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AG 18: Ausdruck und Verstehen

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II. IMPLIKATE DES HABITUS-GEDANKENS<br />

1. Feld - Ähnlichkeit - Erkenntnisinteresse<br />

Der Gedanke des sozialen Feldes als Matrix von Kunst ist bereits von Gregor Paulsson<br />

(1943/deutsch 1955) entwickelt worden, der eine soziale Werttheorie, eine feldtheoretische<br />

Terminologie <strong>und</strong> eine ‚feldtheoretische Methode‘ zum Verständnis der Kunst fordert 48 . Ob<br />

Bourdieu dessen Versuche gekannt hat, ist ungewiss 49 . Der Hinweis auf diese wahrscheinlich<br />

nicht durch bewusste Kenntnisnahme zustande gekommene Ähnlichkeit, wäre selbst<br />

‚feldtheoretisch‘ zu reflektieren.<br />

Der Begriff des Feldes als sozialem Raum meint bei Bourdieu, dass hochdifferenzierte<br />

Gesellschaften sich in verschiedene relativ autonome soziale Räume, Mikrokosmen, gliedern,<br />

die er Felder - etwa das politische, das religiöse, das ökonomische Feld - nennt. Sie haben ihre<br />

jeweils eigene Logik <strong>und</strong> Dynamik 50 . Gleichwohl sind die Felder als Felder einander<br />

homolog, worin Bourdieu die Bedeutung des Feldbegriffs als eines sozialen<br />

Erkenntnisinstruments begründet, da „den methodischen Modellübertragungen, die auf der<br />

Hypothese fußen, daß zwischen den Feldern strukturelle <strong>und</strong> funktionale Homologien<br />

existieren, eine eminente heuristische Kraft (eignet), die die gesamte epistemologische<br />

Tradition der Analogie zuerkannt hat“ 51 . Diesem Denkansatz struktureller Ähnlichkeiten<br />

verdankt sich z.B. ein Begriff wie ‚symbolisches Kapital‘. Das gemeinsame Dritte dieser<br />

Analogie sind die ‚akkumulierten Kräfte‘, denn für den Feldbegriff ist Kraft, Energie,<br />

bestimmend.<br />

Dass die Herstellung, Entdeckung von Ähnlichkeiten auch für seinen Denkstil von Bedeutung<br />

ist, zeigt eine Bemerkung Bourdieus, derzufolge Ähnlichkeiten im Denken herzustellen auch<br />

bedeuten kann, soziale Selbstbehinderungen des Denkens aufzulösen 52 .<br />

In der Auflösung solcher Selbstbehinderungen des Denkens zeichnet sich bereits das<br />

entscheidende Erkenntnisinteresse Bourdieus ab. Ihm geht es mit der Aufklärung über den<br />

Habitus, das ‚kollektive Unbewusste“, um die wirkliche Konstituierung des Subjekts als<br />

Aufklärung über die das Subjekt konstituierenden Bedingungen 53 . Dies betont Bourdieu mit<br />

Nachdruck: „Die anthropologische Wissenschaft verlohnte nicht die Mühe einer einzigen<br />

48 Paulsson spricht von ‚Kraftnetz‘, von einem ‚dynamischen soziologischen ‚Feld‘, welches das Kunstwerk<br />

erschafft, konstituiert, in seiner Vielfalt jedoch nie ganz zu fassen ist (Vgl. Pochat, G., Der Symbolbegriff in<br />

Ästhetik <strong>und</strong> Kunstwissenschaft. Köln 1983, <strong>18</strong>8-196).<br />

49 Pochat weist auf die frappante Nähe dieses Entwurfs zu Bourdieu hin, wenngleich dessen politische<br />

Konsequenzen erst bei Bourdieu zutage treten (Pochat, 196).<br />

50 Als Beispiel sei das künstlerische <strong>und</strong> ökonomische Feld genannt: „So sperrt sich das Feld der Kunst in seinen<br />

avanciertesten Formen gegen das Gesetz des materiellen Interesses, wohingegen das ökonomische Feld sich<br />

gerade als ein Universum ausgebildet hat, in dem, wie man so schön sagt, ‚Geschäft nun mal Geschäft‘ ist“<br />

(Bourdieu, 1989, 72), (Vgl. zu dieser Relation auch Graw, I., Ein Interview mit Pierre Bourdieu von 1996. Was<br />

bin ich? ferner: Jurt, J., Die Theorie des literarischen Feldes, 3. Göttinger Workshop zur Literaturtheorie,<br />

01.07.2005 ).<br />

51 Bourdieu, 1997, 69<br />

52 „Eine der Sachen, die die Soziologie mich gelehrt hat, ist, daß die Hindernisse der Erkenntnis oft sozialer Art<br />

sind. Es gibt beispielsweise Verbindungen zwischen Begriffen oder zwischen Autoren, die man nicht herstellen<br />

darf, weil diese Begriffe oder jene Autoren Welten angehören, die sich gegenseitig ausschließen. Ich habe mein<br />

Leben lang Mesalliancen zwischen den Begriffen gestiftet, indem ich Cassirer mit Durkheim, Kant mit Marx,<br />

Weber mit Marx, Marx mit Durkheim usw. verb<strong>und</strong>en haben, <strong>und</strong> jedesmal hatte ich das Gefühl, daß es ganz<br />

<strong>und</strong> gar gesellschaftliche Gründe waren, die die Leute daran hinderten zu sehen, daß diese Autoren dasselbe<br />

sagten oder die zwei Seiten einer Sache zum <strong>Ausdruck</strong> brachten“ (Bourdieu, 1989, 11).<br />

53 Eine solche Soziologie „bietet das vielleicht einzige Mittel, <strong>und</strong> sei es auch nur über das Bewußtsein der<br />

Determiniertheiten, dazu beizutragen, etwas wie ein Subjekt zu konstituieren, eine Aufgabe, die sonst den<br />

Kräften der Welt anheimfällt“ ( Bourdieu, 1987 b, 44/5).

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