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1<br />
Renate von Schnakenburg<br />
ZUR KONVERGENZ VON ÄSTHETIK UND SOZIALITÄT<br />
Überarbeitetes Skript des Vortrags zum 6. B<strong>und</strong>eskongress Soziale Arbeit<br />
Münster am 23.09.2005<br />
(Vortragstitel: <strong>Ausdruck</strong> <strong>und</strong> <strong>Verstehen</strong> - Gr<strong>und</strong>anliegen einer Ästhetik in der Sozialen Arbeit)<br />
Adresse der Autorin:<br />
Prof. Dr. Renate von Schnakenburg<br />
Evangelische Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe<br />
Immanuel-Kant-Str. <strong>18</strong> – 20<br />
44803 Bochum<br />
http://www.efh-bochum.de/homepages/schnakenburg/index.html<br />
e-mail:schnakenburg@efh-bochum.de<br />
© R.v. Schnakenburg 2005
2<br />
INHALT<br />
3 I. ÄSTHETIK UND SOZIALITÄT: EIN BLICK IN AKTUALITÄT UND GESCHICHTE<br />
3 1. Aktualität<br />
4 2. Geschichte: Warburg - Panofsky<br />
7 3. Habitus: Panofsky - Bourdieu<br />
10 II. IMPLIKATE DES HABITUS-GEDANKENS<br />
10 1. Feld - Ähnlichkeit - Erkenntnisinteresse<br />
11 2. Habitus - <strong>Verstehen</strong> - Leib<br />
12 3. Exkurs: Körper/Leib<br />
12 4. Habitus - Zeit - Prolepsis<br />
16 III. MIMESIS<br />
16 Vorbemerkung: Mimesis bei Bourdieu<br />
16 1. Mimesis: Historische Anthropologie<br />
19 2. Mimesis: Phänomenologische Anthropologie<br />
20 3. Mimesis: Neurophysiologie<br />
22 IV. DIE EINHEIT DER SINNE: SELBSTÄHNLICHKEIT DER MIMESIS<br />
22 1. Phänomenologie: die Kategorien leiblicher Partizipation<br />
24 2. Empirie: Transmodale Wahrnehmung <strong>und</strong> soziale Abstimmung<br />
25 3. Rückbezug zur Logik der Praxis Bourdieus<br />
26 V. ÄSTHETIK: INKARNATION UND EXKARNATION<br />
26 1. Ein Blick in die Geschichte früher Hochkulturen<br />
28 2. Gegenwart: Graffitti<br />
30 3. Ästhetik <strong>und</strong> das Feld des Möglichen<br />
32 LITERATUR
3<br />
I. ÄSTHETIK UND SOZIALITÄT: EIN BLICK IN AKTUALITÄT UND GESCHICHTE<br />
1. Aktualität<br />
Die Frage nach dem Zusammenhang von Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität verweist auf vielfältige<br />
Denkhorizonte. So eröffnet etwa die ‚Neue-Medien-Diskussion‘ ein sich ständig bewegendes,<br />
immer Neues generierendes Denkfeld. Die Frage nach der Ästhetisierung der Gesellschaft in<br />
ihren verschiedenen Ausformungen schließt sich an, <strong>und</strong> selbst im traditionellen Kontext<br />
Kunst zeigte sich z. B. die letzte Documenta_11 in einem zutiefst politischen Sinne 1 als<br />
Konvergenzprojekt von Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität. Die dort realisierte Arbeit von Thomas<br />
Hirschhorn war nachgerade eine sozial-ästhetische Arbeit, in welcher der Versuch gemacht<br />
wurde, die Grenze des Feldes Kunst zu öffnen 2 .<br />
Hier soll es jedoch nicht um Fragen der Künste <strong>und</strong> ihrer Felder gehen, sondern darum, das<br />
Vermögen, in welchem Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität konvergieren, aufzuweisen.<br />
Die Begriffe <strong>Ausdruck</strong> <strong>und</strong> <strong>Verstehen</strong> bilden einen ersten Hinweis darauf. Der Begriff<br />
‚Nonverbale Kommunikation‘ führt weiter in diese Richtung. Scheinbar alltägliche<br />
Selbstverständlichkeit erweist sich dieses Vermögen jedoch, wie die meisten<br />
Selbstverständlichkeiten, wenn man über sie nachdenkt, als komplexes Phänomen. Die Frage<br />
nach dem <strong>Verstehen</strong> kulturell andersartiger, fremder <strong>Ausdruck</strong>sformen impliziert aber auch<br />
die Möglichkeit des Nichtverstehens <strong>und</strong> führt weiter zur Frage ‚historischen‘<br />
<strong>Ausdruck</strong>sverstehens bis hinein in die Bereiche kulturellen <strong>und</strong> kollektiven Gedächtnisses.<br />
Ich setze zur Klärung der Frage nach dem Vermögen, in welchem Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität<br />
konvergieren, am Gedanken des Leibes/Körpers als primärer Gegebenheit an. Dieses<br />
Vorverständis meint dessen Eingelassenheit in die Welt als primordialer Partizipation <strong>und</strong><br />
entsprechend inkarnierter Sozialität. Der Gr<strong>und</strong>gedanke, dem ich hier folge, geht darauf<br />
hinaus, das Ästhetische, einschließlich der ‚Neuen Medien‘, als <strong>Ausdruck</strong> <strong>und</strong> Erscheinung<br />
eben dieser, dem Denken voraus- <strong>und</strong> zugr<strong>und</strong>eliegenden Beziehung von Leib/Körper <strong>und</strong><br />
sozialer Welt zu begreifen. Das heißt den ‚blinden Fleck‘ des Denkens im Ästhetischen zu<br />
denken, einer Erkenntnisform jedoch, die sich nur im Vollzug zu erkennen gibt.<br />
Der Gedankengang führt über den Begriff des Habitus zur Mimesis als implizitem Wissen <strong>und</strong><br />
dessen Erscheinungen im Sozialen <strong>und</strong> Ästhetischen.<br />
1 Die vier verschiedenen - nicht nur - vorbereitenden Plattformen als Diskussionsforen, haben die aktuellsten<br />
Fragen der globalen gesellschaftlichen Wirklichkeit aufgegriffen. Erst in Plattform 5 erschien die Kasseler<br />
Ausstellung als Kontext ‚Kunst‘.<br />
2 Hirschhorns Projekt ist keiner vertrauten Präsentationsform zuzuordnen. Man könnte vom ‚Bataille Monument‘<br />
als einem Kulturprojekt zu Ehren Georges Batailles sprechen. Dazu gehören: Bibliothek, Video etc. in<br />
kurzlebigen Bauten, draußen ein in Hirschhornmanier mit Klebeband aus Abfallmaterialen hergestellter Baum.<br />
Dem ‚Kultur‘-Projekt scheint jedoch die Wöhler-Siedlung als Ort dieses Projektes zu widersprechen. Sie ist ein<br />
Arbeiterquartier mit einem hohen Ausländeranteil. Mit Bewohnern dieses Quartiers hat Hirschhorn das Projekt<br />
aufgezogen, die Bauten gezimmert <strong>und</strong> sie mit einem festen St<strong>und</strong>enlohn bezahlt. Manche haben weiter bei der<br />
Betreuung des Projektes mitgearbeitet. Hirschhorn selbst versteht sich nicht als Sozialarbeiter, schon gar nicht<br />
als Heilsbringer. Er begreift sich als ästhetischer Arbeiter, der sich die Hilfe holt, die er braucht <strong>und</strong> dafür<br />
bezahlt. In diesem sozialen Kontext sieht er sich als Mitverantwortlicher <strong>und</strong> Ansprechperson für alltägliche<br />
Probleme. Ästhetisches Programm ist gleichwohl die Konfrontation mit dem ‚Kulturheroen‘ Bataille. Ob <strong>und</strong><br />
wie diese soziale Dimension des Projektes mit Batailles Gedanken der ‚Verausgabung‘, ‚Verschwendung‘<br />
zusammenzudenken wären, ist eine neue Frage (Vgl. Documenta 11 Plattform 5: Ausstellungsorte, Ostfildern-<br />
Ruit 2002, Vgl. S. Saéz de Guinoa Waltinger, Thomas Hirschhorns Bataille-Monument auf der Documenta 11,<br />
kunsttexte.de 3/2002).
4<br />
2. Geschichte<br />
Aby Warburg<br />
Zu den ersten Denkansätzen, welche die Konvergenz von Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität über den<br />
Körper/Leib denken, gehört Aby Warburg (<strong>18</strong>66-1926), einer der ‚Gründerväter‘<br />
interdisziplinärer Kulturwissenschaft 3 . In einem Brief an Cassirer hat Warburg dieses<br />
gemeinsame Anliegen als „allgemeine Kulturwissenschaft als Lehre vom bewegten<br />
Menschen“ formuliert 4 . So ist hier Bewegung, d. i. Zeit, wesentlicher Erkenntnis-<br />
’Gegenstand‘, der bei Warburg vor allem als Nachwirken der Vergangenheit gedacht wird.<br />
Die von ihm geprägten Begriffe Pathosformeln, Muskelrhetorik 5 <strong>und</strong> soziale Mneme 6 ,<br />
soziales Gedächtnis, verweisen auf den Leib/Körper als Medium, in dem sich nicht nur ein<br />
intentionales Subjekt, sondern auch inkarnierte Geschichte artikuliert.<br />
Der Begriff Pathosformel 7 , in kulturhistorischer Perspektive entwickelt, zeigt sich z.B. im<br />
Nachwirken, ja Durchbrechen, älterer, griechischer Kultur entstammender Gesten - als<br />
dynamischen Zuständen verstanden - in der Kunst der Renaissance. Ein anderer Schwerpunkt,<br />
das Nachwirken des Sternenglaubens <strong>und</strong> dessen Aufweis in Kunst <strong>und</strong> Geschichte 8 , gehören<br />
zum später entwickelten Gedankenkreis des sozialen Gedächtnisses.<br />
Panofsky<br />
Der Kern dieser Gedanken hat explizit <strong>und</strong> implizit weitergewirkt. Der Kunsthistoriker Erwin<br />
Panofsky (<strong>18</strong>92-1968), zum Warburgkreis zugehörig, knüpft etwa in seiner Forschung zu<br />
Dürer explizit an diese Tradition an, wenn er dort von Pathosmotiven spricht 9 .<br />
In anderer Weise wird Warburgs Gedanke der Bewegung über Panofsky zum Auslöser einer<br />
neuen Denkfigur bei Pierre Bourdieu (1930-2002). Panofsky operiert in seiner Arbeit über<br />
Gotische Architektur <strong>und</strong> Scholastik mit dem – aus der Scholastik stammenden – Begriff<br />
Habitus 10 . Hier zeigt Panofsky Ähnlichkeiten, Analogien, in Architektur u.a. <strong>und</strong><br />
scholastischer Denkweise, die den Habitus dieser Epoche bestimmen.<br />
Panofsky selbst hat den Begriff des Habitus als mental habit 11 eingeführt. Die deutsche<br />
Übersetzung als Denkgewohnheit trifft den Sinn nicht optimal, insofern Panofsky selbst den<br />
Begriff „in seinem exakten scholastischen Sinne als ‚Prinzip’, das das Handeln regelt‘,“ 12<br />
3 Vgl. Roeck, Bernd, Psychohistorie im Zeichen Saturns. Aby Warburgs Denksystem <strong>und</strong> die moderne<br />
Kulturgeschichte, in: Hartwig W., Wehler, H.-U. (Hrsg.), Kulturgeschichte Heute (Geschichte <strong>und</strong><br />
Gesellschaft, Sonderheft 16), Göttingen 1996, S. 231-254<br />
4 zit. n. Krois, M., 2001, 1<br />
5 Vgl. Warburg, A., Italienische Kunst <strong>und</strong> Internazionale Astrologie im Palazzo Schifanoja zu Ferrara, in:<br />
Wuttke, D., Aby Warburg. Ausgewählte Schriften <strong>und</strong> Würdigungen, Baden – Baden 1980, 173<br />
6 Vgl. hierzu insbesondere: Warburg, A., Einleitung zu Mnemosyne (1929), in: Warnke, M. (Hrsg.), Brink, C.,<br />
Aby Warburg, Der Bilderatlas Mnemosyne, Gesammelte Schriften. Studienausgabe, Band II. 1, Berlin 2000, pp.<br />
3-6<br />
7 Reck, H.-U., Pathosformeln, Schwingungsgrade, energetische Messungen: Aby Warburg als Anreger für<br />
Motivmontagen. Kunstforum Bd. 14, 1991, 198-213, ders. ebd., 214-225, Vgl. auch Krois, M., 2001<br />
8 Vgl. z. B. Warburg, A. M., Italienische Kunst <strong>und</strong> internationale Astrologie im Palazzo Schifanoja zu Ferrara,<br />
sowie: Heidnisch-antike Weissagung in Wort <strong>und</strong> Bild zu Luthers Zeiten, in: Wuttke, D. (Hrsg.), 1980.<br />
9 Vgl. Panofsky, Dürers Stellung zur Antike, in: Panofsky, E., Sinn <strong>und</strong> Deutung in der bildenden Kunst, Köln<br />
1996, 276<br />
10 Die Scholastiker wiederum übersetzten den alten aristotelischen Begriff der Hexis, „die inkorporierte,<br />
gleichsam haltungsmäßige Disposition“, mit Habitus (Bourdieu, P., Zur Genese der Begriffe Habitus <strong>und</strong> Feld,<br />
in: Der Tote packt die Lebenden, Schriften zu Politik & Kultur 2, Hamburg 1997, 62).<br />
11 Frangenberg, Th., in: Panofsky, E., Gotische Architektur <strong>und</strong> Scholastik, zur Analogie von Kunst, Philosophie<br />
<strong>und</strong> Theologie im Mittelalter, Köln 1989, 117<br />
12 ‚principium importans ordinem ad actum‘, Panofsky, 1989, <strong>18</strong>
5<br />
definiert. Mit der Frage, wie der von der Scholastik angeregte mental habit die Architektur<br />
beeinflusst haben kann, geht es nicht um den Inhalt scholastischer Philosophie, sondern um<br />
deren modus operandi 13 , um ihr Vorgehen, ihre Struktur <strong>und</strong> den Stil dieses Denkens.<br />
Das Beispiel der Bedeutung der Klarheit, Artikuliertheit, scholastischer Denkweise macht<br />
dies deutlich: „Direkt beeinflußte diese Denkweise alle Künste. Wie die Musik durch eine<br />
genaue <strong>und</strong> systematische Zeiteinteilung artikuliert wurde (die Mensuralnotation, die bis<br />
heute verwendet wird <strong>und</strong> die man, zumindest in England, noch mit den Originaltermini wie<br />
‚breve‘, ‚semibreve‘, ‚minim‘ usw. belegt, wurde im 13. Jahrh<strong>und</strong>ert durch die Schule von<br />
Paris eingeführt), so wurden die bildenden Künste vermittels einer genauen <strong>und</strong><br />
systematischen Raumunterteilung artikuliert, was zu einer ‚Klarheit um der Klarheit willen‘<br />
im narrativen Kontext der darstellenden Künste <strong>und</strong> im funktionalen Kontext der Architektur<br />
führte“ 14 . Ein anderes Beispiel zeigt die Dauer des Nachwirkens scholastischen Denkens in<br />
der französischen Kultur 15 .<br />
Es geht also nicht um die Semantik, sondern um die Syntax, wenn man diesen<br />
sprachtheoretischen Vergleich verwenden will. Diese Syntax ist aber eine Weise der<br />
Strukturierung, Artikulation, <strong>und</strong> eine Weise der ‚Bewegung‘, die, wie Panofsky zeigt, eben<br />
auch in anderen Darstellungsräumen wie der Architektur erscheinen kann. Neben einer Fülle<br />
anderer Elemente zeigt Panofsky eine solche Ähnlichkeit im „Aufbau gemäß einem System<br />
von homologen Teilen <strong>und</strong> Teilen der Teile“, welche die Scholastik von einem Text forderte,<br />
in der gotischen Architektur: Anstelle der in der Romanik noch vielfältigen<br />
verschiedenartigen, östlichen <strong>und</strong> westlichen Gewölbeformen, tritt nun in der Gotik<br />
ausschließlich das „neuentwickelte Rippengewölbe, so daß sich selbst die Gewölbe der<br />
Apsis, der Seitenkapellen <strong>und</strong> des Ambulatoriums nicht länger von denen des Langhauses<br />
unterscheiden“ 16 .<br />
Dieser Ansatz der Ähnlichkeiten ist, wie Panofsky selbst schon vermutete 17 , im Rahmen der<br />
Kunstgeschichte auf wenig Verständnis gestoßen <strong>18</strong> . Das scheint mir seinen Gr<strong>und</strong> darin zu<br />
haben, dass in diesem Ansatz eine Wahrnehmung notwendig ist, die es vermag, Texte nicht<br />
nur von ihrem Inhalt, sondern auch von ihrer Struktur, ihrer Bewegung, ihrem Stil her zu<br />
erfassen, <strong>und</strong> diese Wahrnehmung ist der semantisch-sprachlich-vermittelten vorgelagert,<br />
anders strukturiert (Vgl. u. IV, Selbstähnlichkeit der Mimesis).<br />
Die Diskussion der Frage, inwieweit solche Ähnlichkeiten in Hochgotik <strong>und</strong> Scholastik<br />
kausal erklärt werden können, stelle ich hier zurück. Panofsky selbst beantwortet sie in einem<br />
modifiziert bewusstseinsphilosophischen Sinne 19 . Die Frage ist aber angesichts der<br />
13 Panofsky, 1989, 22<br />
14 Panofsky, 1989, 29<br />
15 Die scholastische Methode besteht in einem Dreierschritt: Klares Herausarbeiten der Fragen (Quaestio),<br />
scharfe Abgrenzung <strong>und</strong> Unterscheidung der Begriffe (Distinctio), logisch geformte Beweise sowie Erörterung<br />
der Gründe <strong>und</strong> Gegengründe in formstrenger Disputation (BE, Bd. 19, 1992, 478). Bourdieu spricht vom<br />
Dreier-Muster: These, Antithese <strong>und</strong> eine Art von Synthese, das, eine der nationalen Traditionen, jeder<br />
französische Student als implizites Muster einer Abhandlung anwendet. Diese Struktur geht, so Bourdieu, auf die<br />
Summa Thomas von Aquins zurück, „die Panofsky wiederum in der gotischen Kathedrale ausgemacht hat [...]<br />
mit anderen Worten, man kann eine Genealogie der geistigen Strukturen ausmachen“ (Bourdieu, P., Satz <strong>und</strong><br />
Gegensatz, Über die Verantwortung des Intellektuellen, Berlin 1989, 10).<br />
16<br />
Demgegenüber operierte die Romanik noch mit den verschiedenen Formen von Kreuzgratgewölbe,<br />
Rippengewölbe, Tonnengewölbe, Kuppeln <strong>und</strong> Halbkuppeln (Panofsky, 1989, 32).<br />
17 So bemerkt er im Vorwort: „Es ist deshalb mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß auch dieser<br />
vorsichtige Versuch, gotische Architektur <strong>und</strong> Scholastik miteinander in Beziehung zu setzen, sowohl von den<br />
Kunst- als auch den Philosophiehistorikern mit Mißtrauen aufgenommen werden wird“ (Panofsky, 1989, 7/8).<br />
<strong>18</strong> Frangenbergs Eröffnungssatz zum Nachwort endet mit der Feststellung, dass hier „eines der problematischen<br />
Bücher Panofskys vorgelegt wird“ (Frangenberg in: Panofsky, 1989, 115). Dieser Differenz ist wohl auch<br />
geschuldet, dass die Kritik sich z.T. an der für diesen Kerngedanken wenig relevanten Fragen einführte (Vgl.<br />
auch Bourdieu, 1970, Fn 17, 136/7).<br />
19 Panofsky will nicht sagen, dass der „Einfluss der Denkweise“, des mental habit als Kausalbeziehung im Sinne<br />
des Nachweises individuellen Einflusses von Philosophen auf Architekten zu verstehen sei, sondern diese
6<br />
aufgewiesenen Ähnlichkeiten des modus operandi gar nicht von primärer Bedeutung.<br />
Vielmehr muss man die Frage stellen, wie denn solche Ähnlichkeiten sich herstellen. In der<br />
Lektüre gewinnt man den Eindruck, als ob in Panofskys Text selbst, unformuliert, eine<br />
Differenz, ein Spalt zwischen seinem Sinn für den Habitus - als Sinn für Ähnlichkeiten - <strong>und</strong><br />
seinem Denken des Habitus 20 aufklafft.<br />
Gleichwohl käme das - nicht bewusstseinsphilosophisch verengte - Weiterführen der<br />
scholastischen Definition‚ als ‚Prinzip, das das Handeln regelt‘, im Verb<strong>und</strong> mit Panofskys<br />
Verweis auf die sinnliche Wahrnehmung als Erkenntnis, die er mit Thomas von Aquin <strong>und</strong><br />
Arnheim postuliert 21 , dieser Frage näher. Sie hätte vermutlich auch eine Antwort auf das<br />
gegeben, was Panofsky in den drei Schichten der Ikonographie 22 als dritte Sinnschicht<br />
charakterisiert hat: Diese wird erfasst, „indem man jene zugr<strong>und</strong>e liegenden Prinzipien<br />
ermittelt, die die Gr<strong>und</strong>einstellung einer Nation, einer Epoche, Klasse, einer religiösen oder<br />
philosophischen Überzeugung enthüllen, unbewußt modifiziert durch ein Persönlichkeit <strong>und</strong><br />
verdichtet in einem einzigen Werk“ 23 . Dieser Gedanke der ‚Gr<strong>und</strong>einstellung‘ ist mit dem des<br />
Habitus weitgehend deckungsgleich.<br />
Wie wird diese Gr<strong>und</strong>einstellung nun erkannt? „Um diese Prinzipien zu erfassen, benötigen<br />
wir eine geistige Fähigkeit, die derjenigen eines Diagnostikers vergleichbar ist – eine<br />
Fähigkeit, die ich nicht besser beschreiben kann als durch den ziemlich in Mißkredit<br />
geratenen <strong>Ausdruck</strong> ‚synthetische Intuition‘ <strong>und</strong> die in einem begabten Laien besser<br />
entwickelt sein kann als in einem belesenen Gelehrten“ 24 .<br />
Warum das? Diese Fähigkeit ist anders strukturiert als die begriffliche Sprache. Dass auch ein<br />
‚belesener Gelehrter‘ diese Fähigkeit hat, hat Panofsky mit <strong>und</strong> durch seine Arbeit über<br />
Gotische Architektur <strong>und</strong> Scholastik gezeigt. Es ist die Fähigkeit, in disparaten<br />
Wahrnehmungs- <strong>und</strong> Darstellungsbereichen Ähnlichkeiten zu entdecken. Dieses Vermögen<br />
der „Entdeckung verborgener Ähnlichkeiten“ hat Koestler als die logische Struktur<br />
Ursache-Wirkung-Beziehung „entsteht durch allgemeine Verbreitung, nicht durch direkte Einflußnahme. Sie<br />
erwächst aus der Ausbreitung“ (Panofsky 1989, <strong>18</strong>) eben des (mental) habit.<br />
Der Frage nach der ‚Ursache‘ scheint ein unausgesprochenes Vorverständnis vorauszuliegen, als könnten solche<br />
Ähnlichkeiten nur als intentionale Übertragungen, als imitatio von Gedanken sozusagen, zustande kommen. Eine<br />
solche Vorannahme verhindert aber weitere Fragen nach diesem Vermögen. In dieser Vorannahme scheint mir<br />
auch das Problem des Missverstehens zu liegen, wenn Frangenberg anmerken kann, dass „Panofskys<br />
Hauptaugenmerk [...] auf dem bewußten Denken der Scholastiker wie der Architekten“ liegt (Frangenberg, in:<br />
Panofsky, 1989, 122/3).<br />
20 Er spricht vom Habitus auch als „überstrapazierte(m) Schlagwort“, um es dann durch die scholastische<br />
Definition, „als Prinzip, das das Handeln regelt“ (Panofsky, 1989, <strong>18</strong>) eben zu definieren.<br />
21 So verweist er etwa mit Petrarca auf den Eigenwert sprachlicher Klangestalten (voll, hohl), um dann mit<br />
Arnheim auf die ‚Intelligenz der Sinne‘, der Wahrnehmung, zu sprechen zu kommen, „welche die<br />
Wahrnehmungsgegenstände nach dem Muster einfacher ‚guter’ Gestalten ordnet, in dem ‚Bemühen des<br />
Organismus, Stimuli seiner eigenen Strukturierung zu assimilieren‘. Dies ist eine moderne Formulierung dessen,<br />
was Thomas von Aquin meinte, als er schrieb: ‚Die Sinne erfreuen sich an den wohlproportionierten Dingen, da<br />
diese etwas sind, das ihnen ähnlich ist; denn auch die Sinne sind eine Art von Vernunft, wie jede kognitive<br />
Kraft.‘(‚Sensus delectantur in rebus debite proportionatis sicut in sibis similibus; nam et sensu ratio quaedem<br />
est, et omnis virtus cognoscivita.‘) (Panofsky, 1989, 28). Hier ist bereits der Gedanke der ÄHNLICHKEIT<br />
vorformuliert, ohne dass er ausgeführt worden ist.<br />
22 Die erste Sinnschicht betrifft das primäre, formal konstituierte, tatsächliche <strong>und</strong> ausdruckshafte Sujet, dem die<br />
vorikonographische Beschreibung entspricht. Das zweite konventionale Sujet bezieht sich auf die tradierten<br />
Bedeutungen - etwa der Darstellung der Judith oder Maria -, welcher die ikonographische Analyse entspricht.<br />
Die dritte Sinnschicht betrifft die eigentliche Bedeutung, den Gehalt, der die ikonographische Interpretation im<br />
tieferen Sinne entspricht. In ihr sind die beiden ersten Sinnschichten inbegriffen, gleichwohl sucht sie den<br />
übergreifenden Zusammenhang der Epoche o. Ä. in dem das Einzelwerk eingebettet ist, dessen ‚Symptom‘ es<br />
aber gleichzeitig ist (Vgl. Panofsky, E., Einleitung zu: Studien zur Ikonologie, Köln 1980, 30 - 51).<br />
23 Panofsky, 1980, 33<br />
24 Panofsky, 1980, 39
7<br />
schöpferischer Prozesse geltend gemacht <strong>und</strong> darauf hingewiesen, dass dieser bisoziative<br />
Prozess [...] bisher unverb<strong>und</strong>ene Erfahrungssysteme“ verbindet 25 .<br />
Synthetische Intuition muss genau dies tun: aus einer Fülle divergenten Materials muss sie<br />
qua Synthese die gr<strong>und</strong>legenden ‚Prinzipien‘ herausdestillieren, wozu dann die ‚Intuition‘ als<br />
Erkenntnis nötig ist. Das heißt, dass ein Erkenntnisvermögen, das nicht ‚bewusst‘ ist, in Kraft<br />
treten muss.<br />
Panofskys Unzufriedenheit mit den Begriffen, sowohl dem der synthetischen Intuition, als<br />
auch dem des Habitus 26 , für die er jedoch keine besseren findet, verweist auf die Grenze der<br />
zur Verfügung stehenden Sprache. Diese kann offenbar nicht alles erfassen, was ‚es gibt‘. Vor<br />
allem verweist sie hier auf einen vorbegrifflichen Bereich, der für Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität<br />
konstitutiv ist. Seine Arbeit über Gotik <strong>und</strong> Scholastik, als Analogie von Kunst, Philosophie<br />
<strong>und</strong> Theologie, seine Übernahme der scholastischen Defintion des Habitus als ‚Prinzip, das<br />
das Handeln regelt’ 27 <strong>und</strong> sein Begriff der synthetischen Intuition haben den Weg zu einem<br />
sprachlosen Bereich eröffnet, von dem Walter Benjamin als ‚unsinnlichen Ähnlichkeiten‘ 28<br />
gesprochen hat. Dieses eigenartige Erkenntnisvermögen gilt es zur Sprache zu bringen. Von<br />
hier aus kann dann die oben anhand der Ähnlichkeitsbeziehungen von Scholastik <strong>und</strong><br />
gotischer Architektur (u.a.) gestellte Frage der ‚Kausalität‘ neu <strong>und</strong> anders gestellt werden.<br />
Pierre Bourdieu hat dieses Bemühen im Begriff des Habitus 29 aufgegriffen <strong>und</strong> zu einem<br />
Schlüssel für ganz neue Denkfelder, einschließlich einer ästhetisch motivierten Soziologie 30 ,<br />
gemacht. So zeigt bereits dieser Blick in die Genealogie des Begriffs Habitus die Konvergenz<br />
von Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität.<br />
3. Habitus: von Panofsky zu Bourdieu<br />
Die Befragung des breiten Denkfeldes Bourdieus, dem es primär um gesellschaftliche<br />
Problemstellungen geht, wird hier auf seine Bedeutung für die Konvergenz von Ästhetik <strong>und</strong><br />
Sozialität hin fokussiert.<br />
Den Sprung von der Verwendung des Wortes zum entfalteten Begriff Habitus 31 kann man<br />
anschaulich in den Texten, die 1966 <strong>und</strong> 1967 (frz.) erschienen sind, nachvollziehen. Man<br />
meint förmlich zu sehen, wie der Gedanke sich - im Feldgedanken - vorbereitet, im Wort<br />
auftaucht, um sich dann im nächsten Aufsatz als neuer Gedanke voll zu entfalten.<br />
In ‚Künstlerische Konzeption <strong>und</strong> intellektuelles Kräftefeld’ (frz. 1966), in dem die<br />
wesentlichen Voraussetzungen (Feld) <strong>und</strong> Bestimmungen des Habitus bereits vorformuliert<br />
sind, taucht der Begriff einmal gegen Ende im Unterkapitel: ‚Das kulturell Unbewußte‘ auf 32 ,<br />
ohne jedoch als Begriff eingeführt zu werden. Hier sind auch die Funktionen der Künste im<br />
Sinne der Erscheinung des Habitus angesprochen. Da ist etwa die Rede davon, dass „sich in<br />
den Kunstwerken die sozialen Denkformen einer Epoche am elementarsten <strong>und</strong><br />
25 Koestler, A., 1966, 17, 36<br />
26 Er spricht vom Habitus auch als „überstrapazierte(m) Schlagwort“ (Panofsky 1989, <strong>18</strong>).<br />
27 Panofsky 1996, <strong>18</strong><br />
28 Benjamin, W., Über das mimetische Vermögen. In: Geschichtsphilosophische Studien, Schriften I <strong>und</strong> II.<br />
Frankfurt/M. 1977<br />
29 Vgl. Bourdieu, 1997, 61 (Vgl. auch Roeck, 1996, 17). So ist es auch nicht richtig, wenn der Begriff des<br />
Habitus Elias zugeschrieben wird: „Es ist wohl dieselbe positivistische Haltung, die einige Historiker dazu<br />
verleitet, in gutem Glauben Elias die Vaterschaft für den Habitusbegriff zuzuschreiben, ein Begriff, der so alt<br />
wie die philosophische Welt ist (man findet ihn bei Aristoteles — hexis — Thomas von Aquin <strong>und</strong> gelegentlich<br />
bei tausend anderen).“ In: Pierre Bourdieu im Gespräch mit Lutz Raphael: über die Beziehungen zwischen<br />
Geschichte <strong>und</strong> Soziologie in Frankreich <strong>und</strong> Deutschland. In: Geschichte <strong>und</strong> Gesellschaft 21 (1996). 62-89;<br />
(zit. nach Sprigath, 1997, 68)<br />
30 Bourdieu, 1970, ders., 1987, ders: 1999 u.a.<br />
31 Vgl. auch Krais, B., Gebauer, G., Habitus, Bielefeld 2002, <strong>18</strong>. Die Autoren weisen darauf hin, dass manche<br />
Arbeiten erst lange Zeit nach ihrer Entstehung veröffentlicht wurden (ebd. 85).<br />
32 Bourdieu, 1970, 123
8<br />
vollständigsten“ ausdrücken 33 , <strong>und</strong> dass „in der Literatur [...] die verborgenen Gr<strong>und</strong>gedanken<br />
einer Generation“ zu entdecken sind 34 . Aber diese Gr<strong>und</strong>gedanken sind eben nicht<br />
bewusstseinsphilosophisch zu verstehen. Vielmehr zeigt sich im Verhältnis von Schaffenden<br />
<strong>und</strong> Publikum im Zusammenhang des intellektuellen Kräftefeldes 35 , dass dieses Verhältnis<br />
„zutiefst unbewußten Verhaltensmustern gehorcht“ 36 .<br />
Diese unbewussten Verhaltensmuster bilden eine implizite Axiomatik, welche „die<br />
Kulturwissenschaft aufzudecken hat“ 37 .<br />
Bourdieu selbst deutet einen solchen Ansatz hier bereits am Beispiel verschiedener<br />
historischer Raum- <strong>und</strong> Zeitmuster in Theater <strong>und</strong> bildender Kunst an, wenn sich etwa in der<br />
mittelalterlichen Malerei <strong>und</strong> Plastik in der Reihung sukzessiver Szenen als ‚Aggregatraum‘<br />
(Panofsky) ein spezifisches Raum- <strong>und</strong> Zeitverständnis artikuliert, das im „denkbar größten<br />
Unterschied zu den Konventionen der Renaissance [...] nämlich zur simultanen<br />
Darstellungsweise von Raum <strong>und</strong> Zeit, die sich in der Perspektive [...] äußert“ steht 38 , die er<br />
auch mit gesellschaftlichen Gr<strong>und</strong>mustern im Zusammenhang sieht 39 . Damit ist die<br />
Aufklärung über das Verhältnis zum Raum <strong>und</strong> vor allem zur Zeit, welche die gr<strong>und</strong>legenden<br />
‚unbewussten Muster‘ konstituieren, als Aufgabe der Kulturwissenschaft benannt <strong>und</strong><br />
gefordert.<br />
Der Begriff ‚Habitus‘ wird im ein Jahr später erscheinenden Aufsatz ‚Der Habitus als<br />
Vermittlung zwischen Struktur <strong>und</strong> Praxis‘ (1967), von Panofsky ausgehend, explizit<br />
entwickelt 40 .<br />
Im Zusammenhang der Frage nach dem Schöpferischen wird der Begriff des Habitus 41 zum<br />
Verknüpfungsmoment von Individualität <strong>und</strong> Kollektivität: „Wer Individualität <strong>und</strong><br />
Kollektivität zu Gegensätzen macht, bloß um den Rechtsanspruch des schöpferischen<br />
Individuums <strong>und</strong> das Mysterium des Einzelwerks wahren zu können, begibt sich der<br />
Möglichkeit, im Zentrum des Individuellen selber Kollektives zu entdecken; Kollektives in<br />
Form von Kultur – im subjektiven Sinne des Wortes ‚cultivation‘ oder ‚Bildung‘ – oder nach<br />
Erwin Panofskys Sprachgebrauch, im Sinn des ‚Habitus‘, der den Künstler mit der<br />
Kollektivität <strong>und</strong> seinem Zeitalter verbindet, ohne daß dieser es merkte, seinen anscheinend<br />
noch so einzigartigen Projektionen Richtung <strong>und</strong> Ziel weist“ 42 .<br />
Habitus ist weder ein gemeinsamer Code noch ein allgemeines Repertoire, „sondern eher ein<br />
Zusammenspiel bereits im Voraus assimilierter Gr<strong>und</strong>muster“. So verstanden lässt sich „der<br />
Habitus als ein System verinnerlichter Muster definieren, die es erlauben, alle typischen<br />
Gedanken, Wahrnehmungen <strong>und</strong> Handlungen einer Kultur zu erzeugen – <strong>und</strong> nur diese“ 43 . So<br />
ist Habitus mehr als ‚Gewohnheit‘ - den Aspekt, die Trägheit des Habitus, bezeichnet er als<br />
33 Bourdieu, 1970, 1<strong>18</strong><br />
34 ebd.<br />
35 Der ‚Intellektuelle‘ wird bei Bourdieu als Oberbegriff, der auch die Künstler einschließt, gefasst (Bourdieu<br />
1970, 86). Entsprechend muss auch das intellektuelle Kräftefeld verstanden werden.<br />
36 Bourdieu, 1970, 86<br />
37 Bourdieu, 1970, 116<br />
38 Bourdieu, 1970, 119/20<br />
39 „Diese beiden Arten ästhetischer Intention, die das Werk an der Art, sich dem Betrachter zuzuwenden, verrät,<br />
stehen in Wahlverwandtschaft mit der Struktur, sowohl der Gesellschaften, in denen sie sich bilden, wie auch der<br />
Struktur, der von diesen Gesellschaften begünstigten, aristokratischen <strong>und</strong> demokratischen sozialen<br />
Beziehungen“ (Bourdieu, 1970, 119).<br />
40 Vgl. auch Krais, B., Gebauer, G., 2002, 23/24<br />
41 Versuchte man, die Bedeutung des Begriffs Habitus an andere Begriffe anzuschließen, so könnte der Begriff<br />
‚Bildung‘ - jedoch in einem spezifischen Sinne - geeignet sein: „Liefe dieser überbestimmte Begriff nicht<br />
Gefahr, falsch verstanden zu werden <strong>und</strong> ließen die Bedingungen seiner Gültigkeit sich vollständig bestimmen,<br />
so wäre ‚Bildung‘ (culture) ein Begriff, der sich sowohl auf das Prinzip der objektiven Regelmäßigkeiten wie auf<br />
das Vermögen der Handelnden als System verinnerlichter Modelle anwenden läßt, dem Begriff ‚Habitus‘<br />
vorzuziehen“ (Bourdieu, 1970, 41).<br />
42 Bourdieu, 1970, 132<br />
43 Bourdieu, 1970, 143
9<br />
Hysteresis - Habitus ist produktiv, eine Erzeugungsformel. Damit ist das schöpferische<br />
Element des Habitus als kollektivem Unbewussten in den Grenzen eines jeweiligen sozialen<br />
Feldes betont.<br />
Von diesem Muster spricht er mit Panofsky als modus operandi <strong>und</strong> dieser macht es möglich,<br />
„sowohl die Gedanken der Theologen wie die Bauformen der Architektur hervorzubringen,<br />
<strong>und</strong> somit der Zivilisation des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts ihre Einheit“ zu verleihen 44 .<br />
So wird verständlich, dass der dem Bewusstsein verborgene modus operandi doch im<br />
kulturellen Erzeugnis, dem opus operatum, zur Erscheinung, zur Darstellung gelangt - „daß<br />
sich der modus operandi im opus operatum zu erkennen gibt, <strong>und</strong> nur da“ 45 .<br />
Das opus operatum meint bei Bourdieu kulturelle Phänomene im weiten Sinne. Dieser Satz<br />
impliziert bereits die hier angestrebte F<strong>und</strong>amental-Begründung einer Ästhetik der Sozialität,<br />
wobei Ästhetik im erweiterten Sinne der Neuen Ästhetik 46 zu verstehen ist. Festzuhalten ist<br />
hier, dass die raum-zeitlichen Gr<strong>und</strong>muster des Habitus, unserer Wahrnehmung verborgen,<br />
diese gleichwohl konstituieren. Diese verborgenen Gr<strong>und</strong>muster können jedoch in<br />
verschiedenartigen, einander fremden, <strong>Ausdruck</strong>sformen erscheinen, <strong>und</strong> durch das<br />
Vermögen der Wahrnehmung von Ähnlichkeiten erkannt werden.<br />
Zur Denkbewegung Bourdieus sei abschließend der Eindruck formuliert, dass einer der<br />
zentralen Begriffe Bourdieus, der Habitus, aus dem Denken des ‚Kräftefeldes‘ auftaucht, das<br />
selbst durch den Gedanken der Ähnlichkeit bestimmt ist, um sich dann im Element<br />
begrifflicher Sprache zu klären <strong>und</strong> zu differenzieren, <strong>und</strong> es ist gewiss kein Zufall, wenn der<br />
Auslöser dieser Klärung - der Gedankengang Panofskys 47 - ein ästhetisch-aisthetisches<br />
Phänomen ist, in dem sich solche Ähnlichkeiten abzeichneten. So kann man annehmen, dass<br />
die in der Geschichte des Begriffs angelegte Konvergenz von Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität<br />
weiterträgt, auch wenn dies nicht das primäre Anliegen Bourdieus ist.<br />
44 ebd. 143/4 (Vgl. zu dieser kulturellen Einheit insbesondere Anm. 16, S. 136). Bourdieu schließt an diese<br />
Reflexionen die Untersuchungen Robert Marichals an, der, den Gedanken Panofskys fortführend, den modus<br />
operandi auch in Schriftbildern <strong>und</strong> Architektur (als Brechung im Spitzbogen <strong>und</strong> Schriftbildern) zeigt (Bourdieu<br />
1970, 144 – 150). Diesen Aspekt hatte Panofsky selbst am Rande angesprochen (Panofsky, 1989, 28/9).<br />
45 Bourdieu, 1970, 151<br />
46 Sie bezieht sich nicht nur auf die Phänomene traditioneller Ästhetik, der Kunst, sondern im weiteren Sinne auf<br />
Aisthesis/Wahrnehmung, Ästhetisierung der Gesellschaft u. a.(Vgl. z.B. Böhme, G., Atmosphäre, Essays zur<br />
Neuen Ästhetik, Frankfurt/M. 1995, Böhme, G., Aisthetik, Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine<br />
Wahrnehmungslehre, München 2001, Welsch, W., Grenzgänge der Ästhetik, Stuttgart 1996 u.a.). Offen bleibt<br />
die ausführliche Reflexion ästhetischer Produktion.<br />
47 Bourdieu kommt immer wieder darauf zurück (Vgl. z. B. Bourdieu, 1976, 151 f., ders. 1989, 10).
10<br />
II. IMPLIKATE DES HABITUS-GEDANKENS<br />
1. Feld - Ähnlichkeit - Erkenntnisinteresse<br />
Der Gedanke des sozialen Feldes als Matrix von Kunst ist bereits von Gregor Paulsson<br />
(1943/deutsch 1955) entwickelt worden, der eine soziale Werttheorie, eine feldtheoretische<br />
Terminologie <strong>und</strong> eine ‚feldtheoretische Methode‘ zum Verständnis der Kunst fordert 48 . Ob<br />
Bourdieu dessen Versuche gekannt hat, ist ungewiss 49 . Der Hinweis auf diese wahrscheinlich<br />
nicht durch bewusste Kenntnisnahme zustande gekommene Ähnlichkeit, wäre selbst<br />
‚feldtheoretisch‘ zu reflektieren.<br />
Der Begriff des Feldes als sozialem Raum meint bei Bourdieu, dass hochdifferenzierte<br />
Gesellschaften sich in verschiedene relativ autonome soziale Räume, Mikrokosmen, gliedern,<br />
die er Felder - etwa das politische, das religiöse, das ökonomische Feld - nennt. Sie haben ihre<br />
jeweils eigene Logik <strong>und</strong> Dynamik 50 . Gleichwohl sind die Felder als Felder einander<br />
homolog, worin Bourdieu die Bedeutung des Feldbegriffs als eines sozialen<br />
Erkenntnisinstruments begründet, da „den methodischen Modellübertragungen, die auf der<br />
Hypothese fußen, daß zwischen den Feldern strukturelle <strong>und</strong> funktionale Homologien<br />
existieren, eine eminente heuristische Kraft (eignet), die die gesamte epistemologische<br />
Tradition der Analogie zuerkannt hat“ 51 . Diesem Denkansatz struktureller Ähnlichkeiten<br />
verdankt sich z.B. ein Begriff wie ‚symbolisches Kapital‘. Das gemeinsame Dritte dieser<br />
Analogie sind die ‚akkumulierten Kräfte‘, denn für den Feldbegriff ist Kraft, Energie,<br />
bestimmend.<br />
Dass die Herstellung, Entdeckung von Ähnlichkeiten auch für seinen Denkstil von Bedeutung<br />
ist, zeigt eine Bemerkung Bourdieus, derzufolge Ähnlichkeiten im Denken herzustellen auch<br />
bedeuten kann, soziale Selbstbehinderungen des Denkens aufzulösen 52 .<br />
In der Auflösung solcher Selbstbehinderungen des Denkens zeichnet sich bereits das<br />
entscheidende Erkenntnisinteresse Bourdieus ab. Ihm geht es mit der Aufklärung über den<br />
Habitus, das ‚kollektive Unbewusste“, um die wirkliche Konstituierung des Subjekts als<br />
Aufklärung über die das Subjekt konstituierenden Bedingungen 53 . Dies betont Bourdieu mit<br />
Nachdruck: „Die anthropologische Wissenschaft verlohnte nicht die Mühe einer einzigen<br />
48 Paulsson spricht von ‚Kraftnetz‘, von einem ‚dynamischen soziologischen ‚Feld‘, welches das Kunstwerk<br />
erschafft, konstituiert, in seiner Vielfalt jedoch nie ganz zu fassen ist (Vgl. Pochat, G., Der Symbolbegriff in<br />
Ästhetik <strong>und</strong> Kunstwissenschaft. Köln 1983, <strong>18</strong>8-196).<br />
49 Pochat weist auf die frappante Nähe dieses Entwurfs zu Bourdieu hin, wenngleich dessen politische<br />
Konsequenzen erst bei Bourdieu zutage treten (Pochat, 196).<br />
50 Als Beispiel sei das künstlerische <strong>und</strong> ökonomische Feld genannt: „So sperrt sich das Feld der Kunst in seinen<br />
avanciertesten Formen gegen das Gesetz des materiellen Interesses, wohingegen das ökonomische Feld sich<br />
gerade als ein Universum ausgebildet hat, in dem, wie man so schön sagt, ‚Geschäft nun mal Geschäft‘ ist“<br />
(Bourdieu, 1989, 72), (Vgl. zu dieser Relation auch Graw, I., Ein Interview mit Pierre Bourdieu von 1996. Was<br />
bin ich? ferner: Jurt, J., Die Theorie des literarischen Feldes, 3. Göttinger Workshop zur Literaturtheorie,<br />
01.07.2005 ).<br />
51 Bourdieu, 1997, 69<br />
52 „Eine der Sachen, die die Soziologie mich gelehrt hat, ist, daß die Hindernisse der Erkenntnis oft sozialer Art<br />
sind. Es gibt beispielsweise Verbindungen zwischen Begriffen oder zwischen Autoren, die man nicht herstellen<br />
darf, weil diese Begriffe oder jene Autoren Welten angehören, die sich gegenseitig ausschließen. Ich habe mein<br />
Leben lang Mesalliancen zwischen den Begriffen gestiftet, indem ich Cassirer mit Durkheim, Kant mit Marx,<br />
Weber mit Marx, Marx mit Durkheim usw. verb<strong>und</strong>en haben, <strong>und</strong> jedesmal hatte ich das Gefühl, daß es ganz<br />
<strong>und</strong> gar gesellschaftliche Gründe waren, die die Leute daran hinderten zu sehen, daß diese Autoren dasselbe<br />
sagten oder die zwei Seiten einer Sache zum <strong>Ausdruck</strong> brachten“ (Bourdieu, 1989, 11).<br />
53 Eine solche Soziologie „bietet das vielleicht einzige Mittel, <strong>und</strong> sei es auch nur über das Bewußtsein der<br />
Determiniertheiten, dazu beizutragen, etwas wie ein Subjekt zu konstituieren, eine Aufgabe, die sonst den<br />
Kräften der Welt anheimfällt“ ( Bourdieu, 1987 b, 44/5).
11<br />
Arbeitsst<strong>und</strong>e, stellte sie sich nicht die Aufgabe, den Subjekten den Sinn ihres Verhaltens<br />
wieder verfügbar zu machen“ <strong>und</strong> mit den objektiven Bedingungen zu vermitteln 54 .<br />
Der Habitus als Fähigkeit zur Erzeugung von Praxen <strong>und</strong> Abstimmungen, von <strong>Verstehen</strong> <strong>und</strong><br />
symbolischem Handeln „ist nur solange schwer zu denken, wie man die üblichen Alternativen<br />
von Determiniertheit <strong>und</strong> Freiheit, Konditioniertheit <strong>und</strong> Kreativität, Bewußtem <strong>und</strong><br />
Unbewußtem oder Individuum <strong>und</strong> Gesellschaft verhaftet bleibt, die er ja eben überwinden<br />
will“ 55 .<br />
Dem Begriff Habitus zu folgen bedeutet dann, den Boden der Bewusstseinsphilosphie zu<br />
verlassen, ohne den Akteur in seiner Wahrheit als praktisch Handelndem abzuschaffen. Der<br />
Begriff verfolgte die Absicht, die ‚schöpferischen‘ Eigenschaften des Habitus, die im Wort<br />
Gewohnheit (habitude) nicht deutlich wird, herauszustellen, <strong>und</strong> er soll den sozialisierten<br />
Körper <strong>und</strong> dessen ‚ontologische Komplizenschaft‘ mit der Welt 56 zum <strong>Ausdruck</strong> bringen.<br />
2. Habitus – <strong>Verstehen</strong> - Leib<br />
Der Habitus konstituiert die Zugehörigkeit zum sozialen Feld als Bereitschaft, dessen ‚Spiel‘<br />
mitzuspielen. Bourdieu nennt diese Bereitschaft den Glauben. „Dieser Praktische Glaube ist<br />
„kein ‚Gemütszustand‘ <strong>und</strong> noch weniger eine willentliche Anerkennung eines Korpus von<br />
Dogmen <strong>und</strong> gestifteten Lehren (Überzeugungen), sondern, [...] ein Zustand des Leibes“ 57 .<br />
Anders formuliert: „Der Habitus ist nichts anderes als jenes immanente Gesetz, jene den<br />
Leibern durch identische Geschichte(n) aufgeprägte lex insita, welche Bedingung nicht nur<br />
der Abstimmung der Praktiken, sondern auch der Praktiken der Abstimmung ist“ 58 .<br />
In diesen Praktiken der Abstimmung deutet sich nicht nur das ‚soziale Band‘, gewissermaßen<br />
der ‚Klebstoff‘ der sozialen Welt an, sondern auch <strong>und</strong> vor allem, dass in diesen<br />
Inkarnationen ein <strong>Verstehen</strong> jenseits aller Hermeneutik begründet ist, denn in „dem Maße,<br />
<strong>und</strong> nur in diesem, wie die Habitusformen <strong>und</strong> Strukturen dieselbe Geschichte verkörpern [...]<br />
sind die von ihnen erzeugten Praktiken wechselseitig verstehbar“, verständlich <strong>und</strong><br />
vorhersehbar 59 , wofür kein „bewußtes Hineinversetzen in den anderen“ 60 nötig ist.<br />
Als verleiblichte gesellschaftliche Verhältnisse bilden sie das ‚Selbstverständliche‘,<br />
vermeintlich ‚Unhinterfragbare‘ des Feldes, eines Milieus, einer Gesellschaft, das implizit,<br />
‚unbewusst‘ fungiert, denn was „der Leib gelernt hat, das besitzt man nicht wie ein<br />
wiederbetrachtbares Wissen, sondern das ist man“ 61 .<br />
Dieses, ‚was man ist‘ des Habitus erlaubt also ein <strong>Verstehen</strong>, das vorbegrifflich <strong>und</strong><br />
unbewusst verläuft, aber gegenüber einem anderen Habitus, dem Fremden, zunächst auch<br />
‚taub <strong>und</strong> blind‘ bleiben kann, weil er eben nicht aufgr<strong>und</strong> einer gemeinsamen Geschichte<br />
‚selbstverständlich’ verstanden werden kann. Ciompi hat von kulturellen Zeitmustern <strong>und</strong><br />
Rhythmen als „kollektivem Unbewussten neuer Art“ <strong>und</strong> als „Primärkultur“ gesprochen 62 .<br />
Solche Synchronisierungsmuster können Sicherheit <strong>und</strong> Vertrautheit gewähren. Sie können<br />
aber in der Begegnung verschiedener kultureller Zeit-Raum-Muster von Menschengruppen<br />
auch zu Spannung <strong>und</strong> Konflikt führen, denn unbewusste Dischronie bedeutet Störung 63 .<br />
54 Bourdieu, 1970, 38/39<br />
55 Bourdieu, 1987 b, 102/3<br />
56 Bourdieu, 1997, 63/4<br />
57 Bourdieu, 1987 b, 126<br />
58 Bourdieu, 1987 b, 111, „Als vis insita ist Kapital eine Kraft, die den objektiven <strong>und</strong> subjektiven Strukturen<br />
innewohnt; gleichzeitig ist das Kapital − als lex insita − auch gr<strong>und</strong>legendes Prinzip der inneren Regelmäßigkeit<br />
der sozialen Welt“ (Bourdieu 1992 (1983), S. 49, zit. nach Schultheis, F., Vester, M., 2003, 8).<br />
59 Bourdieu, 1987 b, 108<br />
60 Bourdieu, 1987 b, 40, 109<br />
61 Bourdieu, 1987 b, 135<br />
62 Ciompi, L., Außenwelt, Innenwelt, die Entstehung von Zeit, Raum <strong>und</strong> psychischen Strukturen, Göttingen<br />
1988, 257<br />
63 Ciompi, 1988, 238
12<br />
3. Exkurs: Körper/Leib<br />
Krais <strong>und</strong> Gebauer kritisieren an den Übersetzungen Bourdieus „manche Gestelztheiten <strong>und</strong><br />
Absonderlichkeiten“ 64 der Sprache <strong>und</strong> führen dazu als Beispiel an, dass „das von Bourdieu<br />
verwendete Wort ‚corps‘ = ‚Körper‘ häufig mit ‚Leib‘ übersetzt“ wird 65 . Dazu ist jedoch<br />
anzumerken, dass es im Französischen keine solche Doppelung der Begriffe wie im<br />
Deutschen ‚Körper‘ <strong>und</strong> ‚Leib‘ gibt, um die es phänomenologischem Denken inhaltlich eben<br />
gerade geht. Merleau-Pontys Denken richtet sich ja gerade auf diesen Unterschied 66 .<br />
Für die Gedanken Bourdieus ist diese Übersetzung, etwa im Sinne von ‚phänomenalem Leib‘<br />
oder ‚corps vivant‘ sehr wohl sinnvoll. Wollte man schließlich Bourdieus Gedanken des<br />
Habitus auf die Begriffe Merleau-Ponty’s beziehen, so müsste man den im Spätwerk<br />
entworfenen Gedanken des ‚Fleisches‘ (la chair, nicht la viande) als kollektiver Dimension<br />
einbeziehen 67 . Der Begriff des Habitus wäre dann, je nach thematisierter bzw. verwendeter<br />
Erkenntnis-Perspektive, durchaus in diesen Begriffen unterscheidbar <strong>und</strong> würde<br />
darüberhinaus der Absicht Bourdieus, ‚Objektivität‘ <strong>und</strong> das sogenannte ‚Subjektive‘<br />
zusammenzudenken, entgegenkommen.<br />
Zur Lippe hat die Verluste, die mit der geschichtlichen Entwicklung ‚vom Leib zum Körper‘<br />
einhergehen, dargestellt 68 , <strong>und</strong> für Fuchs‘ phänomenologische Anthropologie ist die Polarität<br />
‚Körper-Leib’ als Doppelverhältnis konstitutiv 69 . Es ist in keiner Weise einzusehen, warum<br />
hinter solche begrifflichen Differenzierungen zurückgegangen werden sollte, denn anders als<br />
der objektivierbare ‚Körper‘ ist ‚Leib‘ ein relationaler Begriff.<br />
Schließlich sind die unausgesprochenen Bedeutungen von Körper <strong>und</strong> Leib mit Zeitkonzepten<br />
verknüpft. Die Zeit des Leibes ist nicht die des Körpers. Die Zeit des Körpers kann nicht die<br />
Funktion des Habitus als sozialem Band darstellen. Um diese genauer zu verstehen, muss die<br />
Zeit des Leibes betrachtet werden.<br />
4. Habitus - Zeit - Prolepsis<br />
Die ‚ontologische Komplizenschaft‘ von Leib <strong>und</strong> Welt zeigt sich als mehrfache Vermittlung<br />
von Leib <strong>und</strong> Zeit: „Als einverleibte, zur Natur gewordene Geschichte ist der Habitus<br />
wirkende Präsenz der gesamten Vergangenheit, die ihn erzeugt hat“ 70 . Dieses Ineinander von<br />
Vergangenheit <strong>und</strong> Gegenwart qua ‚Einverleibung‘, ‚Inkarnation‘, vermittelt sich durch Raum<br />
- <strong>und</strong> vor allem Zeitmuster: „Tatsächlich wird die praktische Meisterung der gr<strong>und</strong>legenden<br />
Schemata durch Handlungen im strukturierten Raum <strong>und</strong> in der strukturierten Zeit erworben,<br />
die sofort symbolisch eingeordnet werden <strong>und</strong> wie alle Strukturübungen fungieren. Die<br />
64 Gebauer, G., Krais, B., 2002, 7<br />
65 Gebauer, G., Krais, B., 2002, 84<br />
66 Übersetzt H. W. Arndt in „Das Auge <strong>und</strong> der Geist“ (1984) corps noch ausschließlich mit Körper, so nehmen<br />
Guiliani/Waldenfels in ‚Das Sichtbare <strong>und</strong> das Unsichtbare‘ sehr wohl eine Differenzierung vor, die den<br />
verschiedenen Bedeutungen, um die es Merleau-Ponty in der Unterscheidung von objektivem <strong>und</strong><br />
phänomenalem ‚Körper‘ geht, gerechter wird. Sie übersetzen sinnentsprechender mit „objektivem Körper <strong>und</strong><br />
phänomenalem Leib“ (Vgl. Merleau-Ponty, M., Das Sichtbare <strong>und</strong> das Unsichtbare, München 1986, <strong>18</strong>0).<br />
67 Zwei Zitate sollen diese Erkenntnisbewegung Merleau-Pontys im Spätwerk (Das Sichtbare <strong>und</strong> das<br />
Unsichtbare) andeuten: „Die Probleme, die ich in der Phänomenologie der Wahrnehmung gestellt habe, sind<br />
unlösbar, weil ich dort von der Unterscheidung ’Bewußtsein-Objekt’ ausgehe“ (Merleau-Ponty, 1986, 257). Die<br />
Lösung dieses Problems versucht er dann im Begriff des Fleisches zu denken: „Das Fleisch ist nicht Materie, es<br />
ist nicht Geist, nicht Substanz. Um es zu bezeichnen bedürfte es des alten Begriffs ‚Element‘ in dem Sinne, wie<br />
man ihn früher benutzt hat, um vom Wasser, von der Luft, von der Erde oder vom Feuer zu sprechen, d.h. im<br />
Sinne eines generellen Dinges, auf halbem Wege zwischen den raum-zeitlichen Individuen <strong>und</strong> der Idee, als eine<br />
Art inkarniertes Prinzip, das einen Seinsstil überall dort einführt, wo ein Teil davon zu finden ist. Das Fleisch in<br />
diesem Sinne ist Element des Seins“ (Merleau-Ponty, 1986, <strong>18</strong>3/4, Vgl. auch 193).<br />
68 Zur Lippe, R., Vom Leib zum Körper, Reinbek bei Hamburg 1988<br />
69 Vgl. Fuchs, Th. , Leib, Raum, Person, Entwurf einer phänomenologischen Anthropologie, Stuttgart 2000<br />
70 Bourdieu, 1987 b, 105
13<br />
gesellschaftlichen Disziplinen nehmen die Form zeitlicher Disziplinen an, <strong>und</strong> die gesamte<br />
Gesellschaftsordnung wird im tiefsten Gr<strong>und</strong>e der leiblichen Dispositionen über eine<br />
besondere Art der Regelung der Zeiteinteilung, die zeitliche Verteilung von kollektiven <strong>und</strong><br />
individuellen Tätigkeiten <strong>und</strong> des für sie angebrachten Rhythmus durchgesetzt“ 71 .<br />
Dies lässt sich am besten an der Musik verdeutlichen, wie Bourdieu das auch häufiger tut. Mit<br />
dem Erlernen von Gesängen wird immer auch Rhythmus <strong>und</strong> Metrik ‚gelernt‘, ohne dass<br />
diese jemals als solche wahrgenommen werden. Als Bewegungsgestalten sind sie aber ‚in<br />
Fleisch <strong>und</strong> Blut‘ übergegangen, so dass sie zu den Mustern gehören, denen wir ‚gehorchen‘,<br />
ohne es zu wissen 72 . Sie sind ‚inkarniert‘, inkorporiert.<br />
Jenseits der Musik will ich mit einem Beispiel deutlich machen, wie sie entstehen können:<br />
In vorindustriellen Gesellschaften werden die Kinder zumeist in engem Körperkontakt mit der<br />
Mutter herumgetragen, so dass die Mütter die Bedürfnisse der Kinder schon bei leisesten<br />
Reaktionen erfassen. Mütter dieser Kulturen stillen ihre Kinder bis zu zweimal die St<strong>und</strong>e,<br />
was offenbar auch der Physiologie der Muttermilch entspricht. Bei uns hingegen ist ein<br />
Rhythmus von drei bis vier St<strong>und</strong>en üblich. „Wir lassen den Hunger lange anwachsen <strong>und</strong><br />
erzeugen damit ein hohes Maß an Stimulierung <strong>und</strong> Aktivierung, die anschließend steil<br />
abfällt. [...] Es mag durchaus sein, daß dies beständige Auf <strong>und</strong> Ab [...] der Motivations- <strong>und</strong><br />
Affektintensität dem Kind, das in eine schnellebigere <strong>und</strong> reizstärkere moderne Welt<br />
hineingeboren wird, einen Anpassungsvorteil gewährt” 73 .<br />
Dieses Beispiel zeigt die Bedeutung von Zeitmustern, die schon gr<strong>und</strong>legende<br />
Verhaltensdispositionen erzeugen können. Wir können sie deshalb nicht reflektieren, weil wir<br />
sie sind <strong>und</strong> nach diesen Mustern auch die Wahrnehmung von Welt (in diesem Fall großen<br />
Schwankungen der Aktivierungskurven) strukturieren.<br />
Man kann sich aber gut vorstellen, dass solche Muster in den verschiedenen Bereichen des<br />
<strong>Ausdruck</strong>s <strong>und</strong> des Ästhetischen einschließlich der Künste (etwa Tanz, Musik im bildenden<br />
Bereich, Film <strong>und</strong> Literatur) erscheinen können 74 <strong>und</strong> dadurch wiederum sowohl der<br />
Wahrnehmung <strong>und</strong> Reflexion - affirmativ, kritisch oder auch durch den Vorgang solch<br />
vorsprachlicher Bewusstwerdung befreiend, eröffnend - zugänglich gemacht werden können.<br />
Betrachten wir nun auf dem Hintergr<strong>und</strong> dieses Beispiels den Habitus als Zeitmuster, dann<br />
wird ein weiterer Zeitaspekt des Habitus, wie ihn Bourdieu immer wieder betont,<br />
verständlich: die Vorwegnahme. Wer den Habitus eines Feldes in diesem Sinne beherrscht,<br />
<strong>und</strong> das heißt gleichzeitig, von ihm beherrscht wird, vermag die Bewegungen des Feldes<br />
vorauszuahnen, ja vorwegzunehmen. Hierbei handelt es sich nicht um kognitive Strategien 75 .<br />
„Die Strategien, die der Habitus als praktischer Sinn oder Spiel-Sinn hervorbringt, sind als<br />
solche in keinem expliziten Plan vorausgesetzt. Sie zielen im Modus der ‚Protention‘<br />
(entsprechend Husserl in den Ideen) auf ‚objektive Potentialitäten‘ [...], ohne daß sie als<br />
mögliche, als eintretende oder nicht eintretende gesetzt werden, d.h. ohne Überlegung“ 76 .<br />
Voraussetzung dieses besonderen Zeitverhältnisses ist der ‚Sinn für das Spiel‘ des sozialen<br />
Feldes, jener inkarnierte ‚praktische Glaube‘, den Bourdieu gerne am Beispiel des Sports<br />
71 Bourdieu, 1987 b, 139/4<br />
72 Bourdieu, 1987 b, 138<br />
73 Stern, D., Die Lebenserfahrung des Säuglings, Stuttgart 1992, 330/1<br />
74 Gebauer/Wulf haben, angeregt von Bourdieu, verschiedene Zeitmuster in der Literatur aufgewiesen. (Vgl.<br />
Gebauer, G., Wulf, Chr., Zeitmimesis, in: dies. (Hrsg.) 1993, S. 292-316). Vergleichbar erscheinen etwa in<br />
Guardinis Darstellung der Romane Dostojewskis verschiedene ‚Zeit-Raum-Energiemuster‘ (Guardini, R.,<br />
Religiöse Gestalten im Werk Dostojewskijs, Leipzig , 1939, 256/7).<br />
75 Bourdieu spricht von ‚Strategien‘, nicht im Sinne rationaler Handlungstheorie oder eines expliziten Plans,<br />
sondern mit einer anderen theoretischen Intention, „nämlich um damit zweckgerichtete Handlungsserien zu<br />
bezeichnen, welche die Akteure fortwährend hervorbringen – beim Sport etwa, wenn sie das Gegenteil von dem<br />
tun, was ihr Gegner tut, indem sie seine Reaktion auf ihre Aktion vorwegnehmen“ (Bourdieu, 1989, 73).<br />
76 Bourdieu, 1989, 72/3
14<br />
zeigt: „Ein Spieler, der im Spiel aufgeht, vom Spiel gepackt ist, stellt sich nicht auf das ein<br />
was er sieht, sondern was er vorhersieht, was er in der unmittelbar wahrgenommenen<br />
Gegenwart bereits vorausblickend erfaßt, indem er nämlich den Ball nicht dorthin abgibt, wo<br />
sich sein Mittelstürmer gerade befindet, sondern an den Punkt, den dieser - vor dem ihn<br />
verdeckenden Verteidiger - sogleich erreichen wird. Dabei nimmt er Vorwegnahmen der<br />
gegnerischen Mannschaft, oder gar wie beim Täuschen, Vorwegnahmen von Vorwegnahmen<br />
vorweg“ 77 . Solche Wahrnehmung hat ihre Wurzeln offenbar im vitalen <strong>und</strong> auch<br />
animalischen Leben 78 wie auch eine von Kleist berichtete Episode zeigt 79 . Viktor von<br />
Weizsäcker hat solche ‚Vorwegnahme‘ als Prolepsis bezeichnet <strong>und</strong> im proleptischanaleptischen<br />
Wahrnehmungsverhältnis die - im Gegensatz zur physikalischen Zeit -<br />
andersartige Zeitstruktur des Lebendigen aufgewiesen 80 .<br />
Merleau-Ponty’s Philosophie, welche V. v. Weizsäckers ‚Einheit von Wahrnehmen <strong>und</strong><br />
Bewegen’ aufnimmt 81 , formuliert diesen Zusammenhang in anderer Weise: „Dieses<br />
Unbewußte ist nicht in unserem Innersten zu suchen, hinter dem Rücken unseres<br />
‚Bewußtseins‘, sondern vor uns als Gliederung unseres Feldes. Es ist Unbewußtes dadurch,<br />
daß es nicht Objekt ist, sondern das, wodurch Objekte möglich sind, es ist die Konstellation,<br />
aus der unsere Zukunft ablesbar ist [...]. Es ist die Urgemeinschaftung unseres intentionalen<br />
Lebens, das Ineinander der Anderen in uns <strong>und</strong> von uns in ihnen“ 82 .<br />
In dieser ‚Urgemeinschaftung‘ Merleau-Ponty’s, diesem ‚Ineinander‘, von dem Fuchs als<br />
„Verflochtenheit menschlicher Leiblichkeiten durch ihre gemeinsame, in ihrem impliziten<br />
Gedächtnis aufbewahrte Geschichte”, spricht, welche Zukunft konstelliert 83 , zeigt sich der<br />
leibphilosophische Anschluss zu Bourdieus sozialphilosophischem Entwurf. In der Beziehung<br />
beider Ansätze aufeinander wäre die Konvergenz von Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität auch im<br />
77 Bourdieu, 1987 b, 149<br />
78 Man findet die proleptische Wahrnehmung z. B. auch im Zweikampf von Mungo <strong>und</strong> Kobra, welche den<br />
Mungo in diesem Zweikampf nicht verlieren lässt, weil seine proleptische Wahrnehmung ihn vorher ‚wissen‘<br />
lässt, welche Bewegung die Kobra im nächsten Augenblick machen wird (Vgl. Tellenbach, H., 1985, 259).<br />
Ähnlich ist die Katze nicht deshalb in der Lage eine Maus zu fangen, weil sie feststellt, wo jetzt die Maus sitzt,<br />
sondern weil sie vorwegnehmen kann, wo die Maus mit ihrer nächsten Bewegung sein wird, <strong>und</strong> dorthin springt<br />
(Vgl. Lippe, R. z., 1987, 141).<br />
79 Heinrich von Kleist erzählt vom einen Zweikampf mit einem angeb<strong>und</strong>enen, gleichwohl als Fechter<br />
unbesiegbaren Bären, dessen Besitzer den Bär offensichtlich zum Zwecke des Fechtens hielt: „Der Bär stand, als<br />
ich erstaunt vor ihn trat, auf den Hinterfüßen, mit dem Rücken an einen Pfahl gelehnt, an welchen er<br />
angeschlossen war, die rechte Tatze schlagfertig erhoben <strong>und</strong> sah mir ins Auge: Das war seine Fechterpositur<br />
[...]. Nicht bloß, daß der Bär, wie der erste Fechter der Welt, alle meine Stöße parierte; auf Finten [...] ging er gar<br />
nicht mal ein: Auge in Auge, als ob er meine Seele darin lesen könnte, stand er, die Tatze schlagfertig erhoben,<br />
<strong>und</strong> wenn meine Stöße nicht ernsthaft gemeint waren, so rührte er sich nicht“ (Kleist, H. v., „Über das<br />
Marionettentheater“, Leipzig o. J., S. 1141).<br />
Die vorgef<strong>und</strong>enen Beispiele proleptischer Wahrnehmung sind ausschließlich Kampfbeispiele. Als technisches<br />
Beispiel klingt dies noch einmal in C. F. v. Weizsäckers Erläuterung des Gestaltkreismodells am Beispiel der<br />
Rakete an (Weizsäcker, C. F. v., 1982, 2<strong>18</strong>). Das ist nicht stimmig. Die frühe Mutter-Kind-Beziehung <strong>und</strong><br />
andere Beziehungsformen (Vgl. Schmitz, H., 1989, 13) weisen analoge Zeitstrukturen auf, mindestens, im Sinne<br />
von Schmitz, als ‚Koagieren ohne Reaktionszeit‘ (ebd.). ‚Geistesgegenwärtiges‘ Handeln etwa in der<br />
Vorwegnahme von Gefahrensituationen für Andere, lebt aus der Prolepsis der in der Zwischenleiblichkeit<br />
verankerten Wahrnehmung. Hierzu fanden sich jedoch keine Beispiele.<br />
80 Weizsäcker spricht von der Prolepsis der Wahrnehmung <strong>und</strong> kommt von den experimentellen Erfahrungen her<br />
„zu der Feststellung des anamnestisch-proleptischen Charakters der Wahrnehmungsgestalten. Es ist für den<br />
proleptischen Charakter nun ebenso klar, wie für den anamnestischen, daß er in der analytischen Erkenntnis der<br />
Mechanik oder Physik ebenfalls keine entsprechende Realität besitzt: Was in der objektiven Form der Zeit<br />
gedacht, noch nicht ist, ist überhaupt nicht“ (Weizsäcker, V. v., Gestalt <strong>und</strong> Zeit, Göttingen 1960, 49/50). Dieser<br />
Zeitbegriff ist nicht mehr der Kants, „denn in der Gestalt ist der wesentliche Anteil der Zeit nicht [...], daß sie die<br />
‚Form des inneren Sinnes‘ (Kant) ist, sondern die Gestalt selbst ist es, welche die Zeitstruktur mitgestaltet“<br />
(Weizsäcker, 1960, 48; Vgl. ders., 1986, 197).<br />
81 Merleau-Ponty spricht von Sich-bewegen (Merleau-Ponty 1986, 321, 327)<br />
82 Merleau-Ponty, 1986, 233<br />
83 Fuchs, 2000 a, 332
15<br />
Hinblick auf die ‚Prolepsis‘ oder ‚Antizipation’ 84 zu untersuchen. Auf diesem Hintergr<strong>und</strong><br />
wird die immer wieder betonte, jedoch selten plausibel gemachte Rede von ‚Kunst, die ihrer<br />
Zeit voraus ist‘- die jedoch, wenn überhaupt, immer post festum, im Nachhinein, realisiert<br />
wird, in einen neuen Horizont gerückt. Von hier aus könnte eine Ästhetik der Produktion am<br />
Feld des Möglichen ansetzen.<br />
84<br />
Vgl. Gaede, F., Perez C. (Hrsg.), Antizipation in Kunst <strong>und</strong> Wissenschaft, Ein interdisziplinäres<br />
Erkenntnisproblem <strong>und</strong> seine Begründung bei Leibniz, Tübingen <strong>und</strong> Basel 1997
16<br />
III. MIMESIS<br />
Vorbemerkung: Mimesis bei Bourdieu<br />
Das von Bourdieu für den Habitus gezeigte Verhältnis von Inkarnation <strong>und</strong> Prolepsis verweist<br />
auf Mimesis als das basale Vermögen der Inkarnation. Bourdieu betont, dass „die<br />
Einverleibung von Schemata, praktische Mimesis [...], nichts von einer Nachahmung an sich<br />
hat“ 85 <strong>und</strong> auch nicht über ‚Vorstellungen‘ verläuft 86 . Was der Leib mimetisch, wie man jetzt<br />
sagen kann, gelernt hat, „das besitzt man nicht wie ein wiederbetrachtbares Wissen, sondern<br />
das ist man“ 87 .<br />
Diese Bedeutung mimetischer Inkarnation realisiert sich auch in der Darstellung: „Der Leib<br />
glaubt, was er spielt [...]. Er ruft nicht die Vergangenheit ins Gedächtnis, sondern agiert die<br />
Vergangenheit aus, die damit als solche aufgehoben wird, erlebt sie wieder“ 88 . Insofern kann<br />
man nicht von Re-Präsentation, sondern muss von Präsentation sprechen.<br />
Das mimetische Gr<strong>und</strong>verhältnis aller Darstellung muss auch in der Wahrnehmung aller<br />
Darstellung berücksichtigt werden, weil „Kunstgeschichte, die [...] das Werk wie einen<br />
Diskurs behandelt, der ähnlich wie die Sprache bei Saussure mit Hilfe einer transzendentalen<br />
Chiffre entziffert werden soll, [...] darüber vernachlässigt, daß die künstlerische<br />
Hervorbringung - in unterschiedlichem Maße, je nach der Kunstform <strong>und</strong> den historisch<br />
variablen Formen ihrer Praktizierung - immer auch Produkt einer ‚Kunst‘ [...] oder, wenn man<br />
so will, einer mimesis, einer Art symbolischen Gymnastik wie Ritus oder Tanz ist <strong>und</strong> daß sie<br />
deswegen immer etwas Unsagbares enthält, nicht etwa, weil sie zu schön wäre, wie die<br />
Beweihräucherer meinen, sondern weil die Worte fehlen“ 89 .<br />
So zeigt sich Mimesis in einem neuen Sinne als ein weiterer Konvergenzbegriff von Ästhetik<br />
<strong>und</strong> Sozialität.<br />
1. Mimesis: Historische Anthropologie<br />
Das Wort Mimesis stammt aus dem Griechischen 90 <strong>und</strong> bedeutet Nachahmung. Kamper<br />
spricht von Mimesis auch als Vorahmung 91 .<br />
Mit dem Begriff sind weitere Wortfelder wie Simulation, Schein, Ähnlichkeit, Mimikry usw.<br />
im Zusammenhang, so dass sich jetzt schon andeutet, dass Mimesis ein Bedeutungsfeld<br />
eröffnet, das die verschiedensten Ebenen miteinander verbinden kann, ohne Differenzen<br />
aufzuheben. Hier soll es aber nicht um Begriffsgeschichte <strong>und</strong> die Auffächerung der<br />
Bedeutungen gehen, sondern um die Denkbewegungen, die zur Konvergenz von Mimesis <strong>und</strong><br />
Sozialität führen.<br />
85 Bourdieu, 1987 b, 135<br />
86 Als eine vom „Verhältnis zu Sprache <strong>und</strong> Zeit untrennbare gr<strong>und</strong>legende Dimension des Habitus kann das<br />
Verhältnis zum Leib nicht auf ein ‚Bild des Leibes‘ [...] zurückgeführt werden [...]. Hier irrt die<br />
Sozialpsychologie, wenn sie die Dialektik der Einverleibung auf die Ebene der Repräsentationen verlegt“<br />
(Bourdieu, 1987 b, 134).<br />
87 „Besonders deutlich wird dies in Gesellschaften ohne Schrift, in denen ererbtes Wissen nur in einverleibtem<br />
Zustand lebendig bleiben kann“ (Bourdieu, 1987 b, 135).<br />
88 ebd.<br />
89 Bourdieu, 1987 b, 64<br />
90 Bei Platon meint es die Abbildung des Urbildes (Idee) aus der sich eine Hierarchie der Nachahmungen nach<br />
ihrer Nähe zum Urbild ergibt. Aristoteles bezieht den Begriff vor allem auf die darstellende Handlung in Drama<br />
<strong>und</strong> Theater, wobei der Begriff der Katharsis als affektiver Entladung oder Reinigung eine große Rolle spielt.<br />
91 Dietmar Kamper macht diesen Unterschied im Zusammenhang der Unterscheidung von Mimesis <strong>und</strong><br />
Simulation. „Mimesis heißt nicht Nachahmung sondern Vorahmung, während ‚Simulation‘, ein lateinisches<br />
Wort, das technische Herstellen von Bildern meint, die einer Realität täuschend ähnlich sind“. Mimesis, so<br />
Kamper, läuft auf Differenz heraus, Simulation auf Identität (Kamper, D., 1991, 86/9).
17<br />
Diese zu entfalten war Anliegen von Christoph Wulf, oft in Zusammenarbeit mit Gunter<br />
Gebauer. Das bedeutete einen Begriff, der traditionell als der Ästhetik zugehörig verstanden<br />
wurde, aus dieser Engführung in das Feld der Sozialität zu öffnen. Welche Anstrengungen<br />
des Denkens damit verb<strong>und</strong>en waren, lässt sich ein wenig in der Abfolge der<br />
Gedankenentwicklung <strong>und</strong> in der Quantität der Schriften 92 zeigen.<br />
Der Mimesis-Gedanke wird von Christoph Wulf zunächst noch im Kontext des Ästhetischen<br />
reflektiert, aber schon hier zielt er über diesen Rahmen hinaus, öffnet ihn 93 . Im Sinne der<br />
‚Konvergenz sozialer <strong>und</strong> ästhetischer Mimesis‘ wird er dann 1989 als Beitrag eines Sammel-<br />
Bandes konzipiert 94 . Dieser Beitrag ist Bestandteil der Neubegründung einer historischen<br />
Anthropologie, die sich auf die Suche nach neuen Denkmöglichkeiten außerhalb des<br />
herrschenden Paradigmas als „wissenschaftliche Idealisierungen des Menschen mit Hilfe von<br />
Modellen <strong>und</strong> Regelsystemen, an der Darstellung der Zukunft des Menschen in Begriffen des<br />
Fortschritts <strong>und</strong> der Steigerung, insbesondere wenn sie angeblich konstruktiv zur<br />
Veränderung des Menschen führen soll“ 95 begibt. Verbindend ist hier zunächst der<br />
gemeinsame Zweifel an solchen ‚Orthodoxien‘ <strong>und</strong> weniger eine gemeinsame Überzeugung.<br />
1992 hat sich aus einem der Gedanken des Versuchs einer Neubegründung historischer<br />
Anthropologie eine umfangreiche Aufarbeitung des Zusammenhangs von Mimesis, Kultur-<br />
Kunst-Gesellschaft 96 in Zusammenarbeit mit G. Gebauer entwickelt. Hier wird das Thema als<br />
rückblickende Untersuchung entfaltet, indem die Kultur- <strong>und</strong> Philosophiegeschichte,<br />
ausgehend von der griechischen Antike bis in die Gegenwart, auf ihre Antworten zur Mimesis<br />
neu befragt wird. Nicht nur die Geschichte des Begriffs, sondern vielfältige relevante<br />
ästhetische, soziale, praktische <strong>und</strong> theoretische Bedeutungsaspekte werden heraus<br />
differenziert, ohne sich einer festen Merkmalsbeschreibung dessen, was Mimesis sei, zu<br />
verpflichten. Der ‚rote Faden‘ wird durch ‚Familienähnlichkeiten‘ hergestellt. Die Autoren<br />
verfolgen, indem sie den historischen Wandel von Mimesis zur Darstellung bringen, „die<br />
Absicht, verschüttete Dimensionen des Begriffs freizulegen <strong>und</strong> Reduktionen, falsche<br />
Eindeutigkeiten, Verarmungen aufzuheben“ 97 .<br />
Auf diese umfangreiche historische Aufarbeitung folgt 1998 ‚Spiel, Ritual, Geste,<br />
Mimetisches Handeln in der Sozialen Welt 98 . Hier wird der Begriff nunmehr in einem für<br />
Gesellschaft konstitutiven Sinn entfaltet.<br />
Zwei Bestimmungen der Mimesis werden betont: die erste ist deren sozial-konnektive<br />
Funktion: „Mimetisches Handeln ist [...] Angleichung der Einzelnen an die Gesellschaft“. Die<br />
zweite Bestimmung wendet dieses Verhältnis konstruktiv, insofern in jedem sozialen Subjekt,<br />
dass sich mimetisch handelnd, d.h. auch darstellend auf die Welt bezieht, keineswegs von<br />
Imitation die Rede sein kann: „Darstellen [...] ist ein Erzeugen von etwas Eigenem“ 99 .<br />
Auf dem Hintergr<strong>und</strong> dieser Bestimmungen wird dann die Frage der sozialen Mimesis als<br />
Bewegungen <strong>und</strong> Gesten, der körperlichen F<strong>und</strong>ierung von Gesellschaft <strong>und</strong> der Bedeutung<br />
der Mimesis für den Zusammenhalt der Gesellschaft entwickelt. „Bewegungen setzen sich in<br />
92 Es sind mindestens 25 Titel die Wulf im Verlauf von 16 Jahren zu dem Thema oder unter Berücksichtigung<br />
des Themas geschrieben hat.<br />
93 „Insofern der fiktive Charakter der Kunst heute für die Wissenschaft <strong>und</strong> die Wirklichkeitsauffassung im<br />
allgemeinen beispielhaft ist, wird Mimesis zu einem zentralen Begriff der Humanwissenschaften“ (Wulf, Chr.,<br />
Mimesis <strong>und</strong> der Schein des Schönen, in: Kamper, D., Wulf, Chr. (Hrsg.), Der Schein des Schönen, Göttingen<br />
1989, 528).<br />
94 Wulf, Chr., Mimesis, in: Gebauer, G., Kamper, Lenzen, D., Wulf, Chr., Wünsche, K., Historische<br />
Anthropologie, Zum Problem der Humanwissenschaften heute oder Versuche einer Neubegründung, Reinbek bei<br />
Hamburg 1989<br />
95 ebd. Vorwort der Autoren, 10<br />
96 Gebauer, G., Wulf, Chr., Mimesis, Kultur, Kunst, Gesellschaft, Reinbek bei Hamburg 1992<br />
97 Gebauer,Wulf, 1992, 16<br />
98 Gebauer, G., Wulf, Chr., Spiel, Ritual, Geste, Mimetisches Handeln in der sozialen Welt, Reinbek bei<br />
Hamburg 1998<br />
99 Gebauer, Wulf, 1998, <strong>18</strong>/19
<strong>18</strong><br />
Gesten fort, Gesten in Ritualen oder Spielen, Spiele sind durch Ähnlichkeit mit anderen<br />
Spielen verb<strong>und</strong>en. Jedes Weiterlaufen zu neuen Welten bringt einen Gewinn an Wissen“ 100 .<br />
All diese Einsichten realisieren auf jeder Ebene immer wieder neu den Gedanken der<br />
gesellschaftlichen ‚Vernetzheit‘ durch Mimesis, durch Inkorporation. Die Körper 101 sind<br />
sozusagen die Knotenpunkte dieser Netze. Hinzuzufügen wäre, dass in ihnen das Ästhetische<br />
gründet, das diese sich bewegenden ‚Netze‘ immer neu zur Erscheinung bringt.<br />
So wird aus der Mimesis als F<strong>und</strong>ament sozialer, gesellschaftlicher Existenz eine ‚soziale<br />
Ästhetik‘, in der die Autoren die Freiheit der Einzelnen als ‚soziale Ästhetik‘ begründen,<br />
ohne diese in einem Konzept des Individualismus preiszugeben. „Jedes soziale Handeln, nicht<br />
nur jenes der künstlerischen oder anderer Eliten, hat die Möglichkeit der ästhetischen<br />
Gestaltung, eine individuelle Marge des Handelns zu gewinnen, subjektive Welt zu erzeugen.<br />
Aber dieses mimetische Prinzip des sozialen Handelns berechtigt nicht zur Propagierung eines<br />
radikalen Individualismus, es gibt keine Gesellschaft von solipsistischen, einzig für sich selbst<br />
bestehenden Personen. Ich bin meine Welt - aber die Welt ist in mir“ 102 .<br />
Eine solche Freiheit ist keineswegs unerheblich, denn die Weisen des sozialen Handelns, ihr<br />
Stil selbst ist ein eigenes Mitteilungssystem <strong>und</strong> damit soziales Handeln. In double-bind-<br />
Kommunikationen wird es gerade im Widerspruch zur Sprache erfahrbar.<br />
Es erscheint den Autoren nun keineswegs selbstverständlich, einen Begriff, der über zwei<br />
Jahrtausende Prozesse der Ästhetik darstellte, in die Sozialwissenschaften einzuführen. Sie<br />
sehen sich aber durch eine Reihe großer Theoretiker, wie Benjamin, Adorno, Girard, Derrida,<br />
Serres, Bourdieu u. a., dazu ermutigt, auch wenn deren Denken das Konzept nicht<br />
systematisch, sondern eher sporadisch berücksichtigt 103 . Das Thema wird weiterhin in<br />
verschiedene Denkrichtungen hin entfaltet 104 .<br />
Mimesis als sozial verbindender Funktion steht aber auch die mimetische Bedeutung der<br />
Gewalt, wie sie Girard in der Vermittlung der Konkurrenz betont hat 105 , gegenüber. Jenseits<br />
der Konkurrenz wäre Mimesis als Gewalt auch auf ihren Untergr<strong>und</strong>, der Rache hin bzw. auf<br />
die Mimesis der Selbstzerstörung in der Retroflexion erfahrener Gewalt hin zu untersuchen.<br />
Gerade was diese Dimension angeht, ist die Bedeutung der Mimesis in ihrer nächsten Stufe,<br />
der Reflexivität durch Darstellung, wie z. B. im Theater oder anderen Medien von zentraler<br />
Bedeutung. Der Gedanke der Katharsis der Tragödie hat hier seine Wurzel. Psychodrama<br />
etwa arbeitet mit dieser Ebene inkorporierter Erfahrung, die in der Darstellung reflexiv <strong>und</strong><br />
mit anderen geteilt werden, ja im mimetischen Sinne als innerem Mitvollzug verstanden <strong>und</strong><br />
von ihnen mitgetragen werden kann, um dann, der sprachlich vermittelten Reflexion<br />
angeschlossen, erneut mit-geteilt zu werden.<br />
So ist Mimesis keine ethische Kategorie; sie ist nicht gut <strong>und</strong> nicht böse.<br />
Ihre Bedeutung für Sozialität zu übersehen heißt nicht nur die Basis der Sozialität zu leugnen,<br />
sondern auch, sich der Möglichkeiten, ihrer Erkenntnis - als kultivierendem <strong>und</strong><br />
bewusstmachendem Umgang mit dieser anthropologischen Konstante - zu begeben.<br />
Ihre Bedeutung für Ästhetik ist ja in diesen Gedankengängen unter der Perspektive der<br />
Konvergenz von Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität Thema.<br />
100 Gebauer, Wulf, 1998, 229<br />
101<br />
Die Autoren sprechen durchgängig von Körper, meinen aber offenbar viele Phänomene welche<br />
Leibphilosophie behandelt.<br />
102 Gebauer, Wulf, 1998, 304<br />
103 Gebauer, Wulf, 1998, 7<br />
104 Vgl. z. B. Gebauer, G., Wulf, Chr. (Hrsg.), Mimetische Weltzugänge, Stuttgart 2003; Wulf, Chr., Zur Genese<br />
des Sozialen Mimesis, Performativität, Ritual, Bielefeld 2005<br />
105 Girard, R., Die Gewalt <strong>und</strong> das Heilige, Zürich 1987, 215/6. „Das Gleiche, das Ähnliche ruft die Idee der<br />
Harmonie in den menschlichen Beziehungen hervor: wir haben den gleichen Geschmack, wir mögen die<br />
gleichen Dinge, wir sind dazu gemacht, uns zu verstehen. Was passiert aber, wenn wir wirklich die gleichen<br />
Wünsche haben?“ Hier setzt dann sein Gedanke der Konkurrenz ein.
19<br />
Für ihre Bedeutung als Erkenntnisvermögen ist abschließend hervorzuheben, dass Mimesis<br />
identitätslogisch nicht zu denken ist. Die einfachsten Akte der Mimesis als ‚Nachahmung‘<br />
sind immer schon Darstellung: das Andere, Fremde, erscheint im Nachahmenden: - Identität<br />
in der Differenz <strong>und</strong> umgekehrt.<br />
2. Mimesis: Phänomenologische Anthropologie<br />
Fuchs bringt im Rahmen phänomenologischer Anthropologie 106 , welche den Begriff des<br />
Leibes in den Mittelpunkt stellt, die basale Bedeutung des Begriffs der Mimesis für Sozialität<br />
zur Geltung, wobei Mimesis oft synonym mit ‚Einbildung‘ verwendet wird. „Der fremde <strong>und</strong><br />
der eigene Leib werden von vornherein als verwandt erfahren; sie sind durch einen<br />
gemeinsamen ‘Stil’, eine gemeinsame Bewegungsfigur in der Wahrnehmung miteinander<br />
verknüpft. Das Neugeborene nimmt die Mutter nicht als Bild oder Gegenüber wahr, sondern<br />
mimetisch, indem es sich ihre Bewegungsgestalt leiblich ‘einbildet’“ 107 . Als früheste<br />
Erkenntnisstruktur bleibt das Mimetische als Untergr<strong>und</strong> aller Wahrnehmung immer erhalten<br />
<strong>und</strong> begründet eine auf Ähnlichkeit basierende Semantik der Existenz 108 .<br />
Als mimetische Resonanz schließlich ist Mimesis Voraussetzung unseres Mitgefühls <strong>und</strong><br />
sozialen <strong>Verstehen</strong>s 109 . Diese Dimension des <strong>Verstehen</strong>s kann man mit Fuchs anschließen an<br />
die Bedeutung des Habitus als kollektivem sozialen Band oder ‚Netz’, vor allem aber an die<br />
Geschichtlichkeit des Leibes: „Schon den aufrechten Gang lernen wir mimetisch an den<br />
Anderen, ebenso subtilere Dispositionen [...]. Auf diese Weise bilden sich schließlich<br />
kollektive Stile der Leiblichkeit heraus. [...] Jeder Leib bildet einen Auszug aus einer<br />
Vergangenheit von Begegnungen <strong>und</strong> gemeinsamen Erfahrungen, die sich in ihm<br />
niedergeschlagen haben <strong>und</strong> in Zukunft weiterwirken. Damit erhält die intercorporéité, die<br />
Zwischenleiblichkeit Merleau-Pontys, einen zusätzlichen historischen Aspekt: Sie bedeutet<br />
nicht nur das präreflexive <strong>Verstehen</strong> in der leiblichen Kommunikation, sondern auch eine<br />
Verflochtenheit menschlicher Leiblichkeiten durch ihre gemeinsame, in ihrem impliziten<br />
Gedächtnis aufbewahrte Geschichte” 110 .<br />
Für dieses Moment der Mimesis als implizitem Gedächtnis ist die Zeit als Bewegung<br />
konstitutiv, denn Zeitgestalten, Zeitmuster, Bewegungsanmutungen, Gestaltverläufe <strong>und</strong><br />
Rhythmus gehören zu den wesentlichen Strukturmerkmalen der Leiblichkeit, sind also auch<br />
Gr<strong>und</strong>lage des leiblichen Gedächtnisses 111 .<br />
Die existentielle Dimension inkarnierter Mimesis als ‚sozialem Band‘ kann man sich am<br />
Beispiel der ‚Wolfskinder‘ klar machen 112 .<br />
106 Fuchs, 2000 a<br />
107 Fuchs, 2000 a, 249<br />
108 „Durch die mimetische Komponente der Wahrnehmung werden belebte <strong>und</strong> unbelebte Dinge entsprechend<br />
ihrer Gestalt oder Funktion als leibverwandt, als ‘Quasi-Leiber’ erfahren. Daher begegnen uns auch in der<br />
Sprache überall Leib-Analogien: Nagel- oder Briefkopf, [...] Meeresarm, Schiffsbauch [...]. Das Buch ‘liegt’,<br />
aber der Teller ‘steht’ auf dem Tisch, weil an ihm (infolge seiner konkaven Öffnung) die Richtung nach oben<br />
wahrgenommen wird“ ( Fuchs, 2000 a, 171), (Vgl. zum Verhältnis von Umwelt <strong>und</strong> Leib auch Rittelmeyer, Chr.,<br />
Pädagogische Anthropologie des Leibes, insbes. ‚Synästhesien in der Schulbau-Wahrnehmung‘, Weinheim <strong>und</strong><br />
München 2002).<br />
109 Fuchs, 2000 a, 247<br />
110 Fuchs, 2000 a, 332<br />
111 Fuchs, 2000 a, 317<br />
112 Es handelte sich um zwei kleine Mädchen, die im Wolfsrudel aufwuchsen <strong>und</strong> später ‚gerettet‘ wurden. Ihre<br />
Gesichter waren ausdruckslos, sie wurden nur nachts aktiv, liefen auf allen Vieren, wollten nur rohes Fleisch<br />
essen <strong>und</strong> zogen dem menschlichen Kontakt die Gesellschaft von H<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Wölfen vor. Die Trennung vom<br />
Wolfsrudel führte beide Mädchen zu einer tiefen Depression. Eines starb, das andere überlebte noch 10 Jahre,<br />
aber obwohl es den aufrechten Gang <strong>und</strong> einige Worte lernte, haben weder die Familie des anglikanischen<br />
Missionars, noch andere Personen, die das Mädchen näher kennenlernten, es je als ‚wirklich menschlich‘<br />
empf<strong>und</strong>en (Vgl. Maturana, H. R., Varela, F. J., 1987, 141-144).
20<br />
Die Bedeutung der Dauer solch impliziten kollektiven Gedächtnisses macht ein ganz anderes<br />
Beispiel deutlich. Imhoff zeigt im historischen Vergleich zweier Orte, wie sich traumatische<br />
Geschichte des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts (Pest, Hunger <strong>und</strong> Krieg) als Existenzbedrohung der<br />
gesamten Gemeinschaft, im unterschiedlichen Lebenstil als ‚Haltung‘ zu den gr<strong>und</strong>legenden<br />
Vorgängen des Lebens niedergeschlagen hat 113 . Sie sind „in Fleisch <strong>und</strong> Blut aller<br />
Bewohner“, ins „kollektive Nicht-Bewusste“ übergegangen <strong>und</strong> wirkten bis zum Ende des 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts, ja bis in die erste Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts nach.<br />
3. Mimesis: Neurophysiologie<br />
Ohne dass der Begriff Mimesis fällt, kann man das mimetische Vermögen auch mit den<br />
Forschungen Galleses 114 neurophysiologisch darstellen. Seine Forschungen an Halbaffen<br />
zeigen, dass sowohl bei einer ausgeführten als auch einer nur wahrgenommenen Handlung die<br />
gleichen Neuronen ‚feuern‘, <strong>und</strong> das gilt offensichtlich auch für menschliches Verhalten. So<br />
werden beim Beobachten von Schmerz genau die Nervenzellnetzwerke aktiv, die auch beim<br />
selbst erlebten Schmerz feuern. Hier zeigt sich Mimesis als innerer Mitvollzug, als<br />
‚Einbildung‘ des Verhaltens der anderen.<br />
Gallese zeigt mit diesen Forschungen, dass wir andere, ohne nachzudenken, verstehen können<br />
<strong>und</strong> dass diese Systeme eine wesentliche Rolle in der Bindung menschlicher Individuen<br />
spielen. Ferner nimmt er an, dass die Funktion der Spiegelneuronen im proleptischen Sinne<br />
des Entwurfs <strong>und</strong> Kontrolle von Handlungssequenzen zu begreifen ist <strong>und</strong> sich auch<br />
phylogenetisch in diesem Sinne entwickelt haben könnte 115 . Bauer 116 hat diesen Aspekt<br />
proleptischer Intuition 117 besonders betont.<br />
Das Konzept der shared manifold Hypothese der Intersubjektivität begründet Gallese damit,<br />
dass Handlungen <strong>und</strong> Gefühle anderer deshalb für uns bedeutungsvoll sind, weil wir sie<br />
miteinander teilen können.<br />
Im Rückgriff auf Theodor Lipps wird die ästhetische Bedeutung der ‚Einfühlung‘<br />
angesprochen <strong>und</strong> die gewonnenen Erkenntnisse auf die phänomenologische Philosophie<br />
Husserls, Edith Steins <strong>und</strong> Merleau-Pontys bezogen 1<strong>18</strong> .<br />
113 Imhoff, A. E., Die verlorenen Welten, Alltagsbewältigung durch unsere Vorfahren, München 1984.<br />
Imhoff schildert dieses auf der Gr<strong>und</strong>lage viefältiger historischer Untersuchungen, im Vergleich von Gabelbach<br />
im süddeutschen Schwaben <strong>und</strong> Hesel im norddeutschen Ostfriesland. Gabelbach war sehr viel dramatischer <strong>und</strong><br />
in kürzeren Abfolgen derartigen Traumatisierungen (Pest, Hunger <strong>und</strong> Krieg) ausgesetzt. Diese kollektiven<br />
Erfahrungen haben sich in den verschiedenen Einstellungen zum Leben <strong>und</strong> Überleben niedergeschlagen. Dies<br />
zeigt sich in der bemerkenswert niedrigeren Säuglingssterblichkeit in Hesel. Imhoff bringt dies damit in<br />
Zusammenhang, dass am einen Ort die Achtung vor dem Leben der Mütter <strong>und</strong> der Ehepartner untereinander<br />
größer war als am anderen (Imhoff, 108). Dazu gehörte z. B., dass die Frauen bis kurz vor der Geburt <strong>und</strong> kurz<br />
danach schwere Arbeiten verrichten, im anderen, dass längere Stillzeiten auch als Empfängnisschutz wirkten,<br />
gleichzeitig aber auch die bessere Ernährung waren <strong>und</strong> dass sich dadurch ein sehr viel intesiverer Kontakt<br />
zwischen Müttern <strong>und</strong> Kindern entwickelte, während sich im anderen Fall eine größere Gleichgültigkeit<br />
gegenüber den Neugeborenen entstand. (Imhoff, 111).<br />
114 Gallese, V., The ‚Shared Manifold’ Hypothesis, From Mirror Neurons To Empaththy, in: Journal of<br />
Consciousness Studies, 8, No. 5 – 7, 2001, pp 33 - 50<br />
115 Gallese, 2001, 40/41<br />
116 Bauer, J., Warum ich fühle, was du fühlst, Intuitive Kommunikation <strong>und</strong> das Geheimnis der Spiegelneurone,<br />
Hamburg 2005<br />
117 Im impliziten Wissen dieser unbewussten Mimesis bildet sich unsere Intuition. Hier entstehen die Ahnungen<br />
darüber, was im weiteren Verlauf zu erwarten sein wird. Solche intuitiven Vorhersagen, gehen weit über<br />
Bewegungsabläufe hinaus. Dies geschieht vermutlich nach dem Pars-pro-toto-Prinzip, denn „Spiegelneurone<br />
können beobachtete Teile einer Szene zu einer wahrscheinlich zu erwartenden Gesamtsequenz ergänzen“ (Bauer,<br />
2005, 32). Bourdieu sprach davon, dass die „Logik der Übertragung von Schemata, die aus jeder Technik des<br />
Leibes eine Art pars totalis macht, die von vornherein nach dem Paralogismus des pars pro toto fungieren kann,<br />
also jederzeit das ganze System beschwört, zu dem sie gehört“ (Bourdieu, 1987 b, 128).<br />
1<strong>18</strong> Gallese, 2001, 43/44
21<br />
Zusammenfassend kann man sagen, dass wir mehr wissen als wir wissen, dass wir mehr<br />
wahrnehmen als wir bewusst beobachten <strong>und</strong> dass wir mehr <strong>und</strong> anders verstehen können, als<br />
durch Nachdenken. Durch Mimesis werden Resonanzvorgänge als Herausbildung impliziten<br />
Wissens möglich.<br />
Der Rekurs auf Erkenntnisse der Neurophysiologie soll nun an dieser Stelle nicht als<br />
‚Beweis’, sondern eher als Ermutigung zum phänomenologischen Vorgehen in Ästhetik <strong>und</strong><br />
Sozialität verstanden werden. Sowohl soziale als auch ästhetische Praxis muss immer auch<br />
mit dem impliziten Wissen operieren. In beiden Bereichen kann man nicht darauf warten, dass<br />
die, vermittels sozialer <strong>und</strong> ästhetischer Einbildungskraft, erlebten Phänomene sich vielleicht<br />
auch neurophysiologisch darstellen lassen, um sie ernst zu nehmen.<br />
Mimetische, einbildende Erkenntnis ist jedoch in diesem Vergleich der verschiedenen<br />
Erkenntniswege insofern in Kraft getreten, als in völlig verschiedenen Begriffs- <strong>und</strong><br />
Denksystemen, die auch von verschiedenen Erkenntnisinteressen geleitet werden, das Gleiche<br />
im Verschiedenen erkannt werden könnte, in diesem Fall Mimesis selbst.<br />
In den hier vermittelten verschiedenen Denkwegen zeigt sich Mimesis, weit über das im<br />
engen Sinne Ästhetische hinaus, als basale soziale Kategorie, als das soziale Band, das unsere<br />
Welt zusammenhält. Darüberhinaus zeigt sich, dass wir mehr wissen als wir wissen, -<br />
implizit. Aus diesem impliziten Wissen <strong>und</strong> seiner Logik der Ähnlichkeit lebt Ästhetik<br />
sowohl als Aisthesis als auch im Sinne ästhetischer Produktion. Letztere bietet die nicht zu<br />
ersetzende Möglichkeit, jenseits der Sprache <strong>und</strong> jenseits wissenschaftlicher Sprache,<br />
Implizites explizit zu machen.<br />
Ästhetische Produktion bildet den Weg; implizites Wissen zu kultivieren, auszubilden, <strong>und</strong> sie<br />
ist der Weg, unsere eigenen Voraussetzungen, den Habitus, um mit Bourdieu zu sprechen, zur<br />
Darstellung zu bringen. Nicht zuletzt darin ist sie für Sozialität im Sinne dessen, was sich<br />
anbahnt, von proleptischer Bedeutung.
22<br />
IV. DIE EINHEIT DER SINNE: SELBSTÄHNLICHKEIT DER MIMESIS<br />
Im Vorangegangenen ist vor allem die externe Seite der Mimesis, ihre sozial verbindende,<br />
vergesellschaftende Funktion herausgearbeitet worden. Im Folgenden soll der Gedanke einer<br />
gewissermaßen ‚internen Ähnlichkeit‘, ,Selbstähnlichkeit‘ der Mimesis gezeigt werden, als<br />
sensus communis in doppelter Bedeutung, sowohl als Einheit der Sinne, als auch in Richtung<br />
der Bedeutung des Gemeinsinns 119 .<br />
Walter Benjamin sprach von Mimesis <strong>und</strong> ‚unsinnlichen Ähnlichkeiten‘ <strong>und</strong> meinte damit die<br />
Fähigkeit in völlig verschiedenen Darstellungsbereichen analoge Gestalten erscheinen zu<br />
lassen, etwa die Bewegungen des Kosmos im Tanz. Solchen ‚unsinnlichen Ähnlichkeiten‘<br />
sind wir bereits bei Panofsky begegnet.<br />
Diese Fähigkeit ist nun nicht, wie Benjamin meinte, ausschließlich in Schrift <strong>und</strong> Sprache<br />
hineingewandert, sondern bildet immer noch die Gr<strong>und</strong>lage unseres Wahrnehmens <strong>und</strong><br />
unserer zwischenleiblichen Kommunikation. Dieses von Benjamin angenommene Vermögen<br />
existiert auch heute noch, musste aber erst wieder theoretisch freigelegt werden.<br />
1. Phänomenologie: die Kategorien leiblicher Partizipation<br />
Solche ‚unsinnlichen Ähnlichkeiten‘ finden wir in anderen Termini <strong>und</strong> im Verb<strong>und</strong> mit der<br />
partizipatorischen Wahrnehmung in der Phänomenologie <strong>und</strong> der auf ihr basierenden neuen<br />
Ästhetik 120 . Bewegungsanmutungen/Gestaltverläufe, synästhetische Charaktere <strong>und</strong><br />
physiognomische Charaktere sind die Begriffe, in denen sich ein die Einzelsinne <strong>und</strong> ihre<br />
Darstellungsräume übergreifendes Wahrnehmungs- <strong>und</strong> <strong>Ausdruck</strong>svermögen zeigt. Sie bilden<br />
sozusagen die Grammatik der Mimesis als primärer leiblicher Kommunikation.<br />
Sowohl im Rahmen phänomenologischer als auch neurophysiologischer Beschreibungen hatte<br />
sich Bewegung bereits als Gr<strong>und</strong>lage ‚externer‘ Mimesis gezeigt.<br />
Merleau-Ponty hat in der Bewegung auch die ‚interne‘ Ähnlichkeit der Einheit der Sinne<br />
angenommen: „Das F<strong>und</strong>ament der Einheit der Sinne ist die Bewegung, nicht die objektive<br />
Bewegung <strong>und</strong> Ortsveränderung, sondern der Bewegungsentwurf oder die ‘virtuelle<br />
Bewegung’“ 121 , wie überhaupt „eben mein Leib ein durch <strong>und</strong> durch aus intersensorischen<br />
Äquivalenzen <strong>und</strong> Transpositionen bestehendes System ist. Die Sinne übersetzen sich<br />
ineinander, ohne dazu eines Dolmetschs zu bedürfen, sie begreifen einander, ohne dazu des<br />
Durchgangs durch eine Idee zu bedürfen. Diese Bemerkungen lassen uns den vollen Sinn des<br />
Herderschen Wortes verstehen: Der Mensch sei ‘ein dauerndes sensorium commune, nur von<br />
verschiedenen Seiten berührt“ 122 .<br />
Der entsprechende Gedanke findet sich in der Phänomenologie von H. Schmitz im Begriff der<br />
Bewegungsanmutungen/Gestaltverläufe 123 . Rhythmus ist z. B. eine Bewegungssuggestion,<br />
deren Wirkung man sich kaum entziehen kann.<br />
Synästhetische Charaktere zeigen sich etwa in der Wärme einer roten Farbe wie auch im<br />
warmen Ton einer Stimme. Schmitz weist z.B. darauf hin, dass das helle Spitze ebenso der<br />
gelben Farbe wie dem ‘i’ zukommt oder er fragt als Beispiel nach der Gemeinsamkeit einer<br />
119 Vgl. zu beiden Aspekten unten V. 1 <strong>und</strong> 2<br />
120 Vgl. Böhme, G., 1995, ders. 2001<br />
121 Merleau-Ponty, 1966, 273/4<br />
122 Merleau-Ponty, 1966, 274<br />
123<br />
H. Schmitz spricht hier von Bewegungsanmutungen oder Bewegungssugestionen, welche nicht als<br />
antropomorphe Handlungsmetaphern oder ‚Projektionen‘ zu verstehen sind, (Schmitz, H., 1987, 38 fff) sondern<br />
am, ja durch den eigenen Leib erlebt werden. Betont der Begriff der Bewegungsanmutung das Erleben am<br />
eigenen Leibe, so betont der Begriff Gestaltverlauf die von einer Gestalt ausstrahlende Bewegung, selbst wenn<br />
ihr ‚Träger‘ unbewegt ist wie etwa der ‚sich schlängelnde‘ Weg.
23<br />
schmeichelnden Frühlingsluft <strong>und</strong> eines schmeichelnden Höflings 124 . Hier zeigt sich wieder,<br />
dass diese Momente immer ineinandergreifen, denn das Schmeichelnde kann sowohl im<br />
Tastsinn, im Sehsinn, aber ebenso gut - mir scheint am stärksten - in Bewegungsanmutungen<br />
erfasst werden. Synästhesien, das ist noch einmal hervorzuheben, sind keine Krankheiten 125 .<br />
In den Physiognomischen 126 Charakteren als <strong>Ausdruck</strong>seigenschaften zeigt sich vor allem das<br />
Atmosphärische <strong>und</strong> die Stimmungs- <strong>und</strong> Gefühlswelt, in denen sich uns die Welt als ‚heitere<br />
Sommerlandschaft‘ etc. erschließt. Das Himmelsgesicht in Kinderzeichnung <strong>und</strong><br />
Kunstgeschichte 127 , die Rede von der ‚Sonne, die lacht‘ oder Rilkes ‚Archäischer Torso<br />
Apollons‘ 128 , verweisen auf diese Erfahrung des <strong>Ausdruck</strong>shaften der Umgebung <strong>und</strong> des<br />
Angesehen-Seins, in welche die Werbung sich gewissermaßen ‚einfühlt‘ 129 .<br />
Kernstück der Physiognomie, der Blick, wird am eigenen Leibe, nicht am eigenen Körper,<br />
erfahren 130 . Hier zeigt sich noch einmal die Notwendigkeit begrifflicher Differenzierungen<br />
gerade für eine Ästhetik der Sozialität. Winnicott hat bereits betont, wie sehr wir auf das<br />
Gesehensein, den Blick des anderen, angewiesen sind 131 . Solche basalen mimetischen<br />
Erfahrungen sind in Repräsentations- oder Zeichentheorien nicht darstellbar 132 .<br />
Auch in diesem Bereich spielt wieder die Bewegung eine wichtige Rolle. Ein Gesicht, eine<br />
Miene, kann sich ‚aufhellen‘, eine Burg feindlich lauernd abweisen, eine Dunkelheit sich leise<br />
einschleichen. Wieder zeigt sich das Ineinander der ‚intersensorischen Äquivalenzen <strong>und</strong><br />
Transpositionen‘ oder der unsinnlichen Ähnlichkeiten.<br />
In der ‚Selbstähnlichkeit‘ der Mimesis haben wir es also mit der primären Wahrnehmungs<strong>und</strong><br />
<strong>Ausdruck</strong>sfunktion zu tun, die „als Ähnlichkeit des Stils quer zur dinglichen Einteilung<br />
der Wirklichkeit liegt“ 133 . Als Stil ist sie vor allem ‚Zeitgestalt‘, 134 ein Bewegungsmuster, das<br />
in sich synästhetische <strong>und</strong> physiognomisch-affektive Momente einschließt <strong>und</strong> als solches<br />
selbst vorsprachliches Mitteilen <strong>und</strong> <strong>Verstehen</strong> 135 impliziert.<br />
124 Schmitz, H., 1992, 303<br />
125<br />
„Was psychopathologisch unter Synästhesien verstanden wird, sind nur die auffälligen Extreme des<br />
gewöhnlichen synästhetischen Wahrnehmens“ (Fuchs, 2000 a, 169, Vgl. auch Cytowic, 1995, 201/2, Emrich,<br />
1998, 130).<br />
126 Physiognomie ist das für ein Lebewesen charakteristische Erscheinungsbild, besonders die Gesichtszüge<br />
eines Menschen (BE, 17, 148, 1992).<br />
127 Vgl. Schnakenburg, R.v., 1994, 275 - 299<br />
128 Vgl. Böhme, H., 1988, Sinn <strong>und</strong> Blick, zur mythopoetischen Konstitution des Subjekts, 215 – 255, S. 253.<br />
129 Virilio, P., Das öffentliche Bild, in: Kunstforum Bd. 98, 1989, S. 106/7<br />
130 Vgl. Böhme, G., 2001, 114/5, Vgl. Fuchs, 2000 a, 244<br />
131 Winnicott macht dies auch an den Bildern von Francis Bacon deutlich (Winnicott, D. W., 1987).<br />
132 Vgl. den Neuansatz der Physiognomik als Bestandteil der Ästhetik (Böhme, G., 2001, 111). Auf die politische<br />
Bedeutung des Ästhetischen als Erzeugung von Physiognomien <strong>und</strong> Atmosphären sei insofern hingewiesen, als<br />
Atmosphären <strong>und</strong> Physiognomien in allen Bereichen ästhetischer Arbeit - ohne physische Gewalt - wirken <strong>und</strong><br />
beeinflussen (Vgl. Böhme, G., 1995, 39).<br />
133 Fuchs, 2000 a, 172<br />
134 Vgl. Staiger, E., Die Zeit als Einbildungskraft. In: Meyer, R. W. (Hrsg.) Das Zeitproblem im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
München, Bern 1964<br />
135 Ein Beispiel aus der Praxis verdeutlicht dies: Beim Gestalten in einem Praktikantenseminar ging es darum,<br />
das Erleben der eigenen Arbeitssituation erscheinen zu lassen. Eine Praktikantin arbeitet mit dementen<br />
Menschen. Die Praktikantin lässt die dementen Menschen in spiralförmigen Kreis-Bewegungen erscheinen.<br />
Deren Spiralkreise werden durch die Bewegungslinien der Betreuer verb<strong>und</strong>en. Diese sind in sich selbst wieder<br />
spiralförmig. Die Bewegung der Betreuerin nimmt die Bewegungen der Dementen in sich auf, bildet sie sich ein.<br />
Ohne es zu wissen <strong>und</strong> zu benennen, hat sie das mimetische Verhältnis des <strong>Verstehen</strong>s in ihrem Bild erscheinen<br />
lassen, Mimetische Resonanz: Identität in der Differenz. (Vgl. Schnakenburg, 2004).
24<br />
2. Empirie: Transmodale Wahrnehmung <strong>und</strong> soziale Abstimmung<br />
Daniel Sterns empirische Säuglingsforschungen 136 bestätigen nicht nur das angeborene<br />
mimetische Vermögen 137 , sondern zeigen auch im Begriff der amodalen Wahrnehmung, dass<br />
Säuglinge von Anfang an in der Lage sind, Ähnlichkeiten in verschiedenen Sinnesbereichen<br />
wahrzunehmen. Zeit, Intensität <strong>und</strong> Gestalt sind hier die basalen, die Sinne übergreifenden<br />
Kategorien, welche in ihrem Zusammenspiel den Zeit-Mustern der Bewegungsanmutungen<br />
nahekommen. Sie bilden auch das partizipatorische Moment der amodalen<br />
Kommunikation 138 . Physiognomische 139 <strong>und</strong> synästhetische 140 Wahrnehmung gehören<br />
ebenfalls zur transmodalen Tiefenschicht. Diese selbstähnliche ‚Grammatik der Mimesis’, die<br />
Stern ‚transmodal‘ oder ‚global‘ nennt, regiert nun auch die vorsprachliche Verständigung,<br />
das Attunement, die Abstimmung, von Mutter <strong>und</strong> Kind, die unbewusst verläuft 141 .<br />
Mimesis erscheint hier sowohl als gr<strong>und</strong>legendes Vermögen von <strong>Ausdruck</strong> <strong>und</strong> <strong>Verstehen</strong> als<br />
auch als soziales Band, das uns normalerweise gar nicht bewusst ist. Ein Beispiel<br />
insbesondere rhythmischer Abstimmung macht dies deutlich 142 .<br />
In den Differenzierungen begrifflicher Sprache ist es strukturell auch nicht darstellbar 143 <strong>und</strong><br />
gelangt deshalb auch mit dem Spracherwerb nicht zu Bewusstsein. Gleichwohl bleibt diese<br />
transmodale Welt konstituierende Basis von Erleben <strong>und</strong> Verhalten. Es gibt jedoch einen<br />
Bereich, in welchem dieses mimetische Vermögen auch kulturell weiterlebt, in allen Formen<br />
der Künste. So zeigt sich in diesen Forschungen eine Form der Mimesis als Konvergenzpunkt<br />
von Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität <strong>und</strong> als Gr<strong>und</strong> des Schöpferischen 144 .<br />
Stern vermutet schließlich, dass auf dieser präverbalen amodalen Ebene des ‚auftauchenden‘<br />
Erlebens auch die Vorahnung einer verborgenen Zukunft anzusiedeln ist 145 .<br />
Im Folgenden werde ich diese Wahrnehmungs- <strong>und</strong> <strong>Ausdruck</strong>sschicht in Anlehnung an Stern<br />
<strong>und</strong> Fuchs 146 als transmodal-pathische Tiefenschicht bezeichnen.<br />
136 Stern, D., Die Lebenserfahrung des Säuglings, Stuttgart 1992; Gebauer <strong>und</strong> Wulf reflektieren sie im<br />
Zusammenhang von Ritualisierungen (Gebauer, G., Wulf, Chr., 1998, 116-121).<br />
137 Stern, 78 f, Vgl. auch Seewald, J., 1992, 50.<br />
138 Stern, 84<br />
139 Stern, 82 f<br />
140 Vgl. Stern, 220 fff<br />
141 Diese Abstimmung verändert sich in der Entwicklung auch von Seiten der Mutter <strong>und</strong> zwar unbewusst. Bis<br />
zum neunten Monat antworten Mütter dem Kind vor allem im gleichen Sinnesmodus (Stern, 199). Nach dem<br />
neunten Monat nehmen sie die Mimesis in einem anderen Sinnesmodus auf, ohne sich dessen explizit bewusst zu<br />
sein. Vgl. auch Sterns Unterscheidungen des Spiegelns, der Empathie im Verhältnis zur Abstimmung (Stern,<br />
207/8).<br />
142 „Ein neun Monate alter Junge haut auf ein weiches Spielzeug los, zuerst ein bißchen wütend, allmählich aber<br />
mit Vergnügen, voller Spaß <strong>und</strong> Übermut. Er entwickelt einen stetigen Rhythmus. Die Mutter fällt in diesen<br />
Rhythmus ein <strong>und</strong> sagt ’kaaaa-bam, kaaaa-bam’, wobei das ‘bam’ auf den Schlag fällt <strong>und</strong> das ’kaaaa’ die<br />
vorbereitende Aufwärtsbewegung <strong>und</strong> das erwartungsvolle Innehalten des Arms vor dem Schlag begleitet”<br />
(Stern, 200/201, Vgl. auch die weiteren Beispiele). Hier wird also der Rhythmus der Bewegung in Stimme<br />
übersetzt. Wo solches begleitende <strong>Ausdruck</strong>sgeschehen wie selbstverständlich geschieht, fühlt das Kind sich<br />
verstanden <strong>und</strong> in einer ‚gemeinsamen Welt‘ mit ihr.<br />
143 Stern, 247 – 258<br />
144 Stern, 103, 225 - 229<br />
145 Er nimmt an, dass Wahrnehmungen, die in einem Sinneskanal gemacht werden, wenn sie in einem anderen<br />
wiederkehren, eine Art Déjà-Vue, ein Gefühl von Vertrautheit erzeugen. Ferner erlaubt diese amodale Fähigkeit<br />
des Säuglings, der z. B. einen Gegenstand berührt <strong>und</strong> dessen Form spürt, eine Art Transfer, ein ‚Wissen‘, „wie<br />
der Gegenstand aussehen müßte, auch ohne ihn je zuvor gesehen zu haben“ (Stern, 50). Solch früheste<br />
Erkenntnis kann also nicht kognitivistisch oder als Assoziation verstanden werden, sondern nur auf der Ebene<br />
des amodalen Erlebens. „Insofern sich allmählich eine Struktur abzeichnet, die nur verschwommen<br />
wahrgenommen wird, umfaßt dieser Bereich des auftauchenden Erlebens vermutlich auch die Vorahnung einer<br />
verborgenen Zukunft“ (Stern, 1992, 82).<br />
146<br />
Fuchs verwendet die Begriffe der Synästhesien, Gestaltverläufe/Intensitätskonturen <strong>und</strong><br />
<strong>Ausdruck</strong>seigenschaften als Kategorien der pathischen – eher aufnehmenden – Wahrnehmung, deren anderer Pol<br />
die intentionale – eher gerichtete, fokussierte Wahrnehmung ist (Fuchs 2000 a, 167 – 172, 2000 b, 37 – 40).
25<br />
3. Rückbezug zur Logik der Praxis Bourdieus<br />
So folgt die transmodal-pathische Ebene der Wahrnehmung, des <strong>Ausdruck</strong>s <strong>und</strong> <strong>Verstehen</strong>s<br />
einer anderen Logik, welche der vorlogischen Logik der Praxis Bourdieus entspricht. Er<br />
schildert, wie schwierig es war 147 „in der Logik der Praxis die typischen Formen der<br />
vorlogischen Logik zu erkennen“ <strong>und</strong> wie ihm hierbei fast zufällig inmitten der eigenen,<br />
vertrauten Kultur diese ‚wilde’ Logik zu Hilfe kam „<strong>und</strong> zwar in Urteilen, die von Franzosen<br />
1975 bei einer Meinungsumfrage über ihre Politiker abgegeben wurden“, in „denen Georges<br />
Marchais eher die Tanne, die Farbe Schwarz oder der Rabe zugeordnet wird <strong>und</strong> Valéry<br />
Giscard d’Estaing eher die Eiche, die Farbe Weiß <strong>und</strong> das Maiglöckchen“ 148 . Was Bourdieu<br />
hier offenlegt ist die Kategorie der synästhetisch-physiognomischen Wahrnehmung<br />
‚unsinnlicher Ähnlichkeiten‘. Die physiognomische Wahrnehmung taucht anderweitig auf,<br />
wenn er von den ‚objektiven Strukturen‘ spricht, die „über stets konvergente Erfahrungen [...]<br />
einem Milieu das Gesicht geben“ 149 .<br />
Die oben dargestellte erste Kategorie der transmodal-pathischen Tiefenschicht, die Bewegung<br />
mit ihren Zeitmustern scheint nun für Bourdieu der Auslöser für die Einsicht in die<br />
Eigenstrukturen der Logik der Praxis gewesen zu sein 150 . Jenseits aller Zeichentheorie bildet<br />
sie eine eigene Sinnschicht, denn die zeitliche Struktur der Praxis, „d. h. ihr Rhythmus, ihr<br />
Tempo <strong>und</strong> vor allem ihre Richtung, ist für sie sinnbildend: wie bei der Musik nimmt jede<br />
Manipulierung dieser Struktur, <strong>und</strong> sei es bloß eine Veränderung der Tempi in Richtung auf<br />
Allegro oder Andante, eine Entstrukturierung an ihr vor, die nicht auf den Effekt einer<br />
simplen Änderung der Bezugsachse zurückgeführt werden kann. Kurzum, die Praxis ist schon<br />
wegen ihrer Eingeb<strong>und</strong>enheit in die Dauer mit der Zeit verknüpft, nicht bloß weil sie sich in<br />
der Zeit abspielt, sondern auch, weil sie strategisch mit der Zeit <strong>und</strong> vor allem mit dem<br />
Tempo spielt“ 151 . Hier zeigen sich die, jener anderen Sinnschicht zugehörigen Zeitmuster als<br />
Bewegungen in der dem Habitus eigenen produktiven Weise als Erzeugungsformel. Es ist<br />
nicht schwer sich vorzustellen, wie aus den Bewegungen <strong>und</strong> Rhythmen eines Abbrechens<br />
unzählige Verhaltens-, Klang- <strong>und</strong> Bildgestalten mutieren können oder wie die Bewegung<br />
eines allmählichen Erstrahlens in einem Lächeln, einem Sonnenaufgang oder in einem<br />
Klanggebilde erscheinen kann. Die Logik der Praxis erweist sich so als dem Leib-Apriori der<br />
Ähnlichkeit <strong>und</strong> seiner ‘Semantik der Existenz‘ 152 zugehörig.<br />
147 Schon „die Absicht, die praktische Logik zu verstehen, [setzt] eine regelrechte Umkehrung aller erworbenen<br />
Dispositionen <strong>und</strong> insbesondere eine Art Aufgeben alles dessen voraus [...], was gewöhnlich mit Reflexion,<br />
Logik <strong>und</strong> Theorie zusammenhängt, also mit den ‚höheren‘ Tätigkeiten, die den ‚niederen‘ Denkweisen völlig<br />
entgegengesetzt sind“ (Bourdieu, 1987 b, 25/6).<br />
148 Bourdieu, 1987 b, 43<br />
149 Bourdieu, 1987 b, 112<br />
150 Ausgehend von seiner Untersuchung der symbolischen Struktur des kabylischen Hauses, schreibt er:<br />
„Allmählich nämlich gewann ich den Eindruck, daß es zur Erklärung der aus der Analyse sozusagen wie durch<br />
Zauberhand ohne jede Ordnungsabsicht hervorgetretenen <strong>und</strong> insofern ein wenig unglaubhaften Bedingtheiten<br />
erforderlich war, das Ordnungsprinzip (principium importans ordinem ad actum, wie die Scholastiker sagten),<br />
das die Praktiken zugleich unbewußt <strong>und</strong> systematisch zu lenken imstande war, in den einverleibten<br />
Dispositionen bzw. im Schema der Körperbewegungen zu suchen. Mich hatte nämlich verblüfft, daß die<br />
Transformationsregeln, die den Wechsel vom äußeren zum inneren Raum der Hauses ermöglichen, auf<br />
Körperbewegungen, wie die Kehrtwendung zurückgeführt werden können“ (Bourdieu, 1987 b, 23/4). Im<br />
kabylischen Schema des Hauses stehen innerer <strong>und</strong> äußerer Raum in Korrespondenz, insofern die innere Raum-<br />
Zeit mit ihren symbolisch-funktionalen ‚Himmelsrichtungen‘ gegen den Außenraum gedreht verschoben ist. So<br />
werden beim Ein- <strong>und</strong> Austritt über die Schwelle die symbolischen Raum-Zeit-Richtungen ‚gedreht‘(Vgl.<br />
Bourdieu, 1976, 64/5).<br />
Die Formulierung „wie durch Zauberhand ohne jede Ordnungsabsicht hervorgetretenen [...] Bedingtheiten“<br />
verweist ihrerseits auf die transmodal-pathische Ebene als Erkenntnisform, welches sich in dieser Suche selbst<br />
‚zu Wort meldet‘.<br />
151 Bourdieu, 1987 b, 149<br />
152 Fuchs, 2000 a, 204
26<br />
V. ÄSTHETIK: INKARNATION UND EXKARNATION<br />
1. Ein Blick in die Geschichte früher Hochkulturen<br />
Der folgende Einblick in die Welt früher Hochkulturen soll zeigen, wie die vorfindliche<br />
‚Geschichte‘ sich als Zeit-Raum-Muster inkarniert, so dass die Herausbildung des Habitus<br />
noch einmal historisch unterlegt wird. Darüberhinaus deutet sich an, welche Rolle das<br />
Ästhetische im Sinne von Kult <strong>und</strong> Ritual für Sozialität hat. Diese Zusammenhänge müssen<br />
erinnert werden, will man die historische Gr<strong>und</strong>lage dessen, wovon eine Ästhetik der<br />
Sozialität zu sprechen hat, begreifen.<br />
Bestimmend für diese Zusammenhänge ist das Prinzip der Mimesis als ‚Darstellung‘ der<br />
‚Zeit‘ der Himmelsbewegungen. Sie werden im Medium des Raumes, der Architektur im<br />
weiteren <strong>und</strong> engeren Sinne, der Stadt <strong>und</strong> des Tempels, zur Erscheinung gebracht <strong>und</strong><br />
verbinden sich mit einer Fülle sozialer <strong>und</strong> symbolischer Bezüge.<br />
Der Tempel als Transmitter von Kosmos, sozialer Welt <strong>und</strong> Natur macht diesen Gedanken<br />
pars pro toto deutlich. Der dem „Sonnengott Amon-Ra geweihte Tempel in Karnak (Theben)<br />
in Oberägypten wurde beispielsweise so konstruiert, daß das Innenheiligtum genau einmal im<br />
Jahr - am Tag der Sommersonnenwende - von der Sonne durchflutet wurde, während er sonst<br />
immer in Dunkelheit gehüllt lag. Dieses sicherlich spektakuläre Ereignis war aber von weitaus<br />
größerer Bedeutung, als es der astronomische Ursprung vermuten läßt, denn um die Zeit der<br />
Sommersonnenwende begann auch der Nil alljährlich über die Ufer zu treten, ein Ereignis,<br />
das für Ägypten lebensnotwendig war“ 153 . So sind Tempel auch ‚Uhren‘. Ihren ‚Zeitanzeigen’<br />
folgen dann die erforderlichen symbolischen <strong>und</strong> praktischen Vorbereitungen für Aussaat,<br />
Ernte u. a. mehr. Durch Tempel <strong>und</strong> Priesterschaft wird Zeit zur Synchronisation<br />
gesellschaftlicher Produktion im Einklang mit den Vorgängen der Natur <strong>und</strong> des Kosmos.<br />
Mimesis fungiert hier als ‚Einbildung‘ der Bewegungen des Kosmos in die Struktur des<br />
Raumes, der Architektur. Aveni zeigt an einem anderen Beispiel, wie diese Funktion sich in<br />
die Landschaft als Kalendersystem erstreckt 154 . Stadt <strong>und</strong> Umgebung ist hier selbst Raum<br />
gewordene Zeit <strong>und</strong> wird zur Matrix der Symbolbildung 155 .<br />
Leroi-Gourhan zeigt dies am Beispiel der chinesischen Stadt: „Als Zentralpunkt des Himmels<br />
<strong>und</strong> der Erde ist sie in ein Universum integriert, dessen Bild sie reflektiert [...]. Ihr Westen<br />
<strong>und</strong> ihr Osten sind Westen <strong>und</strong> Osten schlechthin, denn sie bezeichnen den Eintritts- <strong>und</strong> den<br />
Austrittspunkt des Gestirns in einem vollkommen humanisierten <strong>und</strong> symbolischen<br />
Mikrokosmos, in dem ein elementares Netz räumlicher Korrespondenzen mitschwingt. Die<br />
153 Maor, E., Dem Unendlichen auf der Spur, Basel, Boston, Berlin, 1989, 2<strong>18</strong><br />
154 Aveni zeigt über diesen Aspekt des Tempels als Uhr hinaus am Beispiel von Cuzko, Hauptstadt der Inka, wie<br />
von diesem Zentrum ausgehend ein ganzes System von Richtungen als Zeit - Symbol- <strong>und</strong> - Handlungsachsen in<br />
die umgebende Landschaft hinein als Kalender fungierte. Er bestand aus spezifischen Sichtlinien, die auf<br />
markante Positionen der Sonnenbewegung am Horizont zuliefen <strong>und</strong> ein Tageszählersystem einschlossen. Der<br />
Name der Stadt Cuzco selbst verweist auf diese Orientierungsfunktion. Cuzco heißt in der Landessprache<br />
Tahuantinsuyu. Das bedeutet die vier Viertel - Orientierung an den Himmelsrichtungen (Aveni, A., 1991, 354).<br />
Gleichzeitig verknüpften sich mit diesem ‚Kalender‘ eine Fülle symbolischer Zuordnungen, in dem sich das<br />
gesamte Beziehungsgefüge, Sozialordnung, Arbeit <strong>und</strong> Opferhandlungen, in einen Zusammenhang mit solaren<br />
<strong>und</strong> lunaren Rhythmen brachten <strong>und</strong> mit den Vorstellungen des Himmelsgottes Virachocha <strong>und</strong> der Erdgöttin<br />
Pachamama verbanden. So war z. B. die obere Hälfte der Stadt den himmlischen Dingen <strong>und</strong> der männlichen<br />
Charakteristik zugeordnet, während der untere Teil der Stadt genealogisch zur Erde gehörte <strong>und</strong> weibliche<br />
Aspekte aufwies (Aveni, 360).<br />
155 Die symbolische Darstellung des Universums, „das in seinen großen Zügen in Amerika, China, Indien,<br />
Mesopotamien, Ägypten <strong>und</strong> überall, wo eine Kultur die Schwelle zur Schrift überschritten hat, überraschende<br />
Ähnlichkeiten aufweist [...], enthält zwei Momente: Die Fixierung der Hauptstadt am Kreuzungspunkte der<br />
wichtigsten Linien <strong>und</strong> die Konstruktion eines Korrespondenz-Codes, der nach <strong>und</strong> nach die ganze Schöpfung in<br />
sein Netz hereinzieht“ (Leroi-Gourhan, A., Hand <strong>und</strong> Wort, Die Evolution von Technik, Sprache <strong>und</strong> Kunst,<br />
Frankfurt/M., 1988, 405/6).
27<br />
Stadttore fallen mit den wichtigsten Punkten zusammen, <strong>und</strong> wenn man das Nordtor als Tor<br />
des Winters bezeichnet, so reichert sich die Raumsymbolik mit der ganzen Dynamik der Zeit<br />
an“ 156 . Aus ihr ergeben sich dann weitere Korrespondenzen, denn die Bewegung des<br />
Universums ist nicht nur „Rotation, sondern auch Wechsel <strong>und</strong> Opposition der Gegensätze:<br />
Die Kälte des Nordens - die Hitze des Südens; die Jugend des Ostens - das Alter des Westens,<br />
usw. So entsprechen die Teile des Universums (<strong>und</strong> der Stadt) sowohl Qualitäten als auch<br />
Situationen“ 157 . Hier zeigt sich sowohl das System der ‚unsinnlichen Ähnlichkeiten‘<br />
Benjamins als auch die ‚Logik der Praxis‘ Bourdieus. Wenn nun Leroi-Gourhan bemerkt,<br />
dass die Integration der Individuen in der städtischen Organisation durch Rhythmen<br />
gewährleistet wird, welche „die kollektive Konditionierung bestimmen“ 158 , so ist damit noch<br />
einmal der Habitus als zeit-räumliches Muster gegenwärtig 159 .<br />
Die Funktion dieses symbolischen Netzes betont Leroi-Gourhan unter dem Aspekt der<br />
Sicherheit, der Macht <strong>und</strong> des Wissens des Menschen. „Damit hält der Mensch den Schlüssel<br />
des Universums in Händen, <strong>und</strong> in vielfältigen, aber letztlich konvergenten Formen entsteht<br />
ein außerordentliches Korpus von Wissen, das gänzlich auf dem Spiel von Identitäten <strong>und</strong><br />
Gegensätzen beruht, die den gesamten Bereich des Bekannten umspannen, von den Zahlen bis<br />
zur Medizin, von der Architektur bis zur Musik. Den vier Hauptpunkten entsprechen im alten<br />
China die fünf Elemente: die fünf Himmel, die fünf Arten von Tieren, von Musiknoten, von<br />
Gerüchen <strong>und</strong> Zahlen, die fünf verschiedenen Arten von Opferplätzen, Körperorganen,<br />
Farben, die fünf Geschmacksarten <strong>und</strong> die fünf Gottheiten. Auf diese Weise wird es evident,<br />
daß der Süden, der Sommer, die Vögel, der Geruch von Verbranntem, der Herd, die Lunge,<br />
die Farbe Rot, das Bittere, die Zahl sieben, die Note choy gleiche Eigenschaften haben <strong>und</strong><br />
daß man eines durch das andere beeinflußen kann. Die raum-zeitliche Integration ist damit<br />
vollkommen <strong>und</strong> die Sicherheit des Menschen total geworden, denn alles ist erklärt, begriffen,<br />
festgelegt“ 160 .<br />
Unter der oben entwickelten Fragestellung der ‚Selbstähnlichkeit der Mimesis‘ <strong>und</strong> der<br />
Inkarnation ist dem hinzuzufügen, dass ein solches Netz von Relationen notwendigerweise<br />
den primären transmodal-pathischen Wahrnehmungs- <strong>und</strong> <strong>Ausdruck</strong>sraum strukturiert, <strong>und</strong><br />
von dieser Gr<strong>und</strong>lage her das Denken ordnet. Für die Inkarnation solcher Ordnungen ist<br />
weiterhin die Mimesis der Bewegung unverzichtbar.<br />
Dass diese im Bild der Stadt verdichteten Orientierungen selbst wieder in Bewegung gelebt<br />
werden müssen, kann man mit Leroi-Gourhans Text kulturübergreifend 161 damit zeigen, dass<br />
das Ballspiel die Symbolik des Sonnenjahres vollzieht: „Der zum Ballspiel bestimmte Platz<br />
befindet sich im Innenbereich des Palastes <strong>und</strong> ist seinerseits geometrisch gestaltet <strong>und</strong> nach<br />
den Himmelsrichtungen ausgerichtet. In der Nordost-Ecke steht ein Kirschbaum (Frühling),<br />
im Südosten eine Weide (Sommer), im Südwesten ein Ahorn (Herbst) <strong>und</strong> im Nordwesten<br />
eine Kiefer (Winter). Der Ball, der zunächst in den Zweigen des Frühlingsbaumes liegt, wird<br />
in das Spiel zweier Gruppen von jeweils vier Spielern gebracht, die im Kreis aufgestellt sind;<br />
im Idealfall befördern sie den Ball mit dem Fuß in einer zweifachen gegenläufigen<br />
Kreisbewegung, die nacheinander in den Ecken der Äquinoktien <strong>und</strong> der Solstitien (Tag- <strong>und</strong><br />
Nachtgleichen <strong>und</strong> Sonnenwenden) enden“ 162 . Keine mögliche Ähnlichkeitsrelation wird<br />
156 Leroi-Gourhan, 1988, 408<br />
157 Leroi-Gourhan, 410; Metken zeigt darüberhinaus, wie die Idee eines Tones bis in alle gesellschaftlichen<br />
Bereiche hinein zum Moment der Integration von Kosmos, Welt <strong>und</strong> Mensch wird (Metken, G., Laut-Malereien,<br />
1995, 141/2).<br />
158 Leroi-Gourhan, 408<br />
159 Bourdieu selbst hat vergleichbare Analysen am Haus der Kabylen gezeigt (Vgl. Bourdieu 1976, das Kapitel:<br />
Das Haus oder die verkehrte Welt, 48-65; Vgl. auch 1987 b, 468-489).<br />
160 Leroi-Gourhan, 410/1<br />
161 „In Amerika waren solche Ballspiele weit verbreitet, in China <strong>und</strong>, bis in unsere Tage, in Japan gaben sie<br />
Anlaß zu ausgedehnten Zeremonien mit kosmogonischem Charakter“ (Leroi-Gourhan, 410).<br />
162 Leroi-Gourhan, 410
28<br />
ausgelassen: das Ballspiel selbst wird zur analogen Symbolform der Mimesis an den Kosmos<br />
wie ein historisch anderes Beispiel zeigt 163 . Rituale <strong>und</strong> Spiele transponieren die dem Raum<br />
eingebildete Zeit in Bewegung, so dass sie aufs Neue inkarniert wird.<br />
Die Darstellung der Bewegungen des Universums, fand bis in die Gegenwart hinein ihren<br />
<strong>Ausdruck</strong> auch in Prozessionen. Der bei uns noch geläufige Laternenumzug der Kinder<br />
bewahrt noch etwas vom Sinn solcher Prozession auf. Das Lied, welches dazu gesungen wird,<br />
erinnert an seinen kosmologischen Ursprung: „Laterne, Laterne, Sonne, Mond <strong>und</strong> Sterne...“.<br />
Wie oben so unten.<br />
Die Ähnlichkeiten, welche diese Welt der frühen Hochkulturen herstellen, sind die zwischen<br />
Zeit <strong>und</strong> Raum, Himmel <strong>und</strong> Erde, Zahlen, Sinnesfeldern u.a. mehr. Ein solches System der<br />
‚Logik der Praxis‘ strukturiert die transmodal-pathische Tiefenschicht, verbindet sie mit der<br />
Sprache <strong>und</strong> schafft so ein soziales Band von Bewegungen <strong>und</strong> Bedeutungen, deren<br />
<strong>Verstehen</strong> dem Leib ‚eingeschrieben‘ ist. Was auf diesem Wege inkarniert wurde, ist der<br />
modus operandi, die Erzeugungsformel, aus der das opus operatum, die ‚Exkarnationen‘ aller<br />
‚Kunst‘ <strong>und</strong> ‚Künste‘ sich generieren <strong>und</strong> re-generieren.<br />
Vielleicht ist es dieser vergessene Zusammenhang, der V. v. Weizsäcker intuitiv für unsere<br />
Orientierung in der Stadt, in der wir leben den <strong>Ausdruck</strong> ‚Kunstwelt‘ finden ließ 164 .<br />
2. Gegenwart: Graffitti 165<br />
Anhand von Baudrillards Reflexionen über die New Yorker Graffiti: ‘Kool Killer oder der<br />
Aufstand der Zeichen’ 166 , möchte ich eine Deutung der Graffiti als Exkarnation inkarnierter<br />
medial vermittelter Lebenswelt vorschlagen. Zunächst befrage ich Baudrillards Text.<br />
Für Baudrillard ist an den Graffiti - neben einer Fülle semiotisch interessanter Fragen - ihre<br />
Nicht-Semantik, ihre “Leere”, das Entscheidende. „Ihre Botschaft ist gleich Null” 167 .<br />
Hinter oder unter dieser semantischen Leere taucht nun aber in seinem Text doch noch eine<br />
andere ‘Botschaft’ auf. Lesen wir eine Textpassage: „Das Graffiti läuft von einem Haus zum<br />
nächsten, von der Wand eines Wohnhauses zur nächsten, von der Wand über das Fenster<br />
oder die Tür oder über die Scheibe der U-Bahn, über den Bürgersteig, es greift übereinander,<br />
kotzt sich aus, überlagert sich” 168 .<br />
Jenseits des zeichentheoretischen Horizontes tauchen in diesem Text also ‘Botschaften’ auf,<br />
die der Text selbst nicht reflektiert. Die Art der Bewegung der Graffiti, ihre<br />
Bewegungsanmutung, ist ihre “Botschaft”. Sie ist selbst Bedeutung, auch wenn diese<br />
Bedeutung nicht als gelesenes Zeichen, sondern in transmodal-pathischer Wahrnehmung zu<br />
erschließen ist 169 . Als solche ist ihre Botschaft also keineswegs “gleich Null”. Graffitti als<br />
163 In der Kathedrale von Auxerre wurde am Ostertag ein Tanzspiel getanzt, verb<strong>und</strong>en mit einem sakralen<br />
Ballspiel, „auf dem Labyrinth, das im Mosaikwerk den Boden ziert. Nach der Weise <strong>und</strong> dem Takt der<br />
Ostersequenz Victimae paschale schreiten Bischof <strong>und</strong> Kleriker in schöner Tanzordnung über die Figuren <strong>und</strong><br />
werfen sich einen Ball zu - pilota, der lateinische Name dieser österlichen Sphaira [...] am Abend eines Tages,<br />
der die siegreiche Ostersonne gefeiert hat“ (Rahner, zit. in Goergen, A., Wiederbegegnung mit den Tänzen der<br />
Liturgie, 1991, 71).<br />
164 Weizsäcker nimmt dies als Beispiel für die Einordnung des Lebewesens in die Umwelt, für welche es als<br />
angepasst gilt. Er betont die aus den wiederholten Bewegungen, gewohnten Wegen, Zielen zu gewohnten<br />
Tageszeiten (im Gegensatz zur Kenntnis des Stadtplans) hervorgehende Orientierung. Dass diese Umgebung der<br />
Stadt selbst schon Orientierung im oben gezeigten Sinne ist, hat er allerdings nicht berücksichtigt (Weizsäcker,<br />
V. v., 1986, 97/98).<br />
165 Dieser Text ist die überarbeitete Fassung einer Vortrags-Passage (Vgl. Schnakenburg, 2004, 39/40)<br />
166<br />
Baudrillard, J., Kool Killer oder der Aufstand der Zeichen, in: Barck, K-H., Gente, P. u. A. (Hrsg.), 1998,<br />
Vgl. als Bilder z.B.: Gassen, W. R., (Red.) New York Graffitti , 1987<br />
167 Baudrillard, 228<br />
168 Baudrillard, 227, 225<br />
169 Dennoch ist diese Wahrnehmungsebene auch in der Sprache unverzichtbar, sowohl in der Alltagssprache als<br />
auch in poetischer Sprache. Das, was Baudrillard uns hier an ERLEBNISdichte der wahrgenommenen Graffiti<br />
mitteilt, ihr „Laufen, Hüpfen, Sich-Auskotzen“, ist in diskursiven, objektivierenden Sprachfiguren überhaupt
29<br />
Bild-, ja als Laut-gestalten der Schrift, die nicht durch ihre Zeichen, sondern durch ihre<br />
Bewegung, ihren Stil kommunizieren, legen eben diese tiefere Schicht impliziten<br />
Wahrnehmens <strong>und</strong> Mit-teilens frei: man kann diese Bildwelten HÖREN. In vielen Graffiti<br />
häufen <strong>und</strong> verdichten sich Buchstaben <strong>und</strong> Zahlen oder buchstabenähnliche Gestalten zu<br />
agglomerierenden Gebilden, die jedoch gerade nicht auf Lesbarkeit hin erscheinen, sondern<br />
eher wie Geräusche <strong>und</strong> Klänge, die man nicht semantisch versteht, sondern als gesprochene -<br />
gesungene Sprache wahrnimmt.<br />
Damit antworten die Graffiti auf die imperativen medienvermittelten Bild-Text-Klang-<br />
Verknüpfungen 170 , welche die Wahrnehmung in der Großstadt unter- <strong>und</strong> überfüttern. Ihre<br />
ubiquitäre Imperativität, z. B. in der Werbung, wird jedoch weniger bewusst wahrgenommen,<br />
vielmehr eher physiognomisch ‚erlitten‘ 171 . Gerade dadurch wirken die Imperative der<br />
medialen ‚synästhetischen‘ Bild-Text-Verschweißungen.<br />
Ohne semantische Botschaft erscheinen ihre Wirkungen im gleichen imperativen Gestus in<br />
den Graffitti: es ist kaum möglich, sie zu übersehen, <strong>und</strong> es erfordert schon einige Übung,<br />
nicht zu versuchen, sie zu lesen.<br />
Wie auch immer die Sprayer-Subkultur ihre ästhetische Arbeit intentional <strong>und</strong> sozial selbst<br />
verstehen mag <strong>und</strong> was immer noch für andere Funktionen mit ihnen verknüpft sein mögen,<br />
man kann sie als leibliche Antwort auf die Lebenswelt verstehen. Das, was in den Graffitti<br />
„sich auskotzt”, wie Baudrillard sagt, ist das, was die medial getränkte Wahrnehmung<br />
aufgenommen <strong>und</strong> inkarniert hat. Es sind nicht Bilder, sondern die ‚synästhetisch‘<br />
verschmelzenden Bewegungen alltäglicher Medienerfahrung. Der klassische Bildbegriff ist<br />
für die Beschreibung dieser Phänomene nicht geeignet 172 .<br />
So ist es konsequent, wenn diese Gestalten in die Kontexte zurückkehren, welche sie<br />
hervorgerufen haben. Die Produktionen auf naturschutzparkartig ‘erlaubten’ Wänden <strong>und</strong> ihre<br />
Erscheinung in den ‚handlungsentlasteten‘ Räumen der Kunst, dürfte sie selbst verändern,<br />
denn vermutlich ist es der ‘Thrill’ 173 , die Angstlust der verbotenen Handlung, welche<br />
Schnelligkeit, Geschicklichkeit <strong>und</strong> höchste Konzentration erfordert, die das Sprayen<br />
stimuliert. Sie bestimmt auch die Prozessgestalten der Graffitti: nächtlich <strong>und</strong> spontan<br />
flackern sie aus ‘anonymen’ Untergründen auf, unabgeschlossen, sich immer wieder von<br />
Neuem geschmeidig der Welt einschreibend, der sie entstammen.<br />
Was in den Graffitti erscheint, ist <strong>Ausdruck</strong> dessen, was wir sehr wohl – implizit - verstehen,<br />
weil wir alle diese Lebenswelt teilen. Die Graffittis bringen das der gesellschaftlichen<br />
Wahrnehmung Verborgene, nämlich die mediale Infiltration der transmodal-pathischen<br />
Tiefenschicht zur Erscheinung.<br />
nicht darstellbar. Auf dem Hintergr<strong>und</strong> der vorherigen Gedanken kann man ‚sehen‘, wie sich Baudrillard diese<br />
Bewegungen mimetisch ‚eingebildet‘ hat.<br />
170 Dass Buchstaben als Gestalten einen eigenen <strong>Ausdruck</strong>swert haben, hat bereits Kandinsky gezeigt; sowohl<br />
die Gesamtgestalt der Buchstaben als auch deren einzelne Linien weisen verschiedene ‚Wesenseigenschaften‘,<br />
wie z. B. strebend, sinkend, trotzig usw., auf (Kandinsky, W., Marc, F. (Hrsg), 1965, 157).<br />
171 Virilio beschrieb das anlässlich von Plakaten: „Sein Bild nimmt mich wahr. Diese Umkehrung der<br />
Wahrnehmung“ <strong>und</strong> ihr „‘suggestive(r)’ Charakter, [...] bildet die Existenzberechtigung der Werbung“ deren<br />
Bilder durchaus „als ein Wille“ zu begreifen sind“ (Virilio, P., 1989, 106/7).<br />
172 Vgl. Broeckmann, A., Cross-over and out? Was bleibt vom Bildbegriff nach dem medialen Cross-over?, 2000<br />
173 Balint, M., Angstlust <strong>und</strong> Regression, Stuttgart 1988
30<br />
3. Ästhetik <strong>und</strong> das Feld des Möglichen<br />
Die Frage nach der Konvergenz von Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität, ihrer Aktualität <strong>und</strong> Geschichte<br />
hat über Warburg, Panofsky <strong>und</strong> Bourdieu zur Funktion <strong>und</strong> Bedeutung des Ästhetischen als<br />
Habitus - opus operandum - <strong>und</strong> als Erscheinung des Habitus - opus operatum - geführt.<br />
Die Begriffe Feld, Ähnlichkeit <strong>und</strong> implizites <strong>Verstehen</strong> verwiesen auf die den Leib<br />
strukturierende <strong>und</strong> sozial verbindende, gleichwohl unbewusste ‚Selbstverständlichkeit‘<br />
spezifischer Zeit- <strong>und</strong> Raum-Muster.<br />
Geschichtliche Inkarnation einerseits <strong>und</strong> Prolepsis andererseits machten deutlich, dass für die<br />
Konvergenz von Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität Leib, Zeit <strong>und</strong> Feld in nicht-linearer Weise als<br />
Ineinander zu reflektieren sind.<br />
Das Vermögen der Mimesis 174 , in verschiedenen Erkenntnisperspektiven dargestellt, erwies<br />
sich als implizites Wissen <strong>und</strong> führte, als ‚Selbstähnlichkeit der Mimesis‘ zur transmodalpathischen<br />
Tiefenschicht. Insofern sie einerseits den präverbalen Bereich sozialer<br />
Beziehungen strukturiert <strong>und</strong> andererseits das Feld ist, aus dem <strong>und</strong> in dem ästhetische Praxis<br />
generell operiert, erwies sich Mimesis erneut als Konvergenzbegriff von Ästhetik <strong>und</strong><br />
Sozialität. Zwei Beispiele haben abschließend die Inkarnation gesellschaftlicher<br />
Basisstrukturen <strong>und</strong> ihre Exkarnation in ästhetischen Phänomenen gezeigt.<br />
Einige weiterführende Denkzusammenhänge sollen im abschließenden Ausblick<br />
angesprochen werden.<br />
Die aktuelle Relevanz der Zusammenhänge zeigt sich insbesondere unter den Bedingungen<br />
der Globalisierung <strong>und</strong> Kreolisierung im Sinne Enwezors 175 , als Begegnung verschiedenster<br />
kultureller, zeit-räumlicher Gr<strong>und</strong>muster 176 . Diese sind keineswegs wechselseitig<br />
‚selbstverständlich‘ <strong>und</strong> können zu massiven Konflikten führen, so dass von hier aus eine<br />
genauere Untersuchung der Mimesis der Gewalt zu begründen wäre.<br />
Gerade die Unbewusstheit der differierenden kulturellen zeit-räumlichen Gr<strong>und</strong>muster führt<br />
notwendig zur Frage des kulturellen <strong>und</strong> kollektiven Gedächtnisses. Dessen Fokussierung auf<br />
Texte <strong>und</strong> sichtbare Phänomene erscheint jedoch problematisch. In Erlls Überblick zum<br />
kollektiven Gedächtnis <strong>und</strong> Erinnerungskulturen kommt z. B. Musik so gut wie gar nicht<br />
vor 177 . Das mag einerseits am Medium Buch <strong>und</strong> Schrift liegen, insofern Musik schriftlich<br />
schwer zu vermitteln ist. Darüberhinaus wäre zu fragen, inwieweit in solchen Fokussierungen<br />
bewusstseinsphilosophische Paradigmen nachwirken.<br />
J. Assmann hat zu dieser Frage den Gedanken eines impliziten <strong>und</strong> expliziten kollektiven<br />
Gedächtnisses formuliert. (Den Begriff ‚kultureller Texte‘ verwendet er nicht im engen,<br />
sondern im weiten Sinne von Artikulationsformen einschließlich der Musik). Explizites <strong>und</strong><br />
implizites kollektives Gedächtnis stehen demzufolge in einem Wechselverhältnis von<br />
Exkarnation <strong>und</strong> Inkarnation. Er spricht vom „Komplex des impliziten <strong>und</strong> mimetischen (d.h.<br />
über sprachlose Nachahmung weitergegebenen) Wissens als des ‚kulturellen Unbewußten‘,<br />
aus dem immer wieder Topoi durch Bewußtwerdung, Artikulation <strong>und</strong> Textualisierung in den<br />
174 Der Begriff wäre neben anderen Aspekten auch auf die naturgeschichtliche F<strong>und</strong>ierung der Mimesis als Zeit<br />
hin zu untersuchen.<br />
175<br />
Enwezor versteht Kreolität als Vorbild im Prozess einer zu entwickelnden Weltkultur, insofern „Kreolität<br />
(als) interaktionales <strong>und</strong> transaktionales Beziehungsgeflecht karibischer, europäischer, afrikanischer, asiatischer<br />
<strong>und</strong> levantinischer Kulturelemente, die durch das Joch der Geschichte auf demselben Boden vereint sind“, zu<br />
begreifen ist (Enwezor, O., 2002, 51).<br />
176 Vgl. z.B. Levine, R., 2003<br />
177 Unter Verweis auf Jan Assmanns Begriff der rituellen Kohärenz oraler Kulturen wird lediglich auf den<br />
Begriff des organischen Gedächtnisses rekurriert: „Orale Kulturen sind auf die genaue Wiederholung ihrer<br />
Mythen, auf Repetitionen angewiesen, denn das kulturelle Gedächtnis wird in den organischen Gedächtnissen<br />
der Sänger oder Schamanen bewahrt <strong>und</strong> jede Variation könnte den Überlieferungszusammenhang gefährden“<br />
(Erll, A., Kollektives Gedächtnis <strong>und</strong> Erinnerungskulturen, Stuttgart, Weimar 2005, 30).
31<br />
Bereich expliziter kultureller Texte aufsteigen wie umgekehrt andere durch Habitualisierung<br />
ins Unbewußte absinken“ 178 .<br />
Auf diesem Hintergr<strong>und</strong> von Inkarnation <strong>und</strong> Exkarnation muss der Begriff des Feldes <strong>und</strong><br />
des kulturellen Feldes weiterentwickelt werden. Oben war bereits mit Paulsson von den<br />
Implikaten eines ästhetischen Feldbegriffs die Rede. Dazu gehörte eine soziale Werttheorie,<br />
eine feldtheoretische Terminologie <strong>und</strong> eine ‚feldtheoretische Methode‘. Vor allem wäre für<br />
einen sozial-ästhetischen Feld-Ansatz der Zeitbegriff zu klären 179 .<br />
Die Frage nach den Zeitstrukturen, welche zum modus operandi unserer Gesellschaft<br />
gehören, führt weiter zur Bedeutung technikgenerierter Beschleunigung <strong>und</strong> damit auch zu<br />
den Neuen Medien. Der Umfang der genannten Problemhorizonte wird sich nicht so leicht<br />
theoretisch fassen lassen. Möglich wäre aber eine Untersuchung nach dem Pars-pro-toto-<br />
Prinzip. Geht man von einer relativen Autonomie des ästhetischen, kulturellen Feldes im<br />
Sinne Bourdieus aus, so könnte eine gegenwartsbezogene Untersuchung der in diesem Feld<br />
als ästhetischer Konzeption verwendeten <strong>und</strong> thematisierten Medien erste Einsichten zu den<br />
Folgen des gesellschaftlichen modus operandi bzw. dessen Plural öffnen.<br />
Für das erkenntnisleitende Bestreben, die Konvergenz von Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität an ihren<br />
Wurzeln zu zeigen, ergibt sich die Notwendigkeit, Feld, Zeit <strong>und</strong> Ästhetik<br />
zusammenzudenken.<br />
C. F. v. Weizsäckers Auffassung der Kunst als ‚Feld des Möglichen‘, die er im Gedanken des<br />
‚Pathischen‘ V.v. Weizsäckers begründet, bietet hier eine erste Orientierung. Das Pathische<br />
V. v. Weizsäckers ist, kurz gesagt, die erkennende Teilhabe am Lebensgeschehen <strong>18</strong>0 . Hierin<br />
entsteht das Ästhetische. C. F. v. Weizsäcker formuliert das im Hinblick auf Kunst so: „Das<br />
Mögliche ist für uns Menschen das Feld des Handelns. Handeln ist auch Voraussetzung<br />
menschlicher Wahrnehmung. V. v. Weizsäcker sprach von der Einheit von Wahrnehmen <strong>und</strong><br />
Bewegen. So ist Kunst Wahrnehmung von Gestalt durch Schaffung von Gestalt.<br />
Wahrnehmung ist elementar affektiv. Man muß nicht nur die cartesische Spaltung des<br />
‚ausgedehnten‘ (also mathematisch beschriebenen) Objekts vom bewußten Subjekt<br />
überwinden <strong>und</strong> alles Seiende als ‚prinzipiell bewußtseinsfähig‘ verstehen. Man muß auch,<br />
wieder mit V. v. Weizsäcker, die Wirklichkeit nicht ontisch, sondern pathisch verstehen. Das<br />
Pathische spannt erst das Feld der Möglichkeiten auf“ <strong>18</strong>1 .<br />
Hieraus ergibt sich weiter die Notwendigkeit, ästhetisches Handeln als Erkenntnis im Vollzug,<br />
also nicht als ‚feststellende‘ Erkenntnisform, zu untersuchen. Soviel aber dürfte deutlich<br />
geworden sein, ästhetisches Handeln als Erkenntnis im Vollzug ist selbst ein Weg, dem<br />
gesellschaftlichen Unbewussten auf die Spur zu kommen. Diese Erkenntniswege ins Spiel zu<br />
bringen <strong>und</strong> als Erkenntnis zu reflektieren, erschließt im Rahmen der Konvergenz von<br />
Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität ein neues Forschungsfeld, das Feld des Möglichen.<br />
178 Assmann, J., Das Kulturelle Gedächtnis: Eine Replik, in: Erwägen, Wissen, Ethik, Jg. 2002, Heft: J. 13, N 2,<br />
275<br />
179 So ging Panofsky etwa noch davon aus, dass das scholastische Denken –wenn auch nicht im Sinne<br />
unmittelbarer, personaler Einwirkung– doch ursächlich sei für die Ähnlichkeiten im Denken <strong>und</strong> in der<br />
Architektur. Ein anderer Ansatz wäre, ästhetische <strong>und</strong> geistige Phänomene aus dem Habitus als einer Wurzel zu<br />
denken, wie dies Giedion z.B. für die allgemeine Sensibilisierung des Zeitbewusstseins angedeutet hat. „Es ist<br />
eines der Anzeichen einer gemeinsamen Kultur, daß das gleiche Problem simultan <strong>und</strong> unabhängig, sowohl in<br />
den Methoden des Denkens wie in Methoden des Fühlens auftaucht“ (Giedion, zit. n. Wendorf, 1987, 78) <strong>und</strong><br />
letztere gehören zweifellos zum Bereich des Ästhetischen. Schließlich gibt es auch den Gedanken des<br />
Vorlaufverhältnisses, der Prolepsis der Kunst im Verhältnis zum Denken.<br />
<strong>18</strong>0 „Um Leben zu erforschen, muß man sich am Leben beteiligen“. So beginnt die Einführung in den Gestaltkreis<br />
(Weizsäcker, V. v., 1986, V).<br />
<strong>18</strong>1 Weizsäcker, C. F. v., in: Picht, G., Kunst <strong>und</strong> Mythos, Stuttgart 1987, 578
32<br />
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