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AG 18: Ausdruck und Verstehen

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3. Ästhetik <strong>und</strong> das Feld des Möglichen<br />

Die Frage nach der Konvergenz von Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität, ihrer Aktualität <strong>und</strong> Geschichte<br />

hat über Warburg, Panofsky <strong>und</strong> Bourdieu zur Funktion <strong>und</strong> Bedeutung des Ästhetischen als<br />

Habitus - opus operandum - <strong>und</strong> als Erscheinung des Habitus - opus operatum - geführt.<br />

Die Begriffe Feld, Ähnlichkeit <strong>und</strong> implizites <strong>Verstehen</strong> verwiesen auf die den Leib<br />

strukturierende <strong>und</strong> sozial verbindende, gleichwohl unbewusste ‚Selbstverständlichkeit‘<br />

spezifischer Zeit- <strong>und</strong> Raum-Muster.<br />

Geschichtliche Inkarnation einerseits <strong>und</strong> Prolepsis andererseits machten deutlich, dass für die<br />

Konvergenz von Ästhetik <strong>und</strong> Sozialität Leib, Zeit <strong>und</strong> Feld in nicht-linearer Weise als<br />

Ineinander zu reflektieren sind.<br />

Das Vermögen der Mimesis 174 , in verschiedenen Erkenntnisperspektiven dargestellt, erwies<br />

sich als implizites Wissen <strong>und</strong> führte, als ‚Selbstähnlichkeit der Mimesis‘ zur transmodalpathischen<br />

Tiefenschicht. Insofern sie einerseits den präverbalen Bereich sozialer<br />

Beziehungen strukturiert <strong>und</strong> andererseits das Feld ist, aus dem <strong>und</strong> in dem ästhetische Praxis<br />

generell operiert, erwies sich Mimesis erneut als Konvergenzbegriff von Ästhetik <strong>und</strong><br />

Sozialität. Zwei Beispiele haben abschließend die Inkarnation gesellschaftlicher<br />

Basisstrukturen <strong>und</strong> ihre Exkarnation in ästhetischen Phänomenen gezeigt.<br />

Einige weiterführende Denkzusammenhänge sollen im abschließenden Ausblick<br />

angesprochen werden.<br />

Die aktuelle Relevanz der Zusammenhänge zeigt sich insbesondere unter den Bedingungen<br />

der Globalisierung <strong>und</strong> Kreolisierung im Sinne Enwezors 175 , als Begegnung verschiedenster<br />

kultureller, zeit-räumlicher Gr<strong>und</strong>muster 176 . Diese sind keineswegs wechselseitig<br />

‚selbstverständlich‘ <strong>und</strong> können zu massiven Konflikten führen, so dass von hier aus eine<br />

genauere Untersuchung der Mimesis der Gewalt zu begründen wäre.<br />

Gerade die Unbewusstheit der differierenden kulturellen zeit-räumlichen Gr<strong>und</strong>muster führt<br />

notwendig zur Frage des kulturellen <strong>und</strong> kollektiven Gedächtnisses. Dessen Fokussierung auf<br />

Texte <strong>und</strong> sichtbare Phänomene erscheint jedoch problematisch. In Erlls Überblick zum<br />

kollektiven Gedächtnis <strong>und</strong> Erinnerungskulturen kommt z. B. Musik so gut wie gar nicht<br />

vor 177 . Das mag einerseits am Medium Buch <strong>und</strong> Schrift liegen, insofern Musik schriftlich<br />

schwer zu vermitteln ist. Darüberhinaus wäre zu fragen, inwieweit in solchen Fokussierungen<br />

bewusstseinsphilosophische Paradigmen nachwirken.<br />

J. Assmann hat zu dieser Frage den Gedanken eines impliziten <strong>und</strong> expliziten kollektiven<br />

Gedächtnisses formuliert. (Den Begriff ‚kultureller Texte‘ verwendet er nicht im engen,<br />

sondern im weiten Sinne von Artikulationsformen einschließlich der Musik). Explizites <strong>und</strong><br />

implizites kollektives Gedächtnis stehen demzufolge in einem Wechselverhältnis von<br />

Exkarnation <strong>und</strong> Inkarnation. Er spricht vom „Komplex des impliziten <strong>und</strong> mimetischen (d.h.<br />

über sprachlose Nachahmung weitergegebenen) Wissens als des ‚kulturellen Unbewußten‘,<br />

aus dem immer wieder Topoi durch Bewußtwerdung, Artikulation <strong>und</strong> Textualisierung in den<br />

174 Der Begriff wäre neben anderen Aspekten auch auf die naturgeschichtliche F<strong>und</strong>ierung der Mimesis als Zeit<br />

hin zu untersuchen.<br />

175<br />

Enwezor versteht Kreolität als Vorbild im Prozess einer zu entwickelnden Weltkultur, insofern „Kreolität<br />

(als) interaktionales <strong>und</strong> transaktionales Beziehungsgeflecht karibischer, europäischer, afrikanischer, asiatischer<br />

<strong>und</strong> levantinischer Kulturelemente, die durch das Joch der Geschichte auf demselben Boden vereint sind“, zu<br />

begreifen ist (Enwezor, O., 2002, 51).<br />

176 Vgl. z.B. Levine, R., 2003<br />

177 Unter Verweis auf Jan Assmanns Begriff der rituellen Kohärenz oraler Kulturen wird lediglich auf den<br />

Begriff des organischen Gedächtnisses rekurriert: „Orale Kulturen sind auf die genaue Wiederholung ihrer<br />

Mythen, auf Repetitionen angewiesen, denn das kulturelle Gedächtnis wird in den organischen Gedächtnissen<br />

der Sänger oder Schamanen bewahrt <strong>und</strong> jede Variation könnte den Überlieferungszusammenhang gefährden“<br />

(Erll, A., Kollektives Gedächtnis <strong>und</strong> Erinnerungskulturen, Stuttgart, Weimar 2005, 30).

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