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III. MIMESIS<br />
Vorbemerkung: Mimesis bei Bourdieu<br />
Das von Bourdieu für den Habitus gezeigte Verhältnis von Inkarnation <strong>und</strong> Prolepsis verweist<br />
auf Mimesis als das basale Vermögen der Inkarnation. Bourdieu betont, dass „die<br />
Einverleibung von Schemata, praktische Mimesis [...], nichts von einer Nachahmung an sich<br />
hat“ 85 <strong>und</strong> auch nicht über ‚Vorstellungen‘ verläuft 86 . Was der Leib mimetisch, wie man jetzt<br />
sagen kann, gelernt hat, „das besitzt man nicht wie ein wiederbetrachtbares Wissen, sondern<br />
das ist man“ 87 .<br />
Diese Bedeutung mimetischer Inkarnation realisiert sich auch in der Darstellung: „Der Leib<br />
glaubt, was er spielt [...]. Er ruft nicht die Vergangenheit ins Gedächtnis, sondern agiert die<br />
Vergangenheit aus, die damit als solche aufgehoben wird, erlebt sie wieder“ 88 . Insofern kann<br />
man nicht von Re-Präsentation, sondern muss von Präsentation sprechen.<br />
Das mimetische Gr<strong>und</strong>verhältnis aller Darstellung muss auch in der Wahrnehmung aller<br />
Darstellung berücksichtigt werden, weil „Kunstgeschichte, die [...] das Werk wie einen<br />
Diskurs behandelt, der ähnlich wie die Sprache bei Saussure mit Hilfe einer transzendentalen<br />
Chiffre entziffert werden soll, [...] darüber vernachlässigt, daß die künstlerische<br />
Hervorbringung - in unterschiedlichem Maße, je nach der Kunstform <strong>und</strong> den historisch<br />
variablen Formen ihrer Praktizierung - immer auch Produkt einer ‚Kunst‘ [...] oder, wenn man<br />
so will, einer mimesis, einer Art symbolischen Gymnastik wie Ritus oder Tanz ist <strong>und</strong> daß sie<br />
deswegen immer etwas Unsagbares enthält, nicht etwa, weil sie zu schön wäre, wie die<br />
Beweihräucherer meinen, sondern weil die Worte fehlen“ 89 .<br />
So zeigt sich Mimesis in einem neuen Sinne als ein weiterer Konvergenzbegriff von Ästhetik<br />
<strong>und</strong> Sozialität.<br />
1. Mimesis: Historische Anthropologie<br />
Das Wort Mimesis stammt aus dem Griechischen 90 <strong>und</strong> bedeutet Nachahmung. Kamper<br />
spricht von Mimesis auch als Vorahmung 91 .<br />
Mit dem Begriff sind weitere Wortfelder wie Simulation, Schein, Ähnlichkeit, Mimikry usw.<br />
im Zusammenhang, so dass sich jetzt schon andeutet, dass Mimesis ein Bedeutungsfeld<br />
eröffnet, das die verschiedensten Ebenen miteinander verbinden kann, ohne Differenzen<br />
aufzuheben. Hier soll es aber nicht um Begriffsgeschichte <strong>und</strong> die Auffächerung der<br />
Bedeutungen gehen, sondern um die Denkbewegungen, die zur Konvergenz von Mimesis <strong>und</strong><br />
Sozialität führen.<br />
85 Bourdieu, 1987 b, 135<br />
86 Als eine vom „Verhältnis zu Sprache <strong>und</strong> Zeit untrennbare gr<strong>und</strong>legende Dimension des Habitus kann das<br />
Verhältnis zum Leib nicht auf ein ‚Bild des Leibes‘ [...] zurückgeführt werden [...]. Hier irrt die<br />
Sozialpsychologie, wenn sie die Dialektik der Einverleibung auf die Ebene der Repräsentationen verlegt“<br />
(Bourdieu, 1987 b, 134).<br />
87 „Besonders deutlich wird dies in Gesellschaften ohne Schrift, in denen ererbtes Wissen nur in einverleibtem<br />
Zustand lebendig bleiben kann“ (Bourdieu, 1987 b, 135).<br />
88 ebd.<br />
89 Bourdieu, 1987 b, 64<br />
90 Bei Platon meint es die Abbildung des Urbildes (Idee) aus der sich eine Hierarchie der Nachahmungen nach<br />
ihrer Nähe zum Urbild ergibt. Aristoteles bezieht den Begriff vor allem auf die darstellende Handlung in Drama<br />
<strong>und</strong> Theater, wobei der Begriff der Katharsis als affektiver Entladung oder Reinigung eine große Rolle spielt.<br />
91 Dietmar Kamper macht diesen Unterschied im Zusammenhang der Unterscheidung von Mimesis <strong>und</strong><br />
Simulation. „Mimesis heißt nicht Nachahmung sondern Vorahmung, während ‚Simulation‘, ein lateinisches<br />
Wort, das technische Herstellen von Bildern meint, die einer Realität täuschend ähnlich sind“. Mimesis, so<br />
Kamper, läuft auf Differenz heraus, Simulation auf Identität (Kamper, D., 1991, 86/9).