06.11.2013 Aufrufe

AG 18: Ausdruck und Verstehen

AG 18: Ausdruck und Verstehen

AG 18: Ausdruck und Verstehen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

16<br />

III. MIMESIS<br />

Vorbemerkung: Mimesis bei Bourdieu<br />

Das von Bourdieu für den Habitus gezeigte Verhältnis von Inkarnation <strong>und</strong> Prolepsis verweist<br />

auf Mimesis als das basale Vermögen der Inkarnation. Bourdieu betont, dass „die<br />

Einverleibung von Schemata, praktische Mimesis [...], nichts von einer Nachahmung an sich<br />

hat“ 85 <strong>und</strong> auch nicht über ‚Vorstellungen‘ verläuft 86 . Was der Leib mimetisch, wie man jetzt<br />

sagen kann, gelernt hat, „das besitzt man nicht wie ein wiederbetrachtbares Wissen, sondern<br />

das ist man“ 87 .<br />

Diese Bedeutung mimetischer Inkarnation realisiert sich auch in der Darstellung: „Der Leib<br />

glaubt, was er spielt [...]. Er ruft nicht die Vergangenheit ins Gedächtnis, sondern agiert die<br />

Vergangenheit aus, die damit als solche aufgehoben wird, erlebt sie wieder“ 88 . Insofern kann<br />

man nicht von Re-Präsentation, sondern muss von Präsentation sprechen.<br />

Das mimetische Gr<strong>und</strong>verhältnis aller Darstellung muss auch in der Wahrnehmung aller<br />

Darstellung berücksichtigt werden, weil „Kunstgeschichte, die [...] das Werk wie einen<br />

Diskurs behandelt, der ähnlich wie die Sprache bei Saussure mit Hilfe einer transzendentalen<br />

Chiffre entziffert werden soll, [...] darüber vernachlässigt, daß die künstlerische<br />

Hervorbringung - in unterschiedlichem Maße, je nach der Kunstform <strong>und</strong> den historisch<br />

variablen Formen ihrer Praktizierung - immer auch Produkt einer ‚Kunst‘ [...] oder, wenn man<br />

so will, einer mimesis, einer Art symbolischen Gymnastik wie Ritus oder Tanz ist <strong>und</strong> daß sie<br />

deswegen immer etwas Unsagbares enthält, nicht etwa, weil sie zu schön wäre, wie die<br />

Beweihräucherer meinen, sondern weil die Worte fehlen“ 89 .<br />

So zeigt sich Mimesis in einem neuen Sinne als ein weiterer Konvergenzbegriff von Ästhetik<br />

<strong>und</strong> Sozialität.<br />

1. Mimesis: Historische Anthropologie<br />

Das Wort Mimesis stammt aus dem Griechischen 90 <strong>und</strong> bedeutet Nachahmung. Kamper<br />

spricht von Mimesis auch als Vorahmung 91 .<br />

Mit dem Begriff sind weitere Wortfelder wie Simulation, Schein, Ähnlichkeit, Mimikry usw.<br />

im Zusammenhang, so dass sich jetzt schon andeutet, dass Mimesis ein Bedeutungsfeld<br />

eröffnet, das die verschiedensten Ebenen miteinander verbinden kann, ohne Differenzen<br />

aufzuheben. Hier soll es aber nicht um Begriffsgeschichte <strong>und</strong> die Auffächerung der<br />

Bedeutungen gehen, sondern um die Denkbewegungen, die zur Konvergenz von Mimesis <strong>und</strong><br />

Sozialität führen.<br />

85 Bourdieu, 1987 b, 135<br />

86 Als eine vom „Verhältnis zu Sprache <strong>und</strong> Zeit untrennbare gr<strong>und</strong>legende Dimension des Habitus kann das<br />

Verhältnis zum Leib nicht auf ein ‚Bild des Leibes‘ [...] zurückgeführt werden [...]. Hier irrt die<br />

Sozialpsychologie, wenn sie die Dialektik der Einverleibung auf die Ebene der Repräsentationen verlegt“<br />

(Bourdieu, 1987 b, 134).<br />

87 „Besonders deutlich wird dies in Gesellschaften ohne Schrift, in denen ererbtes Wissen nur in einverleibtem<br />

Zustand lebendig bleiben kann“ (Bourdieu, 1987 b, 135).<br />

88 ebd.<br />

89 Bourdieu, 1987 b, 64<br />

90 Bei Platon meint es die Abbildung des Urbildes (Idee) aus der sich eine Hierarchie der Nachahmungen nach<br />

ihrer Nähe zum Urbild ergibt. Aristoteles bezieht den Begriff vor allem auf die darstellende Handlung in Drama<br />

<strong>und</strong> Theater, wobei der Begriff der Katharsis als affektiver Entladung oder Reinigung eine große Rolle spielt.<br />

91 Dietmar Kamper macht diesen Unterschied im Zusammenhang der Unterscheidung von Mimesis <strong>und</strong><br />

Simulation. „Mimesis heißt nicht Nachahmung sondern Vorahmung, während ‚Simulation‘, ein lateinisches<br />

Wort, das technische Herstellen von Bildern meint, die einer Realität täuschend ähnlich sind“. Mimesis, so<br />

Kamper, läuft auf Differenz heraus, Simulation auf Identität (Kamper, D., 1991, 86/9).

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!