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Pädagogisches Konzept - Gemeinschaftsschule Arzberg

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<strong>Arzberg</strong>er Modell<br />

<strong>Konzept</strong> für eine <strong>Gemeinschaftsschule</strong> in <strong>Arzberg</strong>


<strong>Arzberg</strong>er Modell<br />

<strong>Gemeinschaftsschule</strong> <strong>Arzberg</strong><br />

<strong>Pädagogisches</strong> <strong>Konzept</strong><br />

Verfasst von Roland Grüttner<br />

Eine Publikation im Auftrag der Stadt <strong>Arzberg</strong> und der Brückenallianz Bayern-Böhmen e.V.<br />

V.i.S.d.P.: Martin Güll, MdL (Hrsg.)<br />

Dachauer Straße 16<br />

85229 Markt Indersdorf<br />

martin.guell@bayernspd-landtag.de<br />

1. Auflage © 2013<br />

Die Weiterverbreitung der allgemeinen Inhalte ist nur mit Genehmigung der Autoren, die Verbreitung<br />

der gemeindespezifischen Inhalte nur mit Genehmigung der Gemeinde gestattet.<br />

1


„Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt.<br />

Der andere packt sie kräftig an - und handelt.‘‘<br />

Johann Wolfgang von Goethe<br />

Die Stadt <strong>Arzberg</strong> und die Brücken-Allianz Bayern-Böhmen haben sich entschlossen, das Heft des<br />

Handelns fest in der Hand zu behalten. Nachdem ihre traditionsreiche Maximilian-von-Bauernfeind<br />

Schule noch 2005 behaupten konnte, sie sei eine der größten Hauptschulen im Landkreis<br />

Wunsiedel, werden mittlerweile nur noch zwei Klassen hier unterrichtet. Es werden immer weniger<br />

Kinder geboren, und diese wenigen besuchen immer mehr Schulen in den Nachbarorten. Die<br />

Verarmung ihrer Stadt, die mit einer fehlenden weiterführenden Schule einhergehen würde, kann<br />

von den verantwortlichen Bürgern und Stadträten nicht hingenommen werden. Auf der Suche<br />

nach Alternativen haben sie die Idee für eine <strong>Gemeinschaftsschule</strong> in den Blick genommen. Da das<br />

Standortgutachten die Entwicklungsmöglichkeiten positiv einschätzte, soll nun ein pädagogisches<br />

<strong>Konzept</strong> das Ziel einer „Schule für Alle“ genauer beschreiben.<br />

Dieses <strong>Konzept</strong> ist für drei Personengruppen geschrieben worden. Die erste sind die Auftraggeber,<br />

also die Stadträte und politischen Entscheidungsträger. Sie müssen wissen, ob ihre Vision Wirklichkeit<br />

werden kann. Dazu werden sie in den Ausführungen nachlesen können, wie pädagogische<br />

Ideen auf sichere materielle Fundamente gegründet werden müssen und wie sich die <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

in das soziale und kulturelle Gefüge ihrer Kommune einbetten lässt.<br />

Die zweiten Adressaten sind die Eltern, die auch jetzt schon in jedes schulische Geschehen in unterschiedlicher<br />

Stärke und Weise einbezogen sind. Sie sollen Antwort auf ihre Fragen bekommen,<br />

wie in der neuen Schule unterrichtet und erzogen wird, wie sich die Klassen zusammen setzen,<br />

welche Fächer unterrichtet werden – und nach welchen Stundenplänen – und welche Abschlüsse<br />

möglich sind. Sie werden erfahren, dass ihre Mitarbeit konstitutiv für das Gelingen der <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

ist.<br />

Die dritte Adressatengruppe schließlich sind die Lehrer, die ihre persönlichen Erfahrungen als<br />

Maßstab an dieses <strong>Konzept</strong> anlegen. Sie werden sich in Bezug auf die pädagogischen Grundannahmen,<br />

Prinzipien und Methoden ihr eigenes Urteil bilden. Ohne Zweifel ist manches strittig;<br />

deshalb dienen zahlreiche Fußnoten als Begründungen und Belege für die Skeptiker. Für die Praktiker<br />

aller Schularten, die nach der Umsetzbarkeit der pädagogischen und methodischen Ideen<br />

fragen, wurden etliche ins Konkrete führende Hinweise neu verfasst; sie sollen auf den Reichtum<br />

an Möglichkeiten und Erfahrungen verweisen, der jetzt schon an fortschrittlichen Schulen in<br />

Deutschland und in europäischen Nachbarländern das Unterrichten und schulische Miteinander<br />

prägt.<br />

Das vorliegende pädagogische <strong>Konzept</strong> speist sich aus verschiedenen Quellen. Da sei zunächst der<br />

Altmühltaler Plan genannt, das erste bayerische Gemeinschaftsschulkonzept, erarbeitet von einem<br />

Expertenteam von Schulentwicklern aus drei Bundesländern im Auftrag der Gemeinden Denkendorf<br />

und Kipfenberg und der SPD-Landtagsfraktion. Dieses wurde fortgeschrieben im so genannten<br />

„Glonntaler Plan“ für eine Schule im Landkreis Dachau und verknüpft mit den Ergebnissen des<br />

2


Standortgutachtens, welches im Juli 2012 in <strong>Arzberg</strong> vorgelegt wurde. Schließlich flossen auch<br />

noch Informationen aus einem umfangreichen Fragebogen mit ein und – nicht zuletzt – die Aussagen<br />

interessierter und engagierter Eltern. Dass dieses <strong>Konzept</strong> versucht, die Finger am Puls der<br />

aktuellen pädagogischen Diskussionen zu haben und gleichzeitig die guten Erfahrungen der Vergagnenheit<br />

aufzunehmen, versteht sich von selbst. Aus Gründen der Lesbarkeit wurden zahlreiche<br />

Ausführungen und Beispiele in einem umfangreichen Anhang gesammelt; aus demselben Grund<br />

wurden durchgängig die maskulinen Formen verwendet.<br />

Roland Grüttner im März 2013<br />

3


Inhalt<br />

1 Die Schule am Standort <strong>Arzberg</strong> .................................................................................................. 6<br />

1.1 Die Stadt <strong>Arzberg</strong> ................................................................................................................... 6<br />

1.2 Die Maximilian-von-Bauernfeind Mittelschule ..................................................................... 7<br />

1.3 Ergebnisse des Standortgutachtens ...................................................................................... 7<br />

1.4 Personalbedarf ...................................................................................................................... 8<br />

1.5 Raumbedarf ......................................................................................................................... 10<br />

2 Schulentwicklung als Qualitätsentwicklung ............................................................................... 12<br />

2.1 Vorüberlegungen ................................................................................................................. 12<br />

2.2 Ziele und Strategien der Qualitätsentwicklung ................................................................... 14<br />

2.3 Führung und Management ................................................................................................. 15<br />

2.4 Hinweise zur Umsetzung: Schulentwicklung ....................................................................... 18<br />

3 Pädagogische Grundlagen der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> ................................................................ 19<br />

3.1 Das Menschenbild ............................................................................................................... 19<br />

3.2 Die <strong>Gemeinschaftsschule</strong> ist eine Schule für Alle ............................................................... 20<br />

3.3 Heterogenität als Chance .................................................................................................... 22<br />

3.4 Hinweise zur Umsetzung: Der Index für Inklusion .............................................................. 23<br />

4 Neue Pädagogik – neue Schule .................................................................................................. 25<br />

4.1 Die vier Pädagogen .............................................................................................................. 25<br />

4.1.1 Der Lehrer .................................................................................................................... 25<br />

4.1.2 Der Schüler ................................................................................................................... 26<br />

4.1.3 Der Raum...................................................................................................................... 28<br />

4.1.4 Die Zeit ......................................................................................................................... 30<br />

4.2 Grundsätzliche Ziele: die Kompetenzen .............................................................................. 31<br />

4.2.1 Hinweise zur Umsetzung: Kompetenzraster................................................................ 32<br />

4.3 Entwicklungsstufen ............................................................................................................. 33<br />

4.3.1 Die Eingangs- und Integrationsphase (Jahrgänge 5/6) ................................................ 33<br />

4.3.2 Die Differenzierungs- und Beratungsphase (Jahrgänge 7/8) ....................................... 34<br />

4.3.3 Die Fachleistungs- und Abschlussphase (Jahrgänge 9/10 ) ......................................... 36<br />

4.4 Abschlüsse und Anschlüsse ................................................................................................. 37<br />

5 Leistungsmessung ...................................................................................................................... 38<br />

4


5.1 Grundsätzliches ................................................................................................................... 38<br />

5.2 Leistungsnachweise und Formen der Rückmeldung ........................................................... 39<br />

6 Die Woche an der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> ................................................................................... 43<br />

6.1 Vorbemerkungen................................................................................................................. 43<br />

6.2 Die einzelnen Elemente ....................................................................................................... 44<br />

6.2.1 Der Klassenkreis ........................................................................................................... 44<br />

6.2.2 Das selbstgesteuerte Lernen (SegeL)........................................................................... 45<br />

6.2.3 Vernetzter Unterricht................................................................................................... 47<br />

6.2.4 Die Projektarbeit .......................................................................................................... 50<br />

6.2.5 Fachunterricht .............................................................................................................. 51<br />

6.2.6 Mittagszeit ................................................................................................................... 51<br />

6.2.7 Profilfach ...................................................................................................................... 52<br />

6.2.8 Offene Angebote (Neigungsgruppen / Arbeitsgemeinschaften) ................................. 53<br />

6.2.9 Das kooperative Lernen ............................................................................................... 53<br />

6.3 Hinweise zur Umsetzung: Umgang mit Heterogenität ....................................................... 55<br />

6.4 Hinweise zur Umsetzung: Das Lernen organisieren ............................................................ 55<br />

6.5 Exemplarischer Wochenstundenplan ................................................................................. 56<br />

6.5.1 Erläuterungen .............................................................................................................. 57<br />

6.5.2 Innere Differenzierung ................................................................................................. 58<br />

6.5.3 Lehrerkompetenzen ..................................................................................................... 59<br />

7 Die Eltern an der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> ..................................................................................... 60<br />

7.1 Eltern als aktiver Teil der Schulgemeinde ........................................................................... 60<br />

7.2 Elternseminare zu den Strukturelementen ......................................................................... 61<br />

8 Die Verankerung der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> in den Heimatgemeinden ..................................... 62<br />

8.1 Hinweise zur Umsetzung: Lernpartner finden .................................................................... 63<br />

8.2 Lernpartnerschaft mit der lokalen und regionalen Wirtschaft ........................................... 64<br />

8.3 Lernpartnerschaft mit der lokalen und regionalen Kultur .................................................. 64<br />

8.4 Lernpartnerschaft im Ganztagsunterricht ........................................................................... 65<br />

8.5 Der Kulturtag der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> ............................................................................. 66<br />

5


1 Die Schule am Standort <strong>Arzberg</strong><br />

Wenn die Schulen zunehmen, dann steht’s wohl im Land.<br />

Martin Luther<br />

1.1 Die Stadt <strong>Arzberg</strong><br />

Die Stadt <strong>Arzberg</strong> ist Mitglied der<br />

„Brückenallianz Bayern-Böhmen<br />

e.V.“ und in dieser Eigenschaft auch<br />

Kooperationspartner von vier<br />

tschechischen Gemeinden. Zweck<br />

dieser Zusammenarbeit ist eine<br />

Stärkung des Tourismus und die<br />

Entwicklung von Projekten in der<br />

Energieregion Fichtelgebirge.<br />

<strong>Arzberg</strong> ist wie seine Nachbargemeinden<br />

mit zwei Erscheinungen<br />

konfrontiert, die sich gegenseitig<br />

bedingen: Sie ist einerseits einem<br />

Strukturwandel unterworfen –<br />

Wegfall der Porzellanindustrie,<br />

Schließung wichtiger Unternehmen<br />

– und weist andererseits eine abnehmende<br />

Bevölkerungszahl auf:<br />

Von 1995 bis 2011 ist die Einwohnerzahl um 19 Prozent gesunken; im gleichen Zeitraum hat der<br />

gesamte Landkreis Wunsiedel einen Rückgang von etwa 14 Prozent verzeichnet. Die Bevölkerungsprognose<br />

des Statistischen Landesamtes Bayern sagt für den Landkreis bis ins Jahr 2031 eine<br />

weitere Abnahme von 18 Prozent voraus, bei den unter 19-Jährigen sogar bis zu 37,5 Prozent. Diese<br />

Entwicklung hat Folgen für die Maximilian-von-Bauernfeind Mittelschule, die im nächsten Absatz<br />

beschrieben werden.<br />

Die Einrichtungen, welche die Stadt <strong>Arzberg</strong> für Kinder und Jugendliche bereitstellt, lassen nichts<br />

zu wünschen übrig: Es gibt drei Kindertagesstätten, Tagesmütter und mehrere Spielplätze für die<br />

ganz Kleinen. Auch für die Heranwachsenden im Schulalter gibt es ein großes Spektrum an Freizeitmöglichkeiten<br />

(Freibad, verschiedene Sportfelder, Jugendzentrum, Skaterbahn u.a.), bei denen<br />

sich die städtische Infrastruktur mit den Angeboten der Kirchen, der Sport- und Musikvereine vielfältig<br />

ergänzt. Diese vorhandenen Qualitäten können und sollen in einer <strong>Gemeinschaftsschule</strong> zum<br />

Tragen kommen – wie, das wird beispielhaft in Kapitel 8 dargestellt.<br />

6


1.2 Die Maximilian-von-Bauernfeind Mittelschule<br />

Die Schülerzahlen der Mittelschule <strong>Arzberg</strong> haben von 200 im Schuljahr 2005/06 auf 32 im aktuellen<br />

Schuljahr 2012/13 abgenommen. Dies ging zu einem geringeren Teil auf abnehmende Geburtenzahlen<br />

zurück; die Abnahme resultierte größtenteils aus dem Schulwahlverhalten der Familien:<br />

Die Wechselquote aus der eigenen Grundschule an die Maximilian-von-Bauernfeind-Mittelschule<br />

ist von 49 Prozent im Jahr 2006 auf 16 Prozent in 2010 gesunken. Gleichzeitig stieg der Anteil der<br />

Übertritte an die Realschule von 19,6 Prozent auf 29 Prozent und an das Gymnasium von 31,4 Prozent<br />

auf 54,8 Prozent. Haupt-„Abnehmer“ dieser Schüler sind die Sigmund-Wann-Realschule (637<br />

Schüler) und das Luisenburg-Gymnasium (783 Schüler) in Wunsiedel. Diese Zahlen beschreiben<br />

allerdings nur die Wechsel nach der vierten Jahrgangsstufe. Die Mittelschule <strong>Arzberg</strong> verliert darüber<br />

hinaus im Dreijahres-Mittel auch noch 38 Prozent der Schüler nach Jahrgangsstufe 5 und weitere<br />

44 Prozent nach Jahrgangsstufe 6; letztere unter anderem an die Staatliche Wirtschaftsschule<br />

in Wunsiedel und an die beiden benachbarten Mittelschulen in Marktredwitz und Wunsiedel. Hier<br />

entfaltet der M-Zug seine eigene Anziehungskraft auf Kosten des Standortes <strong>Arzberg</strong>.<br />

1.3 Ergebnisse des Standortgutachtens<br />

Das Standortgutachten vom Juni 2012 prognostizierte für eine <strong>Gemeinschaftsschule</strong> eine Zahl von<br />

etwa 290 bis 300 Schülern. Dies gilt unter der Voraussetzung einer Übertrittsquote von mindestens<br />

67 Prozent aus der eigenen Grundschule und aus dem bisherigen Einzugsbereich, der auch<br />

noch die Grundschulen in Schirnding, Thiersheim und Höchstädt umfasst. Man kommt auf diese<br />

Weise zu einer stabil zweizügigen <strong>Gemeinschaftsschule</strong> <strong>Arzberg</strong> mit einer Klassenstärke von 24 bis<br />

25 Schülern. Die genauen Werte lassen sich dieser Tabelle entnehmen:<br />

Schuljahr 5.<br />

6.<br />

7.<br />

8.<br />

9.<br />

10.<br />

Gesamt Klassen Stärke<br />

Jg.<br />

Jg.<br />

Jg.<br />

Jg.<br />

Jg.<br />

Jg.<br />

2013/14 63 63 3 21,0<br />

2014/15 46 63 109 5 21,7<br />

2015/16 50 46 63 159 7 22,7<br />

2016/17 47 50 46 63 205 9 22,8<br />

2017/18 48 47 50 46 63 253 11 23,0<br />

2018/19 55 48 47 50 46 63 308 12 25,6<br />

2019/20 45 55 48 47 50 46 290 12 24,2<br />

2020/21 52 45 55 48 47 50 296 12 24,7<br />

7


1.4 Personalbedarf<br />

Für eine Schule mit 290 – 300 Schülern mit Ganztagsbetrieb in zwölf Klassen gelten für die Lehrerzuweisung<br />

in Bayern derzeit die folgenden Richtwerte. Sie zeigen, dass eine <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

im Rahmen der gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen finanziell machbar ist. Da sich die Vorgaben<br />

allerdings am unteren Rand des Notwendigen bewegen, erfordert die Bereitstellung einer<br />

höheren pädagogischen Qualität auch weitere Investitionen, die teils vom Kultusbudget und teils<br />

vom Aufwandsträger übernommen werden müssten:<br />

Budget der <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

Stundenbedarf Lehrer 12 Klassen LWStd.<br />

pro Klasse ganze Schule<br />

Lehrerwochenstunden 34 408<br />

Begleitung im SegeL (zusätzlich) 3 36<br />

Begleitung im VU (zusätzlich) 4 48<br />

Fachdifferenzierung 6 72<br />

offenes Angebot 4 48<br />

Inklusion<br />

(bei Bedarf)<br />

612 612<br />

Stundenbedarf Zusatzkräfte<br />

pro Klasse ganze Schule<br />

Fachdifferenzierung Profil 3 36<br />

soz.päd. Begleitung 3 36<br />

Zusatzkräfte Mittagszeit 6 72<br />

144 144<br />

gesamt 756<br />

Budget Lehrerwochenstunden 290 Schüler LWStd.<br />

Faktor ganze Schule<br />

pro Schüler 1,8 522<br />

Budget Ganztagsklassen 12 Klassen<br />

Faktor ganze Schule<br />

pro Klasse 12 144<br />

Budget insgesamt 666 666<br />

Budget Zusatzkräfte im Ganztag 12 Klassen<br />

Faktor ganze Schule<br />

pro Klasse 6.000,00 € 72.000,00 €<br />

rechnet sich um für 20 €/KurzStd. 106<br />

Inklusion nach Bedarf<br />

Budget insgesamt 106 106<br />

gesamt 772<br />

8


Personalbedarf<br />

Die Individualisierung der Lernprozesse in einer prinzipiell heterogenen Schülerschaft und der gebundene<br />

Ganztagsbetrieb erfordern einerseits einen erhöhten Lehrerbedarf, andererseits auch<br />

weiteres pädagogisches Personal. Die Zuweisung des pädagogischen Personals muss so ausgestaltet<br />

werden, dass der hohe Anspruch der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> umgesetzt werden kann. Im Bereich<br />

des selbstgesteuerten Lernens werden beispielsweise für je zwei Lerngruppen in einem Jahrgangsbereich<br />

insgesamt mindestens drei Lehrkräfte (Klassenlehrer und weitere Lehrer mit unterschiedlichen<br />

Fächerschwerpunkten) anwesend sein. Im vernetzten Unterricht stehen den Schülern Lehrer<br />

mit fachlichen Schwerpunkten jahrgangsübergreifend zur Verfügung.<br />

Schulleitung<br />

Die Verantwortlichkeit des Schulleiters gegenüber Schulträger und Schulaufsicht bleibt bestehen,<br />

aber innerhalb der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> müssen auch Führungs- und Entwicklungsaufgaben an<br />

Lehrer und Teams weitergegeben werden. Geteilte Entwicklungs- und Führungsaufgaben stärken<br />

die Verbundenheit mit der Schule und verantwortliches Handeln. Näheres dazu folgt im Kapitel zur<br />

Schulentwicklung.<br />

Lehrer<br />

An der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> arbeitet das Kollegium in Jahrgangsteams. Jede Klasse hat zwei Klassenlehrkräfte,<br />

die möglichst über die sechs Schuljahre die Schüler begleiten. Sie werden ergänzt<br />

um Lehrer unterschiedlicher Fächerkombinationen aus allen Schularten. Zu den Teams gehören<br />

auch weitere pädagogische Kräfte (Förderlehrer, Förderschullehrer im Inklusionsfall, ggf. auch<br />

Heilpädagogen), Sozialpädagogen und Erzieher. Die Jahrgangsteams koordinieren die organisatorische<br />

und pädagogische Arbeit ihrer Jahrgangsstufe.<br />

Sozialpädagogen<br />

Die Mitarbeit von Sozialpädagogen als fester Bestandteil des Kollegiums 1 ist umfassend: In Konferenzen<br />

und Teamsitzungen besprechen und beschließen sie mit den Lehrern zusammen, wie Werte<br />

und Normen den Schülern im Unterricht, in Projekten und im Schulalltag vermittelt werden. Im<br />

Zusammenleben mit den Schülern zeigen sie Entwicklungsmöglichkeiten auf und verdeutlichen<br />

Grenzen. Durch die intensive Kommunikation der Lehrer und Sozialpädagogen erleben die Schüler,<br />

dass jeder Einzelne wertgeschätzt wird. Dazu gehört auch, dass die Erwachsenen mit ihnen regelmäßig<br />

sozialverträgliches Handeln reflektieren, Konfliktsituationen bearbeiten und für sie ein „gutes<br />

Modell“ sozialverträglichen Handelns sind. An Elternabenden, in Elternversammlungen und in<br />

Einzelgesprächen wird der Gewinn gemeinsamen Handelns bei der Erziehung aufgezeigt.<br />

Als Teil einer Kind-Umfeld-Analyse können die Pädagogen auch Hausbesuche durchführen, um die<br />

Zusammenarbeit mit den Eltern zu verstärken.<br />

1 Hier sind nicht die JaS-Stellen gemeint (Jungendsozialarbeit an Schulen), welche von den Trägern der öffentlichen<br />

Jugendhilfe finanziert werden. Für die <strong>Gemeinschaftsschule</strong> sind im Stundenbudget des Kultusministeriums und der<br />

Regierungen Sozialpädagogenstellen vorzusehen. Die Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe ist eine darüber hinausgehende<br />

Möglichkeit.<br />

9


Sonderpädagogen<br />

Wie im Kapitel zur Inklusion beschrieben, verlangt die UN-Konvention, dass alle Lehrer im öffentlichen<br />

Schulwesen dafür ausgebildet werden sollen, inklusiv zu unterrichten. Darüber hinaus werden<br />

inklusive Schulen immer auch die Kompetenz von Sonderpädagogen benötigen. Sonderpädagogen<br />

sind für eine hohe Förderqualität in inklusiven Schulen unverzichtbar und werden im Bedarfsfall<br />

in die <strong>Gemeinschaftsschule</strong> <strong>Arzberg</strong> im notwendigen Umfang integriert.<br />

Externe Experten<br />

Im Stundenplan der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> sind drei Wochenstunden Handwerks-Unterricht ausgewiesen.<br />

Diesen Unterricht können Lehrer im Normalfall nur begleiten, nicht aber selbst erteilen.<br />

Dafür muss man sich beispielsweise die Kompetenz eines ausgebildeten Handwerkers ins Haus<br />

holen. Gleiches gilt für offene Angebote, soweit sie den handwerklichen Bereich abdecken. Daneben<br />

werden auch – je nach Profil und Bedarf – Experten von Musikschulen, Sportvereinen, dem<br />

Roten Kreuz oder ähnlichen Einrichtungen an der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> tätig. Selbstverständlich<br />

werden auch die passenden Kompetenzen der Schülereltern in den Unterricht einbezogen. Genauere<br />

Ausführungen dazu finden sich in den Kapiteln 7 und 8.<br />

Zusammenarbeit mit externen Stellen<br />

Im Rahmen der Kooperation Schule und Jugendhilfe stehen die Sozialpädagogen der Jugendsozialarbeit<br />

an Schulen (JAS) in engem Kontakt zur Jugendhilfe, zum schulpsychologischen Dienst und<br />

anderen Einrichtungen, die für die Erziehung hilfreich sind, um die Bildung der Kinder und Jugendlichen<br />

optimal zu gewährleisten. Die Aufgabe dieser Sozialpädagogen besteht in der Unterstützung<br />

der „Kinder und Jugendlichen in ihrem Recht auf Förderung der Entwicklung und auf Erziehung zu<br />

einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (vgl. SGB VIII § 1). Die Arbeit<br />

des Fachpersonals für Sozialpädagogik verfolgt an der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> einen integrativen<br />

Ansatz, in dem die Arbeit der Schule mit der Arbeit in der Gemeinde verknüpft wird.<br />

1.5 Raumbedarf<br />

Für die Gestaltung des Schultages spielt neben der Erhöhung der Sozialkompetenz die Ausstattung<br />

und Gestaltung des Schulgebäudes und Schulgeländes eine wichtige Rolle, wie in dem Abschnitt<br />

„Raum als dritter Erzieher“ ausgeführt wurde.<br />

Das Standortgutachten kommt zu dem Schluss, dass die Gebäude der jetzigen Grund- und Mittelschule<br />

in <strong>Arzberg</strong> von der Substanz, Struktur und Lage zwar gut geeignet, aber für den Vollausbau<br />

nicht ausreichend sind, um dort eine <strong>Gemeinschaftsschule</strong> einzurichten. Zur Orientierung hier die<br />

Aufzählung für eine Schule mit etwa 300 Schülern in zwölf Klassen:<br />

Raum gefordert vorhanden<br />

Klassenzimmer 12 9<br />

Gruppenräume 6 3 Kursräume<br />

10


Lernzentren (eines pro Ebene) 3 1 Lernwerkstatt (EG)<br />

1 Religion/Kunst (1.OG)<br />

Fachraum Naturwissenschaft (mit Vorbereitungsraum)<br />

1 2<br />

Schulküche 1 1 (in der angebauten GS)<br />

Werkraum (mit Lager- und Maschinenraum) 1 2 + Töpferwerkstatt<br />

1 Textilarbeitsraum<br />

Informatikraum 1 2<br />

Mehrzweckraum 1 1 (Musik)<br />

Mensa 1 --<br />

Ruheraum 1 --<br />

Kommunikationsraum 1 --<br />

Turnhalle 1 1<br />

In <strong>Arzberg</strong> gibt es noch Möglichkeiten zur Umwidmung und Umgestaltung von Gebäuden, um dem<br />

möglichen zunehmenden Bedarf zu befriedigen. Für den Schulumbau gibt es auch spezialisierte<br />

Architekturbüros 2 .<br />

In der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> wird ein Raumangebot geschaffen, das im Bereich der Klassenräume,<br />

des Lernzentrums, der Teamräume und der Fachräume den Anforderungen der neuen Schulform<br />

und des selbstgesteuerten Lernens und der Projektarbeit in der Ganztagsschule Rechnung trägt.<br />

Die Materialausstattung für Klassenräume mit zum Teil speziellem Unterrichtsmaterial wird dem<br />

Anspruch der individuellen Förderung gerecht. Um eine zeitgemäße Medienpädagogik zu gewährleisten<br />

sind alle Räume mit einem Internetanschluss und Projektionsmöglichkeiten ausgestattet.<br />

Die Schule verfügt überdies über einen Informatikraum, in dem Klassen- und Kursunterricht stattfinden<br />

kann. Ein umfassendes Medienkonzept mit moderner Vernetzung und Anbindung in den<br />

Unterricht aller Fächer und Jahrgangsstufen sollte zu einem späteren Zeitpunkt entwickelt werden.<br />

Mit Materialien und Medien gut ausgestattete Lernzentren, welche nach Möglichkeit auch eine<br />

Reihe von Computerarbeits-(Steh-)Plätzen enthalten, komplettieren das Raumangebot.<br />

2 Als Beispiel: www.lern-landschaft.de<br />

11


2 Schulentwicklung als Qualitätsentwicklung<br />

Die Schule muss darin Vorbild sein, dass sie selbst mit dem gleichen Ernst lernt und an sich arbeitet,<br />

wie sie es den Kindern und Jugendlichen vermitteln will. Ihre Arbeit ist nie „fertig“, weil sie<br />

auf sich wandelnde Bedingungen und Anforderungen jeweils neu antworten muss.<br />

Blick über den Zaun 3<br />

2.1 Vorüberlegungen<br />

Sich vernetzen<br />

Wenn sich eine Kommune auf den Weg macht um ihre Schule als <strong>Gemeinschaftsschule</strong> neu aufzusetzen,<br />

wird sie auf diesem Weg viele Begleiter treffen können. Sie wird feststellen, dass sie nicht<br />

jedes Rad neu erfinden muss, da landauf landab zahlreiche pädagogische Neuerungen mit Erfolg<br />

praktiziert werden. Um von den Erfahrungen anderer profitieren zu können, ist es sinnvoll sich mit<br />

bereits existierenden Netzwerken zu verknüpfen. Um nur einige zu nennen:<br />

• „Blick über den Zaun“ ist ein Verbund reformpädagogisch orientierter Schulen, der seit<br />

1989 besteht, um Schulentwicklung „von unten" zu betreiben. Laut Selbstdarstellung ist es<br />

das Ziel dieses Verbundes, durch regelmäßige wechselseitige Besuche (peer reviews), durch<br />

Tagungen und das Anwerben weiterer Schulen dazu beizutragen, dass Schulen im direkten<br />

Erfahrungsaustausch voneinander lernen.<br />

• Schule im Aufbruch 4 ist eine Initiative, die in einer größeren Breite sichtbar macht, an welchen<br />

Schulen es welche neuen Entwicklungen gibt. Sie will das bereits vorhandene Wissen<br />

und die bereits gemachten Erfahrungen bündeln, vernetzen und für andere nutzbar machen.<br />

• Aktion gute Schule e.V. 5 ist ein Verein von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern sowie vielen Interessierten<br />

aus verschiedenen Orten Bayerns, die sich „für eine Verbesserung der Schulsituation“<br />

in Bayern einsetzen.<br />

Darüber hinaus gibt es in Bayern Initiativen und Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht<br />

haben, bei der Schulentwicklung unterstützend tätig zu werden. Auch hier nur der Anfang einer<br />

sich ständig erweiternden Liste:<br />

• FAMOS e.V. ist eine länderübergreifende „Freie Arbeitsgemeinschaft Moderatoren/-innen<br />

für Schulentwicklung“ 6 und versteht sich als Bestandteil eines Unterstützungssystems für<br />

Schulen, die im Prozess der Schulentwicklung verstärkt Beratung und Betreuung von außen<br />

brauchen. Der eingetragene Verein kann in allen bayerischen Regierungsbezirken Moderatoren/innen<br />

für interessierte Schulen vermitteln.<br />

3 Blick über den Zaun, Leitbild und Standards, S.38. http://www.blickueberdenzaun.de/<br />

4 http://www.schule-im-aufbruch.de/<br />

5 http://www.guteschule.eu/<br />

6 http://www.famos-schulentwicklung.eu/<br />

12


• ComPetto Consulting Network 7 bietet Unterstützung in allen Belangen der allgemeinen<br />

Organisationsentwicklung und verfügt über spezielles Know-how in Fragen der Schulentwicklung.<br />

An diesen Stellen können die sich für die Schulentwicklung engagierten Personen vielfältige und<br />

weiter gehende Unterstützung erhalten, als sie dieses <strong>Konzept</strong> bieten kann.<br />

Sich orientieren<br />

Die <strong>Gemeinschaftsschule</strong> orientiert sich an und stellt sich den Kriterien für gute Schule und guten<br />

Unterricht. Als Beispiele seien genannt:<br />

• Ziele und Standards für gute Schulen, z.B. von „Blick über den Zaun“;<br />

• aktuelle Forschungsergebnissen zum Lernen und zur Organisationsentwicklung;<br />

• Lernstandserhebungen für die Jahrgangsstufe 8 in den Fächern Deutsch, Mathematik und<br />

Englisch;<br />

• Ergebnisse nationaler und internationaler Schulleistungsstudien und<br />

• die KMK-Standards für die Prüfungen am Ende der 10. Klasse.<br />

Als Grundlage für die folgenden Überlegungen dient ein bereits ausgearbeiteter „Referenzrahmen<br />

Schulqualität“, der seinerseits in Aufbau und Inhalt auf Modelle zurückgreift, welche sich im Inland<br />

und im europäischen Ausland bewährt haben – unter anderem die Referenzsysteme einiger Bundesländer,<br />

der (in Kapitel 3.4) bereits erwähnte „Index für Inklusion“ und die Standards von „Blick<br />

über den Zaun“ – und der auch konzeptionelle Arbeiten aus der Schulentwicklungsforschung und<br />

Schulqualitätsentwicklung mit aufnimmt 8 . Dieser Referenzrahmen kann für ein Kollegium und eine<br />

Gemeinde, die sich als Träger und <strong>Gemeinschaftsschule</strong> neu orientieren wollen, als Handbuch dienen,<br />

welches dabei hilft, sich die relevanten Schulentwicklungsfragen zu stellen und zu beantworten.<br />

7 http://www.competto.de/index.html<br />

8 Institut für Qualitätsentwicklung (Hg): Hessischer Referenzrahmen Schulqualität (HRS), Wiesbaden 2011, S.3. Hilfreiche<br />

Hinweise zur Qualitätsentwicklung von Schulen gibt es auch vom ISB Bayern (http://www.isb.bayern.de/isb/ index.asp?MNav=8&QNav=17&TNav=0&INav=0).<br />

Weitere praktische Anregungen finden sich in „<strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

gestalten. Ein Praxisleitfaden“, der im Internet gefunden werden kann unter http://www.berlin.de/imperia/md/ content/sen-bildung/bildungswege/gemeinschaftsschule/gms_<br />

praxisleitfaden.pdf?start&ts=1346317975&file=gms_<br />

praxisleitfaden.pdf<br />

13


© Hessischer Referenzrahmen<br />

Die Qualitätsbereiche schulischer Entwicklung lassen sich in einem Überblick so darstellen wie<br />

oben abgebildet 9 . Im Zusammenhang unseres Gemeinschaftsschulkonzeptes wurden die Bereiche<br />

I und V bis VII bereits behandelt, beziehungsweise werden weiter unten noch ausgeführt. Die folgenden<br />

Überlegungen beziehen sich auf die Bereiche „Ziele und Strategien der Qualitätsentwicklung“<br />

(II), „Führung und Management (III) und „Professionalität“ (IV) 10 .<br />

2.2 Ziele und Strategien der Qualitätsentwicklung<br />

Wie im Vorwort bereits erwähnt, versteht sich dieses pädagogische <strong>Konzept</strong> nicht als abschließend<br />

und in jeder Einzelheit allgemein verbindlich. Die konkrete Passung der pädagogischen Grundlagen<br />

auf die Situation der Schule vor Ort ist dem Kollegium und der Schulleitung aufgegeben. Das Kollegium<br />

der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> erarbeitet nicht nur sein eigenes Curriculum, sondern im Austausch<br />

mit den Eltern, dem Schulträger und den zuständigen Behörden auch sein Schulprogramm. In dieses<br />

fließen die Grundsätze der pädagogischen Arbeit aus dem <strong>Konzept</strong> ebenso ein wie aktuelle<br />

Entwicklungsvorhaben. Im Zuge der Umsetzung der einzelnen Maßnahmen, zu der immer auch die<br />

Fortbildung der Mitarbeiter gehört, überprüft das Kollegium die Erreichung seiner selbstgesteckten<br />

Ziele durch die unterschiedlichsten Werkzeuge der internen und externen Evaluation (critical<br />

friends, VERA, zentrale Abschlussarbeiten etc.) 11 .<br />

9 HRS S.4<br />

10 HRS S.7<br />

11 Auf der Seite des ISB http://www.isb.bayern.de/isb/index.asp?MNav=8&QNav=17&TNav=0&INav=0; und als Literaturhinweis:<br />

Helmke, Andreas u.a.: Interne Evaluation. Grundlagen und verfahren, Reihe: Schulmanagement Handbuch<br />

144, München 2012<br />

14


© Roland Grüttner<br />

Die dabei gewonnenen Erkenntnisse fließen wiederum in die Revision des pädagogischen <strong>Konzept</strong>s<br />

und des Schulprogramms ein. Diesen zyklischen Prozess kann man sich so vorstellen wie in der<br />

obigen Grafik.<br />

Die Kriterien, anhand derer sich erkennen lässt, ob die Schulprogrammarbeit und das Evaluationskonzept<br />

alle wichtigen Aspekte umfassen, sollen an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Hier<br />

kann auf detailliert ausgeführte Vorarbeiten zurückgegriffen werden 12 .<br />

2.3 Führung und Management<br />

Die Gesamtverantwortung für Pädagogik, Organisation und Recht liegt – gemäß der Schulordnungen<br />

in Bayern – beim Schulleiter 13 . Angesichts der zu erwartenden Herausforderungen bei der<br />

Entwicklung einer neuen Schulart benötigt der Schulleiter ein Team, das mit ihm die Verantwortung<br />

teilt. Das kann eine Steuergruppe sein, was aber wiederum eine besondere Problematik bedeuten<br />

würde 14 . Besser ist, wenn jedes Teammitglied um seine Verantwortung für den Schulent-<br />

12 HRS S.14, S.37ff in Verbindung mit Hinweisen auf weitere Materialien, Checklisten und Fragebögen S.114.<br />

13 §4 (1) VSO; §4 (1) RSO; §4 (1) GSO.<br />

14 Einerseits können Steuergruppen ein problematisches Selbstbewusstsein ausbilden, indem sie sich als die besonders<br />

Engagierten und Zukunftsgewandten sehen, welche durch die „anderen“, die unmodernen und beharrenden Skeptiker,<br />

auf Kosten der Zukunftsfähigkeit der gesamten Organisation ausgebremst werden. Andererseits könnten sich<br />

alle Nichtmitglieder der Steuergruppe ruhig zurücklehen und „die da“ machen lassen, das heißt ihre eigene Verantwortung<br />

für das Ganze als delegiert ansehen und sie nicht wahrnehmen. Vgl. dazu das 9. Kapitel in Senge, Peter<br />

u.a. (Hg): The Dance of Change. A fifth discipline fieldbook for mastering the challenges of changing organizations,<br />

New York 1999, S.319ff.<br />

15


wicklungsprozess weiß. Die gemeinsam zu bewältigenden Aufgaben lassen sich in drei Bereiche<br />

gliedern.<br />

Bereich 1: Steuerung pädagogischer Prozesse<br />

Hauptaufgabe einer Schule ist die Bildungs- und Erziehungsarbeit. Die Qualität des Unterrichts ist<br />

der Ausgangspunkt für alle weiteren Überlegungen zur Schulentwicklung, und die Schulleitung<br />

muss von daher folgende Aufgaben wahrnehmen:<br />

• das Personal beraten,<br />

• pädagogische Neuerungen initiieren,<br />

• deren Umsetzung begleiten<br />

• und für eine professionelle Weiterentwicklung des Personals sorgen.<br />

Das pädagogische Team der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> ist herausgefordert, die Erfüllung dieser Aufgaben<br />

nicht allein vom Schulleiter zu erwarten, sondern die eigene Verantwortung wahrzunehmen<br />

und alltagstaugliche Formen der kollegialen Begleitung zu entwickeln. Die Aufgaben lassen sich in<br />

diesem Überblick zusammenfassen 15 :<br />

Für die Schulleitung<br />

Für das Team<br />

Fortbildung in den Bereichen<br />

- Teamschule<br />

- Führung und Motivation<br />

- Qualitäts-, Ressourcen-, Konflikt- und<br />

Selbstmanagement<br />

- Grundlagen der Personal- und Unterrichtsentwicklung<br />

- dazugehörige Entscheidungs- und Gesprächstechniken<br />

schuleigene Schwerpunkte<br />

- Zusammenarbeit in den Qualitätsbereichen<br />

„Lernkultur – Qualität der Lehrund<br />

Lernprozesse“ und „Schulkultur“<br />

- Ziele und Inhalte der Schwerpunkte,<br />

Lernangebote zur Stärkung der Persönlichkeit<br />

und schülerorientierte Unterrichtsgestaltung<br />

entwickeln, durchführen<br />

und reflektieren<br />

Projektmanagement<br />

- Prozessbegleitung<br />

- Evaluation<br />

Lebensraum Schule<br />

- zusammen mit Schülern<br />

und Eltern gestalten<br />

- Kooperation mit gesellschaftlichen<br />

Partnern<br />

15 Diese Zusammenfassungen geben das <strong>Konzept</strong> wieder, wie es für die ersten <strong>Gemeinschaftsschule</strong>n, jetzt Sekundarschulen,<br />

in Nordrhein-Westfalen entworfen wurde – unter anderem von Achim Körbitz, einem Mitglied der Entwicklungsgruppe<br />

des ersten bayerischen Gemeinschaftsschulkonzepts.<br />

16


Bereich 2: Organisation und Verwaltung der Schule<br />

Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> wird durch ihre Organisations- und<br />

Verwaltungsstruktur gefördert und abgesichert. Ebenso werden die sächlichen Ressourcen dem<br />

wesentlichen Auftrag der Schule gemäß eingesetzt. Dies alles genügt den Prinzipien von Partizipation,<br />

Delegation, Transparenz und Effektivität 16 .<br />

Die Schulleitung bildet darüber hinaus einen Knoten in einem stark verzweigten Beziehungs- und<br />

Kommunikationsnetz mit der Schulaufsicht, dem Schulträger, den Eltern, benachbarten Bildungseinrichtungen<br />

(auch die im Ganztag involvierten), kommunalen Vereinen, Betrieben und Initiativen,<br />

der Arbeitsagentur und der Presse.<br />

Um die Prozesse der Schulentwicklung zu gewährleisten und nachhaltig zu gestalten, wird – zumindest<br />

in den „Pionierschulen“ – neben dem Schulleiter ein Schulentwicklungsberater benötigt,<br />

der folgende Aufgaben wahrnimmt:<br />

• die Qualitätsentwicklung intensiv begleiten und die Strukturen in der <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

systemisch verankern;<br />

• alle Vorhaben prozessorientiert und ergebnisorientiert auswerten;<br />

• die Umsetzung aller Schulleitungs- und Teamfortbildungen in der täglichen Arbeit evaluieren.<br />

Bereich 3: Personalführung und Personalentwicklung<br />

Die Qualität des Unterrichts wie auch des gesamten Schullebens hängt wesentlich an der Qualität<br />

des pädagogischen Personals. Dieses ist entsprechend zu entwickeln, das heißt – wie oben beschrieben<br />

– es muss begleitet, beurteilt und dazu angeregt werden, sich immer weiter zu qualifizieren.<br />

Die grundlegenden Zielfelder der Fortbildung können so beschrieben werden:<br />

Fortbildungsbedarf<br />

benötigte pädagogische Kompetenzen<br />

- Methodenkompetenz<br />

- Teamkompetenz<br />

- Kommunikationskompetenz<br />

- Medienkompetenz<br />

zur Umsetzung<br />

- des selbstgesteuerten Lernens<br />

- des vernetzten Unterrichts<br />

- des kooperativen Lernens<br />

- der Projektarbeit<br />

- des inklusiven Unterrichts<br />

Für die Fortbildungen sind ausreichende Zeitressourcen zur Verfügung zu stellen. In dem Falle,<br />

dass sich die <strong>Gemeinschaftsschule</strong> als Schulart in Bayern etabliert, wird auch die erste Phase der<br />

Lehrerbildung auf die entsprechenden Anforderungen umgestellt, um eine angemessene Vorbereitung<br />

auf die Praxis zu erzielen.<br />

16 HRS S.17.<br />

17


Die Frage, wie offene Stellen an der Schule zu besetzen sind, wird zunehmend subsidiär zu beantworten<br />

sein, will heißen: Die Personalhoheit muss von der übergeordneten Behörde immer mehr<br />

auf die Schule und damit auf die Schulleitung, das Team und/oder den Schulträger verlagert werden<br />

17 .<br />

2.4 Hinweise zur Umsetzung: Schulentwicklung<br />

Praxisleitfaden Berlin/Hamburg<br />

Der oben zitierte Referenzrahmen Schulqualität hilft einem Schulträger und Kollegium, von Anfang<br />

an die richtigen Fragen zu stellen und darauf die lokal passenden Antworten zu finden. Dabei kann<br />

es sich als hilfreich erweisen, wenn man auch nachlesen kann, wie diese Fragen an anderen Schulen<br />

bereits beantwortet wurden. Dazu ist der Praxisleitfaden „<strong>Gemeinschaftsschule</strong> gestalten“ eine<br />

äußerst anregende Lektüre 18 . Er wird von der zuständigen Senatsverwaltung in Berlin zusammen<br />

mit der Universität Hamburg herausgegeben und zeigt anhand von zahlreichen Beispielen auf etwa<br />

120 Seiten, welche Lösungen für die wichtigsten Bereiche der Schul- und Unterrichtsentwicklung<br />

an <strong>Gemeinschaftsschule</strong>n bisher gefunden wurden. Diese Bereiche sind:<br />

- Unterricht und Lernen an <strong>Gemeinschaftsschule</strong>n,<br />

- Schulklima und Partizipation an <strong>Gemeinschaftsschule</strong>n,<br />

- Elternarbeit und Öffentlichkeitsarbeit,<br />

- Schulorganisation und Gestaltung der Schulentwicklungsarbeit an <strong>Gemeinschaftsschule</strong>n.<br />

Toolbox Bildung Schule<br />

Eine sehr instruktive online-Ressource bietet die Bertelsmann-Stiftung an. Hier wird der Schulentwicklungs-<br />

und Innovationsprozess unter sechs globalen Kriterien betrachtet, nämlich:<br />

- Ergebnisse des Bildungs- und Erziehungsauftrags,<br />

- Lernen und Lehren,<br />

- Schulkultur,<br />

- Führung und Schulmanagement,<br />

- Professionalität der Lehrkräfte sowie<br />

- Ziele und Strategien der Qualitätsentwicklung.<br />

Diese Hauptkriterien sind wiederum in Unterkapitel aufgeteilt, von denen jedes einzelne eine<br />

Menge von konkreten Praxisbausteinen enthält, die oft so detailliert beschrieben werden, dass sie<br />

direkt nutzbar sind 19 .<br />

17 Dies wird erfolgreich an Schulen zum Beispiel in den Niederlanden, in Schweden und Finnland praktiziert. Hier wird<br />

teilweise trotz Verbeamtung der Lehrer auch auf lokaler Ebene über die Höhe des Gehalts verhandelt.<br />

18 Fundstelle im Internet: http://www.berlin.de/sen/bildung/bildungswege/gemeinschaftsschule/.<br />

19 http://www.toolbox-bildung.de/Schule.3.0.html<br />

18


3 Pädagogische Grundlagen der <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

Die Schulen haben den in der Verfassung verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrag zu verwirklichen.<br />

Sie sollen Wissen und Können vermitteln sowie Geist und Körper, Herz und Charakter<br />

bilden. Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung, vor<br />

der Würde des Menschen und vor der Gleichberechtigung von Männern und Frauen, Selbstbeherrschung,<br />

Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit<br />

für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein für Natur und<br />

Umwelt. Die Schülerinnen und Schüler sind im Geist der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen<br />

Heimat und zum deutschen Volk und im Sinn der Völkerversöhnung zu erziehen.<br />

Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen, Artikel 1<br />

3.1 Das Menschenbild<br />

Das für die <strong>Gemeinschaftsschule</strong> grundlegende Menschenbild knüpft direkt an die Aussagen des<br />

Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen an. Die Kardinalfrage: „Was ist<br />

ein Kind?“ wird im Rahmen des christlich-humanistischen Menschenbildes beantwortet, welches<br />

den erkenntnistheoretischen Bezugshorizont bildet. Von diesem holt die Pädagogik der <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

nicht nur ihre anthropologische Begründung, sondern auch ihre ethischen Impulse<br />

für Schüler, Lehrer und Eltern.<br />

Was ist ein Kind?<br />

Jedes Kind ist mit Leib, Geist und Seele ein einmaliges, unverwechselbares und ganzheitliches Geschöpf.<br />

Das heißt: Es besitzt eine besondere Würde. Es hat ein Anrecht auf sein eigenes Leben, es<br />

gehört sich selbst. Es hat eine eigene Natur, die von der des Erwachsenen unterschieden ist. Sie ist<br />

gekennzeichnet durch Spontaneität, Initiative und den Willen zur Entfaltung der angelegten Fähigkeiten.<br />

20<br />

Jedes Kind ist sein eigener „Baumeister".<br />

Das heißt: Es ist zwar Person, allerdings noch nicht voll entfaltet. Diese Aufbauarbeit kann nur das<br />

Kind selbst vollbringen. Sie ereignet sich aus einem inneren Drang heraus. Jedes Kind will "arbeiten".<br />

Dieser Prozess geschieht mit allen Sinnen. Die Bewegung des gesamten Körpers ist hierbei<br />

eine unerlässliche Bedingung.<br />

Jedes Kind baut seine Persönlichkeit selbst auf. Das heißt: Ziel und Inhalt aller "Arbeit" eines Kindes<br />

dient dieser Aufgabe. Es ist zur Selbstverwirklichung in Freiheit berufen und fähig. Freiheit<br />

20 „Ein Kind lässt sich nicht beliebig wie ein Gefäß mit Inhalten abfüllen […] Was die Kinder brauchen, sind umfassende<br />

Erfahrungsmöglichkeiten, in den ersten Lebensjahren und auch in der Schule. Das Lernen besorgen sie dann selber<br />

[…] Denn das Kind gehört nicht der Gesellschaft, nicht der Schule und auch nicht den Eltern. Es gehört nur sich<br />

selbst. Es ist nicht auf die Welt gekommen um die Erwartungen der Erwachsenen zu erfüllen, sondern um zu jenem<br />

Wesen zu werden, das in ihm angelegt ist.“ Remo Largo und Martin Beglinger: Beziehung kommt vor Erziehung, in:<br />

Der Schulkreis, Heft 2/09, S.7.<br />

19


edeutet aber nicht: tun und lassen, was man will. Freiheit und Ordnung bedingen sich gegenseitig<br />

und bilden so ein Gegengewicht zu Zerstreuung, Streit und Chaos.<br />

Jedes Kind besitzt einen eigenen Aufbauplan. Das heißt: In so genannten "sensiblen Perioden"<br />

(Maria Montessori) sind verstärkt Aufnahmebereitschaften und Empfindsamkeiten für unterschiedliche<br />

Lernbedürfnisse - Laufen, Sprechen, Ordnen, Schreiben, Rechnen, Sozialverhalten etc.<br />

- festzustellen, die der Erwachsene beachten muss. Sie treten jeweils in verschiedenen Altersstufen<br />

auf und sind auch nur von vorübergehender Dauer. In dieser besonderen Zeit lernt das Kind<br />

die jeweilige Tätigkeit relativ mühelos. Ist der Zeitpunkt verstrichen, muss viel Anstrengung aufgebracht<br />

werden, um diese Fertigkeit nachzuholen.<br />

Das Kind findet sich selbst in der Begegnung.<br />

Jedes Kind benötigt angemessene Hilfe durch die Begegnung mit der Welt und mit Menschen. Das<br />

heißt: In einer "vorbereiteten Umgebung" begegnen dem Kind Natur und Kultur. Falls eine Originalbegegnung<br />

nicht möglich ist, helfen besonders entwickelte Lernmaterialien, die Schlüssel zur<br />

Welt sein wollen.<br />

Der Erwachsene ist Teil dieser Umgebung. Er ist Begleiter des Kindes, ein engagierter Beobachter,<br />

der nur sehr dosiert eingreift – "Hilf mir, es selbst zu tun!", war einer der Kernsätze von Maria<br />

Montessori und ist seitdem Leitmotiv der Reformpädagogik. Selbstständigkeit wächst durch selbsttätigen<br />

Umgang mit Menschen und Sachen.<br />

Das Kind auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.<br />

Kinder und Jugendliche haben letzte große Fragen: „Wo komme ich her, wo gehe ich hin, wozu<br />

lebe ich?“ Sie haben ein Recht darauf, dass man sich zusammen mit ihnen und ihren Fragen ernsthaft<br />

auseinandersetzt, ihnen Antworten anbietet und ihnen Wege aufzeigt, selber Antworten zu<br />

finden. Dabei ist das Gebot der Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Andersglaubenden<br />

einer der obersten Grundsätze, wie es auch in unserer Verfassung verankert ist. Auch hier gilt es,<br />

wie in allen Bereichen des Lernens, am eigenen Denken zu arbeiten und den eigenen Weg zu finden.<br />

3.2 Die <strong>Gemeinschaftsschule</strong> ist eine Schule für Alle<br />

Zu den obersten Bildungszielen des BayEUG gehört die Achtung vor der Würde des Menschen. Um<br />

eben diese Achtung vor der auch den Menschen mit Behinderungen innewohnende Würde zu fördern,<br />

wurde das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen von den<br />

Vereinten Nationen im Jahr 2006 verfasst und ist seit März 2009 geltendes Recht in Deutschland.<br />

Artikel 24 des UN-Übereinkommens befasst sich mit der Bildung und fordert „an inclusive<br />

education system at all levels“. Die Kultusministerkonferenz (KMK) beschloss am 18.11.2010 in<br />

Umsetzung dieses Auftrags pädagogische und rechtliche Aspekte 21 , welche auch für die Gemein-<br />

21 „Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember<br />

2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in der schulischen Bildung“ (Kultusministerkonferenz).<br />

Diesem Beschluss entstammen die folgenden Zitate des Kapitels.<br />

20


schaftsschule bindend sind. Eine entsprechende Ergänzung des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes<br />

beginnt mit dem Satz: „Die inklusive Schule ist ein Ziel der Schulentwicklung aller<br />

Schulen.“ 22<br />

Zentrales Anliegen<br />

Die <strong>Gemeinschaftsschule</strong> ist eine Schule für alle Kinder. Sie gewährt allen die Teilhabe am allgemeinen<br />

Schulsystem und verzichtet auf die fragwürdige und pädagogisch nicht begründbare Aufteilung<br />

der Gemeinschaft aller Kinder am Ende der Grundschulzeit in die verschiedenen Schularten.<br />

Sie nimmt alle Kinder auf und gibt allen die Möglichkeit, einen für sie angemessenen Schulabschluss<br />

zu erreichen. Das gilt selbstverständlich auch für Kinder mit Behinderung. An der <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

lernen, leben und arbeiten die Schüler in der gebundenen Ganztagsform und nach<br />

bewährten klassischen und reformpädagogischen Methoden. Sie erreichen Abschlüsse und Anschlüsse<br />

auf allen Niveaus des bayerischen Schulwesens vom erfolgreichen Mittelschul-Abschluss<br />

bis zum Realschulabschluss, ja sogar bis zur Fachhochschulreife oder zum Abitur. Das vorliegende<br />

<strong>Konzept</strong> wurde für eine <strong>Gemeinschaftsschule</strong> erstellt, welche die Jahrgangsstufen fünf bis zehn<br />

umfasst. Im Prinzip kann aber eine <strong>Gemeinschaftsschule</strong> über alle Jahrgangsstufen gehen, von der<br />

Einschulung bis zum Abschluss nach zehn, zwölf oder dreizehn Jahren.<br />

Die <strong>Gemeinschaftsschule</strong> folgt dem zentralen Anliegen der Behindertenrechtskonvention und der<br />

Kultusministerkonferenz, welches in der „Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen<br />

in das allgemeine Bildungssystem und damit auch … in der allgemeinen Schule“ gesehen<br />

wird. „Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sollen möglichst in ihrer örtlichen Gemeinschaft<br />

und ihrer gewohnten Umgebung zur Schule gehen können.“ 23<br />

Umsetzung<br />

In einem intensiven Gesprächsprozess mit den Lehrern werden die Voraussetzungen der Schüler<br />

und der Schule geprüft und die Vorstellungen der Eltern sowie der Schüler angemessen berücksichtigt.<br />

Bei der organisatorischen Umsetzung der Inklusion wird darauf geachtet, dass in der Schule „ein<br />

Lernumfeld geschaffen wird, in dem sich auch Kinder und Jugendliche mit Behinderungen bestmöglich<br />

entfalten können und ein höchstmögliches Maß an Aktivität und gleichberechtigter Teilhabe<br />

für sich erreichen.“ Der vollständige Zugang wird unter Umständen auch durch bauliche<br />

Maßnahmen gewährleistet. Ebenso wird auf die Versorgung einer inklusiven Schülergruppe mit<br />

ausreichenden Lehrerstunden geachtet. Für die Bereitstellung der notwendigen finanziellen, materiellen<br />

und personellen Voraussetzungen sind das Land Bayern (Kultusministerium und Sozialministerium)<br />

und der jeweilige Schulträger zuständig.<br />

Bei der pädagogischen Umsetzung wird auf die Erfahrungen der Sonderpädagogik zurückgegriffen.<br />

Darüber hinaus wird von allen Lehrern erwartet, erweiterte Kompetenzen auszubilden: „Die Lehrkräfte<br />

aller Schularten sollen in den verschiedenen Ausbildungsphasen für den gemeinsamen Un-<br />

22 Art. 30b, Satz 1 BayEUG<br />

23 Weitere Texte zur Inklusion finden sich im Anhang.<br />

21


terricht aller Schülerinnen und Schüler vorbereitet und fortgebildet werden, um die erforderlichen<br />

Kompetenzen zum Umgang mit unterschiedlichsten Ausprägungen von Heterogenität zu erwerben.“<br />

Die UN-Konvention fordert in Artikel 24 explizit, für Lehrer die Ausbildung auch in Blindenschrift<br />

und in Gebärdensprache in die Wege zu leiten.<br />

Praktische Hilfe finden die pädagogischen und politischen Gestalter der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> im<br />

„Index für Inklusion“, der anhand konkreter Fragestellungen hilft, die eigene Situation zu klären<br />

und zu zielsicheren Handlungsschritten zu gelangen. 24<br />

3.3 Heterogenität als Chance<br />

Da die <strong>Gemeinschaftsschule</strong> von vorneherein auf Heterogenität setzt, also die Verschiedenheit der<br />

Schülerpersönlichkeiten zum Ausgangspunkt ihrer pädagogischen Überlegungen nimmt, ist sie in<br />

besonderer Weise darauf vorbereitet, Kinder und Jugendliche mit und ohne Handicaps aufzunehmen.<br />

Sie erfüllt damit die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die fordert,<br />

dass „Kinder und Jugendliche mit Behinderungen … möglichst in ihrer örtlichen Gemeinschaft und<br />

ihrer gewohnten Umgebung zur Schule gehen können“. Und weiter: „Die Kompetenzen der allgemeinen<br />

Schule im Umgang mit der Heterogenität der Schülerschaft<br />

sind ebenso wie ihre Einstellungen zur Akzeptanz von<br />

Verschiedenheit zu stärken…“<br />

Jedes Kind ist anders. In der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> wird Verschiedenheit<br />

als Reichtum verstanden, nicht als Beeinträchtigung.<br />

Am Anderssein der Mitschüler lernt der Einzelne sich<br />

selbst kennen, lernt seine Grenzen und andere Lebensentwürfe<br />

verstehen. Heterogenität erlaubt es, an anderen Erfahrungen<br />

teilzuhaben und sich durch sie bereichern zu lassen. Deshalb<br />

wird kein Kind ausgegrenzt, sondern erhält die Möglichkeit, im<br />

BLICKWENDE<br />

Von der homogenen<br />

Klasse zur<br />

heterogenen<br />

Lerngruppe<br />

kooperativen Lernen als „zweiter Lehrer“ der Mitschüler wirksam zu werden. In der <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

gilt eine „Didaktik der Verschiedenheit“, welche die Differenzen zwischen den Kindern<br />

produktiv im kommunikativen Prozess aufgreift 25 .<br />

Die scheinbaren Vorteile homogener Gruppen, welche zu den Grundfesten des differenzierten<br />

Schulsystems gehören, werden zunehmend als Illusionen entlarvt. Abgesehen davon, dass das<br />

Bestreben, homogene Gruppen entsprechend unserer Schultypen zu bilden, weder entwicklungspsychologisch<br />

noch pädagogisch begründet oder begründbar ist 26 und in praxi nur unzureichend<br />

24 Ines Boban und Andreas Hinz (Hg), Index für Inklusion. Lernen und Teilhabe in der Schule der Vielfalt entwickeln,<br />

Halle 2003. Im Internet unter http://www.eenet.org.uk/resources/docs/Index%20German.pdf. Siehe unter „Hinweise<br />

zur Umsetzung“.<br />

25 Astrid Kaiser, Erziehungswissenschaftlerin der Universität Oldenburg, in Reinhard Voß (Hg): Unterricht aus konstruktivistischer<br />

Sicht, Neuwied 2002, S.152.<br />

26 „Dieses dreigliedrige Schulsystem basiert ja auf der Idee, dass es drei Begabungstypen gibt. Es gibt weder die drei<br />

Begabungstypen als Typen in der Psychologie noch sind es die Anforderungen der Wirtschaft. Es ist ja das Verrückte,<br />

dass dieses Schulsystem niemanden mehr bedient.“ Prof. Dr. Elsbeth Stern, Institut für Verhaltenswissenschaften<br />

ETH Zürich; 2004, Zitat aus Interview in: Treibhäuser der Zukunft.<br />

22


funktioniert, wird es von der modernen Organisationstheorie in den Bereich eines alten und ungenügenden<br />

Paradigmas verwiesen: „Wir sind überzeugt, dass Vielfalt die Basis der besseren Lösung<br />

darstellt“ 27 .<br />

Nach wie vor zeigen internationale Studien, dass in kaum einem anderen vergleichbaren Industrieland<br />

der Bildungserfolg so eng mit der sozialen Herkunft verknüpft ist wie in Deutschland. Um diese<br />

Situation zu ändern, ist neben dem Ausbau der frühkindlichen Bildungseinrichtungen vor allem<br />

die scharfe schulische Trennung nach dem 4.Schuljahr zu überwinden.<br />

Die systemische Einteilung der Schülerinnen und Schüler in verschiedene, vermeintlich leistungshomogene<br />

Schulen, führt oft nicht – wie gewünscht – zu einer „begabungsgerechten“ Förderung,<br />

sondern zu einer Verstärkung der Vor- und Nachteile der sozialen Herkunft und zu einer Verfestigung<br />

von positiven und negativen Erwartungshaltungen. Das gilt für Lehrer, Eltern und die Betroffenen,<br />

die Schüler gleichermaßen. Umso enttäuschender ist ein Scheitern an einer als höher<br />

bewerteten Schule, und der dann notwendige Wechsel in eine „niedrigere“ Schule bewirkt oft eine<br />

Krise bei dem Kind und in der Familie, deren Überwindung lange dauern kann. Manchmal wirkt<br />

das Scheitern bis weit ins Erwachsenenleben.<br />

3.4 Hinweise zur Umsetzung: Der Index für Inklusion<br />

Da bayerische Schulen, die sich auf den Weg machen die Inklusion ernsthaft umzusetzen, pädagogisches,<br />

methodisches und organisatorisches Neuland betreten, benötigen sie einen Leitfaden, der<br />

ihnen hilft, die relevanten Fragen und Problemfelder zunächst einmal zu entdecken und dann auch<br />

angemessen zu bearbeiten.<br />

Als ein solcher Leitfaden ist der „Index für Inklusion“ geeignet: Ines Boban und Andreas Hinz (Hg),<br />

Index für Inklusion. Lernen und Teilhabe in der Schule der Vielfalt entwickeln, Halle 2003. Dieser<br />

wurde von Tony Booth & Mel Ainscow, zwei britischen Erziehungswissenschaftlern, entwickelt, ist<br />

aber auch in deutscher Sprache im Internet zu finden und zwar unter http://www.eenet.org.uk<br />

/resources/docs/Index%20German.pdf. Teile des Index wurden ausdrücklich in der Absicht verfasst,<br />

von Anfang an in einen Schulentwicklungsprozess einbezogen und für diesen nutzbar gemacht<br />

werden zu können.<br />

Der Index beginnt mit der Frage, was Inklusion im schulischen Bereich bedeutet und welche Barrieren<br />

immer noch bestehen. Im Anschluss daran wird beschrieben, wie Inklusion in den drei Dimensionen<br />

Kulturen, Strukturen und Praktiken umgesetzt werden kann. Es folgt eine detaillierte<br />

Beschreibung entlang einer Zeitschiene, so dass Schulträger, Schulleitung und Kollegium abschätzen<br />

können, welchen Aufwand sie zur Umsetzung der Inklusion einsetzen müssen. Die folgende<br />

Übersicht über den Schulentwicklungs-Prozess ist dem Index S. 19 entnommen:<br />

27 So die drei Experten für Organisationsentwicklung Hans A. Wüthrich, Dirk Osmez und Stefan Kaduk in ihrem Buch<br />

„Musterbrecher. Führung neu leben“, Wiesbaden 2006 2 , S.87. Vgl. dazu die Einleitung in Senge, Peter M., Die fünfte<br />

Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, Stuttgart 2011 11 .<br />

23


4 Neue Pädagogik – neue Schule<br />

Ein Missstand besteht darin, dass die Schulmeister mit ein und demselben Unterrichtsstoff<br />

und nach ein und demselben Maß eine Vielzahl junger Geister von unterschiedlichen Maßen<br />

und Begabungen unter ihre Fuchtel nehmen… Daher kommt es, dass man, wenn man<br />

den Weg für die Kinder nicht richtig gewählt hat, häufig Jahre darauf verwendet und sich<br />

dennoch vergeblich abmüht, sie zu Dingen zu erziehen, in denen sie nicht Fuß fassen können…<br />

Empfindungsweise und Seelenstärke des Menschen sind verschieden. Man muss sie<br />

daher ihrer Wesensart gemäß auch auf verschiedenen Wegen zu ihrem Besten führen.<br />

Michel de Montaigne, französischer Philosoph, 1580 (!)<br />

In der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> wird Schule als Ort der Persönlichkeitsentfaltung ernst genommen.<br />

Wir gehen davon aus, dass die Lebensaufgabe des Kindes - wie des Menschen überhaupt – darin<br />

besteht, seine Person zu entfalten. Soll Schule dabei helfen können, darf sie sich nicht darauf beschränken,<br />

nur externe Maßstäbe an die Entwicklung des Kindes anzulegen. Vielmehr muss sie<br />

offen sein für das, was sich im Individuum selbst zeigt. Die Begegnung von Kind und Welt muss im<br />

Gleichgewicht bleiben, sie darf weder nach der Seite des Kindes (Gefahr der romantischen Verklärung)<br />

noch nach der Seite der Welt (Gefahr der Selbstentfremdung) kippen. In diesem Sinne gilt<br />

es, die bestehende Schule sowohl dem Sein und Lernen der Kinder als auch den gewandelten Lebensverhältnissen<br />

anzupassen. 28<br />

Schule muss eine lernende Organisation sein. Sie muss in der Überzeugung arbeiten können, dass<br />

eine bessere Pädagogik nicht von außen und von oben verordnet, sondern jeweils neu mit dem<br />

Blick auf die Kinder und Jugendlichen von innen und von unten entwickelt werden muss. Voraussetzung<br />

ist die Einsicht in die Notwendigkeit von Veränderung im Hinblick auf bestehende Verhältnisse<br />

in allen Bereichen der Schule. Es geht um die folgenden neuen Rollen und Ansätze.<br />

4.1 Die vier Pädagogen<br />

Die Rede von den „drei Pädagogen“, die jeder Schüler hat, ist<br />

seit der Reformpädagogik geläufig. Wir fügen einen weiteren<br />

hinzu und sagen: Jeder Schüler hat vier Pädagogen – den ausgebildeten<br />

Lehrer, den Mitschüler, den Raum und die Zeit.<br />

4.1.1 Der Lehrer<br />

Die Zeit<br />

Der<br />

Raum<br />

Der<br />

Lehrer<br />

Der<br />

Schüler<br />

Der pädagogisch Ausgebildete begleitet den Schüler mit vielen<br />

Stunden durch die gesamte Schulzeit. Grundtenor dabei: Lehrer<br />

unterrichten Kinder und nicht Fächer. Sie begleiten den Lernprozess und stellen ihre Fachlichkeit<br />

immer dann zur Verfügung, wenn sie gebraucht wird. Der Lehrer versteht sich nicht mehr ausschließlich<br />

als Instruktor, als alles Wissender, sondern zunehmend auch als Lernbegleiter auf dem<br />

28 Vergleiche dazu die Ausführungen über den Abschied vom „industrial age system of education“ in Peter Senge:<br />

Schools that learn. A Fifth Disciplin Fieldbook for Educators, Parents, and Everyone Who Cares About Education,<br />

London 2000, S.27ff.<br />

25


Weg zur Unabhängigkeit des Schülers. Voraussetzung für diese neue Lehrerrolle ist aber eine<br />

Blickwende, die der einzelne Pädagoge unbedingt vollziehen muss. Sie fordert von ihm:<br />

• die Achtung vor der spontanen Selbstverwirklichungskraft des Kindes,<br />

• den Respekt vor der Würde des Kindes,<br />

• die Bereitschaft, dem Freiheitsanspruch in Verantwortung den jeweils größtmöglichen<br />

Spielraum zu geben,<br />

• die Bereitschaft, das Kind mit liebender Zuwendung in das soziale Beziehungsgefüge aufzunehmen,<br />

ohne das eine Persönlichkeitsentfaltung nicht denkbar ist,<br />

• die Bereitschaft, dem Kind einen spezifischen Weltzugang zu ermöglichen, ohne den kein<br />

Menschsein möglich ist,<br />

• die Persönlichkeitsentfaltung zu gestatten im ganzheitlichen Sinn, gegen falsche Verzweckung<br />

schulischer Erziehung.<br />

Eine solche Blickwende um hundertachtzig Grad betrifft alle<br />

Bereiche der Schule.<br />

4.1.2 Der Schüler<br />

An der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> verschiebt sich die Unterrichtsaktivität,<br />

welche traditioneller Weise bei den Lehrern liegt, auf<br />

die Schüler. Dies ist ein Paradigmenwechsel auch für die Kinder<br />

und Jugendlichen: Ihnen wird im Rahmen des selbstgesteuerten<br />

Lernens eine große Freiheit zugetraut und zugemutet. Sie<br />

dürfen selbst bestimmen, wie sehr sie sich – innerhalb der<br />

Grenzen der am Lehrplan orientierten Vorbereitung – in welche<br />

Themen und Inhalte vertiefen.<br />

BLICKWENDE<br />

Vom Lehrer als<br />

Lernmacher zum<br />

Lehrer als Lernbegleiter<br />

Sie dürfen es aber nicht nur, sondern sie müssen es auch: Es ist ihnen nun nicht mehr möglich, sich<br />

passiv von einem lehrergemachten Unterricht berieseln zu lassen und ihre reine körperliche Anwesenheit<br />

als „Lernen“ zu verstehen. In der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> können sie in keiner Weise dem<br />

Anspruch ausweichen, dass sie selbst die für ihr Lernen verantwortlichen Personen sind. Dafür<br />

muss ihnen ein „Geländer“ gegeben werden, das ihnen Orientierung und Sicherheit gibt. Gemeinsam<br />

erarbeitete Regeln müssen verstanden und verinnerlicht werden.<br />

Sie haben sich zu kümmern: in erster Linie um ihr eigenes Vorankommen. Daneben und danach<br />

aber auch um ihre Mitschüler, denen sie der „zweite Lehrer“ sind. Es ist dies der Preis für die Freiheit<br />

der Selbstbestimmung. Sie werden mit der Zeit das gemeinsame Lernen als Bereicherung er-<br />

26


fahren und als eine Kompetenz erwerben, welche für ein erfolgreiches Studium und eine erfolgreiche<br />

berufliche Tätigkeit von großer Wichtigkeit sind 29 .<br />

Die neue Rolle des Lehrers bedingt auch eine neue Rolle des Schülers gegenüber dem Lehrer: Anerkennung<br />

der Autorität des Lehrers auf Augenhöhe, Respekt, aber auch die Fähigkeit sachliche<br />

Kritik zu üben und selbst Anregungen zu Methoden und Inhalten geben zu können. Der Schüler,<br />

der mehr weiß als der Lehrer, ist nicht lästig, sondern eine Bereicherung für alle.<br />

Die heterogenen Lerngruppen<br />

Der Schlüssel zu einem konstruktiven Umgang mit der wachsenden Heterogenität der Schüler liegt<br />

in einer neuen Lernkultur, die das einzelne Kind und seine persönlichen Lernvoraussetzungen und<br />

-prozesse in den Mittelpunkt rückt und stärker auf individualisiertes, eigenmotiviertes Lernen ausgerichtet<br />

ist: Nur wenn Kinder sich selbst etwas erarbeiten und eigenverantwortlich lernen können,<br />

kann Schule auf ihre unterschiedlichen Wissensstände und Lerngeschwindigkeiten eingehen.<br />

Nur dann lässt sich Unterricht so individuell gestalten, dass die Besten sich nicht langweilen und<br />

die Schwächsten nicht überfordert sind 30 .<br />

Das Arbeiten und Lernen geschieht außerhalb der Schule bei Kindern und Erwachsenen meist in<br />

heterogenen, häufig auch altersgemischten Gruppen. Kinder lernen von Kindern mit am besten.<br />

Deshalb bezeichnen wir die Mitschüler als die „zweiten Pädagogen“.<br />

Durch Veränderungen in unserer Gesellschaft laufen Kinder heute Gefahr, einem defizitären sozialen<br />

Erfahrungsraum ausgesetzt zu sein. Deshalb brauchen wir eine Schule, in der Kinder den sozialen<br />

Umgang natürlicherweise erproben und erfahren können. Schule soll Lebensraum sein, ein Ort<br />

gemeinsamen Lebens und Lernens, an welchem Bildung durch Selbstbildung entstehen kann, ein<br />

Ort der Persönlichkeitsentfaltung für jedes Kind.<br />

Die grundsätzliche erzieherische Bedeutung der Heterogenität liegt in der Ermöglichung und Förderung<br />

der Zusammenarbeit der Heranwachsenden. Kinder in einer solchen Lerngruppe leben<br />

immer in einer Arbeitsgemeinschaft.<br />

Die pädagogische Komponente:<br />

Das Lernen von Kindern und Jugendlichen wird dadurch erleichtert, dass sie in ihrer spezifischen<br />

Denk- und Mitteilungsweise näher beieinander sind. Sie helfen sich gegenseitig, sie lösen ihre<br />

Probleme weitgehend selbst. Die Besten werden bewundert, nicht beneidet. Die einen sehen die<br />

Arbeiten der anderen und möchten daran teilhaben. Dieses Unterfangen löst Erklärungsnotwendigkeiten<br />

aus und bewirkt beim erfahreneren Schüler neben einer eigenen Klärung von Sachverhalten<br />

ein weiterführendes Sachinteresse. So ist der Weg, auf dem die Schwächeren gestärkt werden,<br />

der gleiche wie der, auf dem die Stärkeren sich vervollkommnen.<br />

29 Besonders eindrucksvolle Beispiele für den Erfolg von peer education finden sich in dem Buch von Margret Rasfeld<br />

und Peter Spiegel: EduAction. Wir machen Schule, Hamburg 2012; hier besonders das Kapitel über Sprachbotschafter<br />

S.80ff.<br />

30 Vergleiche das Projekt „Faire Schulen – starke Kinder“ der Bertelsmann-Stiftung: http://www.bertelsmannstiftung.de/cps/rde/xchg/SID-669AE771-D99C27F6/bst/hs.xsl/98067_98078.htm<br />

27


Die sozialerzieherische Komponente:<br />

Aus der gegenseitigen Hilfe beim schulischen Arbeiten erwächst die Achtung voreinander und das<br />

Interesse aneinander. Es stärkt das Sozialempfinden in einer Lerngruppe auf natürliche Weise. Die<br />

gegenseitige Annahme führt zu Toleranz, und das gemeinsame Überwinden von Schwierigkeiten<br />

lässt Solidarität erleben. Die sozialen Verhaltensweisen in diesen Lerngruppen sind nichts anderes<br />

als das Ergebnis natürlicher Gesetze. Es sind Grundqualitäten sozialen Verhaltens, die zur Persönlichkeitsentfaltung<br />

führen, und Schlüsselqualifikationen, die in Zukunft an Bedeutung noch gewinnen<br />

werden.<br />

Die Klasse<br />

Die Klasse ist die pädagogische Grundeinheit in der Schule und die engere Heimat für die Schüler.<br />

Oft reicht das Gefühl der Zusammengehörigkeit einer Klasse weit über die Schulzeit hinaus und<br />

prägt auch noch Erwachsene. Für das persönliche Wohlbefinden, das positive soziale Gefühl und<br />

vor allem für die Lernatmosphäre ist der soziale Zustand einer Schulklasse von großer Bedeutung.<br />

Aufgabe aller Lehrer einer Klasse, insbesondere aber der Klassenlehrer ist es, positive soziale Verhältnisse<br />

zu schaffen als Voraussetzung für eine positive Arbeitsatmosphäre.<br />

Es ist ständige Aufgabe der Lehrer positive<br />

Prozesse zu schaffen und zu unterstützen und soziale Störungen<br />

zu beseitigen. Dabei ist die Mitwirkung der Schüler von<br />

Beginn an gefragt und wird sich im Laufe der Schuljahre erweitern.<br />

4.1.3 Der Raum<br />

BLICKWENDE<br />

Vom Klassenzimmer<br />

zur vorbereiteten<br />

Lernumgebung<br />

„Der Raum ist der dritte Erzieher“ 31 . Der gesamte Raum der<br />

Schule muss eine vorbereitete Umgebung sein. Die vorbereitete<br />

Umgebung ist Mittler zwischen Kind und Welt. Sie ist der<br />

Bereich, in dem der junge Mensch ein Betätigungsangebot vorfindet, das seinen jeweiligen Interessen<br />

und Lernbedürfnissen sowie seinem Entwicklungsstand entspricht. In ihr kann und durch<br />

sie wird er sich in die Welt einpassen können, bzw. werden ihm Zusammenhänge der Welt deutlich<br />

gemacht. „Die Aufgabe der Umgebung ist nicht, das Kind zu formen, sondern ihm zu erlauben<br />

sich zu offenbaren.“ 32<br />

Klassenräume, Flure, die ganze Schule müssen sowohl ästhetisch als auch vom Lernangebot so<br />

gestaltet sein, dass sich die Schüler wohlfühlen können. Das gelingt besonders, wenn sie selbst<br />

aktiv an der Gestaltung beteiligt werden.<br />

In den Räumen der Lerngruppen helfen hierbei Lernmaterialien (Karteien, Bücher, Karten, Modelle,<br />

Montessorimaterialien, Computerprogramme, Arbeitsblätter usw.) als Schlüssel zur Welt. Diese<br />

müssen bestimmten didaktischen Prinzipien genügen und<br />

• zur Selbsttätigkeit anregen,<br />

31 So formulierte Loris Malaguzzi, ein Vertreter der Reggio-Pädagogik.<br />

32 Maria Montessori<br />

28


• ästhetisch gut gestaltet sein, um einen hohen Aufforderungscharakter zu haben,<br />

• Schwierigkeiten isolieren und<br />

• Fehlerkontrolle ermöglichen.<br />

Ebenso genügen die Materialien strukturellen Prinzipien, das heißt sie<br />

• zeigen eine übersichtliche äußere Ordnung und<br />

• befinden sich in ausgewiesenen Arbeits- und Betätigungsbereichen.<br />

Diese Materialien werden im Klassen- oder Gruppenraum angeboten. Des Weiteren wird ein Lernzentrum<br />

eingerichtet.<br />

Lernzentrum<br />

Die Ausstattung des Lernzentrums mit Büchern und Medien, Einzel- und Gruppentischen sowie<br />

Computerarbeitsplätzen entspricht dem pädagogischen Gesamtkonzept, so dass Schüler diesen<br />

Raum in Fachstunden oder Freistunden, nach Unterrichtsschluss und in der Mittagsfreizeit aufsuchen<br />

können, um sich auf bestimmte Arbeiten vorzubereiten, Aufgaben zu erledigen, selbstständige<br />

Arbeiten anzufertigen, Projektarbeiten fortzusetzen oder Wettbewerbsbeiträge zu erstellen.<br />

Das Klassenzimmer<br />

Der Klassenraum einer Klasse ist deren Heimat innerhalb der Schule und deren gestaltete Lernumgebung.<br />

Er muss wohnlich sein und Platz für Arbeitsmaterialien und für die Präsentation von Unterrichtsergebnissen<br />

bieten. Für das Selbstgesteuerte Lernen sind Schränke bzw. Regale für Arbeitsmaterialien<br />

vorhanden. Jeder Schüler hat sein eigenes Regalfach bzw. Schließfach. Die Anordnung<br />

der Tische und Stühle ist so gestaltet, dass eine Kommunikation der Schüler untereinander<br />

leicht möglich ist. Dies ist Voraussetzung für das optimale Funktionieren des kooperativen Lernens.<br />

Es muss die Möglichkeit bestehen, Arbeitsergebnisse im Klassenraum sichtbar an den Wänden<br />

aufzuhängen oder im Raum aufzustellen.<br />

Für die Arbeit in Gruppen beim kooperativen Lernen und für Teams beim selbstgesteuerten Lernen<br />

steht pro Klasse ein ergänzender kleiner Raum zur Verfügung.<br />

Die Klassenraumgestaltung kann in den unteren Jahrgängen mit Eltern und Schülerinnen und<br />

Schülern, in den oberen Jahrgängen zusammen mit den Schülerinnen und Schülern erfolgen. Eine<br />

von Schülern selbstgestaltete Umgebung wird pfleglicher behandelt als eine fremdgestaltete. Je<br />

mehr Identifikationsmöglichkeit die Schüler mit dem Raum haben, desto wohler können sie sich<br />

fühlen und desto besser kann eine gute Arbeitsatmosphäre entstehen.<br />

Nahraum als vorbereitete Umgebung<br />

„Vorbereitete Umgebung“ in einem erweiterten Sinn bedeutet, dass die Schule auch in der Gemeinde<br />

und der Region Strukturen nutzt oder schafft, die dem lebensnahen Lernen der Schüler<br />

dienen. Zu denken ist dabei in <strong>Arzberg</strong> an formelle Kooperationen beispielsweise mit örtlichen<br />

Musik- oder Sportvereinen, mit Betrieben und Geschäften als Anlaufstellen für Praktika oder festen<br />

Kontakten zu anderen Institutionen. Dies wird ausführlich in Kapitel 8 beschrieben.<br />

29


4.1.4 Die Zeit<br />

Die <strong>Gemeinschaftsschule</strong> mit ihrem sozialen Anspruch, ihrem Leistungsanspruch, mit dem Anspruch<br />

ein “Haus des Lernens“ zu sein, braucht für ihre Schüler eine längere gemeinsame Zeit.<br />

Dazu sind Konsequenzen in der Unterrichtsorganisation notwendig. Die Ganztagsschule in gebundener<br />

Form ist die entsprechende Antwort auf diese Forderung. Mehr Zeit birgt die Chance, den<br />

Tag, die Woche, das Schuljahr, ja die gesamte Schulzeit zu rhythmisieren. „Zeit zu verlieren heißt<br />

Zeit zu gewinnen“ 33 . Deshalb bezeichnen wir die Zeit als den „vierten Pädagogen“. Mehr Zeit zu<br />

haben bedeutet, Schüler einfach länger erreichen zu können, mit ihnen einen engeren Kontakt<br />

aufbauen und dadurch das Schulleben intensiver gestalten zu können. Dies führt bei Lehrern, wie<br />

auch bei Schülern zu einer größeren Identifikation mit der Schule und zu höheren Lernerfolgen.<br />

Konkret wird angestrebt, die <strong>Gemeinschaftsschule</strong> an drei Tagen in der Woche in der gebundenen<br />

Form verpflichtend, an zwei Tagen in der offenen Form als Angebot zu gestalten, damit für die<br />

Eltern und Schüler persönliche Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten bleiben und auf die lokalen<br />

Jugend- und Vereinsstrukturen Rücksicht genommen werden kann.<br />

Im Rahmen der Ganztagsschule sind „Zeiträume“ zu verwirklichen:<br />

• für Beobachtung<br />

• für eine ausgiebige Mittagspause<br />

• für persönliche Gespräche und Kommunikation<br />

• für Teamarbeit<br />

• für Stille<br />

• für selbstgesteuertes Lernen<br />

• für vernetztes Lehren und Lernen<br />

• für Vertiefung im Fachunterricht<br />

• für Projekte<br />

• für gemeinsames Essen<br />

• für Neigungstätigkeiten<br />

• für nützliches Tun in und an der Gemeinschaft<br />

• für handwerkliches Tun<br />

• für musisches Tun<br />

• für sportliches Tun<br />

• für Praktika<br />

• für außerschulische Erkundungen<br />

• für Feste und Feiern 34<br />

33 Nach Jean-Jacques Rousseau.<br />

34 In den Worten moderner Lernpsychologie: „Effektives Lernen, so zeigen Neurobiologen und Lernforscher wie W.<br />

Singer und M. Spitzer auf, kann nur gelingen, wenn der Verstand auch zwischendurch ‚atmen‘ kann. Wer unablässig<br />

effizient arbeitet, kann nicht lernen. Lernen setzt Irritation, Muße, Raum für Experimentieren, Interesse und Freude<br />

voraus.“ G. Bergmann, Thesen zur Kompetenz und Metakompetenz, Vortragsmanuskript Siegen 2004, S.19.<br />

30


4.2 Grundsätzliche Ziele: die Kompetenzen 35<br />

Kinder sind keine Fässer, die gefüllt, sondern Flammen, die entzündet werden wollen.<br />

(Francois Rabelais, Schriftsteller, Arzt, Lehrer und Mönch, 1494 – 1553)<br />

Der Kompetenzbegriff signalisiert die Wende von der Input- zur Outputsteuerung 36 im allgemein<br />

bildenden deutschen Schulsystem und eignet sich bestens als Brücke, um die oben dargestellten<br />

anthropologischen Grundannahmen mit einem pädagogisch<br />

legitimierten Leistungsverständnis zu verbinden. Wir gehen<br />

von einem Begriff aus, der sich an die Definition der OECD<br />

anlehnt:<br />

„Kompetenzen werden als die Befähigung definiert, eine kontext-<br />

bzw. situationsgebundene Anforderung erfolgreich zu<br />

bewältigen und die dafür erforderlichen kognitiven, emotionalen<br />

und motivationalen Ressourcen, Fertigkeiten, Einstellungen<br />

und Werthaltungen zu mobilisieren.“ 37<br />

BLICKWENDE<br />

Von der Fixierung<br />

auf Inhalte<br />

zum Erwerb von<br />

Kompetenzen<br />

Ausgehend von dieser Definition wird festgehalten, dass die<br />

Ziele des Lernens in der Schule nicht allein im kognitiven Bereich liegen können, also im Wissen<br />

über Gegenstände, sondern darüber hinaus das individuelle Wachsen der Person ebenso im Blick<br />

haben müssen wie das Miteinander der Lerngemeinschaft und den Umgang mit den einschlägigen<br />

Methoden. Diese ganzheitliche Sichtweise entspricht nicht nur den Vorgaben des Bayerischen Gesetzes<br />

über das Erziehungs- und Unterrichtswesen 38 , sondern auch den Einsichten der Reformpädagogik<br />

und den Vorgaben der Kultusministerkonferenz zur Inklusion 39 .<br />

35 Zum Folgenden vgl. die „<strong>Konzept</strong>ion der Kultusministerkonferenz zur Nutzung der Bildungsstandards für die Unterrichtsentwicklung“,<br />

hgg. vom IQB 2010. Und „ Kompetenz… mehr als nur Wissen“, Informationsblatt hgg. vom<br />

ISB Bayern 2006.<br />

36 Prof. Dr. Olaf Köller für das IQB in der Vorlesung „Einführung in die international vergleichende Schulleistungsforschung“<br />

WS 2008/09, Skript S.39.<br />

37 Wolfgang Edelstein, Werte und Kompetenzen für eine zukunftsfähige Schule, S.4. Hilfreich auch die Kurzdefinition<br />

als „entwickelbare Selbstorganisationsfähigkeiten“ (John Erpenbeck).<br />

38 BayEUG Artikel 1 und 2.<br />

39 „Erfolgreiche Bildung bezieht sich nicht allein auf den Schulabschluss, sondern immer auch auf den individuellen<br />

Bildungserfolg mit dem Ziel, durch eine umfassende Persönlichkeitsentwicklung, durch den Erwerb lebenspraktischer,<br />

sozialer, kognitiver und personaler Kompetenzen und die Fähigkeit zu einer selbstbestimmten Lebensführung<br />

eine aktive Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen.“ KMK-Beschluss zur Inklusion vom 18.11.2010, S.4.<br />

31


In Fortführung des oben dargestellten allgemeinen Kompetenzstufenmodell entwickelt die KMK<br />

Bildungsstandards aus den Unterrichtsfächern heraus: „Die Bildungsstandards beschreiben die<br />

fachbezogenen Kompetenzen, die Schüler bis zu gewissen Abschnitten ihrer Schullaufbahn erworben<br />

haben sollen.“ 40 Diese Standards werden in Mindest-, Regel- und Maximalstandards zusammengefasst<br />

und dienen drei Zielen:<br />

• „Sie geben allen Beteiligten Orientierung über verbindliche Zielerwartungen.<br />

• Sie bilden die Basis für Leistungsüberprüfungen.<br />

• Sie unterstützen einen Unterricht, der handlungsorientiert ist und den aktiven Sprachgebrauch<br />

der Schülerinnen und Schüler fördert.“ 41<br />

Eine gegliederte Darstellung der vier einzelnen Kompetenzbereiche und der vom Grad der individuellen<br />

Selbstorganisation abhängigen Kompetenzstufen 42 findet sich im Anhang zu diesem <strong>Konzept</strong>.<br />

4.2.1 Hinweise zur Umsetzung: Kompetenzraster<br />

Der Anspruch der Vertreter der Kompetenzorientierung besteht in der psychologisch und statistisch<br />

abgesicherten 43 Annahme, dass die Schüler besser – weil motivierter und sinnbezogener –<br />

lernen, wenn sie ihre große Ziele und Zwischenstationen deutlich vor Augen haben. Dies sollen die<br />

so genannten „Kompetenzraster“ bewerkstelligen.<br />

Diese Raster haben damit das Potenzial, individuelles Lernen nicht nur zu motivieren, sondern<br />

auch zu orientieren, und bilden konsequenter Weise auch den Angelpunkt für eine Leistungsbeurteilung.<br />

In der praktischen Ausführung verbinden sie sich mit dem selbst organisierten Lernen, in<br />

dem der Lerner für sich selbst Ziele definiert, seinen Lernweg organisiert, bilanziert, dokumentiert<br />

und reflektiert. Die folgende Grafik ist der Ausdruck eines umfangreichen Lernkonzepts das vom<br />

Institut Beatenberg entwickelt 44 wurde.<br />

40 KMK: Kompetenzstufenmodell zu den Bildungsstandards im Kompetenzbereich Lesen für den Mittleren Schulabschluss,<br />

S.1.<br />

41 Ebd. S.2 und S.7.<br />

42 Vgl. „<strong>Konzept</strong>ion der Kultusministerkonferenz zur Nutzung der Bildungsstandards für die Unterrichtsentwicklung“,<br />

hgg. vom IQB 2010, S. 10ff. und Hilbert Meyer, Einführung in die Arbeit mit unterrichtsmethodischen Kompetenzstufenmodellen,<br />

Oldenburg 2007<br />

43 John C. Hattie unterstreicht an zahlreichen Stellen die Notwendigkeit, dass der Lerner weißt: „Where do I want to<br />

go? Where am I now? Where to next?“ Dies ist die Kurzformel für sein <strong>Konzept</strong> des „visible learning“. Siehe dazu<br />

Anmerkung 50.<br />

44 http://www.institut-beatenberg.ch/wie-wir-lernen/instrumente.html<br />

32


© Institut Beatenberg<br />

Auf ihrer Internetseite stellt diese Modellschule detailliert ausgearbeitete Kompetenzraster für<br />

unterschiedliche Fächer und darüber hinaus auch für die Lernkompetenz und Selbstkompetenz<br />

des Schülers zur Verfügung. Dazu gibt es an jener Stelle noch die mit den Kompetenzrastern verknüpften<br />

praktischen Instrumente zur Umsetzung und eine angemessene theoretische Grundlegung.<br />

Die Qualität dieser Kompetenzraster erweist sich unter anderem darin, dass sie auch von der<br />

Bertelsmann-Stiftung empfohlen werden 45 .<br />

4.3 Entwicklungsstufen<br />

Die <strong>Gemeinschaftsschule</strong> in <strong>Arzberg</strong> ist als eine Schule der Sekundarstufe I geplant, also von der 5.<br />

bis zur 10. Klasse. Da die Grundschule unmittelbar im Haus ist, kann sie selbstverständlich in den<br />

Entwicklungsprozess mit eingebunden werden. Für den Sekundarbereich gelten die folgenden<br />

Entwicklungsstufen.<br />

4.3.1 Die Eingangs- und Integrationsphase (Jahrgänge 5/6)<br />

Die Schüler, die aus der Grundschule kommen, befinden sich auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen<br />

und lassen unterschiedliche familiäre Hintergründe mit einfließen. Sie bringen eine große<br />

Heterogenität hinsichtlich der Leistungsfähigkeiten in die Klasse. Das bedeutet, dass sie sich in<br />

einem pädagogisch moderierten Prozess erst finden müssen, ehe sie konzentriert ins Lernen<br />

kommen können. Die fünfte Jahrgangsstufe hat also eine hohe Integrationsdynamik zu bewältigen.<br />

Die Lehrkräfte werden ein großes Augenmerk auf Gruppendynamik und Erlebnispädagogik legen,<br />

werden Gruppenprozesse thematisieren, Regeln erarbeiten und mit den Schülern vereinbaren. Auf<br />

45 http://www.toolbox-bildung.de/Kurzbescheibung.1377.0.html; hier allerdings nur unter dem Aspekt der Leistungsbeurteilung.<br />

33


dieser Grundlage kann dann eine Methodenschulung aufbauen, in welcher nicht nur die Sozialformen<br />

(Einzel-, Partner-, Gruppen- und Klassenarbeit) eingeübt werden, sondern auch bereits die<br />

unverzichtbaren ersten Lernmethoden der Texterschließung und Selbstorganisation 46 .<br />

Die Schüler werden sich auch in der neuen Lernumgebung orientieren müssen. Sie müssen mit<br />

neuen Lehrkräften, Sozialpädagogen und Erziehern zurechtkommen. Die Schüler werden viel stärker<br />

als bisher selbstverantwortlich für ihren Lernprozess sein und müssen in das selbstgesteuerte<br />

Lernen eingeführt werden. Neue Bildungswege müssen entdeckt und erkundet werden. Erst wenn<br />

sich dieses Neue langsam gesetzt hat, lassen sich die Schüler nicht mehr so sehr durch Gruppenprozesse<br />

absorbieren, sondern sind in der Lage, konzentriert zu arbeiten. Sie werden versuchen,<br />

ihre natürliche Neugier zu befriedigen und vieles über die Welt in Erfahrung zu bringen.<br />

Weil in der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> Kinder unterschiedlichster Potenziale sind, wird grundsätzlich mit<br />

dem Blick auf gymnasiale Ansprüche gearbeitet. Diese gelten, soweit die Schüler dazu in der Lage<br />

sind. Um eine Überforderung zu vermeiden, wird jeder Schüler vom ersten Tag an mit den Lerninhalten<br />

versorgt, die seinem Potenzial auch entsprechen. Dabei kann das Anspruchsniveau von<br />

Fach zu Fach unterschiedlich sein. Das Angebot einer zweiten Fremdsprache kann in der 6. Klasse<br />

zunächst allen Schülern offenstehen. Neben den zahlreichen anderen Materialien stehen den<br />

Schülern auch Lehrbücher aus allen Schularten zur Arbeit zur Verfügung. Es ist also von Anfang an<br />

sicher gestellt, dass die verschiedenen Lernangebote aus den Einzellehrplänen der verschiedenen<br />

Schularten zur Verfügung stehen.<br />

4.3.2 Die Differenzierungs- und Beratungsphase (Jahrgänge 7/8)<br />

Die neuen schulischen Wege, von denen oben die Rede war, müssen nun genauer betrachtet werden,<br />

vor allem in der Relevanz für den Heranwachsenden selbst. Dazu müssen zwei Dinge erfahren<br />

und in Einklang gebracht werden: die Gegebenheiten der Welt und die Möglichkeiten der eigenen<br />

Person. Die beginnende Pubertät führt in der Regel zu einer Befragung des eigenen Selbst: Wer bin<br />

ich? Was will ich? Was kann ich?<br />

46 Hilfreich dafür sind die Methoden- und Kommunikationstrainings von Heinz Klippert, genauso wie sein Buch über<br />

Heterogenität im Klassenzimmer. Hilbert Meyers zwei Bände zu den Unterrichtsmethoden sind sehr praktisch orientiert,<br />

dazu noch theoretisch tief fundiert.<br />

34


Ich<br />

• Wer bin ich?<br />

• Was will ich?<br />

• Was kann ich?<br />

Welt<br />

• Wie ist die Welt?<br />

• Wie will sie mich?<br />

• Was soll ich können?<br />

Der Unterricht an der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> wird diese Polarität unter anderem durch folgende<br />

Elemente aufnehmen und reflektieren:<br />

• Öffnung zur Welt durch Erkundungen, Praktika und Projekte 47 ;<br />

• Einladung von Fachleuten und Künstlern (Kooperationspartnern) in die Klassen;<br />

• Thematisierung der körperlichen Entwicklung und Berücksichtigung der damit einhergehenden<br />

Bedürfnisse (nach Rückzug, Gesprächen, Partys…);<br />

• Überlegungen zur geistig-seelischen Entwicklung in passenden Themenstellungen und im<br />

Angebot persönlicher Gespräche;<br />

• Intensive Begleitung bei der Frage: „Was will ich werden?“ Damit ist Orientierung in einem<br />

umfassenden Sinn gemeint: von der Sinnsuche über die Frage nach Fähigkeiten und Neigungen<br />

bis hin zur Wahl der passenden Bildungsziele und entsprechender Lernpakete oder<br />

zur Berufskunde und konkreten Arbeitsplatzerkundung.<br />

Wie der Wochenstundenplan weiter unten zeigen wird, spielen die intellektuelle Herausforderung<br />

und das Arbeiten mit den Händen bzw. die ganzheitliche Beanspruchung aller Schüler in der <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

eine wichtige Rolle.<br />

Eine Aufteilung nach („praktisch begabten“) Hauptschülern und („theoretisch begabten“) Realschülern<br />

oder Gymnasiasten, verbunden mit dem entsprechend praxis- oder theorielastigen Unterricht,<br />

wird es nicht geben. Eine Schwerpunktsetzung kann in einzelnen Fächern und Lernfeldern<br />

angebahnt werden, ihren eigentlichen Platz hat sie erst in der Abschlussphase, wenn bereits klar<br />

und konkret geworden ist, welcher Schüler welche Ziele verfolgen will.<br />

47 Welche starke Wirkung besondere Praktika für die Selbstwirksamkeitserfahrung der Schüler haben können, zeigen<br />

Margret Rasfeld und Peter Spiegel in ihrem Buch: EduAction. Wir machen Schule, Hamburg 2012. In diesem finden<br />

sich auch zahlreiche Links und Hinweise für eine Übertragung auf die eigene Schule.<br />

35


4.3.3 Die Fachleistungs- und Abschlussphase (Jahrgänge 9/10 )<br />

Die Vorbereitung auf einen Beruf oder eine weitere Schullaufbahn hat in der <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

einen festen Platz. Themen des Berufslebens und der Wirtschaft erscheinen in verschiedenen Sequenzen<br />

des Fach- und Projektunterrichts. Lernorte außerhalb der Schule, weitere Praktika und<br />

der Besuch des Berufsinformationszentrums sind selbstverständlich.<br />

In den Jahrgangsstufen 9 und 10 stehen wöchentlich in der Stundentafel ausreichend abschlussbezogene<br />

Projektstunden zur Verfügung. Schüler, die in die gymnasiale Oberstufe oder in schulische<br />

Bildungsgänge der beruflichen Bildung wechseln möchten, haben die Möglichkeit, im Hinblick auf<br />

die angestrebte Laufbahn ihre individuellen Stärken und Schwächen zu erkennen und zu bearbeiten.<br />

Besuche von weiterführenden Schulen, Fachhochschulen oder Universitäten ergänzen die<br />

Informationen über akademische Berufe.<br />

Spätestens in der Jahrgangsstufe 9 setzt die individuelle Beratung in Kooperation mit der Agentur<br />

für Arbeit ein. Es werden individuelle Trainingsangebote im Bereich Bewerbung gesetzt, die auch<br />

durch externe Trainer erfolgen können. Die Vor- und Nachbereitungen der Praktika in den Fächern<br />

Deutsch und Arbeitslehre/Wirtschaft nehmen einen angemessenen Raum ein. Spezielle Elternsprechtage<br />

zum Bereich Berufsorientierung werden angeboten.<br />

Für die Schülerschaft, die unmittelbar nach der Jahrgangsstufe 10 eine Berufsausbildung anstrebt,<br />

ist die Möglichkeit geschaffen, die eigene Berufsvorbereitung geplant und gezielt voranzutreiben.<br />

In der Schule und an außerschulischen Lernorten – vorrangig mit Kooperationspartnern aus der<br />

Region – werden dazu zahlreiche Möglichkeiten angeboten. So ist es den Schülern möglich, nach<br />

dem obligatorischen Schülerbetriebspraktikum und dem Besuch von Firmen während der Differenzierungsphase<br />

auch später noch über einen sinnvollen Zeitraum in Betrieben zu arbeiten und<br />

Erfahrungen zu sammeln.<br />

Nach den entwicklungsbedingten Verwerfungen in der Pubertät kommt es bei den Schülern im 9.<br />

oder auch erst im 10. Schuljahr oft zu einem Motivationsschub, der Möglichkeiten nach oben neu<br />

eröffnet. Der Weg in die Oberstufe wird auch deshalb an der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> für die Schüler<br />

möglichst lange offen gehalten.<br />

Die Vorbereitung auf den Besuch der Oberstufe eines Gymnasium oder einer beruflichen Schule<br />

erfordert sowohl besondere fachliche als auch besondere methodische Kompetenzen, die sich an<br />

den Lehrplänen der Gymnasien in Bayern orientieren und die sich in einem individuellen Wochenstundenprofil<br />

niederschlagen. Dabei können die Schüler selbstständig, aber auch in besonderen<br />

Gruppen, die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben. Schwerpunktsetzungen im<br />

sprachlichen, aber auch im naturwissenschaftlichen oder kaufmännischen Bereich sind möglich.<br />

Der Übergang in eine gymnasiale Oberstufe eines benachbarten Gymnasiums wird durch ein Kooperationsabkommen<br />

sichergestellt, solange keine eigene Oberstufe vorgehalten werden kann.<br />

Diese Kooperation hat auch zum Ziel, die gymnasialen Standards ständig zu überprüfen und gegebenenfalls<br />

anzupassen.<br />

36


4.4 Abschlüsse und Anschlüsse<br />

Ihrer heterogenen Zusammensetzung gemäß bietet die <strong>Gemeinschaftsschule</strong> jedem Schüler die<br />

Möglichkeit, den individuell passenden Abschluss anzustreben.<br />

• Anschluss an die berufliche oder gymnasiale Oberstufe<br />

• Realschulabschluss der verschiedenen Ausprägungen<br />

• Qualifizierender Mittelschulabschluss (Quali)<br />

• Erfolgreicher Mittelschulabschluss<br />

Neu ist die Möglichkeit, unterschiedliche Abschlussniveaus in unterschiedlichen Fächern zu erreichen,<br />

welche den Schülern mit besonderen Stärken oder Schwächen entgegenkommt.<br />

Obwohl die allgemeine Schulpflicht nach neun Jahren endet, sollten die Schüler im Regelfall bis zur<br />

zehnten Klasse in der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> bleiben. Nach zehn Schuljahren machen sie ihren Abschluss.<br />

Dies kann der Erfolgreiche oder der Qualifizierende Mittelschulabschluss sein oder die<br />

Mittlere Reife der Realschule in einem der vier Profile. Damit können sie auch – falls dies ihr persönliches<br />

Ziel ist – den Anschluss an die berufliche oder gymnasiale Oberstufe schaffen.<br />

Schüler, welche bereits nach der 9. Jahrgangsstufe in eine Ausbildung übergehen wollen, können<br />

einen entsprechenden Antrag einreichen, über welchen die Lehrerkonferenz nach Anhörung der<br />

Eltern beschließt.<br />

Die Absolventen, welche nach der Schule eine Ausbildung beginnen, werden gut vorbereitet sein,<br />

da sie während ihrer Zeit an der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> vom handwerklichen Unterricht ebenso profitieren<br />

wie von den berufsorientierenden Angeboten. Dadurch, dass sie von Anfang an im selbstgesteuerten<br />

Lernen geübt sind, wird für sie im Leben und im Arbeiten ein hohes Maß an Selbstständigkeit<br />

kennzeichnend sein.<br />

37


5 Leistungsmessung<br />

Die Schule ist mit Prüfungen und Noten zur Treibjagd verkommen.<br />

Remo Largo, Schweizer Kinderarzt<br />

5.1 Grundsätzliches<br />

In der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> wird der Leistungsbegriff seiner traditionell kognitiven Beschränkung<br />

entledigt, in welcher die bloße Wiedergabe und Anwendung von Fachwissen in Tests und Klausuren<br />

als „Leistung“ verstanden und benotet wird 48 . An seiner Stelle wird in der <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

die Fähigkeit, selbstgesteuert, methodensicher und kooperativ zu lernen, als ein anspruchsvolles<br />

Ziel und eine umfassende Form von Leistung definiert. Dieser Ansatz der Pädagogik, der von einem<br />

christlichen Menschenbild ausgeht und im Kompetenzmodell entfaltet wird, setzt sich konsequent<br />

in den flexiblen und breit gefächerten Formen der Leistungsbewertung fort, wie sie im Folgenden<br />

beschrieben werden.<br />

Junge Menschen haben in der Schule ein Recht auf sinnvolle Arbeit und deren Wertschätzung.<br />

Eine neue Lernkultur benötigt einen anderen Umgang mit Schülerleistungen: Leistung sehen, werten,<br />

fördern. Alle Arbeiten des jungen Menschen sind als Leistungen zu verstehen, in allen Bereichen,<br />

den kognitiven, sozialen, handwerklichen und musischen.<br />

Leistungen sehen: wahrnehmen, erkennen, verstehen, benennen<br />

• Was sehe ich?<br />

• Was hast du gemeint?<br />

• Wohin führt diese Leistung in ihrer Konsequenz?<br />

Leistungen werten: einordnen und beurteilen<br />

• Ist die Leistung außergewöhnlich?<br />

• Ist sie mehr als genügend?<br />

• Ist ein Minimum erreicht?<br />

• Ist ein Minimum unterschritten?<br />

Leistungen fördern: begleiten und Rückmeldungen geben<br />

Perspektive des Lernenden:<br />

BLICKWENDE<br />

Vom monologischen<br />

Messen<br />

zum dialogischen<br />

Würdigen<br />

• Wie könnte es für mich weiter gehen?<br />

• Bin ich mit meiner Leistung zufrieden?<br />

Perspektive der Sache:<br />

48 Vgl. Thorsten Bohl, Neuer Unterricht – neue Leistungsbewertung, Grundlagen und Kontextbedingungen eines veränderten<br />

Bewertungsverständnisses, In: Vorndran, O./Schnoor, D. (Hrsg.): Schulen für die Wissensgesellschaft. Ergebnisse<br />

des Netzwerkes Medienschulen. Gütersloh: Verlag Bertelmann Stiftung, S. 211-231<br />

38


• Was ist erforderlich?<br />

Perspektive der Lehrperson:<br />

• Wie könnte meine Rückmeldung aussehen?<br />

Perspektive der Mitschüler:<br />

• Ist sie/er an ihre/seine Grenzen gegangen?<br />

5.2 Leistungsnachweise und Formen der Rückmeldung<br />

Lernen braucht individuelle und gemeinsame Rückmeldung, Präsentation und gesellschaftliche<br />

Anerkennung von Ergebnissen. Die Arbeiten des jungen Menschen – und zwar alle Arbeiten:<br />

mündliche, schriftliche, organisatorische, sozial-tragende und kreativ-schöpferische – dienen als<br />

Leistungsnachweise und sollten in einer Art direkten Arbeitsvorlage zur Bewertung gebracht werden<br />

49 .<br />

Die Problematik von Ziffernnoten lässt sich wie folgt beschreiben:<br />

• Noten können verbale Kommunikation über den beurteilten Gegenstand verhindern.<br />

• Noten geben kaum inhaltliche Rückmeldungen, was gemacht werden muss.<br />

• Noten können zu Disziplinarmaßnahmen verkommen.<br />

• Noten motivieren weit weniger als angenommen wird.<br />

• Noten fördern Haltungen, die nicht erwünscht sind.<br />

• Noten machen aus der Qualität einer Leistung eine Zahl.<br />

• Noten produzieren Gewinner und Verlierer.<br />

Deshalb verzichten wir so weit wie möglich auf Noten und ergänzen sie durch folgende Alternativen:<br />

49 Eine pädagogisch sehr wertvolle Verschränkung von selbstgesteuertem Lernen, Selbstbeurteilung und Rückmeldung<br />

durch Erwachsene stellt das Logbuch dar. Hier die sehr detailliert ausgearbeitete Version der Evangelischen Schule<br />

Berlin Zentrum: http://www.ev-schule-zentrum.de/fileadmin/zentrum/Texte_PDF_Zentrum/logduch_ohne_PV.pdf<br />

39


• in Prüfungen<br />

• für<br />

Bewerbungen<br />

• Beschreibung<br />

der Begegnung<br />

und<br />

Entwicklung<br />

Noten<br />

persönlicher<br />

Brief<br />

Selbsteinschätzung<br />

Lernentwicklungsbericht<br />

•gesammelte<br />

Beobachtungen<br />

•Gesprächsgrundlage<br />

für Sch &<br />

Eltern<br />

•Protokolle<br />

•Lerntagebücher<br />

•Reflexionsbögen<br />

•Portfolio<br />

Der persönliche Brief<br />

Jeder Mensch braucht Anerkennung seiner Leistungen. Dies erfährt der junge Mensch aus einem<br />

sehr persönlichen Brief seines Lehrers, der an den Schüler selbst gerichtet ist. Er beschreibt die<br />

Entwicklung des jungen Menschen im vergangen Schuljahr und gibt Ausblick auf die kommende<br />

Zeit – wohl wissend, dass Briefe eine hohe Kulturform darstellen und dass Briefe, psychologisch<br />

betrachtet, tiefste Schichten des Menschen anrühren, da sie ihrem Wesen nach sehr intim sein<br />

können.<br />

Selbsteinschätzung<br />

Bildung ist Selbstbildung, dazu müssen die Reflexion und Selbst-Bewertung kultiviert werden. Eine<br />

Leistung zu bewerten, ist die größte Herausforderung in der Schule. Um die Schüler zu beteiligen<br />

und sensibel zu machen, werden vom ersten Schuljahr an verschiedene Formen der Selbsteinschätzung<br />

geübt. Auch die jungen Menschen haben ein Anrecht darauf, ihre eigenen Leistungen zu<br />

sehen, sie zu fördern und sie zu werten 50 . Dazu gibt es verschiedene Formen, die alternativ zu<br />

denken sind und aus denen ausgewählt werden kann:<br />

• Protokollhefte<br />

• Lerntagebücher<br />

• Epochenhefte<br />

50 Nach John C. Hatties Metastudie ist es sogar so, dass die Selbstbeurteilung den höchsten aller beobachteten Lerneffekte<br />

hat. Er stellt in diesem Zusammenhang sogar die Notwendigkeit von Tests in Frage: Hattie, Visible Learning,<br />

London und New York 2009, S.43f.<br />

40


• Selbstreflexionsbögen<br />

Direkte Leistungsvorlage / Portfolio<br />

Eine hohe Form der Selbstreflexion ist die Erstellung eines Portfolios durch den Schüler selbst. Er<br />

muss seine eigene Arbeit kritisch prüfen, selektieren, präsentieren und vertreten. Dazu stellt der<br />

Lehrer – und gegebenenfalls auch ein Mitschüler – die Fragen: Was war für dich bei dieser Arbeit<br />

wichtig? Was hast du gelernt? Was machst du weiter?<br />

• Das Portfolio macht die Leistung des Schülers für jeden sichtbar.<br />

• Der Adressat kann sich selbst ein Urteil bilden.<br />

• Die Sache steht im Mittelpunkt, nicht ein Zeichensystem.<br />

• Lehrer- und Mitschülerkommentare können die Schülerprodukte flankieren.<br />

• Das Portfolio ermöglicht den nächsten Reifeschritt: Es weist den Schüler in seine Rechte<br />

ein.<br />

• Es macht ihn vom passiven Empfänger des Lehrerurteils zum Partner, und das im dialogischen<br />

Prozess der Bewertung. Die Schüler können selbst entscheiden, wofür sie Rückmeldung<br />

haben wollen.<br />

• Die Inhalte der Portfolios dürfen nicht nur gesammelt werden, sondern es muss eine Zielrichtung<br />

vorgegeben werden, wozu sie verwendet werden sollen: für Elterngespräche, Bewerbung,<br />

Beurteilung oder eine Prüfung.<br />

Lernentwicklungsberichte<br />

An der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> bedeutet individuelle Förderung eine professionelle Begleitung und<br />

Beratung der Schullaufbahn eines jeden Schülers. Diese Professionalität setzt eine Transparenz<br />

bezüglich der Leistungen und der Leistungsbewertung der Schüler in den Unterrichtsfächern voraus.<br />

Um sehr zeitnah auf Leistungseinbrüche reagieren zu können, werden zu den regelmäßigen<br />

Konferenzen die Leistungen der Schüler thematisiert. Sie werden anhand der gesammelten Beobachtungen<br />

diskutiert und in anschließenden Fördergesprächen zur Schullaufbahnberatung mit<br />

dem Schüler und seinen Erziehungsberechtigten besprochen.<br />

Lernentwicklungsberichte geben den Kindern und Jugendlichen sowie ihren Eltern differenzierte<br />

Rückmeldungen über das in der letzten Zeit Erreichte. Sie dienen insbesondere dazu, den Schüler<br />

in seiner Gesamtpersönlichkeit und Entwicklung in den Blick zu nehmen. Hier werden Fortschritte<br />

und überfachliche Kompetenzen dokumentiert, Förderempfehlungen und Entwicklungsperspektiven<br />

aufgezeigt.<br />

Lernkontrollen und Noten<br />

Die Vergabe von Noten wird an der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> „vom Ende her“ gedacht. Sie ist dann<br />

gerechtfertigt, wenn die Heranwachsenden aus Gründen der gesellschaftlichen Passung nicht darauf<br />

verzichten können. So ist die Erfahrung von Schülern und Familien bestimmend, dass in der<br />

Bewerbungssituation vor allem Großbetriebe ein Notenzeugnis einfordern. Dieser Anforderung<br />

41


müssen Jugendliche häufig schon im vorletzten Schulbesuchsjahr genügen. Sie erhalten deshalb<br />

fallweise und auf Antrag ein Notenzeugnis, um in die Lage versetzt zu werden, die erste Hürde der<br />

schriftlichen Bewerbung zu überspringen und eventuell zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen<br />

zu werden. Spätestens in diesem werden sich die Vorteile der differenzierten und vielfältigen Leistungsbeschreibungen<br />

der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> erweisen.<br />

In ähnlicher Weise sind Noten für die Aushändigung von Abschlusszeugnissen zwingend. Die Schüler<br />

werden im Zuge der Prüfungsvorbereitungen und der dann maßgeblichen Durchschnitte als<br />

Zugangsvoraussetzungen für weitere schulische Bildungswege danach verlangen, anhand von Ziffernnoten<br />

ihre Chancen einschätzen zu können. Eingedenk der Unzulänglichkeit von Ziffernnoten<br />

wie sie weiter oben in diesem Kapitel dargestellt wurde, werden diese Noten bei dem entsprechenden<br />

individuellen Bedarf von der Schule erteilt und gründen sich auf geeignete Formen der<br />

Lernkontrolle.<br />

Sitzenbleiben/ Klassenwiederholung<br />

Sitzenbleiben hat sich als ein weitgehend unnützes Instrument zur dauerhaften Leistungsverbesserung<br />

von Schülern erwiesen 51 . Sie kostet die Kinder ein zusätzliches Jahr an der Schule und bringt<br />

sie in seelische und soziale Nöte. Wichtiger sind bei Schwierigkeiten das Angebot individueller Hilfe<br />

und die Analyse des Lernproblems. Die <strong>Gemeinschaftsschule</strong>, die nicht auf vermeintliche Leistungshomogenität,<br />

sondern auf Verschiedenheit in der Klasse setzt, hat von vornherein eine andere<br />

Einstellung zu Lernproblemen der Kinder. Verständnis für die Schwierigkeiten, Geduld und individuelle<br />

Hilfen sind bessere Mittel um die Kinder zu unterstützen.<br />

Deshalb gibt es an der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> kein Sitzenbleiben!<br />

Nur im Einzelfall, z.B. bei längerer Krankheit des Kindes und bei Nichterreichen eines Schulabschlusses,<br />

wird von Eltern und Schule gemeinsam über eine Wiederholung nachgedacht.<br />

51 Siehe dazu beispielsweise Klaus Klemms Bertelsmann-Studie 2009 oder die umfangreiche Metastudie von John C.<br />

Hattie, welche für das Sitzenbleiben einen stark negativen Lerneffekt festgestellt hat (d = - 0.16), a.a.O. S.300.<br />

42


6 Die Woche an der <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

We celebrate the difference.<br />

Zentrale Maxime in Kanadas Schulen<br />

6.1 Vorbemerkungen<br />

Für den Unterricht an der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> sind Prinzipien und Methoden bestimmend, welche<br />

sich seit den Zeiten der Reformpädagogik bewährt haben 52 . Sie werden durch moderne <strong>Konzept</strong>e<br />

(pädagogischer Konstruktivismus 53 , vernetztes Lernen, Kompetenzorientierung, gehirngerechtes<br />

Lernen 54 ) ergänzt. Wie dies alles ineinandergreift, welche Strukturen dazu nötig sind und<br />

wie dies das Lernen einer heterogen zusammengesetzten Schülerschaft ermöglicht, das zeigt inzwischen<br />

die Praxis an ausgezeichneten Schulen 55 .<br />

52 Dass und wie die reformpädagogischen Einsichten von Heinrich Pestalozzi, Maria Montessori und Jean Piaget prägenden<br />

Einfluss auf moderne Managementansätze haben, beschreibt Cyrus Achouri in seinem Buch „Wenn Sie wollen,<br />

nennen Sie es Führung. Systemisches Management im 21. Jahrhundert“, Hamburg 2011, S.97ff.<br />

53 „Eine Pädagogik ‚auf der Höhe der Zeit‘ muss sich mit systemisch-konstruktivistischen Positionen auseinander setzen“<br />

(Horst Siebert S.13). Dies kann auch als eine konstruktivistische Neubeschreibung von altbekannten reformpädagogischen<br />

Methodenpostulaten verstanden werden (Ewald Terhart: Didaktik, Stuttgart 2011).<br />

54 „Durch manche Ergebnisse der Forschung zur Neurobiologie bekommen diese Praxisformen [der Reformpädagogik]<br />

eine neue, moderne wissenschaftliche Bestätigung oder Fundierung“ (Ewald Terhart, a.a.O. S.94). Ein kurzer Exkurs<br />

zum gehirngerechten Lernen findet sich im Anhang dieses <strong>Konzept</strong>s.<br />

55<br />

Beispiele: http://www.maxbrauerschule.de/mbs/downloads/2008_ggg-klasseninterne-differenzierung.pdf. Die<br />

Max-Brauer-Schule wurde 2006 mit dem Deutschen Schulpreis und 2003 mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet.<br />

Ähnlich die Erich-Kästner-Schule Bochum – Deutscher Schulpreisträger 2012: http://www.eks.bobi.net<br />

/html/schulprogramm.html<br />

43


Wie im Vorwort bereits angemerkt, versteht sich dieses <strong>Konzept</strong> nicht als abgeschlossen. Es enthält<br />

Leitlinien, die für diese in Bayern neue Schulform konstitutiv sind. Aber es lässt Raum für und<br />

baut auf die Kompetenz von Kollegium, Schülerschaft und Eltern, auf die Herausforderungen, welche<br />

mit der Entwicklung einer neuen Schulart verbunden sind, eigene und neue Antworten zu finden<br />

56 . Dies bedeutet eine maßgebliche Verantwortlichkeit für das Curriculum auf der lokalen Ebene.<br />

Eine Schule, ausgerichtet an bewährten pädagogischen Grundsätzen, verlangt eine andere Organisationsstruktur.<br />

Stärker auf die Person ausgerichtete Lehr- und Lernformen benötigen mehr Zeit,<br />

mehr Schulstunden. So wird die Schule für alle Lerngruppen in einer bedarfsgerechten Ganztagsform<br />

geführt.<br />

Der Unterricht im Ganztag einer sich erneuernden Schule strebt in seinem vielgestaltigen Angebot<br />

die personale, soziale, ethische und religiöse Erziehung und Bildung entsprechende der Präambel<br />

des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes an. Die Ganztagsform hat die Aufgabe und<br />

besitzt die hoch zu schätzende Chance, die sozial-ethische Erziehung und Bildung besonders zu<br />

betonen und sie sich zu eigen zu machen. Ganztagsschule besagt ganztägiges Zusammenleben.<br />

Dieses verlangt Ordnung. Die aber darf nicht nur in äußeren<br />

Sachverhalten verankert sein, sondern ergibt sich aus dem<br />

Menschenbild, dem Leitbild personalen Handelns in Freiheit<br />

und Verantwortung.<br />

BLICKWENDE<br />

Von der Halbtagsschule<br />

mit<br />

Hausaufgaben zur<br />

Ganztagsschule<br />

Eine Ganztagsschule ist keine verlängerte Halbtagsschule, sondern<br />

besitzt eine eigenständige <strong>Konzept</strong>ion. Die Realisierung in<br />

der reformpädagogischen Bildungs- und Erziehungskonzeption<br />

geschieht mittels seiner Unterrichtsprinzipien und Strukturelemente.<br />

Diese sind: Klassenkreis, SegeL (selbstgesteuertes<br />

Lernen), Vernetzter Unterricht, Projektarbeit, die Mittagsfreizeit,<br />

offene Angebote (Neigungsgruppen/Arbeitsgemeinschaften) und Profilfach. Durch alle Strukturelemente<br />

hindurch zieht sich das Prinzip des kooperativen Lernens.<br />

6.2 Die einzelnen Elemente<br />

6.2.1 Der Klassenkreis<br />

Der Mensch benötigt Rituale. Schulrituale sind Orientierungshilfen für Schüler und Lehrer und dienen<br />

damit der Schulkultur. Gerade für Kinder und Jugendliche ist die Wiederkehr einer Handlung,<br />

eines Tuns in gleicher äußerer Form, in ähnlichen Umständen und zu gleicher Zeit, sehr wichtig.<br />

Der Klassenkreis bildet die Klammer der Schulwoche. Diese wird bewusst durch den Morgenkreis<br />

am Montag eröffnet und durch den Reflexionskreis am Freitag beschlossen. Der Morgenkreis<br />

kennzeichnet den Wochenanfang als eine neu geschenkte Gabe und Aufgabe. Seine Elemente sind<br />

56 Diese grundsätzliche Entscheidung traf auch das finnische Zentralamt für das Unterrichtswesen – wie wir heute<br />

wissen, mit positiven Folgen für alle Lernenden in den dortigen <strong>Gemeinschaftsschule</strong>n (vgl. Domisch S. 623).<br />

44


Anschauung und Besinnung, Hören, Fühlen, Schmecken, Riechen, Schreiten, Vernehmen-Können<br />

und Stillwerden. Der Morgenkreis ergänzt die üblichen schulischen Lernprozesse um assoziatives,<br />

intuitives, kreatives Schauen. Dies stellt auch einen Ansatzpunkt für eine religiöse Erziehung dar,<br />

weil sich auf diesem Weg der junge Mensch für die Tiefendimension der eigenen Existenz öffnen<br />

kann.<br />

Das ergänzende Gegenstück zum Morgenkreis ist der Reflexionskreis am Ende der Schulwoche.<br />

Hier wird zurückgeblickt auf die vergangene Woche, reflektiert, eventuell Atmosphäre bereinigt<br />

und gedankt für die gemeinsame Zeit des Lernens. In dieser Klassenratsstunde geschieht die Einübung<br />

in grundlegende Formen der Demokratie: Hier werden die Belange der Klasse besprochen<br />

und geregelt.<br />

6.2.2 Das selbstgesteuerte Lernen (SegeL) 57<br />

Die Zeiten des selbstgesteuerten Lernens im Stundenplan sind gewissermaßen „Platzhalter“; sie<br />

gewähren den Lehrern der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> die Möglichkeit des individualisierten Arbeitens<br />

und können damit im Prinzip auch jedes Unterrichtsfach umfassen. Das tägliche selbstgesteuerte<br />

Lernen ist keine Methode zur Lernoptimierung, sondern eine andere Art von Unterricht. Sie folgt<br />

einerseits der systemisch-konstruktivistischen Wende der Erziehungswissenschaft, welche davon<br />

ausgeht, dass Lernen ein Prozess der beständigen aktiven „Konstruktion lebensdienlicher Wirklichkeiten“<br />

ist 58 und macht ernst mit der durch die Neurowissenschaften bestätigten Einsicht, dass<br />

Lernen kein passives Aufnehmen von vermitteltem Wissen, sondern ein aktiver Aneignungsprozess<br />

ist: „Es ist wichtig sich zu vergegenwärtigen, dass bereits die Rede von der Vermittlung… völlig an<br />

der Realität des Lernens vorbei geht. Gehirne bekommen nichts vermittelt. Sie produzieren<br />

selbst“ 59 .<br />

Selbstgesteuertes Lernen ist die Form schulischen Arbeitens, die die Individualität des Schülers in<br />

die Mitte pädagogischen Bemühens stellt und seinen „sensiblen<br />

Phasen" Rechnung trägt 60 . Es ist keine verordnete Stillbeschäftigung,<br />

sondern Arbeit in relativer Freiheit. Der Schüler ist<br />

frei von ständiger Gängelung, aber begrenzt durch eine vom<br />

Lehrer sorgfältig vorbereitete Umgebung und Zielsetzung. Lernen<br />

ist dabei Arbeit und das heißt Tun und Teilhaben, bedeutet<br />

auch Anstrengung und Mühe, bewirkt Erfolg und auch Misserfolg,<br />

bedeutet Mitgestaltung, Mitverantwortung und Selbstverwirklichung<br />

in dieser Welt. Inneres Prinzip des selbstgesteuerten<br />

Lernens ist die Eigenaktivität, die Selbsttätigkeit.<br />

Dadurch wird die Konsumhaltung des Kindes im Unterricht überwunden.<br />

BLICKWENDE<br />

Vom bevormundeten<br />

zum<br />

selbstständigen<br />

Arbeiten<br />

57 PISA 2000 (PISA-Konsortium) spricht hier von „selbstreguliertem Lernen“. Wenn es auch bildungspolitisch und lerntheoretisch<br />

im Trend liegen mag, so ist es das selbstbestimmte Lernen doch aus neurowissenschaftlicher Sicht „fast<br />

eine Tautologie“ (Horst Siebert, Vernetztes Lernen. Systemisch-konstruktivistische Methoden der Bildungsarbeit,<br />

Augsburg 2007, S.49)<br />

58 Horst Siebert, S.13 und an vielen weiteren Stellen.<br />

59 Manfred Spitzer, Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Berlin 2003, S.417; i.gl.S.. S.4, 10, 14.<br />

60 Manfred Spitzer (S.210 und 236) bestätigt diesbezügliche Einsichten Maria Montessoris.<br />

45


Natürlich ist der Schüler dabei sich nicht selbst überlassen; er wird durch das Lehrerteam angeleitet.<br />

Die Selbstständigkeit kann nicht einfach vorausgesetzt werden; viele Schüler wären damit<br />

überfordert. Sie müssen zum selbstgesteuerten Lernen angeleitet werden. In der Sprache der modernen<br />

Pädagogik: Konstruktion setzt Instruktion voraus, „Lernen… verlangt nach instruktionaler<br />

Anleitung und Unterstützung, da der selbstgesteuerte und soziale Umgang mit komplexen Aufgaben<br />

und vielfältigen Informationsangeboten sowie die Berücksichtigung verschiedener Perspektiven<br />

Wege und Ziele zugleich sind“. 61<br />

Die folgende Grafik verdeutlicht, welche Entscheidungen der Schüler im selbstgesteuerten Lernen<br />

selbst trifft und in welcher Weise er für sein eigenes Lernen verantwortlich ist:<br />

Ziele setzen<br />

Korrektur<br />

Strategien<br />

entwickeln<br />

SegeL<br />

Arbeit<br />

bewerten<br />

Sozialform<br />

wählen<br />

Methode<br />

und<br />

Material<br />

Elemente des selbstgesteuerten Lernens sind:<br />

• Materialien zum Einüben und Wiederholen von „Handwerkszeug“ (Strategien, Methoden,<br />

Techniken) aus allen Bereichen,<br />

• Raum für selbstständiges Entdecken, für kreatives und experimentelles Tun,<br />

• vertiefende Arbeiten am Thema des vernetzten Unterrichts.<br />

Dabei trauen und muten wir dem Schüler viel zu:<br />

• Die selbstständige Wahl des Arbeitsthemas und –zieles innerhalb des vom Lehrer vorbereiteten<br />

Rahmens<br />

61 Horst Siebert S.81 Mandl/Kopp zitierend. Er nennt dies auch eine „Selbstorganisationszumutung“ (S.17). In eine<br />

ähnliche Richtung geht das Argument von U. Steffens und D. Höfer, die der Frage nachgehen, ob die Ergebnisse der<br />

„Hattie-Studie“ (2009) nicht eine Rücknahme offener Lernformen und des selbstgesteuerten Lernens zugunsten einer<br />

„direkten Instruktion“ erforderten. Sie mahnen zu einer systematischen Einübung dieses sehr anspruchsvollen<br />

Unterrichts und verweisen auf dessen Potenzial zur Einübung von Selbstständigkeit und Verantwortung, Anknüpfung<br />

an individuelle Vorerfahrungen, zur Motivationsförderung und ihre alternative Vielseitigkeit in Anbetracht der<br />

„vorherrschenden Methoden-Monokultur“. (Heft „Pädagogik“ Dez 2012).<br />

46


• Die selbstständige Methode und Wahl der Arbeitsschritte<br />

• Die selbstständige Zeiteinteilung<br />

• Die selbstständige Wahl des Partners<br />

Eine Konkretisierung zum SegeL kann man im Anhang nachlesen. Zur Praxis des selbstorganisierten<br />

Lernens finden sich hilfreiche Hinweise in der Literatur und im Internet. 62 Dabei dürfen auch mahnende<br />

Stimmen nicht überhört werden. 63<br />

Hinweise zur Umsetzung des selbstgesteuerten Lernens<br />

Auf dem Bildungsserver von Berlin-Brandenburg findet sich eine detaillierte Darstellung von<br />

Grundlagen und Praxis des selbstorganisierten Lernens (SOL): http://bildungsserver.berlinbrandenburg.de/sol_allgemein.html.<br />

An dieser Stelle werden kennzeichnende Methoden des SOL<br />

dargestellt, zum Beispiel der „Advance Organizer“, das „Gruppenpuzzle“ oder das „Sandwichprinzip“.<br />

Diese Ausführungen sind an zahlreichen Stellen verknüpft mit dem LehrerInnen-Fortbildungsserver<br />

des Landes Baden-Württemberg, wo man auch weitere Unterrichtsbeispiele finden kann:<br />

http://lehrerfortbildung-bw.de/unterricht/sol/.<br />

Diese <strong>Konzept</strong>e der beiden Bundesländer gehen auf Martin Herold zurück, einen ehemaligen Berufsschullehrer<br />

und Studiendirektor in der Schulverwaltung. Er beschreibt das SOL in einem Buch:<br />

Herold, Cindy und Martin: Selbstorganisiertes Lernen in Schule und Beruf. Gestaltung wirksamer<br />

und nachhaltiger Lernumgebungen, Weinheim und Basel 2011. Inzwischen hat er auch das SOL-<br />

Institut gegründet, in welchem er und seine Mitarbeiter Unterstützung bei Schulentwicklungsprozessen<br />

anbieten.<br />

6.2.3 Vernetzter Unterricht<br />

„Wir brauchen einen radikal fächerübergreifenden Unterricht. Hirngerecht läuft das ab, wenn dasselbe<br />

Grundproblem von mindestens drei bis vier Fächern beleuchtet wird, wenn die Kinder und<br />

Jugendlichen die Zusammenhänge kapieren - das brennt sich ins Gehirn ein. Zusammenhängende<br />

Dinge können wir viel besser behalten.“ 64<br />

Im vernetzten Unterricht wird ein Thema durch unterschiedliche Zugänge psychologisch, sachlogisch<br />

und handlungslogisch entfaltet. Im traditionellen Unterricht werden die Fächer im Verlauf<br />

eines Tages nacheinander erteilt und nicht immer die wenigen in den Lehrplänen aufgezeigten<br />

Querverweise aufgenommen. Die Unterrichtsfächer hängen in der Wahrnehmung der Schüler nur<br />

in seltenen Fällen inhaltlich zusammen. Der vernetzte Unterricht verklammert bewusst und konsequent<br />

die einzelnen Fächer und unterschiedlichen Zugänge und Methoden durch ein gemeinsames<br />

Thema. Als Anregung, in welche Richtungen dabei gedacht werden kann und welche Verknüpfungen<br />

herstellbar sind, findet sich im Anhang ein konkretes Beispiel.<br />

62 Siehe dazu die „Hinweise zur Umsetzung“.<br />

63 Jürgen Oelkers: Möglichkeiten und Grenzen selbstregulierten Lernens in der Schule, Vortrag in der Schule Moosseedorf<br />

am 15. Oktober 2012.<br />

64 Gerhard Roth, ein bekannter Entwicklungsneurobiologe, in einem Interview mit dem BLLV, in Bayerische Schule<br />

5/21012, S.25.<br />

47


„Vernetzung“ hat sich zu Anfang des 21. Jahrhunderts als eine leistungsfähige erziehungswissenschaftliche<br />

Metapher etabliert, da dieser Begriff zahlreiche Anknüpfungsmöglichkeiten bietet 65 . Im<br />

„vernetztem Lernen“ werden psychologische, sachlogische und handlungslogische Aspekte aufeinander<br />

bezogen (Aufzählung nach Horst Siebert):<br />

• Anknüpfung neuer Informationen an vorhandene neuronale Netzwerke 66 ;<br />

• Denken in Kontexten - Details in ihrem lebensweltlichen Ort sehen;<br />

• Perspektiven verschränken – Differenzen und Gemeinsamkeiten entdecken;<br />

• Informationen müssen Sinn stiften, um behalten zu werden;<br />

• Nutzung verschiedenartiger Methoden, Lernwege und Zugänge 67 ;<br />

• die Ermöglichung von Kreativität durch Querverbindungen zwischen verschiedenen Assoziationsfeldern<br />

im Großhirn;<br />

• Zusammenschau von Disziplinen, in der Schule also von Unterrichtsfächern 68 ;<br />

• die Verschränkung von gegenwärtigem Handeln und zukünftigen Folgen in der Blick nehmen;<br />

• die physiologisch vorgegebene Verknüpfung von Emotion<br />

und Kognition aufnehmen;<br />

• Wissen in praktisches und soziales Handeln überführen;<br />

• schulisches Lernen mit Erfahrungslernen, Projektlernen,<br />

selbstgesteuertem Lernen und außerschulischen Handlungsfeldern<br />

verknüpfen („Netzwerkdidaktik“).<br />

BLICKWENDE<br />

Vom zerstückelten<br />

zum Sehen in<br />

Zusammenhängen<br />

Auf Zukunft hin erweist sich „vernetzen können“ als eine notwendige<br />

Kompetenz: „Eine global vernetzte Welt, in der wenig<br />

eindeutig und vieles mehrdeutig und unübersichtlich ist, erfordert ein vernetztes Lernen, ein systemisch-konstruktives<br />

Denken, ein urteilsvorsichtiges Denken in Zusammenhängen.“ 69 Vernetzung<br />

wendet sich immer an den ganzen Menschen; sie dient seiner Persönlichkeitsentfaltung.<br />

Die Sicht des Kindes, wie sie der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> zugrunde liegt, verlangt eine ganzheitliche<br />

Erziehung und Bildung. Der Begriff der Ganzheitlichkeit ist von zwei Seiten her zu sehen: Von der<br />

Seite des Kindes und von der Seite der Lerninhalte, der Sachen her.<br />

Die Perspektive des Kindes meint die Förderung des ganzen Menschen, der ganzen Person von<br />

65 Horst Siebert S.6-8 und ausführlich S.53ff.<br />

66 So auch Manfred Spitzer, S.416 in Bestätigung Frederik Vesters, Denken, Lernen, Vergessen, S.124.<br />

67 Frederik Vester erinnert an die individuell unterschiedlich ausgeprägten und gemischten auditiven, visuellen, haptischen<br />

und abstrakten Lerntypen (S.41f, 98, 103). Vgl. das <strong>Konzept</strong> der multiplen Intelligenzen des Neurologen und<br />

Erziehungswissenschaftlers Howard Gardner, zuerst beschrieben in Frames of Mind (1983).<br />

68 Nicht nur für Horst Siebert ist die „Zerfaserung und Zerstückelung des Wissens“ ein didaktisches Problem (S.52). Vgl.<br />

Manfred Spitzer S.35 und S.76.<br />

69 Horst Siebert S.6<br />

48


"Kopf, Herz und Hand" 70 ; oder in den Worten des BayEUG die Bildung von „Geist und Körper, Herz<br />

und Charakter“.<br />

Die Perspektive der Sachen soll die Ganzheitlichkeit von Erscheinungsformen der Wirklichkeit erfassen,<br />

mit Vordergrund und Hintergrund. „Einzelheiten lehren, bedeutet Verwirrung stiften. Die<br />

Beziehung unter den Dingen herstellen, bedeutet Erkenntnisse vermitteln. Alle Dinge sind miteinander<br />

verbunden und haben ihren Platz im Universum“ 71 .<br />

Jedes Unterrichtsgeschehen ist gekennzeichnet durch die dialogische Auseinandersetzung zwischen<br />

Kind und Sache.<br />

Der vernetzte Unterricht überschreitet die herkömmliche Gliederung der Lerninhalte nach Fächern.<br />

Er stellt die Sachen so dar, dass die ihnen innewohnenden Aspekte fächerübergreifend zum<br />

Tragen kommen und zu einer ganzheitlichen Größe zusammengesetzt werden. Darüber hinaus<br />

werden ihre religiöse, ethische, personale und soziale Bedeutung in die zu behandelnden Unterrichtseinheiten<br />

integriert.<br />

„Vernetztes Lernen ist – nicht nur, aber überwiegend – exemplarisches Lernen“. 72 Exemplarischer<br />

Unterricht ist aber mit dem „Hackwerk“ der 45-Minuten-Portionen ganz unverträglich, er strebt<br />

nach dem Epochenunterricht. „Tag für Tag, mindestens zwei Stunden dasselbe Thema: Das gräbt<br />

sich ein in die Herzen der Schüler und arbeitet dort, Tag und Nacht." 73<br />

Der vernetzte Unterricht ist das geeignete Instrument, der Forderung nach individualisiertem Unterricht<br />

nachzukommen. Er lässt über das für alle gemeinsam zu erarbeitende Fundamentum individuelle<br />

Lernwege zu. Der vernetzte Unterricht ist an der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> konstitutiv und<br />

nicht nur eine Beigabe.<br />

Hinweise zur Umsetzung: Der Marchtaler Plan<br />

Der Marchtaler Plan bezeichnet sich selbst als „von Lehrern für Lehrer geschrieben“ und ist „als<br />

lebendiges Werkzeug für die tägliche Arbeit gedacht“ 74 . Er enthält Unterrichtseinheiten für die<br />

Jahrgangsstufen eins bis zehn und umfasst – grob gesprochen – Themen aus dem Sach- und Religionsunterricht.<br />

Diese werden im Lehrplan (in diesem Fall den baden-württembergischen) verankert<br />

und mit zahlreichen Hinweisen auf passende Texte, Musikstücke, Kunstwerke und anderes<br />

versehen und in ihren konkreten Umsetzungsmöglichkeiten beschrieben.<br />

Im Jahr 2005 wurde der Marchtaler Plan um drei weitere Aspekte ergänzt, nämlich um Hinweise<br />

zur neuen Form der Projektprüfung, um Ausführungen zur Frage der Leistungsbewertung und -<br />

70 Johann Heinrich Pestalozzi<br />

71 Maria Montessori<br />

72 Horst Siebert S.60.<br />

73 Martin Wagenschein: Ursprüngliches Verstehen und exaktes Denken, Stuttgart 1965, S.304.<br />

74 Stiftung Katholische Freie Schule der Diözese Rottenburg-Stuttgart (Hg): Marchtaler Plan, Rottenburg a.N. 2002.<br />

49


eurteilung und um Inhalte für den EDV-Unterricht. Ein Beispiel aus dem Marchtaler Plan findet<br />

sich im Anhang zu diesem <strong>Konzept</strong>.<br />

6.2.4 Die Projektarbeit 75<br />

Projektarbeit versteht sich als vernetzende Unterrichtsform, in der sich Lehrer und Schüler einem<br />

gemeinsam formulierten Thema oder Problem zuwenden, zu dessen Bearbeitung einen Plan entwickeln,<br />

sich arbeitsteilig mit der Lösung beschäftigen und die Lösungsversuche anderen vermitteln<br />

bzw. in einem gemeinsamen Produkt präsentieren.<br />

In der Projektarbeit besorgen sich die Schüler die notwendigen Arbeitsmittel und Informationen<br />

zur Lösung des Problems soweit wie möglich selbst; dabei befassen sie sich arbeitsteilig, handlungs-<br />

und produktbezogen in kleinen Gruppen über einen längeren Zeitraum mit ihrem Thema.<br />

Diese Prinzipien bestimmen die Projektarbeit:<br />

Kooperation<br />

Handlungsorientierung<br />

Produktorientierung<br />

Selbstorganisation<br />

Ganzheitlichkeit<br />

In der Projektarbeit übernehmen die Schüler gemeinsam mit dem Lehrer für den gesamten Arbeitsprozess<br />

die Rolle der Unterrichtsplaner. Dieser Rollenwechsel steht in enger Verbindung mit<br />

dem demokratischen Anspruch des Projektunterrichts und wird deshalb als Herzstück des Projektunterrichts<br />

bezeichnet. Projektunterricht ist dabei sowohl am Lehrplan als auch an den Fragen und<br />

Interessen der Beteiligten orientiert.<br />

Die Rolle des Lehrers während der Projektarbeit ist die des „leitenden Teilnehmers“ , der - entlastet<br />

von Organisationsverantwortung - Zeit und Möglichkeiten hat, mit seinen fachlichen und pädagogischen<br />

Kompetenzen beratend zur Seite zu stehen und den Lern- und Arbeitsprozess zu beobachten.<br />

Bei Bedarf wird er helfen, anstehende Aufgaben anzugehen und passende Wege zu finden,<br />

um dem Ziel des Projektes näher zu kommen. Ferner trägt der Lehrer dafür Sorge, dass der<br />

letzte und wesentliche Schritt, nämlich die Auswertung der geleisteten Arbeit, in wachsender Eigenverantwortung<br />

der Schüler durchgeführt wird. Eine kritische Beurteilung des Ergebnisses anhand<br />

transparenter Kriterien, einschließlich der zu klärenden Frage, ob und wie das Projekt gegebenenfalls<br />

weitergeführt werden soll, steht am Schluss eines jeden Projektes.<br />

75 Informationen und Hilfen zu einer US-amerikanischen Form der Projektarbeit, nämlich dem Project Based Learning,<br />

finden sich reichlich im Internet; für einen ersten Zugang siehe http://www.bie.org/.<br />

50


Vier Handlungsschritte in der Projektarbeit<br />

Die Zeit über den Mittag ist ein zentrales Element der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> und umfasst vier Elemente.<br />

auswählen<br />

• Es wird eine für den Erwerb von Erfahrungen geeignete,<br />

problemhaltige Sachlage ausgewählt.<br />

planen<br />

• Gemeinsam wird ein Plan zur Problemlösung entwickelt.<br />

handeln<br />

• Die Beteiligten setzen sich handlungsorientiert mit dem Problem<br />

auseinander.<br />

prüfen<br />

• Die Problemlösung wird an der Wirklichkeit überprüft.<br />

6.2.5 Fachunterricht<br />

Wenn wir den SegeL-Unterricht als Platzhalter für das individualisierte Arbeiten bezeichnet haben,<br />

dann gilt als Gegenpol dazu das Etikett „Fachunterricht“ als Platzhalter für die Möglichkeit, gebundenen<br />

Unterricht dann anzusetzen, wenn er notwendig ist. Insofern kann auch der Fachunterricht<br />

jedes Fach umfassen.<br />

Die Fremdsprachen sowie Sport und fachpraktische Inhalte haben ihren primären Ort im Fachunterricht,<br />

in Bayern auch der Religions- und Ethikunterricht. Für das Sprachenlernen ist die unmittelbare<br />

Begegnung mit dem Sprachvorbild des Lehrers ausschlaggebend. Darüber hinaus können<br />

kommunikative und repetitive Übungen des Sprachunterrichts auch in der Phase des selbstgesteuerten<br />

Unterrichts stattfinden. Wenn in Deutsch oder Mathematik gebundener Unterricht<br />

notwendig ist – zur Einführung eines neuen Themas oder für wesentliche Lernplateaus –, dann<br />

findet dies ebenfalls als Fachunterricht statt.<br />

6.2.6 Mittagszeit<br />

Eine gute Schule legt den Akzent auf das gemeinsame Essen als ein grundlegendes Element von<br />

Gemeinschaft mit hohem symbolischen Wert. In der Regel isst der Lehrer mit seinen Schülern.<br />

Man fängt gemeinsam an und löst die Tischgemeinschaft zusammen auf.<br />

An manchen Tagen ist der wertvoll ausgestattete Lerngruppenraum (offene Klasse) mit seiner<br />

vorbereiteten Umgebung auch in der Mittagsfreizeit geöffnet. Der Lehrer steht für Gespräche oder<br />

sachliche Nachfragen zur Verfügung.<br />

51


Möchten die Schüler ein bestimmtes Programm angehen, so stehen ihnen neben den Lehrern und<br />

Erziehern auch Betreuer in sogenannten „Stützpunkten“ zur Verfügung. Die Betreuer nehmen<br />

Aufsichtsfunktionen wahr, sind aber auch Ansprechpartner für die Schüler. Über ihre Aktivitäten<br />

auf den unterschiedlichsten Stellen des Schulgeländes entscheiden die Schüler selbst.<br />

Schließlich ist die Mittagsfreizeit die geeignete Gelegenheit für Jugendliche die nützliche Erfahrung<br />

des Gebrauchtwerdens zu machen. In den so genannten „sozialen Diensten“ übernehmen sie<br />

wichtige Aufgaben innerhalb der Schulgemeinschaft (Sanitätsdienste, Schülercafé, Betreuung von<br />

Gästen usw.).<br />

6.2.7 Profilfach<br />

Ab der siebten Jahrgangsstufe verstehen wir unter „Profilfach“ dasselbe wie die bayerischen Stundentafeln<br />

zu Gymnasium, Realschule und Mittelschule. Für die Jahrgänge fünf und sechs wird in<br />

diesen Stunden jedem Schüler die Möglichkeit geboten, sich körperlich und handwerklich zu betätigen.<br />

Die ganzheitliche Erziehung, die Pestalozzi mit der Bildung von „Kopf, Herz und Hand“ bezeichnet<br />

hat, erfordert neben der wichtigen Kopfarbeit die ebenso bedeutsame Handarbeit. Körperliches<br />

und geistiges Tun werden eine Einheit. „Wissen ermöglicht erfolgreiches Handeln und gleichzeitig<br />

wird durch Handlungen das Wissensnetz verfeinert.“ 76 Die Hand ist das Organ, in dem sich die vielschichtige<br />

Begegnung des Menschen mit der Umwelt durch seine Sinne beispielhaft darstellt. Jeder<br />

Pädagogik ist der Zusammenhang der Entwicklung der Bewegungsmöglichkeit des Menschen –<br />

besonders der Hand – und seiner geistigen Entwicklung vertraut 77 .<br />

In einer Zeit der von uns allen geschätzten Hilfstechniken, die dem Menschen die oft schwere körperliche<br />

Arbeit wohltuend erleichtern, kommt dem handwerklichen Tun für die Entwicklung des<br />

jungen Menschen wichtige pädagogische Bedeutung zu. Beim Schmieden, Schreinern, Schneidern,<br />

Gärtnern usw. lernt der Jugendliche, die Bewegungen des Körpers zu koordinieren. Dadurch erlangt<br />

er Handlungskompetenz, die ihn zunehmend selbstständig macht. Aus diesen Gründen muss<br />

eine menschengerechte Schule die „alten Kulturtechniken“, die Urtätigkeiten des Menschen als<br />

Hilfe zur Selbsthilfe dem Heranwachsenden anbieten. Handgreifliches Lernen und Arbeiten, körperliches<br />

und intellektuelles Tun gestatten eine umfassende Entfaltung und Entwicklung der Anlagen<br />

und Fähigkeiten, welche der Persönlichkeitsbildung ungemein förderlich sind. Aus diesen<br />

Gründen hat in der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> in den Jahrgangsstufen 5 und 6 jeder Schüler als „Profilfach“<br />

die Erziehung in den praktischen Tätigkeiten.<br />

76 Horst Siebert S.36<br />

77 Diese Einsicht formte das erfolgreiche finnische Bildungssystem bereits an der Wurzel im 19. Jhd. „Bis heute sind die<br />

Fächer Werken, Handarbeit, Hauswirtschaft und Gesundheitslehre für alle Schülerinnen und Schüler in der seit den<br />

1970er-Jahren bestehenden <strong>Gemeinschaftsschule</strong> obligatorisch.“ Rainer Domisch: Keine Mythen, sondern fundierte<br />

Schulreformen. Die Lernerfolge finnischer Schüler aus der Perspektive des Finnischen Zentralamts für Unterrichtswesen,<br />

in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Dez09, Volume 12, Issue 4, S.620.<br />

52


6.2.8 Offene Angebote (Neigungsgruppen / Arbeitsgemeinschaften)<br />

Schule als Ort der Persönlichkeitsentfaltung muss sich der jungen Menschen ganzheitlich annehmen.<br />

Diesem Ziel dienen die sechs Stunden offener Angebote, die durch Differenzierung der<br />

Inhalte allen Neigungen und Interessen der Jugendlichen gerecht werden sollen. Deshalb werden<br />

Neigungsgruppen und Arbeitsgemeinschaften mit vielseitigen reinen Wahlangeboten aus verschiedenen<br />

Bereichen angeboten: Sport, Spiel, Theater, weitere Fremdsprachen, Zirkus, Musik,<br />

bildnerisches Gestalten, textiles Werken, musisches Werken, Technik, neue Medien, Natur, Umwelt<br />

und Soziales.<br />

Die Leiter der Neigungsgruppen und der Arbeitsgemeinschaften lenken die jungen Menschen mit<br />

Verständnis, mit Zuneigung, durch Aktivierung, durch Bestätigung. Der Gruppenleiter wirkt dabei<br />

als Vertrauens- und Bezugsperson. Stets wird er die Individualität des Einzelnen beachten und fördern.<br />

In den Gruppen erleben die Heranwachsenden eine besondere Gemeinschaft von Mitschülern<br />

aus parallelen Lerngruppen und verschiedenen Jahrgängen. Sie müssen sich anpassen und<br />

einordnen. Sie finden und pflegen Kontakte, lernen vernünftig und menschlich miteinander umzugehen<br />

und gemeinsam etwas zu erarbeiten und zu spielen.<br />

6.2.9 Das kooperative Lernen<br />

Lehrer und Schüler müssen das Instrumentarium des kooperativen<br />

Lernens erlernen und beherrschen. Wenn die Schüler in<br />

ihrer Zusammenarbeit mit anderen Schülern nach diesem Prinzip<br />

verfahren, wird ihr Vorgehen effizienter und motivierender.<br />

Die Unterrichtsmaterialien in der vorbereiteten Umgebung<br />

werden zum Teil so gestaltet sein, dass sie sich für das kooperative<br />

Lernen eignen. Sie können in den Verfahrensschritten<br />

Denken – Austauschen – Präsentieren bearbeitet werden.<br />

BLICKWENDE<br />

Vom Wettbewerb<br />

zum achtungsvollen<br />

Miteinander<br />

Kooperatives Lernen hat sich in vielen Ländern als eine erfolgreiche Unterrichtsmethode bewährt,<br />

um bei Schülern mit unterschiedlichen Lernfähigkeiten und unterschiedlichen Voraussetzungen<br />

gute Lernergebnisse zu erzielen. Im Unterricht der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> ist deshalb das kooperative<br />

Lernen eine zentrale Methode 78 .<br />

6.2.9.1 Was setzt kooperatives Lernen voraus? Was wird gelernt?<br />

Das kooperative Lernen basiert auf individueller Verantwortlichkeit, positiver Abhängigkeit der<br />

Lernenden untereinander und auf gemeinsamen Gruppenzielen. Voraussetzung für einen optimalen<br />

Gruppenprozess ist, dass alle Gruppenmitglieder den Arbeitsprozess mitvollziehen und sich in<br />

den Lerngegenstand umfassend einarbeiten. Dazu ist eine unmittelbare Interaktion zwischen den<br />

beteiligten Schülern unabdingbar. Sie arbeiten eng und direkt zusammen, lernen voneinander,<br />

entwickeln soziale Kompetenzen durch Zuhören, sich Austauschen und gemeinsames Entscheiden.<br />

78 Zum theoretischen Hintergrund siehe „Eine neue Lernkultur mit Kooperativem Lernen und schüleraktivierendem<br />

Lehren“ von Dr. Michael Fink. Zahlreiche Hinweise finden sich unter www.kooperatives-lernen.de.<br />

53


Im Bereich des fachlichen Lernens hat sich das kooperative Lernen als eine effektive und erfolgreiche<br />

Methode bewährt. Die Ergebnisorientierung durch eine geforderte Präsentation macht den<br />

Lernprozess zielgerichteter und verbindlicher, die Arbeit zusammen mit anderen steigert die Motivation.<br />

Selbst zu lehren ist eine wichtige Methode für erfolgreiches und nachhaltiges Lernen.<br />

6.2.9.2 Wie funktioniert das Kooperative Lernen?<br />

Das Kooperative Lernen wird durch drei Phasen strukturiert:<br />

Denken<br />

im selbstgesteuerten<br />

Lernen<br />

Einzelarbeit an einer<br />

Aufgabe<br />

Ideen zu Lösungen oder<br />

Strategien<br />

Austauschen<br />

in Partnerarbeit oder<br />

Kleingruppen<br />

Darstellung der eigenen<br />

und Verstehen der<br />

anderen Ideen<br />

Diskussion über Inhalte<br />

und Kriterien<br />

Präsentieren<br />

vor der größeren Gruppe<br />

oder Klasse<br />

verbal und medial<br />

Feedback aufnehmen<br />

Ergebnisorientierung<br />

6.2.9.3 Weitere Aspekte des Kooperativen Lernens<br />

Lernen durch Lehren<br />

Das kooperative Lernen bietet den Schülern vor allem in heterogen zusammengesetzten Gruppen<br />

die Gelegenheit, selbst Verstandenes den anderen zu erklären und somit durch Lehren zu lernen.<br />

Wenn leistungsstärkere Kinder anderen Kindern etwas erklären, nutzt das beiden Seiten: Die Kinder,<br />

die noch nicht so weit sind, lernen etwas dazu, und die Kinder, die schon weiter sind, verfestigen<br />

oder erweitern ihr Wissen.<br />

Soziales Lernen<br />

Das Verständnis für die anderen und die Fähigkeit des sozialen Umgangs miteinander werden<br />

beim kooperativen Lernen gestärkt. Die gemeinsame Arbeit mit einem Partner oder mit einer<br />

Gruppe vergrößert die Sicherheit und schafft Motivation für das Lernen. Auf diesem Weg erlangen<br />

Schüler ein Gefühl der Sicherheit und Verlässlichkeit, indem sie tragfähige Verbindungen zu anderen<br />

Menschen aufbauen und mit dem Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe leben und arbeiten.<br />

Unter dieser Prämisse werden alle Beteiligten in die Lage versetzt, sich auch besonderen Anforderungen<br />

zu stellen. Heterogenität wird zur Lernchance.<br />

54


6.3 Hinweise zur Umsetzung: Umgang mit Heterogenität<br />

Jahrzehntelang war der Unterricht in den Klassenzimmern durch die stillschweigende Annahme<br />

geprägt, dass Schüler in homogenen Lerngruppen besser lernen können. Diese Auffassung darf als<br />

widerlegt gelten 79 .<br />

Heinz Klippert, Dozent am Lehrerfortbildungsinstitut der ev. Kirchen in Rheinland-Pfalz und bekannt<br />

durch zahlreiche und von Praktikern viel genutzte Veröffentlichungen zur Unterrichtsmethodik,<br />

hat sich auch der Problematik des Unterrichtens von heterogen zusammengesetzten Schülergruppen<br />

angenommen: Heterogenität im Klassenzimmer. Wie Lehrkräfte effektiv und zeitsparend<br />

damit umgehen können, Weinheim und Basel 2010.<br />

In Vorwort und Einleitung bricht er eine Lanze für Heterogenität; im Teil I beschreibt er die laufende<br />

Kontroverse zu diesem Thema, ehe er in Teil II auf mehr als 160 Seiten darlegt, „wie Lehrkräfte<br />

heterogene Lerngruppen effektiv und zeitsparend ‚managen‘ können“. Darin finden sich konkrete<br />

Hinweise zur Förderung individueller Wahlarbeiten, des kooperativen Lernens, vernetzter Lernaktivitäten<br />

und grundlegender Lernkompetenzen – alles zusammen eine ausgezeichnete Methodenschulung<br />

für die Lehrer, die auf der Basis dieses Gemeinschaftsschulkonzepts arbeiten wollen.<br />

Teil III des Buches befasst sich dann mit notwendigen flankierenden Maßnahmen auf einzelschulischer<br />

und auf bildungspolitischer Ebene. Klipperts Buch bietet also nicht nur einen praktischmethodischen<br />

Werkzeugkasten für den Umgang mit heterogenen Lerngruppen, sondern auch<br />

konkrete Anleitungen für die Schulentwicklung (Schulprogrammarbeit, Lehrerfortbildung, Konferenzarbeit,<br />

Schulmanagement, Elternarbeit u.v.m.). Diese Fragen werden weiter unten in diesem<br />

<strong>Konzept</strong> angesprochen (Kapitel 6).<br />

6.4 Hinweise zur Umsetzung: Das Lernen organisieren<br />

Der Lehrer wäre überfordert, würde man von ihm erwarten all die selbstständigen, individuellen<br />

und partnerschaftlichen Lernprozesse selbst im Auge zu haben, das heißt für jeden Schüler zu planen,<br />

anzuleiten, zu unterstützen und zu beurteilen. Er bedarf dabei der Unterstützung durch geeignete<br />

Instrumente. Weiter oben (Kapitel 0) wurde bereits die Arbeit mit Kompetenzrastern vorgestellt,<br />

die ein beträchtliches Potenzial zur Organisation des Lernens besitzen. Hier nun werden<br />

zwei weitere Möglichkeiten beschrieben, deren erste schon seit Jahren mit guten Erfahrungen<br />

eingesetzt wird, während die zweite sich noch im Entwicklungsstadium befindet.<br />

79 Als Beispiel siehe das Ergebnis der Element-Studie in Berlin 2003-2008, dass Grundschüler in 5/6 vergleichbare Lernfortschritte<br />

erzielen wie Gymnasiasten in 5/6. Ebenso die Erkenntnis John C. Hatties, dass homogenisierte Lerngruppen<br />

einen minimalen Wirksamkeitsfaktor von 0.12 haben. Dazu kommt die auf PISA-Ergebnisse gestützte Einsicht,<br />

dass die Segregation der Schüler nicht entlang von Leistungskurven, sondern nach sozialen Linien erfolgt. Dazu<br />

lese man die Werke des Schweizer Kinderarztes Remo Largo, der gezeigt hat, dass es aufgrund der Verschiedenartigkeit<br />

kindlicher Charaktere und Entwicklungsgeschwindigkeiten prinzipiell keine leistungshomogene Lerngruppe<br />

geben kann – und ganz sicher nicht nach den gängigen Ausleseverfahren.<br />

55


Bewährtes Instrument: Logbücher<br />

Unter dem Begriff „Logbuch“ werden an dieser Stelle alle Organisationsformen zusammengefasst,<br />

die dem Schüler helfen sein eigenes Lernen zu reflektieren. Dies geschieht in der einfachsten Form<br />

als Arbeitsvorgabe und –nachweis in Gestalt von Wochenplänen, kann jedoch zunehmend an<br />

Komplexität gewinnen durch Selbsteinschätzungen, die in Lerntagebüchern festgehalten werden<br />

oder durch strukturierte Sammlungen eigener Produkte in Portfolios. Ihre Vollform erreichen diese<br />

Instrumente, wenn sie sich mit Zielvorgaben oder Kompetenzrastern verbinden. Als Beispiel mögen<br />

die Logbücher der Evangelischen Schule Berlin-Zentrum dienen, die mittlerweile so ausgestaltet<br />

sind, dass sie auch Rechte und Regeln, Fahrpläne, Stunden- und Ferienpläne enthalten. Die<br />

Schule erlaubt dankenswerter Weise den freien Download ihres Logbuches 80 .<br />

Neues Instrument: Lernplattformen<br />

Es gibt mittlerweile auch Ansätze, die gedruckte Form des Logbuches durch die Möglichkeiten<br />

elektronischer Lernplattformen zu ersetzen und zu ergänzen. Die beiden dem Verfasser bekannten<br />

Instrumente stammen bezeichnender Weise aus der Schweiz, Es handelt sich dabei um den „edu-<br />

Profiler“ 81 und die „Webbasierte Schulplattform S i L“.<br />

Letztere ist im Internet gut dokumentiert, deshalb kann hier kurz beschrieben werden, was sie<br />

leistet: Die Schulplattform S i L besteht aus 13 Modulen, deren Herzstück die „Bibliothek“ bildet;<br />

das sind die oben erwähnten Kompetenzraster. Aus diesen werden nach Fächern, Kompetenzen<br />

und Leistungsniveaus geordnet die „Lernjobs“ abgeleitet, welche in einem „Arbeitsplan“ münden.<br />

In einer „Agenda“ vereinbaren die Lehrer mit den Lernenden Termine für Unterrichtssequenzen,<br />

Gespräche und Gruppenarbeiten und geben später ihre „Beurteilung“ dazu ab. Diese sind transparent<br />

und können von Schülern und Eltern eingesehen werden. Aus den Beurteilungen erlaubt eine<br />

„Notenverwaltung“ die „Zeugniserstellung“. Die SiL-Plattform ist darüber hinaus mit dem schulischen<br />

Nachrichtenwesen verbunden; es können über sie also auch Mitteilungen verfasst, Absenzen<br />

gemeldet und Unterrichtsbefreiungen erteilt werden. Ebenso erlaubt sie den Lehrern die Protokollierung<br />

von Elterngesprächen und das Abfassen von Notizen und Festhalten von Beobachtungen.<br />

Die Bertelsmann-Stiftung dokumentiert diese Plattform in einer „Toolbox“, die eine Fülle weiterer<br />

Anregungen und Materialien bietet 82 .<br />

6.5 Exemplarischer Wochenstundenplan<br />

Beispiel für die Differenzierungs- und Beratungsphase<br />

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, eine sinnvolle Wocheneinteilung für eine Ganztagsschule zu denken.<br />

Das folgende Beispiel für eine Lerngruppe der Stufe 7/8 dient dazu, die Stunden der Stundentafel<br />

nachzuweisen und eine von vielen Möglichkeiten zu illustrieren; es ist keinesfalls als Fest-<br />

80 http://www.ev-schule-zentrum.de/fileadmin/zentrum/Service_Zentrum/Downloads_Zentrum/9er_Logbuch.pdf<br />

81 www.eduprofiler.ch<br />

82 http://www.toolbox-bildung.de/Materialien.1202.0.html?&MP=1193-1300.<br />

56


schreibung zu verstehen. Exemplarische Wochenstundenpläne für die anderen Phasen finden sich<br />

im Anhang.<br />

Wochenstundenplan einer Lerngruppe 7/8<br />

Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag<br />

1 Morgenkreis Englisch Mathe Deutsch Englisch<br />

2 Deutsch Mathe Geschichte Mathe Deutsch<br />

3 Englisch Deutsch Geschichte Englisch Mathe<br />

Pause<br />

4 Biologie Kunst/Musik Physik Religion/Ethik Sport<br />

5 Biologie Kunst/Musik Physik Religion/Ethik Abschlusskreis<br />

Mittagsfreizeit mit Angeboten<br />

6 IT Profil Profil Kunst/Musik Wahlfach<br />

7 IT Profil Wahlfach Kunst/Musik Wahlfach<br />

8 Sport Profil Wahlfach Sport Wahlfach<br />

Selbstgesteuertes<br />

Lernen SegeL (8)<br />

Vernetzter Unterricht<br />

(10)<br />

Wahlfach (5)<br />

Pflicht: 35 WStd.<br />

Fachunterricht (11) Profil (4) Kreise (2) Gesamt: 40 WStd.<br />

6.5.1 Erläuterungen<br />

Die Farben repräsentieren die Bereiche, die im Kapitel 6.2 erläutert wurden. Die Zuordnung der<br />

Fächerbezeichnungen zu diesen Bereichen erfolgt nur aus Gründen der Verdeutlichung. Es handelt<br />

sich um den Versuch, traditionelle Fachbezeichnungen mit einem neuen pädagogischen Denken zu<br />

vereinigen, was nicht abschließend möglich ist und immer zu Missverständnissen Anlass sein kann.<br />

Um ein Beispiel zu geben: In Mathematik wird ein neues Thema in einer gebundenen Phase eingeführt<br />

(Fachunterricht), und anschließend individuell geübt, vertieft und weitergeführt (SegeL).<br />

Sachthemen, die vernetzt dargeboten werden, bieten immer wieder auch Ansatzpunkte für differenzierende<br />

mathematische Überlegungen (Vernetzter Unterricht). Das bedeutet, Mathematik ist<br />

nicht auf SegeL oder Fachunterricht oder Vernetzten Unterricht beschränkt, sondern wird jeweils<br />

so gelernt, wie es aus fachlichen Gründen und zur Differenzierung und Individualisierung notwendig<br />

ist. Damit ist keine Beliebigkeit beschrieben: Jedes Kollegium erarbeitet auf der Grundlage der<br />

Bereiche die eigenen schulischen Grundsätze und Schwerpunkte.<br />

Es wird darauf hingewiesen, dass die 34 verbindlichen Wochenstunden plus sechs Stunden im Bereich<br />

der offenen Angebote der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> problemlos eine quantitative Erfüllung der<br />

Stundentafeln der Mittelschule (30+2), Realschule (30+2) und des Gymnasiums (30-34) ermöglichen.<br />

Genaueres zeigt der Vergleich der Stundentafeln im Anhang. Die qualitative Erfüllung der<br />

57


verschiedenen Lehrpläne obliegt dem Kollegium, welches dafür Sorge trägt, dass die subjektiven<br />

Lern- und Entwicklungsziele der Schüler mit den objektiven Vorgaben der jeweiligen Schulart optimal<br />

verbunden werden. Eine Synopse der Stundentafeln und weitere Stundenpläne für die Entwicklungsstufen<br />

5/6 und 9/10 sind im Anhang abgedruckt.<br />

Man erkennt, dass die äußere Differenzierung in den Jahrgangsstufen 7 und 8 auf vier notwendige<br />

Stunden begrenzt ist; darüber hinaus stehen den Schülern bis zu fünf Wochenstunden ihrer Wahl<br />

zur Verfügung. Im Anhang kann die Synopse der Stundentafeln nachgelesen werden.<br />

Damit stellt sich aber auch bereits die Frage nach den Möglichkeiten der inneren Differenzierung 83<br />

im Grundunterricht: Wie kann man die schwachen und die starken Schüler gleichermaßen fördern?<br />

6.5.2 Innere Differenzierung<br />

Es muss davon ausgegangen werden, dass sich die Schüler schon ab Jahrgangsstufe 5 im Lerntempo,<br />

in der Motivation, in der Auffassungsgabe und in der Arbeitshaltung unterscheiden. Von daher<br />

muss die innere Differenzierung von Anfang an Unterrichtsprinzip sein. Dazu eignen sich die folgenden<br />

komplementären Modelle:<br />

• Gleichschrittiger Input + differenzierte Übungsphasen<br />

auf unterschiedlichen Niveaus ist nicht nur im Vernetzten,<br />

sondern auch im Fachunterricht möglich. Die Differenzierung<br />

geschieht durch die Aufgabenstellung im<br />

Material oder über Arbeitsblätter/ Wochenpläne. Die<br />

Betreuung durch einen einzigen Lehrer ist möglich, aber<br />

nicht zu empfehlen.<br />

BLICKWENDE<br />

Vom gegebenen<br />

Zeitraster zur<br />

Eigenzeit des<br />

Kindes<br />

• Projekte: Hier arbeiten die Schüler ganz natürlich auf<br />

unterschiedlichen Niveaus. Von daher muss das Arbeiten in Projekten von Anfang an vor allem<br />

den Lehrern nahe gelegt werden.<br />

• Differenzierter Input bezieht sich auf (nach Interesse, Leistung, Methode etc.) vorsortierte<br />

Kleingruppen oder Individuen.<br />

• Individualisierung geht am besten im SegeL und setzt die Anwesenheit mindestens einer<br />

weiteren Lehrkraft voraus.<br />

• Dass Schüler (als Tutoren) sich gegenseitig helfen, ist sehr gewünscht (in Klipperts Augen<br />

auch die einzige Möglichkeit um Heterogenität zu bewältigen 84 ), nach einer neuen und<br />

83 Außer nach Leistung gibt es Differenzierungen nach Neigung, nach Lernstilen und -wegen, nach Zielen, nach Ansprüchen<br />

und in einem Wahlpflichtbereich. Die Kriterien, nach denen eine Differenzierung vorgenommen wird, orientieren<br />

sich an den Leistungsmöglichkeiten des Schülers, an den organisatorischen Möglichkeiten der Schule und des<br />

Lehrers, an der Gruppendynamik und den kooperativen Möglichkeiten in der Klasse. Schließlich stellt sich noch die<br />

Frage nach der Flexibilität einer Differenzierung: Für wie lange legt sie die Kooperationsformen fest – für eine Unterrichtsstunde,<br />

für eine Phase/Epoche oder für ein ganzes Semester/Schuljahr?<br />

84 Klippert, Heinz, Heterogenität im Klassenzimmer, Weinheim und Basel 2010.<br />

58


sehr umfassenden Studie sehr erfolgreich 85 , muss aber selbst bei willigen Schülern angeleitet<br />

und eingeübt werden, also mit Beginn der Jgst. 5. Wenn diese Kompetenz vorhanden<br />

ist, unterstützt sie die Differenzierung in jedem Bereich.<br />

• Individuelle Module: Für jeden Schüler wird für ein Schuljahr ein Bildungsplan erstellt,<br />

der die Unterrichtseinheiten enthält, die der Schüler absolvieren muss, um seine Ziele zu<br />

erreichen. Dieser Plan ist in dem Dreieck Lehrer – Schüler – Eltern abgestimmt.<br />

6.5.3 Lehrerkompetenzen<br />

Können die Lehrer dies alles leisten? Welche fachlichen und pädagogischen Kompetenzen müssen<br />

hier veranschlagt werden? Es ist selbstverständlich, dass Lehrkräfte von Anfang an in ihre neue<br />

Rolle eingeführt und auf die pädagogischen Lernformen gut vorbereitet werden müssen. Der Fortbildung<br />

muss deshalb entsprechender Raum gegeben werden.<br />

Fachkompetenz<br />

Ihre Fachkompetenz haben die Lehrer in ihren Studienfächern erworben. Sie wird auch in der <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

eine große Rolle spielen. Die neue Rolle des Lernbegleiters wird aber dazu führen,<br />

dass in bestimmten Lernzeiten (z.B. SegeL oder Projektunterricht) die Schüler auch „fachfremd“<br />

begleitet werden. Die Schulleitung muss sicherstellen, dass die Lehrerteams aus Lehrkräften<br />

aller Schularten und Fachlichkeiten zusammengesetzt sind.<br />

Pädagogische Kompetenz<br />

Hier gilt die Voraussetzung, die schon häufiger zur Sprache kam: Mit dem pädagogischen Paradigmenwechsel<br />

geht die Aufgabe einher, die Lehrer in der grundsätzlich anderen Haltung auszubilden;<br />

also im SegeL, im Projektlernen, im kooperativen Lernen, in der Organisation von Differenzierung<br />

und Individualisierung. Sehr instruktive Hinweise dazu finden sich in der Fachliteratur 86 .<br />

Zur Konkretisierung sei noch einmal auf Klippert verwiesen, der vier zentrale Ansatzpunkte für das<br />

Arbeiten mit heterogenen Lerngruppen identifiziert 87 :<br />

a) Wahldifferenziertes individuelles Arbeiten<br />

b) Förderung kooperativer Lernabläufe<br />

c) Handlungsbetonte Lernverfahren<br />

d) Stärkung der individuellen Lernkompetenz.<br />

85 Die nach ihrem Verfasser benannte „Hattie-Studie“ hält das cross-age tutoring für eine sehr effektive Unterrichtsmaßnahme:<br />

Hattie, John: Visible Learning. A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement, London<br />

und New York 2009, S.257.<br />

86 Zum Beispiel in Cindy und Martin Herold: Selbstorganisiertes Lernen in Schule und Beruf, Weinheim und Basel 2011.<br />

87 a.a.O. S. 94ff<br />

59


7 Die Eltern an der <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen.<br />

Augustinus Aurelius<br />

7.1 Eltern als aktiver Teil der Schulgemeinde<br />

Die Einbindung der Eltern in das Schulleben und die enge Kooperation zwischen Schule und Elternhaus<br />

ist die Grundlage für Erziehung und Lernen. Nur ein Kind, das spürt, dass die erziehenden<br />

Eltern und Pädagogen gemeinsam für sein Wohl tätig sind, wird sich effektiv und nachhaltig entwickeln<br />

können.<br />

In der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> gelten die in der Schulordnung festgelegten Formen der Mitwirkung<br />

für Eltern genau wie an anderen Schulen. Darüber hinaus schließen die Eltern mit der Schule eine<br />

Vereinbarung, die Transparenz und Verlässlichkeit auf beiden Seiten schafft: Die Eltern können<br />

sich auf das verlassen, was von der Schule als Unterstützung geboten wird. Andererseits signalisieren<br />

die Eltern ihr Interesse am Lern- und Entwicklungsprozess ihrer Kinder und setzen sich für die<br />

häusliche Begleitung der schulischen Arbeit ein. Wenn Gegebenheiten zuhause die Entwicklung<br />

des Kindes behindern, informieren die Eltern die Schule.<br />

Die Schule informiert die Eltern regelmäßig über die Stärken und Schwächen des Kindes und<br />

macht Entscheidungen über die Schullaufbahn transparent. Die Lehrer und Sozialpädagogen helfen<br />

den Eltern durch Beratung bei der Erziehung; dies kann nur gelingen, wenn auf beiden Seiten<br />

Offenheit und Vertrauen aufgebaut werden. Die oben erwähnten Formen der Leistungsrückmeldung<br />

sind dabei geeignete Informationsunterlagen.<br />

Die Eltern sind - wie die Schüler, die Schul- und Sozialpädagogen, alle sonstigen Mitarbeiter sowie<br />

die engsten Partner der Schule - Teil der Schulgemeinde der <strong>Gemeinschaftsschule</strong>. Es wird erwartet,<br />

dass sie bei der Entwicklung und Umsetzung des Schulprogramms aktiv mitarbeiten; dabei ist<br />

vor allem ihre Verbundenheit zur Region und zum außerschulischen Umfeld in der Heimatgemeinde<br />

von großer Bedeutung. Dazu kann auch der Aufbau bzw. die Vermittlung von Kontakten zwischen<br />

der Schule und externen Partnern gehören. Das Schulleben wird maßgeblich von Eltern mitgetragen.<br />

Das bedeutet im Interesse der eigenen Kinder eine Unterstützung der Schule durch einen<br />

aktiven Einsatz in den Schulgremien, gegebenenfalls in Projektgruppen sowie bei Festen und<br />

Feiern. Dieser Einsatz signalisiert den Kindern das Interesse ihrer Eltern an dem Ort, an dem sie<br />

selbst viele Stunden ihrer Woche verbringen.<br />

Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus bedeutet, dass man gemeinsam Gestaltungsaufgaben<br />

angeht, aber auch bei Konflikten das direkte Gespräch mit den Pädagogen und der Schulleitung<br />

sucht. So entsteht auf Dauer eine positive Identifikation der Kinder und Jugendlichen mit ihrer<br />

Schule. Die Schule verpflichtet sich, die Eltern in geeigneter Form (Elternbrief, Newsletter, Informationsplattform<br />

auf der Homepage o.ä.) regelmäßig über Aktivitäten zu unterrichten 88 .<br />

88 Es wurde weiter oben (Kapitel 6.4) bereits darauf hingewiesen, welche ausgearbeiteten Web-Plattformen existieren,<br />

die diese Kommunikation leisten und erleichtern können.<br />

60


7.2 Elternseminare zu den Strukturelementen<br />

Die Eltern müssen wissen, warum was und wie in der neuen Schule gearbeitet wird. Sie müssen<br />

genaue Kenntnis haben über das, was auf ihre Kinder zukommt. Schließlich müssen sie hinter der<br />

<strong>Konzept</strong>ion der Schule stehen, ja, sie müssen sich mit ihr identifizieren. Sie müssen zu kompetenten<br />

Eltern werden. Dafür durchlaufen sie ein Elternseminar, das ihnen theoretisch und praktisch<br />

Einblicke in die Arbeit der neuen Schule zeigt. Schule und Elternhaus ziehen in die gleiche Richtung.<br />

Das Elternseminar könnte so aussehen, dass – vor allem in der Anfangszeit – einmal wöchentlich<br />

an einem Abend jeweils ein Strukturelement im Blickpunkt steht: Anthropologie, Klassenkreis,<br />

selbstgesteuertes Lernen, vernetzter Unterricht, Fachunterricht, kooperatives Lernen, Ganztagsschule<br />

usw. Nach einer kurzen theoretischen Einführung erleben die Eltern unter Begleitung<br />

eines Lehrers praktische Beispiele in einem Lerngruppenraum. Sie schlüpfen gewissermaßen in die<br />

Rolle ihres Kindes. Neben dem Elternseminar existiert eine „Elternschule“, die es sich zur Aufgabe<br />

macht, regelmäßig Vorträge zu einzelnen aktuellen Erziehungsfragen zu veranstalten. Durch die<br />

Einbindung vieler Pädagogen und Eltern, wird die Schule als Gemeinschaft und Lebensraum aller<br />

Beteiligten erfahren 89 .<br />

89 Bausteine zu handlungsorientierten Elternabenden finden sich hier: http://www.toolbox-bildung.de/Handlungsorientierte_Elternabende.221.0.html?&tx_jppageteaser_pi1[backId]=1270;<br />

zu Eltern-Methodentrainings hier:<br />

http://www.toolbox-bildung.de/Elternseminare_zum_Methodentraining.1302.0.html?&tx_jppageteaser<br />

_pi1[backId]=1273.<br />

61


8 Die Verankerung der <strong>Gemeinschaftsschule</strong> in den Heimatgemeinden<br />

If we want the world to improve, then we will need schools that learn.<br />

Fifth Discipline Fieldbook 90<br />

Schule und Gemeinde bilden ein sehr komplexes Miteinander, das bedacht werden muss, wenn<br />

von „Schulentwicklung“ die Rede ist. Die folgende Grafik zeigt einige Aspekte dieses Beziehungsgefüges<br />

91 .<br />

Gesellschaft<br />

Klasse<br />

Schule<br />

Gemeinde<br />

© Roland Grüttner<br />

Die „Wände“ in dieser Grafik hat man sich als durchlässig vorzustellen. Zu einer selbst lernenden<br />

kann eine Schule nicht werden, wenn die einzelnen Lehrer ihre Klassenzimmertüren fest geschlossen<br />

halten und keinen kollegialen Austausch pflegen. Auch der Schulleiter darf nicht nur zu einem<br />

Beurteilungsbesuch das Klassenzimmer betreten, sondern häufiger zum Zwecke der Evaluation:<br />

Solche Besuche zeigen ihm, welche Schritte zur Verbesserung angeraten sind, ob es um die materielle<br />

Ausstattung geht, die Disziplinierung schwieriger Schüler oder die fachlichen Fähigkeiten des<br />

Kollegen. Auch sollten die Zeiten eigentlich vorbei sein, in welchen die Eltern nur einen sehr begrenzten<br />

Einblick in das System Schule erhielten und ihre Kompetenzen immer nur dann gefragt<br />

waren, wenn es um das Kuchenbacken oder die Organisation von Schulfesten ging. Eltern sind<br />

unverzichtbare Erziehungspartner, das war die Kernaussage des vorigen Kapitels.<br />

90 “Wenn wir die Welt verbessern wollen, brauchen wir lernende Schulen“. Senge, Peter u.a.(Hg): Schools that learn. A<br />

fifth discipline fieldbook for educators, parents, and everyone who cares about education, London 2000, S.4. Die<br />

weiteren Überlegungen und Grafiken in diesem Kapitel verdanken sich den Anregungen aus dem Fieldbook.<br />

91 Die Grafik folgt den Ausführungen des Fieldbooks; man erkennt darin die fünf Systemebenenen nach Heinz Rosenbusch,<br />

des ehem. Leiters der Forschungsstelle Bildungsmanagement der Universität Bamberg.<br />

62


Um die obige Grafik nicht weiter zu verkomplizieren, wurde der übergreifende Bereich der Gesellschaft<br />

nur genannt, nicht ausgeführt. Dessen Einflüsse auf die Schule und alle Akteure bis hin zum<br />

einzelnen Schüler werden deutlich, wenn man bedenkt, wie stark sich (informell) die neuen Medien,<br />

Moden, der Unterhaltungssektor oder aktuelle Ereignisse auswirken oder (formell) die staatlichen<br />

Vorgaben zu Unterricht und Schule.<br />

Die Beziehung besteht allerdings nicht in einer Einbahnstraße, die nur von außen nach innen führt.<br />

Die Wirkung geht auch vom einzelnen Schülern durch alle Ebenen bis ganz hinaus, wenn man sich<br />

vor Augen hält, dass es eben die Schüler sind, welche die kommende Gemeinde und Gesellschaft<br />

bilden und tragen werden. Es hängt von der Qualität der Schüler und ihrer Beziehungen ab, welche<br />

Qualität das Gemeinwesen in Zukunft bestimmen wird. Schon allein von daher sollte eine Gemeinde<br />

allergrößten Wert auf die Erziehung und Bildung der Kinder und Jugendlichen legen und<br />

sie auch im eigenen Interesse optimal versorgen, betreuen, schulen und erziehen. Sie sind im eigentlichen<br />

Sinne „systemrelevant“, denn sie tragen das Gesellschaftssystem der nächsten Generation.<br />

Von daher sind sie alle Investitionen wert.<br />

Welche Möglichkeiten gibt es nun für eine engere Verknüpfung von Schule und Gemeinde zum<br />

Wohl der Kinder? Hierzu ein paar konkrete Hinweise:<br />

8.1 Hinweise zur Umsetzung: Lernpartner finden<br />

Erster Schritt: Bestandsaufnahme<br />

Das Kollegium sammelt alle Einfälle zu Personen und Einrichtungen der Gemeinde, die die Schule<br />

mit Rat und Tat oder Finanzen unterstützen könnten oder die in irgendeiner Weise wichtig für die<br />

Kinder sind. Umgekehrt macht man auch eine Stichwortsammlung zu der Frage: Für wen ist unsere<br />

Schule wichtig? Das kann für den Schreibwarenladen oder Kiosk in der Nähe ebenso gelten wie für<br />

ein Busunternehmen oder die Betriebe, Vereine und Kirchen am Ort. Die so entstehende Liste wird<br />

immer länger mit je mehr Menschen man sie bespricht.<br />

Zweiter Schritt: Priorisieren und Kontakt aufnehmen<br />

Anhand folgender Leitfragen entstehen drei neue Listen:<br />

- Qualität: Mit welcher Person oder Einrichtung auf der Liste gibt es bereits gute Erfahrungen?<br />

- Wichtigkeit: Welche Personen oder Einrichtung auf unserer Liste verrichtet Tätigkeiten, die für<br />

unsere Schüler besonders wichtig sind?<br />

- Zugang: Mit wem gibt es bereits persönliche Verbindungen oder sind diese am leichtesten zu<br />

arrangieren?<br />

63


Nun gibt es vermutlich Personen und Einrichtungen, die auf allen drei Listen auftauchen. Das sind<br />

die, mit denen die Schule die ersten gemeinsamen Projekte anvisieren sollte 92 . Wir betrachten<br />

exemplarisch die in <strong>Arzberg</strong> möglichen Partner aus Wirtschaft und Kultur.<br />

8.2 Lernpartnerschaft mit der lokalen und regionalen Wirtschaft<br />

Die Verbindung zwischen <strong>Gemeinschaftsschule</strong> und dem Selbstverständnis und der Geschichte des<br />

eigenen Ortes ist ebenso wichtig wie die zur regionalen Wirtschaft. Die Schule muss Schüler ausbilden<br />

und erziehen, die sich mit ihrem Geburtsort identifizieren und in den heimischen Betrieben<br />

eine qualifizierte und hochwertige Ausbildung erfolgreich durchlaufen können. Für die Gemeinde<br />

ist es ebenso wie für die ansässigen Betriebe und Dienstleister wichtig, Auszubildende zu bekommen,<br />

die Verbundenheit mit dem Heimatort haben. Umgekehrt sind Orte, die keine Sekundarschule<br />

mehr haben, für Arbeitgeber zunehmend unattraktiv. Gäbe es nach der Grundschule keine weiterführende<br />

Schule mehr am Ort, wäre dies ein großer Verlust.<br />

Für die Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft gibt es zahlreiche bewährte Formen, die durch<br />

formelle Kooperationsvereinbarungen 93 noch verbindlicher gestaltet werden können. Um nur einige<br />

Beispiele zu nennen:<br />

• Unterstützung beim Aufbau und der Arbeit einer Schülerfirma,<br />

• Einsatz von Experten im Unterricht,<br />

• Aufbau eines Berufsinformations- oder Berufsausbildungsmarktes,<br />

• Teilnahme von Firmenpartnern bei einem Planspiel Bewerbungsgespräch,<br />

• Anlaufstellen für Praktika<br />

• Projekte der Nachbarschaftshilfe.<br />

Für all dies und noch mehr stehen die Betriebe, Geschäfte und Dienstleister erfahrungsgemäß<br />

gern und auch aus eigenem Interesse zur Verfügung. Sie engagieren sich in den und für die Schulen<br />

am Ort auch aus dem Grund, dass sie ihren Beitrag dazu leisten wollen, den Schülern zeitig die<br />

sozialen und personalen Kompetenzen zu vermitteln, welche diese in der Lebens- und Berufswelt<br />

benötigen („Schlüsselqualifikationen“). Weitere sehr anregende Projektideen finden sich im Internet<br />

94 .<br />

8.3 Lernpartnerschaft mit der lokalen und regionalen Kultur<br />

Einen passenden Übergang vom wirtschaftlichen zum kulturellen Bereich findet man in <strong>Arzberg</strong><br />

durch die Zeche, alte Mühlen und das Porzellanmuseum. Diese sind geschichtsbezogene Zeugen<br />

der Wirtschaft und zugleich explizite Bildungseinrichtungen. Hier lernen die Schüler etwas über<br />

92 Dies alles in ausführlicher Beschreibung im Fieldbook S.467ff.<br />

93 Dazu findet sich ein Muster im Anhang.<br />

94 Neben dem Projekt „Lebensplanung“ auch noch andere in der bereits erwähnten Toolbos der Bertelsmann-Stiftung:<br />

http://www.toolbox-bildung.de/Projekt_LEBENSPLANUNG.1057.0.html?&tx_jppageteaser_pi1[backId]=1269<br />

64


das Wachsen und Werden seit der Stadtgründung 1408. Die Geschichte des Eisenerzbaus bietet<br />

mit ihren geologischen, sozialen und technischen Aspekten ebenso viele Anknüpfungspunkte für<br />

vernetzten Unterricht wie die Herstellung von Porzellan oder die Kunststoffverarbeitung.<br />

Jede Gemeinde verfügt über einen kulturellen Reichtum in den Kirchen und Vereinen, den sich die<br />

Lehrer für ihren Unterricht zunutze machen können. In <strong>Arzberg</strong> finden sich eine Sing- und Musikschule,<br />

eine Stadtbücherei, die Volkshochschule, der Bund Naturschutz, der Sechsämter Sängerbund,<br />

ein Fotoclub, Schützen, Kegler, Tennis- und Tischtennisspieler, Turner, Fußballer, Faustballer<br />

und der Christliche Verein Junger Menschen, um nur einige zu nennen. Gemeinsame Veranstaltungen<br />

mit den jeweiligen Jugendorganisationen, Projektwochen unter Beteiligung von Eltern und<br />

Handwerkern, Ringen um Erziehung in öffentlichen Veranstaltungen – der Phantasie sind keine<br />

Grenzen gesetzt, wie Schule und Gemeinde aufeinander zugehen können. Zur Erlangung sozialer<br />

Kompetenzen ist der Bereich Schule allein zu eng. Schule muss herauskommen und mit den Menschen<br />

am Ort leben und sich entwickeln.<br />

8.4 Lernpartnerschaft im Ganztagsunterricht<br />

Die verunglückte Einführung des G8 hat dazu geführt, dass Eltern,<br />

Schüler und Vereine den weiterführenden Schulen mit<br />

dem begründeten Verdacht begegnen, sie würden zugunsten<br />

einer ausufernden Beschulung den Schülern zu viel von ihrer<br />

Freizeit nehmen. Dies umso mehr, wenn Schule sich mit einem<br />

gebundenen Ganztagsbetrieb verbindet. Mit anderen Worten:<br />

Ein Ganztagsbetrieb, der nur ein verlängerter Vormittagsunterricht<br />

ist und weder Rhythmisierung noch ganzheitliche Angebote<br />

bereithält, stiehlt den Schülern die Entwicklungsmöglichkeiten,<br />

die sie sonst in ihrer Freizeit wahrnehmen würden.<br />

BLICKWENDE<br />

Von der Schule<br />

als Solitär zum<br />

gesellschaftlichen<br />

Ort<br />

Dies ist jedoch das genaue Gegenteil des Selbstverständnisses der <strong>Gemeinschaftsschule</strong>: Sie zielt<br />

mit ihrem gesamten Unterricht auf eine starke Verknüpfung mit der lokalen und kommunalen<br />

Struktur. Es heißt dann nicht (mehr): Unterricht statt Musikschule oder Nachmittagskurse statt<br />

Sportverein oder Schule statt Familie. Sondern die <strong>Gemeinschaftsschule</strong> öffnet sich zur Gemeinde<br />

und ihren Vereinen. Sie holt die Eltern in die Schule. Sie versteht sich nicht nur als Einrichtung zur<br />

Weitergabe von Wissen durch Lehrer an Schüler, sondern als Einrichtung, die Erfahrung und Lernen<br />

ermöglichen will, auch und gerade innerhalb der Heimatgemeinde. Die Grenzen setzt dabei<br />

nur die eigene Vorstellungskraft. 95<br />

Eine enge Zusammenarbeit mit der Sing- und Musikschule ist deshalb naheliegend. Im Rahmen<br />

dieser Kooperation kann es den Schülern ermöglicht werden, zahlreiche Musikinstrumente im<br />

Kleingruppen- oder Einzelunterricht zu erlernen – von Klavier und Akkordeon über Gitarre und<br />

andere Saiteninstrumente, verschiedene Blasinstrumente bis hin zum Schlagzeug; die Strukturen<br />

95 Man muss sich nur umsehen um vielfältige und zahlreiche Ansätze dafür zu erkennen. Als Anregung dienen die erfolgreichen<br />

<strong>Konzept</strong>e der Evangelischen Schule Berlin Zentrum, die in dem Buch von Margret Rasfeld und Peter<br />

Spiegel beschrieben werden. Vgl. die Website http://www.ev-schule-zentrum.de/.<br />

65


dafür sind vorhanden, deshalb sollten sie auch schulisch genutzt werden. Für die Bezahlung von<br />

Instrumentalunterricht durch externe Lehrer und für die Hilfe bei der Beschaffung eines Instruments<br />

ist das finanzielle Engagement der Eltern gefragt. Es ist aber auch unabdingbar, für bedürftige<br />

Schüler ein Sponsorensystem aufzubauen.<br />

In ähnlicher Weise können schulische Ganztagsangebote in Kooperation mit den örtlichen Sportvereinen<br />

durchgeführt werden. Es gibt keinen Grund für die Vereine, durch die Ganztagsschule ein<br />

Fernbleiben der Schüler zu befürchten; sie bietet ihnen vielmehr zahlreiche neue Anknüpfungspunkte.<br />

Der traditionelle Kunst- und Musikunterricht in zwei Schulstunden pro Woche bleibt oft in seinen<br />

Ergebnissen für Eltern und Öffentlichkeit verborgen. Der projektorientierte Ansatz der <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

ermöglicht es, den musischen – wie auch den sonstigen – Unterricht so zu gestalten,<br />

dass am Ende einer Unterrichtsphase ein von den Schülern gestaltetes Kultur- oder Werkprodukt<br />

entsteht, das Mitschülern, Eltern und Öffentlichkeit präsentiert wird. In den Klassen, klassenübergreifend<br />

oder in speziellen Projektgruppen werden Projekte verschiedenster Art erarbeitet. Sie<br />

könnten an einer Art „Kulturtag“ der Gemeinde präsentiert werden.<br />

8.5 Der Kulturtag der <strong>Gemeinschaftsschule</strong><br />

An einem „Kulturtag“ werden die Ergebnisse des Unterrichts ein bis zweimal pro Jahr präsentiert.<br />

Zur Vorbereitung werden mehrere Projekttage vorgeschaltet. Es können ganzheitliche Projekte<br />

wie Theaterstücke entstehen, es sind aber auch Musikaufführungen, Kunstausstellungen, szenische<br />

Lesungen, technische Projekte oder eine Kombination verschiedener Bereiche möglich. Die<br />

Organisation der Präsentationen und die Werbung für die Projekte beim Publikum sind Bestandteil<br />

der Aufgaben für die Schüler.<br />

Die Vorstellungen der Ergebnisse motivieren die Schüler und machen sie stolz. Sie lernen kulturelle<br />

und technische Betätigung als eine Bereicherung in ihrem Leben wahrzunehmen. Auch die Eltern<br />

werden durch Mitwirkung bei den Projekten und/oder die Teilnahme an diesen Veranstaltungen<br />

und durch die Freude an den Aktivitäten ihrer Kinder in ganz anderer Weise in das Schulleben eingebunden,<br />

als es durch die üblichen Elternabende und Elternsprechtage geschieht. Sie erleben ihre<br />

Kinder in einer ganz anderen Rolle. Es wird nicht über die Kinder gesprochen, sondern die Kinder<br />

sind die Handelnden. Die Verbindung zwischen Eltern und Schule wird auf ein positiv erfahrbares<br />

Fundament gestellt. Fühlen sich die Schüler an der Schule gut, so sind sie motiviert und erreichen<br />

Leistungen, die auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Dann können sich die Bürger<br />

mit der Schule identifizieren und stolz auf sie sein.<br />

66

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