />

Können Elemente einer ökonomischen Theorie der Moral bzw. einer Unternehmensethik<br />

als situative Beschränkung des Gewinnprinzips für eine unternehmensethische<br />

Betrachtung von Personalm<strong>an</strong>agementtheorie fruchtbar gemacht<br />

werden?<br />

Wie k<strong>an</strong>n eine unternehmensethisch reflektierte Personalm<strong>an</strong>agementtheorie<br />

und -praxis auf der Grundlage einer Unternehmensethik als Synthese aus Ethik<br />

und Ökonomik rekonstruiert werden und welche forschungsmethodologischen<br />

Zugänge und welche Personalm<strong>an</strong>agementtheorien lassen sich hierbei integrieren?<br />

Je nachdem welchen Zug<strong>an</strong>g – beispielsweise einen instrumentell-funktionalen<br />

oder einen h<strong>an</strong>dlungstheoretischen – m<strong>an</strong> in der Betrachtung von Personalm<strong>an</strong>agement<br />

und Unternehmensethik wählt, ergeben sich unterschiedliche Anknüpfungspunkte<br />

für unternehmensethische Geltungs<strong>an</strong>sprüche. Gilt dieses für die Integration<br />

von Unternehmensethik in Personalm<strong>an</strong>agementtheorie und -praxis insgesamt, so<br />

auch für Elemente einer ökonomischen Theorie der Moral einerseits und einer situativ<br />

das Gewinnprinzip beschränkenden Dialogethik <strong>an</strong>dererseits. Neben den strukturellen<br />

theorieimm<strong>an</strong>ent ungelösten Fragen der beiden Ansätze eignen sich diese jedoch<br />

auch aus einem weiteren Grund nicht für eine Fundierung von Unternehmensethik<br />

als integraler Best<strong>an</strong>dteil von Personalm<strong>an</strong>agementtheorie und -praxis: Sie sind


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 417<br />

wechselseitig nicht in der Lage die unterschiedlichen Objekttheorien der Personalm<strong>an</strong>agementforschung<br />

zu integrieren und insofern lassen diese letztlich auf der Ebene<br />

der Ableitung möglicher Gestaltungsempfehlungen nur eine Argumentation entweder<br />

unter dem Primat der Ökonomik oder der Ethik zu. Wenn Unternehmensethik im unternehmerischen<br />

H<strong>an</strong>dlungszusammenh<strong>an</strong>g systematisch ihre Wirkung entfalten soll,<br />

ist die theoretische Integration von Ethik und Ökonomik jedoch Voraussetzung.<br />

Eine Unternehmensethik als Synthese aus Ethik und Ökonomik erhebt demgegenüber<br />

den Anspruch, grundsätzlich eine ethisch und ökonomisch tragfähige normative<br />

Grundlage für ein personalwirtschaftliches Theoriegebäude und in der Ableitung<br />

auch für ein moralisches und ökonomisches Personalm<strong>an</strong>agementh<strong>an</strong>deln zu sein. In<br />

dieser Absicht interpretiert eine Unternehmensethik als Synthese aus Ethik und Ökonomik<br />

Unternehmensethik als Metatheorie des Personalm<strong>an</strong>agements. Metatheorie<br />

meint einerseits, dass der Gegenst<strong>an</strong>dsbereich einer integrativen Personalm<strong>an</strong>agementtheorie<br />

definiert werden soll, und zum <strong>an</strong>deren, dass der Geltungsbereich der<br />

einzelnen (Objekt-) Theorien bestimmt werden soll. Insofern fundiert Unternehmensethik<br />

d<strong>an</strong>n nicht nur unterschiedliche Objekttheorien und setzt diese in Beziehung,<br />

sondern bindet darüber hinaus Personalm<strong>an</strong>agementtheorie in eine allgemeine Unternehmensethiktheorie<br />

ein. Unternehmensethik als Synthese aus Ethik und Ökonomik<br />

macht damit bereits auf der theoretisch-begründungslogischen Ebene des Personalm<strong>an</strong>agements<br />

die Dualität ethischer und ökonomischer Geltungs<strong>an</strong>sprüche passierbar,<br />

ohne ihren spezifischen Erklärungs- bzw. Rechtfertigungscharakter zu nivellieren.<br />

5. Weiterführende Perspektiven<br />

Eine Unternehmensethik als Synthese aus Ethik und Ökonomik integriert sowohl<br />

betriebswirtschaftliche H<strong>an</strong>dlungs<strong>an</strong>forderungen als auch moralische H<strong>an</strong>dlungsaufforderungen.<br />

Aus dieser Situierung von Unternehmensethik ergeben sich für<br />

den unternehmerischen H<strong>an</strong>dlungszusammenh<strong>an</strong>g insgesamt sowohl individuelle, als<br />

auch strukturelle Anwendungsperspektiven. Jeder Mitarbeiter ist für die Legitimität<br />

seiner Entscheidungen ver<strong>an</strong>twortlich und muss insofern intellektuell und institutionell<br />

in die Lage versetzt werden, Entscheidungen moralisch und ökonomisch ver<strong>an</strong>twortlich<br />

zu treffen. Das Stichwort hierzu lautet individuelle Ver<strong>an</strong>twortungsübernahme<br />

und Demokratisierung von Strukturen. Dass sowohl ein ökonomischrationales<br />

Effizienzkalkül als auch eine rational-vernünftige Konsensethik damit<br />

durchaus auf ähnliche individuelle und institutionelle Fähigkeiten und Voraussetzungen<br />

rekurrieren, k<strong>an</strong>n für die Implementation von Unternehmensethik in den betriebswirtschaftlichen<br />

H<strong>an</strong>dlungskontext nur von Vorteil sein.


418 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Matthias Meifert<br />

Vertrauen als Org<strong>an</strong>isationsprinzip. Eine theoretische und<br />

empirische Studie über Vertrauen zwischen Angestellten und<br />

Führungskräften *<br />

Betreuer: Prof. Dr. Peter Pawlowsky, Technische Universität<br />

Chemnitz<br />

Vertrauen besitzt einen großen Stellenwert für das ökonomische Leben. Insbesondere<br />

in Org<strong>an</strong>isationen spielt es eine herausragende Rolle. In der gegenwärtigen<br />

Org<strong>an</strong>isationstheorie wird innerbetrieblichem Vertrauen der Status eines „Produktionsfaktors“<br />

zugesprochen. Es wird auch als „Fundament einer funktionsfähigen Org<strong>an</strong>isation“<br />

und Bedingung für wirtschaftlichen Erfolg bezeichnet. Vertrauensbeziehungen<br />

haben vor allem im Gefolge neuer M<strong>an</strong>agementkonzepte als Regulierungsmech<strong>an</strong>ismen<br />

der Binnenbeziehungen in Org<strong>an</strong>isationen <strong>an</strong> Bedeutung gewonnen.<br />

Sie besitzen den Status eines schwer zu imitierenden Wettbewerbsvorteils.<br />

Org<strong>an</strong>isationen sind auf die Allokation von Vertrauen <strong>an</strong>gewiesen. Dennoch<br />

setzte sich die ökonomische Theorie bisher nur sporadisch mit der Kategorie ausein<strong>an</strong>der.<br />

Obwohl sich in den letzten Jahren eine wachsende Anzahl von Ökonomen und<br />

Theorierichtungen dem Thema widmete, m<strong>an</strong>gelt es aufgrund der l<strong>an</strong>gjährigen disziplinären<br />

Nichtbeachtung bis dato vor allem <strong>an</strong> systematischen Darstellungen, die<br />

die Rolle von Vertrauen als Org<strong>an</strong>isationsprinzip <strong>an</strong>alysieren. Die vorliegende Untersuchung<br />

will einen Beitrag dazu leisten, diese Lücke zu schließen und einen theoretisch<br />

wie auch empirisch fundierten Beitrag zur Vertrauens- bzw. Org<strong>an</strong>isationstheorie<br />

liefern. Die Erkenntnisziele und Fragestellungen der Arbeit lauten folgendermaßen:<br />

Was ist das Wesen von Vertrauen in Org<strong>an</strong>isationen, d.h. vor allem, welche Dimensionen<br />

besitzt es?<br />

Welche Bedeutung besitzt Vertrauen theoretisch und empirisch als Org<strong>an</strong>isationsprinzip<br />

von Arbeit?<br />

Welche Ansatzpunkte existieren für die innerbetriebliche Gestaltung von Vertrauensbeziehungen?<br />

*<br />

Matthias Meifert: Vertrauensm<strong>an</strong>agement in Unternehmen. Eine empirische Studie über Vertrauen<br />

zwischen Angestellten und ihren Führungskräften. Arbeit, Org<strong>an</strong>isation und Personal<br />

im Tr<strong>an</strong>sformationsprozess. Herausgegeben von R. L<strong>an</strong>g, Chr. Baitsch, P. Pawlowsky, Bd.<br />

15, ISBN 3-87988-744-6, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, München und Mering, 2. Aufl. 2003, 326 S.,<br />

€ 29,80.<br />

Die Dissertation ist unter dem Namen Seifert veröffentlicht worden. Inzwischen hat der Autor<br />

geheiratet und heißt jetzt Meifert.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 419<br />

Die Arbeit besitzt einen interdisziplinären Blickwinkel. Dieser ist notwendig, da<br />

in der Betriebswirtschaftslehre eine Diskrep<strong>an</strong>z zwischen der zuerk<strong>an</strong>nten Bedeutung<br />

und der faktischen Beschäftigung mit dem Thema Vertrauen existiert, aus der ein<br />

Forschungs- und Theoriedefizit resultiert. Andere Disziplinen, vor allem die Soziologie<br />

und die Sozialpsychologie, haben sich intensiver mit dem Thema befasst.<br />

Zweitens rekurriert die Arbeit nicht nur auf einen theoretischen Ansatz, sondern<br />

verbindet durch eine integrative Vorgehensweise verschiedene Vertrauenstheorien zu<br />

einem neuen Modell. Dieser modus vivendi ist in der Vertrauensforschung nicht unüblich,<br />

da die „disziplinäre Situierung“ des Konzepts zwischen Soziologie, Psychologie<br />

und Betriebswirtschaftslehre nicht leicht fällt und ein Hin- und Herw<strong>an</strong>dern zwischen<br />

Fachgebieten und Theorien oftmals unumgänglich ist.<br />

Vertrauen ist ein vielschichtiges Phänomen. Sein Verstehen erfordert stets neue<br />

Anläufe, ein wiederholtes, schrittweises Zugehen von verschiedenen Seiten auf den<br />

Erkenntnisgegenst<strong>an</strong>d. Es wird daher zunächst nicht definiert, sondern im Rahmen<br />

eines sem<strong>an</strong>tisch argumentierenden Kapitels als Konstrukt aus verschiedenen Blickwinkeln<br />

beschrieben und org<strong>an</strong>isationstheoretisch verortet. Die Arbeit geht davon<br />

aus, dass die von Akteuren infolge ihres Vertrauens getätigten H<strong>an</strong>dlungen, die<br />

Strukturen reproduzieren, die auf ihre Vertrauensentscheidungen Einfluss nehmen.<br />

(Vertrauens-) Strukturen und (Vertrauens-) H<strong>an</strong>dlungen in Org<strong>an</strong>isationen werden also<br />

unter Rückgriff auf die Strukturationstheorie von Giddens als Dualität konzipiert.<br />

Sie sind keine <strong>an</strong>tagonistischen Gegensätze, sondern konstituieren und bedingen sich<br />

gegenseitig.<br />

Mit dem dritten Kapitel beginnt die modellorientierte Aufarbeitung des Wissensgebietes<br />

Vertrauen in Unternehmen (vgl. Abb. 1). Das Modell illustriert die Bedingungen,<br />

Entscheidungsprozesse und Folgen von Vertrauen. Da die Vergabe von<br />

Vertrauen Resultat einer individuellen Entscheidung ist, bildet das Modell diesen<br />

Prozess und seine Bedingungen aus Sicht des vertrauenden Individuums ab. Wie <strong>an</strong>dere<br />

Modelle auch stellt es einen heuristischen Ordnungsversuch und damit eine<br />

Idealisierung dar. Zwar existieren bereits einige Vertrauensmodelle, die mit dem hier<br />

entwickelten vergleichbar sind. Sie sind jedoch nicht auf Org<strong>an</strong>isationen zugeschnitten<br />

und berücksichtigen daher nicht die Rahmenbedingungen und Strukturen, denen<br />

interpersonelle Vertrauensbeziehungen in Org<strong>an</strong>isationen unterliegen. Diese zu identifizieren<br />

und in ihrer Wirkung darzustellen, ist eine Besonderheit und der Zweck des<br />

vorliegenden Modells. Darüber hinaus geht es darum, mit seiner Hilfe die Forschung<br />

zu systematisieren, die Interaktion von Akteur und Vertrauensperson zu verstehen<br />

und nicht zuletzt die Wechselwirkung von Vertrauensh<strong>an</strong>dlungen und Strukturen aufzuzeigen.<br />

Das Vertrauensmodell beginnt – von links nach rechts gelesen – mit einer Identifizierung<br />

der situativen Bedingungen, unter denen Vertrauen in Org<strong>an</strong>isationen relev<strong>an</strong>t<br />

wird. Denn nur Kontexte, die sich durch Verhaltensunsicherheit, Verlustgefahr<br />

und Entscheidungsfreiheit des Akteurs auszeichnen, erzeugen einen Vertrauensbedarf.<br />

Dar<strong>an</strong> <strong>an</strong>knüpfend wird die Vertrauensentscheidung betrieblicher Akteure als<br />

ein Resultat von rationalen, emotionalen und habituellen Prozessen konzipiert. Kal-


420 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

küle, Gefühle und Gewohnheiten sind die Grundlage von Vertrauen. Hat sich z.B. ein<br />

Angestellter dazu entschlossen, Vertrauen zu vergeben, hegt er bestimmte Erwartung,<br />

deren Erfüllung vom Vorgesetzten erwartet wird. Die dreidimensionale Vertrauenserwartung<br />

umfasst die Kompetenzen, die Integrität und die Gesinnung von VertrauensempfängerInnen<br />

und stellt den inhaltlich-definitorischen Kern des hier zugrundegelegten<br />

Vertrauensverständnisses dar. Welche Strukturen innerhalb von Org<strong>an</strong>isationen<br />

günstig sind für eine positive Vertrauensentscheidung und die Genese von Vertrauen,<br />

wird im Anschluss beleuchtet. Analysiert werden drei Klassen von Vertrauensfaktoren:<br />

gesellschaftliche, org<strong>an</strong>isationale und personale Strukturen, die als Vertrauensfaktoren<br />

Eing<strong>an</strong>g in die Entscheidung von Akteuren finden bzw. „hinter ihrem<br />

Rücken“ gewohnheitsmäßig die Entstehung und Entwicklung von Vertrauensbeziehungen<br />

beeinflussen. Zu den gesellschaftlichen Faktoren gehören die Nationalkultur<br />

und der Arbeitsmarkt. Org<strong>an</strong>isationale Vertrauensfaktoren sind der Org<strong>an</strong>isationserfolg,<br />

die Org<strong>an</strong>isationsgeschichte und -zukunft, Arbeitsorg<strong>an</strong>isation, Leistungspolitik,<br />

Unternehmenskultur und der Führungsstil. Als personale Faktoren wurde die Beziehungsart<br />

der Akteure und die Reputation von InteraktionspartnerInnen identifiziert.<br />

Abb. 1: Vertrauensmodell - Bedingungen, Prozess und Folgen von Vertrauen<br />

Vertrautheit<br />

Personale Faktoren: VertrauensempfängerIn<br />

Vertrauenswürdigkeit/Reputation<br />

Art der Beziehung zum Geber/Geberin<br />

<br />

Kompetenz<br />

Integrität<br />

Gesinnung<br />

Spezifik von<br />

Vertrauenssituationen<br />

Verhaltensunsicherheit<br />

Verlustgefahr<br />

Entscheidungsfreiheit<br />

Vertrauensentscheidung<br />

Gewohnheit<br />

Kalkül<br />

Gefühl<br />

Vertrauenserwartung<br />

Vertrauensh<strong>an</strong>dlung<br />

risk<strong>an</strong>te Vorleistung<br />

Kontrollverzicht<br />

Gesellschaft<br />

Nationalkultur<br />

Arbeitsmarkt<br />

Org<strong>an</strong>isationale Faktoren<br />

Org<strong>an</strong>isationsgeschichte, -zukunft<br />

Org<strong>an</strong>isationserfolg<br />

Unternehmenskultur<br />

Führungsstil, Leistungspolitik<br />

Arbeitsorg<strong>an</strong>isation<br />

Dualität der Struktur<br />

Hat sich ein Akteur für Vertrauen entschieden oder vertraut er routinemäßig,<br />

geht dies zumeist auch mit bestimmten H<strong>an</strong>dlungen einher. Mit den Vertrauensh<strong>an</strong>dlungen,<br />

die für Individuen, Teams und Org<strong>an</strong>isationen Bedeutung besitzen, finden die<br />

theoretischen Ausführungen ihren Abschluss. Vertrauen lässt sich auf dieser Grundlage<br />

folgendermaßen definieren: es ist die gefühlsmäßige, kalkulierte oder habituelle<br />

Bereitschaft eines Akteurs, auf die Kontrolle eines <strong>an</strong>deren zu verzichten und eine


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 421<br />

risk<strong>an</strong>te Vorleistung (H<strong>an</strong>dlung) zu erbringen, die mit der kognitiven Erwartung und<br />

dem Gefühl einhergeht, dass der oder die VertrauensempfängerIn kompetent, integer<br />

und wohlwollend ist.<br />

Vertrauen ist ein problematischer Begriff, der viele Bedeutungen besitzt und nur<br />

schwer einzugrenzen ist. Allein mit exakten und immer auch künstlichen Definitionen<br />

k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> das Phänomen nicht in den Griff bekommen. Diese Arbeit geht daher<br />

einen Schritt weiter, indem sie versucht, es auch empirisch zu erfassen. Die Empirie<br />

fungiert dabei als ein Baustein der Modellentwicklung und dient zugleich ihrer Überprüfung.<br />

Untersucht werden die wechselseitigen Vertrauensbeziehungen zwischen Vertriebs<strong>an</strong>gestellten<br />

und ihren Vorgesetzten sowie GeschäftsführerInnen in vier Unternehmen<br />

aus drei Br<strong>an</strong>chen. In diesen Unternehmen wurden 42 Leitfadeninterviews<br />

mit Beschäftigten aller Hierarchieebenen geführt. Die Darstellung der vier Betriebe<br />

erfolgt in Form von Fall<strong>an</strong>alysen, wobei sich die Auswertung der Interviews auf die<br />

Wirkungsweise der Vertrauensfaktoren und die Beschreibung der Dreidimensionalität<br />

von Vertrauen konzentriert.<br />

Das erste zum Sample gehörende Unternehmen ist ein in Ostdeutschl<strong>an</strong>d <strong>an</strong>gesiedelter<br />

metallverarbeitenden Betrieb, der als „low trust“-Org<strong>an</strong>isation charakterisiert<br />

wird. Dies liegt vor allem dar<strong>an</strong>, dass sich die betrieblichen Akteure Kompetenzdefizite<br />

zuschreiben, deren Grundlage unerfüllte Output- und Reziprozitätserwartungen<br />

sind. Der zweite Fallbetrieb gehört der gleichen Br<strong>an</strong>che <strong>an</strong>, besitzt jedoch<br />

aufgrund <strong>an</strong>derer struktureller Bedingungen ein höheres org<strong>an</strong>isationales Vertrauensniveau,<br />

obwohl auch in diesem Unternehmen Vertrauensprobleme – vor allem in der<br />

Integritätsdimension – existieren. Ähnlich verhält es sich mit der dritten Firma, die<br />

infolge eines vertrauenzerstörenden Führungsstils, verschärfter Wettbewerbsbedingungen<br />

auf dem Energiemarkt und struktureller Anpassungen <strong>an</strong> diese unter der Erosion<br />

von Vertrauen – vor allem in der Vertriebsabteilung – leidet. Hervorzuheben<br />

sind in diesem Unternehmen die Gesinnungszweifel, die die Beschäftigten gegenüber<br />

ihrem Vertriebsleiter hegen. Der vierte und letzte Fall schließlich ist ein seit Jahren<br />

sehr erfolgreiches „high trust“-Unternehmen aus Süddeutschl<strong>an</strong>d. Eine entscheidende<br />

Säule des gegenseitigen Vertrauens sind in diesem Betrieb die erfüllten Gesinnungserwartungen:<br />

der Geschäftsleiter kommt seiner Fürsorgepflicht nach („demonstrating<br />

concern“), die Beschäftigten entsprechen seinen Loyalitätserwartungen.<br />

Den Abschluss der Arbeit bildet die Zusammenfassung und eine synoptische<br />

Präsentation der theoretischen und empirischen Ergebnisse. Es wird noch einmal betont,<br />

welche essentielle Bedeutung emotional begründetes und gewohnheitsmäßig<br />

vergebenes Vertrauen für Unternehmen als Org<strong>an</strong>isationsprinzip von Arbeit hat. Vertrauen<br />

ist eine individuelle Erwartungshaltung eines Akteurs und Grundlage seines<br />

kooperativen bzw. prosozialen Verhaltens im Umg<strong>an</strong>g mit <strong>an</strong>deren. Verändert sich<br />

das <strong>an</strong>deren Akteuren entgegengebrachte Vertrauen, ändert sich auch die Beziehung.<br />

Die Kategorie beschreibt damit auch die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen,<br />

d.h. eine Eigenschaft kollektiver Einheiten, die sich im Wesentlichen aus den Interaktionen<br />

ihrer Mitglieder zusammensetzen. Vertrauen ist ein soziales Bindeglied,


422 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

das individuelles und kollektives H<strong>an</strong>deln mitein<strong>an</strong>der verknüpft. Es besitzt einen<br />

Subjektbezug – es ist immer ein Akteur, der über die Vergabe von Vertrauen entscheidet<br />

– und fungiert zugleich als Org<strong>an</strong>isationsprinzip, denn es org<strong>an</strong>isiert individuelles<br />

H<strong>an</strong>deln zu einem strukturierten sozialen G<strong>an</strong>zen. Für die Org<strong>an</strong>isationstheorie<br />

ist es daher eine Erklärungsvariable von großem Wert.<br />

Das Schlusskapitel der vorliegenden Arbeit betont auch noch einmal, dass Vertrauen<br />

für Org<strong>an</strong>isationen einen Nutzen stiftet, vor allem weil es Verh<strong>an</strong>dlungs-,<br />

Kontraktentwurfs- und Kontrollkosten reduziert. Ähnlich wie Wissen ist es jedoch<br />

ein „int<strong>an</strong>gible asset“, d.h. es ist nur schwer zu messen und nicht nach Belieben m<strong>an</strong>ipulierbar.<br />

Es ist oft ein „by-product“ von H<strong>an</strong>dlungen, die einen Vertrauenseffekt<br />

gar nicht haben sollen. Damit sind betriebliche Akteure jedoch nicht zur Untätigkeit<br />

verdammt. Vertrauen wird durch gesellschaftliche, org<strong>an</strong>isationale und personale<br />

Faktoren beeinflusst. Insbesondere über die beiden letzteren ist das betriebliche Vertrauensniveau<br />

gestaltbar. Die Arbeit schließt daher mit einigen Regeln, die org<strong>an</strong>isationales<br />

Vertrauensm<strong>an</strong>agement zu berücksichtigen hat, wenngleich sie kein Rezept<br />

darstellen und keinen Automatismus gar<strong>an</strong>tieren.<br />

Holger Morick<br />

Differentielle Personalwirtschaft – Theoretisches Fundament<br />

und praktische Konsequenzen *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. <strong>Rainer</strong> Marr, Universität der Bundeswehr<br />

München<br />

1. Fokussierung des Themas und Ziel der Arbeit<br />

Verschiedenheit und Individualität sind grundlegende Phänomene menschlichen<br />

Lebens. Dieser Tatsache k<strong>an</strong>n sich auch die Personalwirtschaft nicht verschließen.<br />

Doch die Suche nach Bestimmungsgründen für menschliches Leistungsverhalten<br />

stellt Wissenschaft wie Praxis immer wieder vor ungelöste Fragen: Warum führen<br />

gleiche personalwirtschaftliche Maßnahmen bei Mitarbeitern zu unterschiedlichem<br />

Leistungsverhalten? Warum z. B. führt in gleichem Maße gewährter Freiraum bei einem<br />

Mitarbeiter zu Unter-, bei einem <strong>an</strong>deren zu Überforderung? Demographische<br />

Entwicklung, Individualisierungstendenzen oder Wertew<strong>an</strong>del schärfen noch den<br />

Blick für die Vielfalt der Mitarbeiter. Die Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen<br />

Bedürfnisse und Interessen wird zur zentralen personalwirtschaftlichen Herausforde-<br />

*<br />

Holger Morick: Differentielle Personalwirtschaft – Theoretisches Fundament und praktische<br />

Konsequenzen. Neubiberg 2002, XII, 334 Seiten, gebunden, 46 Abbildungen und Tabellen,<br />

edition gfw, € 29,60, ISBN 3-9807539-3-X.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 423<br />

rung. Können für den Umg<strong>an</strong>g mit diesem Mitarbeiterpotenzial Charakteristika gefunden<br />

werden, Konst<strong>an</strong>ten, die Personalver<strong>an</strong>twortlichen Orientierung bei der Beurteilung<br />

und Gestaltung dieses Leistungsverhaltens zu geben vermögen?<br />

Allgemeinen personalwirtschaftlichen Aussagesystemen liegt – mit etwas spekulativem<br />

Mut – implizit oder explizit folgendes Bild des Normalmitarbeiters zu Grunde:<br />

männlich, von mittlerem Alter, körperlich gesund, deutsch, Lehr- oder Meisterqualifikation,<br />

Angestellter und nicht zuletzt in traditioneller Vollzeiterwerbstätigkeit.<br />

Weil rechtlich herleitbar oder vermeintlich sichtbar werden als „besondere“ Mitarbeitergruppen<br />

immer wieder gerne Ältere, Frauen oder etwa Ausländer beh<strong>an</strong>delt – als<br />

Abweichungen vom skizzierten Bild. Christo Stojtschkow, Europas Fußballer des<br />

Jahres 1994, wird der Satz zugeschrieben: „Es gibt keine jungen oder alten Spieler, es<br />

gibt nur gute oder schlechte.“ Treffender lässt sich kaum ausdrücken, dass soziodemographische<br />

Merkmale nur sehr bedingt aussagekräftig für Leistungsverhalten<br />

sind und dass wichtige Orientierungspunkte für Personalver<strong>an</strong>twortliche eher im<br />

Verborgenen liegen. Es gilt also, differenzierter zu denken. Genau dafür bietet sich<br />

die Differentielle Personalwirtschaft <strong>an</strong> – nicht nur vom Namen her in bewusster Anlehnung<br />

<strong>an</strong> die Differentielle Psychologie. Denn im Vordergrund steht die Ergänzung<br />

allgemeiner personalwirtschaftlicher Aussagesysteme durch differentielle Aussagesysteme<br />

– und dies auf einem soliden theoretischen Fundament. Es geht um weit<br />

mehr als eine l’art pour l’art. Denn es ergibt sich damit die Ch<strong>an</strong>ce, zu Subgruppen<br />

von Mitarbeitern zu gel<strong>an</strong>gen, deren Leistungsverhalten zutreffender als bisher prognostiziert<br />

werden k<strong>an</strong>n. Aus dieser Erkenntnis heraus lassen sich personalwirtschaftliche<br />

Gestaltungsmaßnahmen ergreifen, welche die Effizienz der Personalarbeit (z.B.<br />

durch fundiertere Maßnahmenauswahl im o.g. Beispiel) und damit letztlich auch einer<br />

gesamten Org<strong>an</strong>isation steigern.<br />

2. Vorgehensweise und Ergebnisse<br />

Die Arbeit gel<strong>an</strong>gt in drei Hauptteilen zu ihren Ergebnissen:<br />

In Teil I werden die Grundlagen der Differentiellen Personalwirtschaft gelegt:<br />

Aus der Diskussion der Relev<strong>an</strong>z des Themas und der Analyse des aktuellen St<strong>an</strong>des<br />

der Forschung wird dabei deutlich, dass die Betrachtung „gängiger“ Abweichungen<br />

vom Bild des Normalmitarbeiters für das Ziel der Arbeit wenig aufschlussreich ist.<br />

Andererseits scheint erst durch den <strong>an</strong>gelsächsischen (Re-)Import der Diversity-<br />

Forschung eine breitere Diskussion über die Verschiedenartigkeit von Mitarbeiterbedürfnissen<br />

<strong>an</strong>gestoßen zu werden. Denn die ged<strong>an</strong>klichen Wurzeln einer differenzierteren<br />

Betrachtungsweise lassen sich im deutschsprachigen Raum durchaus bis zu<br />

Heinrich Nicklisch, Oswald von Nell-Breuning und Guido Fischer zurückverfolgen.<br />

Seit den 1970er Jahren lieferten Ulich, Sch<strong>an</strong>z, Drumm oder Marr hilfreiche Problemskizzen.<br />

Klar wird: Die Arbeit unternimmt einen Bal<strong>an</strong>ceakt zwischen Generalisierung<br />

und Individualisierung. In methodischer Hinsicht wird dazu im Sinne einer<br />

pluralistischen Vorgehensweise eine interdisziplinär <strong>an</strong>gelegte Modellbau-Strategie<br />

verfolgt. Am Ende von Teil I führen die Überlegungen zu einem tragfähigen Rah-


424 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

menmodell, das die besonders relev<strong>an</strong>ten Untersuchungselemente zur Entwicklung<br />

der Differentiellen Personalwirtschaft zusammenträgt.<br />

Diese Modellbausteine werden in Teil II theoretisch untermauert. Gezeigt wird<br />

die differentielle Bedeutung von vier Sozialisationsphasen (Mitarbeitergewinnung, -<br />

integration, -bindung und -loslösung) sowie der vier interdependenten Determin<strong>an</strong>ten<br />

menschlichen Verhaltens (Kultur, Motivation, Qualifikation und Struktur): Der Kultur<br />

(soziales Dürfen) kommt dabei vorstrukturierende Bedeutung zu. Als Erklärungs<strong>an</strong>satz<br />

für die Motivation (Leistungsbereitschaft) wird die im deutschsprachigen<br />

Raum bedauerlicherweise wenig bek<strong>an</strong>nte Selbstbestimmungstheorie von Deci und<br />

Ry<strong>an</strong> her<strong>an</strong>gezogen. Diese Motivationstheorie lieferte bereits l<strong>an</strong>ge vor Sprengers<br />

„Mythos Motivation“ eine wissenschaftliche Begründung für dessen Hauptthese „alles<br />

Motivieren ist Demotivieren“. Die Art der motivationalen Prägung eines Menschen<br />

und dessen subjektive Wahrnehmung von extrinsischen Anreizen liefern Gestaltungshinweise<br />

für die situative Ermöglichung. Vergleichbare Hinweise ergeben<br />

sich aus der Betrachtung des Könnens (Leistungsfähigkeit). Mit dem Konstrukt der<br />

spont<strong>an</strong>en Verhaltensoptimierung k<strong>an</strong>n erklärt werden, warum unter sonst gleichen<br />

Bedingungen der eine Teil der Mitarbeiter einen effizienteren Lösungsweg bei der<br />

Bewältigung von Aufgaben einschlägt als der <strong>an</strong>dere. Mit der Struktur (situative Ermöglichung)<br />

werden die objektiven Voraussetzungen zur Leistungserbringung geschaffen,<br />

die sich auch kurzfristig gestalten lassen. Der <strong>an</strong>gebotene g<strong>an</strong>zheitliche Ansatz<br />

zur Systematisierung differentiellen Denkens und H<strong>an</strong>delns wird damit in einem<br />

ersten Schritt exemplarisch ausgefüllt durch stabile motivationale und kognitive Persönlichkeitsmerkmale<br />

als Differenzierungsvariablen.<br />

Ein solcher Differenzierungs<strong>an</strong>satz jenseits individueller Erfahrungen und<br />

schematischer Konventionen zieht verschiedene praktische Konsequenzen nach sich.<br />

Teil III liefert Anregungen vor allem zu Fragen der H<strong>an</strong>dhabbarkeit der mit der Differentiellen<br />

Personalwirtschaft verbundenen Komplexität: Erste Operationalisierungs<strong>an</strong>sätze<br />

zeigen Wege auf, um die Passung zwischen Stelle und Mitarbeiter zu optimieren.<br />

Die vorgeschlagene wertmäßige Abbildung des Hum<strong>an</strong>vermögens in Org<strong>an</strong>isationen<br />

k<strong>an</strong>n den Nachweis der Effizienz differentieller personalwirtschaftlicher<br />

Gestaltungsmaßnahmen erleichtern. Auch werden die Konsequenzen einer unterschiedlichen<br />

Mitarbeiterbeh<strong>an</strong>dlung unter Gerechtigkeitsaspekten und die Berechtigung<br />

persönlichkeitsverändernder Maßnahmen als personalwirtschaftliches Gestaltungsziel<br />

thematisiert. Nicht zuletzt lassen sich Aussagen zu den Ver<strong>an</strong>twortlichkeiten<br />

für eine differentielle Personalarbeit und den dazu zur Verfügung stehenden Koordinationsmech<strong>an</strong>ismen<br />

treffen.<br />

3. Fazit und Ausblick<br />

Die Skizzierung von Entwicklungslinien der Personalwirtschaft, die theoretischen<br />

Überlegungen, aber auch die abgeleiteten praktischen Konsequenzen führen zu<br />

einem Differenzierungs<strong>an</strong>satz, der im Rahmen der Personalwirtschaft geeignet erscheint,<br />

menschlichem Leistungsverhalten besser als bisher gerecht zu werden. An<br />

die damit geschaffene Basis können zukünftig Implementierungsüberlegungen <strong>an</strong>-


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 425<br />

knüpfen. In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g übernimmt die Differentielle Personalwirtschaft<br />

eine Präventivfunktion. Nicht in ihrem Sinne zu differenzieren bedeutet bloße Reaktion<br />

auf M<strong>an</strong>agementfehler, die eben dadurch entstehen, dass leistungsrelev<strong>an</strong>te individuelle<br />

Unterschiede von Mitarbeitern nicht ausreichend berücksichtigt werden.<br />

Damit stellt die Differentielle Personalwirtschaft für Org<strong>an</strong>isationen einen Wettbewerbsvorteil<br />

dar. L<strong>an</strong>gfristig muss das Ziel der Differentiellen Personalwirtschaft<br />

sein, dass differentielles Denken und H<strong>an</strong>deln als allgemeine Prämissen Einzug in die<br />

Personalwirtschaft finden. Der entwickelte g<strong>an</strong>zheitliche Ansatz liefert somit letztlich<br />

auch für die Personalwirtschaft als wissenschaftliche Disziplin eine theoretische Systematisierung<br />

personalwirtschaftlicher Aspekte.<br />

Vielleicht sind für die Personalwirtschaft sogar die allgemeinen Aussagen der<br />

Selbstbestimmungstheorie – wie selbstbestimmtes H<strong>an</strong>deln gefördert werden k<strong>an</strong>n und<br />

sich mit höherer intrinsischer Motivation und mehr Engagement auch die Qualität des<br />

H<strong>an</strong>delns steigert – von viel größerer Bedeutung als ihre differentiellen Aussagen. Differentielle<br />

Personalwirtschaft ist aber unabdingbar. Denn es ist eben von zentraler Bedeutung,<br />

die Mitarbeiter nicht dort zu suchen, wo sie aufgrund eines „Schubladendenkens“<br />

nur ged<strong>an</strong>klich hingestellt wurden, aber nicht wirklich stehen. Entscheidend ist<br />

es, die Mitarbeiter dort abzuholen, wo sie sich gegenwärtig befinden.<br />

3. Personal und Arbeitsmarkt<br />

Güldem Demirer<br />

Unternehmensgründungen aus <strong>Hochschulen</strong> und der Einfluss<br />

von Arbeitsmarktregulierungen. Eine prospecttheoretische<br />

Analyse<br />

Betreuerin: Prof. Dr. Uschi Backes-Gellner, Universität Zürich,<br />

vorher Universität zu Köln<br />

1. Forschungsfrage: Welchen Einfluss haben Arbeitsmarktregulierungen auf<br />

die Erwerbsneigung von Hochschülern?<br />

Die Entscheidung zur Unternehmensgründung von Hochschülern stellt eine<br />

mögliche Alternative der Erwerbstätigkeit nach der Ausbildung dar. Allerdings wird<br />

diese Alternative von vielen Hochschülern nicht in Erwägung gezogen, da sie selten<br />

mit einem gleich hohen Nutzen im Vergleich zur abhängigen Erwerbstätigkeit bewertet<br />

wird. Die Bedingungen, die dazu führen, dass ein Hochschulabsolvent die Funktion<br />

des Unternehmers oder des Arbeitnehmers im Wirtschaftsgeschehen auswählt,<br />

sind in der vorliegenden Arbeit von besonderem Interesse. Basierend auf der Erkenntnis,<br />

dass Selbständige mit Hochschulabschluss häufiger Unternehmen mit Beschäftigung<br />

gründen als Selbständige ohne Hochschulabschluss (Moog 2000, 182-


426 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

186), wird vermutet, dass gerade die personalpolitische Flexibilität von Unternehmen<br />

ein ausschlaggebendes Kriterium für die Erwerbswahl darstellt. Es stellt sich die Frage<br />

unter welchen Bedingungen wirken sich in welcher Form personalpolitisch relev<strong>an</strong>te<br />

Regulierungen auf die (latente) Gründungsentscheidung von Hochschülern aus.<br />

Es wird unterschieden in die faktische und die wahrgenommene Wirkung institutioneller<br />

Regulierungen auf die personalpolitische Flexibilität von Unternehmensgründungen.<br />

Die wahrgenommene personalpolitische Flexibilität von Hochschülern wird<br />

unterschiedlich stark – in Abhängigkeit des Individuums – von der faktischen personalpolitischen<br />

Flexibilität abweichen. Demnach ist das Gründerpotenzial <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

abhängig von der individuellen Wahrnehmung der Hochschüler. Die individuelle<br />

Wahrnehmung ist u.a. abhängig von Informationen über die faktische personalpolitische<br />

Flexibilität.<br />

In einem ersten Schritt wird die Relev<strong>an</strong>z der personalpolitischen Institutionen<br />

für Hochschulabsolventen, die bereits Unternehmer sind, untersucht. Aufbauend auf<br />

den Ergebnissen der faktischen Einflussnahme personalpolitisch relev<strong>an</strong>ter Institutionen<br />

auf die unternehmerische H<strong>an</strong>dlungsfreiheit, wird in einem zweiten Schritt deren<br />

wahrgenommene Wirkung betrachtet. Die Wahrnehmung personalpolitischer Flexibilität<br />

beeinflusst Erwartungen über die abhängige und selbständige Erwerbstätigkeit<br />

und damit die Erwerbsentscheidung von Hochschülern. Daraus folgt die Spezifizierung<br />

der Forschungsfrage: Welchen Einfluss hat die individuell wahrgenommene<br />

personalpolitische Flexibilität auf hochschulinduzierte Unternehmensgründungen?<br />

2. Theoretische Analyse: Prospecttheorie<br />

Der Prozess des Entscheidungs- und Vorentscheidungsverhaltens hinsichtlich<br />

einer selbständigen oder abhängigen Erwerbswahl wird mittels eines modernen, präskriptiv<br />

orientierten Ansatzes der Entscheidungstheorie die Prospecttheorie untersucht.<br />

Der Forschungsfortschritt der Prospecttheorie liegt darin, den Entscheidungsprozess<br />

in das Kalkül einzubeziehen. Wohingegen die klassische Erwartungsnutzenbewertung<br />

(gewichtete Summe bewerteter Konsequenzen) die reine Betrachtung<br />

der Outputs einer Nutzenfunktion abbildet. Als zentrale Konzepte der<br />

Prospecttheorie sind die referenzpunktabhängige Bewertung und die nichtlineare<br />

Wahrscheinlichkeitsgewichtung implementiert. In dieser Arbeit hat die prospecttheoretische<br />

Erweiterung der Erwartungsnutzentheorie eine präskriptiv-beratende Funktion<br />

in der Analyse der Erwerbsentscheidung von Studierenden. Die Erkenntnisse über<br />

die systematisch abweichende Erwerbsentscheidung vom normativen Rationalitätspostulat<br />

sollen als Grundlage für eine verbesserte Entscheidungshilfe dienen, in der<br />

Form, dass die Verbesserung der H<strong>an</strong>dlungsempfehlungen zu einer verstärkten Aktivierung<br />

des Gründungspotenzials <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> führen.<br />

3. Untersuchungsdesign<br />

Im Unterschied zu <strong>an</strong>deren Studien wird in dieser Arbeit vermutet, dass schon<br />

allein die individuelle Wahrnehmung der relev<strong>an</strong>ten Regulierungen – unabhängig da-


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 427<br />

von, ob diese der Realität entspricht – eine eigene, direkte Wirkung auf das Entscheidungskalkül<br />

hinsichtlich der Erwerbswahl hat. Die folgende Analyse der latenten Erwerbsentscheidung<br />

vor dem Hintergrund institutioneller Regulierungen fokussiert<br />

drei Faktoren, die im Wirkungszusammenh<strong>an</strong>g zu dem Entscheidungsproblem stehen.<br />

Die Analyse ist wie folgt aufgebaut: Es wird ein einfaches ökonomisches Entscheidungsproblem<br />

der Erwerbsneigung vorgestellt, auf dessen Basis verschiedene<br />

Entscheidungsregeln <strong>an</strong>gewendet werden. Zunächst wird dem klassischen Unternehmermodell<br />

folgend, die Erwartungswertregel betrachtet. Der Residualeinkommensempfänger<br />

wird hier als risikoneutral definiert, d.h., indifferent gegenüber Einkommensvolatilitäten.<br />

Weiterhin differenzieren sich die Entscheidungsträger <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d unterschiedlich<br />

wahrgenommener personalpolitischer Flexibilität. Dieser Wahrnehmungsunterschied<br />

bildet die Grundlage für die Generierung der ersten Hypothese.<br />

Anschließend wird der möglichen Risikoaversion von Unternehmensgründern durch<br />

die Erwartungsnutzentheorie Rechnung getragen und darauf aufbauend die zweite<br />

Hypothese formuliert. Nachfolgend werden Erkenntnisse über die eingeschränkt rationale<br />

Entscheidung von Akteuren, die die Prognosekraft der ökonomischen Modellierung<br />

schwächen, aufgearbeitet und in dem Kalkül der Entscheidungsträger durch<br />

die Einbeziehung prospecttheoretischer Implikationen in der Antizipierung von<br />

Markttendenzen berücksichtigt. Dieses bildet die Grundlage für die Entwicklung der<br />

dritten Hypothese.<br />

4. Die empirische Überprüfung<br />

Im Rahmen des Schwerpunktprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

(DFG) „Interdisziplinäre Gründungsforschung” wurde das Forschungsprojekt<br />

GrünCol! (Gründungen in Cologne!) durchgeführt. Dabei wurde der so gen<strong>an</strong>nte<br />

GrünCol!-Hochschuldatensatz auf Basis der st<strong>an</strong>dardisierten Fragebogenaktion generiert.<br />

Ziel der Erstellung des Hochschuldatensatzes war es, das Potenzial <strong>an</strong> Unternehmensgründern<br />

durch die Befragung der Studierenden in Köln zu <strong>an</strong>alysieren.<br />

Hierbei lag das Hauptinteresse auf der Vorgründungsphase, wobei insbesondere der<br />

Einfluss hum<strong>an</strong>kapitaltheoretisch und entscheidungstheoretisch motivierter Überlegungen<br />

zur Gründungsneigung von Hochschülern untersucht werden sollte. Aufgrund<br />

der absoluten Größe der Nettostichprobe (Zahl der gültigen Fragebögen) mit 5.520<br />

Fragebögen liegt ein für die Fragestellung der hochschulinduzierten Unternehmensgründungen<br />

einzigartiger Datensatz vor. Die Analyse der Hypothesen wurde auf Basis<br />

einer multivariaten Regressions<strong>an</strong>alyse durchgeführt.<br />

5. Ergebnisse der Untersuchung<br />

Die Analyse der de facto Wirkung personalpolitisch relev<strong>an</strong>ter Institutionen<br />

zeigt, dass der Vorwurf eines zu rigiden Regelkorsetts für Unternehmensgründungen<br />

derart pauschal nicht aufrecht erhalten werden k<strong>an</strong>n. Kleine Unternehmen überbieten<br />

die rechtlichen Mindest<strong>an</strong>forderungen sogar freiwillig und viele rechtliche Eingriffe<br />

sind, für die typische Unternehmensgründung – aufgrund der Mitarbeitergröße –


428 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

nicht verhaltenswirksam. Die multivariate Regressionsalyse hat bestätigt, dass die individuelle<br />

Wahrnehmung institutioneller Rahmenbedingungen einen eigenständigen<br />

Einfluss auf die Erwerbsneigung der Hochschüler hat.<br />

Gerade die Förderung von hochschulinduzierten Unternehmensgründungen bedarf<br />

einer Berücksichtigung der Risikopräferenz des Gründers. Häufig wird der Entscheider<br />

in der ökonomischen Modellierung als indifferent gegenüber Einkommensvolatilitäten<br />

bestimmt. Die daraus resultierenden Empfehlungen zur Förderung der<br />

Selbständigkeit und entscheidungsunterstützenden Maßnahmen werden demnach den<br />

Aspekt der Risikopräferenz sträflich vernachlässigen. Wenn m<strong>an</strong> robuste Vorhersagen<br />

über die Erwerbsentscheidung treffen möchte sowie unterstützende Maßnahmen<br />

effizient gestalten will, ist die Einbeziehung der Risikoaversionsgrade in die Analyse<br />

für die Gestaltung von Fördermaßnahmen in <strong>Hochschulen</strong> unumgänglich.<br />

Die Fähigkeit des Hochschülers, Marktch<strong>an</strong>cen und -risiken realistisch einzuschätzen,<br />

stellt einen ausschlaggebenden Faktor für eine Gründung dar. Die vorliegenden<br />

ökonometrischen Ergebnisse bestätigen die prospecttheoretischen Implikationen,<br />

dass ein hohes Maß <strong>an</strong> Kenntnissen über einen Themenkomplex zu geringeren<br />

Abweichungen vom rationalen Entscheidungskalkül – im Sinne der Einhaltung normativ-logischer<br />

Regeln – führt. Sie deuten auf eine verstärkte Aktivierung des Gründungspotenzials<br />

durch die Vermittlung von Praxis- und Marktkenntnissen mittels<br />

gründungsrelev<strong>an</strong>ter Inhalte hin.<br />

Literatur:<br />

Moog, P. (2000): Hum<strong>an</strong> Capital <strong>an</strong>d its Influence on Entrepreneurial Success: In: RENT IV - Research<br />

in Entrepreneurship <strong>an</strong>d Small Business. Conference Volume Prague November/2000:<br />

182-186.<br />

Silke Flegel<br />

Die Arbeitssituation von Hochschulabsolventen.<br />

Bewältigungsmöglichkeiten in inadäquaten<br />

Beschäftigungssituationen *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Albert Martin, Universität Lüneburg<br />

1. Problemhinführung<br />

Der Anteil der Hochschulabsolventen nimmt durch ein geändertes Bildungsverhalten<br />

der Bevölkerung ständig zu. Dem steigenden Angebot <strong>an</strong> Akademikern auf<br />

*<br />

Silke Flegel: Die Arbeitssituation von Hochschulabsolventen. Bewältigungsmöglichkeiten in<br />

inadäquaten Beschäftigungssituationen. Empirische Personal- und Org<strong>an</strong>isationsforschung,<br />

hrsg. von W. Weber, A. Martin, W. Nienhüser, Bd. 22, ISBN 3-87988-748-9, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong><br />

<strong>Verlag</strong>, München und Mering 2003, € 27,80.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 429<br />

dem Arbeitsmarkt stehen aber nur gering veränderte Tätigkeitsstrukturen in den Unternehmen<br />

gegenüber. Daher sind immer mehr Akademiker gezwungen, auch eine<br />

Beschäftigung <strong>an</strong>zunehmen, die ihrer formalen Qualifikation nicht oder nur bedingt<br />

<strong>an</strong>gemessen ist. Empirische Studien beziffern die Größenordnung der „unterwertig“<br />

beschäftigten Akademiker auf bis zu 25%. Dies wirft die Frage auf, wie die Betroffenen<br />

mit einer inadäquaten Beschäftigung umgehen können. Hierzu versucht diese<br />

Arbeit einen Erklärungsbeitrag zu leisten. In einem theoretischen Teil wird ein eigenständiger<br />

kognitiver Ansatz über den möglichen Umg<strong>an</strong>g mit unterwertigen Beschäftigungssituationen<br />

entwickelt. Im dar<strong>an</strong> <strong>an</strong>schließenden empirischen Teil werden die<br />

theoretischen Überlegungen überprüft.<br />

2. Theoretischer Zug<strong>an</strong>g und eigener Ansatz<br />

Im Rahmen der Arbeit werden vier verschiedene Ansätze vorgestellt, die sich<br />

mit der individuellen Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit Arbeitssituationen beschäftigen. Thomas<br />

und Velthouse untersuchen die Auswirkungen der Wahrnehmungen auf das Verhalten.<br />

Weick beschäftigt sich mit dem Prozess des „Sinnmachens“ von H<strong>an</strong>dlungen<br />

oder von Situationen. Hackm<strong>an</strong> und Oldham stellen die Ausgestaltung der Tätigkeit<br />

in den Vordergrund und untersuchen die Auswirkungen von Arbeitsergebnis, Ver<strong>an</strong>twortung<br />

und Bedeutung auf die intrinsische Motivation. Bruggem<strong>an</strong>n untersucht,<br />

wie bestimmte Formen der Arbeitszufriedenheit erzeugt werden.<br />

In dem hier vorliegenden Ansatz werden einzelne Elemente der dargestellten<br />

Ansätze aufgegriffen und zusammengeführt. Die subjektive Wahrnehmung der Individuen<br />

wird berücksichtigt und Reaktionsformen auf unterwertige Arbeitssituationen<br />

werden heraus gearbeitet. Das Bedürfnis nach sinnvollem oder bedeutungsvollem<br />

Tun und die Sinngebung erhalten hierbei eine zentrale Rolle. Dies ist zu betonen, da<br />

bisl<strong>an</strong>g das Sinnkonzept in der Arbeitszufriedenheitsforschung keine Berücksichtigung<br />

gefunden hat.<br />

Zentrale Bedeutung für die Herausbildung von Bewältigungsstilen bzw. „Sinntypen“<br />

beim Umg<strong>an</strong>g mit unterwertigen Arbeitssituationen haben individuelle Arbeitsorientierungen,<br />

die mit fundamentalen Verhaltensdispositionen verbunden sind.<br />

Die kognitive Ver<strong>an</strong>kerung dieser Verhaltensdispositionen entscheidet darüber, welche<br />

kognitiven Prozesse im Umg<strong>an</strong>g mit der unterwertigen Arbeitssituation zum Zuge<br />

kommen. Sie bestimmt damit auch über die Herausbildung bestimmter Bewältigungsstile.<br />

Insgesamt werden sieben verschiedene Bewältigungsstile bzw. „Sinntypen“<br />

identifiziert.


430 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Das Argumentationsschema ist in der folgenden Abbildung dargestellt.<br />

3. Empirische Untersuchung<br />

In einer empirischen Untersuchung wurden Absolventen der Universität Lüneburg<br />

der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und der Betriebswirtschaftslehre des<br />

Zeitraums Juni 1997 bis Oktober 2000 befragt. Mittels Fragebogen wurden neben der<br />

beruflichen Situation und der Arbeitszufriedenheit die in der Arbeit beh<strong>an</strong>delten Verhaltensdispositionen<br />

erfasst. Außerdem wurden mit Hilfe von zur Auswahl stehenden<br />

Selbstbeschreibungen die Bewältigungsstile bzw. „Sinntypen“ erfragt. Für drei der<br />

Bewältigungsstile bzw. „Sinntypen“ liegen leider nur geringe Fallzahlen vor, so dass<br />

eine Konzentration der Auswertung auf die Typen „Veränderer“, „Optimierer“, „Abwarter“<br />

und „Nischentyp“ erfolgen musste.<br />

Es zeigt sich, dass insbesondere Leistungsmotivation und Selbstwirksamkeit mit<br />

den Bewältigungsstilen bzw. „Sinntypen“ zusammenhängen. Beispielsweise findet<br />

sich die Bewältigungsstrategie „Verändern“ besonders bei Personen mit einer hohen<br />

Selbstwirksamkeit.<br />

Weiterhin wird deutlich, dass die Arbeitszufriedenheit bzw. -unzufriedenheit eine<br />

Funktion von Situation und Person (individuelle Verhaltensdispositionen) ist. Interess<strong>an</strong>t<br />

ist, dass Personen mit „aktiverer“ Disposition, d.h. Personen mit hoher<br />

Selbstwirksamkeit und Leistungsmotivation sowie Internalisierung von Arbeitsnormen<br />

selbst in inadäquaten Situationen zufriedener sind als Personen mit „passiverer“<br />

Disposition.<br />

4. Resümee<br />

Ein kognitiver Ansatz über den möglichen Umg<strong>an</strong>g mit unterwertigen Beschäftigungssituationen<br />

konnte entwickelt werden. Mit ihrer theoretischen Argumentation<br />

liefert die vorliegende Arbeit Anregungen für eine Weiterentwicklung der Arbeitszufriedenheitsforschung.<br />

Darüber hinaus leistet sie mit Hilfe der Absolventenbefragung<br />

auch einen empirischen Beitrag zur Erforschung des Arbeitslebens. Das theoretische


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 431<br />

Konzept konnte hier nutzbringend für die Beschreibung von Zusammenhängen zwischen<br />

der Arbeitssituation und der Arbeitszufriedenheit von jungen Akademikern <strong>an</strong>gewendet<br />

werden.<br />

4. Personalentwicklung, Karriere, Kompetenzerwerb und<br />

Wissensm<strong>an</strong>agement<br />

Steffen Behler<br />

Ermittlung und Entwicklung von M<strong>an</strong>agementkompetenzen<br />

in wachstumsorientierten Unternehmen in der Gründungsphase<br />

*<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Je<strong>an</strong>-Paul Thommen, Europe<strong>an</strong> Business<br />

School, Oestrich-Winkel<br />

1. Einleitung<br />

Im Zuge des in den letzten Jahren stattfindenden Gründungsbooms stehen einer<br />

Vielzahl von erfolgreichen Unternehmensgründungen eine hohe Anzahl von gescheiterten<br />

Unternehmensgründungen entgegen. Als ein entscheidender Faktor für den Erfolg<br />

bzw. Misserfolg von Unternehmensgründungen ist das M<strong>an</strong>agement von Gründungsunternehmen<br />

<strong>an</strong>zusehen, da die Gründer als zentral h<strong>an</strong>delnde Personen die<br />

wichtigste Ressource eines Gründungsunternehmens repräsentieren. Alleine die Bereitschaft<br />

und Motivation zur Gründung eines Unternehmens sind zur erfolgreichen<br />

Umsetzung dieses Vorhabens allerdings nicht ausreichend. Vielmehr müssen Gründer<br />

über eine Reihe von Kompetenzen verfügen bzw. sich diese während der Unternehmensgründung<br />

verschaffen, um diese erfolgreich zu realisieren. In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

eröffnet sich die Frage, welche M<strong>an</strong>agementkompetenzen für Gründer von<br />

wachstumsorientierten Unternehmen erfolgsrelev<strong>an</strong>t sind und welche Maßnahmen<br />

zur Entwicklung von Kompetenzen genutzt werden können. Die Be<strong>an</strong>twortung dieser<br />

Fragestellung war das Ziel einer explorativen Untersuchung, die in Form einer<br />

schriftlichen Befragung von Unternehmensgründern durchgeführt wurde.<br />

*<br />

Behler, Steffen (2002): Ermittlung und Entwicklung von M<strong>an</strong>agementkompetenzen in wachstumsorientierten<br />

Unternehmen in der Gründungsphase, Shaker <strong>Verlag</strong>, Aachen.


432 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

2. Charakterisierung der Untersuchung<br />

Als theoretische Grundlage der Untersuchung diente ein situativer Ansatz. Als<br />

situative Faktoren, die einen möglichen Einfluss auf die Anforderungen <strong>an</strong> die M<strong>an</strong>agementkompetenzen<br />

von Gründern ausüben, wurden die Strategie, die Gründungsphase,<br />

die Unternehmensstruktur sowie das Marktumfeld von Gründungsunternehmen<br />

<strong>an</strong>gesehen.<br />

Zur Überprüfung der situativen Faktoren wurde eine explorative empirische Untersuchung<br />

in Form einer schriftlichen Befragung durchgeführt. Wachstumsorientierte<br />

Gründungsunternehmen bildeten als primärer Untersuchungsgegenst<strong>an</strong>d die<br />

Hauptstichprobe der Untersuchung (Vers<strong>an</strong>d 507 und Rücklauf 50 Fragebögen). Zudem<br />

wurden zwei Vergleichsstichproben von unselbständig-wachstumsorientierten<br />

(Vers<strong>an</strong>d 43 und Rücklauf 10) und selbständig-best<strong>an</strong>dsorientierten (Vers<strong>an</strong>d 55 und<br />

Rücklauf 28) Gründungsunternehmen erhoben. Unter der explorativ ausgerichteten<br />

Zielsetzung ermöglichte der Rücklauf mit insgesamt 14,6% erste Aussagen zu den<br />

Anforderungen <strong>an</strong> die M<strong>an</strong>agementkompetenzen von Unternehmensgründern.<br />

3. Wachstumsorientierte Gründungsunternehmen<br />

Im Mittelpunkt der Betrachtung st<strong>an</strong>den wachstumsorientiert-selbständige<br />

Gründungsunternehmen, bei denen natürliche Personen als Gründer und Eigentümer<br />

des Unternehmens Träger des unternehmerischen Risikos sind. Die strategische Ausrichtung<br />

von wachstumsorientierten Gründungsunternehmen liegt in einem starken<br />

und exp<strong>an</strong>siven Wachstum, welches das Unternehmen innerhalb kurzer Zeit der Klasse<br />

der Großunternehmungen nahe bringt. Dagegen sind am <strong>an</strong>deren Ende eines Kontinuums<br />

best<strong>an</strong>dsorientierte Gründungsunternehmen zu sehen, deren Entwicklung im<br />

Zeitablauf zum marginalen Überleben als Kleinunternehmen führt. Als wachstumsorientiert<br />

wurden Gründungsunternehmen mit einem jährlichen Umsatz- oder Mitarbeiterwachstum<br />

von größer als 50% in den letzten drei Jahren eingeschätzt.<br />

Einen Schwerpunkt der Untersuchung bildete der Prozess der Gründung, der<br />

sowohl alle vorbereitenden und pl<strong>an</strong>enden Aktivitäten als auch die ersten Entwicklungsschritte<br />

nach dem juristisch vollzogenen Gründungsakt (Eintrag ins H<strong>an</strong>delsregister<br />

oder Gewerbe<strong>an</strong>meldung) umfasst. Dabei können drei Phasen unterschieden<br />

werden: die Vorgründungsphase (Zeitpunkt vor der juristischen Gründung), die Realisierungsphase<br />

(Aufnahme des Geschätsbetriebes) und die Wachstumsphase (Gewinnerzielung<br />

und Exp<strong>an</strong>sion der Geschäftsaktivitäten).<br />

4. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse<br />

Im Rahmen der Untersuchung konnte ein stark signifik<strong>an</strong>ter Einfluss der Strategie<br />

(Best<strong>an</strong>ds- vs. Wachstumsorientierung) sowie der Phase der Unternehmensgründung<br />

auf die Anforderungen <strong>an</strong> die M<strong>an</strong>agementkompetenzen der Gründer festgestellt<br />

werden. Das Marktumfeld und die Unternehmensstruktur (Eigentümerstruktur,<br />

Anzahl der Gründer etc.) spielten nur eine geringe Rolle.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 433<br />

In wachstumsorientierten Gründungsunternehmen erscheint aufgrund des exp<strong>an</strong>siven<br />

Wachstums ein schneller Aufbau von professionellen M<strong>an</strong>agementstrukturen<br />

notwendig. Gründer müssen sich von umsetzungsorientierten „Machern“ zu führungsorientierten<br />

„Org<strong>an</strong>isatoren“ entwickeln. Während zu Beginn einer Unternehmensgründung<br />

zunächst Umsetzungs- und Innovationskompetenzen in Form von Innovations-<br />

und Risikobereitschaft, Durchhaltevermögen, Kreativität sowie Begeisterungs-<br />

und Kontaktfähigkeit gefragt sind, um Produkt- und Verfahrensinnovationen<br />

zu realisieren, werden im Laufe der Unternehmensentwicklung zunehmend Führungs-,<br />

Fach- und Methodenkompetenzen wichtiger.<br />

In der Untersuchung wurde auch deutlich, dass nicht alle Kompetenzen bei jedem<br />

einzelnen Gründer liegen müssen. Defizite hinsichtlich fachlicher und systemorientierter<br />

Kompetenzen können als Teamkompetenzen durch komplementäre Fähigkeiten<br />

weiterer (Mit-)Gründer oder externer Personen ausgeglichen werden. Dagegen<br />

stellen führungs- und umsetzungsorientierte Kompetenzen Einzelkompetenzen<br />

dar, die als Grundlage für die Vernetzung der Teamkompetenzen bei jedem Gründer<br />

vorh<strong>an</strong>den sein sollten, um eine Unternehmensgründung erfolgreich realisieren zu<br />

können.<br />

Neben der Frage, welche Kompetenzen in der Gründungsphase vorh<strong>an</strong>den sein<br />

müssen, interessieren auch die Möglichkeiten bzw. Maßnahmen, mit denen fehlende<br />

oder ungenügend vorh<strong>an</strong>dene M<strong>an</strong>agementkompetenzen entwickelt werden können.<br />

Diese variieren sowohl nach Art der fehlenden Kompetenzen als auch in Bezug auf<br />

die jeweilige Gründungsphase. Während in frühen Gründungsphasen aufgrund der<br />

geringen (fin<strong>an</strong>ziellen) Ressourcenausstattung insbesondere Maßnahmen der Kompetenzförderung<br />

(Weiterbildung, Beratung und Coaching) sowie Maßnahmen der Integration<br />

interner M<strong>an</strong>ager (Teamerweiterung und Einbindung von Kapitalgebern) Anwendung<br />

finden, kommt im Laufe der Unternehmensentwicklung zunehmend der<br />

Anstellung von externen M<strong>an</strong>agern eine höhere Bedeutung zu. Phasenunabhängig<br />

stellt zudem das Outsourcing von betrieblichen Funktionen (Aufgabenerfüllung durch<br />

rechtlich selbständige Org<strong>an</strong>isationen wie z.B. Steuerberater) eine geeignete Maßnahme<br />

zur Generierung von Kompetenzen dar.<br />

Nach der Ermittlung der Anforderungen <strong>an</strong> die M<strong>an</strong>agementkompetenzen von<br />

Gründern erscheint im Weiteren interess<strong>an</strong>t, inwieweit erfolgreiche Gründer bzw.<br />

Gründerteams in der Praxis tatsächlich auch über diese Kompetenzen verfügen. Dazu<br />

könnten die explorativ ermittelten Anforderungen im Rahmen einer Feldstudie in erfolgreichen<br />

Gründungsunternehmen weiter verifiziert werden. Zudem eröffnet sich<br />

die Frage, wie eine erfolgversprechende Kompetenzverteilung in Gründerteams aussehen<br />

könnte.


434 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Ulrike Kastler<br />

Einflüsse auf Bildungseinstellung und Bildungsverhalten in<br />

der Erwachsenenbildung, unter besonderer Berücksichtigung<br />

des sozialen Kontextes *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Werner Fröhlich, Donau-Universität Krems<br />

1. Fragestellung, Problemhinführung<br />

„Weiterbildung“ ist in ihrer Bedeutung mittlerweile unumstritten. Sie vermittelt<br />

das Rüstzeug, um in einer dynamischen, von Globalisierung und immer rascheren Innovationszyklen<br />

geprägten Welt zu bestehen. Lebensl<strong>an</strong>ges Lernen hat sich daher als<br />

ein unverzichtbares Mittel für die Konkurrenzfähigkeit am Arbeitsmarkt oder – <strong>an</strong>ders<br />

ausgedrückt – dafür, den Mitbewerbern immer eine Nasenlänge voraus zu sein,<br />

erwiesen.<br />

Bei allem (hypothetischen) Wissen um die Wichtigkeit von Fortbildung drängt<br />

sich aber eine Frage auf: Welches subjektive Weiterbildungsverhalten prägt jene Person,<br />

die diese tatsächlich für sich realisiert? Weit unklarer als die Tatsache, dass<br />

Schulungsmaßnahmen ergriffen werden (müssen), ist nämlich, warum diese im Einzelfall<br />

tatsächlich ergriffen werden, welche Sorgen, Befürchtungen, aber auch Erwartungen<br />

und Hoffnungen diesen vor<strong>an</strong>gehen. Und nicht minder sp<strong>an</strong>nend ist die Frage,<br />

wie der eingeschlagene Bildungsweg letztlich durch den Teilnehmer verarbeitet wird.<br />

(Bestehen Hürden wie Prüfungs<strong>an</strong>gst, Lernschwächen? Inwiefern motiviert das Lernumfeld<br />

den individuellen Bildungsfortg<strong>an</strong>g?)<br />

In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g gilt es auf ein M<strong>an</strong>ko in der existierenden Weiterbildungsliteratur<br />

hinzuweisen: Kaum ein empirischer Forschungsbeitrag beschäftigt sich<br />

mit sozialen Interaktionen (Berufsumfeld, Familie), die aber zweifellos – wie sich in<br />

der Weiterbildungsarbeit immer wieder bestätigte – in wechselseitigem Verhältnis<br />

zum Weiterbildungsbesuch stehen. Insbesondere die Familie versteht sich als ein<br />

Bindeglied zwischen dem Leben des Einzelnen und den Einwirkungen durch die<br />

Umwelt, bildlich gesprochen verkörpert sie eine „Bühne“, auf der sich übergreifende<br />

Prozesse und Ereignisse abspielen.<br />

Die zugrunde liegende Arbeit bemühte sich nun um eine lebensnahe Schilderung<br />

des individuellen Bildungsverhaltens und darüber hinaus um eine ebenso wirklichkeitsgetreue<br />

Abbildung der Rolle des sozialen Kontextes. Insbesondere der Konnex<br />

*<br />

Die Dissertation wird als überarbeitete Fassung unter dem Titel „Weiterbildung im sozialen<br />

Kontext. Eine empirische Studie zu fortbildungsbedingten Implikationen innerhalb der Familie“<br />

in der Edition Donau-Universität Krems als B<strong>an</strong>d Nr. 4 der Reihe “Studies in Lifelong<br />

Learning“ im Frühjahr 2004 erscheinen.<br />

Kontaktaufnahme mit der Autorin unter ulrike.kastler@donau-uni.ac.at.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 435<br />

der beiden Themengebiete Weiterbildung und Familie konnte durch umf<strong>an</strong>greiche<br />

qualitative Studien gut herausgearbeitet werden.<br />

2. Theoretische Basis<br />

Der Bildungsweg wurde als psychosozialer Prozess – quasi von Entscheidungsphase<br />

bis zu abschließendem Kursrückblick – in den Rahmen motivations- und volitionstheoretischer<br />

Erkenntnisse eingeflochten. Als wissenschaftliches Fundament<br />

diente das Konzept der „Kritischen Lebensereignisse“, dessen Kernaussage sich wie<br />

folgt formulieren lässt: Wird in den kognitiven Strukturen des Betroffenen eine Disharmonie<br />

verursacht, zeichnet ein kritisches Moment dafür ver<strong>an</strong>twortlich. Im Weiterbildungskontext<br />

bestünde eine „kritische“ Wirkung beispielsweise in einer Inkonsistenz<br />

von intrapersonal gewollter und (beruflich oder gesellschaftlich) erwünschter<br />

Bildungsbetätigung. Die Konsequenz dieser Disson<strong>an</strong>z ist eine so gen<strong>an</strong>nte „Sp<strong>an</strong>nung“,<br />

ein erhöhter Stresszust<strong>an</strong>d, der unter Mitwirkung externer Unterstützung (z.B.<br />

durch die Familie) wieder zu reduzieren versucht wird.<br />

Ursprünglich aus der Medizin entst<strong>an</strong>den, hat dieses Modell mittlerweile große<br />

Verbreitung in der Anwendung auf psychologisch-soziologische Lebenssituationen<br />

gefunden. Es ist daher auch für die Erklärung des Weiterbildungskontextes im familiären<br />

Umfeld besonders gut geeignet: Die Familie versteht sich einerseits als Träger<br />

eines konfliktbehafteten Ereignisses, <strong>an</strong>dererseits wirkt sie in ihrer Reaktion unterstützend<br />

auf den Partner ein.<br />

3. Untersuchungsdesign<br />

Aufgrund der eing<strong>an</strong>gs formulierten Fragestellung ist eine Methodentri<strong>an</strong>gulation<br />

naheliegend. Die durchleuchteten Kriterien beinhalten nur zum Teil qu<strong>an</strong>tifizierbare<br />

Tatbestände (z.B. im Bereich „Familie“) oder entziehen sich aufgrund fehlender<br />

Skaleneigenschaften einer Auswertung mittels Inferenzstatistik. Es wurde daher neben<br />

qu<strong>an</strong>titativen auf qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung zurückgegriffen,<br />

die in Teilbereichen eine bessere Abbildung des Forschungsgegenst<strong>an</strong>des<br />

erlauben. Es ergibt sich somit eine Kombination von qu<strong>an</strong>titativen und qualitativen<br />

Verfahren mit dem Bestreben, zu einer Theorieentwicklung und Hypothesengenerierung<br />

zu gel<strong>an</strong>gen. Zur Datengewinnung kamen im Wesentlichen zwei Instrumente<br />

(Fragebogen, qualitatives Interview) zur Anwendung, wobei eine roulierende Modifikation<br />

im Hinblick auf entstehende, bis dato noch nicht erfasste Forschungsfragen<br />

sinnvoll erschien. Die Datenauswertung erfolgte zum einen computergestützt (Fragebogenerhebung),<br />

zum <strong>an</strong>deren mittels qualitativer Inhalts<strong>an</strong>alyse nach Mayring.<br />

Als Prob<strong>an</strong>den wurden ausschließlich Studierende der Donau-Universität Krems<br />

her<strong>an</strong>gezogen. Der enge Kontakt zu den Studierenden erwies sich vor allem in der Interviewsituation<br />

als unersetzliche Hilfestellung. Durch das persönliche Verhältnis<br />

konnte der äußerst sensible Bereich „Familie“ nicht nur behutsam aufgerollt, sondern<br />

d<strong>an</strong>k der bereitwilligen Auskünfte auch mit reichhaltigem Datenmaterial unterlegt<br />

werden.


436 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

4. Ergebnisse<br />

Themenkreis „Intrapersonale Bildungsbewältigung“<br />

Aus Sicht der Bildungsk<strong>an</strong>didaten war zunächst zwischen sp<strong>an</strong>nungsbedingten<br />

und sp<strong>an</strong>nungsunabhängigen Konsequenzen zu unterscheiden.<br />

Die Analyse der erhobenen Daten ließ erkennen, dass der überwiegende Teil der<br />

Befragten keiner oder nur äußerst mäßiger Sp<strong>an</strong>nung unterlag. Anders ausgedrückt:<br />

Nur eine kleine Minderheit sah sich mit einem erhöhten Stresszust<strong>an</strong>d konfrontiert,<br />

der eindeutig dem Ereignis „Weiterbildung“ bzw. den in Frage gestellten kognitiven<br />

Denkstrukturen zuzurechnen war. Für 8 von 10 Prob<strong>an</strong>den war „Weiterbildung“ offenbar<br />

im Weltbild integriert; der befürchtete „Bildungsschock“ blieb aus. Sofern a-<br />

ber Sp<strong>an</strong>nung konstatiert wurde, zeichnete nicht nur die Fortbildung per se, sondern<br />

der unternehmerische Entscheidungsprozess (= „Befehl“ von oben, die Weiterbildung<br />

besuchen zu müssen) dafür ver<strong>an</strong>twortlich. Somit ließen sich zwei kritische Ereignisse<br />

identifizieren: Weiterbildung auf der einen, der Unternehmensbeschluss auf der<br />

<strong>an</strong>deren Seite. Es zeigte sich weiters, dass Letzterer in höherem Maße eine diagnostizierte<br />

Inkonsistenz verursachte.<br />

Sp<strong>an</strong>nungsunabhängige, negative Faktoren traten in Form von Prüfungsstress<br />

und unzureichendem Lernverhalten in Erscheinung. Als wesentliche Pluspunkte<br />

konnten hingegen die Aspekte „Selbstbestätigung“ sowie „beruflich-materielle Hoffnungen“<br />

(Karriere, Einkommen) identifiziert werden.<br />

Themenkreis „Familie“<br />

Wie erwartet, wurden individuelle, weiterbildungsbedingte Befindlichkeiten auf<br />

der Seite der Studierenden zu allererst am familiären Schauplatz ausgetragen. Dies<br />

betraf sowohl sp<strong>an</strong>nungsabhängige als auch -unabhängige Effekte. Geortet wurden<br />

innerfamiliäre Auswirkungen auf mehreren Ebenen:<br />

zeitlich (oftmalige Abwesenheit, Zeitaufw<strong>an</strong>d für Lernen vermindert Familienzeit)<br />

emotional (negativ – Gereiztheit, Überlastung des Partners durch Erziehungsaufgaben;<br />

positiv – Kommunikation, Alternativinteressen gesteigerte Beziehungsintensität)<br />

materiell (Hoffnung auf zukünftige Steigerung des Familieneinkommens)<br />

intellektuell (Bereicherung der Kommunikation um Fachthemen)<br />

Während der größte Malus in der Partnerschaft dem knappen Zeitbudget zufiel,<br />

betraf das positive Pend<strong>an</strong>t die emotionale Dimension. Diese ging – genauso überraschend<br />

wie eindeutig – als „overall winner“ des Weiterbildungsbesuches hervor.<br />

Zwar wurden mehrere Faktoren identifiziert, die die partnerschaftliche Stimmung positiv<br />

beeinflussten, am häufigsten gen<strong>an</strong>nt wurden jedoch die Stichworte „Kommunikation“<br />

und „Alternative Interessen“: Durch die Erlebnisse im Kurs (egal ob fachlicher<br />

oder <strong>an</strong>ekdotischer Natur) gab es in der – von Alltagsgesprächen dominierten –<br />

Partnerschaft wieder Neues zu berichten, was von beiden Beteiligten als überaus er-


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 437<br />

frischend empfunden wurde. Viel gewichtiger erwies sich jedoch noch der Einfluss<br />

der „alternativen Interessen“ als Sammelbegriff für die Möglichkeit des Partners,<br />

sich frei und ohne schlechtes Gewissen den eigenen Interessen zu widmen. Insbesondere<br />

Frauen neigen dazu, ihre Aktivitäten ausschließlich auf Kind und Ehem<strong>an</strong>n auszurichten.<br />

Ein (zw<strong>an</strong>gsweise auferlegter) Freiraum – bedingt durch die Abwesenheit<br />

des Partners – eröffnete ihnen nun die Ch<strong>an</strong>ce, längst vergessene Hobbys wieder aufleben<br />

zu lassen, befreit dem Shopping nachzugehen oder einfach nur Müßigg<strong>an</strong>g zu<br />

betreiben. G<strong>an</strong>z augenscheinlich förderte der Weiterbildungsbesuch also in doppelter<br />

Weise die persönliche Entfaltung: Zum einen in Bezug auf den Studierenden (vgl.<br />

oben), zum <strong>an</strong>deren hinsichtlich des zu Hause verweilenden Partners. Diese beidseitige<br />

„Orientierung am Ich“ entpuppte sich als Balsam für die eigene Seele und wirkte<br />

in weiterer Folge auch befruchtend für die Zweisamkeit.<br />

Obwohl im Verhältnis zum Kind insgesamt weniger starke Effekte nachgewiesen<br />

werden konnten, gilt es die reziproke Wirkung der Weiterbildung hervorzuheben.<br />

Während vom Kind – allein durch seine Präsenz – eine ungeheure Kraftquelle auszugehen<br />

schien, die dem Vater/der Mutter die <strong>an</strong>strengende Lehrg<strong>an</strong>gssituation erleichterte,<br />

bewirkte der studierende Elternteil umgekehrt einen Einstellungstr<strong>an</strong>sfer. „Weiterbildung<br />

ist wichtig und gehört zum Leben dazu“ lautete die Botschaft, die dem<br />

Nachwuchs implizit mitgegeben wurde. Von negativen Auswirkungen des Studiums<br />

auf das Kind, wie sie in der partnerschaftlichen Beziehung zu vernehmen waren,<br />

wurde hingegen nur vereinzelt berichtet. Vielmehr wurde g<strong>an</strong>z bewusst versucht,<br />

Sohn und Tochter nicht in Mitleidenschaft zu ziehen.<br />

Fazit: Der Partner musste oftmals als „Blitzableiter“ während des Weiterbildungsbesuches<br />

fungieren, konnte allerdings auch den größeren Nutzen für sich und<br />

die Partnerschaft verzeichnen. Im Vergleich dazu wurde nur eine bescheidene – jedoch<br />

fast immer positive – Auswirkung auf die Kinder registriert.<br />

Themenkreis „Beruf“<br />

Der Einfluss des Unternehmens war oftmals problematisch: Mitarbeiter wurden,<br />

freilich in bester Absicht (zwecks Qualifikationserwerb), zum Weiterbildungsbesuch<br />

ents<strong>an</strong>dt; die Art und Weise, wie die Auswahl der geeigneten K<strong>an</strong>didaten erfolgte,<br />

erwies sich jedoch mehrfach als misslungen. Nicht wenige der „geförderten“ Mitarbeiter<br />

waren mit dem Prozedere der Unternehmensentscheidung nicht einverst<strong>an</strong>den<br />

und daher von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> sp<strong>an</strong>nungsbehaftet. Es konnte eindeutig belegt werden, dass<br />

diese Sp<strong>an</strong>nung wiederum – besonders in den Bereichen „Familie“ und „Intrapersonale<br />

Lehrg<strong>an</strong>gsbewältigung“ – die Abfolge der o.a. belastenden Ereignisse zu ver<strong>an</strong>tworten<br />

hatte.<br />

Heikel war die berufliche Situation auch während der Weiterbildungsteilnahme.<br />

So konnte dokumentiert werden, dass<br />

die Zeitknappheit im Beruf,<br />

der Erfolgsdruck, dem die studierenden Mitarbeiter ausgesetzt sind, und


438 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Beschwerden der Kollegen im Unternehmen (aufgrund der Mehrbelastung, die<br />

ihnen durch die Abwesenheit des Studierenden zufiel)<br />

die Hauptschuld <strong>an</strong> einem diagnostizierten Belastungszust<strong>an</strong>d tragen.<br />

5. Resümee<br />

Als Quintessenz der Arbeit ist die Verzahnung von Weiterbildung und Familie<br />

zu unterstreichen: Weiterbildung hinterlässt durchwegs eine positive Bil<strong>an</strong>z, sowohl<br />

was das Verhältnis zum Partner als auch das zum Kind <strong>an</strong>bel<strong>an</strong>gt. Ich betrachte es als<br />

ein wichtiges Ergebnis der vorliegenden Arbeit, diesen Effekt empirisch nachgewiesen<br />

zu haben. Vielleicht wurde damit ein Beitrag geleistet, um diesbezügliche Sorgen<br />

der Studierenden (und deren Familien) zu zerstreuen und sich etwas befreiter auf das<br />

Weiterbildungsvorhaben einzulassen. Denn dieses versteht sich offenbar nicht nur als<br />

Antrieb für den beruflichen Fortg<strong>an</strong>g, sondern ebenso als Gelegenheit, neuen<br />

Schwung in das Privatleben zu bringen.<br />

Cornelia Martin<br />

Interkulturelle Kompetenzen und deren Vermittelbarkeit<br />

durch Repatriates *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Dres. h.c. Eduard Gaugler, Universität<br />

M<strong>an</strong>nheim<br />

1. Fragestellung der Untersuchung<br />

In Unternehmen mit einem hohen Anteil <strong>an</strong> internationalen Aktivitäten und daraus<br />

bedingten Ausl<strong>an</strong>dsentsendungen besteht ein Bedarf <strong>an</strong> Vorbereitungsmaßnahmen<br />

im Vorfeld einer Entsendung. Im Kern zielen diese Bemühungen auf die Vermittlung<br />

von interkulturellen Kompetenzen zur Erleichterung der Interaktion mit<br />

fremdkulturell geprägten Geschäftspartnern ab, um eine erfolgreiche Ausl<strong>an</strong>dstätigkeit<br />

bei dem für die Ausl<strong>an</strong>dentsendung vorgesehenen Mitarbeiter bestmöglich zu unterstützen.<br />

Gleichzeitig besteht durch zurückgekehrte Ausl<strong>an</strong>dsents<strong>an</strong>dte eine unternehmensinterne<br />

Hum<strong>an</strong>ressource bei der bedingt durch ihren Ausl<strong>an</strong>dsaufenthalt und<br />

ihre Bewährung im fremdkulturellen Umfeld die Grund<strong>an</strong>nahme des Erwerbs interkultureller<br />

Kompetenzen vorliegt.<br />

*<br />

Cornelia Martin: Interkulturelle Kompetenzen und deren Vermittelbarkeit durch Repatriates.<br />

Profession. Wissenschaftsedition im <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, Folge 33, ISBN 3-87988-568-0,<br />

<strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, München und Mering 2001, 280 S., € 29,65.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 439<br />

Der Ausg<strong>an</strong>gspunkt der Untersuchung besteht darin, die beiden Aspekte internationalen<br />

Personalm<strong>an</strong>agements – Nachfrage und Angebot <strong>an</strong> interkulturellen Kompetenzen<br />

– zusammenzubringen und zu untersuchen, ob und inwieweit reintegrierte<br />

Führungskräfte als Ressource zur Bedarfsdeckung dieser spezifischen Qualifizierungs<strong>an</strong>forderungen<br />

einsetzbar sind. Im Mittelpunkt steht damit die Erörterung der<br />

Eignung von Repatriates zur Vermittlung interkultureller Kompetenzen..<br />

Zur Absicherung dieser Fragestellung wurde in einer hinführenden Befragung<br />

international agierender Unternehmen erk<strong>an</strong>nt, dass der Themenaspekt des Repatriates<br />

als Trainer derzeit kaum Einsatz findet und ein Untersuchungsdefizit vorliegt.<br />

2. Vorgehen<br />

Als theoretische Basis für die praxisorientierte Untersuchung dient die Erörterung<br />

des Qualifikationsbegriffs „interkulturelle Kompetenzen“ im Unternehmenskontext,<br />

fundierend auf dem Kulturbegriff und den Ergebnissen der kulturvergleichenden<br />

M<strong>an</strong>agementforschung. Eine Differenzierung in kulturübergreifende, länderkulturspezifische<br />

und tätigkeitsabhängige Qualifikationselemente als Einzelcluster des<br />

komplexen Qualifikationskonstrukts ermöglicht durch die Her<strong>an</strong>ziehung der didaktischen<br />

Dimensionen eine Bewertung der einzelnen Qualifikationsbest<strong>an</strong>dteile. Die<br />

hinsichtlich ihrer Vermittelbarkeit bewerteten Einzelaspekte der interkulturellen<br />

Kompetenzen sowie ein entwickeltes generelles Anforderungsprofils für Trainer in<br />

Vorbereitungsmaßnahmen für Ausl<strong>an</strong>dsentsendungen bilden das konzeptionelle<br />

Grundgerüst für die Untersuchung der Verwertbarkeit von Repatriates zur Vorbereitung<br />

von Mitarbeitern auf Ausl<strong>an</strong>dseinsätze. Dabei wird diskutiert, inwieweit Repatriates<br />

den formalen Anforderungen der betrieblichen Vermittlungspraxis genügen<br />

und welche Erfordernisse <strong>an</strong> die Vermittlungssituation bestehen, damit eine Einsatzeignung<br />

des Repatriates zu erwarten ist. Der zentrale Diskussionspunkt der inhaltlichen<br />

Eignungsuntersuchung orientiert sich dabei <strong>an</strong> der Fragestellung, inwieweit verschiedene<br />

Typen von Repatriates während ihrer vorgelagerten Entsendung interkulturelle<br />

Kompetenzen erwerben konnten. Interkulturelles Lernen während des Ausl<strong>an</strong>dseinsatzes<br />

wird dabei über das Beziehungsgeflecht der exogenen und endogenen<br />

Determin<strong>an</strong>ten der Person des Repatriates, des Unternehmens sowie der Gastl<strong>an</strong>dskultur<br />

untersucht.<br />

Durch die Untersuchung von Qualifizierungsmethoden zur Vermittlung interkultureller<br />

Kompetenzen, die sich hinsichtlich ihrer didaktischen Zugehörigkeit bzw. ihrer<br />

inhaltlichen Ausrichtung und deren Gestaltungsbedingungen unterscheiden, werden<br />

jeweils Einsatzmöglichkeiten der Repatriates in den Phasen der Vorbereitung und<br />

Durchführung der Qualifizierungsmaßnahmen herausgearbeitet und bewertet. Hierbei<br />

sind Zielsetzung und Inhalte sowie Zielgruppe der interkulturellen Vorbereitungsmaßnahmen<br />

maßgeblich zur Entscheidung der Einsatzbefähigung des Repatriates,<br />

wobei unterschiedliche Anforderungen geprüft werden, die durch die Ausgestaltungsmöglichkeiten<br />

des Trainings und die vorgesehene Rolle des Repatriates entstehen.


440 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Gestützt und <strong>an</strong> der praxisrelev<strong>an</strong>ten Realität gemessen wird das theoretische<br />

Konstrukt durch eine explorative Studie mit 41 Prob<strong>an</strong>den aus dem Segment großer,<br />

international tätiger Unternehmen in Deutschl<strong>an</strong>d.<br />

3. Ergebnisse<br />

Der vielgestaltige und amorphe Begriff der interkulturellen Kompetenzen erfährt<br />

eine Konkretisierung und Systematisierung, welche einen Bezugsrahmen für weiterführende<br />

Fragestellungen generiert. Weiterhin werden relev<strong>an</strong>te Parameter herausgearbeitet,<br />

die Einfluss nehmen auf den Erwerb und Ausbildung interkultureller Kompetenzen.<br />

Auf Grundlage des entwickelten Modells interkultureller Kompetenzen werden<br />

Empfehlungen zur Strukturierung von Methoden interkulturellen Trainings entwickelt.<br />

Weiterhin liefert das Modell einen Orientierungsrahmen für die Durchführung<br />

interkultureller Trainingsmaßnahmen, bei welchem Repatriates zum Einsatz gel<strong>an</strong>gen.<br />

Das entwickelte Modell k<strong>an</strong>n dazu dienen, Entscheidungssituationen zur Auswahl<br />

von Repatriates sowie zur Beurteilung deren spezifischer Eignung und Einsatzmöglichkeiten<br />

im didaktischen Vermittlungsprozess interkultureller Kompetenzen zu<br />

strukturieren.<br />

Birgit Renzl<br />

Wissensbasierte Interaktion – Selbst-evolvierende Wissensströme<br />

in Unternehmen *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dipl.-Ing. Dr. H<strong>an</strong>s H. Hinterhuber<br />

1. Problemstellung und theoretischer Hintergrund<br />

Die Errungenschaften der Informations- und Kommunikationstechnologie ebneten<br />

den Weg für die Wissensgesellschaft und üben einen maßgeblichen Einfluss auf<br />

die Unternehmensumwelt aus. Die Technik bietet die Möglichkeit, Grenzen in Bezug<br />

auf Raum, Zeit und Geschwindigkeit zu überwinden. Eine immer größer werdende<br />

Menge von Daten und Informationen k<strong>an</strong>n in immer kürzen Zeitabständen verarbeitet<br />

werden. Die menschliche Informationsverarbeitungskapazität ist beschränkt. Es gilt,<br />

aus der Flut <strong>an</strong> Informationen, die tagtäglich auf ein Unternehmen hereinstürzt, das<br />

Relev<strong>an</strong>te herauszufiltern, dieses zu verarbeiten, in die Produkte und Leistungen einfließen<br />

zu lassen und neues Wissen zu kreieren.<br />

*<br />

Renzl, Birgit: Wissensbasierte Interaktion – Selbst-evolvierende Wissensströme in Unternehmen,<br />

erschienen in der Reihe Strategisches Kompetenzm<strong>an</strong>agement, DUV, Wiesbaden<br />

2003, 263 S., € 49,90.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 441<br />

Wissen stellt eine Quelle von Wettbewerbvorteilen für Unternehmen dar, insbesondere<br />

aus ressourcenorientierter Perspektive, die sich in der Diskussion der strategischen<br />

Unternehmensführung etabliert hat. Innerhalb des ressourcenorientierten Ansatzes<br />

ist die Perform<strong>an</strong>ce eines Unternehmens nicht primär abhängig vom Marktverhalten<br />

und der Marktstruktur, sondern von den unternehmenseigenen, besonderen<br />

Leistungspotenzialen.<br />

Im Vordergrund stehen daher Aufbau und Kultivierung der Ressourcen einer<br />

Org<strong>an</strong>isation. Dabei nimmt die Ressource Wissen eine Sonderstellung ein und bildet<br />

die Grundlage für eine wissensorientierte Perspektive. Demzufolge vermögen Unternehmen<br />

durch einzigartige Fähigkeiten und Fertigkeiten Wettbewerbsvorteile gegenüber<br />

den Mitbewerbern zu generieren. Unternehmensindividuelle Kompetenzen basieren<br />

auf Wissen, das in der Org<strong>an</strong>isation zirkuliert. Aufgabe der Org<strong>an</strong>isation ist es,<br />

Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen optimalen Wissensfluss innerhalb des<br />

Unternehmens ermöglichen und fördern.<br />

Im Umg<strong>an</strong>g mit der Ressource Wissen sind dessen spezifische Charakteristika<br />

zu berücksichtigen. Wissen umfasst zwei komplementäre Dimensionen, einen expliziten<br />

und einen impliziten Anteil. Explizites Wissen ist formalisier- und artikulierbar,<br />

stellt jedoch nur die Spitze des Eisberges des gesamten Wissensvolumens dar. Implizites<br />

Wissen wird oftmals über persönliche Erfahrungen erl<strong>an</strong>gt, ist häufig unbewusst<br />

und stellt das Fundament, die Wissensbasis dar. Durch die Interaktion zwischen implizitem<br />

und explizitem Wissen mehrer Individuen bzw. Gruppen von Personen entsteht<br />

neues Wissen. Eine weitere Unterscheidung ist jene in individuelles und kollektives<br />

Wissen. Wettbewerbsvorteile entstehen durch die Org<strong>an</strong>isation des kollektiven<br />

Wissens. Kollektives Wissen ist eine Mischung aus explizitem und verborgenem<br />

Wissen, es ist in ein Netz von Beziehungen so eingebettet, dass m<strong>an</strong> es nicht in Einzelteile<br />

zerlegen und als solche imitieren oder erwerben k<strong>an</strong>n. Die Übermittlung von<br />

Wissen im Unternehmen wird durch diese Kontextgebundenheit erschwert. Diesem<br />

Umst<strong>an</strong>d wird in der Literatur nicht ausreichend Rechnung getragen. Die erste zentrale<br />

Forschungsfrage lautet daher:<br />

„Wie k<strong>an</strong>n Wissen vor allem dessen implizite Dimension innerhalb der Org<strong>an</strong>isation<br />

tr<strong>an</strong>sformiert, i.e. ausgetauscht und weiterentwickelt werden?“<br />

Wissen wird nicht als objektiv gegebener Inputfaktor verst<strong>an</strong>den, sondern wird<br />

in den Prozessen der Interaktion konstruiert. Wissen entsteht durch das Zusammenspiel<br />

zwischen den beteiligten Personen. Dieses Zusammenspiel ist abhängig vom<br />

zugrunde liegenden Kommunikationsprozess, wie sich die Individuen unterein<strong>an</strong>der<br />

verständigen und ihre Ideen erklären können, wie sie Informationen selektieren und<br />

interpretieren. Bereits vorh<strong>an</strong>denes Wissen wird in den Prozessen der Interaktion<br />

zwischen den Org<strong>an</strong>isationsmitgliedern ausgetauscht und weiterentwickelt, sodass<br />

Wissen tr<strong>an</strong>sformiert wird und neues Wissen entsteht. Es besteht allerdings Unklarheit<br />

über den Ablauf der zugrunde liegenden Prozesse. Daraus ergibt sich die zweite<br />

Forschungsfrage:<br />

„Welche Faktoren beeinflussen die Prozesse der wissensbasierten Interaktion?“


442 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

In den Interaktionsprozessen h<strong>an</strong>deln die Individuen gemäß ihrer kognitiven<br />

Konstrukte oder mentalen Modelle. Diese Denk- und Verhaltensmuster, die Selektion<br />

und Interpretation von Informationen beeinflussen und h<strong>an</strong>dlungsleitend wirken, sind<br />

zumeist unbewusst und dennoch von entscheidendem Einfluss auf die Wissenstr<strong>an</strong>sformation.<br />

Faktoren, die menschliches Verhalten beeinflussen, rücken dabei ins Zentrum<br />

des Interesses. Entscheidend für die Tr<strong>an</strong>sformation von implizitem Wissen sind<br />

Intuition, Fingerspitzengefühl und emotionale Befähigung – typisch menschliche Eigenschaften<br />

bei denen die technischen Errungenschaften <strong>an</strong> ihre Grenzen stoßen.<br />

Diese Prozesse finden in der Literatur zur Wissensorg<strong>an</strong>isation jedoch kaum Berücksichtigung.<br />

Die dritte zentrale Forschungsfrage heißt daher:<br />

„Wie können die Prozesse der wissensbasierten Interaktion beeinflusst werden,<br />

um die Entwicklung von selbst-evolvierenden Wissensströmen im Unternehmen zu<br />

ermöglichen?“<br />

2. Aufbau der Arbeit und empirische Vorgehensweise<br />

Wissen in Org<strong>an</strong>isationen wird in der vorliegenden Arbeit auf der Grundlage einer<br />

konstruktivistischen Definition des Wissensbegriffs bearbeitet. Dies stellt für das<br />

M<strong>an</strong>agement von Wissen eine neue Herausforderung dar. Es gilt, etwas Unbek<strong>an</strong>ntes,<br />

nicht Greifbares zu org<strong>an</strong>isieren, zu steuern und zielgerichtet zu lenken. Dabei steht<br />

der wichtigste Einflussfaktor, das Individuum und sein Verhalten bei der Wissenstr<strong>an</strong>sformation,<br />

im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Die Prozesse der wissensbasierten<br />

Interaktion stellen die zentrale Analyseebene dieser Arbeit dar. Im Vordergrund<br />

stehen Art und Ablauf der Interaktionsprozesse, die von den mentalen Modellen<br />

und kognitiven Konstrukten der h<strong>an</strong>delnden Akteure beeinflusst werden.<br />

Ausg<strong>an</strong>gspunkt dieser Arbeit ist der ressourcenorientierte Ansatz und die besondere<br />

Rolle der int<strong>an</strong>giblen Ressourcen. Es wird auf die besonderen Charakteristika<br />

von Wissen und die daraus abgeleiteten Anforderungen für Wissen in Org<strong>an</strong>isationen<br />

hingewiesen. Die Bedeutung der impliziten Wissensdimension wird dargelegt und<br />

gezeigt, dass Wissen immer aus den beiden komplementären Anteilen des expliziten<br />

und impliziten Wissens besteht, und wie diese beiden Dimensionen zusammenwirken.<br />

Wissen stellt sich als ein Prozess dar, indem bewusst oder unbewusst unterschiedliche<br />

Aspekte des Wissens zu einem kohärenten G<strong>an</strong>zen integriert werden. Das<br />

bedeutet, dass Wissen nicht als statisches Objekt erachtet wird, sondern der dynamische<br />

Prozess des Wissens im Vordergrund steht, der immer auf eine konkrete Situation<br />

oder Problemstellung bezogen ist. Wissen ist mit der konkreten Problemstellung<br />

der wissenden Personen verknüpft und wird innerhalb des sozialen Gefüges konstruiert.<br />

Darauf aufbauend werden die Prozesse der Wissenstr<strong>an</strong>sformation, wie Wissen<br />

ausgetauscht und weiterentwickelt wird, näher betrachtet. Dabei zeigt sich, dass die<br />

Prozesse der Interaktion der beteiligten Personen von zentraler Bedeutung für die<br />

Wissenstr<strong>an</strong>sformation sind. Die wissensbasierte Interaktion stellt den Mittelpunkt<br />

der Wissensprozesse dar. Es wird daher die Interaktion thematisiert und auf den Ein-


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 443<br />

fluss der kognitiven Strukturen der beteiligten Personen hingewiesen. Es werden sieben<br />

Thesen formuliert und die damit verbundenen Implikationen für die Org<strong>an</strong>isation<br />

von Wissen in Unternehmen abgeleitet. Die Thesen stellen eine Zusammenfassung<br />

jener kritischen Faktoren dar, die es auf dem Weg zu selbst-evolvierenden Wissensströmen<br />

zu berücksichtigen gilt.<br />

In der empirischen Analyse wird eine konstruktivistische Annäherung <strong>an</strong> die<br />

Thematik gewählt und Fallstudien durchgeführt. Aufbauend auf die Methode des<br />

Cognitive Mapping wird eine Vorgehensweise konzipiert, die durch die Intervention<br />

in die Prozesse der wissensbasierten Interaktion Möglichkeiten der Kultivierung der<br />

Ressource Wissen bietet und selbst-evolvierende Wissensströme in Unternehmen <strong>an</strong>regt.<br />

Claudia Thielm<strong>an</strong>n-Holzmayer<br />

Die interne Bildung von Personalvermögen durch integratives<br />

Personalentwicklungsmarketing: Theoretische Begründung<br />

und konzeptionelle Bedingungen zur Übertragung des<br />

Marketings auf die Personalentwicklung als personalwirtschaftliche<br />

Aufgabe *<br />

Betreuer:<br />

Univ.-Prof. Dr. Dr. Gerhard E. Ortner, FernUniversität<br />

Hagen<br />

1. Problemstellung und Zielsetzung<br />

Der unternehmerische Erfolg hängt entscheidend von der zielgerichteten Nutzung<br />

geeigneter Qualifikationen und Motivationen der Mitarbeiter, ihren individuellen<br />

Personalvermögen, ab. Dem Bilden und Bereitstellen der für den unternehmerischen<br />

Leistungserstellungsprozess benötigten und oftmals knappen Personalvermögen<br />

kommt so im betriebswirtschaftlichen Kontext eine große Bedeutung zu. Hierdurch<br />

lässt sich Personalentwicklung als eine wichtige personalwirtschaftliche Teilaufgabe<br />

zur möglichst optimalen unternehmensinternen Bildung von Personalvermögen<br />

begründen. Dieser wissenschaftlichen Arbeit liegt aufbauend auf diesem Verständnis<br />

ein streng betriebswirtschaftliches Erkenntnisinteresse, bezogen auf das Erfahrungsobjekt<br />

„Personal“, zugrunde. Ein solches unterlag in der Verg<strong>an</strong>genheit vielerlei<br />

Kritik und ist auch bisl<strong>an</strong>g in Theorie und Praxis noch nicht ohne Vorbehalte<br />

*<br />

Claudia Thielm<strong>an</strong>n-Holzmayer: Interne Bildung von Personalvermögen durch integratives<br />

Personalentwicklungsmarketing, ISBN 3-8244-7722-X, Deutscher Universitäts-<strong>Verlag</strong> GmbH<br />

(DUV), Reihe GABLER Edition Wissenschaft, Wiesbaden 2002, € 54,90.


444 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

legitimiert. Dieses hängt auch damit zusammen, dass es l<strong>an</strong>ge Zeit <strong>an</strong> einem operationalen<br />

Ansatz für die Personalwirtschaft im Allgemeinen und die Personalentwicklung<br />

im Besonderen fehlte, der ein Wirtschaften im marktorientierten Verständnis ermöglicht,<br />

nach welchem Unternehmen und Mitarbeiter als Tauschpartner interpretiert und<br />

ihre Tauschgüter eindeutig bestimmt werden können.<br />

Die Autorin unternimmt es daher in ihrer Arbeit, zwei aktuelle Topoi der gegenwärtigen<br />

Personaltheoriediskussion auf ihre Eignung als Theoreme einer Personalwirtschaftslehre<br />

i. e. S. zu überprüfen. Die beiden von ihr hierfür ausgewählten<br />

komplexen Themenbereiche sind „Personalentwicklung“ einerseits sowie „Personalmarketing“<br />

<strong>an</strong>dererseits. Das Ziel besteht darin, auf theoretischer Ebene einen Ansatz<br />

einer operationalen marktorientierten Personalwirtschaft(-slehre) speziell für den<br />

Teilbereich der Personalentwicklung herzuleiten und zu begründen. Dar<strong>an</strong> <strong>an</strong>knüpfend<br />

wird der Frage nachgeg<strong>an</strong>gen, ob Marketing zur unternehmenszielbezogenen,<br />

möglichst optimalen Gestaltung und Steuerung der Bildung benötigter Qualifikationen<br />

und Motivationen von Mitarbeitern beitragen k<strong>an</strong>n. Hierzu werden aus personalwirtschaftlicher<br />

Sicht konzeptionelle Bedingungen für ein integratives Personalentwicklungsmarketing<br />

formuliert.<br />

2. Theoretische Basis<br />

Die Bearbeitung des Themas erfolgt insgesamt im Rahmen einer umf<strong>an</strong>greichen<br />

wissenschaftlichen Literaturarbeit.<br />

Die Arbeit basiert auf dem von Ortner begründeten Personalvermögens-<br />

Konzept, welches das Verfolgen eines streng personalwirtschaftlichen Erkenntnisinteresses<br />

unter Zugrundelegung einer Marktorientierung ermöglicht, losgelöst von<br />

<strong>an</strong>thropologischen, ethischen oder sonstigen Vorbehalten. Es erweist sich daher sowohl<br />

für die personalwirtschaftliche Theorie(-bildung) als auch für die personalwirtschaftliche<br />

Praxis als operational. Die sich <strong>an</strong>schließende Konzeption eines integrativen<br />

Personalentwicklungsmarketing knüpft <strong>an</strong> die Marketing-Konzeption nach Becker<br />

<strong>an</strong> und bezieht ferner Aspekte des Personalmarketing, des (Weiter-)Bildungsmarketing<br />

sowie des internen Marketing mit ein.<br />

3. Inhaltliches Vorgehen<br />

Ausgehend von der grundlegenden Annahme, dass bestimmte individuelle Qualifikationen<br />

und Motivationen der Mitarbeiter ein wichtiges und in bestimmten Wirtschaftsbereichen<br />

zunehmend knapper werdendes Gut bzw. einen zentralen (Produktions-)Faktor<br />

im unternehmerischen Leistungserstellungsprozess zur Erreichung der<br />

jeweilig verfolgten Unternehmensziele darstellen, wird – aufbauend auf dem Personalvermögens-Konzept<br />

– ein streng personalwirtschaftliches Erkenntnisinteresse abgeleitet.<br />

Die personalwirtschaftliche Aufgabe wird als zielgerichtete Bereitstellung<br />

benötigter und knapper Qualifikationen und Motivationen für den unternehmerischen<br />

Leistungserstellungsprozess unter Berücksichtigung des ökonomischen Denkens und<br />

H<strong>an</strong>delns auf Basis marktorientierter Tauschprozesse definiert. Sie wird hierdurch


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 445<br />

von <strong>an</strong>deren, nicht streng ökonomischen Erkenntnisinteressen bezogen auf das Erfahrungsobjekt<br />

„Personal“ bzw. „personale Arbeit im Unternehmen“ abgegrenzt. Der<br />

von Ortner geprägte Begriff „Personalvermögen“ wird dazu ausführlich <strong>an</strong>deren in<br />

Theorie und Praxis gebräuchlichen Begriffen, wie „Hum<strong>an</strong>-/Arbeitskapital“ und<br />

„Hum<strong>an</strong>-/Arbeitsvermögen“, gegenübergestellt und in seiner Relev<strong>an</strong>z für die personalwirtschaftliche<br />

Erkenntnisgewinnung im marktorientierten Verständnis erläutert.<br />

Personalentwicklung wird als eine wichtige personalwirtschaftliche Aufgabe mit<br />

investivem Charakter betrachtet und themenbezogen vor dem Hintergrund des Personalvermögens-Konzeptes<br />

unter Berücksichtigung der Gesamtheitlichkeit erläutert.<br />

Aus diesem Verständnis leitet sich die in dieser Arbeit vorgenommene intensive Beschäftigung<br />

mit der gesamtheitlichen internen Personalvermögensbildung ab, die als<br />

bedarfs- und potentialorientierte, zielgerichtete Erschließung von individuellen Personalentwicklungsvermögen<br />

im Unternehmen unter ausgewogener Berücksichtigung<br />

von Unternehmens- und Mitarbeiterzielen verst<strong>an</strong>den wird.<br />

Im weiteren Verlauf wird der Frage nachgeg<strong>an</strong>gen, ob es plausibel ist, gesamtheitliche<br />

interne Personalvermögensbildung im Sinne von Austauschbeziehungen<br />

zu interpretieren. Es wird dazu ein Marktverständnis hergeleitet, nach welchen<br />

Beziehungen zwischen Unternehmen und Mitarbeitern als Kunden-Liefer<strong>an</strong>ten-<br />

Beziehungen aufgefasst werden können. In diesem marktorientierten Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

werden Problembereiche herausgearbeitet, die Ungleichgewichtszustände im Rahmen<br />

der gesamtheitlichen internen Personalvermögensbildung begründen können. Dar<strong>an</strong><br />

<strong>an</strong>schließend wird <strong>an</strong>alysiert, inwieweit es möglich und personalwirtschaftlich legitimierbar<br />

ist, zur Optimierung dieser personalvermögensbasierten Tauschbeziehungen<br />

Marketing einzusetzen. Nach Darstellung allgemeiner Charakteristika des Marketing<br />

werden das Personalmarketing, das (Weiter-)Bildungsmarketing sowie das interne<br />

Marketing, von denen jeweils ein enger Bezug zur internen Personalvermögensbildung<br />

durch Personalentwicklung <strong>an</strong>genommen wird, hinsichtlich ihrer Ziele aus<br />

personalwirtschaftlichem Erkenntnisinteresse vor dem Hintergrund des Personalvermögens-Konzeptes<br />

<strong>an</strong>alysiert und bewertet. Als ein wichtiges Teilergebnis wird herausgearbeitet,<br />

dass diese Aspekte aufweisen, die durchaus zur Optimierung der internen<br />

Personalvermögensbildung genutzt werden können. Darauf aufbauend wird ein<br />

integratives Personalentwicklungsmarketing-Konzept entwickelt. Es wird gezeigt,<br />

dass es möglich ist, klassische Marketinginstrumente auf die, für ein integratives Personalentwicklungsmarketing<br />

charakteristische Absatz- und Beschaffungsorientierung<br />

zu übertragen und im personalwirtschaftlichen Verständnis zu gestalten. Von der<br />

Ziel- über die Strategieformulierung sowie dem Aufzeigen von Gestaltungsmöglichkeiten<br />

im Bereich des Marketing-Mix bis hin zu einer personalwirtschaftlichen Bewertung<br />

wird eine in sich geschlossene, vollständige Marketingkonzeption entwickelt,<br />

von der ein positiver Beitrag zur mittel- bis l<strong>an</strong>gfristigen Optimierung der internen<br />

Personalvermögensbildung erwartet wird.


446 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

4. Zusammenfassung und Ausblick<br />

Durch die in dieser wissenschaftlichen Arbeit zugrunde gelegte marktorientierte<br />

Perspektive im Zusammenh<strong>an</strong>g mit personaler Arbeit im Unternehmen wird schlüssig<br />

begründet, dass Marketing zur unternehmenszielgerichteten Gestaltung und Steuerung<br />

der internen Bildung von Personalvermögen eingesetzt werden k<strong>an</strong>n. Dieses<br />

marktorientierte, streng betriebswirtschaftliche Verständnis aufbauend auf dem Personalvermögens-Konzept<br />

wird von der Autorin als richtungsweisend betrachtet, um<br />

zukünftig der personalwirtschaftlichen Aufgabe, wie jeder <strong>an</strong>deren betriebwirtschaftlichen<br />

Aufgabe auch, erfolgreich und ohne Vorbehalte unter dem Primat ökonomischen<br />

Denkens und H<strong>an</strong>delns gerecht werden zu können. Erst hierdurch scheint es<br />

nach Ansicht der Autorin möglich, die Personalwirtschaft gleichberechtigt neben die<br />

übrigen betriebswirtschaftlichen Teilfunktionen treten zu lassen. Dieser Ansatz erlaubt<br />

es zudem, Mitarbeiter und Unternehmen als gleichberechtigte Vertragspartner<br />

zu interpretieren. Dieses ermöglicht eine moderne partnerschaftliche Betrachtung und<br />

Beh<strong>an</strong>dlung von Beziehungen zwischen Unternehmen und Mitarbeitern als Kunden-<br />

Liefer<strong>an</strong>ten-Beziehungen, was dem Ged<strong>an</strong>ken einer modernen Dienstleistungswirtschaft<br />

entspricht.<br />

5. Anreize und Kompensation<br />

Joachim Prinz<br />

Why Are Wages Upward Sloping with Tenure? An Empirical<br />

Test from the Professional Team Sports Industry<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Bernd Frick, Universität Witten-Herdecke<br />

1. Introduction <strong>an</strong>d Research Question<br />

Why is there a link between a worker’s wage <strong>an</strong>d job seniority, <strong>an</strong>d what is the<br />

role of productivity between this relation? During the past 40 years, several economists<br />

have worked out theories that explain this finding. Since Becker’s (1964) pioneering<br />

work on hum<strong>an</strong> capital investment, a multitude of alternative expl<strong>an</strong>ations<br />

have emulated Becker’s theory. Lazear’s (1981) delayed compensation <strong>an</strong>d Jov<strong>an</strong>ovic’s<br />

(1979a) matching approach are the most prominent of these competing theories.<br />

Generally, these researchers argue that workers with more job seniority earn more<br />

th<strong>an</strong> other workers with identical years of total labor market experience <strong>an</strong>d similar<br />

education. Thus, the upward-sloping <strong>an</strong>d concave age-earnings profile as theorized, is<br />

one of the most stylized facts in modern labor economics.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 447<br />

This finding is rather unspectacular, because intuitively it seems to be reasonable<br />

that workers’ wages are a function of the time spend in the labor market <strong>an</strong>d in<br />

particular of the length devoted with one <strong>an</strong>d the same employer. While this positive<br />

correlation is a commonly accepted result, a lot of controversial talk over the interpretation<br />

of the noticed association between earnings <strong>an</strong>d tenure has grown up over the<br />

past two decades, as the authors derived their findings from very different assumptions.<br />

Even years before the emergence of the two rival theories, Mincer (1974) questioned<br />

the hum<strong>an</strong> capital model, if <strong>an</strong> empirical test would fail to show that wage<br />

growth correlates with productivity progress. The first of the countless studies which<br />

were to follow on that attempted to <strong>an</strong>swer the question whether wages actually increase<br />

with productivity via tenure was Medoff/Abraham (1980,1981) who concluded<br />

that the hum<strong>an</strong> capital theory might not be adequate in explaining the upward-sloping<br />

age-earnings profile but instead the Lazear style model is more appropriate.<br />

Over time, progress has been made concerning the debate which researcher’s<br />

theory (or combination of theories) provides the best expl<strong>an</strong>ation for the positive<br />

wage-tenure relationship. In the mid 80’s Jov<strong>an</strong>ovic’s matching model was favored<br />

while the other two alternatives were discredited. Two very influential papers, Abraham/Farber<br />

(1987) <strong>an</strong>d Altonji/Shakotko (1987) concluded that wages slope upwards<br />

due to unobserved individual <strong>an</strong>d match heterogeneity <strong>an</strong>d not due to job seniority. In<br />

a subsequent work, Topel (1991) disproved these results <strong>an</strong>d argued that when the<br />

formers’ econometric problems were solved for, findings were supportive of the hum<strong>an</strong><br />

capital pattern. Altonji/Williams (1997) stroke back, reexamining <strong>an</strong>d defending<br />

the Altonji/Shakotko findings from 1987.<br />

To date, there is still <strong>an</strong> ongoing empirical dispute, seeking to clarify the relationship<br />

between wages <strong>an</strong>d tenure. Indeed, as noted by Felli/Harris (1996), this debate<br />

remains <strong>an</strong> open question in the empirical <strong>an</strong>alysis of labor markets. While even<br />

the latest bulk of empirical work has tested whether or not one particular theory c<strong>an</strong><br />

indeed explain the upward-sloping age-earnings profile (see Neumark/Taubm<strong>an</strong><br />

(1995) <strong>an</strong>d Azfar/D<strong>an</strong>ninger (2001)) studies that aimed to discriminate between all<br />

three competing hypotheses has not been conducted yet. In this respect, previous empirical<br />

evidence is suggestive but inconclusive, because of the difficulties in measuring<br />

precisely <strong>an</strong>d objectively individual worker productivity.<br />

The principal objective of this paper is to pave the road in order to gain a full<br />

underst<strong>an</strong>ding of the question which one theory provides the best expl<strong>an</strong>ation why<br />

wages increase with seniority. The fact, that empirical studies have not yet tackled the<br />

obvious question of checking all three major theories versus each other using data<br />

from one single industry with homogenous job characteristics is somewhat surprising.<br />

Due to this deficit, I believe that there is considerable room for improvement. Consequently,<br />

it’s time to breath new life into the puzzle that emerged more th<strong>an</strong> 20 years<br />

ago.


448 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

2. A Brief Review of the Theories<br />

The most recognized expl<strong>an</strong>ation of the wage-tenure profile is the theory of hum<strong>an</strong><br />

capital. Generally, the theory suggests that the accumulation of skills <strong>an</strong>d knowledge<br />

leads to <strong>an</strong> increase in productivity which, in turn leads to <strong>an</strong> increase in wages<br />

over the lifetime of a worker. The rising productivity is either due to firm-specific or<br />

general hum<strong>an</strong> capital aggregation. If on the one h<strong>an</strong>d the investment in hum<strong>an</strong> capital<br />

is general it is productive in raising productivity at every firm by the same amount.<br />

Thus, the wage mimics productivity. If on the other h<strong>an</strong>d the investment was made in<br />

specific hum<strong>an</strong> capital, the worker’s output will only increase in the present firm because<br />

it is useless in <strong>an</strong>y other. As such, a worker’s wage profile is initially higher<br />

<strong>an</strong>d after a certain (training) period lower th<strong>an</strong> his productivity.<br />

Alternatively, the theory of incentive wage, which suggests that backloading<br />

payment is used as a worker discipline device. Workers are undercompensated early<br />

in their career but are motivated to work hard in order to stay with the firm <strong>an</strong>d reap<br />

their due compensation that comes with longer tenure. This results because holding<br />

out payment until late in the individual’s lifetime alters the worker’s incentives to reduce<br />

his effort on the job. According to theory, incentive wages are most likely to be<br />

found where monitoring costs are high. As implicated above, hum<strong>an</strong> capital <strong>an</strong>d incentive<br />

wage theories agree on the fact that earnings rise with additional tenure, but<br />

they differ in whether productivity rises faster or slower th<strong>an</strong> does the wage, assuming<br />

perform<strong>an</strong>ce rises at all.<br />

The matching story proposes that due to information asymmetries recently hired<br />

workers earn less th<strong>an</strong> observationally similar employees whose perform<strong>an</strong>ce is<br />

known to the employer. As the employer learns a worker’s „real“ productivity, he either<br />

lays him off or pays him a wage that reflects his true productivity. As the percentage<br />

of workers whose productivity is unknown to the employer decends over<br />

time, wages rise with tenure. Whether the effect of tenure on wages is subst<strong>an</strong>tial was<br />

questioned by several economists due to the problem of unobserved heterogeneity<br />

across individuals <strong>an</strong>d across job matches in p<strong>an</strong>el settings. Briefly, they stress that<br />

this problem causes upward biased estimates of the tenure coefficient in a traditional<br />

OLS specification, because of the likely correlation between tenure <strong>an</strong>d unobserved<br />

individual <strong>an</strong>d job match specific effects. In order to remedy this distortion it is necessary<br />

to purge the estimation via a procedure that employs a specific instrumental<br />

variable for tenure that is correlated with it, but has actually nothing to do with the error<br />

term. As a result, the estimation will produce consistent returns to tenure. Testing<br />

these competing theories empirically is difficult, because most often real productivity<br />

measures are simply not available. The <strong>an</strong>alysis accounts for this setback.<br />

3. Data, Models <strong>an</strong>d Empirical Findings<br />

A unique database from a single professional sports industry, the National Basketball<br />

Association (NBA) is used to test the superiority of one model over others in<br />

explaining basketball players upward sloping age-earnings profiles. The data set is


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 449<br />

drawn from two primary sources, the Sporting News Official NBA Register <strong>an</strong>d the<br />

Sporting News Official NBA Guide. It consists of all players that appeared in at least<br />

one regular season game in <strong>an</strong>y of the ten consecutive NBA-seasons 1990/91-<br />

1999/2000. The total number of observations is about 4.500, with some players being<br />

active in all ten seasons <strong>an</strong>d others in only one of them. While player perform<strong>an</strong>ce<br />

figures (games played, minutes, field goals, free throws, three points, rebounds, assists,<br />

blocks, turnovers, steals etc.) <strong>an</strong>d individual characteristics (age, career duration,<br />

years with current team, draft number, participation in all star games <strong>an</strong>d a player’s<br />

height) are available for all athletes, this is not the case for player salaries. This<br />

information is missing for approximately 3% of the population.<br />

As indicated, empirical support for one or the other theory is rather comme ci<br />

comme ça, because these investigations rely on proxies for worker productivity that<br />

are more or less accurate. Since the professional sports scene provides the relev<strong>an</strong>t<br />

data, a reliable test of the various theories seems feasible. In <strong>an</strong> attempt to set a specification<br />

that tests the different theories, a traditional Mincer-type wage equation is<br />

used that tries to identify the determin<strong>an</strong>ts of player salaries via OLS regression <strong>an</strong>alysis.<br />

More precisely in this equation, players’ log earnings is used as dependent variable,<br />

wheras the regressors such as hum<strong>an</strong> capital variables (experience <strong>an</strong>d tenure),<br />

perform<strong>an</strong>ce parameters <strong>an</strong>d other controls try to explain the vari<strong>an</strong>ce in players’ salaries.<br />

According to hum<strong>an</strong> capital, player wages are determined solely on the basis of<br />

productivity improvements through the acquisition of general <strong>an</strong>d/or specific training.<br />

If this would be the case we would observe all coefficients in the wage equation except<br />

of the perform<strong>an</strong>ce coefficients to be zero: Productivity equals earnings. Controversely,<br />

the shirkling-threat model, which forecasts a positive correlation between<br />

tenure <strong>an</strong>d wage, independent of perform<strong>an</strong>ce. Or more simply: The magnitude of the<br />

tenure effect in the wage equation should be materially reduced after plugging in perform<strong>an</strong>ce<br />

statistics. However, if this is not being the case there exists <strong>an</strong> „isolated“<br />

tenure effect which c<strong>an</strong>not be justified via productivity improvements. Bringing in<br />

matching theory complicates the <strong>an</strong>alysis, due to the problem of individual <strong>an</strong>d job<br />

match specific effects. Thus, a valid instrument for tenure is used that purges the e-<br />

quation from estimation errors. If job match specific effects do indeed play a subst<strong>an</strong>tial<br />

role in determining a player’s wage, wage growth is rather a function of match<br />

quality th<strong>an</strong> a function of perform<strong>an</strong>ce improvements as postulated by hum<strong>an</strong> capital<br />

through the accumulation of tenure.<br />

My prefered 2SLS overall model suggests that shirking <strong>an</strong>d job matching theories<br />

in concert provide the best expl<strong>an</strong>ation for the upwards sloping age-earnings profiles<br />

of NBA players. Returns to tenure are found to be signific<strong>an</strong>t but it’s magnitude<br />

is reduced by 43%, when the spurious bias – stemming from OLS – is controlled for.<br />

The fact that tenure remains considerably large – unaffected of productivity – but is<br />

simult<strong>an</strong>eously subst<strong>an</strong>tially reduced due to job match specific effects, is in harmony<br />

with incentive <strong>an</strong>d matching arguments.


450 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

4. Final Thoughts<br />

The empirical findings refute to some extent the hum<strong>an</strong> capital model, a result<br />

that comes in rather surprisingly. While matching theory seems appealing it is not apparent<br />

why the shirking model holds to be true in <strong>an</strong> environment that is characterized<br />

by little monitoring costs. In this situation – which is most likely the case for NBA<br />

players – a piece rate compensation scheme a la Stiglitz (1975) would simply be employers’<br />

best response.<br />

An expl<strong>an</strong>ation why this is not observed comes from Blass (1992) who argues<br />

that piecemeal contracting causes high tr<strong>an</strong>saction costs for employers <strong>an</strong>d workers.<br />

Moreover, income „undiversified” players would not agree to such a compensation<br />

system due to it’s inherited risk that is in particular relev<strong>an</strong>t in the world of sports.<br />

Thus, the best „compromise” between principal <strong>an</strong>d agent is a deal that induces players<br />

to work hard <strong>an</strong>d takes away some of the risk players are exposed to. This is eleg<strong>an</strong>tly<br />

achieved via a relatively flat but upwards gradient age-earnings profile.<br />

Lars Reichm<strong>an</strong>n<br />

Entgeltflexibilisierung: Betriebswirtschaftliche und rechtliche<br />

Möglichkeiten <strong>an</strong> Beispielen der IT-Br<strong>an</strong>che <br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Walter A. Oechsler, Universität M<strong>an</strong>nheim<br />

1. Problemhinführung<br />

Mit einer Flexibilisierung von Entgeltsystemen werden in erster Linier zwei Ziele<br />

verfolgt. Zum einen sollen Personalkosten in Abhängigkeit der wirtschaftlichen<br />

Lage des Unternehmens flexibilisiert werden und leistungsunabhängige Entgeltsteigerungen<br />

vermieden werden. Zum <strong>an</strong>deren sollen wirksamere Anreize zu Produktivitäts-<br />

und Qualitätssteigerungen gesetzt werden.<br />

Innerhalb der Diskussionen um eine Flexibilisierung von Entgelten, wie auch<br />

um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft insgesamt, werden das deutsche<br />

Arbeitsrecht und insbesondere die bestehenden Tarifverträge immer wieder als<br />

St<strong>an</strong>dortnachteile bezeichnet. Trotz der vielfach beklagten rechtlichen Probleme einer<br />

Flexibilisierung von Entgelten in Deutschl<strong>an</strong>d haben erste Untersuchungen jedoch<br />

auch gezeigt, dass es einigen Unternehmen durch innovative Entgeltsysteme auch innerhalb<br />

des gegenwärtigen rechtlichen Regelungsrahmens vergleichsweise gut ge-<br />

<br />

Diese Arbeit ist 2002 unter dem Titel „Entgeltflexibilisierung: Betriebswirtschaftliche und<br />

rechtliche Möglichkeiten <strong>an</strong> Beispielen der IT-Br<strong>an</strong>che“ im Josef Eul <strong>Verlag</strong> erschienen.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 451<br />

lingt, sich Flexibilisierungspotentiale im Entgeltbereich zu verschaffen, während <strong>an</strong>dere<br />

Unternehmen die ihnen rechtlich zur Verfügung stehenden Spielräume nicht<br />

nutzen.<br />

Angesichts der von vielen Seiten beklagten m<strong>an</strong>gelnden Flexibilität der Entgeltsysteme<br />

stellt sich somit die Frage, ob diese vornehmlich auf die be<strong>an</strong>st<strong>an</strong>deten rechtlichen<br />

Hemmnisse oder auf ein m<strong>an</strong>gelhaftes Angebot geeigneter betriebswirtschaftlicher<br />

Lösungs<strong>an</strong>sätze im Bereich der Entgeltgestaltung zurückzuführen ist. Weiterhin<br />

k<strong>an</strong>n die m<strong>an</strong>gelnde Flexibilität bestehender Entgeltsysteme auch auf eine ungenügende<br />

Nutzung des aus betriebswirtschaftlicher und rechtlicher Sicht zur Verfügung<br />

stehenden Spielraums bei der flexiblen Gestaltung von Entgelten zurückzuführen<br />

sein.<br />

2. Theoretischer Zug<strong>an</strong>g der Untersuchung<br />

Um den Spielraum für eine Flexibilisierung von Entgelten und dessen Nutzung<br />

ermitteln zu können, bedarf es eines Analyserahmens, der neben den aus einem strategischen<br />

Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement erwachsenden Anforderungen und Einflussfaktoren<br />

auch weitere Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren auf die Flexibilisierung<br />

von Entgelten, insbesondere das im deutschen Kontext bedeutende System der<br />

industriellen Beziehungen, mit einbezieht.<br />

Als Ansatz für die Untersuchung dient eine modifizierte Form des aus der Industrial-Relations-Forschung<br />

stammenden Strategic-Choice-Ansatzes, mit dessen Hilfe<br />

sowohl die H<strong>an</strong>dlungsoptionen für eine Flexibilisierung innerhalb des Systems der<br />

industriellen Beziehungen, als auch die aus der Wahl der Akteure resultierenden Flexibilitätswirkungen<br />

<strong>an</strong>alysiert werden.<br />

3. Untersuchungsdesign<br />

Ziel der Arbeit ist es, die bestehenden Möglichkeiten zur Flexibilisierung von<br />

Entgelten in Deutschl<strong>an</strong>d aufzuzeigen und deren Nutzung in der Unternehmenspraxis<br />

kritisch zu hinterfragen. Entsprechend des gewählten konzeptionellen Rahmens werden<br />

zunächst die bestehenden rechtlichen H<strong>an</strong>dlungsspielräume aufgezeigt, die den<br />

Akteuren innerhalb des Systems der industriellen Beziehungen grundsätzlich zur Verfügung<br />

stehen. Im nächsten Schritt werden den rechtlichen Spielräumen die in der<br />

Betriebswirtschaft, und hier im Speziellen der Personalwirtschaft, zum gegenwärtigen<br />

Zeitpunkt bestehenden Optionen für die Gestaltung von Entgeltsystemen gegenübergestellt.<br />

Basierend auf den aufgezeigten bestehenden rechtlichen und betriebswirtschaftlichen<br />

H<strong>an</strong>dlungsspielräumen wird deren Nutzung <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der Untersuchung<br />

von Beispielen aus der Informations- und Kommunikationsbr<strong>an</strong>che <strong>an</strong>alysiert.<br />

4. Die empirische Überprüfung<br />

Zur Untersuchung der Nutzung der theoretisch bestehenden H<strong>an</strong>dlungsspielräume<br />

werden qualitative Fallstudien eingesetzt. Entsprechend des Strategic-Choice-<br />

Ansatzes wird hierbei die Nutzung der bestehenden H<strong>an</strong>dlungsspielräume unter Be-


452 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

achtung der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen in den betrachteten<br />

Unternehmen <strong>an</strong>alysiert.<br />

Die Arbeit verzichtet mit Blick auf das komplexe und noch weitgehend unerforschte<br />

Feld der Entgeltflexibilisierung auf eine empirisch breit <strong>an</strong>gelegte Untersuchung.<br />

Stattdessen werden vier Fallstudien mit explorativem Charakter durchgeführt,<br />

in denen insbesondere auf die Zusammenhänge zwischen bestehenden wirtschaftlichen<br />

Situationen der Unternehmen, den jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

und der Flexibilisierung von Entgelten eingeg<strong>an</strong>gen wird.<br />

Die Datenerhebung erfolgte aus Dokumenten wie Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen<br />

sowie über qualitative Interviews mit Personalver<strong>an</strong>twortlichen in den<br />

Unternehmen.<br />

5. Zielerreichung<br />

Anh<strong>an</strong>d des gewählten konzeptionellen Rahmens wurden zunächst die theoretischen<br />

rechtlichen und personalwirtschaftlichen H<strong>an</strong>dlungsspielräume deutscher Unternehmen<br />

für eine Flexibilisierung von Entgelten herausgearbeitet. Anh<strong>an</strong>d der Fallstudien<br />

wird deutlich, welche unterschiedlichen Strategien zur Flexibilisierung von<br />

Entgelten in der Praxis bestehen.<br />

Die Arbeit macht dabei deutlich, dass das Ausmaß der Flexibilisierung von Entgelten<br />

nicht generell durch arbeitsrechtliche Hemmnisse verhindert wird, sondern von<br />

komplexen Zusammenhängen von Faktoren innerhalb und außerhalb des Unternehmens<br />

bestimmt wird. Sie zeigt zudem beispielhaft verschiedenen Wege innerhalb des<br />

Systems der industriellen Beziehungen auf, wie Unternehmen zu einer Flexibilisierung<br />

von Entgelten gel<strong>an</strong>gen können und macht deutlich, dass eine optimale Lösung<br />

stets nur durch auf die spezifische Situation des Unternehmens zugeschnittene Lösungen<br />

erreicht werden k<strong>an</strong>n.<br />

6. Resümee<br />

Innerhalb der Diskussion um eine Flexibilisierung von Entgelten wird das deutsche<br />

Arbeitsrecht immer wieder als St<strong>an</strong>dortnachteil bezeichnet, da der durch die hohe<br />

Regelungsdichte des deutschen Systems der industriellen Beziehungen im internationalen<br />

Vergleich stark eingeschränkte Gestaltungsspielraum im Bereich des Personalm<strong>an</strong>agements<br />

die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen am<br />

St<strong>an</strong>dort Deutschl<strong>an</strong>d einschränke. Aus theoretischer Sicht besteht jedoch sowohl aus<br />

juristischer als auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht eine Reihe von Möglichkeiten<br />

zur Flexibilisierung von Entgelten.<br />

Auf der faktischen Seite stehen den ungenutzten rechtlichen Möglichkeiten von<br />

den Unternehmen ausgehende Restriktionen gegenüber. Diese betreffen in erster Linie<br />

die Strategien, Werte und gewachsenen Strukturen in den Unternehmen. Aus diesen<br />

resultieren zum einen unterschiedliche Flexibilitätsbedarfe in den Unternehmen,<br />

zum <strong>an</strong>deren eine Einschränkung der sinnvollen H<strong>an</strong>dlungsalternativen. Insbesondere<br />

zeigt sich hier, dass eine Flexibilisierung nicht um jeden Preis verfolgt wird. In ratio-


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 453<br />

nal begründeten Kalkülen wird hier häufig den guten Beziehungen zu Arbeitnehmervertretern<br />

auf betrieblicher und tariflicher Ebene der Vorzug gegenüber einer harten<br />

Flexibilisierungsstrategie gegeben, um ein <strong>an</strong>genehmes und produktivitätsförderndes<br />

Arbeitsklima zu gewährleisten.<br />

Für eine weitere Flexibilisierung von Entgelten besteht eine Reihe von Ansatzpunkten,<br />

die alle beteiligten Akteure betreffen können. Gewerkschaften und Betriebsräte<br />

können durch eine offenere Haltung zu flexiblen Entgelten eine verstärkte Nutzung<br />

flexibler Komponenten fördern. Die Rechtsprechung und die Gesetzgebung<br />

können durch eine Klärung unzureichend oder ungenau gelöster Probleme gerade bei<br />

einzelvertraglichen Flexibilisierungsinstrumenten deren Einsatz erleichtern. Die entscheidende<br />

Rolle bei einer weiteren Flexibilisierung müssen jedoch in jedem Fall die<br />

Unternehmen spielen. Nur wenn hier Flexibilisierungsstrategien mit entsprechendem<br />

Nachdruck verfolgt werden und bestehende Spielräume genutzt werden, k<strong>an</strong>n eine<br />

Flexibilisierung erfolgreich vor<strong>an</strong>getrieben werden.<br />

Axel Schlinghoff<br />

Karriere<strong>an</strong>reize für deutsche und amerik<strong>an</strong>ische<br />

Hochschullehrer – eine personalökonomische und empirische<br />

Untersuchung des l<strong>an</strong>gfristigen Forschungsoutputs<br />

Betreuerin: Prof. Dr. Uschi Backes-Gellner, Universität Zürich,<br />

vorher Universität zu Köln<br />

1. Fragestellung<br />

Immer wieder hört m<strong>an</strong>, dass das deutsche Hochschulsystem im internationalen<br />

Vergleich einen verhältnismäßig geringen Forschungsoutput hat. Wenn m<strong>an</strong> Indikatoren<br />

wie Nobelpreise pro Einwohner, Veröffentlichung in internationalen Spitzenzeitschriften<br />

oder die Anzahl der erhaltenen Zitate betrachtet, so k<strong>an</strong>n tatsächlich<br />

festgestellt werden, dass sich das deutsche Hochschulsystem bestenfalls im internationalen<br />

Mittelfeld der R<strong>an</strong>kings, <strong>an</strong> deren Spitze das US-amerik<strong>an</strong>ische, das britische<br />

und kleinere europäische Hochschulsysteme stehen, bewegt. Ebenso fällt aber auf,<br />

dass der Abst<strong>an</strong>d abnimmt, je breiter Forschungsoutput gemessen wird. Hiermit ist<br />

oft der Hinweis verbunden, dass deutsche Hochschullehrer insbesondere nach der ersten<br />

Berufung zu wenige Anreize hätten, um ihre Forschungsleistungen zu steigern.<br />

Vor der ersten Berufung st<strong>an</strong>d bisher die Habilitation, die <strong>an</strong>geblich die Eigenständigkeit<br />

der Nachwuchswissenschaftler und damit das Ausschöpfen ihrer Produktivität<br />

behindern soll. Da auch im internationalen Vergleich kurzfristige explizite Anreize<br />

für Hochschullehrer wenig üblich sind, untersucht die vorliegende Arbeit die Anreize,


454 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

die aus der Gestaltung von Karrierepfaden für Hochschullehrer hervorgehen und deren<br />

Auswirkungen auf den Forschungsoutput im Verlauf der Karriere.<br />

2. Leistung- und Qualifizierungsturniere als Erklärung für die<br />

Produktivitätsschw<strong>an</strong>kungen im Karriereverlauf<br />

Analytisches Hilfsmittel sind Alterspublikationsprofile, bei denen der Forschungsoutput<br />

gegen eine Zeitachse abgetragen wird. Solche Alterspublikationsprofile<br />

zeigen typischerweise einen Anstieg zu Beginn der Karriere und einen Abfall<br />

zum Ende hin. Bei amerik<strong>an</strong>ischen Wirtschaftswissenschaftlern ist dieser Anstieg<br />

stärker ausgeprägt und gefolgt von einem Abfall nach ca. sechs Jahren. Anschließend<br />

bleibt der Forschungsoutput auf etwa gleichem Niveau, bevor er zum Karriereende<br />

hin abfällt. Bei deutschen Wirtschaftswissenschaftlern bleibt der Forschungsoutput<br />

auf dem Niveau des ursprünglichen Anstiegs und fällt d<strong>an</strong>n zum Karriereende hin e-<br />

benfalls l<strong>an</strong>gsam ab. In individuellen Alterspublikationsprofilen beobachtet m<strong>an</strong> neben<br />

diesem Verlauf auch das Auftreten deutlicher Spitzen des Forschungsoutputs.<br />

Ausgehend vom Grundmodell der Tournamenttheorie nach Lazear/Rosen (1981) sollen<br />

die oben beschriebenen stilisierten Fakten für den Verlauf von Alterspublikationsprofilen<br />

erklärt werden. Die Tournamenttheorie postuliert, dass ein Arbeitnehmer<br />

sich vor Beförderungen umso stärker <strong>an</strong>strengt, je größer der mit der Beförderung<br />

verbundene Preis ist und je besser er durch sein Verhalten die Ch<strong>an</strong>cen einer Beförderung<br />

steigern k<strong>an</strong>n. Entsprechend wird auch der Output vor einer Beförderung erhöht<br />

sein. In einer Modellerweiterung wird zugelassen, dass der Arbeitnehmer auch<br />

in Hum<strong>an</strong>kapital investieren k<strong>an</strong>n, das seine Produktivität und bei variabler Vergütung<br />

auch die Verdienstmöglichkeiten steigert. Für die Beförderungsentscheidung<br />

werden nun gewichtete Leistungs- und Qualifikationskriterien her<strong>an</strong>gezogen. Zu Beginn<br />

der Karriere zieht ein Arbeitnehmer Leistungs<strong>an</strong>strengungen gegenüber Qualifizierungs<strong>an</strong>strengungen<br />

umso stärker vor, je größer der Gewinn aus der unmittelbar<br />

nächsten Beförderung ist, je stärker Leistungskriterien gewichtet werden und je weniger<br />

variabel das Einkommen nach der Beförderung ist. Entsprechend ist d<strong>an</strong>n auch<br />

der Output stärker vor dem Karriereereignis konzentriert. Anderfalls ist zu erwarten,<br />

dass der Arbeitnehmer eher in Hum<strong>an</strong>kapital investiert und der Output dem traditionellen<br />

Muster der Hum<strong>an</strong>kapitaltheorie folgt. Hochschullehrer konkurrieren ebenfalls<br />

im Rahmen von Turnieren um Berufungen. Sie können Forschungsleistungen produzieren<br />

oder in weitere Qualifikationen investieren. Um die vorstehenden Überlegungen<br />

auf Berufungsturniere zu übertragen, bedarf es zunächst einiger Operationalisierungen,<br />

die im <strong>an</strong>schließenden Abschnitt beschrieben werden.<br />

3. Empirische Untersuchungen zu Karrieren von Hochschullehrern und ihren<br />

Anreizwirkungen<br />

Die zu erklärende Variable ist der Forschungsoutput eines Hochschullehrers zu<br />

einem bestimmten Zeitpunkt. Der Forschungsoutput wird dabei operationalisiert als<br />

(gewichteter) Publikationsoutput. Publikationsoutput als Maß für die Forschungsproduktivität<br />

ist vergleichsweise einfach und Zeitpunkt bezogen verfügbar und k<strong>an</strong>n


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 455<br />

Qualitätsunterschiede berücksichtigen. Deutschsprachige und internationale Veröffentlichungen<br />

werden jeweils einer von drei Kategorien zugeordnet: Artikel in Spitzenzeitschriften,<br />

in sonstigen Zeitschriften und in Sammelwerken. Anh<strong>an</strong>d von<br />

selbsterstellten, auf Zitations<strong>an</strong>alysen beruhenden R<strong>an</strong>kings wurden jeweils vier<br />

deutschsprachige Spitzenzeitschriften der BWL und VWL ermittelt. Die R<strong>an</strong>kings<br />

sind im Zeitverlauf stabil, so dass einheitliche Kategorien für den gesamten Untersuchungszeitraum<br />

verwendet werden können. Analog wurden aus bestehenden R<strong>an</strong>kings<br />

je 12 internationale Spitzenzeitschriften der BWL und VWL ermittelt. Die Anzahl<br />

der Zeitschriften wurde dabei so ermittelt, dass deutsche und amerik<strong>an</strong>ische Forscher<br />

gleiche Ch<strong>an</strong>cen haben, in deutschsprachigen bzw. internationalen Spitzenzeitschriften<br />

zu veröffentlichen. Die Veröffentlichungen von je drei Jahren werden zu einem<br />

Beobachtungspunkt zusammengefasst. Koautorenschaften werden umgekehrt<br />

proportional zur Anzahl der Autoren gewichtet. Um unbeobachtete Heterogenität<br />

(Fächereigenschaften, Produktivitätsunterschiede aufgrund von Talenten) herauszurechnen,<br />

wurde der Forschungsoutput eines Hochschullehrers st<strong>an</strong>dardisiert. Der<br />

st<strong>an</strong>dardisierte Forschungsoutput gibt somit <strong>an</strong>, ob der betreffende Hochschullehrer<br />

zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger als im Durchschnitt seiner Karriere<br />

produziert hat.<br />

Preise stellen in Berufungsturnieren einerseits monetäre Zugewinne dar. Die erste<br />

Berufung eines Nachwuchswissenschaftlers bewirkt eine Steigerung des monatlichen<br />

Grundgehalts um ca. € 1400, während Folgerufe aus dem Inl<strong>an</strong>d eine Steigerung<br />

um maximal € 599 bedeuten. Da mit der ersten Berufung bisher auch eine Verbeamtung<br />

auf Lebenszeit verbunden ist, gewinnt der Nachwuchswissenschaftler, der zuvor<br />

in der Regel in befristeten Arbeitsverhältnissen steht, ein großes Potenzial <strong>an</strong> Arbeitsplatzsicherheit<br />

dazu. Auch der Statuszugewinn einer Professur k<strong>an</strong>n zum Preis<br />

bei Gewinn eines Berufungsturniers gezählt werden. Der Statusgewinn wird umso<br />

höher sein, je prestigeträchtiger der berufende Fachbereich ist. Insgesamt sind in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d die Zugewinne einer ersten Berufung höher einzuschätzen als die von<br />

Folgerufen.<br />

Entsprechend wird erwartet, dass vor Erstberufungen der Forschungsoutput<br />

stärker konzentriert ist als vor Folgerufen. Im amerik<strong>an</strong>ischen Hochschulsystem sind<br />

Beförderungen zum Full Professor fin<strong>an</strong>ziell deutlich attraktiver als Beförderungen<br />

zum Associate Professor, die meistens mit der Entscheidung über die Tenure einhergeht.<br />

Andererseits bedeutet Tenure, dass der Hochschullehrer eine ähnliche Arbeitsplatzsicherheit<br />

genießt wie verbeamtete Hochschullehrer in Deutschl<strong>an</strong>d. Es k<strong>an</strong>n<br />

hier nicht vorhergesagt werden, ob die Tenure-Entscheidung oder die Beförderung<br />

zum Full-Professor stärkere Anreize induziert. Erwartet wird hier eine ähnliche Wirkung<br />

auf den Forschungsoutput.<br />

Wie k<strong>an</strong>n ein Wissenschaftler seine Ch<strong>an</strong>cen beeinflussen, einen Ruf zu erhalten?<br />

Hierzu wurde <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d von 102 Wirtschaftswissenschaftlern, die sich zu Beginn<br />

der neunziger Jahre habilitierten, ermittelt, wie sich in der Folgezeit Berufene von<br />

Nicht-Berufenen unterscheiden. Sowohl <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d von Mittelwertvergleichen als auch<br />

mit Hilfe von logistischer Regression k<strong>an</strong>n gezeigt werden, dass Berufene einen deut-


456 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

lich höheren Forschungsoutput während der Zeit vor der Berufung haben. Insbesondere<br />

Artikel in deutschsprachigen Top-Zeitschriften und sonstigen deutschsprachigen<br />

Zeitschriften haben einen signifk<strong>an</strong>ten Einfluss auf die Berufungswahrscheinlichkeit.<br />

Weiterhin hat auch die Reputation der Herkunftsfakultät eines Habilitierten einen<br />

deutlich positiven (wenn auch nicht signifik<strong>an</strong>ten) Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit,<br />

einen Ruf zu erhalten. Hier findet sich mit der Habilitation im deutschen System<br />

ein Qualifizierungsindikator. Signifik<strong>an</strong>t ist weiterhin die fachspezische Arbeitsmarktsituation<br />

für Professoren. Für die Entscheidung über Tenure amerik<strong>an</strong>ischer<br />

Wirtschaftswissenschaftler ist vor allem der Forschungsoutput in der Zeit als Assist<strong>an</strong>t-Professor<br />

bedeutend, während Indikatoren für weitere Qualifizierung nach<br />

dem Ph.D. keine Rolle spielen. Ebenso ist die Entscheidung über die Beförderung<br />

zum Full-Professor vom Forschungsoutput während der Zeit als Associate-Professor<br />

abhängig. Qualität spielt hierbei noch einmal eine besondere Rolle. Während amerik<strong>an</strong>ische<br />

Forscher in reinen Leistungsturnieren konkurrieren, sind deutsche Forscher<br />

eher in kombinierten Leistungs- und Qualifizierungsturnieren <strong>an</strong>zutreffen. Entsprechend<br />

wird erwartet, dass der Forschungsoutput bei amerik<strong>an</strong>ischen Forschern vor<br />

den Karriereereignissen besonders konzentriert ist, während bei deutschen Forschern<br />

auch ein hum<strong>an</strong>kapitaltheoretischer Verlauf feststellbar ist. Amerik<strong>an</strong>ische <strong>Hochschulen</strong><br />

können in eher forschungs- und eher lehrorientierte Institutionen unterschieden<br />

werden. Da <strong>an</strong> den forschungsorientierten <strong>Hochschulen</strong> das Gehalt stärker vom<br />

Forschungsoutput abhängig ist, ist zu erwarten, dass Forscher <strong>an</strong> diesen <strong>Hochschulen</strong><br />

früh in der Karriere mehr in Hum<strong>an</strong>kapital investieren als Hochschullehrer <strong>an</strong> lehrorientierten<br />

<strong>Hochschulen</strong>.<br />

Um diese Zusammenhänge empirisch zu überprüfen, wurden von 189 deutschen<br />

und 112 amerik<strong>an</strong>ischen Hochschullehrern Lebensläufe und Publikationsverzeichnisse<br />

im Rahmen von Internetrecherchen ausgewertet. Die erfassten Hochschullehrer<br />

sind bezüglich Alter und Fächerverteilung repräsentativ.<br />

Wenn ein Karriereereignis wie vermutet Anreizwirkungen entfaltet, d<strong>an</strong>n sollte<br />

der Forschungsoutput in der Periode bevor das Karriereereignis auftritt, erhöht sein<br />

und sich in der Periode d<strong>an</strong>ach wieder auf durchschnittlichem Niveau bewegen. Es<br />

wird versucht, dieses Schema mit Hilfe von linearen Regressionstechniken, bei denen<br />

der st<strong>an</strong>dardisierte Publikationsoutput – einmal gewichtet, um die Qualität des Forschungsoutput<br />

zu berücksichtigen, und einmal ungewichtet, um reine Qu<strong>an</strong>titätsunterschiede<br />

zu erfassen, – die abhängige Variable darstellt, nachzuvollziehen.<br />

4. Ergebnisse<br />

Der Ausg<strong>an</strong>gsbefund, dass deutsche Wissenschaftler vergleichsweise wenig in<br />

internationalen, insbesondere hoch renommierten Zeitschriften veröffentlichen, k<strong>an</strong>n<br />

zunächst auch <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der hier gesammelten Publikationsdaten bestätigt werden. Bezieht<br />

m<strong>an</strong> jedoch alle Zeitschriften ein, so haben deutsche Hochschullehrer einen<br />

Output von 0,66 Artikeln im Jahr und amerik<strong>an</strong>ische Hochschullehrer einen durchschnittlichen<br />

Output von 0,57 Artikeln. Unter Einbeziehung von Beiträgen in Sam-


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 457<br />

melwerken veröffentlichen deutsche Hochschullehrer (1,41) sogar noch mehr als ihre<br />

amerik<strong>an</strong>ischen Kollegen (0,782).<br />

Es k<strong>an</strong>n festgestellt werden, dass sowohl Erst- als auch Folgeberufungen keinen<br />

Einfluss auf den ungewichteten Publikationsoutput haben. Jedoch nimmt wie erwartet<br />

der gewichtete Forschungsoutput vor Erstberufungen zu und fällt d<strong>an</strong>n wieder auf das<br />

Durchschnittsniveau ab. Für Folgerufe k<strong>an</strong>n ein entsprechendes Muster nicht festgestellt<br />

werden. Signifik<strong>an</strong>te Auswirkungen auf den Forschungsoutput haben bei deutschen<br />

Wirtschaftswissenschaftlern scheinbar nur Erstberufungen. Aufgrund der höheren<br />

Preise wurden hier auch stärkere Anreizwirkungen erwartet. Die zusätzlichen Anstrengungen<br />

werden dabei vor allem zur Erhöhung der Qualität der Forschungsergebnisse<br />

verwendet. Bei amerik<strong>an</strong>ischen Hochschullehrern k<strong>an</strong>n ein Anstieg des ungewichteten<br />

Forschungsoutputs vor der Tenureentscheidung festgestellt werden. Der<br />

gewichtete Forschungsoutput ist sowohl vor der Tenure-Entscheidung als auch vor<br />

der Beförderung zum Full-Professor signifik<strong>an</strong>t erhöht. Auch hier reagieren die<br />

Hochschullehrer wieder effizient auf die jeweiligen Entscheidungskriterien. Weiterhin<br />

stellt m<strong>an</strong> fest, dass der relative Erklärungsgehalt von Karriereentscheidungen für<br />

den Forschungsoutput bei den amerik<strong>an</strong>ischen Hochschullehrern höher ist, was auf<br />

eine stärkere Konzentration vor den Karriereereignissen bei den amerik<strong>an</strong>ischen Forschern<br />

hindeutet. Durch Einbeziehung der wissenschaftlichen Berufserfahrung und<br />

der quadrierten Berufserfahrung in die Schätzgleichung soll der Einfluss von Qualifizierung<br />

auf den Output geschätzt werden. Hier erhält m<strong>an</strong> das erwartete Ergebnis,<br />

dass Qualifizierung im deutschen Hochschulsystem eine größere Rolle spielt als <strong>an</strong><br />

forschungsorientierten amerik<strong>an</strong>ischen <strong>Hochschulen</strong> und dort wiederum eine größere<br />

Rolle als <strong>an</strong> lehrorientierten.<br />

Abschließend werden <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der gewonnenen Resultate Rückschlüsse auf die<br />

Wirkungen der Dienstrechtsreform gezogen. Die Einführung der Juniorprofessur bedeutet,<br />

dass die Zeit zwischen Promotion und Berufung auf eine Lebenszeitprofessur<br />

weniger qualifikatorischen und mehr leistungsbezogenen Charakter als bisher hat.<br />

Prognostiziert wird, dass Nachwuchswissenschaftler mehr Anstrengungen unternehmen,<br />

die in die Produktion kurzfristigen, gegebenenfalls qualitativ hochwertigen eingehen.<br />

Der Erwerb von Wissen wird abnehmen und dazu führen, dass der Forschungsoutput<br />

in späteren Karrierephasen sinkt. Die Einführung einer variablen Vergütung<br />

in der zweiten Karrierephase könnte dies wieder ausgleichen. Hier stellt sich<br />

die Frage, ob durch Folgerufe nicht ein geeignetes Instrument schon vorh<strong>an</strong>den ist.<br />

Auf jeden Fall müssen die monetären Anreize hinreichend hoch sein, um entsprechende<br />

Anreizwirkungen generieren zu können. Letzteres widerspricht jedoch der Intention<br />

die Dienstrechtsreform kostenneutral durchzuführen.<br />

Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde die Lehre als zweite wichtige<br />

Aufgabe von Hochschullehrern vollkommen ausgeklammert. Zwei Sichtweisen sind<br />

denkbar. Forschung und Lehre eines Hochschullehrers sind einerseits Kuppelprodukte.<br />

D<strong>an</strong>n sind die hier gewonnenen Erkenntnisse in ähnlicher Form auf die Lehre ü-<br />

bertragbar. Sind Forschung und Lehre <strong>an</strong>derseits zwei Produkte, die um den Einsatz<br />

von Ressourcen konkurrieren, stellt sich die Frage, wie Hochschullehrer ihr Zeitbud-


458 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

get auf die beiden Aktivitäten aufteilen. Die Vermutung ist, dass sie jeweils die Aktivität<br />

verstärkt ausüben, die bei der nächsten Beförderungsentscheidung stärker gewichtet<br />

wird. So veröffentlichen Hochschullehrer auch <strong>an</strong> lehrorientierten amerik<strong>an</strong>ischen<br />

<strong>Hochschulen</strong> vor der Gewährung von Tenure relativ viel, da eine gewisse Anzahl<br />

<strong>an</strong> Veröffentlichungen notwendig ist, um Tenure zu erhalten. Später konzentrieren<br />

sie sich d<strong>an</strong>n aber auf die Lehre, da Lehrevaluationen für folgende Einkommenssprünge<br />

eher ausschlaggebend sind.<br />

6. Arbeitsverhalten (und Mikropolitik)<br />

Renate Ortlieb<br />

Betrieblicher Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d als personalpolitische Arena.<br />

Eine Längsschnitt<strong>an</strong>alyse <br />

Betreuerin:<br />

Prof. Dr. Gertraude Krell, Freie Universität Berlin<br />

1. Ausg<strong>an</strong>gsproblem und Ziel der Analyse<br />

Der betriebliche Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d ist „umkämpftes Terrain“: Zum einen werden in<br />

der Wissenschaft, der betrieblichen Praxis und der öffentlich-politischen Diskussion<br />

unterschiedliche Positionen vertreten, wenn es um das Ausmaß, die Ursachen und<br />

Maßnahmen zur Reduktion des Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>des geht. Zum <strong>an</strong>deren ist der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d<br />

selbst zugleich Medium und Ergebnis verschiedener Aush<strong>an</strong>dlungsprozesse<br />

auf individueller, betrieblicher und gesellschaftlicher Ebene.<br />

Konkretes Ausg<strong>an</strong>gsproblem der Analyse ist die Variation des betrieblichen<br />

Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>des im Zeitverlauf, ein Phänomen, das in allen Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>dsstatistiken<br />

beobachtet werden k<strong>an</strong>n. Ziel ist es, einen Beitrag zur Erklärung dieser Variation zu<br />

leisten. Der Fokus liegt dabei zum einen auf der längerfristigen Variation, das heißt,<br />

auf Schw<strong>an</strong>kungen in einem Zeithorizont von mehreren Jahren (und nicht etwa von<br />

einzelnen Jahren, Monaten oder Wochen), und zum <strong>an</strong>deren auf der Meso-Ebene der<br />

Org<strong>an</strong>isation, das heißt, auf bis zu Gruppen- oder Org<strong>an</strong>isationsebene aggregierten<br />

Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>dsdaten (und nicht auf Nationen-, Br<strong>an</strong>chen-, intra- oder interindividuellen<br />

Unterschieden).<br />

<br />

Renate Ortlieb (2003): Betrieblicher Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d als personalpolitische Arena. Eine Längsschnitt<strong>an</strong>alyse.<br />

Betriebliche Personalpolitik, hrsg. von Gertraude Krell, mit einem Geleitwort<br />

von Gertraude Krell und Werner Nienhüser. Wiesbaden: DUV Gabler Edition Wissenschaft.<br />

ISBN 3-8244-7786-6, 227 Seiten, € 49,90.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 459<br />

2. Bezugsrahmen<br />

Die personalpolitikorientierte Perspektive<br />

Aus einer personalpolitikorientierten Perspektive wird zunächst gezeigt, dass der<br />

Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d Ergebnis von interessengeleiteten Aush<strong>an</strong>dlungsprozessen ist, die innerhalb<br />

eines bestimmten Herrschaftsrahmens stattfinden und diesen zugleich verändern<br />

können. Hierfür werden in einem ersten Schritt die Konstellationen und Positionen<br />

der Akteurinnen und Akteure in der Arena des betrieblichen Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>des herausgearbeitet.<br />

Sod<strong>an</strong>n werden Interessen, Ressourcen, Spielzüge und rhetorische Mittel<br />

der Unternehmensleitungen und Arbeitgeberverbände, der Beschäftigten und Gewerkschaften<br />

sowie der staatlichen Akteure <strong>an</strong>alysiert. Außerdem wird die Debatte<br />

über den betrieblichen Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d – insbesondere auch die These vom Missbrauch<br />

von Sozialleistungen (hier: im Wesentlichen bezogen auf die Entgeltfortzahlung im<br />

Kr<strong>an</strong>kheitsfall) – ideologiekritisch rekonstruiert.<br />

Das austauschtheoretische Konzept von Gibson<br />

Der theoretische Bezugsrahmen für die empirische Untersuchung knüpft eng <strong>an</strong><br />

diese politikorienterte Analyse <strong>an</strong>: In dem austauschtheoretisch orientierten Konzept<br />

zur Erklärung von kr<strong>an</strong>kheitsbedingtem Fehlen von R. Oliver Gibson (1966) wird<br />

kr<strong>an</strong>kheitsbedingtes Fehlen am Arbeitsplatz auf eine bestimmte Beurteilung der Austauschbeziehung<br />

zwischen Individuum und Org<strong>an</strong>isation – des so gen<strong>an</strong>nten psychologischen<br />

Vertrags – zurückgeführt. Unter der Voraussetzung, dass Individuen über<br />

einen gewissen Verhaltensspielraum verfügen, fehlen sie ceteris paribus eher d<strong>an</strong>n,<br />

wenn sie die Austauschbeziehung als unausgeglichen beurteilen oder der psychologische<br />

Vertrag durch die Org<strong>an</strong>isation gebrochen worden ist. Denn in diesem Fall können<br />

sie kr<strong>an</strong>kheitsbedingtes Fehlen gegenüber sich selbst und gegenüber der Org<strong>an</strong>isation<br />

besser legitimieren. Das Konzept von Gibson integriert sowohl ökonomische<br />

als auch psychologische und soziologische Ansätze und erscheint nach verschiedenen<br />

Präzisierungen (insbesondere in Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem Konstrukt des psychologischen<br />

Vertrags) als besonders fruchtbar für eine Analyse des betrieblichen Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>des.<br />

Da dieses Konzept allerdings nicht unmittelbar auf eine Längsschnittbetrachtung<br />

ausgerichtet ist, wird es mit dem methodisch orientierten Konzept der Kohorten<strong>an</strong>alyse<br />

integriert.<br />

Das methodisch orientierte Konzept der Kohorten<strong>an</strong>alyse<br />

Nach dem Konzept der Kohorten<strong>an</strong>alyse lässt sich die Variation einer abhängigen<br />

Variable im Zeitverlauf auf das gleichzeitige Wirken von individuellen Alterungs-<br />

oder Reifungsprozessen (hier: speziell in Bezug auf die Betriebszugehörigkeitsdauer)<br />

sowie von Veränderungen des historischen Kontextes zurückführen. Neben<br />

diesen so gen<strong>an</strong>nten Betriebszugehörigkeitsdauer- und Periodeneffekten werden<br />

außerdem Kohorteneffekte berücksichtigt, die sich als eine Kombination aus diesen<br />

beiden Effekten bzw. aus der Betriebszugehörigkeitsdauer und dem historischen Kontext<br />

ergeben. Eine besondere Stärke dieses methodischen Ansatzes ist, dass Verände-


460 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

rungen auf der Mikro-Ebene (in Form der Alterungsprozesse) gleichermaßen betrachtet<br />

werden wie Veränderungen auf der Makro-Ebene (in Form der Veränderungen des<br />

historischen Kontextes).<br />

Für den Bezugsrahmen der empirischen Analyse werden das Konzept von Gibson<br />

und das Konzept der Kohorten<strong>an</strong>alyse integriert, indem die drei im Rahmen der<br />

Kohorten<strong>an</strong>alyse unterschiedenen Effekte inhaltlich durch das Konzept von Gibson<br />

ausgefüllt werden. Dabei übernimmt das Konzept der Kohorten<strong>an</strong>alyse eine hypothesengenerierende<br />

Funktion, und das Konzept von Gibson dient der inhaltlichen, theoretischen<br />

Fundierung der Untersuchungshypothesen und damit auch der Ergebnisinterpretation.<br />

Die Untersuchungshypothesen beziehen sich daher im Wesentlichen auf<br />

die Existenz der drei Effekte („Es existiert ein Betriebszugehörigkeitsdauereffekt.“,<br />

„Es existiert ein Periodeneffekt.“, „Es existiert ein Kohorteneffekt.“).<br />

3. Datenbasis und Methoden<br />

Die empirische Analyse basiert auf einer Vollerhebung der An- und Abwesenheitstage<br />

von insgesamt 624 Beschäftigten eines mittelständischen Unternehmens der<br />

Werkzeug- und Maschinenbaubr<strong>an</strong>che im Zeitraum zwischen J<strong>an</strong>uar 1962 und Dezember<br />

1998. Ergänzt werden diese Daten um die individuelle Betriebszugehörigkeitsdauer<br />

sowie – zur statistischen Kontrolle von Alterseffekten – um das individuelle<br />

Lebensalter der Beschäftigten. Zur Abbildung des historischen Kontextes dienen<br />

folgende Indikatoren: erstens das monatliche Volumen der Auftragseingänge im betrachteten<br />

Unternehmen (teilweise substituiert durch die relative Personalbest<strong>an</strong>dsveränderung<br />

im betrachteten Unternehmen), zweitens die lokale Arbeitslosenquote,<br />

drittens ein Verkleinerungsprozess, der zu Beginn der 1990er Jahre in dem betrachteten<br />

Unternehmen stattf<strong>an</strong>d, sowie viertens die Änderungen der gesetzlichen Regelungen<br />

zur Entgeltfortzahlung im Kr<strong>an</strong>kheitsfall im Oktober 1996. Die Kohorten wurden<br />

gebildet, indem jeweils diejenigen Beschäftigten zu einer Kohorte zusammengefasst<br />

wurden, die während derselben Phase des wirtschaftlichen Auf- oder Abschwungs in<br />

das betrachtete Unternehmen eingetreten sind. Dieses Datenmaterial hat gegenüber<br />

den in bisherigen Studien <strong>an</strong>alysierten Daten vielerlei Vorzüge, insbesondere durch<br />

die kontinuierliche (und nicht stichtags-bezogene) Erhebung der Abwesenheitszeiten<br />

auf Individualebene (und nicht nur Unternehmensebene) sowie die Nähe der verwendeten<br />

Indikatoren für den historischen Kontext zu den betrachteten Personen.<br />

Bei der Wahl der Analysemethoden wurde – neben der inhaltlichen und statistischen<br />

Angemessenheit – insbesondere auf Übersichtlichkeit und Einfachheit geachtet.<br />

Daher haben zum einen grafische Verfahren einen hohen Stellenwert. Zum <strong>an</strong>deren<br />

wurden (größtenteils multiple) lineare Regressionsmodelle, teilweise mit Dummy-Variablen,<br />

geschätzt. Soweit notwendig und möglich wurde überprüft, ob zentrale<br />

Annahmen des Regressionsmodells eingehalten werden.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 461<br />

4. Ergebnisse<br />

Grundsätzlich lassen sich alle drei Effekte – ein Betriebszugehörigkeitsdauer-,<br />

ein Perioden- und ein Kohorteneffekt – identifizieren. Dabei zeigt sich sowohl in bivariaten<br />

als auch in multivariaten Analysen stets ein verhältnismäßig starker Periodeneffekt.<br />

Insbesondere können ein (positiver) Einfluss der wirtschaftlichen Lage des<br />

betrachteten Unternehmens und des damit zusammenhängenden Verkleinerungsprozesses<br />

(d.h., mit zunehmendem Volumen der Auftragseingänge und während des<br />

Verkleinerungsprozesses steigt der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d) sowie ein (negativer) Einfluss der<br />

Arbeitsmarktlage (d.h., mit zunehmender Arbeitslosenquote sinkt der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d)<br />

festgestellt werden. Diese Zusammenhänge lassen sich vor dem Hintergrund des<br />

Konzeptes von Gibson in einer sehr plausiblen und konsistenten Weise interpretieren,<br />

denn diese Aspekte des historischen Kontextes beeinflussen sowohl die Tauschbeziehung<br />

zwischen Individuum und Org<strong>an</strong>isation als auch die Tauschalternativen unmittelbar.<br />

Ein Einfluss der Änderungen der gesetzlichen Regelungen zur Entgeltfortzahlung<br />

im Kr<strong>an</strong>kheitsfall im Oktober 1996 lässt sich nur bedingt zeigen.<br />

Insgesamt scheint der Periodeneffekt klar zu dominieren, allerdings nicht für alle<br />

Betriebszugehörigkeitsdauerjahre bzw. nicht für alle Kohorten gleichermaßen. So ist<br />

beispielsweise während des Verkleinerungsprozesses, der in dem Unternehmen stattgefunden<br />

hat, der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d der älteren Kohorten deutlich höher als der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d<br />

der jüngeren Kohorten. Außerdem lässt sich ein (negativer) Einfluss der Betriebszugehörigkeitsdauer<br />

zeigen (d.h., mit zunehmender Betriebszugehörigkeitsdauer<br />

sinkt der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d). Und auch ein Kohorteneffekt k<strong>an</strong>n identifiziert werden,<br />

d.h., der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d einiger Kohorten unterscheidet sich deutlich vom Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d<br />

<strong>an</strong>derer Kohorten. Allerdings lässt sich das Muster solcher Unterschiede nur<br />

schwer interpretieren, und der Kohorteneffekt ist insgesamt verhältnismäßig schwach.<br />

5. Fazit<br />

Vor allem die Befunde in Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem Periodeneffekt zeigen, dass<br />

die Vari<strong>an</strong>z des Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>des keineswegs nur über individuelle Unterschiede, sondern<br />

unabhängig davon zu einem guten Teil über – viele Personen gleichermaßen<br />

betreffende – Situationsdifferenzen erklärt werden k<strong>an</strong>n. Dies legt nahe, den Fokus<br />

von häufig vorfindbaren Argumentations- und Attributionsweisen sowie von betrieblichen<br />

Praktiken zu verlagern – nämlich weg von bestimmten Personen und Personengruppen<br />

hin zu bestimmten Situationen. Außerdem ist wegen der zentralen Rolle<br />

der situativen – auch außer-org<strong>an</strong>isationaler – Situationsvariablen fraglich, inwieweit<br />

der betriebliche Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d grundsätzlich m<strong>an</strong>agebar ist. Das heißt, vermutlich ist<br />

der Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d über Gestaltungsmaßnahmen, die auf der Individualebene <strong>an</strong>setzen,<br />

in erheblich geringerem Ausmaß veränderbar, als m<strong>an</strong> nach der Lektüre gestaltungsorientierter<br />

Literatur meinen sollte.<br />

Sowohl das (präzisierte) Konzept von Gibson als auch das Konzept der Kohorten<strong>an</strong>alyse<br />

erweisen sich in der Analyse als fruchtbar, dennoch wird weiterer Präzisierungsbedarf<br />

deutlich: In Bezug auf das Konzept von Gibson betrifft dies insbeson-


462 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

dere die Integration von gesundheitsbeeinträchtigenden Arbeitsbelastungen, die den<br />

individuellen Verhaltensspielraum für kr<strong>an</strong>kheitsbedingtes Fehlen mitunter stark beeinflussen,<br />

sowie Entstehungs- und Diffusionsprozesse von Normen über kr<strong>an</strong>kheitsbedingtes<br />

Fehlen. Ferner ist empirische Forschung zu konkreten Inhalten von psychologischen<br />

Verträgen – insbesondere auch zu Gerechtigkeitsempfindungen in Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

mit kr<strong>an</strong>kheitsbedingtem Fehlen – notwendig. Im Hinblick auf die Kohorten<strong>an</strong>alyse<br />

gilt es insbesondere das Kohortenkonzept selbst zu spezifizieren. So bleibt<br />

beispielsweise noch zu klären, welche Rolle Interaktionen zwischen Kohortenmitgliedern<br />

oder auch eine Art Kohortenidentität für das Herausbilden von Normen über<br />

kr<strong>an</strong>kheitsbedingtes Fehlen und für das Verhalten der Kohortenmitglieder spielen.<br />

Auch hier besteht neben theoretisch-konzeptionellem Forschungsbedarf auch (qualitativ-)empirischer.<br />

Rol<strong>an</strong>d Röder:<br />

Kooperation <strong>an</strong> Schnittstellen –<br />

Eine empirische Untersuchung *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Rolf Bronner, Universität Mainz<br />

1. Problemstellung und Ziele<br />

In den letzten Jahren ist in Org<strong>an</strong>isationen eine Tendenz zur Verflachung von<br />

Hierarchien und damit einhergehend eine Delegation von Ver<strong>an</strong>twortung zu beobachten.<br />

Mit dieser Entwicklung wird zunehmend auch der vormals durch die Hierarchie<br />

gedeckte Koordinationsbedarf zwischen Teileinheiten als kooperativ zu lösende Aufgabe<br />

den Teileinheiten selbst aufgegeben. Die Gestaltung der Beziehungen zwischen<br />

Teileinheiten <strong>an</strong> den so gen<strong>an</strong>nten Schnittstellen einer Org<strong>an</strong>isation wird so zu einem<br />

kritischen Einflussfaktor für den Unternehmenserfolg. Betriebswirtschaftliche Forschungsarbeiten<br />

zum M<strong>an</strong>agement von Schnittstellen sind überwiegend <strong>an</strong> der Gestaltung<br />

konkreter aufgaben- oder funktionsbezogener Phänomene orientiert. Soziale,<br />

speziell gruppenbezogene Effekte sind dagegen in der Literatur zwar erwähnt, werden<br />

aber in der Betriebswirtschaftslehre nur sehr vereinzelt systematisch untersucht<br />

und stehen daher im Mittelpunkt der Arbeit.<br />

Teileinheiten in Org<strong>an</strong>isationen sind überwiegend multipersonal besetzt. Sie bilden<br />

soziale Gruppen und werden von deren Mitgliedern und Nichtmitgliedern auch<br />

als solche wahrgenommen. Als Folge der sozialen Kategorisierung in Eigen- und<br />

Fremdgruppe ergeben sich gruppenbezogene Phänomene des Strebens nach sozialer<br />

*<br />

Die Arbeit wurde 2001 im Peter L<strong>an</strong>g-<strong>Verlag</strong>, Fr<strong>an</strong>kfurt/Main et al. (ISBN 3-631-38417-3)<br />

veröffentlicht.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 463<br />

Geltung. Unter deren Einfluss erwachsen psychologische Barrieren, die sich in einer<br />

wechselseitigen sozialen Abgrenzung und Vorteilsorientierung zwischen den Teileinheiten<br />

äußern können. Das konkrete Forschungsinteresse zu den gruppenbezogenen<br />

Phänomenen des Strebens nach sozialer Geltung k<strong>an</strong>n in folgenden allgemeinen Fragen<br />

ausgedrückt werden:<br />

Wie lassen sich die Einflüsse der Kategorisierung in Eigen- und Fremdgruppe in<br />

die Betrachtung der Kooperation <strong>an</strong> Schnittstellen integrieren?<br />

Sind diese Einflüsse immer negativ beziehungsweise dysfunktional?<br />

Bestehen Wechselwirkungen mit zentralen aufgabenbezogenen Einflussfaktoren?<br />

W<strong>an</strong>n und wie bestehen Auswirkungen auf das Ergebnis, speziell die Effektivität<br />

der Kooperation <strong>an</strong> Schnittstellen?<br />

2. Theoretischer Unterbau und Forschungsbedarf<br />

Die für das Verständnis von Beziehungen zwischen kooperierenden Gruppen<br />

wichtigsten sozial- und org<strong>an</strong>isationswissenschaftlichen Erklärungs- und Forschungs<strong>an</strong>sätze<br />

werden referiert. Dabei h<strong>an</strong>delt es sich zunächst um die verw<strong>an</strong>dten<br />

Ansätze Theory of Social Comparisson Processes, Realistic Conflict Theory, Social<br />

Identity Theory sowie Theory of Embedded Groups. Diese eher sozialwissenschaftlichen<br />

Erklärungs<strong>an</strong>sätze werden mit Beiträgen der Kooperationsforschung erweitert.<br />

Anschließend wird der St<strong>an</strong>d der empirischen Forschung beschrieben und weiterer<br />

theoretischer und empirischer Forschungsbedarf begründet. Dabei zeigt sich<br />

aus theoretischer Sicht Bedarf für die Integration der sozial- und org<strong>an</strong>isationswissenschaftlichen<br />

Forschungsgebiete zur Übertragung auf den betriebswirtschaftlichen<br />

Kontext. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, wie und unter welchen<br />

Bedingungen der durchaus als pathologisch zu bezeichnende und praktisch bedeutsame<br />

Fall eintritt, dass gruppenbezogene Phänonmene dynsfunktionale Wirkung auf<br />

die Aufgabenerfüllung besitzen. Aus der Zusammenführung der Theorien wird ein<br />

Rahmenmodell der Schnittstellen-Kooperation in Org<strong>an</strong>isationen erarbeitet.<br />

Die Aufarbeitung des empirischen Forschungsbedarfs lässt erkennen, dass in der<br />

bisherigen – stark sozialpsychologisch geprägten – Forschung Einflüsse auf die Leistungserstellung<br />

der Gruppen nur unzureichend untersucht wurden. Dies gilt besonders<br />

für die Wirkung der Identifikation mit der Teileinheit. Zudem besteht Forschungsbedarf<br />

für die Untersuchung von Ressourcen- oder Aktivitätsverkettungen bei<br />

der Leistungserstellung. Diese Interdependenz stellt den Rahmen für den daraus resultierenden<br />

Kontakt zwischen Teileinheiten. Darüber hinaus liegen bisl<strong>an</strong>g nur wenige<br />

empirische Arbeiten zur Untersuchung der Wirkung von Persönlichkeitsmerkmalen<br />

in diesem Kontext vor. Die Beziehungen <strong>an</strong> Schnittstellen in Org<strong>an</strong>isationen<br />

werden auch durch individuelle Neigungen zu Kooperation und Wettbewerb bestimmt.


464 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Den empirischen Forschungsbedarf aufgreifend werden die zuvor isoliert betrachteten<br />

Erklärungsvariablen in ihrer Entstehung und Wirkung beschrieben. Die<br />

Wirkungsbeschreibungen werden zu Hypothesen verdichtet.<br />

3. Untersuchungskonzeption<br />

Als Untersuchungsmethode wurde das Laborexperiment gewählt. An der Untersuchung<br />

nahmen 30 Gruppen, besetzt mit studentischen Versuchspersonen zu je<br />

drei Personen, teil. Die zugrunde gelegte, komplexe Untersuchungsaufgabe best<strong>an</strong>d<br />

in der Bewertung der Forschungs- und Lehrqualität in zwei universitären Fachbereichen<br />

<strong>an</strong>h<strong>an</strong>d einer Fülle von vorgegebenen Informationen, die Gegenst<strong>an</strong>d der<br />

allgemeinen Diskussion um Hochschulreformen sind. Die Identifikation mit der<br />

Teileinheit wurde über die Zugehörigkeit zu den jeweiligen Fachbereichen operationalisiert.<br />

Die Aufgabeninterdependenz wurde über den Grad der wechselseitigen<br />

Abhängigkeit bei der Erfüllung von Teilaufgaben gesteuert. Zur Untersuchung der<br />

Wirkung individueller Kooperations- und Wettbewerbsmotivation ist die Diagnose<br />

der individuellen Ausprägungen dieser Motivationen erforderlich. Dabei kam ein<br />

eigens entwickeltes und in der Arbeit vollständig dokumentiertes, vollst<strong>an</strong>dardisiertes<br />

Testinstrumentarium zum Einsatz.<br />

4. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchung<br />

Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung bestätigen deutliche Auswirkungen<br />

auf die Kooperationseffektivität, die wechselseitige Wertschätzung der Teileinheiten<br />

und die Bereitschaft für künftige Zusammenarbeit. Die theoretisch wie auch<br />

empirisch bedeutendste der untersuchten Variablen ist die Identifikation mit der Eigengruppe.<br />

Bei hoher Identifikation tritt eine Wahrnehmungsverschiebung bei den<br />

Kooperationspartnern zugunsten von zwei unterschiedlichen Gruppen statt einer zusammengehörenden<br />

Kooperationsgruppe ein. Außerdem konnte eine Wechselwirkung<br />

von Identifikation und Aufgabeninterdependenz nachgewiesen werden. Besonders<br />

umf<strong>an</strong>greich wurde versucht, die Wirkung der Identifikation auf die Effektivität<br />

der Kooperation zu erfassen. Sowohl für niedrige wie auch für hohe Aufgabeninterdependenz<br />

ergab sich ein Effektivitätsverlust <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der Bezugspunkte Leistungsresultat,<br />

Leistungsh<strong>an</strong>dlung und Leistungsbewertung. Die vermutete belastungssteigernde<br />

Wirkung der Identifikation konnte nur bei hoher Aufgabeninterdependenz<br />

nachgewiesen werden. Ebenso wurde eine Beeinträchtigung der Bereitschaft für<br />

künftige Kooperationen bei hoher Identifikation bestätigt.<br />

5. Implikationen der Untersuchung<br />

Aus den Ergebnissen werden Rückschlüsse auf die Weiterentwicklung der verwendeten<br />

Theorien gezogen sowie weiterer empirischer Forschungsbedarf begründet.<br />

Darüber hinaus werden konkrete Gestaltungsempfehlungen für das M<strong>an</strong>agement von<br />

Schnittstellen entwickelt.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 465<br />

Michael Schiffinger<br />

Zur Messung mikropolitischer Taktiken im Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

mit Karriereerfolg und Karrierekontext<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Joh<strong>an</strong>nes Steyrer und Prof. Dr. Helmut<br />

Kasper, beide Wirtschaftsuniversität Wien<br />

Das zentrale Thema der Dissertation sind mikropolitische Taktiken sowie die<br />

Zusammenhänge zwischen dem Einsatz dieser Taktiken und karrierebezogenen Variablen,<br />

nämlich Karriereerfolg und Karrierekontext. Der Schwerpunkt liegt dabei nicht<br />

auf einer theoretischen Erörterung der verschiedenen Spielarten mikropolitischen<br />

Verhaltens und unterstellter Zusammenhänge mit Karriereerfolg oder Karrierekontext,<br />

sondern einerseits auf der Entwicklung eines Konzepts (bzw. in weiterer Folge<br />

verschiedener daraus abgeleiteter Zugänge) zur Operationalisierung mikropolitischer<br />

Taktiken, <strong>an</strong>dererseits auf einer empirischen Analyse der Zusammenhänge zwischen<br />

dem Einsatz dieser Taktiken und Karriereerfolg sowie Karrierekontext.<br />

Konkret soll sich die durch diese Arbeit repräsentierte Forschungsaktivität in<br />

drei Bereichen ausdrücken:<br />

Im theoretisch-konzeptuellen Bereich lag das Ziel darin, auf Basis vorh<strong>an</strong>dener<br />

Literatur eine Konzeption mikropolitischer Taktiken zu schaffen, die auf einer theoretisch<br />

fundierten Struktur basiert, wobei die theoretische Aufarbeitung auch den<br />

„Rahmen“ umfasst, in den diese Taktiken später eingebettet wurden (Karriere, bzw.<br />

Karriereerfolg und Karrierekontext).<br />

Im Bereich der Skalenkonstruktion sollte dieses Konzept sowohl literaturgestützt<br />

als auch in weiterer Folge unter Zuhilfenahme statistischer Verfahren operationalisiert,<br />

verschiedene Zugänge zur Operationalisierung genauer ausgearbeitet und<br />

die Eigenschaften der verschiedenen Operationalisierungen näher <strong>an</strong>alysiert werden.<br />

In diesem Bereich liegt auch der thematische Schwerpunkt dieser Arbeit.<br />

Auf der empirischen Ebene i.e.S. sollten schließlich verschiedene Vari<strong>an</strong>ten der<br />

Operationalisierung auf Zusammenhänge mit Karriereerfolg und Karrierekontext hin<br />

untersucht werden. Neben einer explorativen Untersuchung wurden auch auf Basis<br />

bisheriger empirischer Studien Annahmen über Zusammenhänge zwischen einzelnen<br />

Karrieretaktiken und Karriereerfolg sowie Karrierekontext getroffen und überprüft.<br />

Im theoretischen Teil der Arbeit wird – nach einigen kurzen Ausführungen zu<br />

Karriere und Karrierekontext – der Begriff mikropolitischer Taktiken genauer definiert<br />

und drei Vari<strong>an</strong>ten mikropolitischen Verhaltens vorgestellt: Einflusstaktiken,<br />

Impression-M<strong>an</strong>agement-Taktiken und Networking-Taktiken. Jede dieser drei Vari<strong>an</strong>ten<br />

wird auf Basis einschlägiger Literaturquellen weiter in einzelne Taktiken differenziert,<br />

zu denen d<strong>an</strong>n jeweils Items formuliert wurden. Insgesamt umfasste der literaturbasierte<br />

Fragenpool 19 Skalen mit insgesamt 148 Items.<br />

Dieser Itempool wurde einer Stichprobe von 201 Berufstätigen vorgelegt. Die<br />

Stichprobe best<strong>an</strong>d hauptsächlich aus Personen aus der österreichischen Privatwirt-


466 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

schaft; das Geschlechterverhältnis war beinahe ausgewogen – 101 Frauen und 100<br />

Männer.<br />

Auf Basis der erhaltenen Ergebnisse wurden einerseits die literaturbasierten Skalen<br />

bezüglich ihrer psychometrischen Eigenschaften <strong>an</strong>alysiert (Skalenkonsistenz,<br />

Rohwerteverteilung) und teilweise optimiert. Andererseits wurde auf empirischem<br />

Weg untersucht, inwieweit sich die theoriebasierte Einteilung durch statistische Verfahren<br />

reproduzieren lässt. Des Weiteren wurde eine Faktoren<strong>an</strong>alyse über den gesamten<br />

Itempool gerechnet und die erhaltenen Faktoren ebenfalls bezüglich ihrer<br />

Skalenkonsistenz optimiert.<br />

Abschließend wurden die verschiedenen Skalen zur Erfassung mikropolitischen<br />

Verhaltens zum Karriereerfolg (und auch zum Karrierekontext) der Prob<strong>an</strong>den in Bezug<br />

gesetzt. Da die Erhebung für unterschiedliche Karriereumfelder gültig sein sollte,<br />

erschien die in empirischen Studien häufig gewählte Operationalisierung von Karriereerfolg<br />

durch „erreichte hierarchische Stufe“, „Anzahl der Beförderungen“ o.ä. nicht<br />

geeignet. Auch auf die Erfragung des Einkommens wurde insbesondere mit Augenmerk<br />

auf den Rücklauf verzichtet. 1<br />

Stattdessen wurde auf Basis der erhobenen Variablen Berufsbezeichnung, Alter,<br />

der Frage nach einer etwaigen Führungstätigkeit und deren Dauer sowie der Frage<br />

nach einer etwaigen selbständigen Tätigkeit auf heuristischem Weg eine Unterteilung<br />

in drei Gruppen vorgenommen, wobei die erste Gruppe (keine Führungsposition) den<br />

„niedrigsten“ Karriereerfolg aufwies und beispielsweise Berufe wie „Sachbearbeiter“<br />

oder „Verkaufsunterstützung“ umfasste; in der zweiten Gruppe (meist Innehabung<br />

einer Führungsposition) waren hingegen Berufe wie „Assistenz der Geschäftsführung“<br />

oder „Product M<strong>an</strong>ager“ vertreten; die dritte und „erfolgreichste“ Gruppe umfasste<br />

Berufe wie „Leiter des Fin<strong>an</strong>z- und Rechnungswesens“, „Geschäftsführer“ o-<br />

der „Vorst<strong>an</strong>d“ mit l<strong>an</strong>ger Führungstätigkeit.<br />

Die Unterscheidung bezüglich Karrierekontext basierte auf der Beschäftigungsform<br />

(<strong>an</strong>gestellt vs. selbständig) und der br<strong>an</strong>chenüblichen Verweildauer innerhalb<br />

derselben Org<strong>an</strong>isation. Auch hier wurden die Prob<strong>an</strong>den in drei Gruppen eingeteilt –<br />

jene mit einer sicheren und dauerhaften Bindung <strong>an</strong> einen Job, jene, die zwar <strong>an</strong>gestellt<br />

aber dennoch in unsteteren Verhältnissen tätig sind, und schließlich jene, die<br />

wirtschaftlich selbständig arbeiteten.<br />

Die Analyse der Zusammenhänge zwischen mikropolitischen Taktiken und Karriereerfolg<br />

nach der oben erwähnten Operationalisierung ergab für die meisten Taktiken<br />

einen signifik<strong>an</strong>ten Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem Karriereerfolg – d.h. fast alle Taktiken<br />

wurden von den „erfolgreicheren“ Gruppen stärker eingesetzt. Besonders auffällig<br />

war, dass es nicht die am stärksten eingesetzten Taktiken waren, die den deutlichs-<br />

1<br />

Der Fragebogen war gleichzeitig ein Pretest-Instrument für die Entwicklung eines allgemeineren<br />

Fragebogens zu Karrieretaktiken im Rahmen des FWF-geförderten Vienna Career P<strong>an</strong>el<br />

Project der IVM der WU Wien (http://www.vicapp.at).


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 467<br />

ten Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem Karriereerfolg aufwiesen, sondern eher schlecht beleumundete<br />

Taktiken wie offenes Pochen auf die eigene Positionsmacht, opportunistisches<br />

Bemühen um <strong>an</strong>dere je nach deren potentieller Nützlichkeit für die eigene Karriere,<br />

„einschleimendes“ Sich-<strong>an</strong>biedern und aggressives Einschüchtern des sozialen<br />

Umfelds.<br />

Mit dem Karrierekontext ergaben sich hingegen nur in wenigen Fällen aussagekräftige<br />

Zusammenhänge, was auch dar<strong>an</strong> liegen mag, dass die „Selbständigen“ im<br />

Sample in den meisten Fällen l<strong>an</strong>ggediente Führungskräfte waren, für die die Selbständigkeit<br />

wohl eher ein Ausdruck beruflicher Selbstverwirklichung ist als ein Ergebnis<br />

allzu unsicherer Beschäftigungsverhältnisse. Auch die Unterschiede zwischen<br />

den Geschlechtern fielen nur gering aus, was die am stärksten und am wenigsten eingesetzten<br />

Taktiken betraf, allerdings waren die Taktiken mit dem deutlichsten Erfolgszusammenh<strong>an</strong>g<br />

bei den Männern <strong>an</strong>dere als bei den Frauen.<br />

7. Führung und Führungskräfte<br />

Jürgen Michael Bischoff<br />

„Vom nächsten Sprung ins kalte Wasser“. Sozialisationsund<br />

Strukturationsprozesse bei der Übernahme der ersten<br />

Führungsfunktion im mittleren M<strong>an</strong>agement<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Oswald Neuberger, Universität Augsburg<br />

Die über 600 Seiten l<strong>an</strong>ge Arbeit (ergänzt durch ein 56-seitiges Literaturverzeichnis<br />

und einen kleinen Anh<strong>an</strong>g mit den verwendeten Fragebögen und Interviewleitfäden)<br />

untersucht folgende Leitfragen:<br />

Wie lassen sich interaktionale Strukturations- und Sozialisationsprozesse bei der<br />

Übernahme der ersten Führungsfunktion beschreiben und erklären?<br />

<br />

<br />

Wie werden diese Prozesse von den neuen Führungskräften erlebt?<br />

Welche Auswirkungen haben die Strukturations- und Sozialisationsprozesse auf<br />

die beteiligten Org<strong>an</strong>isationen und Personen?<br />

Um diese Fragen zu be<strong>an</strong>tworten, entscheidet sich der Autor für ein qualitatives<br />

Vorgehen, bei dem er einen Methodenmix einsetzt [Interviews, Fragebögen, teilnehmende<br />

Beobachtung (und implizit: Dokumenten<strong>an</strong>alyse)].<br />

Die Datenerhebung f<strong>an</strong>d in zwei Unternehmensbereichen eines Großunternehmens<br />

der Informations- und Telekommunikationstechnik statt. Sie erstreckte sich ü-<br />

ber einen Zeitraum von 5 Jahren (1994-1998). In Querschnittserhebungen wurde mit<br />

teilst<strong>an</strong>dardisierten schriftlichen Fragebogen gearbeitet, die auf eine engere Thematik<br />

eingeengt waren (Eruierung des Qualifikationsbedarfs). Den Kern der Arbeit macht<br />

eine Längsschnittstudie aus, bei der 10 neue Führungskräfte, deren Vorgesetzte, jeweils<br />

ein Mitarbeiter und in zwei Fällen auch Kollegen sowie noch drei „Experten“


468 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

interviewt wurden (insg. also 35 Personen). Es gab mehrere Untersuchungswellen:<br />

die TeilnehmerInnen wurden kurz vor oder unmittelbar nach der Übernahme der neuen<br />

Position und im Verlauf weiterer zwei Jahre mehrmals (im Schnitt dreimal) interviewt<br />

(S. 213).<br />

Die Auswertung der Interviews orientiert sich am Konzept von Froschauer &<br />

Lueger, deren programmatische Empfehlungen und Interpretationsschema dargestellt<br />

werden.<br />

Das umf<strong>an</strong>greiche empirische Material wird auf dem Hintergrund eines elaborierten<br />

theoretischen Modells, das durch die Strukturationstheorie Giddens’ inspiriert<br />

ist, geordnet. Nicht die Konstatierung empirischer Sachverhalte, sondern die Interpretation<br />

ihres Zust<strong>an</strong>dekommens und ihrer Folgewirkungen steht im Mittelpunkt; der<br />

Leser erhält jedoch durch die sehr ausführlichen Interviewzitate die Möglichkeit, die<br />

theoretischen Einordnungen und Schlussfolgerungen direkt zu überprüfen. Die Diskussion<br />

bal<strong>an</strong>ciert mehrere Ebenen: eine strukturelle org<strong>an</strong>isationale, eine interaktionale<br />

interpersonale und schließlich eine subjektive intrapersonale. Allen drei Strukturationsdimensionen<br />

wird Rechnung getragen: der signifikatorischen (sinngebende<br />

Wirklichkeitskonstruktion), der legitimatorischen (normative Rechtfertigung) und der<br />

autoritativ-ökonomischen (in der es um den Einsatz von Macht und die Allokation<br />

von Ressourcen geht). Dieser komplexe Ansatz bewahrt den Autor vor einigen in der<br />

Fachliteratur vorfindbaren Simplifizierungen (exemplarisch seien die beliebten Phasenmodelle<br />

der Sozialisation gen<strong>an</strong>nt).<br />

Die Erfahrungen, die die neuen Führungskräfte in der ersten Zeit nach ihrer Ernennung<br />

machen, werden entsprechend dem strukturationstheoretischen Rahmenmodell<br />

interpretiert: Zuerst werden (1) strukturelle Rahmenbedingungen und Positionsmerkmale<br />

beh<strong>an</strong>delt, d<strong>an</strong>n (2) interaktionale Prozesse und Beziehungsnetze und<br />

schließlich (3) intrapersonale Prozesse.<br />

zu (1): Im Hinblick auf die „übergreifenden“ Rahmenbedingungen werden u.a. folgende<br />

Akzentsetzungen berichtet:<br />

Neue Führungskräfte erleben deutlich ihre Interdependenz. Sie müssen Netzwerke<br />

aufbauen und pflegen und sich selbst als attraktiver (Tausch-)Partner einbringen.<br />

Das bedeutet auf der <strong>an</strong>deren Seite auch, dass die unilaterale hierarchische<br />

Linienstruktur (zwischen Vorgesetzten und Unterstellten) durch Verbindungen<br />

über die Dienststellengrenzen hinaus erweitert werden muss, wodurch<br />

prekäre Bal<strong>an</strong>ceakte nötig werden können.<br />

Die Beziehungsgeflechte sind <strong>an</strong>dererseits ein Gegengewicht zur domin<strong>an</strong>ten<br />

und stets aktiven Dependenz von den höheren Hierarchieebenen, die Strategien<br />

und Strukturen definieren, Ressourcen zuteilen und entziehen und zur Durchsetzung<br />

ihrer eigenen Interessen verlässliche „executives“ – als die sie die untergeordneten<br />

Führungskräfte sehen – haben wollen. Weil die „Hierarchen“ Gatekeeper<br />

und Promotoren sind, ist es wichtig, von ihnen gesehen zu werden, positiv<br />

aufzufallen, ihre Erwartungen zu dechiffrieren und zu erfüllen. Insofern leben<br />

die jungen Führungskräfte in einer belastenden Dauer-Testsituation, die ihnen


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 469<br />

weit mehr als nur normalen Einsatz abverl<strong>an</strong>gt – bei gleichzeitiger Unsicherheit<br />

über die Bewährungskriterien im konkreten Fall.<br />

Neu ern<strong>an</strong>nte Führungskräfte müssen auch erkennen, dass ihnen zwar die Aufgabe<br />

der Personalführung übertragen wird, für die sie kaum vorbereitet werden,<br />

dass aber zugleich fachliche Kompetenz und hoher Output weit höher gewichtet<br />

werden.<br />

Junge Führungskräfte müssen lernen, dass zwar Regeln und Vorschriften zu beachten<br />

sind, gleichzeitig aber Spielräume (bis hin zur Regelverletzung) vorh<strong>an</strong>den<br />

sind und genutzt werden müssen, will m<strong>an</strong> den heterogenen und z.T. <strong>an</strong>tagonistischen<br />

Erwartungen genügen.<br />

Gleichzeitig müssen sie dar<strong>an</strong> arbeiten, ihren Ver<strong>an</strong>twortungsbereich auszudehnen,<br />

neue Aufgaben zu finden, in denen sie (ihre Vorgesetzten) überzeugen und<br />

ihre Position absichern können.<br />

zu (2): Bei den interaktionalen Prozessen wird Folgendes hervorgehoben:<br />

Die meisten neuen Führungskräften fühlen sich von ihren unmittelbaren Vorgesetzten<br />

(und der Personalabteilung) im Stich gelassen. Nicht selten werden sie<br />

„ihrer M<strong>an</strong>nschaft“ gar nicht richtig vorgestellt, bereits vor der formellen Ernennung<br />

mit Führungsaufgaben betraut (ohne offiziell dazu die Kompetenzen zu<br />

erhalten) und müssen mit Rivalen um die Abgrenzung ihrer Aufgabengebiete<br />

und nötige Ressourcen konkurrieren. Sie werden, kurz gesagt, ins kalte Wasser<br />

geworfen.<br />

Besonderes Gewicht hat der Aufbau von guten Beziehungen zu den unterstellten<br />

MitarbeiterInnen, die oft genug – weil „Beförderung aus den eigenen Reihen“<br />

eine sehr häufige Politik ist – früher KollegInnen waren. In einem m<strong>an</strong>chmal<br />

enttäuschungsreichen Prozess müssen die jungen Führungskräfte erkennen, dass<br />

sie ihre eigenen Leistungshaltungen nicht generalisieren dürfen, dass sie Aufgaben<br />

(die sie selbst besser und schneller lösen könnten) abgeben müssen, dass sie<br />

MitarbeiterInnen vertrauen müssen und dennoch mit Rivalität oder Illoyalität<br />

fertig werden und sich ab und zu sehr entschieden durchsetzen müssen.<br />

Dies alles läuft unter Beobachtung, nicht nur durch den unmittelbaren und die<br />

höheren Vorgesetzten, die erwarten – diese Formel zitiert Bischoff des öfteren –<br />

dass der oder die Neue keine Probleme macht, sondern Probleme löst. Die vorherrschende<br />

Outputorientierung bringt es mit sich, dass sich Führungskräfte<br />

trotz unklaren und wechselnden Zielen, selten expliziten Stellenbeschreibungen<br />

und Ressourcenausstattungen als verlässliche Ausführungsorg<strong>an</strong>e bewähren sollen<br />

und nicht durch „Personalprobleme“ auffallen dürfen.<br />

Für die formalen Personalinstrumente (Durchsprachen, Mitarbeitergespräche<br />

etc.) werden sie wenig trainiert; zudem erleben sie, dass reale (Personal-)Entscheidungen<br />

häufig „von oben“ nach <strong>an</strong>deren Kriterien getroffen werden, als es<br />

die geltenden Leitsätze und öffentlichen Bekundungen proklamieren.<br />

Auf diese Weise werden die „Rookies“ dazu gebracht, die mikropolitischen<br />

Spielregeln zu lernen und <strong>an</strong>zuwenden; in ihrem Umfeld, vor allem in den Füh-


470 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

rungsebenen finden sie viele Modelle, die ihnen erfolgreiches Taktieren vorleben.<br />

zu (3): Nicht nur Rahmenbedingungen und Interaktionen, auch die Personen selbst<br />

ändern sich mit dem Überg<strong>an</strong>g in die neue Rolle „Führungskraft“:<br />

Die hohen Anforderungen in der Dauer-Testsituation, die Serien von Erfolgen<br />

und Misserfolgen, Siegen und Niederlagen wirken sich auch auf die Selbstbilder<br />

aus. Neue Führungskräfte müssen lernen, wie ihre Vorgesetzten „cool“ zu werden,<br />

den Erfolg der Sache über Gefühle (zu MitarbeiterInnen, zu sich selbst –<br />

wie etwa Ängste, Zweifel) zu stellen und eigene Bedürfnisse zu verdrängen oder<br />

zumindest zu kontrollieren.<br />

Sie müssen sich klar werden, dass sie die Seiten gewechselt haben, nicht mehr<br />

durch Fachkompetenz Bestätigung finden, sondern eine Führungskarriere eingeschlagen<br />

haben, die – wenn sie weiter erfolgreich verlaufen soll – ihnen Umorientierungen<br />

in ihren Lebensplänen sowie den kollegialen und privaten Beziehungen<br />

abverl<strong>an</strong>gt: Sie müssen eine „Vorgesetztenidentität“ erwerben.<br />

<br />

Dabei müssen sie sich nach allen Seiten neu kalibrieren: zu den unmittelbaren<br />

und höheren Vorgesetzten, zu den MitarbeiterInnen, zum Unternehmensumfeld.<br />

Und all das verändert rekursiv sie selbst.<br />

Es ist ein l<strong>an</strong>g <strong>an</strong>haltender, von Krisen, Selbstzweifeln und Enttäuschungen, a-<br />

ber auch von Durchbrüchen und Erfolgserlebnissen geprägter Prozess des umfassenden<br />

W<strong>an</strong>dels der eigenen Identität, der Fähigkeiten, Emotionen, Weltsichten<br />

und H<strong>an</strong>dlungsprogramme der Führungskraft konditioniert und sie ein „<strong>an</strong>derer<br />

Mensch“ werden lässt.<br />

Thomas Bissels<br />

Vertrauen zum Vorgesetzten: Konstruktvalidierung und Wirkung<br />

auf das Leistungsverhalten der Mitarbeiter *<br />

Betreuerin: Prof. Sonja Sackm<strong>an</strong>n, PhD, Universität der Bundeswehr<br />

München<br />

1. Fragestellung der Untersuchung<br />

In der Literatur wird davon ausgeg<strong>an</strong>gen, dass Vertrauen eine wichtige Basis für<br />

gelingende Kooperation und Kommunikation sowie für ein hohes Leistungsniveau<br />

einzelner Mitarbeiter oder Teams darstellt (vgl. z.B. Tyler & Kramer, 1996). Um so<br />

*<br />

Bissels, Thomas (2003). Vertrauen zum Vorgesetzten: Konstruktvalidierung und Wirkung auf<br />

das Leistungsverhalten der Mitarbeiter. Berlin: Mensch und Buch <strong>Verlag</strong>.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 471<br />

mehr überrascht, dass es kaum Studien gibt, die die Effekte von Vertrauen konsequent<br />

überprüft haben. Insbesondere mit Blick auf den Einfluss von Vertrauen auf individuelle<br />

Leistung existieren zwar einzelne Studien, jedoch wurden mit Ausnahme<br />

der Untersuchung von Dirks (1999) unterschiedliche Wirkungsmöglichkeiten von<br />

Vertrauen auf individuelles Leistungsverhalten (z.B. direkter Einfluss, vermittelter<br />

Einfluss oder Einfluss als moderierende Variable) und deren theoretische Begründungen<br />

nicht <strong>an</strong>alysiert.<br />

Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt daher in der systematischen Untersuchung<br />

des Einflusses des Vertrauens zum Vorgesetzten auf das Leistungsverhalten einzelner<br />

MitarbeiterInnen (vertragliche Arbeitsleistung, Extra-Rollenverhalten). Insbesondere<br />

sollen die vermittelnden Mech<strong>an</strong>ismen dieser Beziehung untersucht werden unter<br />

dem Blickwinkel, dass Vertrauen etwa soziale Tr<strong>an</strong>saktionskosten in der Zusammenarbeit<br />

reduziert. Damit liefert die Studie erstmalig eine systematische Überprüfung<br />

der zugrundeliegenden Mech<strong>an</strong>ismen der oftmals postulierten Leistungseffekte des<br />

Vertrauens zu Vorgesetzten.<br />

2. Theoretische Basis und verwendete Methoden<br />

Die vorliegende Arbeit systematisiert zunächst bestehende Ansätze zum interpersonellen<br />

Vertrauen in Org<strong>an</strong>isationen. Auf Basis der Literatur<strong>an</strong>alyse wird ein intentionales<br />

Vertrauenskonzept in einem ersten Schritt theoretisch hergeleitet (Vertrauen<br />

wird als Verhaltensintention in Anlehnung <strong>an</strong> die Theorie überlegten H<strong>an</strong>delns<br />

aus der Einstellungsforschung verst<strong>an</strong>den; Frey/Stahlberg/Gollwitzer, 1993) und in<br />

einem zweiten Schritt empirisch überprüft. Dabei wird der Rahmen der Theorie überlegten<br />

H<strong>an</strong>delns durch die explizite Untersuchung von Einflussfaktoren des Vertrauens,<br />

die nicht kognitiver Natur sind wie etwa Stimmungen oder die Qualität der Beziehung<br />

zu Vorgesetzten, erweitert.<br />

Empirisch überprüft wurden die direkten Wirkung des Vertrauens zum Vorgesetzten<br />

auf das Leistungsverhalten der MitarbeiterInnen (vertragliche Arbeitsleistung,<br />

Extra-Rollenverhalten wie z.B. Unterstützung von Kollegen, Einreichen von Verbesserungsvorschlägen)<br />

sowie die indirekten Wirkungen (vermittelt über die Variablen<br />

subjektives Wohlbefinden in der Arbeit, Senkung der sozialen Tr<strong>an</strong>saktionskosten,<br />

vermehrte Anstrengung und Wahrnehmung erweiterter Tätigkeitsspielräume). Dazu<br />

wurden MitarbeiterInnen aus 14 Verwaltungsabteilungen eines in Europa operierenden<br />

Großunternehmens (n=225) per Fragebogen untersucht (der Fragebogen wurde in<br />

einer umf<strong>an</strong>greichen Vorstudie entwickelt). Die statistischen Analysen wurden mit<br />

Strukturgleichungsmodellen berechnet.<br />

3. Ergebnisse der Untersuchung<br />

Auf Basis einer kritischen Betrachtung bestehender Ansätze interpersonellen<br />

Vertrauens in Org<strong>an</strong>isationen wurde in Anlehnung <strong>an</strong> Mayer et al. (1995) ein Modell<br />

des Vertrauens zum Vorgesetzten und seiner Einflussfaktoren entwickelt und empirisch<br />

überprüft, das zwischen Vertrauen, seinen Einflussfaktoren und Konsequenzen


472 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

unterscheidet. Faktoren<strong>an</strong>alysen im Rahmen von Strukturgleichungsmodellen (latente<br />

Variablen) lieferten Belege für das intentionale Vertrauenskonzept. Ferner gel<strong>an</strong>g die<br />

valide Unterscheidung des Vertrauens zum Vorgesetzten von seinen dispositionellen<br />

(Vertrauensneigung), sozial-motivationalen (Qualität der Austauschbeziehung zum<br />

Vorgesetzten), kognitiven (wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit) sowie affektiven<br />

(Stimmungen gegenüber dem Vorgesetzten) Einflussfaktoren. Insbesondere die Vielfalt<br />

der Konzepte zur wahrgenommenen Vertrauenswürdigkeit des Vorgesetzten ließ<br />

sich bündeln und vereinfachen. Mithilfe multipler Regressionsrechnung (latente Variablen)<br />

konnte gezeigt werden, dass die <strong>an</strong>genommenen Einflussfaktoren das Ausmaß<br />

des Mitarbeitervertrauens zum Vorgesetzten tatsächlich bestimmten. Zusammengenommen<br />

ließen sich somit erste Belege für die Validität des Modells des Vertrauens<br />

zum Vorgesetzten und seiner Einflussfaktoren feststellen.<br />

„Does trust matter?“ fragen Zaheer et al. (1998, 141) pointiert. Während bei<br />

Dirks (1999) das Vertrauen nicht in Beziehung zu Leistungsindikatoren st<strong>an</strong>d, ergaben<br />

sich in der vorliegenden Studie moderate Zusammenhänge zwischen Vertrauen<br />

und Leistungsverhalten. Die Daten unterstützen ein Modell, in dem sowohl direkte<br />

Effekte des Vertrauens zum Vorgesetzten (Vertrauen Leistungsverhalten) als auch<br />

indirekte Effekte über die vier <strong>an</strong>genommenen vermittelnden Variablen (subjektives<br />

Wohlbefinden in der Arbeit, Senkung der sozialen Tr<strong>an</strong>saktionskosten, vermehrte<br />

Anstrengung und Wahrnehmung großer Tätigkeitsspielräume; Vertrauen zum Vorgesetzten<br />

vermittelnde Variablen Leistungsverhalten) eine Rolle spielen. Die Ü-<br />

berprüfung einzelner Beziehungen zwischen den Variablen verdeutlichte, dass nur<br />

Anstrengung als vermittelnder Mech<strong>an</strong>ismus fungierte, und zwar mit Blick auf die<br />

Beziehung zwischen Vertrauen zum Vorgesetzten und Extra-Rollenverhalten. Das<br />

heißt, vertraut der Mitarbeiter seinem Vorgesetzten, so strengt er sich stärker <strong>an</strong>, was<br />

wiederum dazu führt, dass der Mitarbeiter ausgeprägteres Extra-Rollenverhalten zeigt<br />

(z.B. mehr Verbesserungsvorschläge macht). Somit ließ sich Anstrengung als der<br />

zentrale vermittelnde Mech<strong>an</strong>ismus der Effekte des Vertrauens zum Vorgesetzten auf<br />

das Leistungsverhalten der Mitarbeiter identifizieren.<br />

Für Unternehmen empfiehlt sich deshalb, verstärkt Maßnahmen zur Förderung<br />

des Vertrauens zum Vorgesetzten einzusetzen, die nicht auf direkte Leistungseffekte<br />

abzielen, sondern die in einer ersten Phase zunächst das Erleben der Arbeit (subjektives<br />

Wohlbefinden in der Arbeit, Wahrnehmung erweiterter Tätigkeitsspielräume) und<br />

die Qualität der Arbeitsprozesse (Senkung sozialer Tr<strong>an</strong>saktionskosten, vermehrte<br />

Anstrengung) positiv beeinflussen. Zeitlich versetzt können sich hier<strong>an</strong> <strong>an</strong>schließend<br />

positive Leistungseffekte – vermittelt über das Erleben der Arbeit und die Qualität<br />

der Arbeitsprozesse – einstellen. Als Maßnahmen zur Förderung des Vertrauens zum<br />

Vorgesetzten sollten Führungskräfte auf ihre Vertrauenswürdigkeit achten, indem sie<br />

als Vorbild fungieren, faire Verfahrensweisen beherzigen und MitarbeiterInnen <strong>an</strong><br />

Entscheidungen sowie <strong>an</strong> deren Umsetzung teilhaben lassen. Zudem k<strong>an</strong>n in Selbstm<strong>an</strong>agementtrainings<br />

die Wahrnehmung von (kritischen) Stimmungen bei Mitarbeitern<br />

geschult werden.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 473<br />

4. Weiterführende oder noch offene Fragen<br />

Neben der Überprüfung des intentionalen Vertrauensmodells im Längsschnitt<br />

sollte die Wirkung der identifizierten Mediatoren in <strong>an</strong>deren Kontexten wie z.B. in<br />

Verh<strong>an</strong>dlungssituationen oder virtuellen Teams überprüft werden.<br />

Literatur<br />

Dirks, K.T. (1999): The effects of interpersonal trust on work group perform<strong>an</strong>ce. In: Journal of<br />

Applied Psychology, 84, 445-455.<br />

Frey, D./Stahlberg, D./Gollwitzer, P.M. (1993): Einstellung und Verhalten: Die Theorie überlegten<br />

Verhaltens und die Theorie gepl<strong>an</strong>ten Verhaltens. In: D. Frey & M. Irle (Hrsg.): Theorien der<br />

Sozialpsychologie, B<strong>an</strong>d 1: Kognitive Theorien. Bern: Huber, 361-398.<br />

Mayer, C.R./Davis, J.H./Schoorm<strong>an</strong>, F.D. (1995): An integrative model of org<strong>an</strong>izational trust. In:<br />

Academy of M<strong>an</strong>agement Review, 20, 709-734.<br />

Tyler, T.R./Kramer, R.M. (1996): Whither Trust? In: R. Kramer & T. Tyler (eds.): Trust in org<strong>an</strong>izations,<br />

London: Sage, 1-15.<br />

Evelin Dietrich<br />

Werte und Wertew<strong>an</strong>del in gesellschaftlichen Tr<strong>an</strong>sformationsprozessen<br />

– dargestellt am Beispiel Führungskräfte* <br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Rainhart L<strong>an</strong>g, Technische Universität<br />

Chemnitz<br />

1. Problemstellung und Ziele<br />

Seit Beginn des Tr<strong>an</strong>sformationsprozesses wurde es möglich, das Thema der<br />

Werte unter den Bedingungen gravierender gesellschaftlicher Umbrüche zu untersuchen.<br />

Die beobachtbaren Veränderungen in Ostdeutschl<strong>an</strong>d wurden dabei sehr zeitig<br />

als grundlegender Wertew<strong>an</strong>del eingeordnet. Bei der Betrachtung theoretischer und<br />

empirischer Forschungsarbeiten fällt jedoch auf, dass die Analyse des Wertew<strong>an</strong>dels<br />

der wirtschaftlichen Akteure in Ostdeutschl<strong>an</strong>d überwiegend erst nach 1990 beg<strong>an</strong>n<br />

und auf dieser Basis oftmals eine stereotype Kategorisierung der ostdeutschen Akteure<br />

erfolgte. Es wird kaum unterschieden zwischen dem Wertew<strong>an</strong>del, der sich bereits<br />

innerhalb der Entwicklungsetappen der DDR vollzog und durch die neuen Rahmenbedingungen<br />

offenkundig wird, und dem Prozess der Wertetr<strong>an</strong>sformation, der durch<br />

die deutsche Wiedervereinigung eingeleitet wurde und seine spezifische Ausprägung<br />

<br />

Evelin Dietrich: Werte und Wertew<strong>an</strong>del in gesellschaftlichen Tr<strong>an</strong>sformationsprozessen dargestellt<br />

am Beispiel Führungskräfte. Schriftenreihe: Arbeit, Org<strong>an</strong>isation und Personal im<br />

Tr<strong>an</strong>sformationsprozess, herausgegeben von R. L<strong>an</strong>g, C. Baitsch, P. Pawlowsky, Bd. 20,<br />

ISBN 3-87988-730-6, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, München u. Mering 2003, 268 S., € 24,80.


474 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

durch die Art und Weise des Vereinigungsprozesses erhält. Auch die Annahmen über<br />

Werte und deren W<strong>an</strong>del im real existierenden Sozialismus sind sehr widersprüchlich<br />

und die unterschiedlichen Traditionen der Werteforschung werden weitestgehend ignoriert.<br />

Ziel dieser Arbeit ist, die individuellen Werte und Prozesse des Wertew<strong>an</strong>dels<br />

der Leiter/Führungskräfte, die in der DDR eine besondere Stellung einnahmen und im<br />

Tr<strong>an</strong>sformationsprozess als wichtige wirtschaftliche Akteure <strong>an</strong>gesehen werden können,<br />

systemübergreifend zu <strong>an</strong>alysieren. Wesentliche Fragestellungen dabei sind:<br />

Welche individuellen Werte waren bei den Leitern in der DDR vorh<strong>an</strong>den und<br />

welche Werteentwicklungen haben sich bei dieser Gruppe bereits in der DDR vollzogen?<br />

Wie veränderten sich die individuellen Werte der ostdeutschen Führungskräfte<br />

im Verlauf des Tr<strong>an</strong>sformationsprozesses?<br />

Welche Wertveränderungen der Gruppe der Leiter/Führungskräfte sind Ende der<br />

neunziger Jahre im Vergleich zum Ende der achtziger Jahre feststellbar?<br />

2. Aufbau der Arbeit<br />

Den Ausg<strong>an</strong>gspunkt der Arbeit bildet eine Analyse der Ergebnisse der Werteforschung<br />

im Tr<strong>an</strong>sformationsprozess und die Herausarbeitung einer Vielzahl von<br />

allgemeinen, strukturellen und methodischen Defiziten des Forschungsfeldes sowie<br />

von Problemen einer systemübergreifenden Betrachtung der Werte und des Wertew<strong>an</strong>dels<br />

(Abschn. A). Im Anschluss erfolgt ein Blick auf die Definitionen des Begriffs<br />

„Wert“ und ein Vergleich der Wertauffassungen aus der Sicht verschiedener<br />

Wissenschaftsdisziplinen in Ost- und Westdeutschl<strong>an</strong>d (Abschn. B). Im Abschnitt C<br />

wird, ausgehend davon, dass der Systemw<strong>an</strong>del von der Pl<strong>an</strong>- zur Marktwirtschaft ein<br />

Veränderungsprozess ist, der sowohl die gesellschaftliche, die org<strong>an</strong>isationale als<br />

auch die individuelle Ebene berührt (vgl. Abbildung 1), die Entstehung und Veränderung<br />

von Werten, die zentrale Bedeutung individueller Werte und der Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

gesellschaftlicher und individueller Wertsysteme dargestellt; Dimensionen und<br />

Tendenzen des Wertew<strong>an</strong>dels werden aufgezeigt. Mit Hilfe von Exkursen sowie eines<br />

Anh<strong>an</strong>gs werden die jeweiligen Spezifika in der DDR bzw. im Tr<strong>an</strong>sformationsprozess<br />

betrachtet. Im empirischen Teil der Arbeit (Abschn. D) wird zunächst die methodische<br />

Vorgehensweise diskutiert. D<strong>an</strong>ach werden die Befunde aus zwölf empirischen<br />

Studien – fünf davon aus der Zeit vor der Wende – vorgestellt. Die Zusammenstellung<br />

und Interpretation der Befunde erfolgt entl<strong>an</strong>g der o. g. Fragestellungen vor<br />

dem Hintergrund der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen in Ostdeutschl<strong>an</strong>d<br />

und der H<strong>an</strong>dlungskontexte der Führungskräfte (vgl. Abb. 1). Den Abschluss<br />

der Arbeit bildet Abschnitt E, in dem die Ergebnisse kritisch hinterfragt und<br />

offene Probleme sowie mögliche Anknüpfungspunkte für die Praxis aufgezeigt werden.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 475<br />

Abb. 1: Ebenen des Tr<strong>an</strong>sformationsprozesses 1<br />

Gesellschaft<br />

(Subsysteme, Strukturen,<br />

Kulturen)<br />

Werte und Wertsysteme<br />

Unternehmen<br />

(Br<strong>an</strong>che, Umfeld, Kultur,<br />

Struktur)<br />

Werte und Wertsysteme<br />

Individuum<br />

(Sozialisation, Persönlichkeit,<br />

Identität, Rollen, Verhalten,<br />

Zufriedenheit)<br />

Werte und Wertsysteme<br />

3. Ausgewählte Ergebnisse der Untersuchung<br />

Beim Vergleich der Wertauffassungen werden Unterschiede sichtbar, z.B. dass<br />

die Werteforschung West den Begriff inhaltlich breiter und differenzierter fasst als<br />

die Werteforschung Ost und von den Forschern Ost bei der Interpretation ihrer Forschungsergebnisse<br />

der ideologische Aspekt besonders zu beachten war, und Gemeinsamkeiten,<br />

z.B. dass Werte über Sozialisationsprozesse erworben werden, ein wesentliches<br />

Kriterium der Persönlichkeit sind und immer ein subjektives Moment enthalten,<br />

Best<strong>an</strong>dteil einer Kultur sind und unterschiedlichen Wertebereichen zugeordnet<br />

werden können.<br />

Aus der differenzierten und detaillierten Beschreibung der Werte und des Wertew<strong>an</strong>dels<br />

der Leiter in der DDR und der ostdeutschen Führungskräfte im Tr<strong>an</strong>sformationsprozess<br />

sowie systemübergreifender Tendenzen erscheint besonders interess<strong>an</strong>t:<br />

In der DDR kam es Ende der siebziger Jahre zu einer Aufwertung der Werte<br />

Freizeit und Einkommen und einer Abwertung des Wertes Qualifizierung und Entwicklungsmöglichkeiten.<br />

In den achtziger Jahren nahm die Einkommensorientierung<br />

ab. Unverändert hoch blieb die Wichtigkeit der Familie, einer interess<strong>an</strong>ten Arbeitstätigkeit<br />

und guter kollektiver Beziehungen. Die tradierten sozialen Werte wie Kollektivgeist,<br />

Gemeinschaftsleben und das Engagement für den Betrieb behielten eine hohe<br />

Bedeutung. Die Zunahme einer kritischen Haltung war besonders auf die Faktoren<br />

des Systems gerichtet, durch welche eine selbständige, kontinuierliche und pl<strong>an</strong>mäßige<br />

Arbeit verhindert wurde. Durch die Verbesserungen im sozialpolitischen Bereich<br />

1 Die Ebenen sind durch Prozesse der Institutionalisierung und Sozialisierung sowie des individuellen<br />

und kollektiven H<strong>an</strong>delns verbunden. Die Werte in Org<strong>an</strong>isationen sind in das kulturelle<br />

Muster der jeweiligen Gesellschaft eingebettet, Best<strong>an</strong>dteil der Unternehmenskultur und<br />

nehmen neben <strong>an</strong>deren Faktoren Einfluss auf Strukturen und Verhalten in Org<strong>an</strong>isationen. Individuelle<br />

Werte sind Ergebnis verg<strong>an</strong>gener Sozialisationsumwelten der DDR und der DDR-<br />

Betriebe und in der Biografie der Führungskräfte ver<strong>an</strong>kerte Erfahrungen, die von aktuellen<br />

Erfahrungen beeinflusst werden. Den Werten kommt jeweils konstituierende Bedeutung für<br />

die Systeme und Strukturen zu; zugleich sichern die Strukturen zumindest tendenziell die Reproduktion<br />

und damit eine relative Stabilität der Wertmuster.


476 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

gel<strong>an</strong>g es in den achtziger Jahren kaum noch, die Wertentwicklung maßgeblich zu<br />

beeinflussen.<br />

Im Tr<strong>an</strong>sformationsprozess nahm bei den arbeitsbezogenen Werten die Wichtigkeit<br />

der national-, sozial-, leistungs-, einkommens- und aufstiegsorientierten Werte<br />

ab. Wichtiger wurden die familien- und freizeitorientierten Werte. Bei den sog. allgemeinen<br />

Werten (Pflicht-, Akzept<strong>an</strong>z- und Selbstentfaltungswerte) verlief der Wertew<strong>an</strong>del<br />

bei den Führungskräften der mittleren Altersgruppe als Werteverlust. Besonders<br />

stark <strong>an</strong> Bedeutung verloren haben dabei die Selbstentfaltungswerte. Für die<br />

älteren Führungskräfte wurden die Pflicht- und Akzept<strong>an</strong>zwerte wichtiger. Bei den<br />

jüngeren Führungskräften f<strong>an</strong>d bei den Selbstentfaltungswerten eine Wertsynthese<br />

bei gleichzeitiger Bedeutungszunahme der Pflicht- und Akzept<strong>an</strong>zwerte statt.<br />

Systemübergreifend ist bei den Pflicht-, Akzept<strong>an</strong>z- und Selbstentfaltungswerten<br />

als Wertegruppen eine hohe Stabilität erkennbar. Im Arbeitsbereich nahm die Wichtigkeit<br />

kollektivistischer Werte ab und es erfolgte eine Umorientierung in der sozialen<br />

Ausrichtung. Die Betriebsverbundenheit ist nach wie vor stark ausgeprägt.<br />

4. Weiterführende und noch offene Fragen<br />

Kritisch <strong>an</strong>gemerkt werden muss, dass bei der Interpretation der Daten als Wertew<strong>an</strong>del<br />

die Veränderungen nach Skalenpunkten teilweise sehr geringfügig sind und<br />

sich der Wertew<strong>an</strong>del, der aus einem vom Prob<strong>an</strong>den <strong>an</strong>ders interpretierten Bezug<br />

aufgrund der systemspezifisch unterschiedlichen Konkretisierung und Spezifizierung<br />

normativer Werte, wie z.B.: Gleichbeh<strong>an</strong>dlung, Selbstverwirklichung, Demokratie<br />

und der bereichsbezogenen Thematisierung resultieren könnte, <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d des ausgewerteten<br />

Datenmaterials nicht nachweisen lässt.<br />

Weiterführende Erkenntnisse könnten durch die stärkere Offenlegung der Referenzsysteme<br />

und Bezugspunkte der Werte bei der Interpretation der Daten, Forschungen<br />

zur Ver<strong>an</strong>kerung der normativen Wertmuster der Gesellschaft in den individuellen<br />

Wertstrukturen, die Einbeziehung und Verknüpfung qualitativer und qu<strong>an</strong>titativer<br />

Daten und die Ansätze einer kulturvergleichenden Wertew<strong>an</strong>delsforschung gewonnen<br />

werden.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 477<br />

Nicola Struß<br />

Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement – Eine empirische Analyse<br />

innovativer Wachstumsunternehmen *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Je<strong>an</strong>-Paul Thommen, Europe<strong>an</strong> Business<br />

School, Oestrich-Winkel<br />

1. Problemhinführung<br />

Führungskräfte agieren heute nicht mehr allein, sondern sie steuern im Rahmen<br />

von M<strong>an</strong>agementteams die unternehmerischen Prozesse. Die Teams unterliegen als<br />

zentrale int<strong>an</strong>gible Unternehmensressource Veränderungen im Zeitablauf, die vor<br />

dem Hintergrund der Sicherung unternehmerischer Führungskontinuität kritisch zu<br />

betrachten sind. Die personellen Veränderungen der M<strong>an</strong>agementteams in Form von<br />

Führungswechseln werden in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt. Während<br />

die Wirkungen des Wechsels in der Unternehmensführung in der wissenschaftlichen<br />

Literatur bereits thematisiert wurde, sind die Ursachen, die zu einem Führungswechsel<br />

im M<strong>an</strong>agement führen, bisl<strong>an</strong>g weitgehend unbeleuchtet. Die Studie fragt nach<br />

den Ursachen, die zu einem Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement führen.<br />

Die empirische Analyse verfolgt dabei das Ziel, den Kenntnisst<strong>an</strong>d über die Determin<strong>an</strong>ten<br />

des Führungswechsels in M<strong>an</strong>agementteams innovativer Wachstumsunternehmen<br />

zu erweitern. Die wichtigsten Subziele bestehen in der Ermittlung relev<strong>an</strong>ter<br />

Einflussfaktoren auf den Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement, deren Systematisierung<br />

und der Analyse des Zusammenh<strong>an</strong>ges zwischen den Strukturen des M<strong>an</strong>agementteams<br />

und den Führungswechseln in innovativen Wachstumsunternehmen. Zu<br />

diesem Zweck werden idealtypische Formen des Führungswechsels, das Ausscheiden<br />

von Teammitgliedern sowie die Erweiterung des Teams um neue Mitglieder, abgeleitet.<br />

Neben der Erklärung potenzieller Zusammenhänge zwischen den Variablen der<br />

Teamstrukturen und dem Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement wird <strong>an</strong>gestrebt, <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d<br />

der ermittelten empirischen Befunde Implikationen für die Unternehmenspraxis zu<br />

formulieren.<br />

2. Theoretischer Zug<strong>an</strong>g zur Untersuchung<br />

Auf Basis der Struktur<strong>an</strong>alyse und des Resource-based View werden in der Arbeit<br />

Teamstrukturen im M<strong>an</strong>agement <strong>an</strong>alysiert und potenzielle Einflussfaktoren auf<br />

den Führungswechsel herausgearbeitet. Um sich der Bestimmung und Analyse der<br />

*<br />

Nicola Struß: Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement – Eine empirische Analyse innovativer<br />

Wachstumsunternehmen. ebs Forschung – Schriftenreihe der Europe<strong>an</strong> Business School,<br />

Schloß Reichartshausen, hrsg. von K.-W. Schulte, Bd. 42. ISBN 3-8244-0692-6, Deutscher-<br />

Universitäts-<strong>Verlag</strong>, Wiesbaden 2003, 338 S., € 54,90.


478 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Einflussfaktoren des Führungswechsels im M<strong>an</strong>agement innovativer Wachstumsunternehmen<br />

<strong>an</strong>zunähern, wird das Phänomen des Führungswechsels aus der Perspektive<br />

des Resource-based View betrachtet. Der Resource-based View weist auf die Relev<strong>an</strong>z<br />

und Bedeutung der Hum<strong>an</strong>ressourcen insbesondere der Ressourcen des M<strong>an</strong>agements<br />

für die l<strong>an</strong>gfristige Unternehmensentwicklung hin. Gezeigt wird, dass aus<br />

dem Pool der Hum<strong>an</strong>ressourcen des Unternehmens die Fähigkeiten, Fertigkeiten und<br />

das Wissen der Führungskräfte in Form eines M<strong>an</strong>agementteams („Team of Resources“)<br />

zusammengeführt werden können. Aus der Perspektive des Resource-based<br />

View werden Veränderungen der M<strong>an</strong>agementteams <strong>an</strong>alysiert und erste Hinweise<br />

auf mögliche Determin<strong>an</strong>ten des Führungswechsels abgeleitet.<br />

Aufbauend auf diesen Überlegungen wird die Struktur<strong>an</strong>alyse zur Identifikation<br />

einzelner Teamstrukturen im M<strong>an</strong>agement her<strong>an</strong>gezogen. Ausgehend von der<br />

Systematisierung der sozialtheoretischen Strukturbegriffe wird ein mehrdimensionales<br />

Modell der Struktur<strong>an</strong>alyse entwickelt. Die Differenzierung der Teamstruktur<br />

des M<strong>an</strong>agementteams in die Dimensionen der Kommunikations-, der Aufgabenund<br />

Rollenstruktur, des Status und der Machtstruktur sowie der Affektstruktur ermöglicht<br />

die Analyse und Systematisierung potenzieller Einflussfaktoren des Führungswechsels<br />

im M<strong>an</strong>agement.<br />

3. Untersuchungsdesign<br />

Das Forschungsziel der Untersuchung besteht darin, Charakteristika der M<strong>an</strong>agementteams<br />

innovativer Wachstumsunternehmen aufzuzeigen, wesentliche Determin<strong>an</strong>ten<br />

ihrer Strukturen zu erklären und mögliche Einflussfaktoren auf den Führungswechsel<br />

im M<strong>an</strong>agement abzuleiten. Ziel ist es, diese Variablen auf Basis verschiedener<br />

theoretischer Ansätze zu erläutern, sie in Form von Hypothesen abzufassen<br />

und empirisch zu prüfen. Eine umf<strong>an</strong>greiche Literatur<strong>an</strong>alyse sowie eine Expertenstudie<br />

mit Vorständen und Beratern innovativer Wachstumsunternehmen bilden<br />

die Datengrundlage zur Hypothesengenerierung der Untersuchung. Die Aggregation<br />

der Befunde der Literatur<strong>an</strong>alyse und der Experteninterviews führt zu einer Auswahl<br />

von 21 Merkmalen, denen ein bedeutender Einfluss auf den Führungswechsel im<br />

M<strong>an</strong>agement innovativer Wachstumsunternehmen zugeschrieben wird.<br />

Ein Bezugsrahmen wird entwickelt, der die einzelnen Determin<strong>an</strong>ten des Führungswechsels<br />

systematisiert. Der Bezugsrahmen der Untersuchung stellt die zur<br />

Erklärung des Führungswechsels im M<strong>an</strong>agement innovativer Wachstumsunternehmen<br />

her<strong>an</strong>gezogenen Variablen und ihre Verkettungen schematisch dar. Zu den<br />

getroffenen Annahmen über die Beziehungszusammenhänge und Wirkungsrichtungen<br />

der Faktoren auf den Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement werden Hypothesen<br />

abgeleitet. Die Reflexion der Ergebnisse der Literaturfeld<strong>an</strong>alyse und Expertenstudie<br />

ermöglicht die Formulierung von 21 Forschungshypothesen, die sich auf die Erfassung<br />

des Zusammenh<strong>an</strong>ges zwischen den möglichen Determin<strong>an</strong>ten und dem<br />

Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement konzentrieren.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 479<br />

4. Empirische Untersuchung<br />

Das Hypothesensystem wird in einer Fragebogenerhebung in innovativen<br />

Wachstumsunternehmen überprüft. Die Autorin liefert eine Vollerhebung von 342<br />

deutschen, börsennotierten Aktiengesellschaften im Sommer 2001. Die Charakteristika<br />

des Führungswechsels und relev<strong>an</strong>te Determin<strong>an</strong>ten des Führungswechsels werden<br />

in der schriftlichen Befragung bestimmt. Befragt werden die Vorst<strong>an</strong>dsvorsitzenden<br />

bzw. Fin<strong>an</strong>zvorstände der Unternehmen des Börsensegmentes Neuer Markt der Deutschen<br />

Börse AG.<br />

Als Untersuchungsform wird eine Querschnitts<strong>an</strong>alyse der M<strong>an</strong>agementteams<br />

innovativer Wachstumsunternehmen eingesetzt, die als unechte Längsschnitts<strong>an</strong>alyse<br />

konzipiert wurde. Um den Aufbau und die Verständlichkeit des Fragebogens zu testen,<br />

wurde vorab ein Pre-Test durchgeführt. Ein Brutto-Rücklauf von 32,0% konnte<br />

erzielt werden. Abzüglich der Korrekturfaktoren entspricht dies einer Netto- Rücklaufquote<br />

von 30,3%. Vor dem Hintergrund der Befragungsintensität Neuer Markt-<br />

Unternehmen k<strong>an</strong>n sie als überdurchschnittlich gut <strong>an</strong>gesehen werden.<br />

5. Deskriptive Analyse und hypothesengeleitete Ergebnisdarstellung<br />

Die empirische Analyse – bestehend aus der deskriptiven Analyse und der hypothesengeleiteten<br />

Ergebnisdarstellung – erfolgt <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d strukturbeschreibender, strukturentdeckender<br />

und strukturüberprüfender statistischer Verfahren. Insgesamt werden<br />

21 Wirkungs- und Zusammenh<strong>an</strong>gshypothesen zu potenziellen Einflussfaktoren des<br />

Führungswechsels im M<strong>an</strong>agement innovativer Wachstumsunternehmen empirisch<br />

getestet. Anh<strong>an</strong>d von Signifik<strong>an</strong>ztests wird geprüft, ob die einzelnen Variablen Einfluss<br />

auf den Führungswechsel im M<strong>an</strong>agementteam der Unternehmen besitzen.<br />

Durch einen Mittelwertvergleich im Rahmen des t-Tests und der Vari<strong>an</strong>z<strong>an</strong>alyse<br />

können Unterschiede oder Gemeinsamkeiten in den Teams mit Führungswechsel und<br />

den Teams ohne Führungswechsel festgestellt werden. Weist eine unabhängige Variable<br />

im Rahmen der Hypothesentests einen signifik<strong>an</strong>ten Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem<br />

Führungswechsel auf, wird sie als Einflussfaktor auf den Führungswechsel positiv selektiert.<br />

Ist im Rahmen der statistischen Tests für eine Variable kein signifik<strong>an</strong>ter Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

feststellbar, scheidet sie als potenzieller Einflussfaktor aus. Die statistische<br />

Analyse der Wechselereignisse bestätigt 18 vermutete Wirkungszusammenhänge,<br />

für drei Variablen (Grundwerte, persönliche Abstimmung und Br<strong>an</strong>chenzugehörigkeit)<br />

k<strong>an</strong>n der Wirkungszusammenh<strong>an</strong>g nicht bestätigt werden.<br />

6. Resümee<br />

Die konzeptionelle Analyse und empirische Auswertung der Führungswechsel<br />

im M<strong>an</strong>agement verdeutlichen den St<strong>an</strong>d der Forschung für Wissenschaft und Praxis.<br />

Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass es sich bei den Führungswechseln im<br />

M<strong>an</strong>agementteam um ein praxisrelev<strong>an</strong>tes Problem der Betriebswirtschaftslehre h<strong>an</strong>delt.<br />

Führungswechsel im M<strong>an</strong>agementteam innovativer Wachstumsunternehmen


480 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

werden durch eine Vielzahl von Faktoren signifik<strong>an</strong>t beeinflusst, die durch die Dimensionen<br />

des M<strong>an</strong>agementteams systematisiert werden können.<br />

Die Ergebnisse bestätigen dabei weitgehend die aus der Literatur sowie der Expertenstudie<br />

abgeleiteten Überlegungen zu den potenziellen Einflussfaktoren des<br />

Führungswechsels im M<strong>an</strong>agementteam. Einzelne Variablen der Teamstruktur des<br />

M<strong>an</strong>agements beeinflussen den Führungswechsel im M<strong>an</strong>agement signifik<strong>an</strong>t. Ihnen<br />

ist bei der Zusammensetzung der M<strong>an</strong>agementteams und Gestaltung der Teamprozesse<br />

besonderes Augenmerk zu schenken. So wirkt die Zusammensetzung des M<strong>an</strong>agementteams<br />

signifik<strong>an</strong>t auf die Häufigkeit von Führungswechseln im M<strong>an</strong>agement<br />

innovativer Wachstumsunternehmen.<br />

Der empirische Teil der Arbeit stellt die Grundlage dar, praxisorientierte Aussagen<br />

über den Führungswechsel im M<strong>an</strong>agementteam abzuleiten. Die ermittelten Befunde<br />

sensibilisieren für ausgewählte Variablen der Teamstruktur des M<strong>an</strong>agements.<br />

Die empirischen Ergebnisse können als ein erster Schritt zur abschließenden Adressierung<br />

weiterer Einflussfaktoren des Führungswechsels betrachtet werden. In weiterführenden<br />

Zusammenh<strong>an</strong>gs<strong>an</strong>alysen können die identifizierten und <strong>an</strong>alysierten Determin<strong>an</strong>ten<br />

des Führungswechsels im M<strong>an</strong>agement geprüft und getestet werden. Für<br />

die unternehmerische Praxis können auf diese Weise valide Implikationen für die<br />

Steuerung und Konstitution der M<strong>an</strong>agementteams bzw. für den Umg<strong>an</strong>g mit den Determin<strong>an</strong>ten<br />

des Führungswechsels im M<strong>an</strong>agement formuliert werden. Insgesamt eröffnet<br />

sich ein komplexes Feld für weitere betriebswirtschaftliche Forschungsvorhaben.<br />

Der Themenkomplex „Führungswechsel in M<strong>an</strong>agementteams“ k<strong>an</strong>n daher noch<br />

keine abschließende Beurteilung erfahren. Die Forschungsergebnisse der Untersuchung<br />

tragen jedoch wesentlich zur Tr<strong>an</strong>sparenz der Beziehungszusammenhänge bei.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 481<br />

8. Unternehmensführung und -politik, M<strong>an</strong>agement und<br />

Innovation<br />

Georg Bonn<br />

Personalm<strong>an</strong>agement und Kreativität von Unternehmen.<br />

Der Einfluss von personalpolitischen Maßnahmen auf die<br />

Innovationsfähigkeit *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Rüdiger G. Klimecki, Universität Konst<strong>an</strong>z<br />

1. Problemhinführung<br />

Die Entwicklung von Unternehmen lässt sich immer weniger eindeutig kalkulieren,<br />

das Entscheidungsumfeld ist von einer Zunahme der Komplexität gekennzeichnet.<br />

Globalisierung und Digitalisierung haben die Welt entscheidend beschleunigt.<br />

Unternehmen vermögen ihre Lebensfähigkeit nur d<strong>an</strong>n l<strong>an</strong>gfristig zu sichern, wenn es<br />

ihnen gelingt, sich immer wieder aufs neue <strong>an</strong> die sich w<strong>an</strong>delnden Umwelt<strong>an</strong>forderungen<br />

<strong>an</strong>zupassen. In der Literatur wird mehrfach darauf hingewiesen, dass wegen<br />

dieser zunehmenden Unsicherheit es das Ziel der Unternehmen sein muss, ihren Mitarbeitern<br />

ein solches Arbeitsumfeld zu bieten, in dem ein kreatives Arbeiten möglich<br />

ist. Erst d<strong>an</strong>n, so wird argumentiert, k<strong>an</strong>n ein Unternehmen seine Hum<strong>an</strong>-Ressourcen<br />

optimal einsetzten und sich erfolgreich am Markt behaupten. Indem das M<strong>an</strong>agement<br />

durch personalpolitische Maßnahmen steuernd in die innerorg<strong>an</strong>isatorische Konstellation<br />

aus Org<strong>an</strong>isationsstruktur, Führungsstil oder interner Kommunikation eingreift,<br />

k<strong>an</strong>n es im Idealfall das kreative Klima der jeweiligen Unternehmen günstig beeinflussen.<br />

Mit dieser Arbeit wird erstmalig versucht, <strong>an</strong>lehnend <strong>an</strong> einen konzeptionellen<br />

Rahmen, das Kreativitätsklima im direkten Zusammenh<strong>an</strong>g zur Ausgestaltung der<br />

Personalpolitik zu messen. Es wurde im Rahmen einer empirischen Studie untersucht,<br />

wie sich das personalpolitische Strukturmuster eines Unternehmens auf das kreative<br />

Potential solcher Unternehmen auswirkt. Die zentralen Fragen der Untersuchung lauten:<br />

1. Gibt es einen Zusammenh<strong>an</strong>g zwischen der inhaltlichen Ausgestaltung der Personalpolitik<br />

und dem kreativen Klima eines Unternehmens?<br />

2. Gibt es einen Zusammenh<strong>an</strong>g zwischen dem kreativen Klima und dem Unternehmenserfolg?<br />

*<br />

Georg Bonn (2002): Personalpolitik und Kreativität von Unternehmen. Der Einfluss von personalpolitischen<br />

Maßnahmen auf die Innovationsfähigkeit. ISBN 3-8244-7676-2, DUV,<br />

Gabler Edition Wissenschaft, 262 Seiten, € 49,90.


482 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

2. Theoretische Basis der Arbeit:<br />

Entwicklungsorientiertes Personalm<strong>an</strong>agement<br />

Der Ansatz des entwicklungsorientierten Personalm<strong>an</strong>agements nach Klimecki<br />

und Gmür stellt eine konzeptionelle Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit Funktionen und Instrumenten<br />

der Personalarbeit dar. Es wird davon ausgeg<strong>an</strong>gen, dass in Unternehmen<br />

ständig Prozesse der Variation, Selektion und Retention ablaufen. Die vorh<strong>an</strong>denen<br />

Qualifikationen und Motivationen, deren Gesamtheit als die Ressource Personal definiert<br />

wird, verändern sich im Zeitverlauf unabhängig von bewussten Eingriffen durch<br />

das M<strong>an</strong>agement. Die Unternehmensführung k<strong>an</strong>n jedoch durch personalpolitische<br />

Maßnahmen Einfluss auf die evolutionären Teilprozesse (Variation, Selektion, Retention)<br />

nehmen.<br />

Damit k<strong>an</strong>n das M<strong>an</strong>agement steuernd in den evolutionären Veränderungsprozess<br />

von Motivationen und Qualifikationen eingreifen und somit das kreative Klima<br />

der jeweiligen Unternehmen günstig beeinflussen. Die in dieser Studie untersuchten<br />

Unternehmen befinden sich aufgrund ihrer Br<strong>an</strong>chenzugehörigkeit automatisch in einer<br />

komplexen Umwelt. Es geht in dieser Studie darum, wie das kreative Klima durch<br />

aktivierende und lenkende personalpolitische Maßnahmen beeinflusst werden k<strong>an</strong>n.<br />

3. Grundlagen für das Untersuchungsdesign<br />

Unter Berücksichtigung von Teilbereichen des bestehenden personalpolitischen<br />

Modells von Klimecki und Gmür (2001) und des Ansatzes zur Messung des kreativen<br />

Klimas von Amabile et al. (1996) wurde ein integrierter Ansatz entwickelt. Ausgehend<br />

von der Grund<strong>an</strong>nahme, dass die aktivierenden und lenkenden Maßnahmen von<br />

Personalpolitik Einfluss auf das kreative Klima von Unternehmen nehmen, wurden<br />

zwölf Forschungshypothesen, unterteilt in Aktivierungsleistung und Lenkungsleistung,<br />

im Hinblick auf das Kreativitätsniveau von Unternehmen formuliert. Ebenfalls<br />

wurde d<strong>an</strong>n für den zweiten Untersuchungsschritt eine weitere Hypothese zum vermuteten<br />

Zusammenh<strong>an</strong>g von kreativem Klima und dem Unternehmenserfolg verfasst.<br />

Die Arbeit prüfte durch mehrere multivariate Regressionsmodelle den Einfluss<br />

von aktivierenden und lenkenden personalpolitischen Maßnahmen auf den kreativen<br />

Prozess. In einem zweiten Untersuchungsschritt wurde der Zusammenh<strong>an</strong>g zwischen<br />

dem kreativen Klima und dem Unternehmenserfolg bivariat untersucht.<br />

4. Empirische Untersuchung<br />

Die Datenerhebung erfolgte im Rahmen einer schriftlichen Befragung einer<br />

Stichprobe von Unternehmen, die dem Typus des „knowledge intensive firm“ entsprachen.<br />

Da die Wertschöpfung in diesen Unternehmen nahezu vollständig durch<br />

Arbeitsleistungen und den Einsatz von Wissen entsteht, sollte der Einfluss personalpolitischer<br />

Maßnahmen hier besonders deutlich zum Ausdruck kommen. Auch weisen<br />

Betriebe dieser Br<strong>an</strong>chen, nicht zuletzt durch Globalisierungseffekte, ein hohes<br />

Maß <strong>an</strong> Umweltkomplexität auf. Aus Unternehmen der Br<strong>an</strong>chen Versicherungsgewerbe,<br />

Kreditgewerbe, Unternehmensberatung und Softwarehäuser wurde von der i-


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 483<br />

dentifizierten Grundgesamtheit für den deutschsprachigen Bereich (N = 1566) eine<br />

geschichtete Stichprobe von ca. 20 Prozent befragt.<br />

5. Ergebnisse<br />

Die Studie zeigt, dass der aktivierende personalpolitische Maßnahmenblock<br />

nach den empirischen Ergebnissen einen teilweisen Einfluss auf das kreative Klima<br />

von Unternehmen hat, wohingegen die lenkenden personalpolitischen Maßnahmen<br />

keinen Einfluss auf ein kreatives Klima zu haben scheinen. Die Arbeit hat weiterhin<br />

belegt, dass die drei Kontrollvariablen (Best<strong>an</strong>d, Umsatz und Mitarbeiter) einen erheblichen<br />

Zugewinn für die Modellqualität als G<strong>an</strong>zes sowie die Erklärungsmacht der<br />

einzelnen unabhängigen Variablen bedeuten.<br />

Die Ergebnisse der Untersuchung haben ebenfalls gezeigt, dass erstens die betriebliche<br />

Personalpolitik und somit die Gestaltung der Steuerung der „Hum<strong>an</strong> Resources“<br />

in der Tat einen empirisch messbaren, direkten Einfluss auf das kreative<br />

Klima eines Unternehmens haben, und dass zweitens ein solches Klima einen Einfluss<br />

auf den Unternehmenserfolg hat. Insbesondere scheint die Varietät der Qualifikationen<br />

der Mitarbeiter von Bedeutung zu sein.<br />

Es ist daher wichtig, dass die Personalarbeit eng in die strategische Unternehmensführung<br />

eingebunden wird und somit zu einem „strategischen Partner“ der Unternehmensführung<br />

wird. Ein Unternehmen, welches sich einer hochkomplexen Umwelt<br />

gegenübergestellt sieht, sollte sich ein möglichst breites Qualifikationspotential<br />

bzw. eine hohe Varietät <strong>an</strong> Qualifikationen mit Hilfe entsprechender personalpolitischer<br />

Interventionen schaffen. Die hier vorliegende Arbeit hat, auch unterstützt durch<br />

die empirischen Ergebnisse der Untersuchung, gezeigt, dass eine solche zukunftsorientierte<br />

M<strong>an</strong>agementphilosophie ein „gesundes“ kreatives Klima in einem Unternehmen<br />

fördern sollte, um die notwendige H<strong>an</strong>dlungsfähigkeit zu gewährleisten.<br />

Thomas Brönnim<strong>an</strong>n<br />

Corporate Govern<strong>an</strong>ce und die Org<strong>an</strong>isation des<br />

Verwaltungsrates *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Norbert Thom, Universität Bern<br />

1. Themengegenst<strong>an</strong>d<br />

Seit rund zehn Jahren ist Corporate Govern<strong>an</strong>ce (CG) als Oberbegriff für die<br />

Regelung der Unternehmensüberwachung und strategische Unternehmungsführung<br />

*<br />

Die Dissertation wird im Haupt <strong>Verlag</strong> Bern/Stuttgart/Wien erscheinen.


484 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

verstärkt Gegenst<strong>an</strong>d internationaler Forschungsbestrebungen der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften,<br />

wobei die juristische Sichtweise bis <strong>an</strong>hin dominiert. Ausgelöst<br />

wurde diese intensivierte CG-Diskussion durch Aufsehen erregende Konkurse<br />

und Insolvenzerklärungen verschiedenster Unternehmungen im <strong>an</strong>gelsächsischen und<br />

deutschsprachigen Raum, deren Spitzenorg<strong>an</strong>isationen und Überwachungsmech<strong>an</strong>ismen<br />

dem dynamisierten und globalisierten Wettbewerbsumfeld nicht genügend <strong>an</strong>gepasst<br />

waren. Schweizerische Großunternehmungen, die sich im internationalen Wettbewerbsumfeld<br />

behaupten müssen, sehen sich neuen Tr<strong>an</strong>sparenzforderungen hinsichtlich<br />

der Zusammensetzung und Org<strong>an</strong>isation ihrer Unternehmensspitze ausgesetzt.<br />

Von erheblicher Gestaltungsrelev<strong>an</strong>z für die Spitzenorg<strong>an</strong>isationen schweizerischer<br />

Aktiengesellschaften ist zudem das 1992 in Kraft getretene revidierte Aktienrecht,<br />

bei dem die Verbesserung der Struktur und Funktionswahrnehmung der Org<strong>an</strong>e,<br />

insbesondere des Spitzenorg<strong>an</strong>es Verwaltungsrat (VR), einen Kernpunkt darstellt.<br />

Die Rechts- und Machtverhältnisse der Spitzenorg<strong>an</strong>e sind nunmehr eindeutiger festgelegt<br />

2. Aufbau und Ziel der Arbeit<br />

Corporate Govern<strong>an</strong>ce ist ein komplexer, interdisziplinärer Begriff und ein noch<br />

junges Forschungsfeld, weshalb die theoretische Durchdringung und die Synthese unterschiedlichster<br />

Forschungsarbeiten noch nicht weit fortgeschritten sind. Dieser Umst<strong>an</strong>d<br />

erschwert es, einen g<strong>an</strong>zheitlichen Überblick über dieses facettenreiche Themengebiet<br />

zu gewinnen und einzelne CG-Beiträge einzuordnen. Das Ziel besteht deshalb<br />

darin, eine Übersichtsarbeit zu verfassen, welche den St<strong>an</strong>d der internationalen<br />

CG-Diskussion aufzeigt sowie Unterschiede und Gemeinsamkeiten diverser CG-<br />

Definitionen und -Verständnisse ersichtlich macht.<br />

Um die relev<strong>an</strong>ten Elemente und deren Beziehungen unterein<strong>an</strong>der aufzuzeigen,<br />

wird in der Arbeit das Instrument des konzeptionellen Bezugsrahmens verwendet.<br />

Dieser umfasst die Elemente Bedingungsgrößen, Aktionsparameter und Effektivitäts-<br />

/Effizienzkonzept. Die Rahmenbedingungen beschränken den H<strong>an</strong>dlungsspielraum<br />

für die spitzenorg<strong>an</strong>isatorischen Entscheidungsträger innerhalb einer Unternehmung.<br />

Besonders beachtet werden dabei die personellen Bedingungsgrößen. Bei den Aktionsparametern<br />

wird von den mittel- bis l<strong>an</strong>gfristig veränderbaren Größen Kultur,<br />

Strategie und Struktur ausgeg<strong>an</strong>gen, wobei die Struktur mit den org<strong>an</strong>isatorischen<br />

Größen Arbeitsteilung, Koordination und Konfiguration im Forschungsmittelpunkt<br />

steht. Beim Effektivitäts-/Effizienzkonzept wird ein Vorgehen gewählt, das auf Deduktionsschritten<br />

fußt. Der Ausg<strong>an</strong>gspunkt sind die ökonomisch-technische, die flexibilitätsorientierte<br />

und die individual-soziale Effizienzdimension. Die Effizienzkriterien<br />

stehen zwischen den Effizienzdimensionen und den Effizienzindikatoren, welche<br />

konkrete Messgrößen sind.<br />

Basierend auf einem praktisch-normativen Wissenschaftsverständnis geht der<br />

Verfasser davon aus, dass betriebswirtschaftliche Forschungstätigkeiten letztlich eine<br />

<strong>an</strong>forderungsgerechte Orientierungshilfe zur Bewältigung von Problemstellungen in<br />

der Praxis bieten sollen. Das vorr<strong>an</strong>gige praxisbezogene Projektziel besteht in der


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 485<br />

Ausarbeitung theoretisch und empirisch zumindest partiell abgestützter H<strong>an</strong>dlungsempfehlungen.<br />

Um dies zu erreichen, wird eine heuristische Vorgehensweise bei der<br />

spitzenorg<strong>an</strong>isatorischen Gestaltung <strong>an</strong>gestrebt.<br />

3. Untersuchungsmethoden<br />

Es wird in erster Linie eine <strong>an</strong>alytische Forschungsstrategie <strong>an</strong>gewendet. Zur Sicherstellung<br />

des Praxisbezuges werden zwei qualitative Untersuchungen durchgeführt.<br />

Auf eine qu<strong>an</strong>titative Erhebung wird verzichtet, da aufgrund des hohen Sensitivitätsgrades<br />

des Themengegenst<strong>an</strong>des der erreichbare Informationsgehalt (z.B. mittels<br />

st<strong>an</strong>dardisierter Fragebögen) als gering eingestuft wird. Im Vordergrund des empirischen<br />

Teils steht nicht eine fundierte Bestätigung von Hypothesen/Modellen, sondern<br />

die Identifizierung unterschiedlicher Elemente und der Zusammenhänge zwischen<br />

den einzelnen Elementen. Bei den Studien h<strong>an</strong>delt es sich einerseits um leitfadengestützte<br />

Experteninterviews und <strong>an</strong>dererseits um Fallstudien, bei welchen<br />

schweizerische Großunternehmungen hinsichtlich der Org<strong>an</strong>isation und Zusammensetzung<br />

der höchsten Entscheidungsgremien untersucht werden.<br />

Im Vordergrund der Expertengespräche steht die Erkennung von spezifischen<br />

Merkmalen, welche die CG-Situation der Schweiz kennzeichnen. Insgesamt wurden<br />

mit 13 Experten qualitative Interviews durchgeführt, wobei darauf Wert gelegt wurde,<br />

unterschiedliche Sichtweisen einzuf<strong>an</strong>gen, was sich besonders bei der Expertenauswahl<br />

akzentuiert. Bei den Fallstudien wäre grundsätzlich ein Methodenpluralismus<br />

möglich, da nicht-teilnehmende Beobachtungen (z.B. bei VR-Sitzungen), Dokumenten<strong>an</strong>alysen<br />

und Interviews durchgeführt werden könnten. Damit aber überhaupt<br />

eine Analyse bei einzelnen Unternehmungen möglich war, musste auf die Diskretionswünsche<br />

der 6 untersuchten Unternehmen eingeg<strong>an</strong>gen werden und so eine<br />

Beschränkung auf Interviews und die Analyse von Dokumenten erfolgen. Aus Diskretionsgründen<br />

k<strong>an</strong>n auch nur eine neutrale Darstellung der spitzenorg<strong>an</strong>isatorischen<br />

Ausgestaltungen erfolgen, was zu einem eher illustrativen Charakter der Fallstudien<br />

führt.<br />

4. Untersuchungsergebnisse und Ausblick<br />

Das theoretische Hauptziel der Arbeit ist die Erarbeitung eines konzeptionellen<br />

Bezugsrahmens mit den Größen Rahmenbedingungen, Aktionsparameter und Effektivitäts-/Effizienzkonzept<br />

für die oberste Unternehmensleitung als zentrale Gestaltungsträgerin.<br />

Als überblicksartige Ergebnisdarstellung können folgende Aspekte<br />

aufgezeigt werden:<br />

Rahmenbedingungen: Rechtliche Aspekte kristallisieren sich als die relev<strong>an</strong>testen<br />

generellen Rahmenbedingungen heraus. Die Eigen- und Fremdkapitalgeber sowie<br />

die externe Revisionsstelle sind die wichtigsten problemspezifischen Bedingungsgrößen.<br />

Bei den betrieblichen Rahmengrößen sind insbesondere der St<strong>an</strong>dort, die Rechtsform<br />

und die Fin<strong>an</strong>zstruktur zu erwähnen.


486 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Aktionsparameter: Bei der Arbeitsteilung ist besonders die Bildung von Ausschüssen<br />

zu beachten und bei der Koordination die Verwendung von Informationsund<br />

Anreizsystemen. Beim konfigurativen Aufbau der Unternehmensspitze ist die<br />

Gliederungstiefe weniger problembehaftet als die Gliederungsbreite, bei der die Anzahl<br />

VR-Mitglieder im Mittelpunkt steht. Bei der Ablauforg<strong>an</strong>isation sind Informationsprozesse<br />

zentral, die auch koordinative Wirkungen entfalten.<br />

Effektivitäts-/Effizienzkonzept: Die Unternehmenskontinuität stellt das Oberziel<br />

dar und zur Bewertung spitzenorg<strong>an</strong>isatorischer Lösungen ist ein mehrteiliger Effizienzkriterienkatalog<br />

zu verwenden. Das Bewertungsverfahren k<strong>an</strong>n mittels einer<br />

Nutzwert<strong>an</strong>alyse numerisch unterstützt werden.<br />

Die spitzenorg<strong>an</strong>isatorische Vorgehensweise, welche das praxisorientierte<br />

Hauptziel der Dissertation darstellt, gliedert sich in die vier Hauptphasen „Analyse<br />

des Problemfeldes und Vorbereitung der Gestaltung“, „VR-Zusammensetzung“,<br />

„Ausgestaltung der org<strong>an</strong>isatorischen Aktionsparameter“ sowie „Strukturauswahl, -<br />

implementation und -weiterentwicklung“. Bei dieser zeitlichen Einteilung h<strong>an</strong>delt es<br />

sich um eine idealtypische Ordnung, die im konkreten Fall u. U. mehrfach durchlaufen<br />

werden muss. Bei den personalwirtschaftlichen Aspekten ist auf die VR-Größe zu<br />

achten. Gruppentheoretische Überlegungen führen zur Vermutung, dass ein Team<br />

von mehr als sieben bis acht Personen keine effiziente Arbeitserfüllung mehr erlaubt<br />

und negative Gruppeneffekte vermehrt auftreten. Bei der VR-Zusammensetzung sind<br />

generelle Kriterien zu definieren, welche alle VR-Mitglieder zu erfüllen haben (z.B.<br />

Kommunikations-, Konfliktaustragungs- und Teamfähigkeit), gruppenbezogene Kriterien<br />

(z.B. Verhältnis zwischen In- und Ausländern) sowie personenbezogene Kriterien,<br />

welche Erfahrungen und Fähigkeiten widerspiegeln, die zumindest eines der<br />

VR-Mitglieder besitzen sollte.<br />

Für zukünftige Forschungsprojekte wäre die Durchführung von qu<strong>an</strong>titativen<br />

Studien ins Auge zu fassen. Diese würden die Gewinnung von Erkenntnissen erlauben<br />

(z.B. welche Kriterien bei der VR-Zusammensetzung tatsächlich verwendet werden),<br />

die mit einer begrenzten Anzahl von Untersuchungsobjekten nicht möglich<br />

sind. Freilich würde sich bei diesem Forschungsgebiet das Problem der Datenerhebung<br />

mit besonderer Schärfe zeigen.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 487<br />

Holger J. Dürrfeld<br />

Konzerngesellschaften effizient steuern. Eine entscheidungsprozessorientierte<br />

Analyse *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Macharzina, Universität<br />

Hohenheim<br />

1. Fragestellung der Untersuchung<br />

Setzen Konzernzentralen den von ihnen für die strategische Steuerung von<br />

Tochtergesellschaften definierten (De)Zentralisierungsgrad tatsächlich auch um? Die<br />

Relev<strong>an</strong>z dieser Thematik ergibt sich aus der Diskussion um effiziente Konzernstrukturen:<br />

Strebt die Konzernzentrale bspw. eine stark zentralisierte strategische Steuerung<br />

ihrer Gesellschaften <strong>an</strong>, k<strong>an</strong>n diese aber – möglicherweise auf Grund einer zu<br />

starken Entfernung von deren Geschäftssystemen – nicht (mehr) realisieren, führt<br />

dies im Gesamtkonzern zu Ineffizienzen. Erstens werden in der Konzernzentrale entsprechende<br />

Strukturen vorgehalten, die im Hinblick auf die strategische Steuerung<br />

der Gesellschaften kaum einen „Mehrwert“ erbringen, und zweitens müssen in den<br />

Konzerngesellschaften parallele Strukturen aufgebaut werden, die ihrerseits Ressourcen<br />

binden. Darüber hinaus k<strong>an</strong>n es in solchen Fällen bspw. auch zu Verzögerungen<br />

im Entscheidungsprozess oder sogar zu Demotivation und Blockadehaltungen kommen,<br />

wenn beide Org<strong>an</strong>isationseinheiten um eine Vormachtstellung ringen.<br />

Die hier besonders fokussierte Frage, wie Konzernzentralen bei der strategischen<br />

Steuerung von Konzerngesellschaften im Vergleich zum intendierten Verhalten tatsächlich<br />

agieren, berührt sowohl die Aspekte effizienter Konzernstrukturen und der<br />

Größe von Konzernzentralen, als auch die Diskussion um einen von der Zentrale zu<br />

schaffenden Mehrwert sowie die Analyse des realen Steuerungs- oder Führungsverhaltens<br />

im Konzern.<br />

Im Hinblick auf den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ergibt sich als vorr<strong>an</strong>giges<br />

Ziel der Arbeit die Tr<strong>an</strong>sformation von bisher überwiegend qualitativ beschreibenden<br />

Positionierungen des Steuerungs- oder Führungsverhaltens auf dem<br />

Kontinuum zwischen maximaler Zentralität und maximaler Dezentralität in qualitativ<br />

begründete und qu<strong>an</strong>titativ erfassbare Positionierungen. Dazu wird ein Prozessbewertungsmodell<br />

entwickelt, das Entscheidungsprozesse zwischen Zentrale und Dezentrale<br />

abbildet und es erlaubt, deren (De-)Zentralisationsgrade zu bestimmen. Besonderes<br />

Augenmerk soll dabei auf den Bereich koordinativer Steuerung gelegt werden, der<br />

bisher häufig als schwer zu fassender „Graubereich“ in der Mitte des Kontinuums<br />

vernachlässigt wird. Unter einer qualitativ begründeten Zentralitätsbewertung von<br />

Entscheidungsprozessen wird hier eine auf Basis theoretischer Erkenntnisse argumen-<br />

*<br />

Die Arbeit ist im Gabler <strong>Verlag</strong> erschienen, Wiesbaden 2003.


488 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

tierende Verteilung von Entscheidungsrechten zwischen Zentrale und Dezentrale verst<strong>an</strong>den.<br />

2. Theoretische Basis<br />

Das Effizienzkriterium einer Übereinstimmung von Steuerungsbedarf und Steuerungsverhalten<br />

wird mit Hilfe des Informationsverarbeitungs<strong>an</strong>satzes theoretisch<br />

begründet, indem der Steuerungsbedarf als Informationsverarbeitungsbedarf und das<br />

Steuerungsverhalten als Informationsverarbeitungskapazität der Org<strong>an</strong>isation interpretiert<br />

wird.<br />

Die Entwicklung des Prozessbewertungsmodells erfolgt auf Basis von Ansätzen<br />

aus der neuen Institutionenökonomie, mit deren Hilfe der Einfluss von Zentrale und<br />

Dezentrale im strategischen Entscheidungsprozess bestimmt wird. Eine auf solche<br />

Ansätze gestützte Prozessbewertung bietet sich <strong>an</strong>, da bei unterschiedlichen Informationsverteilungen<br />

im Konzern regelmäßig Abhängigkeitsverhältnisse, Informationsasymmetrien<br />

und Verhaltensspielräume entstehen, die den Analysegegenst<strong>an</strong>d der<br />

neuen Institutionenökonomie bilden. Die Prinzipal-Agenten-Theorie liefert vor allem<br />

Ansatzpunkte für die Bewertung von Informationsasymmetrien im Entscheidungsprozess<br />

zwischen Konzernzentrale und Konzerngesellschaft. Die Theorie der Verfügungsrechte<br />

ergänzt diese Sichtweise, indem Schritte im Entscheidungsprozess als<br />

Property Rights interpretiert werden, deren Verteilung wiederum Anhaltspunkte für<br />

Zentralitätsgrade von Entscheidungsprozessen gibt.<br />

3. Verwendete Methoden<br />

In der Arbeit wird eine qualitative Explorationsstrategie verfolgt, deren Ergebnisse<br />

zur Effizienz der strategischen Gesellschaftssteuerung im Konzern in Form von<br />

Hypothesen formuliert sind. Zwei Überlegungen haben zur Wahl dieser Forschungsstrategie<br />

geführt: Erstens konnte die Datenerhebung für den qu<strong>an</strong>titativen Teil auf<br />

Grund der Komplexität der Materie nur durch Experteninterviews erfolgen. Weiterhin<br />

wird mit der Analyse von Steuerungsbedarf und Steuerungsverhalten in Konzernzentralen<br />

ein bisher in der Betriebswirtschaft stark vernachlässigtes Thema aufgegriffen,<br />

für dessen detaillierte methodische Durchdringung ein eigener Ansatz entwickelt<br />

werden muss. Diese Vorgehensweise auf Basis qualitativer Daten – die erst im späteren<br />

Verlauf der Untersuchung zu einer qu<strong>an</strong>titativen Analyse führen – erstrebt das<br />

Ziel, erste Wirkungszusammenhänge zwischen Steuerungsbedarf und Steuerungsverhalten<br />

nachzuweisen sowie strukturierte Verhaltenstypen zu bilden.<br />

Im Rahmen der Entwicklung des Prozessbewertungsmodells konnten bestehende<br />

Ansätze zur Berücksichtigung der Entscheidungsvorbereitungsphase von strategischen<br />

Entscheidungsprozessen in Konzernen weiterentwickelt werden. Die qualitative<br />

Begründung der (De-)Zentralität von Entscheidungsprozessmustern und ihre Bewertung<br />

ermöglichte erstmals den Überg<strong>an</strong>g von einem nur beschreibenden Kontinuum<br />

zwischen Zentralität und Dezentralität auf ein qu<strong>an</strong>titativ bestimmtes. Die Entwicklung<br />

des Prozessbewertungsmodells auf Basis der neuen Institutionenökonomie


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 489<br />

stellt einen ersten Ansatz zur Modellierung von Entscheidungsprozessen und die Ü-<br />

bersetzung von qualitativen Bewertungen in qu<strong>an</strong>titative dar. Diese qu<strong>an</strong>titative Bewertung<br />

der Prozessverläufe ermöglicht die Definition fester Grenzen einer zentralen,<br />

koordinativen und dezentralen Steuerung oder Führung. Darauf aufbauend wurde der<br />

Abgleich zwischen Steuerungsbedarf und Steuerungsverhalten vorgenommen.<br />

4. Ergebnisse<br />

In der Arbeit wurden für jeden Konzern 29 Entscheidungen der strategischen<br />

Gesellschaftssteuerung untersucht. Diese wurden zu vier Entscheidungsfeldern gebündelt,<br />

die in einer Hierarchie abnehmender konzernstrategischer Relev<strong>an</strong>z stehen.<br />

Die Zusammenführung von Konzernen mit einem in den Entscheidungsfeldern ähnlichen<br />

Verhalten bei der strategischen Gesellschaftssteuerung führte zu einer Typbildung.<br />

Hierbei zeigte sich, dass Formen der koordinativen Steuerung in der Praxis<br />

sehr weit verbreitet sind und – in unterschiedlicher Intensität – bei allen Holdingkonzernen<br />

zu beobachten sind.<br />

Typische Ausprägungen bestehender Holdingkonzeptionen, bei denen die Ver<strong>an</strong>twortung<br />

für die strategische Gesellschaftssteuerung entweder voll im Bereich der<br />

Zentrale oder voll im Bereich der Dezentrale liegt, konnten nur in Ansätzen nachgewiesen<br />

werden. Im Hinblick auf Rollendefinitionen von Konzernzentralen bei der<br />

strategischen Steuerung von Konzerngesellschaften konnten bestehende Erkenntnisse<br />

dahingehend erweitert werden, dass ein zentrales, koordinatives oder dezentrales<br />

Steuerungs- oder Führungsverhalten nicht grundsätzlich durchgängig, sondern sogar<br />

überwiegend in Kombinationen <strong>an</strong>zutreffen ist. Die Abweichungs<strong>an</strong>alyse zwischen<br />

dem intendierten und dem realisierten Steuerungsverhalten zeigt bei den konzernindividuellen<br />

Steuerungseffizienzen große Unterschiede: Einerseits sind Konzerne<br />

nachzuweisen, deren strategische Gesellschaftssteuerung nahezu ohne Effizienzverluste<br />

erfolgt, bei <strong>an</strong>deren Konzernen entstehen im Gegensatz dazu sehr hohe Effizienzverluste,<br />

die sich zudem in allen Entscheidungsfeldern finden. Die Studie zeigt,<br />

dass im Hinblick auf die strategische Gesellschaftssteuerung effiziente Konzernstrukturen<br />

noch wenig verbreitet sind.<br />

Es konnte weiterhin festgestellt werden, dass mit zunehmender Streuung der<br />

Steuerungsprobleme über viele Entscheidungsfelder auch die durchschnittlichen<br />

Steuerungsineffizienzen innerhalb der Entscheidungsfelder zunehmen: Steuerungsoder<br />

Führungsprobleme haben somit eine Tendenz zur Selbstverstärkung! Für die<br />

ermittelten Konzerntypen ergaben sich mark<strong>an</strong>te Effizienzunterschiede. Zusammenfassend<br />

zeigt sich, dass die Gesamtsteuerungseffizienz der strategischen Gesellschaftssteuerung<br />

umso höher ist, je stärker die Konzernzentralen die Steuerung unterschiedlicher<br />

Entscheidungsfelder differenzieren oder spreizen<br />

5. Weiterführende Fragen<br />

Die Studie basiert auf 20 Experteninterviews und untersucht das Entscheidungsverhalten<br />

jeweils nur für eine Gesellschaft im Konzernverbund. Auf Grund dieser Da-


490 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

tenbasis enthält die Studie einen insgesamt explorativen Charakter, obgleich 574 Prozessverläufe<br />

<strong>an</strong>alysiert wurden, die im Hinblick auf mögliche existierende Prozessverläufe<br />

in der Praxis jedoch als repräsentativ <strong>an</strong>zusehen sind. Eine Ausweitung der<br />

Datenbasis zur empirischen Absicherung oder Weiterentwicklung der Ergebnisse ist<br />

ein wichtiges Aufgabengebiet künftiger Forschung. Neue Erkenntnisse sind auch dadurch<br />

zu gewinnen, dass neben der Sichtweise von Konzernzentralen auch die der<br />

Konzerngesellschaften (als Spiegelbild) in spezifische Untersuchungen einzubeziehen<br />

sind.<br />

Christina Hoon<br />

Reformen öffentlicher Verwaltungen –<br />

Ein Beitrag zur Strategieprozessforschung <br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. H.-G. Ridder, Universität H<strong>an</strong>nover<br />

1. Problemstellung<br />

Aktuelle Arbeiten zum St<strong>an</strong>d der Verwaltungsreform zeigen, dass die Reformbestrebungen<br />

häufig wenig nachhaltig verlaufen und nicht die beabsichtigten Wirkungen<br />

erzielen. Die Untersuchungen vermuten die Ursachen für das Scheitern in der<br />

spezifischen Struktur- und Funktionslogik öffentlicher Verwaltungen und konzentrieren<br />

sich auf die inhaltliche Weiterentwicklung der Reformelemente zur Erreichung<br />

der gesetzten Reformziele. Es sind jedoch auch Hinweise zu finden, die identifizierten<br />

Richtungs- und Wirkungsverluste auf Blockaden bei der Umsetzung von Maßnahmen<br />

oder einer m<strong>an</strong>gelnden Einbindung der Beteiligten zurückzuführen. Ziel der<br />

vorliegenden Untersuchung ist es daher, den Verlauf von Reformprojekten zu betrachten<br />

und ein prozessuales Verständnis zu einem Reformprojekt zu entwickeln. Es<br />

wird der Frage nachgeg<strong>an</strong>gen, wie prozessuale Größen Einfluss auf Reformvorhaben<br />

öffentlicher Verwaltungen nehmen und welche fördernden oder verzögernden Wirkungen<br />

diese Faktoren auf den Prozessverlauf haben. Die Reformbestrebungen der<br />

öffentlichen Verwaltung lassen sich als Strategieprozess begreifen, in dessen Verlauf<br />

sich innerhalb interner und externer Kontextbedingungen Strategien entwickeln, die<br />

modifiziert und umgesetzt werden und den strategischen Kontext für weiterführende<br />

Initiativen bilden.<br />

<br />

Christina Hoon: Reformen öffentlicher Verwaltungen – Ein Beitrag zur Strategieprozessforschung.<br />

ISBN 3-8244-0708-6, Deutscher Universitäts-<strong>Verlag</strong>, Wiesbaden 2003.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 491<br />

2. Untersuchungsdesign und methodisches Vorgehen<br />

Es wird eine Prozessstudie durchgeführt, in der die Einführung von Personalentwicklung<br />

in einer Hochschulverwaltung über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren untersucht<br />

wird. Der Prozessstudie liegt das Ziel der Theorieentwicklung nach Eisenhardt<br />

zugrunde. Die Theorieentwicklung umfasst in einem iterativen Vorgehen die<br />

Analyse des empirischen Materials, die Formulierung von Konstrukten und deren<br />

Vergleich mit einem relev<strong>an</strong>ten Theoriesegment. Aus dem iterativen Abgleich der<br />

sich herausbildenden Konstrukte mit der Literatur resultieren Propositionen, deren<br />

Spiegelung <strong>an</strong> den theoretischen Erkenntnissen zu einer höheren Validität, einer höheren<br />

Generalisierbarkeit und höherem konzeptionellen Level eines Theoriesegments<br />

beitragen k<strong>an</strong>n. Die Daten der Einzelfallstudie resultieren aus Interviews mit allen am<br />

Prozess beteiligten Personen, externen und internen Dokumenten, Memos sowie aus<br />

Protokollen. Des Weiteren stützt sich die Datenerhebung auf eine „particip<strong>an</strong>t observer<br />

study“, die den Strategieprozess und seinen Verlauf über vier Jahre unmittelbar<br />

begleitforscht. Entsprechend des methodischen Ansatzes werden die Daten einer qualitativen<br />

Analyse unterzogen, um mit Hilfe der Sequenzbildung, „coding tracks“ und<br />

der „visual mapping strategy“ nach wiederkehrenden H<strong>an</strong>dlungsmustern, d.h. nach<br />

den dahinter liegenden Logiken im Prozessverlauf zu suchen. Aus der Analyse der<br />

empirischen Daten werden in einem ersten Schritt Konstrukte identifiziert. Diese induktiv<br />

abgeleiteten H<strong>an</strong>dlungsmuster bzw. die dem Muster imm<strong>an</strong>enten Konstrukte<br />

werden in einem zweiten Schritt mit Hilfe theoretischer Erklärungs<strong>an</strong>sätze erschlossen,<br />

und es findet eine Verfeinerung, Erweiterung und Verbesserung der empirisch<br />

abgeleiteten Konstrukte statt. Die theoretisch verfeinerten Konstrukte werden in einem<br />

dritten Schritt dazu her<strong>an</strong>gezogen, um Propositionen zu formulieren und diese <strong>an</strong><br />

dem Theoriesegment zu spiegeln.<br />

3. Strategieprozessforschung als theoretischer Rahmen<br />

Den theoretischen Rahmen der Arbeit liefern Konzepte der Strategieprozessforschung.<br />

In Abgrenzung zur Strategieinhaltsforschung fokussiert die Strategieprozessforschung<br />

auf den dynamischen Ablauf von strategischen Prozessen und fragt nach<br />

dem „wie“, d.h. nach dem Prozessverlauf sowie den Faktoren, die auf den Verlauf<br />

Einfluss nehmen. Innerhalb der Arbeiten zur Strategieprozessforschung begreift der<br />

Leading-Ch<strong>an</strong>ge Ansatz den Strategieprozess als Zusammenspiel unterschiedlicher<br />

Akteure und Akteursgruppen, aus dem sich im Prozessverlauf Strategien herausbilden.<br />

Die Arbeiten des Strategic Decision-Making Ansatzes bieten einen Erklärungsbeitrag<br />

zu dem formalen und informellen Entscheidungsverhalten der Akteure sowie<br />

zu den Prozesscharakteristika wie das Konsens- und Konfliktverhalten innerhalb von<br />

Entscheidungsprozessen.<br />

4. Ausgewählte Ergebnisse der Untersuchung<br />

Insgesamt machen die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung die Notwendigkeit<br />

deutlich, Reformbestrebungen öffentlicher Verwaltungen zu gestalten und


492 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Faktoren zu berücksichtigen, die fördernden oder unterstützenden Einfluss auf den<br />

Verlauf von Reformprozessen nehmen. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass<br />

sich der Reformprozess als enges Zusammenspiel von Führungskräften der mittleren<br />

und der oberen Hierarchieebene gestaltet, indem mittlere M<strong>an</strong>ager innovative Thematiken<br />

<strong>an</strong> die oberen Führungskräfte „verkaufen“ und das Entscheidungsverhalten der<br />

oberen Führungskräfte den strategischen Rahmen für weiterführende Initiativen bildet.<br />

Dabei wirken sich unklare strategische Vorgaben sowie ein wahrgenommener externer<br />

H<strong>an</strong>dlungsdruck verzögernd auf das strategische Initiativverhalten der Akteure<br />

und damit auf den Prozessverlauf aus. Das Initiativverhalten geht von mittleren M<strong>an</strong>agern<br />

aus, die aufgrund ihrer formalen Position im mittleren M<strong>an</strong>agement oder einer<br />

vergleichbaren informellen Position über den H<strong>an</strong>dlungsspielraum verfügen, um innovative<br />

Themen zu erkennen und diese auf die Agenda der Org<strong>an</strong>isation zu bringen.<br />

Zudem beeinflusst die Einrichtung eines Komitees bei unklaren strategischen Vorgaben<br />

den Prozessverlauf positiv. Das Komitee stellt sich als formaler Mech<strong>an</strong>ismus<br />

dar, der durch die frühe Einbindung von Interessenvertretungen, den Austausch von<br />

Zielen sowie die Diskussion und Bewertung von H<strong>an</strong>dlungsalternativen die Entscheidungsbildung<br />

unterstützt. In Bezug auf das strategische Verhalten wird deutlich, dass<br />

<strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nte Expertenmeinungen und informelle Vorabsprachen wirkungsvolle Taktiken<br />

darstellen, um weiterführende Prozessaktivitäten zu legitimieren und die Unterstützung<br />

für <strong>an</strong>stehende Entscheidungen zu sichern. Der Einsatz der Taktiken nimmt<br />

daher positiven Einfluss auf den Verlauf des betrachteten Prozesses. Die Untersuchungsergebnisse<br />

machen weiterhin deutlich, dass im Prozessverlauf durch das Top-<br />

M<strong>an</strong>agement Entscheidungen mit geringer strategischer Reichweite getroffen werden.<br />

Dabei erweist sich das Entscheidungsverhalten, kurzfristig revidierbare und wenig<br />

ressourcenintensive Entscheidungen zu treffen, als förderlich für den Prozessverlauf,<br />

da sich die Entscheidungen schnell umsetzen lassen und damit weiterführende Prozessaktivitäten<br />

sichern. Die strategischen Entscheidungen werden durch die Führungskräfte<br />

der oberen Hierarchieebene getroffen. Hier machen die Untersuchungsergebnisse<br />

deutlich, dass die oberen Führungskräfte durch ihr Entscheidungsverhalten<br />

den H<strong>an</strong>dlungsrahmen für weiterführende Prozessaktivitäten der beteiligten Akteure<br />

vorgeben. Weiterführendes Initiativverhalten richtet sich dar<strong>an</strong> aus, ob und in wie<br />

weit die oberen Führungskräfte durch ihr Entscheidungsverhalten Unterstützung signalisieren<br />

und weiterführende Aktivitäten legitimieren.<br />

Zudem können die Propositionen und ihre Spiegelung <strong>an</strong> den Arbeiten der Strategieprozessforschung<br />

einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Theoriesegments<br />

leisten. Durch den Abgleich der Propositionen der vorliegenden Arbeit mit dem Theoriesegment<br />

konnten zum einen Untersuchungen der Strategieprozessforschung mit<br />

ähnlichem Ergebnis bestärkt werden. Zum <strong>an</strong>deren bilden abweichende Ergebnisse<br />

den Ausg<strong>an</strong>gspunkt für eine vertiefte Betrachtung der Untersuchungsergebnisse sowie<br />

für die Suche nach Erklärungen in den Arbeiten der Strategieprozessforschung<br />

und zeigen einen weiterführenden Forschungsbedarf auf.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 493<br />

Bettina Huber<br />

Die politische Realität in Unternehmen: Diagnose, Analyse,<br />

Evaluation<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Bruno Staffelbach, Universität Zürich<br />

1. Problemstellung<br />

Während die Begriffe der Politik bzw. des Politischen in oder von Unternehmen<br />

in der betriebswirtschaftlichen Diskussion nichts Neues oder gar Unbek<strong>an</strong>ntes darstellen<br />

und die Unternehmenspraxis in ihrem alltäglichen H<strong>an</strong>deln direkt und intensiv<br />

mit politischen Phänomenen konfrontiert ist, ist das Verständnis darüber, was unter<br />

Politik in Unternehmen nun genau (nicht) zu verstehen ist bzw. was das Politische der<br />

Unternehmensrealität konkret ausmacht, äußerst umstritten. Trotz der allgemein bek<strong>an</strong>nten<br />

und breit akzeptierten Signifik<strong>an</strong>z von Politik in Unternehmen spielt die theoretische<br />

Reflexion über die politische Perspektive des Unternehmens in der Betriebswirtschaftslehre<br />

bisl<strong>an</strong>g nur eine marginale Rolle und ist entsprechend wenig<br />

entwickelt und nur oberflächlich fundiert.<br />

Dies zeigt sich vor allem darin, dass innerhalb der modernen betriebswirtschaftlichen<br />

Forschung zum einen kein integratives und in sich kohärentes politisches Theorieprogramm<br />

des Unternehmens existiert, zum <strong>an</strong>deren Ansätze dazu nur in einer<br />

fragmentierten, partiellen und sprunghaften Diskussion vorliegen. In den jeweiligen<br />

Ansätzen und Modellen zum Geschehen in Unternehmen wird dem Politischen entweder<br />

so viel Raum zugest<strong>an</strong>den, dass die Unternehmen als Arenen der Macht und<br />

des Konflikts aufgefasst werden, die ausschließlich durch die Politik geprägt sind,<br />

oder dass Politik in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g möglichst wenig bis gar nicht thematisiert<br />

wird. Dazu zeigen sich – neben operationalen Fragestellungen hinsichtlich der<br />

unterschiedlichen Beobachtungs- und Messebenen des Politischen in Unternehmen –<br />

insbesondere konzeptionelle Differenzen: So wird Politik in Unternehmen einerseits<br />

als Qualität bestimmter H<strong>an</strong>dlungsprozesse im unternehmensbezogenen Kontext verst<strong>an</strong>den,<br />

<strong>an</strong>dererseits als machiavellistisches Verhalten einzelner Akteure aufgefasst;<br />

einerseits als theoretische Unternehmensperspektive konzeptionalisiert, <strong>an</strong>dererseits<br />

als informeller, dysfunktional wirkender Beeinflussungsprozess bestimmt.<br />

Trotz des steigenden Interesses am Untersuchungsobjekt des Politischen in Unternehmen<br />

lassen sich in der Betriebswirtschaftslehre bis heute nur vereinzelt tiefer<br />

gehende Analysen und umfassende theoretische Ausarbeitungen der politischen Unternehmensperspektive<br />

erkennen. Was jedoch in der betriebswirtschaftlichen Forschung<br />

fehlt, ist nicht nur ein kohärenter theoretischer Hintergrund, sondern auch eine<br />

konsistente begrifflich-konzeptionelle Grundlage, <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der die politische Unternehmensrealität<br />

erst <strong>an</strong>gemessen diagnostiziert, <strong>an</strong>alysiert und evaluiert werden<br />

könnte – Restriktionen, die dazu führen, dass der politische Aspekt bei der Untersuchung<br />

und Gestaltung des Geschehens in Unternehmen vernachlässigt oder sogar<br />

gänzlich ignoriert wird.


494 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

2. Zielsetzung<br />

Angesichts dieser betriebswirtschaftlichen Problemstellung einer zwar breit akzeptierten,<br />

unbestrittenen Signifik<strong>an</strong>z von Politik in Unternehmen einerseits und einer<br />

wenig fundierten theoretischen Basis dieser politischen Unternehmensrealität <strong>an</strong>dererseits<br />

liegt die Zielsetzung der vorliegenden Dissertation darin, die politische Natur<br />

des Geschehens in Unternehmen einer vertieften theoretischen Untersuchung zuzuführen<br />

und damit den defizitären St<strong>an</strong>d der betriebswirtschaftlichen Forschung zu<br />

verbessern, was die theoretisch-konzeptionelle Erfassung der politischen Unternehmensrealität<br />

<strong>an</strong>bel<strong>an</strong>gt. Als oberstes erkenntnisleitendes Ziel dieser Dissertation ist in<br />

diesem Sinne der theoretisch-konzeptionelle Erkenntnisfortschritt über die politische<br />

Realität in Unternehmen zu bezeichnen. Diese primäre Zielstellung wird <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d dreier<br />

derivativ abgeleiteter Ziele konkretisiert: nämlich a) durch die Diagnose, b) durch<br />

die Analyse und c) durch die Evaluation der politischen Realität in Unternehmen.<br />

Die drei forschungsleitenden Ziele entsprechen im Grundsatz der Differenzierung<br />

zwischen phänomenalen, kausalen und aktionalen Erkenntnisinteressen. Das<br />

phänomenale Interesse (Diagnose) richtet sich auf die zu untersuchende Erscheinung<br />

und orientiert sich <strong>an</strong> den tatsächlichen, also den faktischen Gegebenheiten, ihren<br />

Merkmalen und Eigenschaften. Es geht nicht (nur) um die oberflächlichen Merkmale<br />

eines Phänomens, sondern hauptsächlich um dessen Wesenseigenschaften; im Zentrum<br />

der Betrachtung stehen demnach diese wesentlichen, erkenntnistheoretischen<br />

Züge und Eigenschaften der politischen Unternehmensrealität. Das kausale Interesse<br />

(Analyse) fragt nach den ursächlichen Determin<strong>an</strong>ten von entsprechenden Phänomenen.<br />

Von zentraler Bedeutung sind hier die Bestimmungsfaktoren oder Ursachen der<br />

politischen Realität in Unternehmen. Das aktionale Interesse (Evaluation) orientiert<br />

sich <strong>an</strong> den Wirkungen eines Phänomens in der Praxis, d.h. <strong>an</strong> seiner Beurteilung innerhalb<br />

des praktischen H<strong>an</strong>delns. Im Vordergrund der Betrachtung steht daher die<br />

Evaluation der (Aus-)Wirkungen und Möglichkeiten der politischen Realität in der<br />

Unternehmenspraxis.<br />

3. Erkenntnisleitende Methodik<br />

Angesichts des in dieser Arbeit zu erforschenden Phänomens der politischen<br />

Realität in Unternehmen – ein Phänomen, das einen äußerst komplexen, schlecht operationalisierbaren<br />

Charakter aufweist – k<strong>an</strong>n dessen wissenschaftliche Beh<strong>an</strong>dlung<br />

nicht auf die Darstellung empirisch operationalisierter und damit auch oftmals unzulässig<br />

vereinfachter, idealisierter Zustände oder Ereignisse zurückgreifen. Im erkenntnisleitenden<br />

Vordergrund steht vielmehr das Herausarbeiten von Zusammenhängen,<br />

Beziehungen und Abhängigkeitsstrukturen, die das spezifisch Politische in<br />

Unternehmen überhaupt erst ausmachen; dies k<strong>an</strong>n – entsprechend der nur schwierig<br />

beobachtbaren „Natur“ dieses Forschungsgegenst<strong>an</strong>des – durch eine theoretische<br />

Darstellung erfüllt werden.<br />

Die theoeretisch-abstrakte Forschungsstrategie gilt daher als erkenntnisleitende<br />

Methodik der vorliegenden Dissertation, wobei eine Kombination von synthetisieren-


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 495<br />

der und konzeptionalisierender Perspektive vorgenommen wird. Synthetisierend<br />

meint die systematische und klassifikatorische Einteilung der relev<strong>an</strong>ten Informationen<br />

über ein bestimmtes Phänomen, um damit eine breite, allgemeingültige Perspektive<br />

über den Forschungsst<strong>an</strong>d aufzuzeigen; konzeptionalisierend meint die Entwicklung<br />

von Modellen, Frameworks oder Typologien, die der systematischen Aufdeckung,<br />

Erklärung und Evaluation eines bestimmten Phänomens dienen.<br />

Da der Gegenst<strong>an</strong>d des Politischen es in einem hohen Masse mit Begriffen zu<br />

tun hat, die bestimmte Prinzipien oder Ordnungsstrukturen symbolisch vertreten, erweist<br />

sich die hermeneutische Methode als besonders erkenntnisleitend und adäquat.<br />

Die Hermeneutik findet innerhalb der Theoriebildung über politische Phänomene sogar<br />

einen ihrer vorzüglichsten Anwendungsbereiche, dass sie strukturierend auf die<br />

politische Realität einwirkt und ihre Erkenntnisse – auf Grund deren Entwurfscharakters<br />

– über den Weg der sinndeutenden Auslegung selber wieder neue, sozialwissenschaftlich<br />

relev<strong>an</strong>te Tatsachen erwirken können. Im Speziellen lässt sich die in dieser<br />

Dissertation zu Grunde liegende Methodik als sog. hermeneutisch-theoretische Forschungsstrategie<br />

positionieren.<br />

Angesichts der erkenntnisleitenden Zielsetzung, der intendierten Ergebnisse und<br />

der davon abgeleiteten Forschungsstrategie ist die Zielorientierung der gewählten<br />

Methodik entdeckend, d.h. <strong>an</strong> einem Entdeckungszusammenh<strong>an</strong>g in Bezug auf betriebswirtschaftliche<br />

Aussagen orientiert. Dies führt dazu, dass die ebenfalls <strong>an</strong>zustrebende<br />

Orientierung am Begründungszusammenh<strong>an</strong>g der wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />

nicht in gleichem Ausmaß gewährleistet werden k<strong>an</strong>n. Die Dissertation<br />

positioniert sich damit als eine explorative Untersuchung.<br />

4. Ergebnisse<br />

Die Ergebnisse der Arbeit können als Antworten auf vier Kernfragen zusammengefasst<br />

werden:<br />

1. Wie lässt sich das Phänomen des Politischen in Unternehmen sowohl aus betriebswirtschaftlicher<br />

als auch aus sozialwissenschaftlicher Perspektive definieren<br />

und kategorial abgrenzen?<br />

Als Ergebnis zeigt sich das Politische in Unternehmen als ein mehrdimensionales<br />

Phänomen, das <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d eines integrativen Bezugsrahmens des unternehmensbezogenen<br />

Geschehens tr<strong>an</strong>sparent zu machen ist.<br />

2. Wie lässt sich insbesondere die politische Realität in Unternehmen auf der<br />

Grundlage allgemein gültiger Diagnose-Kriterien der unternehmensbezogenen<br />

Realität diagnostizieren und damit erkenntnistheoretisch erfassen?<br />

Als Ergebnis wird ein integratives, mehrdimensionales Diagnose-Modell entwickelt,<br />

das eine idealtypische Erschließbarkeit der politischen Realität in Unternehmen<br />

ermöglicht.<br />

3. Wie lässt sich die spezifische politische Realität in Unternehmen auf der Grundlage<br />

allgemein gültiger Analyse-Kriterien der unternehmensbezogenen Realität<br />

<strong>an</strong>alysieren und damit kausaltheoretisch erklären?


496 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Als Ergebnis wird ein integratives, mehrdimensionales Analyse-Modell entwickelt,<br />

das eine idealtypische Kausal-Analyse der politischen Realität in Unternehmen<br />

und damit auch eine Erklärung ermöglicht.<br />

4. Wie lässt sich die spezifische politische Realität in Unternehmen auf der Grundlage<br />

allgemein gültiger Evaluations-Kriterien der unternehmensbezogenen Realität<br />

evaluieren und damit auf ihre (Aus-)Wirkungen hin beurteilen?<br />

Als Ergebnis wird ein integratives, mehrdimensionales Evaluations-Modell entwickelt,<br />

das eine idealtypische Beurteilung der politischen Realität in Unternehmen<br />

ermöglicht.<br />

5. Resümee<br />

Mit vorliegender Dissertation beabsichtigt die Autorin, eine zentrale betriebswirtschaftliche<br />

Problemstellung konzeptionell zu fassen und theoretisch zu verorten.<br />

Dabei wird das Politische sowohl als „Gegenst<strong>an</strong>d“ bzw. als Objektbereich wie auch<br />

als Perspektive wissenschaftlicher Analyse aufgefasst. Die Arbeit stellt einen eigenständigen<br />

und profunden Beitrag zu einer politik-orientierten Theorie des Unternehmens<br />

und zu einer entsprechenden Betriebswirtschaftslehre dar. Der Nutzen der Dissertation<br />

liegt einerseits darin, dass der konzeptionelle Rahmen zur Erfassung des Politischen<br />

als Objektbereich und als Perspektive der Betriebswirtschaftslehre aufgesp<strong>an</strong>nt<br />

wird, womit <strong>an</strong>dererseits eine Grundlage zur Diagnose, Analyse und Evaluation<br />

der politischen Realität in konkreten Fällen geschaffen wird.<br />

Adri<strong>an</strong> Ritz<br />

Evaluation von New Public M<strong>an</strong>agement. Grundlagen und<br />

empirische Ergebnisse der Bewertung von Verwaltungsreformen<br />

in der schweizerischen Bundesverwaltung *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Norbert Thom, Universität Bern<br />

1. Problemstellung<br />

Reformen kennzeichnen die tägliche Arbeit der Verwaltungsmitarbeitenden seit<br />

dem Bestehen politisch-administrativer Systeme. Meistens übt die politische Elite einen<br />

großen Einfluss auf die staatliche Org<strong>an</strong>isation aus, was zur Folge hat, dass<br />

Machtwechsel in der Politik eine wesentliche Ursache von Reformen darstellen. Zu-<br />

*<br />

Die Dissertation wurde im Paul Haupt-<strong>Verlag</strong> Bern (2003) publiziert, gebundene Ausgabe,<br />

560 S., ISBN: 3258065977, € 56,00.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 497<br />

sätzlich wirken externe Beeinflusser wie z.B. Wissenschaft, Politik- oder Unternehmensberatungen<br />

auf die Verwaltungsstrukturen ein.<br />

Vor diesem Hintergrund k<strong>an</strong>n auch die Entstehung der Verwaltungsreform New<br />

Public M<strong>an</strong>agement (NPM) seit Beginn der 1990er Jahre als Prozess politischer und<br />

externer Einflussfaktoren bezeichnet werden. NPM ist eine weltweite Verwaltungsreform<br />

des ausgehenden 20. Jahrhunderts, welche die Folgen staatlichen H<strong>an</strong>delns<br />

durch eine stärkere Wettbewerbs-, Leistungs- und Wirkungsorientierung sowohl ins<br />

Zentrum der administrativen als auch politischen Führungsver<strong>an</strong>twortung rückt.<br />

Gleichzeitig wird der Veränderung der Verwaltungskultur und -struktur eine hohe<br />

Bedeutung beigemessen.<br />

Angesichts der Reformziele und spezifischen Betonung der Wirkungsorientierung<br />

stellt sich die grundsätzliche Frage, welche Auswirkungen NPM-Reformen haben.<br />

Vermögen sie wirklich zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung im öffentlichen<br />

Sektor beizutragen? Verändert sich die Verwaltungskultur und verhalten sich die<br />

Mitarbeitenden in den Reformämtern <strong>an</strong>ders als zuvor?<br />

Die bisherige Forschung kommt mehrheitlich zum Ergebnis, dass echte Wirkungsevaluationen<br />

zu NPM-Reformprojekten sehr komplex und schwer durchführbar<br />

sind. Evaluationen, welche die gegenseitige Beeinflussung von neuen Interventionsinstrumenten<br />

und deren verwaltungsinterne sowie -externe Folgen thematisieren, sind<br />

äußerst rar.<br />

Die Dissertation von Adri<strong>an</strong> Ritz widmet sich dieser Thematik und versucht <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d<br />

einer exemplarischen Reform-Evaluation Wirkungsketten sowie Zweck-Mittel-<br />

Zusammenhänge aufzuzeigen. Angesichts der Zunahme von Reformprojekten in Europa<br />

gegen Ende des verg<strong>an</strong>genen Jahrhunderts k<strong>an</strong>n davon ausgeg<strong>an</strong>gen werden,<br />

dass in den nächsten Jahren die Evaluation und Analyse institutioneller Veränderungsprozesse<br />

<strong>an</strong> Bedeutung gewinnen wird.<br />

Nebst der Reformbewertung kommt dem Thema jedoch eine weitere besondere<br />

Bedeutung zu: Die Evaluationsforschung bzw. Evaluierung von politischen Programmen<br />

erl<strong>an</strong>gte in den 1970er Jahren einen großen Stellenwert innerhalb der amerik<strong>an</strong>ischen<br />

Verwaltungs- und Politikwissenschaften. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts<br />

vermochte sich die Evaluationsforschung aber kaum als zentrales, entscheiderstützendes<br />

Instrument in der Verwaltungspraxis durchzusetzen. Die Einführung wirkungsorientierter<br />

Instrumente im Rahmen von NPM verl<strong>an</strong>gt jedoch unmittelbar nach<br />

Evaluationen zur Überprüfung der Wirkungen staatlichen H<strong>an</strong>delns. Im Falle der institutionellen<br />

Reformen interessiert insbesondere das Verhalten der unterschiedlichen<br />

Akteure innerhalb des politisch-administrativen Systems (z.B. Parlamentsmitglieder,<br />

Verwaltungsmitarbeitende). Die Dissertation verfolgt das weitere Ziel, die unterschiedlichen<br />

Ansätze der Evaluationsforschung und ihre Eigenschaften darzustellen,<br />

das Begriffsverständnis im Hinblick auf die Reform-Evaluation zu erweitern und diese<br />

Form der Evaluation näher zu beschreiben.


498 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

2. Theoretische Basis<br />

Vor dem Hintergrund des entscheidungsorientierten Ansatzes der Betriebswirtschaftslehre<br />

Heinens und auch des systemorientierten Ansatzes von Ulrich verl<strong>an</strong>gt<br />

die Reform-Evaluation nach Ergebnissen, die das Entscheidungsverhalten der Reformver<strong>an</strong>twortlichen<br />

beeinflussen und im besten Falle zur zukunftsorientierten Gestaltung<br />

des politisch-administrativen Systems beitragen. Folglich besteht das<br />

Bestreben des Autors in der Generierung von praktisch nutzbarem Wissen. Dazu<br />

wird methodisch nach dem Analyseinstrument des konzeptionellen Bezugsrahmens<br />

von Grochla aus der Org<strong>an</strong>isationsforschung vorgeg<strong>an</strong>gen. Zur Herleitung des<br />

Konzeptionsrahmens sowie der begrifflichen, deskriptiven und expl<strong>an</strong>atorischen<br />

Aussagen verfolgt der Verfasser eine sachlich-<strong>an</strong>alytische sowie eine empirische<br />

Forschungsstrategie.<br />

3. Empirische Untersuchung<br />

Die Kriterien<strong>an</strong>wendung im Rahmen der empirischen Strategie bildet einen<br />

Schwerpunkt der Arbeit. Im Sinne einer multiplen Tri<strong>an</strong>gulation wurden verschiedene<br />

Untersuchungszeitpunkte, -orte, -personen, -methoden sowie -daten mitein<strong>an</strong>der<br />

kombiniert. Das Evaluationsdesign bezieht sich nicht nur auf eine Personengruppe,<br />

sondern integriert alle <strong>an</strong> der Reform beteiligten Akteure und ausgewählten Kundengruppen,<br />

die von den Reformauswirkungen betroffen sind. Das Schwergewicht liegt<br />

bei den von den Reformen betroffenen Mitarbeitenden in den Dienststellen. Während<br />

der vierjährigen Evaluation wurden in vier Bundesämtern mehrere qu<strong>an</strong>titative<br />

Längsschnitt- und Querschnittvergleiche durchgeführt, die mittels einer qualitativen<br />

Untersuchungsstrategie ergänzt wurden. Die Erhebungen f<strong>an</strong>den auf allen Ebenen des<br />

politisch-administrativen Systems statt und erfassten im Rahmen der Wirkungsevaluation<br />

auch die Leistungsempfänger außerhalb der Verwaltung. Eine externe Validierung<br />

<strong>an</strong>h<strong>an</strong>d von Sekundärdaten diente schließlich der Überprüfung zuvor festgestellter<br />

Ergebnisse.<br />

Dieses Evaluationsdesign verdeutlicht das aufwändige methodische Vorgehen,<br />

welches der empirischen Strategie zu Grunde liegt. Nur so konnte das <strong>an</strong>fänglich<br />

formulierte Ziel, einen Forschungsbeitrag hinsichtlich einer systematischen Wirkungsevaluation<br />

von Verwaltungsreformen leisten zu wollen, erreicht werden.<br />

4. Ergebnisse der Untersuchung<br />

Die Merkmale einer Reform-Evaluation wurden auf der Basis des Bezugsrahmens<br />

und <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d eines Vergleichs mit insgesamt neun Evaluationsstudien von Verwaltungsreformen<br />

<strong>an</strong>alysiert. Aus diesem Vergleich resultieren folgende Erkenntnisse<br />

bez. der Gemeinsamkeiten von Reform-Evaluationen:<br />

1. Der Zweck von Reform-Evaluationen ist primär die Entscheidungsorientierung.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 499<br />

2. Die zu Grunde liegenden Beurteilungskriterien sind hauptsächlich deskriptiver<br />

Natur und richten sich nach allgemeinen NPM-Zielen oder auch speziellen Projektzielen.<br />

3. Die zentralen Fragestellungen fallen primär in die Bereiche „M<strong>an</strong>agement/Führung“<br />

und „Motivation/Qualifikation“.<br />

4. Qualitative Vorgehensweisen gehören in jedem Fall zur Evaluationsmethodik.<br />

Sie werden teilweise ergänzt durch qu<strong>an</strong>titative Analysen oder durch die Qu<strong>an</strong>tifizierung<br />

qualitativ erhobener Informationen.<br />

Der praktische Teil der Dissertation befasst sich mit der Reform-Evaluation eines<br />

NPM-Projekts in der schweizerischen Bundesverwaltung. Am Beispiel der untersuchten<br />

Verwaltungsstellen werden am Schluss des Kapitels Wirkungszusammenhänge<br />

aufgezeigt. Die <strong>an</strong>gestellten Vergleiche zwischen Ämtern führen zur Erkenntnis,<br />

dass eine gute Reformvorbereitung und -umsetzung sowie die gezielte Unterstützung<br />

durch die politische Führung nachhaltige Reformwirkungen generieren können,<br />

die auf eine längerfristige Qualifizierung der Reforminstitutionen hinweisen. Der<br />

Vergleich unterschiedlicher Reformämter vermag insbesondere aufzuzeigen, dass der<br />

tiefere Einschnitt im Rahmen der Verselbständigung zur öffentlich-rechtlichen Anstalt<br />

systematisch stärkere Wirkungen zu Tage gefördert hat. Die Resultate werden<br />

zusätzlich durch eine externe Validierung überprüft.<br />

Nebst Wirkungen beim Parlament, bei der Regierung und bei Leistungsempfängern<br />

widmete sich die Studie eingehend der in Reform-Evaluationen oft vernachlässigten<br />

Mitarbeitendenebene. Die Dissertation liefert u. a. auf folgende Fragen Ergebnisse<br />

(in Klammern):<br />

Werden die Mitarbeitenden von den Reformen überhaupt t<strong>an</strong>giert? (Ja, jedoch<br />

erst nach einer gewissen Dauer der Pilotprojekte.)<br />

Sind die Mitarbeitenden verschiedener Amtsstellen unterschiedlich zufrieden?<br />

Was ist der Hintergrund der Differenzen? (Ja, denn die jeweiligen Reformprozesse<br />

verliefen sehr unterschiedlich und die Ämter differieren ebenso stark in ihren<br />

Merkmalen.)<br />

Welche Auswirkungen sind bei den Reformbetroffenen festzustellen? Intendierte<br />

(z.B. mehr Leistungsorientierung) oder nicht intendierte (z.B. Arbeitsbelastung,<br />

Konkurrenz)? (Die Arbeitsbelastung hat in den <strong>an</strong>alysierten Dienststellen<br />

sehr stark zugenommen und die fin<strong>an</strong>ziellen Anreize vermögen nicht im erwünschten<br />

Ausmaß zu motivieren.)<br />

Sind Unterschiede zwischen den Hierarchieebenen (oberes, unteres Kader, Mitarbeitende<br />

ohne Führungsaufgaben) erkennbar? (Ja, die oberen Kaderpersonen<br />

sind viel stärker von den Reformen betroffen, jedoch alle Mitarbeitenden sind<br />

aufgrund der Reformen zufriedener geworden.)<br />

Ist ein Kulturw<strong>an</strong>del eingetreten? In welche Richtung zielt er (z.B. Kostenbewusstsein,<br />

Kunden-, Innovationsorientierung)? (Der Kulturw<strong>an</strong>del ist <strong>an</strong>satzweise<br />

eingetreten, k<strong>an</strong>n jedoch nach so kurzer Reformdauer kaum aussagekräftig<br />

beurteilt werden.)


500 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Ist die <strong>an</strong>gestrebte Erweiterung des H<strong>an</strong>dlungsspielraums für die Amtspersonen<br />

eingetroffen? (Der H<strong>an</strong>dlungsspielraum ist besonders bei den Amtsleitungen<br />

eingetreten und bezieht sich primär auf fin<strong>an</strong>zielle Aspekte.)<br />

Die Schlussbewertung basiert auf der Analyse der <strong>an</strong>fänglich aufgeworfenen<br />

Fragestellungen und damit zusammenhängenden Hypothesen. Die Bewertung gel<strong>an</strong>gt<br />

nach der Darstellung aller Ergebnisse zum Fazit, dass sich die NPM-Reform im spezifischen<br />

Falle mehrheitlich zur Erreichung der reformintendierten Ziele eignet, obwohl<br />

die dafür zentralen und die Systemebenen übergreifenden Informations- sowie<br />

Führungsprozesse noch weit von einer routinemäßigen Anwendung entfernt sind. Auf<br />

der politischen Steuerungsebene wurden zudem Funktionsmängel festgestellt, ohne<br />

deren Verbesserung ein Hauptziel der Reform, die Wirkungsorientierung, verfehlt<br />

werden könnte.<br />

5. Fazit<br />

Die Arbeit zeigt exemplarisch auf, wie ein Evaluationsprojekt auf der methodologischen<br />

Grundlage des entscheidungsorientierten Ansatzes der Betriebswirtschaftslehre<br />

konzipiert und durchgeführt werden k<strong>an</strong>n. Insofern wird ein Beitrag zur Tr<strong>an</strong>sdisziplin<br />

Evaluationsforschung geliefert, als sie in der Betriebswirtschaftslehre auf<br />

wissenschaftstheoretische Grundlagen stößt, die gut mit der Evaluationsforschung<br />

vereinbar sind.<br />

Die Evaluationsergebnisse liefern vielfältige Hinweise auf die Ver<strong>an</strong>kerung der<br />

Reformen auf der politischen Ebene und bei den Mitarbeitenden der Reformämter.<br />

Dabei zeigt sich, dass die Ver<strong>an</strong>kerung der Reformen auf parlamentarischer Ebene<br />

und bei den Mitarbeitenden in den Ämtern Zeit sowie weitere Entwicklungsschritte<br />

benötigt. Die Amtsleitungen dagegen sind direkter betroffen und äußerten sich sehr<br />

positiv über den erweiterten H<strong>an</strong>dlungsspielraum bzw. ihre neuen Kompetenzen.<br />

Die vom Verfasser formulierten weiterführenden Forschungsfragen zeigen auf,<br />

dass diese Verknüpfung betriebswirtschaftlicher Ansätze und politikwissenschaftlicher<br />

Evaluationsforschung einen wichtigen Best<strong>an</strong>dteil zukünftiger Bewertungsversuche<br />

von NPM-Reformen darstellt. Insbesondere die Erfassung der Kosteneffizienz<br />

von Veränderungen innerhalb der Verwaltungen und deren Auswirkungen bei den<br />

Bürgern und Leistungsempfängern muss weiter untersucht werden.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 501<br />

9. Arbeitsstrukturen und Arbeitszeit<br />

Lars Renner<br />

Individualisierung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation zur Steigerung der<br />

Unternehmungsflexibilität – Eine kritische Diskussion der<br />

Flexibilitätswirkungen individualisierter Arbeitsinhalts- und<br />

Arbeitszeitgestaltung *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Jürgen Berthel, Universität Siegen<br />

1. Fragestellung der Untersuchung<br />

Die vorliegende Arbeit untersucht, ob und inwieweit eine Individualisierung (i.<br />

S. e. Anpassung <strong>an</strong> individuelle Mitarbeiterbedürfnisse) der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation zur<br />

Steigerung der Flexibilität von Unternehmungen beitragen k<strong>an</strong>n.<br />

Die Gestaltung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation spielt sich im Sp<strong>an</strong>nungsfeld zweier Interessenlagen<br />

ab: Auf der einen Seite die explizite Berücksichtigung des Unternehmungsinteresses,<br />

die durch die Gestaltung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation die Aktivierung<br />

und Vergrößerung der Anpassungsfähigkeit der Unternehmung <strong>an</strong>strebt, auf der <strong>an</strong>deren<br />

Seite die Berücksichtigung der differenzierten Mitarbeiterinteressen und deren<br />

individueller Werte, Ziele und Bedürfnisse.<br />

Diese beiden Gestaltungsinteressen werden in der Literatur häufig vereinfachend<br />

als gegensätzlich dargestellt. Seit Ende der 1970er Jahre wird ein Ansatz diskutiert,<br />

dessen Protagonisten behaupten, eine verhaltenstheoretische Antwort auf die org<strong>an</strong>isationstheoretische<br />

Frage geben zu können, wie die Integration von Individuum und<br />

Org<strong>an</strong>isation am effektivsten für beide Seiten erreicht werden k<strong>an</strong>n. Dieser Ansatz<br />

der „individualisierten Org<strong>an</strong>isation“ bzw. „Individualisierung“ setzt <strong>an</strong> der expliziten<br />

Berücksichtigung der Mitarbeiterinteressen <strong>an</strong> und fordert die Abschaffung starrer<br />

Einheitskonzepte, die sich insbesondere in einer Dest<strong>an</strong>dardisierung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation<br />

m<strong>an</strong>ifestiert. Die Individualisierung verl<strong>an</strong>gt die Schaffung alternativer Arbeitssituationen,<br />

aus denen die Mitarbeiter als Agent ihrer eigenen Bedürfnisse auswählen<br />

können. Dadurch soll der Verschiedenheit der individuellen Bedürfnisstrukturen<br />

der Mitarbeiter bei der Gestaltung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation Rechnung getragen<br />

werde. Die derartige Befriedigung individueller Bedürfnisse verbessere schließlich<br />

auch die org<strong>an</strong>isationale Leistungsfähigkeit der Unternehmung.<br />

*<br />

Veröffentlicht 2002 unter dem Titel: „Flexibilität durch individualisierte Arbeitsinhalte und<br />

Arbeitszeiten“ im Josef Eul <strong>Verlag</strong>; Lohmar, Köln. ISBN: 3-89012-988-9.


502 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

2. G<strong>an</strong>g der Untersuchung<br />

Ausg<strong>an</strong>gspunkt der Untersuchung ist die Definition und Strukturierung von Unternehmungsflexibilität.<br />

Es wird dargelegt, dass es sich bei der Unternehmungsflexibilität<br />

um eine mehrdimensionale Eigenschaft h<strong>an</strong>delt, die in sozio-technischen Systemen<br />

bewusst gestaltet werden muss.<br />

Die Schaffung von Flexibilität stellt keinen Selbstzweck dar, sondern sie dient<br />

als Mittel zur Sicherung der Entwicklung und der Lebensfähigkeit der Unternehmung.<br />

Wenn der Flexibilität auf der strategischen M<strong>an</strong>agementebene dennoch selbst<br />

Zielcharakter zugesprochen werden k<strong>an</strong>n, so unterstreicht das nur ihren Mittelcharakter<br />

für die normative M<strong>an</strong>agementebene. Ein richtiges Maß <strong>an</strong> Flexibilität innerhalb<br />

einer Unternehmung lässt sich nur schwer bestimmen. Das Flexibilitätspotential sollte<br />

den jeweiligen Flexibilitätsbedarf decken; der wiederum ist aber nur vage zu bestimmen,<br />

da er sich aus den zukünftigen Änderungen der In- und Umweltbedingungen ableitet.<br />

Flexibilität k<strong>an</strong>n in der Unternehmung auf verschiedenen Unternehmungsebenen<br />

erreicht werden: Die Mikroebene betrachtet die einzelnen Stellen und deren Funktionsträger,<br />

die Mesoebene betrachtet Teileinheiten, Arbeitssysteme, Abteilungen oder<br />

Prozesse, die Makroebene hat die Gesamtunternehmung zum Betrachtungsgegenst<strong>an</strong>d.<br />

Die Flexibilität auf niedrigeren Ebenen beeinflusst aber diejenige auf den höheren<br />

Ebenen, so dass eine Flexibilität der Unternehmung als G<strong>an</strong>zes nur durch eine integrierte<br />

Abstimmung der Unternehmungsebenen zust<strong>an</strong>de kommen k<strong>an</strong>n.<br />

Als Träger externer Flexibilität werden die Marktleistung und als Träger interner<br />

Flexibilität die Unternehmungsstruktur sowie das Verhalten der Akteure identifiziert.<br />

Durch die Gestaltung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation k<strong>an</strong>n deshalb hauptsächlich eine Beeinflussung<br />

der internen Flexibilität der Unternehmung erreicht werden. Aufgrund ihrer<br />

Mehrdimensionalität und Mehrstufigkeit lässt sich Flexibilität nur qualitativ bewerten.<br />

Nach der Entwicklung des dieser Arbeit zugrunde liegenden Flexibilitätsverständnisses<br />

wird die Individualisierung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation präzisiert. Dabei wird<br />

festgestellt, dass es sich bei der Individualisierung um einen graduellen personalwirtschaftlichen<br />

Gestaltungs<strong>an</strong>satz h<strong>an</strong>delt, der in verstärktem Maß das Einzelne und Besondere<br />

im Mitarbeiter in die gestaltenden Überlegungen einbezieht. Da die Individualisierung<br />

einen als utopisch zu bezeichnenden Idealzust<strong>an</strong>d <strong>an</strong>strebt, der jedem Mitarbeiter<br />

eine vollständig auf ihn zugeschnittene Arbeitssituation zur Verfügung stellt,<br />

k<strong>an</strong>n die Individualisierung als konkret-konstruktive Utopie mit Leitbildfunktion bezeichnet<br />

werden, die die Abkehr von Einheitslösungen fördert. Dieses Leitbild wird<br />

durch die drei konstitutiven Strategien der Variation, Selektion und Adaption konkretisiert.<br />

Anh<strong>an</strong>d der drei Individualisierungsstrategien wird gezeigt, dass es sich bei<br />

der Individualisierung um eine Form der Selbstorg<strong>an</strong>isation h<strong>an</strong>delt, die eine stärkere<br />

H<strong>an</strong>dlungsautonomie innerhalb eines fremdorg<strong>an</strong>isierten Rahmens <strong>an</strong>strebt.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 503<br />

Bei Anwendung der Individualisierung auf die Arbeitsorg<strong>an</strong>isation wird zwischen<br />

den beiden Gestaltungsfeldern Arbeitsinhalt und Arbeitszeit unterschieden.<br />

Nachdem deren theoretisches Gestaltungsspektrum aufgezeigt wird, k<strong>an</strong>n <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d von<br />

verschiedenen Umsetzungsmöglichkeiten dargelegt werden, wie m<strong>an</strong> sich eine Individualisierung<br />

von Arbeitsinhalt und Arbeitszeit vorzustellen hat.<br />

Mittels der so geschaffenen Grundlagen werden im Hauptkapitel der Arbeit die<br />

Flexibilitätswirkungen einer Individualisierung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation erörtert. Aus<br />

<strong>an</strong>alytischen Gründen werden die beiden Gestaltungsfelder der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation<br />

zunächst getrennt vonein<strong>an</strong>der untersucht, ehe sie gemeinsam betrachtet werden. Zudem<br />

werden die Wirkungen auf der Mikro-, der Meso- und der Makroebene nachein<strong>an</strong>der,<br />

aber aufein<strong>an</strong>der aufbauend <strong>an</strong>alysiert. Als Beurteilungskriterien dienen jeweils<br />

die fünf Flexibilitätsdimensionen.<br />

3. Ergebnisse der Untersuchung<br />

Die Untersuchungen haben ergeben, dass eine Individualisierung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation<br />

die Flexibilität auf allen Ebenen der Unternehmung erhöht. Sie schafft erhebliche<br />

Flexibilitätspotentiale und trägt gleichzeitig mit dazu bei, dass diese Flexibilitätspotentiale<br />

auch zielgerecht durch die Akteure genutzt werden. Dadurch fördert<br />

die Individualisierung die Vergrößerung und Aktivierung der Anpassungsfähigkeit<br />

der Unternehmung und verwirklicht so ein wesentliches Interesse der Unternehmung<br />

bei der Gestaltung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation. Da die Individualisierung <strong>an</strong>dererseits<br />

ausdrücklich <strong>an</strong> der Berücksichtigung der Mitarbeiterinteressen <strong>an</strong>setzt, ist sie tatsächlich<br />

als integrierendes Leitbild für die Gestaltung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation geeignet<br />

und in der Lage, den scheinbaren Interessengegensatz zwischen Unternehmung<br />

und Mitarbeitern weitgehend aufzulösen.<br />

Darüber hinaus haben die Untersuchungen aber auch ergeben, dass die festgestellten<br />

Flexibilitätswirkungen von bestimmten Bedingungen abhängen: Hier werden<br />

besonders die Unternehmungskultur und die Qualifikation der Mitarbeiter als wichtige<br />

Faktoren identifiziert, die das Ausmaß der Flexibilitätswirkungen, aber auch den<br />

möglichen Individualisierungsgrad beeinflussen. Vor diesem Hintergrund kommt<br />

dem Prozesscharakter der Individualisierung eine große Bedeutung zu.<br />

Da die Gestaltung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation in einem größeren Kontext stattfindet,<br />

ist ebenfalls zu beachten, dass auch die Ausgestaltungen <strong>an</strong>derer Teilbereiche des<br />

Personal-M<strong>an</strong>agements die Flexibilitätswirkungen beeinflussen können. Diese sollten<br />

mit der Individualisierung der Arbeitsorg<strong>an</strong>isation abgestimmt sein, um eine möglichst<br />

große Flexibilitätswirkung zu erzielen. In besonderem Maße trifft das auf das<br />

Führungssystem, das Anreizsystem und auf die Personalentwicklung zu.<br />

Der Vergleich konkreter Umsetzungsmöglichkeiten zur Individualisierung der<br />

Arbeitsorg<strong>an</strong>isation zeigt, dass kein Modell allen <strong>an</strong>deren hinsichtlich seiner Flexibilitätswirkungen<br />

überlegen ist. Entsprechend dem Grundged<strong>an</strong>ken der Individualisierung,<br />

viele unterschiedliche Arbeitssituationen zu schaffen, sollten die Modelle bzw.<br />

ihre Modellelemente sowohl kombiniert als auch alternativ zur Anwendung kommen.


504 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Eine gegenseitige Verstärkung der Flexibilitätswirkungen k<strong>an</strong>n dabei durch die<br />

Kombination von Modellen zur Individualisierung des Arbeitsinhalts und der Arbeitszeit<br />

erzielt werden, vorausgesetzt die Mitarbeiter werden dadurch nicht überfordert.<br />

10. Besondere Beschäftigtengruppen<br />

Katharina Hartl<br />

Expatriate Women M<strong>an</strong>agers: Gender, Culture <strong>an</strong>d Career *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Steph<strong>an</strong> Laske, Universität Innsbruck<br />

Mit dem Anwachsen der internationalen Geschäftstätigkeit und der Globalisierung<br />

des Wettbewerbs hat auch das internationale Personalm<strong>an</strong>agement wesentlich <strong>an</strong><br />

Bedeutung gewonnen. Es wird einerseits zunehmend notwendig, MitarbeiterInnen<br />

auch für längere Zeiträume ins Ausl<strong>an</strong>d zu entsenden; <strong>an</strong>dererseits gilt in m<strong>an</strong>chen<br />

Org<strong>an</strong>isationen heute eine längere Ausl<strong>an</strong>dserfahrung als unverzichtbarer Karrierebaustein.<br />

Die Wirtschaftspraxis ist von einer geringen, wenn auch wachsenden Präsenz<br />

von Frauen im internationalen M<strong>an</strong>agement geprägt, und auch in der „Expatriate-Forschung“<br />

sind Frauen eine weitgehend vernachlässigte Personengruppe. Die<br />

Dissertation von Katharina Hartl gibt einen theoretisch fundierten Überblick über einen<br />

wichtigen Teilbereich des internationalen Personalm<strong>an</strong>agements, der innovativ<br />

über vorliegende Konzepte hinausweist und nicht nur für weibliche Führungskräfte<br />

von Relev<strong>an</strong>z ist.<br />

Im Mittelpunkt der Forschungsinteressen st<strong>an</strong>den u.a. Fragen nach der Auswahl<br />

für, der Vorbereitung auf und der Begleitung der M<strong>an</strong>ager während des Ausl<strong>an</strong>dsaufenthalts,<br />

der Bewältigung der kulturellen Differenzen, der Nachfolgepl<strong>an</strong>ung, der<br />

Reintegration nach dem Ausl<strong>an</strong>dsaufenthalt usw. Dominierend sind dabei eher individuumzentrierte,<br />

psychologische Ansätze, die letztlich mit der Absicht verfolgt werden,<br />

in Auswahlprozessen die „richtigen“ Personen mit den erforderlichen fachlichen<br />

und sozialen Kompetenzen auswählen zu können. Erst neuerdings k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> ein gewisses<br />

Abrücken von dieser Forschungsrichtung beobachten, d.h. es werden Ausl<strong>an</strong>dsaufenthalte<br />

von M<strong>an</strong>agern stärker als individuelle und org<strong>an</strong>isationale Ent-<br />

*<br />

Katharina Hartl: Expatriate Women M<strong>an</strong>agers. Gender, Culture <strong>an</strong>d Career. Reihe<br />

ORGANISATION & PERSONAL, hrsg. von Oswald Neuberger, Bd. 12, ISBN 3-87988-711-<br />

X, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, München und Mering 2003, 183 S., € 22,80.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 505<br />

wicklungs- und Veränderungsprozesse betrachtet und in einen karrieretheoretischen<br />

Rahmen eingeordnet. 1<br />

Vor diesem Hintergrund formuliert die Verfasserin das <strong>an</strong>spruchsvolle Ziel ihrer<br />

Untersuchung: „The central objective of this research is to <strong>an</strong>alyse expatriation of<br />

Western women m<strong>an</strong>agers from a career theory perspective. Drawing on Giddens’<br />

Theory of Structuration a theoretical framework is developed to elucidate the relationship<br />

between gender, culture <strong>an</strong>d career. ... the me<strong>an</strong>ings Western wom<strong>an</strong> m<strong>an</strong>agers<br />

attribute to their career path <strong>an</strong>d expatriate experience are to be explored <strong>an</strong>d related<br />

to existing literature on women-in-(international)-m<strong>an</strong>agement <strong>an</strong>d the theoretical<br />

framework developed in this research.”<br />

Die Arbeit besteht aus fünf aufbauenden Teilen. Der erste Teil „Introduction“<br />

führt in den Themenzusammenh<strong>an</strong>g und dessen Bedeutung ein, erläutert die wesentlichsten<br />

Forschungsfragen, klärt terminologische Grundbegriffe der Arbeit (gender,<br />

career und expatriation) und stellt schließlich in aller Kürze den Aufbau der Arbeit<br />

dar. Zwei Kernfragen möchte die Verfasserin im Rahmen ihrer Untersuchung klären:<br />

(1) Wie wird Karriere in einem interkulturellen Zusammenh<strong>an</strong>g sozial konstruiert,<br />

reproduziert und verändert? Sowie (2) welche strukturellen Faktoren bestimmen das<br />

H<strong>an</strong>deln westlicher Top-M<strong>an</strong>agerinnen im Fernen Osten, wie werden diese wahrgenommen<br />

und welchen Einfluss üben sie auf unterschiedliche Akteure aus?<br />

Um sich diesem Fragenzusammenh<strong>an</strong>g <strong>an</strong>zunähern, erarbeitet die Verfasserin<br />

im zweiten Teil der Arbeit zunächst einen Überblick über den aktuellen St<strong>an</strong>d der<br />

Fachdiskussion zur Situation von Frauen im (internationalen) M<strong>an</strong>agement. In einer<br />

sehr konsistenten Weise erörtert sie dabei das Problem der geschlechtsspezifischen<br />

Zugänge zu M<strong>an</strong>agementpositionen aus unterschiedlichen Perspektive sowie die Differenz<br />

zwischen traditionellen, „maskulin präformierten“ Karrierevorstellungen, in<br />

denen der Beruf und der berufliche Aufstieg zweifellos im Vordergrund stehen, und<br />

einer „frauenspezifisch“ geprägten Karrieretheorie, die sehr viel differenziertere Karrierevorstellungen<br />

und Sp<strong>an</strong>nungsfelder berücksichtigen will bzw. auch muss. Teil 2<br />

endet mit einer Übersicht über zentrale Forschungsergebnisse zur Situation von Frauen<br />

als Expatriates, in der die Autorin eine klare und reflektierte Einschätzung des<br />

Stellenwerts der zitierten Forschungsarbeiten gibt.<br />

Im dritten Teil der Arbeit wird der Bezugsrahmen entwickelt, vor dessen Hintergrund<br />

die empirische Befragung von Frauen in gehobenen M<strong>an</strong>agementpositionen<br />

in Hong Kong gestaltet wird und in den schließlich die Befunde eingeordnet werden.<br />

Ihre theoretische Basis findet die Verfasserin dabei in der Strukturationstheorie von<br />

A. Giddens, die einen hervorragenden Ansatz für die Analyse des Zusammenh<strong>an</strong>gs<br />

von H<strong>an</strong>dlung und Struktur darstellt. 2 Die strukturationstheoretischen Überlegungen<br />

1<br />

2<br />

Siehe etwa Peltonen, T.: Narrative construction of expatriate experience <strong>an</strong>d career cycle, in:<br />

International Journal of Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement 9 (5) 1998.<br />

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Auer, M.: Vereinbarungskarrieren, München und Mering<br />

2000.


506 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

verbindet sie einerseits mit einer Perspektive, die „gender“ nicht einfach als „Besitz“<br />

oder als „Wesenskategorie“, sondern als gesellschaftlich und kulturell durch Interaktion<br />

produziert und reproduziert versteht („doing gender“), zum <strong>an</strong>deren mit Karrierevorstellungen,<br />

bei denen die H<strong>an</strong>dlungen des Individuums, sein persönliches<br />

Selbst-Konzept, die Strukturen der Org<strong>an</strong>isation und kulturelle Faktoren im Zeitablauf<br />

zusammenwirken. Der Teil endet zunächst mit einer Interpretation der Expatriate-Situation<br />

als „rite de passage“, die zu einer Umgestaltung des Selbst- und des Karrierekonzepts<br />

führt und gleichzeitig soziale Strukturen (re-)produziert. Nach einer<br />

kurzen Zusammenfassung folgt ein Exkurs („epilogue”), in dem (sehr dicht, aber<br />

auch sehr überzeugend) das Problem der zunehmenden Individualisierung diskutiert<br />

und die in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g besonders für Frauen bestehenden Optionen einer<br />

„work-life-bal<strong>an</strong>ce“ erörtert werden.<br />

Der vierte Teil „Empirical Part – Experiences of 12 Western wom<strong>an</strong> m<strong>an</strong>agers<br />

in Hong Kong“ stellt umf<strong>an</strong>g- und inhaltsmäßig ein Kernelement der Arbeit dar. Dieses<br />

besteht zum einen aus einer sorgfältigen, begründeten Darstellung der Forschungsmethodik;<br />

zum <strong>an</strong>deren werden die wesentlichsten Ergebnisse der Interviews<br />

mit den ausgewählten M<strong>an</strong>agerinnen präsentiert. Der Problemstellung der Arbeit und<br />

dem theoretischen Bezugsrahmen entsprechend hat sich die Verfasserin für einen<br />

qualitativen Forschungs<strong>an</strong>satz und das Arbeiten mit Fallstudien entschieden. Das empirische<br />

„Material“ gewinnt sie über Fall-Interviews, in denen sie die jeweilige Lebensgeschichte<br />

und den Karriereverlauf, die derzeitige Aufgabe und das org<strong>an</strong>isationale<br />

Umfeld, die Erfahrungen und die Wahrnehmung als M<strong>an</strong>agerin im Allgemeinen<br />

und als „expatriate m<strong>an</strong>ager“ im Besonderen, die Arbeits- und Lebenssituation in<br />

Hong Kong sowie eine Gesamteinschätzung der „expatriate-Erfahrung“ abfrägt. Mit<br />

Hilfe einer qualitativen Inhalts<strong>an</strong>alyse und einem Fallvergleich werden die Ergebnisse<br />

– rückgekoppelt mit den Interviewten – schließlich zu Teilnehmerinnen-Profilen<br />

verdichtet.<br />

Den Teilnehmerinnen-Profilen vor<strong>an</strong>gestellt wird eine wiederum sehr dichte Beschreibung<br />

des St<strong>an</strong>dorts Hong Kong. Vor diesem Hintergrund beschreibt die Verfasserin<br />

systematisch die Arbeits- und Lebenssituation ihrer 12 Gesprächspartnerinnen.<br />

Dabei entfaltet sie ein äußerst vielfältiges Bild individueller Lebensgeschichten, die<br />

<strong>an</strong>schließend im Rahmen von vier zentralen Fragestellungen zwar nicht verallgemeinert<br />

aber verdichtet und mit Zitaten aus den Interviews untermauert werden: die persönliche<br />

Einstellung zur Situation von Frauen im M<strong>an</strong>agement, die Erfahrungen als<br />

M<strong>an</strong>agerin in Hong Kong, die Erfahrungen als „expatriate“ sowie schließlich die Bal<strong>an</strong>ce<br />

zwischen Arbeits- und Privatleben. Ohne die Diskussion im Einzelnen inhaltlich<br />

wiedergeben zu wollen sei festgestellt, dass in dieser Aus- und Aufarbeitung der<br />

Materialien ein besonderer Wert der Arbeit zu sehen ist.<br />

Der abschließende fünfte Teil enthält eine zusammenfassende Diskussion, die<br />

Verknüpfung der wesentlichsten Untersuchungsergebnisse mit dem strukturationstheoretischen<br />

Bezugsrahmen und schließlich einen kurzen Ausblick auf Folgerungen,<br />

die sich aus der Untersuchung für weitere Forschungsarbeiten, aber auch für die


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 507<br />

Praxis des internationalen M<strong>an</strong>agements – etwa für interkulturelle Trainings – ergeben.<br />

Der wissenschaftliche Beitrag der vorliegenden Arbeit liegt in der theoretisch<br />

fundierten Analyse der Lebens- und Arbeitssituation von „western women m<strong>an</strong>ager<br />

expatriates“ in einem fremden sozio-kulturellen Umfeld, einer Situation, die – versehen<br />

mit zahlreichen org<strong>an</strong>isationsstrukturellen und -kulturellen Hindernissen – zu<br />

quasi unvermeidbaren Ausein<strong>an</strong>dersetzungen mit der eigenen Identität und dem gesellschaftlichen<br />

Umfeld und damit (ebenso unvermeidbar) zu entsprechenden Modifikationen<br />

von Selbstkonzept und Karrierevorstellungen führen. M<strong>an</strong>che Passagen<br />

der Arbeit hätten vielleicht eine etwas ausführlichere Diskussion verdient; dennoch<br />

vermag die Dissertation fachwissenschaftlich und methodisch absolut zu überzeugen.<br />

11. Personalpl<strong>an</strong>ung<br />

Martell Beck<br />

Grundsätze der Personalpl<strong>an</strong>ung. Ausrichtung der Betriebsverfassung<br />

am Strategischen Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Walter A. Oechsler, Universität M<strong>an</strong>nheim<br />

1. Problemhinführung<br />

Das geltende Arbeitsrecht, dessen Basis bis zu den 70er Jahren geschaffen wurde,<br />

mit seiner starken Betonung von Regelungen zum Personalabbau im Rahmen des<br />

Betriebsverfassungsgesetzes, des Kündigungsschutzgesetzes und der Rechtsprechung,<br />

orientiert sich heute noch am Produktionsprozess der starren Massenproduktion.<br />

Hier hat der Betriebsrat die zentrale Personalabteilung als Ansprechpartner zur<br />

Durchsetzung seiner Mitwirkungsrechte. Die Aufgaben der zentralen Personalabteilung<br />

haben sich jedoch grundlegend gew<strong>an</strong>delt. Diese beschäftigt sich heutzutage in<br />

einer Zeit der zunehmenden Bedeutung des Dienstleistungssektors und der flexiblen<br />

Produktions- und Beschäftigungsmöglichkeiten vor allem mit der Erstellung einer in<br />

die strategische Unternehmenspl<strong>an</strong>ung integrierten Personalpl<strong>an</strong>ung, die lediglich<br />

Aussagen über die gepl<strong>an</strong>te zukünftige Beschäftigungsentwicklung, aber keine detaillierten<br />

Aussagen über die H<strong>an</strong>dhabung der personalpolitischen Instrumente auf dezentraler<br />

Ebene machen k<strong>an</strong>n, da sie nicht mehr Entscheidungsträger beim Einsatz<br />

dieser Instrumente ist. Stattdessen wird auf dezentraler Ebene der Fertigungsteams<br />

selbstständig über die Aufteilung der Arbeit, Einstellungen oder Versetzungen entschieden.<br />

Als Konsequenz daraus entwickeln sich in der Praxis zum Betriebsverfassungsgesetz<br />

divergierende informelle Entscheidungsstrukturen, die durch eine <strong>Verlag</strong>erung


508 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

der Aufgaben des Betriebsrats von personellen Einzelmaßnahmen der operativen Personalpl<strong>an</strong>ung<br />

hin zum strategischen Bereich der Personalpl<strong>an</strong>ung, d.h. der Ausrichtung<br />

personeller Maßnahmen am strategischen H<strong>an</strong>deln des Unternehmens, gekennzeichnet<br />

sind. In der Folge bedarf es einer Anpassung der Betriebsverfassung <strong>an</strong> die<br />

neuen Gegebenheiten, insbesondere durch eine neue Ver<strong>an</strong>kerung der Personalpl<strong>an</strong>ung,<br />

wodurch dem Betriebsrat erstmals ein systematischer Zugriff auf seine Beteiligungsrechte<br />

im Kontext der Unternehmensstrategie ermöglicht würde.<br />

Als problematisch erweist sich dabei allerdings, dass eine inadäquat betriebene<br />

Personalpl<strong>an</strong>ung, z.B. durch eine fehlende Abstimmung dieser mit der l<strong>an</strong>gfristigen<br />

Unternehmensstrategie, die zur Realisierung des Leistungsprozesses notwendigen<br />

Qu<strong>an</strong>titäten und Qualitäten <strong>an</strong> Personal nicht abschätzen k<strong>an</strong>n. Dies hat zur Folge,<br />

dass die Wahrnehmung der Partizipationsrechte des Betriebsrats auf einer falschen<br />

Informationsbasis beruhen würde. Demnach würde eine neue Einbindung der Personalpl<strong>an</strong>ung<br />

in der Betriebsverfassung alleine nicht ausreichen. Es bedarf vielmehr der<br />

Entwicklung eines Grundsatzsystems einer Personalpl<strong>an</strong>ung, mit dessen Hilfe es für<br />

Unternehmen möglich ist, eine möglichst qualitätsgesicherte Personalpl<strong>an</strong>ung durchzuführen.<br />

Damit ist es Ziel dieser Arbeit, Grundsätze einer Personalpl<strong>an</strong>ung zu entwickeln,<br />

so dass die Betriebsverfassung am strategischen H<strong>an</strong>deln der Unternehmen<br />

ausgerichtet werden k<strong>an</strong>n.<br />

2. Theoretischer Zug<strong>an</strong>g der Untersuchung<br />

Der Arbeit liegt der Ansatz des Strategischen Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement der<br />

Michig<strong>an</strong> School zu Grunde. Dieser erscheint zur Erstellung der Grundsätze geeignet,<br />

bezieht er doch konsequent die auf das Unternehmen einwirkende Umwelt mit ein. So<br />

führen gravierende Änderungen der Umwelt beispielsweise durch eine nachhaltige<br />

Veränderung der Absatz- und Beschaffungsmärkte zw<strong>an</strong>gsläufig zu einer Anpassung<br />

in der Gestaltung der effizienzbestimmenden Faktoren Unternehmensstrategie, Org<strong>an</strong>isationsstruktur<br />

und Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement. Damit trägt der Ansatz sowohl<br />

der spezifischen Unternehmenssituation in einer sich verändernden Umwelt als auch<br />

der Tatsache der Ressourcenabhängigkeit von Unternehmen Rechnung. Zudem stellt<br />

der Ansatz mit dem Hum<strong>an</strong> Resource Cycle eine Systematik der personellen Teilfunktionen<br />

bereit, die sich am dynamischen Prozess der Leistungserstellung und nicht<br />

<strong>an</strong> starren Funktionen und Tätigkeiten ausrichtet. Diese Teilfunktionen sind gleichsam<br />

Ansatzpunkte für die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats.<br />

Durch die Identifikation des Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement als effizienzbestimmenden<br />

Parameter eines Unternehmens und seine konsequente integrative Verbindung<br />

mit der Org<strong>an</strong>isationsstruktur und der Unternehmensstrategie wird auch der<br />

ökonomische Beitrag der Personalfunktion zum Unternehmenserfolg <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt. Um<br />

den daraus resultierenden Erfolgsfaktor Personal ökonomisch sinnvoll nutzen zu<br />

können, bedarf es einer Ausrichtung der Personalfunktion <strong>an</strong> den l<strong>an</strong>gfristigen strategischen<br />

Zielen des Unternehmens, womit die Personalfunktion in der Lage ist, auch<br />

einen originären Beitrag zum Unternehmenserfolg zu leisten, und folglich ihren kurzfristig<br />

derivativen Charakter eines reinen Mengen- und Qualifikations<strong>an</strong>passers im


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 509<br />

Sinne eines Lückenkonzeptes zu überwinden. Dies setzt somit <strong>an</strong>tizipatives personalwirtschaftliches<br />

H<strong>an</strong>deln und damit eine Personalpl<strong>an</strong>ung voraus, die ihrerseits<br />

Beiträge und Anregungen für eine Investitions-, Produktions- oder Fin<strong>an</strong>zpl<strong>an</strong>ung<br />

geben k<strong>an</strong>n. Damit gibt der Ansatz die benötigten Hinweise zur Ausgestaltung einer<br />

Personalpl<strong>an</strong>ung.<br />

3. Untersuchungsdesign<br />

Um den mit der Erstellung von Grundsätzen einer Personalpl<strong>an</strong>ung verfolgten<br />

Zweck erfüllen zu können, bedarf es umfassender Erkenntnisquellen. Zu solchen Erkenntnisquellen<br />

gehören einerseits sowohl die Forschungsergebnisse der betriebswirtschaftlichen<br />

Personalpl<strong>an</strong>ungsliteratur, die vor dem Hintergrund des Strategischen<br />

Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement betrachtet werden, als auch die einschlägig kodifizierten<br />

Rechtsnormen, insbesondere des Betriebsverfassungsgesetzes, und ihre<br />

Auslegung durch die Rechtsprechung. Hier ist es Ziel, auf deduktivem Wege Informationen<br />

zur Formulierung von Grundsätzen der Personalpl<strong>an</strong>ung zu gewinnen.<br />

Es ist allerdings zu beachten, dass die Deduktion als solche nur Informationen<br />

liefert, die bereits in den gesetzten Prämissen enthalten sind, mit der Folge, dass der<br />

Entdeckungszusammenh<strong>an</strong>g außer Acht gelassen wird. Das Entdecken verschiedenster<br />

Pl<strong>an</strong>ungsvari<strong>an</strong>ten, z.B. aus der Praxis, ist aber notwendige Voraussetzung zur<br />

Deduktion mit der Folge, dass eine deduktive Vorgehensweise eine induktive nicht<br />

g<strong>an</strong>z und gar ausklammern k<strong>an</strong>n. Folglich erscheint nur ein Methodenmix sinnvoll.<br />

Damit werden auch Informationen aus der erfolgreichen Personalpl<strong>an</strong>ungspraxis in<br />

die Formulierung von Grundsätzen der Personalpl<strong>an</strong>ung mit einbezogen, was mit Hilfe<br />

von Fallstudien auf induktivem Wege erfolgt.<br />

4. Empirische Überprüfung<br />

Eine empirische Überprüfung des Ergebnisses wird im Rahmen dieser Arbeit<br />

nicht vorgenommen, werden doch qualitative Aussagen darüber getroffen, wie eine<br />

am Strategischen Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement ausgerichtete Personalpl<strong>an</strong>ung ausgestaltet<br />

sein sollte und nicht, wie sie in der Praxis ausgestaltet ist. Folglich st<strong>an</strong>den<br />

bei der Gewinnung von Praxisinformationen nicht empirische Erhebungen als Abbild<br />

der Praxis im Vordergrund, die lediglich den dort vorherrschenden m<strong>an</strong>gelnden Ausbaust<strong>an</strong>d<br />

der Personalpl<strong>an</strong>ung aufzeigen können, sondern vielmehr solche, die eine<br />

erfolgreiche Personalpl<strong>an</strong>ung betreiben. Damit ist eine empirische Überprüfung des<br />

vorgestellten Grundsatzsystems mit Hilfe qu<strong>an</strong>titativer Methoden nicht zielführend.<br />

Es bleibt weiteren Forschungsarbeiten überlassen, dieses Grundsatzsystem in weiteren<br />

Fallstudien zu prüfen.<br />

5. Zielerreichung / Resümee<br />

Mit Hilfe der vorliegenden Arbeit gelingt eine verbindliche Einbindung der<br />

Grundsätze der Personalpl<strong>an</strong>ung in die Betriebsverfassung, womit eine konsequente<br />

Ausrichtung der Betriebsverfassung am Strategischen Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement


510 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

möglich wird. So wird die Einzelfallbezogenheit des Gesetzes durch die am Strategischen<br />

Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement ausgerichtete Information des Betriebsrates ü-<br />

ber die Beschäftigungsentwicklung im Kontext der Unternehmensstrategie überwunden,<br />

so dass nun der Betriebsrat einen systematischen Zugriff auf seine Rechte erhält.<br />

Dies führt zudem zu einer Reflexion über die zukünftige Beschäftigungsentwicklung<br />

und -fähigkeit, statt zum Denken in ökonomischen Kalkülen des Sozialpl<strong>an</strong>s, was<br />

sowohl zur Umkehrung der herrschenden Logik des Betriebsverfassungsgesetzes als<br />

auch zu einer Ausrichtung der Betriebsverfassung am Grundged<strong>an</strong>ken des Strategischen<br />

M<strong>an</strong>agements führt. Letztlich kommt es durch die Einführung einer verpflichtenden<br />

Personalpl<strong>an</strong>ung zu einer gew<strong>an</strong>delten Sichtweise des Mitarbeiters weg vom<br />

Kosten- hin zum Erfolgsfaktor, was ebenfalls im Sinne des Strategischen Hum<strong>an</strong> Resource<br />

M<strong>an</strong>agement ist.<br />

Michael Knörzer<br />

Flexible Arbeitszeiten und alternative Beschäftigungsformen<br />

in der Personalpl<strong>an</strong>ung – Optimierungsmodelle aus Unternehmenssicht<br />

und Kompromissmodelle zur Berücksichtigung<br />

betrieblicher Mitbestimmung *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Hugo Kossbiel, Universität Fr<strong>an</strong>kfurt am<br />

Main<br />

1. Problemstellung<br />

Schlagworte wie „Die Abkehr vom Normalarbeitstag“ und „Die Erosion des<br />

Normalarbeitsverhältnisses“ beschreiben die In<strong>an</strong>spruchnahme „zeitlicher Flexibilität“<br />

durch Abweichungen von einer regelmäßigen tariflichen bzw. betrieblichen Arbeitszeit<br />

(z.B. durch Mehrarbeit, Teilzeitarbeit, Jahresarbeitszeitverträge) respektive<br />

die zunehmende Nutzung „alternativer“ oder „atypischer“ Beschäftigungsverhältnisse<br />

(z.B. geringfügige Beschäftigung, befristete Arbeitsverhältnisse, Leiharbeitsverhältnisse).<br />

Diese Entwicklungen werden durch Tarifverträge und Gesetzgebung<br />

ermöglicht. So haben die Tarifvertragsparteien seit dem historischen „Leber-<br />

Kompromiss“ zur 38,5–Stunden-Woche in der Metallindustrie im Jahr 1984 eine Fülle<br />

neuer Formen der flexiblen Arbeitszeitgestaltung initiiert. Parallel dazu hat der Ge-<br />

*<br />

Michael Knörzer: Flexible Arbeitszeiten und alternative Beschäftigungsformen in der Personalpl<strong>an</strong>ung.<br />

Optimierungsmodelle aus Unternehmenssicht und Kompromissmodelle zur Berücksichtigung<br />

betrieblicher Mitbestimmung. ISBN 3-87988-639-3, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>,<br />

München und Mering 2002, 365 S., € 34,80.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 511<br />

setzgeber mit der Ersetzung der alten Arbeitszeitordnung durch das Arbeitszeitgesetz<br />

über die Verabschiedung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes bis hin zur Einführung<br />

des Teilzeit- und Befristungsgesetzes zum 01. J<strong>an</strong>uar 2001 die rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

für diese aktuellen Tendenzen geschaffen. Die dadurch ermöglichten<br />

H<strong>an</strong>dlungsspielräume für Arbeitgeber können aufgrund der im Betriebsverfassungsgesetz<br />

festgelegten Mitbestimmungsrechte bzw. der Regelungen in Tarifverträgen,<br />

in denen die Tarifvertragsparteien den Betriebsräten z.T. über die gesetzlichen<br />

Vorgaben hinausgehende Mitwirkungsrechte zugestehen, oft nur im Konsens mit den<br />

Betriebsräten genutzt werden.<br />

Für die Personalpl<strong>an</strong>ung erwachsen aus diesen Entwicklungen zwei Problemstellungen:<br />

1. Die rechtlichen und tariflichen Regelungen zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung<br />

und zu alternativen Beschäftigungsformen müssen in Pl<strong>an</strong>ungs<strong>an</strong>sätzen so umgesetzt<br />

werden, dass einerseits eine optimale Nutzung dieser Möglichkeiten erzielt<br />

wird, <strong>an</strong>dererseits die rechtliche Zulässigkeit (Vorgaben des Gesetzgebers<br />

bzw. der Tarifvertragsparteien) der Lösungen gewährleistet ist.<br />

2. Die Personalpl<strong>an</strong>ung sollte nicht nur die Ziele des Arbeitgebers (z.B. Reduzierung<br />

der Personalkosten), sondern auch die Interessen des Betriebsrates (z.B.<br />

Vermeidung von Entlassungen) berücksichtigen. Da die Ziele von Arbeitgeber<br />

und Betriebsrat nur zum Teil übereinstimmen, ist die Frage zu be<strong>an</strong>tworten, wie<br />

ein Interessenausgleich zwischen den Parteien erzielt werden k<strong>an</strong>n.<br />

Trotz zunehmender Beh<strong>an</strong>dlung von Problemen der Personalpl<strong>an</strong>ung in den letzten<br />

Jahrzehnten ist den oben <strong>an</strong>gesprochen Problemstellungen bisher in keiner oder<br />

nur in unzureichender Weise Rechnung getragen worden. Die Wissenschaft beschränkt<br />

sich fast ausschließlich auf die Beschreibung und Erklärung der Verbreitung<br />

flexibler Arbeitszeiten und alternativer Beschäftigungsformen, sie liefert jedoch<br />

kaum Ansätze zur Entscheidungsunterstützung für die Praxis. So existiert weder eine<br />

Umsetzung der aktuell wichtigsten tariflichen und gesetzlichen Regelungen zur flexiblen<br />

Arbeitszeitgestaltung und zu alternativen Beschäftigungsformen in Pl<strong>an</strong>ungs<strong>an</strong>sätze,<br />

noch ist bisher eine befriedigende Einbeziehung betrieblicher Mitbestimmung<br />

in die Personalpl<strong>an</strong>ung gelungen.<br />

2. G<strong>an</strong>g der Untersuchung<br />

Nach einer Einführung in die Problemstellung werden im zweiten Teil die Bedeutung<br />

flexibler Personalausstattungen für die Deckung von Personalbedarfen hergeleitet<br />

sowie die Verbreitung und die rechtlichen Grundlagen verschiedener Arbeitszeit-<br />

und Beschäftigungsformen beschrieben. Der dritte Teil der Arbeit stellt die Berücksichtigung<br />

von Zielen der Betriebsräte bei der Personalpl<strong>an</strong>ung in den Mittelpunkt.<br />

Dazu werden sowohl Arbeiten aus der Gewerkschaftstheorie als auch empirische<br />

Untersuchungen über das Mitbestimmungsverhalten von Betriebsräten aufbereitet.<br />

Ein weiterer Abschnitt der Arbeit ist d<strong>an</strong>n dem Problem gewidmet, wie die Berücksichtigung<br />

der Betriebsratsziele in Ansätzen der Personalpl<strong>an</strong>ung erfolgen k<strong>an</strong>n<br />

und wie die Zielsetzungen von Arbeitgeber und Betriebsrat zu einem Kompromiss


512 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

geführt werden können. Teil vier der Arbeit ist Modellen der Personalpl<strong>an</strong>ung gewidmet.<br />

Dort werden zunächst in Tarifverträgen bedeutender Br<strong>an</strong>chen vorzufindende<br />

Regelungen zu flexiblen Arbeitszeiten <strong>an</strong>alysiert und in Pl<strong>an</strong>ungs<strong>an</strong>sätze umgesetzt.<br />

D<strong>an</strong>ach werden Ansätze zur Nutzung von befristeten Beschäftigungs- und<br />

Leiharbeitsverhältnissen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Regelungen vorgestellt.<br />

Zu jedem Problembereich wird ein Beispiel zum Interessenausgleich zwischen<br />

Arbeitgeber und Betriebsrat gegeben. Die Arbeit schließt mit einer kritischen Betrachtung<br />

der vorgestellten Pl<strong>an</strong>ungs<strong>an</strong>sätze und der verwendeten Kompromisslösungen.<br />

3. Inhalt, Methodik und Ergebnisse<br />

Um eine möglichst breite Anwendung der vorgestellten Pl<strong>an</strong>ungs<strong>an</strong>sätze zu erzielen,<br />

sind neben den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes<br />

und des Teilzeit- und Befristungsgesetzes einschlägige Tarifverträge<br />

her<strong>an</strong>gezogen worden. So wurden Regelungen zur Arbeitszeitflexibilisierung u.a. aus<br />

Tarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie, der Chemischen Industrie, der<br />

Druckindustrie und des Einzelh<strong>an</strong>dels als Grundlage für die Personalpl<strong>an</strong>ungsmodelle<br />

berücksichtigt. Wegen der überragenden Bedeutung, die der Nutzung von Überstunden<br />

in der Praxis zukommt (in den letzten Jahren stets bis fast 2 Mrd. Überstunden<br />

pro Jahr), und wegen der Vielfalt der in Tarifverträgen vorfindbaren Regelungen<br />

zum Freizeitausgleich wurde diesem Themenkomplex besonderes Gewicht beigemessen.<br />

Zudem finden sich im Arbeitszeitgesetz und in vielen Tarifverträgen Möglichkeiten<br />

der „Verteilung“ von Arbeitszeit in sog. Ausgleichs- oder Verteil(ungs)zeiträumen<br />

bis hin zu Jahresarbeitszeitregelungen, die ebenfalls betrachtet<br />

wurden. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz f<strong>an</strong>d ebenso Berücksichtigung, wie die<br />

in der Wirtschaftspraxis am meisten genutzte alternative Beschäftigungsform, die im<br />

Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geregelten Leiharbeitsverhältnisse. Diese Beschäftigungsform<br />

steht wie keine zweite für die „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“.<br />

So stieg die Zahl der Leiharbeitskräfte von knapp 12.000 Mitte der 70er Jahre auf fast<br />

300.000 im Jahr 2000.<br />

Gesetzliche und tarifliche Regelungen bilden die Grundlage der vorgestellten<br />

Pl<strong>an</strong>ungsmodelle. Dazu wurden die in Tarifverträgen vorgefundenen Arbeitszeitregelungen<br />

auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede untersucht, klassifiziert und <strong>an</strong>schließend<br />

in Pl<strong>an</strong>ungsmodelle umgesetzt. Ausgehend von Referenzmodellen, die auf einer<br />

häufig vorfindbaren und sehr grundsätzlichen Arbeitszeitregelung basieren, werden<br />

Vari<strong>an</strong>ten vorgestellt. Diese verl<strong>an</strong>gen oft nur eine vergleichsweise geringfügige Veränderung<br />

des Referenzmodells, was als Indiz für die „Robustheit“ der zuvor entwickelten<br />

Referenzmodelle gegenüber Modifikationen der Arbeitszeitregelungen gelten<br />

k<strong>an</strong>n. Neben den gesetzlichen und tariflichen Vorgaben spielt die arbeitsgerichtliche<br />

Beurteilung bestimmter Sachverhalte, das sog. „Richterrecht“, eine herausragende<br />

Rolle im Arbeitsrecht. Um z.B. im Rahmen von befristeter Beschäftigung oder von<br />

Leiharbeit sog. „Kettenarbeitsverträge“ auszuschließen, sind in der Personalpl<strong>an</strong>ung<br />

Vorgaben der Arbeitsgerichte zu berücksichtigen.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 513<br />

Der Umf<strong>an</strong>g und die Komplexität der Pl<strong>an</strong>ungs<strong>an</strong>sätze erfordern zu ihrer Lösung<br />

mathematische Verfahren, insbesondere der linearen Optimierung. Wie die zahlreichen<br />

Beispiele zu den einzelnen Pl<strong>an</strong>ungsmodellen zeigen, führen die Ansätze<br />

nicht nur zu rechtlich zulässigen und optimalen, sondern auch zu „intuitiv plausiblen“<br />

Ergebnissen.<br />

Die in der Arbeit verwendeten „Ausgleichslösungen“ mussten zwei Kriterien erfüllen:<br />

<br />

<br />

erstens sollten sie geeignet sein, die Verh<strong>an</strong>dlungssituation adäquat abzubilden,<br />

zweitens sollte eine Kompromisslösung für die Beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter<br />

möglichst gut nachvollziehbar sein, um eine hohe Akzept<strong>an</strong>z<br />

zu erzielen.<br />

Verh<strong>an</strong>dlungslösungen der sog. kooperativen Spieltheorie erfüllen diese Voraussetzungen<br />

wie keine <strong>an</strong>dere Klasse von Verfahren der Mehrzielentscheidung. Zum<br />

einen sind sie geeignet, über die Berücksichtigung sowohl der bei Konsens der Verh<strong>an</strong>dlungspartner<br />

möglichen Ergebnisse als auch der im Konfliktfall zur Verfügung<br />

stehenden Verhaltensweisen zu erfassen. Zum <strong>an</strong>deren legen diese Verh<strong>an</strong>dlungslösungen<br />

die ihnen zugrunde liegenden „Gerechtigkeitsvorstellungen“ offen. Es wird<br />

gezeigt, dass die mathematisch formal formulierten Axiome, aus denen die Lösungen<br />

abgeleitet sind, oft intuitiv nachvollziehbare und alltägliche Vorstellungen von Fairness<br />

widerspiegeln und wie sich diese in Verh<strong>an</strong>dlungen zwischen Arbeitgeber und<br />

Betriebsrat auswirken.<br />

12. Internationales Personalm<strong>an</strong>agement<br />

Iris Kollinger<br />

Der Ausl<strong>an</strong>dseinsatz von weiblichen Führungskräften<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Dudo von Eckardstein, Wirtschaftsuniversität<br />

Wien<br />

Weibliche Führungskräfte sind im internationalen M<strong>an</strong>agement noch immer<br />

deutlich unterrepräsentiert, obwohl die Zahl <strong>an</strong> hoch qualifizierten und karriereorientierten<br />

Frauen, die auch auf internationaler Ebene eine Karriere <strong>an</strong>streben, stetig zunimmt.<br />

In der vorliegenden Arbeit steht der Aspekt der Unterrepräsent<strong>an</strong>z von Female<br />

Expatriates im Vordergrund, in deren Rahmen untersucht wird, ob eine Ausl<strong>an</strong>dsentsendung<br />

(bzw. ein Ausl<strong>an</strong>dseinsatz im Allgemeinen) für weibliche Führungskräfte<br />

g<strong>an</strong>z grundsätzlich ein Diskriminierungspotenzial in sich birgt und eine weitere Hürde<br />

für den Karriereverlauf von Frauen darstellt. Es wird überprüft, ob in der Entsendungspraxis<br />

der Unternehmen eine Diskriminierung, eine bloße qu<strong>an</strong>titative Unterrepräsent<strong>an</strong>z<br />

oder vielleicht sogar eine Bevorzugung von weiblichen Führungskräften


514 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

vorliegt, indem der Anteil von Frauen <strong>an</strong> Führungskräften in Österreich mit dem Anteil<br />

von Frauen <strong>an</strong> Führungskräften, die ins Ausl<strong>an</strong>d geschickt werden, verglichen<br />

wird. Dar<strong>an</strong> <strong>an</strong>schließend werden die Gründe für die Diskriminierung bzw. Unterrepräsent<strong>an</strong>z<br />

von Female Expatriates beurteilt, wobei nicht nur auf bereits bestehende<br />

Argumentationsmuster der einschlägigen Literatur zurückgegriffen wird, sondern<br />

auch neue Erkenntnisse, die aus dem empirischen Teil der Arbeit hervorgehen, eingearbeitet<br />

werden.<br />

Zu diesem Zweck wird in einem ersten Schritt der konzeptionelle Rahmen, in<br />

dem die Forschungsfrage eingebettet ist, aufgearbeitet: Es werden die allgemeinen<br />

Merkmale des Entsendungsprozesses erläutert sowie nach den Gründen für die qu<strong>an</strong>titative<br />

(Unter-) Repräsent<strong>an</strong>z der weiblichen Ents<strong>an</strong>dten gefragt. Weiters werden die<br />

möglichen theoretischen Erklärungs<strong>an</strong>sätze zur Unterrepräsent<strong>an</strong>z von weiblichen<br />

Ausl<strong>an</strong>dsents<strong>an</strong>dten beh<strong>an</strong>delt. Dabei erfolgt eine Konzentration auf die geschlechtsspezifische<br />

Sozialisationstheorie bzw. auf die Überlegungen der geschlechtsspezifischen<br />

Arbeitsmarktsegregation, da deren Erklärungsbeitrag für die Forschungsfrage<br />

im Gegensatz zu <strong>an</strong>deren, wie bspw. rechtlichen oder biologischen, Ansätzen als besonders<br />

hoch beurteilt wird. In einem zweiten Schritt erfolgt die empirische Aufarbeitung<br />

der Forschungsfrage. Basierend auf einer qualitativen Vorerhebung wurde im<br />

Zeitraum Juni bis August 2001 eine Fragebogenerhebung unter den TOP 500 Unternehmen<br />

sowie den jeweils 25 größten B<strong>an</strong>ken, Versicherungsunternehmen und Unternehmensberatern<br />

in Österreich durchgeführt (Rücklauf 18,3%). Nach einer Beschreibung<br />

der Ziele, des Aufbaus sowie der allgemeinen Vorg<strong>an</strong>gsweise der Erhebung<br />

werden die Ergebnisse der Untersuchung dargestellt, mit der bestehenden Literatur<br />

verglichen und Rückschlüsse auf die Forschungsfrage gezogen. Abschließend<br />

werden für die Personalver<strong>an</strong>twortlichen mögliche H<strong>an</strong>dlungsempfehlungen abgegeben,<br />

um den Anteil <strong>an</strong> weiblichen Ents<strong>an</strong>dten entsprechend zu erhöhen.<br />

Die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit lauten wie folgt: In nahezu der Hälfte der<br />

Fälle k<strong>an</strong>n eine Diskriminierung von Frauen als wahrscheinlich <strong>an</strong>genommen werden.<br />

13,7% der Respondenten haben weder auf nationaler noch auf internationaler<br />

Ebene weibliche Führungskräfte beschäftigt, rund 1/3 der befragten Unternehmen haben<br />

zwar auf nationaler Ebene weibliche Führungskräfte, entsenden aber keine Frauen<br />

ins Ausl<strong>an</strong>d. Bei rund einem weiteren Drittel der Stichprobe k<strong>an</strong>n eine Unterrepräsent<strong>an</strong>z<br />

von weiblichen Ents<strong>an</strong>dten festgestellt werden, d.h. der Anteil von weiblichen<br />

Führungskräften auf nationaler Ebene übersteigt den auf internationaler Ebene.<br />

Bei rund einem Viertel der Respondenten liegt der Anteil der Female Expatriates über<br />

dem der weiblichen Führungskräfte auf nationaler Ebene, es h<strong>an</strong>delt sich hier um eine<br />

relative Besserstellung von Frauen. Dies untermauert die Annahme, dass bei diesen<br />

Unternehmen Frauen, wenn sie einmal den Sprung ins M<strong>an</strong>agement geschafft haben,<br />

auch häufiger bei Ausl<strong>an</strong>dseinsätzen berücksichtigt werden. Auch wenn die in der Literatur<br />

und Praxis grundsätzlich geäußerte qu<strong>an</strong>titative Unterrepräsent<strong>an</strong>z von weiblichen<br />

Ausl<strong>an</strong>dsents<strong>an</strong>dten durch die Fragebogenerhebung bestätigt werden konnte,<br />

k<strong>an</strong>n dabei allerdings nicht vorbehaltlos von einer durchgängigen Unterrepräsent<strong>an</strong>z<br />

bzw. Diskriminierung von Frauen bei Entsendungen gesprochen werden.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 515<br />

Der durchschnittlich geringe Anteil von Female Expatriates (12,8%) k<strong>an</strong>n vor<br />

allem durch die Unterrepräsent<strong>an</strong>z von Frauen in den für Ausl<strong>an</strong>dseinsätze relev<strong>an</strong>ten<br />

Hierarchieebenen (20,3%) sowie in den jeweiligen Br<strong>an</strong>chen (23,9%) begründet werden.<br />

Weiters spielen kulturelle Vorbehalte des Entsendungsl<strong>an</strong>des (17,5%) sowie die<br />

familiären Verpflichtungen (13,9%) ebenso eine große, wenn auch nicht eine so stark<br />

ausgeprägte Rolle. Im Gegensatz dazu kommt Faktoren, wie etwa einer fehlenden<br />

fachlichen Spezialisierung (7,6%), fehlenden Führungsqualitäten (3,6%)oder einer<br />

fehlenden Berufs- (2,8%) bzw. Ausl<strong>an</strong>dserfahrung (2,4%) nur eine geringe Bedeutung<br />

zu. Allerdings wird durch die Entscheidung für eine qu<strong>an</strong>titative Vorg<strong>an</strong>gsweise<br />

die Aussagekraft der Ergebnisse dadurch geschmälert, dass subjektive Sichtweisen,<br />

Denkschemata und Deutungsmuster der Personalver<strong>an</strong>twortlichen nicht erfasst und<br />

rekonstruiert werden. Es besteht somit der Bedarf nach qualitativen Folgeuntersuchungen,<br />

die dieses Defizit ausgleichen und die vorliegenden Untersuchungsergebnisse<br />

ergänzen.<br />

Zusammenfassend k<strong>an</strong>n festgehalten werden, dass die Repräsent<strong>an</strong>z der weiblichen<br />

Ents<strong>an</strong>dten weniger ein entsendungsspezifisches, sondern ein grundsätzlich<br />

frauenpolitisches Problem ist, sodass zunächst alle Maßnahmen, die zur Förderung<br />

von Frauen im M<strong>an</strong>agement ergriffen werden können, ebenso oder in leicht modifizierter<br />

Form auch der Förderung (des Anteils) von Female Expatriates dienen, wie<br />

bspw. eine qualifikationsbezogene Auswahl der Adressaten der Personalentwicklung,<br />

eine spezifische frauenorientierte Karrierepl<strong>an</strong>ung, die Förderung der Vereinbarkeit<br />

von Familie und Karriere etc. Weiters empfehlen sich aufbauend auf diesen Maßnahmen<br />

die Schaffung von spezifischen Rahmenbedingungen, wie bspw. die Schaffung<br />

von freiwilligen, institutionalisierten Bewerberpools für Ausl<strong>an</strong>dseinsätze, die<br />

Integration von Ausl<strong>an</strong>dseinsätzen in die Laufbahnpl<strong>an</strong>ung, die Formalisierung des<br />

Auswahlverfahrens oder die Einrichtung von Mentorensystemen.<br />

Anja Seng<br />

Erwartungen potentieller Bewerber/innen als Grundlage<br />

einer gezielten Nachwuchsrekrutierung im internationalen<br />

Personalm<strong>an</strong>agement *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Dudo von Eckardstein, Wirtschaftsuniversität<br />

Wien<br />

Die internationale Geschäftstätigkeit ist für Unternehmen, die davon betroffenen<br />

Länder und die Weltwirtschaft zum Schlüsselfaktor des Erfolgs geworden (Machar-<br />

*<br />

Erschienen im Privus <strong>Verlag</strong>, H<strong>an</strong>nover 2001, ISBN Nr. 3-926000-12-0.


516 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

zina et al. 1994). Den strukturellen Herausforderungen, die sich durch die Globalisierung<br />

ergeben, begegnen die Unternehmen durch Neuorg<strong>an</strong>isation der Arbeitsstrukturen<br />

von starr gegliederten und hierarchischen Strukturen hin zu offenen, flexiblen und<br />

kundenorientierten Org<strong>an</strong>isationssystemen, in denen Hierarchien flacher, die Entscheidungszuständigkeit<br />

in den operativen Ebenen wesentlich erweitert und die Arbeitsbereiche<br />

fach- und funktionsübergreifend komplexer gestaltet sind. Wirtschaftlicher<br />

Leitged<strong>an</strong>ke für diese Umstrukturierung ist die Erkenntnis, dass weniger die<br />

Technik- und Kapitalstrukturen als vielmehr die Personalstrukturen wesentliche Rationalisierungsreserven<br />

darstellen (Warnecke 1997). Eine der entscheidenden Ressourcen,<br />

die wirtschaftlichen Herausforderungen im globalen Maßstab erfolgreich zu bestehen,<br />

werden zunehmend die Menschen sein, die für das jeweilige Unternehmen tätig<br />

sind. Trendforscher M. Horx sagt ein neuartiges Personalm<strong>an</strong>agement voraus:<br />

„Nach dem Kampf um Bits und Bytes kommt jetzt der War for Talent. Die Welle der<br />

Produktivitätssteigerung durch Computer und Informationstechnik ist vorbei. Jetzt<br />

wird es darum gehen, die Produktivität der Hum<strong>an</strong> Resources zu steigern“ (Gloger<br />

2001). Bei weltweit zahlenmäßig zu geringem und zum Teil nicht entsprechend ausgebildetem<br />

M<strong>an</strong>agementnachwuchs bedeutet dies für jedes Unternehmen, sich durch<br />

den Aufbau eigener Attraktivität die benötigten Fach- und Führungskräfte zu sichern.<br />

Die Entwicklungen am Arbeitsmarkt gepaart mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />

Globalisierungsprozessen verursachen für die international tätigen<br />

Unternehmen die Notwendigkeit eines strategischen, international orientierten Personalmarketing<br />

unter den Zielsetzungen:<br />

sich eindeutig auf dem internationalen Arbeitsmarkt als Arbeitgeber zu positionieren<br />

und dabei kulturelle Unterschiede zu berücksichtigen,<br />

eine internationale Bek<strong>an</strong>ntheit zu erreichen und gegenüber der unternehmens-<br />

<br />

spezifischen Zielgruppe eine Attraktivität zu vermitteln,<br />

um extern wie intern unabhängig von lokalen Grenzen, aber abhängig von dem<br />

Bedarf kontinuierlich über ein qualifiziertes Mitarbeiterpotential verfügen zu<br />

können.<br />

In der vorliegenden Arbeit liegt der Fokus auf dem strategischen, extern orientierten<br />

Personalmarketing, wobei als Zielgruppe diejenige der internationalen Führungsnachwuchskräfte,<br />

insbesondere mit wirtschafts- und ingenieurwissenschaftlicher<br />

Orientierung, gewählt wird. Die kulturbezogene Analyse betrachtet Deutschl<strong>an</strong>d<br />

sowie die übergreifenden Regionen Osteuropas und Asiens. So k<strong>an</strong>n der Frage nachgeg<strong>an</strong>gen<br />

werden, wie bei einem Tr<strong>an</strong>sfer bestehender, ethnozentrisch geprägter Personalmarketing-Ansätze<br />

interkulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu berücksichtigen<br />

sind.<br />

Ausg<strong>an</strong>gspunkt der vorliegenden Arbeit bilden somit Überlegungen zur Notwendigkeit<br />

einer Differenzierung bei der Konzeption und Umsetzung eines international<br />

orientierten Personalmarketings aufgrund kultureller Unterschiede im Rahmen<br />

des Globalisierungsprozesses. Inhalt ist die Beobachtung der Existenz bzw. der Ausprägung<br />

von kulturellen Unterschieden von internationalen Führungsnachwuchskräf-


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 517<br />

ten und die Ableitung von H<strong>an</strong>dlungsempfehlungen für ein internationales Personalmarketing.<br />

Aufgabe im Laufe der Betrachtung ist es, zunächst eine theoretische Grundlage<br />

auf Basis von Personalm<strong>an</strong>agement, Marketing, Motivationsforschung und internationaler<br />

Forschung in Form eines strategischen Personalmarketings zu erarbeiten. Dabei<br />

liegt der Schwerpunkt auf der Betrachtung für das internationale Personalmarketing<br />

relev<strong>an</strong>ter interkultureller Unterschiede, die <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d einer qu<strong>an</strong>titativ und einer<br />

qualitativ orientierten empirischer Untersuchungen erhoben werden. Im Rahmen der<br />

qu<strong>an</strong>titativen Befragung wurden 900 Fragebögen verteilt, wobei der Rücklauf von<br />

282 Fragebögen einer Quote von 31,8% entspricht. In Betrachtung der kulturellen<br />

Gruppen ergeben sich folgende Rücklaufquoten: Asiaten: 49,8%, Osteuropäer:<br />

20,6%, Deutsche: 23,7%. Die Auswertung der Fragebögen erfolgt elektronisch unterstützt<br />

via SPSS Version 8.0. Anwendung finden unter <strong>an</strong>derem Signifik<strong>an</strong>ztests, Korrelations<strong>an</strong>alysen,<br />

Mittelwertvergleiche und Faktoren<strong>an</strong>alysen. In die Auswertung der<br />

qualitativ orientierten Gruppendiskussion gehen je kultureller Gruppe 2 bzw. 3 Diskussionsrunden<br />

ein, die mit jeweils 2 – 8 Teilnehmern besetzt waren. Die Auswertung<br />

erfolgt via Inhalts<strong>an</strong>alyse. Wie sich im Rahmen der empirischen Erhebung zeigt,<br />

bestehen hinsichtlich der Erwartungen und Motive der Zielgruppe der internationalen<br />

Führungsnachwuchskräfte einerseits interkulturelle Unterschiede, <strong>an</strong>dererseits aber<br />

auch übergreifende Gemeinsamkeiten, die für die Unternehmen im Zuge der Pl<strong>an</strong>ung<br />

und Umsetzung des Personalmarketing relev<strong>an</strong>t sind.<br />

Den erarbeiteten theoretischen Bezugsrahmen zur Konzeption eines strategischen<br />

Personalmarketing gilt es, sowohl individuell für das Unternehmen auszugestalten<br />

als auch gezielt auf die Zielgruppe auszurichten. Während der Analyse- und<br />

Pl<strong>an</strong>ungsphase identifiziert das Unternehmen nicht nur die gegenwärtige Positionierung,<br />

sondern auch die Zielposition bei der zu definierenden Zielgruppe. In dieser<br />

Phase entscheidet das Unternehmen bereits über den internationalen Wirkungsgrad<br />

mit Folgen für die regionale Differenzierung des Personalmarketing. Die empirische<br />

Studie zeigt, dass im Zuge einer optimalen regionalen Positionierung kulturelle Unterschiede<br />

zu berücksichtigen und in konkreten Maßnahmen umzusetzen sind:<br />

Die abgeleiteteten ‚Org<strong>an</strong>isationalen Faktoren’ ermöglichen Rückschlüsse für<br />

die zu tr<strong>an</strong>sportierenden Inhalte, die ein Unternehmen mit seiner Positionierung<br />

verbunden wissen möchte. Internationalität spielt beispielsweise für alle K<strong>an</strong>didatengruppen<br />

eine große Rolle. Die unterschiedliche Bewertung konkreter Ausgestaltungsmöglichkeiten<br />

dieser Internationalität, wie z.B. interkulturelle Kontakte<br />

oder internationale Einsätze, erfordern jedoch eine den Bedürfnissen der<br />

Zielgruppe <strong>an</strong>gepassten Kommunikation, deren Umsetzung es im Unternehmen<br />

nach der Eintrittsentscheidung des K<strong>an</strong>didaten zu reflektieren gilt.<br />

Die interpretierten ‚Motivationalen Faktoren’ sind besonders für die Bestimmung<br />

der Soll-Position relev<strong>an</strong>t. Sie ermöglichen differenzierte Rückschlüsse<br />

auf die Motivation der Zielgruppe und auf mögliche Attraktivitätspotentiale, die<br />

eine Positionierung am kulturspezifischen Arbeitsmarkt beeinflussen.


518 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

Die abgeleiteten ‚Instrumentellen Faktoren’ bieten Ansatzpunkte für die operative<br />

Ausgestaltung von Rekrutierungs- und Kommunikations-Mix.<br />

Wenn die durchgeführte Studie auch keinen Anspruch auf Repräsentativität erhebt,<br />

so k<strong>an</strong>n sie doch wertvolle Hinweise und Ansatzpunkte für ein strategisches, international<br />

orientiertes Personalmarketing für das <strong>an</strong>gehende neue Jahrtausend liefern<br />

und dem Unternehmen im Wettbewerb um qualifizierte Nachwuchskräfte einen entscheidenden<br />

Vorteil verschaffen.<br />

Noch offen ist folglich die Frage nach der Begründung der identifizierten interkulturellen<br />

Unterschiede. Auch eine Differenzierung hinsichtlich der Studienrichtungen<br />

bietet Raum für eine ergänzende Untersuchung.<br />

Literatur<br />

Gloger, A. (2001): Kampf um Talente, Die Welt, 05.03.2001, 16.<br />

Macharzina, K./Welge, M.K./Kutschker, M./Engelhard, J. (1994): Vorwort. In: Wolf, J. (Hg.): Internationales<br />

Personalm<strong>an</strong>agement: Kontext, Koordination, Erfolg, Wiesbaden: Gabler, 1994,<br />

V.<br />

Warnecke, H.-J. (1997): Qualifikation der Ingenieure im weltweiten Strukturw<strong>an</strong>del. In: Verein<br />

Deutscher Ingenieure (Hrsg.): Technik und Kommunikation ohne Grenzen – Ingenieure im<br />

weltweiten Strukturw<strong>an</strong>del – Deutscher Ingenieurtag 1997, Leipzig, 13./14. Mai 1997, Düsseldorf:<br />

VDI <strong>Verlag</strong>, 1997, 203-215.<br />

13. Arbeitsbeziehungen<br />

Werner Dentz<br />

Dynamik der Mitbestimmung. Eine Studie zur betrieblichen<br />

Mitbestimmung in einem Großunternehmen auf der Grundlage<br />

von 25 Praxisfällen im Zeitraum zwischen 1980 und 1995 *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Hartmut Wächter, Universität Trier<br />

1. Problemstellung<br />

Die in Deutschl<strong>an</strong>d gesetzlich geregelte Mitbestimmung ist immer wieder Gegenst<strong>an</strong>d<br />

sozialwissenschaftlicher Forschung geworden. Zunächst st<strong>an</strong>den die Beschreibung<br />

der durch die Mitbestimmung geprägten Abläufe in Betrieben und Unternehmen<br />

unter Berücksichtigung der gesetzlichen Regelungen im Vordergrund. Die<br />

*<br />

Werner Dentz: Betriebliche Mitbestimmung. Beispiele – Analysen – Lösungen. H<strong>an</strong>dbücher<br />

für die Unternehmenspraxis. ISBN 3-7663-3488-3. Bund-<strong>Verlag</strong> GmbH. Fr<strong>an</strong>kfurt am Main<br />

2003, 330 S. EURO 29,90. (Anmerkung: Das Fach- und Lehrbuch umfasst eine auf die Praxisfälle<br />

gekürzte Fassung der Dissertation.)


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 519<br />

Literatur der 70er Jahre konzentrierte sich eher auf die demokratietheoretische<br />

Grundlage der Mitbestimmung und versuchte, vermutete und tatsächliche Defizite zu<br />

ermitteln. Gegenüber dieser eher normativen Haltung haben die 90er Jahre eine deutliche<br />

Hinwendung zu einer ökonomischen Bewertung der Mitbestimmung mit sich<br />

gebracht. Die Literatur ist unter Verwendung institutionenökonomischer Denkfiguren<br />

eher theoretisch ausgerichtet. Die empirische Erforschung im Rahmen dieses Ansatzes<br />

ist ausgesprochen schwierig und kommt über die Verknüpfung von ökonomischen<br />

Outputdaten und einigen die Mitbestimmung charakterisierenden Variablen<br />

kaum hinaus. Es wurden meist weniger die Entscheidungsprozesse selbst und die<br />

Mitbestimmungswirkungen im Einzelnen untersucht als vielmehr die Wirkung der<br />

Existenz eines Betriebsrats, also der Betriebsratspräsenz, überhaupt. Was in der Mitbestimmungsforschung<br />

vor allem fehlt, sind Detailstudien, die sowohl die Abläufe als<br />

auch die Ergebnisse mitbestimmungsgeprägten H<strong>an</strong>delns berücksichtigen. Eine am<br />

Betriebsrat als wichtigstem Akteur der Mitbestimmung ausgerichtete Analyse betrieblicher<br />

Entscheidungen ist in besonderer Weise wünschenswert.<br />

Ziel dieser Arbeit war es daher, <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d von 25 Praxisfällen durch teilnehmende<br />

Beobachtung in einem international tätigen Großunternehmen der Elektronikbr<strong>an</strong>che<br />

im Zeitraum von 1980 bis 1995 zu klären, welche Konsequenzen die betriebliche<br />

Mitbestimmung hat. Der Autor war im dortigen Hauptbetrieb 15 Jahre l<strong>an</strong>g Betriebsratsmitglied.<br />

Bei der Analyse ging es im Wesentlichen um die praktische Anwendung<br />

des Betriebsverfassungsgesetzes im Sinne eines Arbeitnehmerschutzes: Wie sieht eine<br />

Entscheidungsbeteiligung konkret aus und welche Wirkungsmech<strong>an</strong>ismen laufen<br />

in den Aush<strong>an</strong>dlungsprozessen ab? Für viele Ökonomen gilt heute die Mitbestimmung<br />

d<strong>an</strong>n als wirtschaftlich effizient, wenn bestimmte unternehmerische oder<br />

volkswirtschaftliche Kennzahlen – wie Börsenkurse, Gewinnraten, Arbeitsproduktivität,<br />

Lohnstückkosten, Beschäftigungsniveau oder Innovation – günstigere Werte<br />

aufweisen als in Unternehmen ohne Mitbestimmung.<br />

Folgende Forschungsfragen sollten mit der Untersuchung be<strong>an</strong>twortet werden:<br />

4. Inwieweit sind die immer komplexeren H<strong>an</strong>dlungsfelder des Betriebsrats durch<br />

gesetzliche und tarifliche Regelungen erfasst?<br />

5. In welchem Umf<strong>an</strong>g nutzt der Betriebsrat die sich eröffnenden H<strong>an</strong>dlungsspielräume?<br />

6. Welche Faktoren beeinflussen hauptsächlich das Betriebsh<strong>an</strong>deln?<br />

7. Welche Wirkungen hat das Betriebratsh<strong>an</strong>deln auf Entscheidungsprozesse, -ergebnisse<br />

und Unternehmensziele?<br />

Bei der theoretischen betriebswirtschaftlichen Fundierung konzentrierte sich die<br />

Arbeit sowohl auf die demokratische Teilhabe als auch auf den Hum<strong>an</strong>kapital- und<br />

den Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement-Ansatz.<br />

2. Untersuchungsdesign<br />

Die Analyse von Mitbestimmungsprozessen und -wirkungen erfolgt in den 25<br />

Praxisfällen <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d eines abstrakten Rahmenmodells. Der Tr<strong>an</strong>sformationsprozess


520 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

vom Aufgreifen eines Verh<strong>an</strong>dlungsgegenst<strong>an</strong>ds bis hin zu seinen Wirkungen wird in<br />

einem Input-Output-Schema dargestellt. Die Mitbestimmungswirkung des Betriebsrats<br />

als abhängige Variable (Outputs) wird in Beziehung gesetzt zu einer Reihe von<br />

unabhängigen Variablen (Inputs). Die Verh<strong>an</strong>dlungsprozesse zwischen Betriebsrat<br />

und Arbeitgeber können prinzipiell kooperativ oder konfliktionär sein. Das Rahmenmodell<br />

besitzt folgende Elemente:<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Gesetzliche Mitbestimmungsregeln sowie tarifliche Vorgaben beeinflussen das<br />

H<strong>an</strong>deln des Betriebsrats und der <strong>an</strong>deren Akteure. Diese Regeln werden von<br />

den Akteuren interpretiert, und auf der Grundlage ihres Zielsystems werden<br />

H<strong>an</strong>dlungsspielräume im Aush<strong>an</strong>dlungsprozess ausgenutzt. Zu überprüfen war<br />

z.B., ob das H<strong>an</strong>deln des Betriebsrats ein Abbild der gesetzlichen Regelungen<br />

darstellt und welche H<strong>an</strong>dlungsspielräume existieren.<br />

Einflussvariablen: Das Ausnutzen bestehender H<strong>an</strong>dlungsspielräume durch die<br />

Betriebsakteure ist wiederum von einer g<strong>an</strong>zen Reihe von Einflussfaktoren abhängig.<br />

Hier sind auch die strukturellen Gegebenheiten der Umwelt zu beachten,<br />

denn sie markieren die Möglichkeiten und Grenzen für die Akteure. Mit Hilfe<br />

von Literaturrecherchen und eigenen Erfahrungen wurden elf Faktoren identifiziert.<br />

Verh<strong>an</strong>dlungsprozess: Grundlage für die Analyse des Verh<strong>an</strong>dlungsprozesses<br />

sind Strategien und Taktiken der Akteure – vor allem, wenn sie Zw<strong>an</strong>gs- oder<br />

Drucktaktiken eingesetzt haben. Betriebsrat, Personalwesen und M<strong>an</strong>agement<br />

sind im Aush<strong>an</strong>dlungsprozess als getrennte Akteure zu interpretieren. Das M<strong>an</strong>agement<br />

wurde insofern gesondert <strong>an</strong>geführt, da Führungskräfte vorübergehende<br />

Koalitionen mit dem Betriebsrat eingehen können, um ihre eigenen Bereichs-<br />

oder Abteilungsinteressen durchzusetzen.<br />

Wirkungen auf den Entscheidungsprozess: Hierbei waren die Wirkungen auf<br />

den Entscheidungsprozess selbst zu betrachten, wie sich z.B. die Mitbestimmung<br />

auf die Verh<strong>an</strong>dlungskultur, auf die Formalisierung von Abläufen oder<br />

auf die Professionalisierung der Personalarbeit auswirkt. Insbesondere war zu<br />

überprüfen, ob durch das Betriebsverfassungsgesetz die Personal- und Sozialentscheidungen<br />

nachprüfbar und verallgemeinerbar sind. Im Sinne des Hum<strong>an</strong><br />

Resource M<strong>an</strong>agement-Ansatzes wurde die Artikulation von Arbeitnehmerinteressen<br />

in seiner Vertretung durch den Betriebsrat in den verschiedenen Unternehmensebenen<br />

untersucht.<br />

Mitbestimmungswirkungen auf das Entscheidungsergebnis: Nach der Hum<strong>an</strong>kapitaltheorie<br />

wurde der Einfluss der Mitbestimmung auf die Hum<strong>an</strong>kapitalbildung<br />

sowie auf das Beschäftigungsverhältnis überprüft.<br />

Mitbestimmungswirkungen auf die Unternehmensziele: Hier waren die Gesamtwirkungen<br />

der betrieblichen Mitbestimmung abzuschätzen, d.h. ihr Einfluss<br />

auf die Unterstützung von Unternehmenszielen, ihr Beitrag zum Wohl des Betriebs.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 521<br />

3. Die empirische Überprüfung<br />

Die Systematik der 25 Fallbeispiele erfolgt in vier Teilen – vorr<strong>an</strong>gig nach den<br />

Mitbestimmungsbereichen des Betriebsverfassungsgesetzes:<br />

1. wirtschaftliche Angelegenheiten, wie betriebsorg<strong>an</strong>isatorische Änderungen (8<br />

Beispiele),<br />

2. personelle Angelegenheiten, insbesondere Personalpl<strong>an</strong>ung und -entwicklung,<br />

Einstellungen, Kündigungen/Personalabbau (6 Fallbeispiele),<br />

3. soziale Angelegenheiten, im Besonderen 6 Fallbeispiele der Entgeltfindung,<br />

4. institutionelle Fälle der Zusammenarbeit zwischen den Betriebsratsebenen sowie<br />

der Relationen von arbeits- und tarifvertraglichen Regelungen (5 Fallbeispiele).<br />

Die Aufarbeitung der Fallbeispiele geschah nach einem <strong>an</strong>alogen Gliederungsschema:<br />

Nach einer rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Grundlegung des Beispiels<br />

folgt die jeweilige Problemstellung, ergänzt um Problemfragen und Antworten.<br />

Die jeweilige Lösung wurde in einem vierten Teilabschnitt beschrieben. Der<br />

fünfte Teilabschnitt klärt die Frage der H<strong>an</strong>dlungsempfehlungen und -alternativen<br />

aus Praxissicht. Maßgeblich wird die Frage geklärt, inwieweit der Betriebsrat die<br />

gesetzlichen H<strong>an</strong>dlungsspielräume nutzen konnte oder nicht. Die Analyse und<br />

Auswertung des jeweiligen Beispiels mit Bezug zu den theoretischen Grundlagen<br />

erfolgte im sechsten Teilabschnitt, vorr<strong>an</strong>gig als Einschätzung des Falls zum Analyseraster<br />

des Rahmenmodells und der Mitbestimmungswirkungen auf Entscheidungsprozesse,<br />

-ergebnisse und Unternehmensziele.<br />

4. Ergebnisse<br />

Die Auswertung der Praxisfälle zeigt ein sehr differenziertes Bild: Einerseits<br />

wurden z.B. durch die betriebliche Interessenvertretung in 40 Prozent der Fälle die<br />

gesetzlichen Grenzen überschritten und <strong>an</strong>dererseits bei <strong>an</strong>nähernd 30 Prozent der<br />

Fälle das gesetzliche Instrumentarium nicht konsequent genutzt. Die Ergebnisse der<br />

25 Fallbeispiele sind in acht Thesen zusammengefasst:<br />

1. These: Das Partizipationsmuster des Betriebrats und die Betriebsratswirkungen<br />

sind vor allem von der fachlichen Kompetenz, der H<strong>an</strong>dlungsdisposition des Betriebsrats,<br />

der Arbeitnehmer-Unterstützung, der Verh<strong>an</strong>dlungskultur und vom situativen<br />

Faktor “globale Unternehmensstrategie” abhängig.<br />

2. These: Die K<strong>an</strong>alisierung der Konflikte zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber<br />

durch den Betriebsrat führt zu einer Formalisierung von Abläufen.<br />

3. These: Der Betriebsratseinfluss erleichtert (im untersuchten Großbetrieb) Umstrukturierungen<br />

von Betrieben und Unternehmen.<br />

4. These: Betriebliche Mitbestimmung führt zu erhöhter Beschäftigungssicherung.<br />

5. These: Eine sichere Beschäftigung erlaubt den Arbeitnehmern spezifische Qualifizierungen,<br />

die sich längerfristig in Einkommenserhöhungen niederschlagen.


522 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

6. These: Wenn sich die Betriebe zersplittern und org<strong>an</strong>isatorische Änderungen<br />

auftreten, d<strong>an</strong>n konzentriert sich auf Seiten der Mitbestimmung die Verh<strong>an</strong>dlungsmacht<br />

auf den Gesamtbetriebsrat und seine Ausschüsse.<br />

7. These: Durch neue Arbeitsformen entstehen Vertretungsdefizite für die Arbeitnehmer<br />

auf Arbeitsplatzebene.<br />

8. These: Firmentarifverträge bieten nur unter bestimmten Bedingungen, vor allem<br />

bei einem hohen Org<strong>an</strong>isationsgrad der Beschäftigten, den gleichen Arbeitnehmerschutz<br />

wie Flächentarifverträge.<br />

Wie sieht der theoretische Ertrag aus? In Bezug auf die Hum<strong>an</strong>kapitaltheorie<br />

wird eine immer kleiner werdende Stammbelegschaft geschützt (Beschäftigung, Qualifizierung,<br />

Einkommen), um Tr<strong>an</strong>saktionskosten zu senken. Nach dem Hum<strong>an</strong>-<br />

Resource-M<strong>an</strong>agement-Ansatz ist die Mitbestimmung institutionalisiert, jedoch abhängig<br />

vom Einfluss des Personalwesens im Gesamtunternehmen. Gemäß dem Collective-Voice-Ansatz<br />

führen formalisierte Abläufe zu Konfliktbereinigungen.<br />

5. Resümee<br />

Aufgrund der Ergebnisse und der Veränderungen empfiehlt der Verfasser die<br />

<strong>Verlag</strong>erung von Mitbestimmungsrechten auf die Arbeitsplatzebene mit einigen Vorbehalten.<br />

Denn infolge hoher org<strong>an</strong>isatorischer Flexibilität werden Arbeitnehmerinteressen<br />

auf Arbeitsplatzebene nicht ausreichend berücksichtigt. Doch durch den Gesamtbetriebsrat<br />

erfolgt ein wirksamer Arbeitnehmer-Schutz, da er eine immerwährende<br />

Institution darstellt. Trotzt Kompetenzsteigerungen durch l<strong>an</strong>gjährige Mitgliedschaft<br />

empfiehlt sich ein Wechsel im Betriebsratsamt. An offenen Fragen bleiben die<br />

Übertragbarkeit der Ergebnisse insbesondere auf Klein- und Mittelbetriebe sowie eine<br />

theoretische Beachtung in der Betriebswirtschaftslehre. Gleichsam nebenbei liefert<br />

die Fallsammlung eine umfassende Aufarbeitung der Mitbestimmungspraxis in einem<br />

Großunternehmen und bietet eine Fülle <strong>an</strong>schaulichen Materials, gegliedert nach<br />

Mitbestimmungsfeldern.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 523<br />

S<strong>an</strong>g-Min Lee<br />

Betriebliche Mitbestimmung und technologische Innovationen<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d und Südkorea im Vergleich:<br />

personalökonomische Analysen und empirische Befunde<br />

Betreuerin: Prof. Dr. Uschi Backes-Gellner, Universität Zürich,<br />

vorher Universität zu Köln<br />

1. Fragestellung<br />

Betriebe können durch Produkt- sowie Prozessinnovationen neue Märkte eröffnen<br />

oder auf vorh<strong>an</strong>denen Märkten Differenzierungs- oder Kostenvorteile gegenüber<br />

Konkurrenten erzielen. Angesichts dieser Relev<strong>an</strong>z ist die Innovationsforschung in<br />

der Betriebswirtschaftslehre unter dem Begriff „Innovationsm<strong>an</strong>agement“ thematisiert.<br />

Die bisherige Innovationsm<strong>an</strong>agementlehre hat wenig Aufmerksamkeit für die<br />

Rolle der betrieblichen Arbeitnehmervertretungen gezeigt. Um diese Forschungslücke<br />

zu decken, beh<strong>an</strong>delt die vorliegende Studie den Arbeitnehmervertretungseffekt<br />

auf die betriebliche Innovationskompetenz. Es stellt sich vor allem die Frage, ob die<br />

betrieblichen Arbeitnehmervertretungen Innovationsaktivitäten fördern oder hemmen.<br />

Viele Länder regulieren betriebliche Arbeitnehmervertretungen und autorisieren<br />

rechtlich den Umf<strong>an</strong>g ihrer Mitspracherechte. Die rechtliche Autorisation in einem<br />

L<strong>an</strong>d k<strong>an</strong>n als innovationsfördernd charakterisiert werden, wenn die rechtlich autorisierten<br />

Arbeitnehmervertretungen einen positiven Nettoeffekt auf die betrieblichen<br />

Innovationen haben. Eine weitere Frage, die sich aus der Perspektive des Innovationsm<strong>an</strong>agements<br />

stellt, lautet, inwieweit eine Betriebsleitung unter diesen gesetzlichen<br />

Rahmenbedingungen den negativen Arbeitnehmervertretungseffekt abmildern<br />

und dadurch die Innovationskompetenz verstärken k<strong>an</strong>n. Diese Studie konzentriert<br />

sich auf den aus dem Hold Up-Problem bei Kapitalinvestitionen resultierenden negativen<br />

Arbeitnehmervertretungseffekt.<br />

2. Spieltheoretische Ansätze über die Überwindung des Hold Up-Problems<br />

Der Arbeitnehmervertretungseffekt auf technologische Innovationen k<strong>an</strong>n mit<br />

dem Collective Voice-, Kündigungsschutz- und Lohnerhöhungs<strong>an</strong>satz erklärt werden.<br />

Angesichts des Collective Voice-Ansatzes können die Arbeitnehmervertretungen auf<br />

der einen Seite durch die Erhöhung der Qualität der Innovationsentscheidungen und<br />

der Akzept<strong>an</strong>z derselben sowie durch die Kreativität der Konsultation die Innovationskompetenz<br />

verbessern. Auf der <strong>an</strong>deren Seite können sie die Innovationsaktivitäten<br />

dadurch negativ beeinflussen, dass ihre Beteiligung am Innovationsprozess die<br />

rechtzeitig zu treffenden Innovationsentscheidungen verzögert. Mit dem Kündigungsschutzeffekt<br />

können die Arbeitnehmervertretungen einerseits die Beschäftigungssicherheit<br />

der Arbeitnehmer verbessern und ihren Zeithorizont verlängern. Mit<br />

der verbesserten Beschäftigungssicherheit können die Arbeitnehmer mehr in das spe-


524 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

zifische Hum<strong>an</strong>kapital für Innovationen investieren. Wenn der unternehmerische<br />

Zeithorizont nicht genügend l<strong>an</strong>gfristig ist, können die Arbeitnehmer mit ihrem l<strong>an</strong>gfristigen<br />

Zeithorizont mehr Kapitalinvestitionen fordern, weil die Beschäftigungssicherheit<br />

und das zukünftige Einkommen der Arbeitnehmer auf die betrieblichen Innovationsaktivitäten<br />

<strong>an</strong>gewiesen sind. Andererseits können die Arbeitnehmervertretungen<br />

nach dem Kündigungsschutz<strong>an</strong>satz arbeitssparenden Kapitalinvestitionen widersprechen.<br />

Mit dem Lohnerhöhungseffekt können die Arbeitnehmervertretungen<br />

einerseits durch die Erhöhung des Arbeitnehmer<strong>an</strong>teils <strong>an</strong> der Innovationsrente die<br />

Innovationsbereitschaft der Arbeitnehmer steigern. Andererseits können sie den Investitions<strong>an</strong>reiz<br />

der Betriebsleitung dadurch verringern, dass sie durch die Lohnerhöhung<br />

die Quasirente der Kapitalinvestitionen erschöpfen. Aufgrund dieses erwarteten<br />

Hold Up-Problems könnte die Betriebsleitung ineffizient unterinvestieren.<br />

Es wird <strong>an</strong>genommen, dass die betriebliche Innovationskompetenz eine Funktion<br />

des Umf<strong>an</strong>gs der Mitspracherechte ist. Bis zu einem bestimmten Umf<strong>an</strong>g der Mitspracherechte<br />

können die positiven Arbeitnehmervertretungseffekte die negativen Effekte<br />

überkompensieren. Durch diesen positiven Nettoeffekt wird die Innovationskompetenz<br />

erhöht. Bei zu weitreichenden Mitsprachemöglichkeiten verstärken sich<br />

allerdings die negativen Arbeitnehmervertretungseffekte und dominieren die positiven<br />

Effekte. Folglich wird die Innovationskompetenz wieder verschlechtert. Es ist<br />

darum eine empirische Frage, ob eine Arbeitnehmervertretung mit einem rechtlich<br />

autorisierten Umf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> Mitsprachemöglichkeiten innovationsfördernd oder –hindernd<br />

ist. Wenn eine Betriebsleitung die aus dem Hold Up-Problem resultierende Unterinvestition<br />

vermeiden k<strong>an</strong>n, d<strong>an</strong>n k<strong>an</strong>n sie unter den gesetzlichen Regelungen die<br />

Innovationskompetenz verbessern. Nach der folgenden spieltheoretischen Analyse<br />

können die Betriebsparteien unter bestimmten Bedingungen einen „sich selbst durchsetzenden<br />

Kontrakt“ für effiziente Kapitalinvestitionen abschließen und damit das<br />

Hold Up-Problem überwinden:<br />

Ein Betrieb und eine Arbeitnehmervertretung befinden sich in einem dreistufigen<br />

Spiel, wobei der Betrieb in der ersten Stufe ein Kapitaleinsatzniveau, die Arbeitnehmervertretung<br />

in der zweiten Stufe einen Lohnsatz und der Betrieb in der dritten<br />

Stufe ein Beschäftigungsniveau auswählt. Jeder Spieler k<strong>an</strong>n vor seiner Auswahl die<br />

vorherige Auswahl des <strong>an</strong>deren Spielers genau beobachten, und die Auszahlungsfunktion<br />

eines Spielers ist dem <strong>an</strong>deren bek<strong>an</strong>nt. In einem endlich oft wiederholten<br />

Spiel ist die Unterinvestition bzw. die Unterbeschäftigung die beste Antwort des Betriebs<br />

auf die gegebene Lohnforderungsstrategie der Arbeitnehmervertretung, und die<br />

erhebliche Lohnerhöhung ist die beste Antwort der Arbeitnehmervertretung auf die<br />

gegebene Investitions- bzw. Beschäftigungsstrategie des Betriebs. Daher konstituieren<br />

die Unterinvestition, die erhebliche Lohnerhöhung und die Unterbeschäftigung<br />

ein einziges Gleichgewicht. In einem wiederholten Spiel unter einer genügenden Unsicherheit,<br />

w<strong>an</strong>n das Spiel beendet wird, können die Betriebsparteien dieses ineffiziente<br />

Gleichgewicht verlassen und mehr Auszahlungen in einem effizienten Gleichgewicht<br />

erzielen. Nach der „Forgiving Trigger-Strategie“ f<strong>an</strong>gen beide Parteien das<br />

Spiel mit dem erwünschten Verhalten – die effiziente Kapitalinvestition, die mäßige


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 525<br />

Lohnerhöhung und die effiziente Beschäftigung – <strong>an</strong> und setzen diese Verhaltensweise<br />

fort, sol<strong>an</strong>ge niem<strong>an</strong>d davon abweicht. Wenn der Betrieb einen genügend l<strong>an</strong>gfristigen<br />

Zeithorizont hat, d<strong>an</strong>n will er vom erwünschten Verhalten nicht abweichen und<br />

ferner die Abweichung der Arbeitnehmervertretung verhindern. Damit k<strong>an</strong>n das effiziente<br />

Gleichgewicht erreicht werden. Wenn der unternehmerische Zeithorizont nicht<br />

genügend l<strong>an</strong>gfristig ist, d<strong>an</strong>n wird jem<strong>an</strong>d vom erwünschten Verhalten abweichen.<br />

Die Abweichung löst eine Bestrafungsphase aus, wobei eine Partei sich nicht mehr<br />

wie erwünscht verhält, um die Abweichung der <strong>an</strong>deren Partei zu bestrafen. Wenn die<br />

Betriebsparteien in die Bestrafungsphase eintreten, k<strong>an</strong>n das effiziente Gleichgewicht<br />

nicht konstituiert werden, obwohl der unternehmerische Zeithorizont in der Phase genügend<br />

l<strong>an</strong>gfristig ist. Aber nach dieser Phase versuchen sie, sich wieder wie erwünscht<br />

zu verhalten. Wenn die <strong>an</strong>tagonistischen Arbeitsbeziehungen als der Charakter<br />

der Bestrafungsphase <strong>an</strong>gesehen werden, d<strong>an</strong>n können die kooperativen Arbeitsbeziehungen<br />

als der Charakter der Perioden, in denen keine Partei abweicht, oder der<br />

Perioden nach der Aufhebung der Bestrafungsaktionen betrachtet werden. Damit<br />

werden zwei Faktoren für die Überwindung des Hold Up-Problems herausgefunden,<br />

nämlich der genügend l<strong>an</strong>gfristige unternehmerische Zeithorizont und die kooperativen<br />

Arbeitsbeziehungen.<br />

3. Verwendete Datensätze und empirische Befunde<br />

Um die theoretischen Ansätze empirisch zu überprüfen, werden die betrieblichen<br />

Arbeitnehmervertretungen in Deutschl<strong>an</strong>d und Südkorea als Forschungsgegenstände<br />

ausgewählt. Obwohl die Betriebsräte in beiden Ländern gemeinsam rechtlich autorisiert<br />

sind, stehen deutschen Betriebsräten Mitbestimmungsrechte zu, während kore<strong>an</strong>ische<br />

Betriebsräte nur über Mitberatungsrechte verfügen. In Korea sind neben Betriebsräten<br />

auch Gewerkschaften auf betrieblicher Ebene institutionalisiert. Damit<br />

werden drei Formen der betrieblichen Arbeitnehmervertretung verglichen, nämlich<br />

der mitberatende kore<strong>an</strong>ische Betriebsrat, der mitbestimmende deutsche Betriebsrat<br />

und die kore<strong>an</strong>ische Betriebsgewerkschaft mit Streikrecht. Für die Analyse deutscher<br />

Fälle wird der Datensatz aus dem IAB-Betriebsp<strong>an</strong>el 1996, 1997 und 1998 ausgewertet.<br />

Der Datensatz umfasst die Daten von 3.731 Betrieben mit 5 oder mehr ständigen<br />

Beschäftigten in privaten Sektoren, die in allen drei Jahren <strong>an</strong> den Befragungen teilgenommen<br />

haben. Für die Untersuchung kore<strong>an</strong>ischer Fälle wird der Datensatz aus<br />

der KLEI(Korea Labor Education Institute)-Betriebsrätebefragung 2001 verwendet,<br />

der die Daten von 285 Betrieben mit mindestens 30 ständigen Beschäftigten in privaten<br />

Sektoren enthält.<br />

Weil viele kore<strong>an</strong>ische Betriebsräte aufgrund der gesetzlichen Vorschrift offiziell<br />

eingerichtet worden sind, aber nur dem Namen nach existieren, wird ein Dummy<br />

für einen „effektiven Betriebsrat“ eingeführt, wobei ein kore<strong>an</strong>ischer Betriebsrat als<br />

effektiv <strong>an</strong>gesehen wird, wenn die Betriebsratssitzungen nach dem Gesetz zur Förderung<br />

der Partizipation und Kooperation (GFPK) §12 jährlich mehr als viermal stattfinden.<br />

Die betriebliche Innovationskompetenz wird mit der Dummyvariable für die<br />

Einführung der Produktinnovationen gemessen. Die Effizienz der Kapitalinvestition


526 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

wird mit dem Anteil der FE-Beschäftigten, die im Betrieb ausschließlich mit Forschungs-<br />

und Entwicklungsaufgaben befasst sind, und dem vom Betrieb selbst beurteilten<br />

technischen St<strong>an</strong>d der Betriebs<strong>an</strong>lagen geprüft. Aufgrund der begrenzten Datenverfügbarkeit<br />

wird der Effekt des l<strong>an</strong>gfristigen unternehmerischen Zeithorizonts<br />

lediglich für deutsche Betriebe und der Effekt der kooperativen Arbeitsbeziehungen<br />

nur für kore<strong>an</strong>ische Betriebe untersucht. Eine umfassende Liste der wichtigen Erklärungsvariablen<br />

wird verwendet, damit die Auswirkungen der Personalpolitik, der<br />

Struktur der Arbeitskräfte und der betrieblichen Charakteristika kontrolliert werden.<br />

Mit der logistischen Regressions<strong>an</strong>alyse wird ermittelt, dass deutsche Betriebsräte<br />

und kore<strong>an</strong>ische effektive Betriebsräte einen positiven Nettoeffekt auf Produktinnovationen<br />

haben, während kore<strong>an</strong>ische Betriebsgewerkschaften Produktinnovationen<br />

negativ beeinflussen. Mit der Pfad<strong>an</strong>alyse für deutsche Betriebe wird festgestellt,<br />

dass deutsche Betriebsräte einen positiven Einfluss auf die Innovationskompetenz indirekt<br />

über den Anteil der FE-Beschäftigten und einen negativen Effekt indirekt über<br />

den technischen St<strong>an</strong>d der Betriebs<strong>an</strong>lagen haben. Empirisch wird bestätigt, dass<br />

deutsche Betriebe mit einem Betriebsrat durch den l<strong>an</strong>gfristigen unternehmerischen<br />

Zeithorizont diesen negativen Betriebsratseffekt auf den technischen St<strong>an</strong>d der Betriebs<strong>an</strong>lagen<br />

signifik<strong>an</strong>t abschwächen können. Hingegen hat der unternehmerische<br />

Zeithorizont in Betrieben ohne Betriebsrat keinen signifik<strong>an</strong>ten Einfluss. Mit der<br />

Pfad<strong>an</strong>alyse für kore<strong>an</strong>ische Betriebe wird festgestellt, dass kore<strong>an</strong>ische effektive Betriebsräte<br />

einen positiven und Betriebsgewerkschaften einen negativen Einfluss auf<br />

technologische Innovationen indirekt über den technischen St<strong>an</strong>d der Betriebs<strong>an</strong>lagen<br />

haben, aber der indirekte Betriebsrats- sowie Betriebsgewerkschaftseffekt über den<br />

Anteil der FE-Beschäftigten insignifik<strong>an</strong>t ist. Bei kore<strong>an</strong>ischen Betrieben wird weiter<br />

empirisch bestätigt, dass die kooperativen Arbeitsbeziehungen in Betrieben mit einer<br />

Betriebsgewerkschaft den negativen Betriebsgewerkschaftseffekt auf den technischen<br />

St<strong>an</strong>d der Betriebs<strong>an</strong>lagen vermindern. Im Gegensatz übt der Charakter der Arbeitsbeziehungen<br />

in Betrieben ohne Betriebsgewerkschaft keinen signifik<strong>an</strong>ten Einfluss<br />

aus.<br />

4. Schlussfolgerung<br />

M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n schlussfolgern, dass das deutsche Betriebsverfassungsgesetz und das<br />

kore<strong>an</strong>ische GFPK innovationsfördernd sind, während das dezentralisierte Tarifverh<strong>an</strong>dlungssystem<br />

in Korea die Innovationsaktivitäten hemmt. Wenn die „betrieblichen<br />

Bündnisse für Arbeit“ der letzten Jahre in Deutschl<strong>an</strong>d als der Abschluss des effizienten<br />

Kontrakts <strong>an</strong>gesehen werden, d<strong>an</strong>n können nur die Arbeitgeber, die einen<br />

genügend l<strong>an</strong>gfristigen unternehmerischen Zeithorizont haben, diese innovationsfördernden<br />

Vereinbarungen abschließen. Obwohl in Korea die Betriebsgewerkschaften<br />

die Innovationskompetenz negativ beeinflussen, k<strong>an</strong>n ihr negativer Effekt unter den<br />

kooperativen Arbeitsbeziehungen vermindert oder vermieden werden.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 527<br />

Thomas Peuntner<br />

Kontextsteuerung von Entscheidungen? Untersuchung<br />

des Einflusses arbeitsrechtlicher Veränderungen auf<br />

Beschäftigungsentscheidungen<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Walter A. Oechsler, Universität M<strong>an</strong>nheim<br />

1. Problemhinführung<br />

Die Arbeitslosigkeit stellt nicht nur in Deutschl<strong>an</strong>d, sondern auch in <strong>an</strong>deren<br />

hochentwickelten Volkswirtschaften, ein zentrales Problem dar und ist seit den<br />

1970er Jahren nahezu ununterbrochen Gegenst<strong>an</strong>d umf<strong>an</strong>greicher theoretischer wie<br />

politischer Diskussionen. Diese haben zu zahlreichen unterschiedlichen Vorschlägen<br />

und auch Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geführt, die sich auf einer<br />

B<strong>an</strong>dbreite von keynesi<strong>an</strong>ischer Nachfragepolitik mit einer starken Rolle des<br />

Staates bis zu einer neoklassischen Angebotspolitik, in der sich der Staat stärker auf<br />

die Kontextsteuerung also das Schaffen von Rahmenbedingungen, die Wachstum und<br />

Beschäftigung fördern sollen, beschränkt. Zu letzterer Politik ist auch die Politik der<br />

Deregulierung zu zählen, die der Erkenntnis bzw. Annahme entspr<strong>an</strong>g, dass der institutionelle<br />

Rahmen des Arbeitsmarktes in Deutschl<strong>an</strong>d zu starr und reglementiert ist<br />

und das Beschäftigungswachstum hemmt.<br />

Die mit der Verabschiedung gesetzlicher Änderungen des arbeitsrechtlichen<br />

Rahmens seit dem Jahre 1994 (z.B. Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz,<br />

Arbeitsförderungs-Reformgesetz) <strong>an</strong>gestrebten positiven Auswirkungen auf die<br />

Beschäftigungssituation in Deutschl<strong>an</strong>d haben sich aber nicht im erhofften Maße niedergeschlagen.<br />

Zielsetzung der Arbeit war es, zu untersuchen, inwieweit bzw. ob arbeitsrechtliche<br />

Kontextänderungen der Jahre 1996/97, namentlich Änderungen des<br />

Beschäftigungsförderungsgesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, des Kündigungsschutzgesetzes,<br />

des Betriebsverfassungsgesetzes sowie des Entgeltfortzahlungsgesetzes,<br />

im Rahmen von Einstellungs- und Beschäftigungsentscheidungen in<br />

Unternehmen eine Rolle spielen.<br />

2. Theoretischer Zug<strong>an</strong>g der Untersuchung: Strategic Choice-Ansatz<br />

Als theoretische Grundlage der Arbeit dient der Strategic Choice-Ansatz von<br />

Koch<strong>an</strong>/Katz/McKersie, der einen konzeptionellen Rahmen für die Untersuchung der<br />

Wirkungen industrieller Beziehungen auf strategische Optionen der Unternehmen<br />

und Ergebnisse für die Gesellschaft gibt.<br />

Der Strategic Choice Ansatz wurde zu Beginn der achtziger Jahre entwickelt<br />

und stellte einen h<strong>an</strong>dlungstheoretischen Analyserahmen für die Untersuchung der<br />

Entwicklung der Industriellen Beziehungen in den Vereinigten Staaten von Amerika<br />

dar. Im Zentrum der Analyse h<strong>an</strong>dlungstheoretischer Erklärungs<strong>an</strong>sätze stehen die Interaktionen<br />

strategisch h<strong>an</strong>delnder Akteure. Dabei werden im Gegensatz zur determi-


528 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

nistischen Sichtweise der systemtheoretischen und marxistischen Ansätze die politischen<br />

Prozesse in Org<strong>an</strong>isationen betont, die sich aus der Unbestimmtheit des Arbeitsvertrages<br />

sowie den Machtspielen der betrieblichen Akteure ergeben. Demnach<br />

gibt es keine normative Vorschrift oder den „one-best-way“ der Arbeitgeber-<br />

Arbeitnehmer-Beziehungen, sondern diese bleiben vielfältig und nicht determinierbar.<br />

Das grundlegende Ziel des Strategic Choice-Ansatzes ist die Identifikation von<br />

Entscheidungsparametern und -spielräumen für die Aktivitäten und strategischen Ziele<br />

der Akteure.<br />

Da der Strategic Choice-Ansatz für die Untersuchung der US-amerik<strong>an</strong>ischen<br />

Industrial Relations konzipiert wurde, war eine Modifikation des konzeptionellen<br />

Rahmens auf die deutschen industriellen Beziehungen notwendig.<br />

3. Untersuchungsdesign<br />

Da die Deregulierungsdiskussion in den frühen 1980er Jahren beg<strong>an</strong>n und die<br />

erste größere arbeitsrechtliche Deregulierungsmaßnahme im Jahr 1985 umgesetzt<br />

wurde, ist es wenig verwunderlich, dass bereits empirische Untersuchungen zur Wirkung<br />

dieser Deregulierungsmaßnahmen existieren. Wenngleich diese wertvolle Erkenntnisse<br />

über die Wirkung der untersuchten arbeitsrechtlichen Veränderungen gebracht<br />

haben, die in der Summe auch eine eher geringe Wirksamkeit der Deregulierungsmaßnahmen<br />

<strong>an</strong>zeigen, ist aus mehreren Gründen weiterer Forschungsbedarf zu<br />

konstatieren.<br />

An erster Stelle ist hier der beinahe b<strong>an</strong>al erscheinende Grund zu nennen, dass<br />

es in den Jahren 1996 und 1997 die gen<strong>an</strong>nten weiteren arbeitsrechtlichen Deregulierungen<br />

gab, die noch nicht Gegenst<strong>an</strong>d wissenschaftlicher Untersuchungen hinsichtlich<br />

ihrer Wirkung auf Beschäftigungsentscheidungen waren und insofern einen neuen<br />

Forschungsgegenst<strong>an</strong>d darstellen.<br />

Neben der Analyse der Beschäftigungswirkungen der arbeitsrechtlichen Veränderungen<br />

besteht ein weiteres Ziel der Untersuchung darin, den bisher eher geringen<br />

Wirkungsgrad arbeitsrechtlicher Deregulierungsmaßnahmen zu <strong>an</strong>alysieren. Hier sind<br />

Fragen zu stellen nach den Gründen, die zu der geringen Wirksamkeit führen, zur Art<br />

der Konstellationen, in denen die Änderungen wirksam sind, und ob es eher unternehmensinterne<br />

oder unternehmensexterne Ursachen sind, welche die Wirksamkeit<br />

der Maßnahmen bestimmen.<br />

Bei diesen Betrachtungen ist d<strong>an</strong>n auch dar<strong>an</strong> zu denken, dass es zu Veränderungen<br />

im relev<strong>an</strong>ten Umfeld gekommen ist, die eine Kontextsteuerung im nationalen<br />

Rahmen möglicher Weise unwirksam oder zumindest weniger wirksam machen. So<br />

betrifft die Globalisierung der Wirtschaft immer mehr Unternehmen und erweitert deren<br />

Möglichkeiten international zu agieren. Dies mag auch damit einher gehen, dass<br />

es zu einem Systemwettbewerb auch arbeitsrechtlicher Systeme kommt, der die Unternehmen<br />

zunächst für verschiedene arbeitsrechtliche Systeme sensibilisiert und in<br />

einem zweiten Schritt auch zu einem „Ausweichen“ der Unternehmen auf St<strong>an</strong>dorte


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 529<br />

mit einem für das Unternehmen günstigeren arbeitsrechtlichen Regelungsrahmen führen<br />

k<strong>an</strong>n.<br />

Weiterhin liegt die Annahme nahe, dass in Zeiten schneller Veränderungen der<br />

Unternehmensumwelt die Bedeutung des strategischen M<strong>an</strong>agements für die Unternehmen<br />

zunimmt und in diesem Zuge die Reaktion auf sich kurzfristig ergebende<br />

Ch<strong>an</strong>cen, die sich nur bedingt mit der Strategie des Unternehmens in Einkl<strong>an</strong>g bringen<br />

lassen, eher verhalten ausfällt bzw. gar keine Reaktion nach sich zieht. Die Strategie<br />

des Unternehmens würde also quasi als Filter für Einflüsse aus der Umwelt des<br />

Unternehmens dienen und nur strategierelev<strong>an</strong>te Veränderungen im unternehmerischen<br />

H<strong>an</strong>deln berücksichtigen.<br />

Auch ist zu bedenken, dass sich die Arbeitswelt vor allem in den 1990er Jahren<br />

tiefgreifend verändert hat und weiterhin in einem Veränderungsprozess begriffen ist.<br />

Dies m<strong>an</strong>ifestiert sich in der Entwicklung von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft.<br />

Ein volkswirtschaftliches Indiz für diese Entwicklung k<strong>an</strong>n in der<br />

Abnahme des Anteils der Erwerbstätigen im produzierenden Gewerbe (sekundärer<br />

Sektor) bei gleichzeitiger Zunahme des Anteils der Erwerbstätigen im Dienstleistungsbereich<br />

(tertiärer Sektor) gesehen werden. Diese Veränderungen sind mit neuen<br />

Anforderungen <strong>an</strong> die Arbeitnehmer und Unternehmen verbunden und stellen die Relev<strong>an</strong>z<br />

des arbeitsrechtlichen Regelungsrahmens in seiner jetzigen Form, die aus der<br />

Zeit der Industriegesellschaft stammt, zumindest partiell in Frage.<br />

Zusammenfassend sind folgende Hauptziele der Arbeit zu nennen:<br />

Es sollen Erkenntnisse über den Einfluss der gesetzlichen Änderungen bzw. Deregulierungsmaßnahmen<br />

auf Beschäftigungsentscheidungen in Unternehmen<br />

sowie deren Beschäftigungswirkungen gewonnen werden. Hier steht der Entscheidungsprozess<br />

in den Unternehmen im Fokus der Betrachtung. Damit ist<br />

auch die Frage verbunden, ob arbeitsrechtliche Deregulierung ein Mittel der Beschäftigungspolitik<br />

sein k<strong>an</strong>n.<br />

Auf Grund der bisherigen Erfahrungen mit arbeitsrechtlichen Deregulierungsmaßnahmen<br />

ist nach den Ursachen für die eher geringe Wirksamkeit zu fragen.<br />

Es ist zu klären, ob es bestimmte Konstellationen gibt, in denen die Änderungen<br />

wirksam bzw. unwirksam waren. In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g ist auch zu <strong>an</strong>alysieren,<br />

welche Rolle die Globalisierung, die Strategie der Unternehmen und der<br />

W<strong>an</strong>del der Arbeitswelt einnehmen.<br />

<br />

Und letztlich ist zu prüfen, ob sich in Abhängigkeit von den Ergebnissen der<br />

Untersuchung Ansatzpunkte für eine beschäftigungsfördernde Form der Regulierung<br />

ergeben, welche zudem die Entwicklungen in den Unternehmen und der<br />

relev<strong>an</strong>ten Unternehmensumwelt stärker berücksichtigt.<br />

Die dargestellte Problemstellung und die daraus folgenden Fragen werden in<br />

drei Untersuchungsschritten bearbeitet.<br />

Zunächst erfolgt die Entwicklung eines konzeptionellen Rahmens, der als<br />

Grundlage für die weitere Untersuchung dient. Nach der Ableitung von Anforderungen<br />

<strong>an</strong> einen konzeptionellen Rahmen, der eine adäquate Bearbeitung der vorliegen-


530 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

den Problemstellung ermöglicht, werden verschiedene theoretische und konzeptionelle<br />

Ansätze, die sich mit der Erklärung von Systemen der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-<br />

Beziehungen beschäftigen, auf deren Geeignetheit als konzeptioneller Rahmen für die<br />

vorliegende Arbeit untersucht. Als geeigneter konzeptioneller Ansatz wird der o.g.<br />

Strategic Choice-Ansatz von Koch<strong>an</strong> et al. identifiziert.<br />

Nach der Entwicklung des konzeptionellen Rahmens für die Arbeit werden die<br />

inhaltlichen Grundlagen für die empirische Untersuchung erarbeitet. Zuerst wird die<br />

Deregulierungsdiskussion retrospektiv wiedergegeben und werden deren theoretische<br />

Grundlagen erläutert. Dem schließt sich eine Darstellung der wichtigsten arbeitsrechtlichen<br />

Deregulierungsmaßnahmen in Deutschl<strong>an</strong>d seit 1985 <strong>an</strong>. Weiterhin werden die<br />

Ergebnisse empirischer Untersuchungen zur Beschäftigungswirkung von Veränderungen<br />

des Beschäftigungsförderungsgesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes,<br />

des Entgeltfortzahlungsgesetzes, des Kündigungsschutzgesetzes und des Betriebsverfassungsgesetzes<br />

vorgestellt, um zuletzt Implikationen der empirischen Untersuchungen<br />

für die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte empirische Untersuchung<br />

abzuleiten.<br />

Im empirischen Teil der Arbeit erfolgt neben der methodischen Beschreibung<br />

die Darstellung der Ergebnisse der schriftlichen Befragung sowie die Dokumentation<br />

und Interpretation der qualitativen Interviews.<br />

4. Empirische Überprüfung<br />

Es wurde zunächst eine schriftliche, st<strong>an</strong>dardisierte Befragung der rund 1.500<br />

Mitgliedsunternehmen der Deutschen Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP)<br />

vorgenommen, um in einem größeren Rahmen eine Meinungsbild und Erkenntnisse<br />

über Unternehmen verschiedener Br<strong>an</strong>chen und Unternehmensgrößen zu erhalten.<br />

In einem zweiten Schritt wurden zehn qualitative Fallstudien in ausgewählten<br />

Unternehmen durchgeführt, in denen per Interview Entscheidungsprozesse bei Beschäftigungsentscheidungen<br />

rekonstruiert wurden. Auch hier st<strong>an</strong>d der Einfluss des<br />

arbeitsrechtlichen Kontextes im Vordergrund der Untersuchung.<br />

5. Zielerreichung<br />

Die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen haben gezeigt, dass das Ziel<br />

der Beschäftigungsförderung nur in sehr geringem Ausmaß erreicht wurde. Es zeigte<br />

sich weiterhin, dass nur die Änderungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes, das<br />

die Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne sachlichen Grund auf die Dauer von 24<br />

Monaten erweitert hatte, und die Ausweitung der Überlassungshöchstdauer des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes<br />

überhaupt nennenswerte Auswirkungen auf die Beschäftigungsentscheidungen<br />

in Unternehmen hatten.<br />

Eine weitere wichtige Erkenntnis besteht darin, dass insbesondere größere Unternehmen<br />

von den neuen Möglichkeiten Gebrauch gemacht haben. Auch zeigte sich,<br />

dass Unternehmen, die sowohl tarifgebunden sind, als auch einen Betriebsrat und<br />

evtl. auch starke gewerkschaftliche Strukturen haben, häufiger auf die neue arbeits-


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 531<br />

rechtliche Flexibilität zurückgegriffen haben. Hier besteht offenbar ein hoher Bedarf<br />

nach mehr Flexibilität. In den Unternehmen, die dem qualifizierten Dienstleistungsbereich<br />

zuzurechnen sind, bestehen hingegen weniger die klassischen Arbeitgeber-<br />

Arbeitnehmer-Beziehungen, es wurde jedoch dennoch Kritik am arbeitsrechtlichen<br />

Rahmen geübt, da die Strukturen als nicht adäquat für ihre Unternehmenssituation<br />

<strong>an</strong>gesehen wurde.<br />

6. Resümee<br />

Insgesamt ist festzustellen, dass die bisher vorgenommene Deregulierung nicht<br />

im erwünschten Maße gewirkt hat. Auch die negativen Erwartungen, wie z.B. eine<br />

„hire <strong>an</strong>d fire-Mentalität“ kamen jedoch nicht zum Tragen. Insofern – und vor dem<br />

Hintergrund einer veränderten Arbeitswelt – erscheint eine weitere arbeitsrechtliche<br />

Deregulierung wünschenswert. Eine tief greifende Verbesserung der Beschäftigungssituation<br />

darf jedoch nicht erwartet werden. Hierfür ist die Rolle des Arbeitsrechts bei<br />

betrieblichen Einstellungsentscheidungen im Vergleich zur Bedeutung der Unternehmensstrategie<br />

und den Entwicklungen auf den Absatzmärkten zu gering.<br />

14. Personalentscheidungen<br />

Markus Grün<br />

Die tiefenpsychologische Fundierung von<br />

Personalentscheidungen *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Thomas Spengler, Universität Magdeburg<br />

1. Problemstellung<br />

Die personalwirtschaftlichen Primärprobleme liegen in der Herstellung und Sicherung<br />

der Disponibilität über sowie der Funktionalität von Personal. Sie entstehen<br />

u.a. dadurch, dass menschliche Arbeitskraft knapp ist, nachgefragte sowie <strong>an</strong>gebotene<br />

Qualifikationen nicht notwendig deckungsgleich und betriebliche Personalbedarfe<br />

sowie Personalausstattungen variabel sind, Verhaltens<strong>an</strong>sprüche des Betriebes sowie<br />

Verhaltens<strong>an</strong>triebe der Arbeitskräfte divergieren und Änderungen im Zeitablauf unterliegen<br />

können. Zu ihrer Lösung k<strong>an</strong>n der Betrieb auf ein facettenreiches Instrumentarium<br />

aus den Bereichen „Personalpl<strong>an</strong>ung“ und „Personalführung“ zurückgreifen.<br />

Um jedoch eine ökonomisch sinnvolle Auswahl der Instrumente vornehmen zu<br />

*<br />

Markus Grün: Die tiefenpsychologische Fundierung von Personalentscheidungen. ISBN 3-<br />

87988-712-8, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, München und Mering 2003, 211 S., € 24,80


532 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

können, ist er auf die Berücksichtigung personalwirtschaftlicher Konditionen <strong>an</strong>gewiesen,<br />

unter denen die Persönlichkeitsmerkmale der Mitarbeiter eine wesentliche<br />

Rolle spielen. In der Psychologie hat die Untersuchung differenzierter Persönlichkeitstypen<br />

und die Analyse der korrespondierenden individuellen Verhaltensweisen<br />

bzw. -muster eine relativ l<strong>an</strong>ge Tradition. Für die Betriebswirtschaftslehre im Allgemeinen<br />

und die M<strong>an</strong>agement- sowie die Personalwirtschaftslehre im Besonderen<br />

k<strong>an</strong>n dies jedoch nicht konstatiert werden. Dies ist umso verwunderlicher, als der<br />

Einfluss menschlicher H<strong>an</strong>dlungen auf den Unternehmenserfolg häufig als beträchtlich<br />

herausgestellt wird. Die korrespondierenden Defizite kommentiert W. Staehle<br />

mit den Worten, dass sich „bedauerlicherweise [...] in der M<strong>an</strong>agementpraxis die <strong>an</strong>spruchsvolleren<br />

Theorien der Persönlichkeit, vor allem der psycho<strong>an</strong>alytische Ansatz<br />

auf der Basis von Freuds Strukturmodell des Psychischen [...] nicht durchgesetzt [...]“<br />

(Staehle 1994, 168) haben. Diese Einschätzung gilt ohne größere Einschränkungen<br />

nicht nur für die M<strong>an</strong>agementpraxis, sondern auch für die M<strong>an</strong>agementtheorie. Die<br />

hier in Rede stehende Dissertation ist der Aufgabe gewidmet, Möglichkeiten und<br />

Grenzen der Übertragung tiefenpsychologischer (vor allem persönlichkeitstheoretischer)<br />

Erkenntnisse in personalwirtschaftliches Terrain auszuloten und zu überprüfen,<br />

inwiefern solche Erkenntnisse für ökonomisch legitimierbare Personalentscheidungen<br />

genutzt werden können.<br />

2. Theoretischer Hintergrund<br />

Als betriebswirtschaftlicher Bezugsrahmen für die Erläuterungen wird das personalwirtschaftliche<br />

H<strong>an</strong>dlungsstukturmodell von Kossbiel gewählt. Mit Hilfe dieses<br />

Modells lassen sich personalwirtschaftliche Entscheidungsprobleme systematisch ü-<br />

ber die Elemente Ziele, Maßnahmen, Wirkungen sowie den Zielerreichungsgrad und<br />

die obwaltenden Bedingungen <strong>an</strong>alysieren. Zu den Bedingungen, die (u.a.) sowohl<br />

die Alternativenwahl bestimmen als auch deren Effekte beeinflussen können, zählen<br />

die Determin<strong>an</strong>ten menschlichen Verhaltens. Dazu gehören die situativen Bedingungen<br />

des H<strong>an</strong>dlungsvollzuges sowie individuelle Eigenschaften und Charakterzüge,<br />

oder allgemeiner: die Persönlichkeit von Individuen.<br />

Ein möglicher Zug<strong>an</strong>g zur Persönlichkeit findet sich in der Tiefenpsychologie<br />

mit ihren umf<strong>an</strong>greichen Modellen und Theorien. Als allgemeiner theoretischer Ansatz<br />

aus der Psychologie wird – wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung und trotz<br />

der vielfältigen Weiterentwicklungen auf diesem Gebiet – das sog. Drei-Inst<strong>an</strong>zen-<br />

Modell Freuds verwendet. Als spezielles Konzept, mit dessen Hilfe sich Personalentscheidungen<br />

fundieren lassen, wird die klinische Charakterologie aus der Tiefenpsychologie<br />

dargestellt. In dieser Typologie finden sich Charaktertypen wie der Zw<strong>an</strong>ghafte,<br />

der Hysteriker, der Depressive, der Schizoide, der Narzisst, der Phobiker sowie<br />

der Par<strong>an</strong>oide.<br />

3. Ausgewählte Ergebnisse<br />

Die Verknüpfung von Fragestellungen aus der Personalwirtschaft mit den Inhalten<br />

tiefenpsychologischer Konzepte und Theorien führt zu interess<strong>an</strong>ten Erklärungs-


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 533<br />

<strong>an</strong>sätzen, die zum einen org<strong>an</strong>isationales Verhalten im Allgemeinen und das Verhalten<br />

von Org<strong>an</strong>isationsmitgliedern mit den erwähnten Charaktermerkmalen im Besonderen<br />

thematisieren. Aus diesen Ansätzen lassen sich Maßnahmen ableiten. Einige<br />

ausgewählte Ergebnisse der Untersuchungen werden im Folgenden aufgeführt:<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Bei Verhaltensweisen von Org<strong>an</strong>isationsmitgliedern, wie Emotionalisierung und<br />

Rationalisierung oder der Entstehung von Angstzuständen, k<strong>an</strong>n es sich um tiefenpsychologisch<br />

erklärbare Verhaltensweisen der intraindividuellen Konfliktverarbeitung<br />

h<strong>an</strong>deln. Anführen lassen sich Abwehrmech<strong>an</strong>ismen oder Neurosen,<br />

zu denen beispielsweise auch die Phobien zählen.<br />

Starke Bindungen zwischen Mitarbeitern innerhalb einer Org<strong>an</strong>isation können<br />

auf die Existenz bzw. den Aufbau interpersonaler Abwehrkonstellationen hinweisen.<br />

In solchen Konstellationen entwickeln die Partner ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

und stabilisieren sich gegenseitig. Die so entstehenden<br />

Bindungen sind zwar per se nicht negativ zu bewerten, können jedoch zur Bildung<br />

von spezifischen Wert- und Einstellungsmustern führen, die denen der Org<strong>an</strong>isation<br />

entgegenstehen. Darüber hinaus k<strong>an</strong>n der Aufbruch solcher Bindungen,<br />

wie beispielsweise durch Versetzung eines Partners, zu sehr hoher Unzufriedenheit<br />

führen.<br />

Abwehrmech<strong>an</strong>ismen, Neurosen oder Charaktermerkmale einzelner Mitarbeitergruppen<br />

oder Führungspersönlichkeiten sind in der Lage, Unternehmenskulturen<br />

zu beeinflussen. Die entstehenden Unternehmenskulturen weisen Merkmale auf,<br />

die den Charakteren aus der tiefenpsychologischen Charakterkunde entsprechen.<br />

Durch die Identifizierung einer solchen Unternehmenskultur lassen sich geeignete<br />

Maßnahmen zu deren Veränderung ableiten, und zwar zum Zwecke der<br />

Steuerung org<strong>an</strong>isationalen Verhaltens.<br />

Charaktermerkmale von Individuen bedingen, ob Unternehmen als Arbeitgeber<br />

attraktiv empfunden werden oder nicht. Die Kenntnis dieser Einstellungen gegenüber<br />

Org<strong>an</strong>isationen lässt sich bei Maßnahmen zur Gestaltung von Personalausstattungen<br />

berücksichtigen. Wenn Arbeitskräfte mit erwünschten Qualifikationen<br />

die herrschende Kulturform nicht als attraktiv erachten, müssen beispielsweise<br />

zusätzliche Anreize eingesetzt werden, um eine Teilnahmeentscheidung<br />

herbeizuführen.<br />

Da mit Charaktertypen auch Eigenschaften und Fähigkeiten verbunden werden,<br />

die als extrafunktionale Qualifikationen bezeichnet werden können, wie beispielsweise<br />

Beharrlichkeit, Flexibilität oder Kommunikationsfähigkeit, lässt sich<br />

der Charakter auch als Indikator verwenden, um zum einen Personal mit den erwünschten<br />

Fähigkeiten zu rekrutieren und zum <strong>an</strong>deren Fehlallokationen von<br />

Personal im Rahmen von Einsatzänderungen zu vermeiden.<br />

Eine Integration sowohl von Eigenschaften als auch Präferenzen der Charaktere<br />

in Aktivitäten zur Personalrekrutierung k<strong>an</strong>n weiterhin dazu beitragen, Maßnahmen<br />

auf diesem Gebiet effizienter zu gestalten. Durch das Wissen um das<br />

Verhalten bei der Informationsaufnahme und um die Vorlieben hinsichtlich des


534 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

<br />

<br />

Arbeitsfeldes und Arbeitsumfeldes der verschiedenen Charaktertypen lassen sich<br />

Informationsk<strong>an</strong>äle und die Inhalte bei der Ansprache potentieller Mitarbeiter<br />

gezielter auswählen und gestalten.<br />

Maßnahmen zur Verhaltenssteuerung und Verhaltenskontrolle sollten nicht ohne<br />

eine Berücksichtigung des <strong>an</strong>zusprechenden Charaktertyps ergriffen werden. Art<br />

und Frequenz der Verhaltenskontrolle können völlig unterschiedlich bewer- tet<br />

werden. Je nach Charakterform reichen die Bewertungen einer konst<strong>an</strong>ten Kontrolle<br />

von Arbeitsergebnissen im Extremfall von unzumutbarer Überwachung<br />

bis erwünschter, stabilisierender Rückmeldung. Je nach Charaktertyp wird der<br />

gleiche Kontrollmech<strong>an</strong>ismus als positiver Anreiz oder aber als S<strong>an</strong>ktion empfunden,<br />

die es über Zusatz<strong>an</strong>reize zu neutralisieren gilt. Wird beispielsweise<br />

letzteres versäumt, k<strong>an</strong>n dies Arbeitsunzufriedenheit mit einer erhöhten Fluktuationsneigung<br />

zur Folge haben.<br />

Gratifikationen können erheblich <strong>an</strong> Anreizcharakter verlieren, wenn sie einem<br />

Charaktertyp zugeordnet werden, der eine Gratifikation nicht als solche wahrnimmt,<br />

weil seine Präferenzen <strong>an</strong>ders geartet sind. In solchen Fällen k<strong>an</strong>n es<br />

d<strong>an</strong>n noch einmal notwendig werden, zusätzliche Belohnungen auszuschütten,<br />

um die Arbeitsleistung aus Sicht des Charaktertyps <strong>an</strong>gemessen zu vergüten. Eine<br />

frühzeitige Berücksichtigung von Charakterstrukturen trägt dazu bei, diesen<br />

Zusatzaufw<strong>an</strong>d zu vermeiden.<br />

4. Resümee<br />

Die Inhalte tiefenpsychologischer Theorien haben bis zum heutigen Tag kaum<br />

Eing<strong>an</strong>g in die Betriebswirtschaftslehre und ihre Teildisziplinen gefunden, obgleich<br />

die Persönlichkeit von Individuen bei ökonomischen Entscheidungsprozessen eine<br />

tragende Rolle spielt. Dem Wissen um den systematischen Aufbau und der adäquaten<br />

Identifikation von Persönlichkeitstypen kommt somit eine nicht zu unterschätzende<br />

Bedeutung zu, um Verhalten zu <strong>an</strong>alysieren, zu bewerten und zu beeinflussen und<br />

letztendlich Personalentscheidungen ökonomisch zu legitimieren. Eine Vernachlässigung<br />

dieser personalwirtschaftlichen Bedingung ist daher vielfach mit einem ineffizienten<br />

Einsatz von personalwirtschaftlichen Instrumenten und mit der Verschwendung<br />

knapper Ressourcen verbunden. Die Erkenntnisse der Tiefenpsychologie sollten<br />

nicht allein für die Personalwirtschaftslehre von Interesse sein, sondern auch in <strong>an</strong>deren<br />

Teilbereichen der Betriebswirtschaftslehre, wie beispielsweise der Entscheidungstheorie<br />

oder dem Marketing zu neuen Erkenntnissen führen können. Trotz der gewonnen<br />

Erkenntnisse müssen wegen des grundsätzlichen Charakters der Arbeit einige<br />

Punkte offen bleiben. So zeigt sich u.a., dass vor allem im Hinblick auf die empirische<br />

Fundierung der Ergebnisse noch erheblicher Forschungsbedarf besteht.<br />

Literatur:<br />

Staehle, W. H. (1994): M<strong>an</strong>agement: eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive. 7. Aufl., überarbeitet<br />

von Peter Conrad; Jörg Sydow. München 1994.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 535<br />

Wolfg<strong>an</strong>g Koppert<br />

Der H<strong>an</strong>dlungsspielraum von Personalreferentenstellen im<br />

Personalm<strong>an</strong>agement großer Industrieunternehmen *<br />

Betreuer:<br />

Prof. Dr. Dres. h.c. Eduard Gaugler, Universität<br />

M<strong>an</strong>nheim<br />

Die Dissertation beh<strong>an</strong>delt zwei zentrale Fragestellungen:<br />

Zum einen wird der Frage nachgeg<strong>an</strong>gen, wie sich die Dezentralisierung der<br />

Personalfunktion, ein derzeit breit diskutiertes Thema, im H<strong>an</strong>dlungsspielraum der<br />

Personalreferenten auswirkt. Zum <strong>an</strong>deren geht die Untersuchung auf die betriebliche<br />

Mitbestimmung als Rahmenbedingung des Personalm<strong>an</strong>agements ein. Der betrieblichen<br />

Mitbestimmung schreibt m<strong>an</strong> in Bezug auf die Org<strong>an</strong>isation der Personalfunktion<br />

einen zentralisierenden Effekt zu. Es stellt sich also die Frage, ob sich ein Sp<strong>an</strong>nungsfeld<br />

zwischen den Zentralisierungserfordernissen aus der betrieblichen Mitbestimmung<br />

und der Dezentralisierung der Personalfunktion ergibt und wie mit diesem<br />

Sp<strong>an</strong>nungsfeld org<strong>an</strong>isatorisch umzugehen ist.<br />

Die Untersuchung folgt dabei einer modell<strong>an</strong>alytischen Betrachtungsweise, deren<br />

Aussagen durch Sekundär<strong>an</strong>alyse und einer überschaubaren schriftlichen Befragung<br />

von 10 Industrieunternehmen mit Personalreferatssystemen fundiert wurden.<br />

Die Dezentralisierung der Personalfunktion betrifft zwei Dimensionen:<br />

Zum einen bezieht sie sich auf die Entscheidungsdelegation innerhalb des Personalressorts.<br />

Zum <strong>an</strong>deren geht es um das Ausmaß der Reintegration von Personalm<strong>an</strong>agementaufgaben<br />

in das Aufgabengebiet der Führungskräfte. Mit Hilfe<br />

dieser beiden Dimensionen lassen sich drei idealtypische Personalreferentenstellen<br />

mit entsprechenden H<strong>an</strong>dlungsspielräumen ableiten: die Personalreferentenstellen<br />

im zentralisierten und im dezentralisierten Personalreferatssystem sowie<br />

<br />

in einem Personalreferatssystem mit mittlerem Dezentralisierungsgrad.<br />

Der zweite Schwerpunkt der Dissertation widmet sich dem Einfluss bzw. den<br />

Wirkungen der betrieblichen Mitbestimmung auf die Org<strong>an</strong>isation der Personalfunktion<br />

bzw. den H<strong>an</strong>dlungsspielraum des Personalreferenten.<br />

Neben den direkten Änderungen im H<strong>an</strong>dlungsspielraum des Personalreferenten<br />

und der personalver<strong>an</strong>twortlichen Führungskräfte, die sich logisch aus den Rechtsnormen<br />

des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben, sind Schlussfolgerungen aus dem<br />

Umst<strong>an</strong>d zu ziehen, dass sich die betriebliche Mitbestimmung als sozialer Prozess<br />

vollzieht. In einigen personalwirtschaftlichen Entscheidungsprozessen tritt nun der<br />

Betriebsrat als weiterer Entscheidungs- und H<strong>an</strong>dlungsträger auf, der üblicherweise<br />

*<br />

Wolfg<strong>an</strong>g Koppert: Der H<strong>an</strong>dlungsspielraum von Personalreferenten im Personalm<strong>an</strong>agement<br />

großer Industrieunternehmen. ISBN 3-87988-741-1, <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, München u. Mering<br />

2003, 380 S., € 32,80.


536 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

ein Zielsystem mit <strong>an</strong>deren Schwerpunkten als die arbeitgeberseitigen Entscheidungsund<br />

H<strong>an</strong>dlungsträger vertritt. Damit ist das Risiko gegeben, dass die Entscheidungen<br />

nicht in Übereinstimmung mit dem Zielsystem des Arbeitgebers getroffen werden.<br />

Dieses grundlegende Risikopotential wird umso stärker zur Geltung gebracht, je größer<br />

die Unterschiede zwischen dem eigenen Zielsystem und dem des Betriebsrates<br />

sind und je stärker das Einflusspotential des Betriebsrates bzw. je schwächer das<br />

H<strong>an</strong>dlungspotential der arbeitgeberseitigen H<strong>an</strong>dlungsträger ausgeprägt ist. Im Kontext<br />

einer dezentralen Org<strong>an</strong>isation der Personalfunktion (dezentrales Personalreferatssystem<br />

1 ) und vertretungsstarken Betriebsräten werden nun mögliche Ursachen<br />

und Folgen für ein im Vergleich zum Betriebsrat defizitäres H<strong>an</strong>dlungs- und Einflusspotential<br />

der Arbeitgeberseite abgeleitet. Ferner werden einige Maßnahmen der<br />

formalen Org<strong>an</strong>isationsgestaltung diskutiert, die geeignet erscheinen, die aus dem defizitären<br />

H<strong>an</strong>dlungs- und Einflusspotential resultierenden Funktionsdefizite zu neutralisieren.<br />

Als zusammenfassendes Ergebnis wird festgehalten, dass die betriebliche Mitbestimmung<br />

und die Forderung nach Reintegration der Personalaufgaben widersprüchliche<br />

Anforderungen <strong>an</strong> die Org<strong>an</strong>isation der Personalfunktion stellen. Die Überlegungen<br />

zu den Einflussverhältnissen bei mitbestimmten personalwirtschaftlichen<br />

Entscheidungsprozessen machen deutlich, dass eine institutionalisierte Personalabteilung<br />

wichtige Funktionen wahrnehmen k<strong>an</strong>n, wie die Koordination einer in Kernfragen<br />

einheitlichen Personalpolitik, die Vermeidung von Ausstrahlungseffekten dezentraler,<br />

mitbestimmungspflichtiger Personalentscheidungen 2 sowie die Bereitstellung<br />

von Expertenwissen. Der Verzicht auf eine institutionalisierte Form des Personalm<strong>an</strong>agements<br />

ist daher nicht empfehlenswert. Selbst das dezentrale Personalreferatsmodell<br />

bringt unter bestimmten Bedingungen, die in der Struktur des Führungskräftekaders<br />

sowie der im Betrieb gepflegten Mitbestimmungspraxis zu sehen sind, erhebliche<br />

Risiken mit sich. Das Personalreferatssystem stellt aber eine Org<strong>an</strong>isationsform<br />

dar, welche aufgrund ihrer strukturellen Anpassungsfähigkeit eine ideale Plattform<br />

bietet, um adäquate Org<strong>an</strong>isationsstrukturen für die H<strong>an</strong>dhabung der skizzierten<br />

Rahmenbedingungen zu entwickeln.<br />

Mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes 2001 wurden Formen der dezentralen<br />

Org<strong>an</strong>isation der betrieblichen Mitbestimmung legitimiert. Ein weiterführender<br />

Forschungsbedarf könnte darin bestehen, die praktische Umsetzung dieser<br />

neuen Org<strong>an</strong>isationsformen zu beleuchten und zu überprüfen, ob damit die Anforderungen<br />

aus der betrieblichen Mitbestimmung <strong>an</strong> die Org<strong>an</strong>isation der Personalfunkti-<br />

1<br />

2<br />

In diesem Modell sind die Führungskräfte die zentralen arbeitgeberseitigen H<strong>an</strong>dlungsträger,<br />

während sich die Personalreferenten im Wesentlichen auf beratende Funktionen zurückziehen<br />

Ausstrahlungseffekte können auftreten, wenn der Betriebsrat dezentral getroffene Entscheidungen,<br />

die einzelne Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen besser stellen, über das Gebot<br />

der Gleichbeh<strong>an</strong>dlung auf das Gesamtunternehmen ausdehnt.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 537<br />

on mit der Forderung nach Dezentralisierung des Personalm<strong>an</strong>agements in Einkl<strong>an</strong>g<br />

gebracht werden können.<br />

Carsten Schwaab<br />

Effektive Urteilsprozesse. Eine empirische Untersuchung von<br />

Personalentscheidungen *<br />

Betreuer: Prof. Dr. Rolf Bronner, Universität Mainz<br />

1. Problemstellung und Ziele<br />

Urteilsprozesse spielen im unternehmerischen Alltag, insbesondere im Rahmen<br />

der Personalauswahl und der Personalbeurteilung, eine zentrale Rolle. Daher<br />

kommt dem Verständnis, welche Einflussfaktoren in welcher Form auf Urteilerleistungen<br />

wirken, ein zentrales ökonomisches Interesse zu. Die betriebswirtschaftlich<br />

orientierte Urteilsforschung beschäftigt sich allerdings vorr<strong>an</strong>gig mit Verfahrensgrundlagen.<br />

Die sozialpsychologische Urteilsforschung, die den Beurteiler als motivierten<br />

Strategen und sozialen Akteur auffasst, wird hingegen häufig vernachlässigt.<br />

Hier setzt die vorliegende Untersuchung <strong>an</strong>, indem sie personale sowie org<strong>an</strong>isationale<br />

Einflussfaktoren auf den Urteilsprozess des Entscheiders und deren Auswirkungen<br />

auf Urteilerleistungen zunächst theoretisch <strong>an</strong>alysiert und in einem<br />

zweiten Schritt empirisch prüft. Vor diesem Hintergrund lassen sich als wichtigste<br />

Teilfragen der Untersuchung ableiten:<br />

Welche Faktoren beeinflussen die Prozess- und Ergebniseffektivität von Beurteilungen<br />

und in welcher Weise wirkt sich dieser Einfluss aus?<br />

Welche Dimensionen von Urteilseffektivität sind für eine ökonomische Analyse<br />

her<strong>an</strong>zuziehen?<br />

Welche Rolle kommt der Informationsverarbeitung des Beurteilers im Urteilsprozess<br />

zu und durch welche Faktoren wird diese beeinflusst?<br />

Zur Be<strong>an</strong>twortung dieser Fragen wird ein Forschungsrahmen entwickelt, der als<br />

Urteilsdetermin<strong>an</strong>ten die Informationsqualität der Beurteilungsgrundlagen, die Ver<strong>an</strong>twortung,<br />

die kognitive Strukturiertheit und die Urteilserfahrung des Beurteilers<br />

enthält. Zur Abbildung des Urteilsprozesses dient der kognitive Urteilsaufw<strong>an</strong>d des<br />

Beurteilers. Die Urteilseffektivität wird über die Genauigkeit der Beurteilung, die<br />

Konsistenz über mehrere Beurteilungen hinweg, die Einsicht des Beurteilers in seine<br />

eigene Urteilsstrategie und die Kalibrierung der Urteilszuversicht des Beurteilers in<br />

seine Entscheidungsleistung operationalisiert.<br />

*<br />

Die Arbeit wurde vom Peter L<strong>an</strong>g-<strong>Verlag</strong> zur Publikation <strong>an</strong>genommen. Sie erscheint voraussichtlich<br />

im Herbst 2003 unter dem Titel „Effektive Urteilsprozesse“ in der Reihe ‚Schriften<br />

zur Empirischen Entscheidungs- und Org<strong>an</strong>isationsforschung‘ hrsg. von Prof. Dr. Rolf Bronner.


538 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong><br />

2. Theoretischer Rahmen<br />

Das Linsenmodell von Brunswik stellt einen allgemeinen deskriptiven Ansatz<br />

zur Interpretation von Urteilsprozessen dar und skizziert den methodischen Rahmen<br />

für die empirische Untersuchung der Arbeit. Weiterhin werden mit dem Ansatz der<br />

sozialen Informationsverarbeitung und dem ergänzenden Elaboration-Likelihood-<br />

Modell von Petty/Cacioppo zwei kognitive Theorien der Sozialpsychologie berücksichtigt,<br />

die sich zur Erklärung des Urteilerverhaltens auf Annahmen über nicht direkt<br />

beobachtbare innere Prozesse des Menschen stützen. Diese sind insbesondere zur Erklärung<br />

der Informationsverarbeitungsmotivation und -fähigkeit eines Beurteilers geeignet.<br />

Zur Analyse des Einflusses von Ver<strong>an</strong>twortung auf Beurteilungen wird das<br />

soziale Kontingenzmodell von Tetlock her<strong>an</strong>gezogen. Auf der Grundlage dieser Theorien<br />

werden detailliert vorliegende empirische Befunde der gen<strong>an</strong>nten Urteilsfaktoren<br />

diskutiert. Die vermuteten Zusammenhänge zwischen Determin<strong>an</strong>ten, Verlauf<br />

und Ergebnissen von Urteilsprozessen werden abschließend in einem umf<strong>an</strong>greichen<br />

Hypothesenmodell abgebildet.<br />

3. Methodik<br />

Als Forschungsform der empirischen Untersuchung wurde das Laborexperiment<br />

gewählt, <strong>an</strong> dem 102 studentische Versuchspersonen teilnahmen. Betrieblicher Anwendungsbereich<br />

für die experimentelle Gestaltung war die Personalvorauswahl, da<br />

diese im Rahmen der Urteilsforschung ein bisl<strong>an</strong>g vergleichsweise wenig erforschtes<br />

Gebiet darstellt. Es wurde eine spezielle Fallsimulation als experimentelle Beurteilungsaufgabe<br />

konzipiert. Konkrete Problemstellung war die Stellenbesetzung einer<br />

Nachwuchs-Führungskraft in einem großen Unternehmen. Die Versuchsperson hatte<br />

die Rolle eines Personalreferenten zu übernehmen.<br />

Ein Ziel der Untersuchung war es, Prozessvariablen zu erheben, die das Urteilsverhalten<br />

beziehungsweise die ‚black box’ der Informationsverarbeitung der Versuchsteilnehmer<br />

abbilden. Aus diesem Grund wurde ein Policy Capturing-Ansatz<br />

gewählt, mit dessen Hilfe es möglich ist zu erkennen, in welcher Weise Entscheidungsträger<br />

verfügbare Informationen nutzen, wenn sie Beurteilungen vornehmen.<br />

Der Zweck der Methodik liegt in der Erfassung der Entscheidungsstrategien von Beurteilern<br />

und ermöglicht insbesondere eine Messung von Abweichungen im subjektiv<br />

wahrgenommen Entscheidungsverhalten.<br />

4. Wichtigste Ergebnisse<br />

Als ausgewählte Befunde der Untersuchung können festgehalten werden:<br />

Die Erfahrung des Beurteilers besitzt den stärksten Einfluss auf die Urteilseffektivität.<br />

Durch die Urteilserfahrung werden sowohl die Urteilsgenauigkeit wie<br />

auch die Urteilskonsistenz und zum Teil auch die Urteilseinsicht des Beurteilers<br />

positiv beeinflusst. Im Einkl<strong>an</strong>g mit früheren empirischen Untersuchungen werden<br />

die Ergebnisse dahingehend interpretiert, dass bei erfahreneren Beurteilern<br />

geeignetere Beurteilungsschemata vorliegen.


Zeitschrift für <strong>Personalforschung</strong>, 17. Jg., Heft 4, 2003 539<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Die Informationsqualität der Beurteilungsgrundlagen stellt ebenfalls eine einflussreiche<br />

Variable bezüglich der Beurteilerleistungen dar. Es wird hypothesenkonform<br />

gezeigt, dass durch sie die Urteilsgenauigkeit und die Urteilseinsicht<br />

eines Beurteilers positiv beeinflusst werden. Die Beurteiler sind bei Informationsmerkmalen<br />

hoher Informationsgüte besser in der Lage, genaue Leistungseinschätzungen<br />

von Stimuluspersonen vorzunehmen. Zudem führt eine hohe<br />

Informationsqualität, das heißt günstige Urteilsbedingungen, zu einer Aktivierung<br />

der vorh<strong>an</strong>denen Beurteilerpotentiale.<br />

Hinsichtlich der Ver<strong>an</strong>twortung des Beurteilers zeigen sich differenzierte Befunde:<br />

Die Gesamtbetrachtung aller Ver<strong>an</strong>twortungsbefunde lässt den Schluss<br />

zu, dass Ver<strong>an</strong>twortung generell zu einer Strategie der defensiven Absicherung<br />

eines Beurteilers führt, bei der eine nachträgliche Legitimation der getroffenen<br />

Entscheidungen vor einer Rechenschaftsinst<strong>an</strong>z berücksichtigt wird. Weiterhin<br />

ergibt sich durch hohe Ver<strong>an</strong>twortung keine ungerechtfertigte Entscheidungszuversicht<br />

des Beurteilers.<br />

Die kognitive Strukturiertheit des Beurteilers spielt in Urteilsprozessen eine untergeordnete<br />

Rolle.<br />

Die individuellen Urteilsstrategien aller Versuchspersonen können am geeignetsten<br />

durch relativ simple, linear-additive multiple Regressionsfunktionen<br />

nachvollzogen werden.<br />

Der kognitive Urteilsaufw<strong>an</strong>d stellt einerseits eine geeignete Variable zur Abbildung<br />

des Urteilsprozesses dar, <strong>an</strong>dererseits reicht sie nicht aus, die informationsverarbeitenden<br />

Vorgänge eines Beurteilers im Urteilsprozess vollständig zu<br />

erfassen.<br />

5. Zukünftiger Forschungsbedarf und praktische Implikationen<br />

Die Untersuchungsergebnisse werden in der Arbeit aus theoretischer und methodischer<br />

Perspektive diskutiert. Drei Punkte sollen hier hervorgehoben werden:<br />

Weiterer Forschungsbedarf wird erstens für die Variable der Ver<strong>an</strong>twortung des Urteilers<br />

identifiziert, da zentrale Annahmen des sozialen Kontingenzmodells von Tetlock<br />

in der empirischen Untersuchung nicht bestätigt werden konnten. Zweitens dürfte<br />

die zukünftige Analyse einschränkender situativer Urteilsbedingungen, wie zum<br />

Beispiel der Einfluss hohen Zeitdrucks des Urteilers, vielversprechend sein. Drittens<br />

erscheint die noch nicht hinreichend geklärte Fragestellung interess<strong>an</strong>t, in welcher<br />

Form sich Urteilerleistungen über einen längeren Zeitraum hinweg entwickeln und<br />

verändern können.<br />

Aus den Forschungsergebnissen der Untersuchung werden abschließend verschiedene<br />

praktische Gestaltungshinweise entwickelt. Die Überlegungen beziehen<br />

sich auf Maßnahmen zur Sicherung einer hohen Qualität der Beurteilungsgrundlagen<br />

und auf die Vermeidung von Ver<strong>an</strong>twortungsdiffusion in betrieblichen Urteilsprozessen<br />

sowie auf den Nutzen von Beurteilertrainings.

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