Kinder psychisch kranker Eltern - gesund-in-ooe.at
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HUMAN Frühl<strong>in</strong>g 2013<br />
„Mama ist so komisch.“<br />
Was ist mit Mama los? <strong>Eltern</strong> mit <strong>psychisch</strong>en Erkrankungen s<strong>in</strong>d für ihre <strong>K<strong>in</strong>der</strong> oft nicht greifbar, ihr Verhalten ist nicht nachvollziehbar.<br />
Wenn <strong>Eltern</strong> <strong>psychisch</strong> erkranken, leiden die <strong>K<strong>in</strong>der</strong><br />
darunter. Sie wissen nicht, was mit Mutter oder V<strong>at</strong>er<br />
los ist, können sich oft niemandem anvertrauen und<br />
reagieren nicht selten mit körperlichen Symptomen<br />
und auffälligem Verhalten.<br />
Dr. Kar<strong>in</strong> Kaiser,<br />
Ass.-Ärzt<strong>in</strong><br />
für <strong>K<strong>in</strong>der</strong>- und Jugendpsychi<strong>at</strong>rie,<br />
Kl<strong>in</strong>ikum<br />
Wels-Grieskirchen<br />
Wird es Mama heute aus dem Bett<br />
schaffen? Ist Papa lieb oder wird er<br />
ausrasten? Redet Mama wieder komische<br />
Sachen? Ist Papa gut drauf<br />
oder unansprechbar? Depressionen,<br />
Persönlichkeitsstörungen, Suchterkrankungen,<br />
Psychosen, Angst- und<br />
Zwangsstörungen: Bekommen<br />
Mütter oder Väter e<strong>in</strong>e <strong>psychisch</strong>e<br />
Erkrankung, belastet das auch<br />
deren <strong>K<strong>in</strong>der</strong>. Folgen für sie s<strong>in</strong>d<br />
z. B.: Ängste, weil das Verhalten<br />
der <strong>Eltern</strong> nicht mehr e<strong>in</strong>schätzbar<br />
ist; der Verlust der elterlichen Vorbildfunktion,<br />
um wichtige Lebenskompetenzen<br />
zu erwerben; das<br />
Übernehmen von Aufgaben, für die<br />
eigentlich V<strong>at</strong>er bzw. Mutter zuständig<br />
s<strong>in</strong>d, etwa im Haushalt oder bei<br />
der Betreuung von Geschwistern.<br />
„Die <strong>K<strong>in</strong>der</strong> s<strong>in</strong>d irritiert, mitunter<br />
verwirrt und beschämt. Nicht selten<br />
erleben sie sich als Schuldige<br />
der Veränderungen“, so Dr. Kar<strong>in</strong><br />
Kaiser, <strong>K<strong>in</strong>der</strong>- und Jugendpsychi<strong>at</strong>er<strong>in</strong><br />
im „Zentrum für Psychosom<strong>at</strong>ik<br />
des <strong>K<strong>in</strong>der</strong> und Jugendalters“ des<br />
Kl<strong>in</strong>ikums Wels-Grieskirchen. Das<br />
Verhalten der <strong>Eltern</strong> kann je nach Erkrankung<br />
sehr unterschiedlich se<strong>in</strong>.<br />
Leidet e<strong>in</strong> <strong>Eltern</strong>teil etwa an e<strong>in</strong>er<br />
Depression, kann e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> dessen<br />
Gesichtsausdruck nur wenig ablesen.<br />
Gerade dies spielt <strong>in</strong> den ersten<br />
Lebensjahren jedoch e<strong>in</strong>e wichtige<br />
Rolle <strong>in</strong> der sozialen Entwicklung, <strong>in</strong><br />
der <strong>K<strong>in</strong>der</strong> lernen, ihren eigenen Gefühlen<br />
zu vertrauen und anhand von<br />
Mimik und Gestik zu erkennen, wie<br />
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es ihrem Gegenüber geht. <strong>Eltern</strong><br />
mit psychotischen Erkrankungen<br />
s<strong>in</strong>d wiederum oft nicht <strong>in</strong> der Lage,<br />
die Bedürfnisse des Kle<strong>in</strong>en nach<br />
Nahrung, Schlafen oder liebevoller<br />
Zuwendung wahrzunehmen und zu<br />
sichern. Bei Suchterkrankungen ändert<br />
sich das Verhalten phasenweise<br />
Neues Zentrum<br />
für Psychosom<strong>at</strong>ik<br />
Das neue<br />
Zentrum für<br />
Psychosom<strong>at</strong>ik<br />
des K<strong>in</strong>des-<br />
und Jugendalters<br />
im<br />
Kl<strong>in</strong>ikum Wels-<br />
Grieskirchen<br />
Dr. Adrian Kamper<br />
(Standort<br />
Grieskirchen)<br />
kümmert sich um junge Menschen<br />
vom Babyalter bis 18 Jahre mit<br />
psychosom<strong>at</strong>ischen Problemen.<br />
E<strong>in</strong> multiprofessionelles Team<br />
bietet umfassende mediz<strong>in</strong>ische<br />
Diagnostik und Therapie. „Emotionale<br />
Störungen, Angst- und<br />
Reifungsstörungen, Essstörungen,<br />
Schmerzen ohne organische<br />
Ursache oder seelische Begleitersche<strong>in</strong>ungen<br />
von chronischen<br />
Krankheiten: Es gibt viele Gründe,<br />
warum <strong>K<strong>in</strong>der</strong> und Jugendliche<br />
Hilfe brauchen. Wir arbeiten systemisch-familientherapeutisch,<br />
das<br />
heißt wir erarbeiten geme<strong>in</strong>sam<br />
mit den <strong>Eltern</strong> und <strong>K<strong>in</strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e<br />
Lösung“, so der Standortleiter<br />
und <strong>K<strong>in</strong>der</strong>- und Jugendpsychi<strong>at</strong>er<br />
Dr. Adrian Kamper. Nicht zum<br />
Behandlungsspektrum gehören:<br />
Suchterkrankungen, Suizidalität,<br />
schwere Sozialverhaltensstörungen<br />
oder Psychosen bei <strong>K<strong>in</strong>der</strong>n<br />
und Jugendlichen.<br />
und ist nicht vorherzusagen, weil es<br />
davon abhängt, wie sehr der betroffene<br />
<strong>Eltern</strong>teil aktuell durch Suchtmittel<br />
bee<strong>in</strong>trächtigt ist. Ähnliches<br />
gilt für Mütter oder Väter mit e<strong>in</strong>er<br />
manisch-depressiven Erkrankung,<br />
sofern diese nicht behandelt wird:<br />
Für <strong>K<strong>in</strong>der</strong> s<strong>in</strong>d die Stimmungswechsel<br />
nicht nachvollziehbar, sondern<br />
verwirrend, irritierend, Angst e<strong>in</strong>flößend<br />
und führen dazu, dass die<br />
<strong>K<strong>in</strong>der</strong> selbst Erkrankungssymptome<br />
entwickeln.<br />
Stabile Beziehungen wichtig<br />
Wie sich das Verhalten der <strong>Eltern</strong><br />
auf das K<strong>in</strong>d auswirkt, habe auch mit<br />
se<strong>in</strong>em Alter zu tun, so Dr. Kaiser:<br />
„Gerade Säugl<strong>in</strong>ge und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der<br />
benötigen e<strong>in</strong>e sichere B<strong>in</strong>dung.<br />
Diese ist gerade <strong>in</strong> den ersten Lebensjahren<br />
e<strong>in</strong>e ganz wesentliche<br />
Grundlage für e<strong>in</strong>e <strong>gesund</strong>e seelische<br />
Entwicklung. Das Gesicht der<br />
Mutter, ihre Gestik und Mimik oder<br />
ihre sprachliche Modul<strong>at</strong>ion werden<br />
zum Spiegel der Gefühlswelt des<br />
Säugl<strong>in</strong>gs bzw. K<strong>in</strong>des, <strong>in</strong> der Fachsprache<br />
affektives Tun<strong>in</strong>g genannt.“<br />
Wie sich <strong>K<strong>in</strong>der</strong> von <strong>psychisch</strong> kranken<br />
<strong>Eltern</strong> längerfristig entwickeln,<br />
hängt stark vom sozialen Umfeld<br />
und den Lebensbed<strong>in</strong>gungen ab.<br />
<strong>K<strong>in</strong>der</strong> suchen von sich aus nach<br />
sicheren B<strong>in</strong>dungen und können<br />
diese <strong>in</strong>nerhalb und außerhalb der<br />
Familien leben. Dieses Wissen<br />
eröffnet Hilfsmöglichkeiten (siehe<br />
Infokasten „Mit Gespür helfen“).<br />
„Stabile Beziehungen zu <strong>gesund</strong>en<br />
Erwachsenen wie z. B. den Großeltern<br />
oder zu gleichaltrigen Freunden<br />
wirken sich ebenso positiv aus wie<br />
m<strong>at</strong>erielle Sicherheit, gute Wohnverhältnisse<br />
und die Möglichkeit<br />
zu Freizeitaktivitäten. Besonders<br />
kritisch wird es h<strong>in</strong>gegen, wenn<br />
soziale Isol<strong>at</strong>ion und e<strong>in</strong>e prekäre<br />
soziale Lage zusammenkommen“,<br />
so Dr. Kaiser. Der Rückzug vieler<br />
<strong>psychisch</strong> Kranker h<strong>at</strong> nicht zuletzt<br />
mit Scham und gesellschaftlicher<br />
Stigm<strong>at</strong>isierung zu tun. Ihre <strong>K<strong>in</strong>der</strong><br />
tragen e<strong>in</strong> „Familiengeheimnis“ mit<br />
sich herum. Sie vertrauen sich niemandem<br />
an, weil sie ihre <strong>Eltern</strong> nicht<br />
kränken wollen bzw. weil sie ke<strong>in</strong>e<br />
andere Normalität kennen.<br />
Verhaltensauffällige <strong>K<strong>in</strong>der</strong><br />
Der Leidensdruck könne sich dafür<br />
auf andere Art bemerkbar machen,<br />
so Dr. Kaiser: „Verhaltensauffälligkeiten<br />
wie z. B. Rückschritte <strong>in</strong> der<br />
Entwicklung, Essensverweigerung,<br />
Bettnässen, Kopf- oder Bauchweh<br />
ohne organische Ursache, Ängstlichkeit,<br />
Rückzugsverhalten, Aggression,<br />
Probleme im Sozialverhalten<br />
etc. s<strong>in</strong>d mögliche Symptome<br />
Spaß mit Freund/-<strong>in</strong>nen oder e<strong>in</strong>e schöne Zeit mit Oma:<br />
Bezugspersonen außerhalb der Kernfamilie geben Halt.<br />
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HUMAN Frühl<strong>in</strong>g 2013<br />
16<br />
Mit Gespür helfen<br />
Verlässliche Beziehungen und<br />
gute Erfahrungen außerhalb<br />
der Familie können <strong>K<strong>in</strong>der</strong>n<br />
und Jugendlichen von <strong>psychisch</strong><br />
erkrankten <strong>Eltern</strong> helfen,<br />
sich trotz allem so gut es<br />
geht zu entwickeln, so Dr. Mart<strong>in</strong><br />
Pach<strong>in</strong>ger, Psychologe und<br />
Leiter des <strong>K<strong>in</strong>der</strong>hilfswerks.<br />
Was betroffene <strong>K<strong>in</strong>der</strong> stärken<br />
kann, s<strong>in</strong>d zum Beispiel:<br />
■■<br />
die Krankheitse<strong>in</strong>sicht des<br />
betroffenen <strong>Eltern</strong>teils und<br />
se<strong>in</strong>e Bereitschaft, sich therapeutisch<br />
helfen zu lassen<br />
■■<br />
e<strong>in</strong>e altersgerechte Aufklärung<br />
über die Erkrankung der <strong>Eltern</strong><br />
■■<br />
das Gefühl, nicht für das Verhalten<br />
der <strong>Eltern</strong> verantwortlich<br />
zu se<strong>in</strong><br />
■■<br />
sichere und stabile emotionale<br />
B<strong>in</strong>dungen zu anderen<br />
Bezugspersonen wie etwa<br />
dem <strong>gesund</strong>en <strong>Eltern</strong>teil,<br />
Großeltern, Onkel / Tante etc.<br />
■■<br />
e<strong>in</strong> tragfähiges soziales<br />
Netzwerk mit Freund<strong>in</strong>nen<br />
und Freunden, Lehrkräften,<br />
der <strong>K<strong>in</strong>der</strong>.“ Wird die Erkrankung<br />
von <strong>Eltern</strong>teilen deutlich, dann gilt<br />
es, mit F<strong>in</strong>gerspitzengefühl vorzugehen.<br />
Wer mit der Tür <strong>in</strong>s Haus fällt,<br />
riskiert, dass sich die betroffene Familie<br />
erst recht zurückzieht. E<strong>in</strong>e altersgerechte<br />
Aufklärung der <strong>K<strong>in</strong>der</strong>,<br />
Erziehungsber<strong>at</strong>ung, sozialpädagogische<br />
Familienhilfe, Psychotherapie<br />
und die psychi<strong>at</strong>rische Behandlung<br />
der <strong>Eltern</strong> s<strong>in</strong>d wesentliche Säulen<br />
e<strong>in</strong>er möglichen Unterstützung. Dr.<br />
Kaiser: „Ziel ist, dass die <strong>K<strong>in</strong>der</strong><br />
bei ihren <strong>Eltern</strong> bleiben und die<br />
Vere<strong>in</strong>en, Nachbarn – das gute<br />
zwischenmenschliche Erfahrungen<br />
und schöne Erlebnisse<br />
ermöglicht<br />
■■<br />
Menschen, die dem K<strong>in</strong>d zuhören,<br />
ohne den erkrankten<br />
<strong>Eltern</strong>teil zu entwerten<br />
„Wer <strong>K<strong>in</strong>der</strong> von <strong>psychisch</strong> kranken<br />
<strong>Eltern</strong> unterstützen will, braucht<br />
viel F<strong>in</strong>gerspitzengefühl und sollte<br />
sich selbst vorab professionell ber<strong>at</strong>en<br />
lassen. Druck, aufgedrängte<br />
Hilfe und Aktionen h<strong>in</strong>ter dem<br />
Rücken der Betroffenen führen<br />
zu Misstrauen und Widerstand.<br />
E<strong>in</strong>zige Ausnahme: Ist das K<strong>in</strong>deswohl<br />
massiv gefährdet, z. B. durch<br />
Gewalt, extreme Verwahrlosung<br />
oder massiv risikoreiches Verhalten<br />
- etwa betrunken mit den <strong>K<strong>in</strong>der</strong>n<br />
Auto fahren<br />
- ist rasches<br />
E<strong>in</strong>schreiten<br />
gefragt“, so<br />
Dr. Pach<strong>in</strong>ger.<br />
Dr. Mart<strong>in</strong> Pach<strong>in</strong>ger, Psychologe, Leiter<br />
des <strong>K<strong>in</strong>der</strong>hilfswerks <strong>in</strong> L<strong>in</strong>z<br />
betroffenen Familien wieder gut für<br />
sich selbst sorgen können.“<br />
Mag. Isabella Ömer<br />
Scham und Isol<strong>at</strong>ion: <strong>K<strong>in</strong>der</strong> aus belasteten<br />
Familien können sich nicht immer<br />
jemandem anvertrauen.<br />
T<strong>in</strong>a (17 Jahre), deren V<strong>at</strong>er unter<br />
e<strong>in</strong>er Persönlichkeitsstörung leidet*<br />
„Zum Beispiel habe<br />
ich me<strong>in</strong>e Schultasche<br />
nach der Schule<br />
mitten im Flur liegen lassen.<br />
Daraufh<strong>in</strong> h<strong>at</strong> er mich fürchterlich<br />
beschimpft und geschrien,<br />
dass ich ihm gestohlen<br />
bleiben könne und dass<br />
ohne mich alles viel e<strong>in</strong>facher<br />
wäre … In se<strong>in</strong>en Wutanfällen<br />
h<strong>at</strong> er oft Gegenstände an<br />
die Wand geschmissen und<br />
uns geschlagen. An solchen<br />
Abenden h<strong>at</strong>te er viel Alkohol<br />
getrunken. Am nächsten Tag,<br />
wenn er von der Arbeit kam,<br />
war er wie ausgewechselt. Da<br />
kam er dann mit Geschenken<br />
nach Hause.“<br />
Michael (14 Jahre), dessen Mutter<br />
unter Schizophrenie leidet*<br />
„Nachts kann ich<br />
kaum mehr schlafen,<br />
weil Mama immer<br />
wieder ängstlich nach uns<br />
ruft. Wenn ich dann komme,<br />
erzählt sie, dass sie Stimmen<br />
aus den Wänden hört, die zu<br />
ihr sprechen. Oft kann ich sie<br />
beruhigen und sie schläft wieder<br />
e<strong>in</strong>. Manchmal passiert<br />
aber auch das Gegenteil: Ich<br />
komme <strong>in</strong>s Zimmer und sie<br />
schaut mich voller Misstrauen<br />
an – so, als ob ich ihr Fe<strong>in</strong>d<br />
wäre. In solchen Situ<strong>at</strong>ionen<br />
habe ich dann Angst vor ihr.<br />
Sie sieht, hört und denkt viele<br />
D<strong>in</strong>ge, dich ich nicht sehe,<br />
höre und denke.“<br />
* Zit<strong>at</strong>e aus Erfahrungsberichten <strong>in</strong> der Broschüre „Verrückte K<strong>in</strong>dheit“,<br />
Vere<strong>in</strong> HPE NÖ, Hilfe für Angehörige <strong>psychisch</strong> Erkrankter, www.hpe.<strong>at</strong>