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HUMAN Ausgabe 01/2006 - gesund-in-ooe.at

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<strong>HUMAN</strong>1/06<br />

VERLAGSPOSTAMT 4020 LINZ, EINEN HAUSHALT, ÖSTERREICHISCHE POST AG, INFO.MAIL ENTGELT BEZAHLT, GZ 02Z032055 M<br />

DAS OBERÖSTERREICHISCHE GESUNDHEITSMAGAZIN<br />

Lungenkrebs<br />

Rauchen ist die Ursache Nr. 1<br />

Seite 8<br />

Überweisung<br />

P<strong>at</strong>ienten entscheiden<br />

Seite 12<br />

Multiple Sklerose<br />

Krankheit mit 1000 Gesichtern<br />

Seite 28<br />

Aus dem Tritt<br />

Auf die Psyche kommt es an!


Vorwort<br />

Inhalt<br />

EDITORIAL<br />

„Unsere wahre Kraft wohnt im Herzen,<br />

im Geist und <strong>in</strong> der Seele.“<br />

Werner Braun<br />

Liebe Leser<strong>in</strong>nen und Leser,<br />

wir s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> unserem täglichen Leben immer<br />

mehr Belastungen ausgesetzt. Da ist<br />

e<strong>in</strong>erseits der Druck im Berufsleben, um<br />

die hochgesteckten Ziele zu erreichen.<br />

Und dann s<strong>in</strong>d da die Anforderungen im<br />

Priv<strong>at</strong>leben, Job, Familie und Freizeit ausgewogen<br />

unter e<strong>in</strong>en Hut zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Uns wird e<strong>in</strong>geimpft, wie wir aussehen<br />

sollen, wie wir uns zu benehmen haben,<br />

was wir leisten müssen und vor allem wie<br />

wir optimal funktionieren sollen - alles<br />

unter dem Maßstab der Perfektion, versteht<br />

sich.<br />

Dass sich dieser Druck auf die Psyche<br />

schlägt, ist ke<strong>in</strong>e große Überraschung.<br />

Wir starten <strong>in</strong> dieser <strong>Ausgabe</strong> der <strong>HUMAN</strong><br />

e<strong>in</strong>e Serie zum Tabuthema „Psychische<br />

Erkrankungen“ und wollen Ihnen <strong>in</strong> den<br />

nächsten <strong>Ausgabe</strong>n Detail<strong>in</strong>fos zu den<br />

häufigsten Erkrankungen liefern. Lösungsansätze<br />

von Oberösterreichs Spitzenmediz<strong>in</strong>ern<br />

n<strong>at</strong>ürlich wie immer <strong>in</strong>begriffen.<br />

Ihre<br />

Margit Freudenthaler<br />

„Optimale Gesundheitsversorgung, die lass’ ich mir nicht nehmen!“<br />

Liebe Leser<strong>in</strong>nen und Leser der Human,<br />

das Gesundheitswesen <strong>in</strong> Oberösterreich gilt<br />

als vorbildlich: Es gewährleistet e<strong>in</strong>e gute<br />

und flächendeckende Versorgung für alle,<br />

sowie hohe Standards <strong>in</strong> Diagnose und Therapie.<br />

In e<strong>in</strong>igen Bereichen – zum Beispiel<br />

der Brustkrebsvorsorge – spielt Oberösterreich<br />

e<strong>in</strong>e Vorreiterrolle und braucht auch den<br />

<strong>in</strong>tern<strong>at</strong>ionalen Vergleich nicht zu scheuen.<br />

Unnötige Reformen, die das Bundesm<strong>in</strong>isterium<br />

für Gesundheit nun umsetzen will, gefährden<br />

unsere optimale Gesundheitsversorgung.<br />

Die zunehmende Bürokr<strong>at</strong>ie lässt uns<br />

Ärzten immer weniger Zeit für unsere P<strong>at</strong>ienten.<br />

Immer mehr wird auch versucht, das<br />

Gesundheitswesen zu zentralisieren. Werden<br />

diese Reformen t<strong>at</strong>sächlich so umgesetzt,<br />

wie sie geplant s<strong>in</strong>d, so bedeutet dies<br />

nicht nur, dass Sie <strong>in</strong> Zukunft <strong>in</strong> der Nähe<br />

Ihres Wohnorts nicht mehr die breite mediz<strong>in</strong>ische<br />

Versorgung erhalten, die Sie brauchen,<br />

sondern auch, dass Sie <strong>in</strong> Zukunft<br />

nicht mehr selbst bestimmen können, von<br />

wem Sie sich untersuchen lassen.<br />

Brustkrebsvorsorge<br />

So ist geplant, die lebenswichtige Brustkrebsvorsorgeuntersuchung<br />

<strong>in</strong> Zukunft nur<br />

mehr am AKH L<strong>in</strong>z durchzuführen. Das<br />

heißt für Sie, liebe Leser aus Freistadt oder<br />

Steyr, nicht nur, dass Sie lange Wege <strong>in</strong> Kauf<br />

nehmen müssen, sondern auch, dass Sie <strong>in</strong><br />

Zukunft nicht mehr frei entscheiden können,<br />

wer die regelmäßigen Röntgenuntersuchungen<br />

Ihrer Brust durchführt.<br />

Mediz<strong>in</strong>ische Nahversorgung<br />

Auch die flächendeckende mediz<strong>in</strong>ische<br />

Nahversorgung ist <strong>in</strong> Gefahr: Nur Krankenhäuser,<br />

die bestimmte Frequenzen erreichen,<br />

dürfen operieren und behandeln. Das<br />

trifft besonders die chirurgische Versorgung<br />

unserer K<strong>in</strong>der. So darf sich dann zum Beispiel<br />

Ihr K<strong>in</strong>d aus Schärd<strong>in</strong>g oder Gmunden<br />

nur mehr <strong>in</strong> L<strong>in</strong>z den Bl<strong>in</strong>ddarm operieren<br />

lassen.<br />

Therapieplan vom Arzt<br />

Wer kennt Ihre Gesundheit besser als Ihr<br />

Arzt? Geplant ist aber, dass das Bundesm<strong>in</strong>isterium<br />

für Gesundheit Therapien per<br />

Verordnung festlegen kann. „Im S<strong>in</strong>ne der<br />

Qualitätssicherung“, wird behauptet: „Das<br />

Billigste und nach Schema F“, befürchten<br />

wir Ärzte.<br />

Spitzenmediz<strong>in</strong> steht uns allen zu<br />

E<strong>in</strong>sparungsmaßnahmen geben den Ausschlag<br />

dafür, welche Therapien verordnet<br />

werden. Überspitzt formuliert heißt das für<br />

Sie, lieber Über-Sechzig-Jährige, dass Sie<br />

bald nicht mehr damit rechnen können, e<strong>in</strong>e<br />

teure Titanhüfte zu erhalten, wenn Sie diese<br />

brauchen.<br />

Wehren Sie sich gegen diese offensichtlich<br />

unüberlegten Reformen – je mehr P<strong>at</strong>ienten<br />

ihre Bedenken artikulieren, desto eher wird<br />

Ihre Stimme gehört. Unterschreiben Sie – für<br />

e<strong>in</strong>e optimale Gesundheitsversorgung! Inform<strong>at</strong>ionsfolder<br />

mit Unterschriftskarten liegen<br />

<strong>in</strong> den Arztpraxen und Ambulanzen auf.<br />

Legasthenie -<br />

die Lese- und Rechtschreibschwäche<br />

ÖSG -<br />

Forderung nach s<strong>in</strong>nvollen Qualitätskriterien<br />

Knieverletzungen -<br />

das Kreuz mit dem Knie<br />

14<br />

22<br />

32<br />

4 Aus dem Tritt -<br />

auf die Psyche kommt es an<br />

8 Zarter Silberstreif am Horizont -<br />

neue Therapieansätze bei Lungenkrebs<br />

12 Überweisung -<br />

e-card ohne Überweisung ist wie e<strong>in</strong> Auto ohne Lenkrad<br />

14 Legasthenie -<br />

mit Beharrlichkeit kann man viel erreichen<br />

17 Impressum<br />

18 Fahrtauglich -<br />

trotz Bee<strong>in</strong>trächtigung sicher unterwegs<br />

22 Österreichischer Strukturplan Gesundheit -<br />

Ärztekammer OÖ fordert s<strong>in</strong>nvolle Qualitätskriterien<br />

24 Herz<strong>in</strong>suffizienz -<br />

treffsichere Diagnose mit moderner Labormediz<strong>in</strong><br />

28 Multiple Sklerose -<br />

die Krankheit mit den 1000 Gesichtern<br />

32 Knieverletzungen -<br />

warum Frauen eher gefährdet s<strong>in</strong>d<br />

36 Stürze aktiv vermeiden -<br />

Stürze br<strong>in</strong>gen nicht nur Verletzungen<br />

Dr. Peter Niedermoser<br />

Präsident der Ärztekammer für OÖ<br />

Prim. Dr. Josef Hochreiter<br />

Wissenschaftlicher Leiter Human<br />

38 Gesund gelacht!<br />

2 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 3


Körperliche Erkrankungen sorgen vielerorts<br />

für Gesprächsstoff, doch über die psychische<br />

Bef<strong>in</strong>dlichkeit hüllt man sich vornehm<br />

<strong>in</strong> Schweigen. Nach wie vor weit<br />

verbreitet s<strong>in</strong>d Vorurteile, dass jemand<br />

„nicht richtig tickt“ oder „sich e<strong>in</strong>fach nicht<br />

im Griff h<strong>at</strong>“. Dabei nehmen <strong>in</strong> unserer<br />

Speed-Gesellschaft die Belastungen für die<br />

Psyche immer mehr zu. Depressionen,<br />

Panik<strong>at</strong>tacken, Burnouts oder Suchterkrankungen<br />

s<strong>in</strong>d mögliche Folgen. Psychi<strong>at</strong>er<br />

Schöny wünscht sich, „dass psychische<br />

Erkrankungen <strong>in</strong> der Gesellschaft<br />

mehr them<strong>at</strong>isiert werden, dass sich Betroffene<br />

trauen darüber zu reden, damit<br />

e<strong>in</strong> Tabubruch e<strong>in</strong>tritt“.<br />

Jeder Vierte ist e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben<br />

persönlich betroffen, vielfach muss sich<br />

aber auch das familiäre Umfeld mit dem<br />

psychischen Problem ause<strong>in</strong>andersetzen.<br />

Alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> der oö. Landesnervenkl<strong>in</strong>ik<br />

Wagner-Jauregg werden etwa 7500 psychi<strong>at</strong>rische<br />

P<strong>at</strong>ienten pro Jahr st<strong>at</strong>ionär<br />

behandelt, dazu kommt die dezentrale<br />

Betreuung <strong>in</strong> den oö. Krankenhäusern <strong>in</strong><br />

Braunau, Vöcklabruck, Wels und Steyr.<br />

Beim Vere<strong>in</strong> „pro mente“, dem Primar<br />

Werner Schöny seit 1988 als Obmann vor-<br />

steht, werden von 1200 Mitarbeitern 28.000<br />

Personen <strong>in</strong> ganz Oberösterreich betreut.<br />

Obwohl der Arzt über die f<strong>in</strong>anzielle Ausst<strong>at</strong>tung<br />

des Psychi<strong>at</strong>rie-Bereichs <strong>in</strong> OÖ<br />

nicht klagen möchte, wäre noch mehr<br />

Bedarf für Betreuung. So muss etwa auf<br />

e<strong>in</strong>en psychi<strong>at</strong>rischen Reha-Pl<strong>at</strong>z <strong>in</strong> Bad<br />

Hall e<strong>in</strong> Jahr gewartet werden.<br />

Ursache liegt im Verborgenen<br />

„Manchmal gibt es e<strong>in</strong>en Auslöser – e<strong>in</strong><br />

schlechtes Zeugnis, e<strong>in</strong> Unfall, e<strong>in</strong> Todesfall<br />

– für das psychische Problem, doch<br />

die eigentliche Ursache h<strong>at</strong> sich dah<strong>in</strong>ter<br />

im Verborgenen zusammengebraut.<br />

Und dieser muss auf den Grund gegangen<br />

werden, wenn sich das Problem nachhaltig<br />

bessern soll“, schildert Schöny. Alle<br />

Altersgruppen können betroffen se<strong>in</strong>. N<strong>at</strong>ürlich<br />

kämen Essstörungen wie Magersucht<br />

oder Bulimie eher im jugendlichen<br />

Alter vor, und die Zahl der depressiven<br />

und dementen Menschen steige mit dem<br />

Alter.<br />

Traum<strong>at</strong>a könnten das Fass zum Überlaufen<br />

br<strong>in</strong>gen, aber auch e<strong>in</strong>e genetische<br />

Disposition könne vorliegen. „Generell<br />

s<strong>in</strong>d Frauen häufiger betroffen als Männer,<br />

EXPERTENTIPP<br />

Univ. Doz. Prim. Dr.<br />

Werner Schöny<br />

FA für Psychi<strong>at</strong>rie und Neurologie<br />

<strong>in</strong> L<strong>in</strong>z und Ärztlicher<br />

Direktor der Landesnervenkl<strong>in</strong>ik<br />

Wagner-Jauregg<br />

1) Wann soll e<strong>in</strong> psychisch Kranker<br />

e<strong>in</strong>en Arzt aufsuchen?<br />

Wenn e<strong>in</strong>e traurige Verstimmung über<br />

e<strong>in</strong>en Zeitraum von e<strong>in</strong>, zwei Wochen<br />

anhält, könnte e<strong>in</strong>e Depression vorliegen.<br />

Wenn Ängste auftreten, unter<br />

denen die Person leidet oder wenn<br />

Zwangsgedanken das Leben bestimmen.<br />

2) Wie soll das Umfeld reagieren,<br />

wenn es den E<strong>in</strong>druck h<strong>at</strong>, dass e<strong>in</strong>e<br />

psychische Erkrankung vorliegt?<br />

Gut geme<strong>in</strong>te R<strong>at</strong>schläge br<strong>in</strong>gen<br />

nichts. S<strong>in</strong>nvoll ist es den P<strong>at</strong>ienten zu<br />

animieren, fachliche Hilfe <strong>in</strong> Anspruch<br />

zu nehmen.<br />

sie s<strong>in</strong>d aber auch eher bereit, sich e<strong>in</strong>er<br />

professionellen Behandlung zu unterziehen“,<br />

weiß Schöny, der schon mit 16 Jahren<br />

erkannt h<strong>at</strong>, dass er den Menschen als<br />

Psychi<strong>at</strong>er helfen will. Besonders schwierig<br />

hätten es Personen <strong>in</strong> tristen Verhältnissen,<br />

denn ständige Existenzangst könne<br />

zur Depression führen.<br />

Aus dem Tritt<br />

Auf die Psyche kommt es an<br />

Psychische Erkrankungen s<strong>in</strong>d noch immer e<strong>in</strong> Tabu-Thema. Dabei h<strong>at</strong> bereits jeder Vierte e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben e<strong>in</strong><br />

krankhaftes psychisches Problem. Die häufigste Form ist die Depression, die laut Welt<strong>gesund</strong>heitsorganis<strong>at</strong>ion (WHO) zur<br />

größten Herausforderung der nächsten Jahrzehnte wird. „Das Spektrum ist aber viel breiter“, weiß der Psychi<strong>at</strong>er Univ. Doz.<br />

Prim. Dr. Werner Schöny, Ärztlicher Direktor der Landesnervenkl<strong>in</strong>ik Wagner-Jauregg. Er kennt auch Angst- und Zwangskrankheiten,<br />

Persönlichkeitsstörungen und Abhängigkeitserkrankungen.<br />

Auslöser für die am häufi gsten auftretende Erkrankung, die Depression, kann e<strong>in</strong> Todesfall se<strong>in</strong>.<br />

Häufigste Form: Depression<br />

Weltweit s<strong>in</strong>d 6 bis 8 % der Menschen<br />

krankhaft depressiv. Es gilt der Grunds<strong>at</strong>z,<br />

je früher man zum Arzt geht, umso besser<br />

ist die Erkrankung <strong>in</strong> den Griff zu bekommen.<br />

„Im Grunde ist die Depression gut<br />

behandelbar, 85 bis 90 % können so weit<br />

geheilt werden, dass ke<strong>in</strong>e Symptome mehr<br />

auftreten. Bei 10 bis 15 % wird die Krankheit<br />

aber chronifiziert“, sagt der Primar.<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 6<br />

4 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 5


„Und leider sterben 15 % der Menschen<br />

mit e<strong>in</strong>er schweren Depression an Selbstmord.<br />

Wenn die traurige Verstimmung<br />

und Lustlosigkeit länger als e<strong>in</strong>, zwei<br />

Wochen anhält, sollte e<strong>in</strong> Experte aufgesucht<br />

werden“, rät Schöny. Antriebslosigkeit<br />

und Schlafstörungen seien vielfach<br />

Begleitersche<strong>in</strong>ungen. Auslöser könnten<br />

Überlastung, berufliche oder familiäre<br />

Probleme oder e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>schneidendes Ereignis<br />

se<strong>in</strong>, aber auch e<strong>in</strong>e schicksalhafte<br />

Erkrankung sei möglich.<br />

„Bei e<strong>in</strong>er echten Depression nützen gut<br />

geme<strong>in</strong>te R<strong>at</strong>schläge nach dem Motto<br />

,Reiß’ dich zusammen!’ oder ‚Fahr’ auf<br />

Urlaub!’ nichts. Denn je mehr Abwechslung<br />

geboten wird, umso schlechter ist<br />

der Betroffene drauf“, erklärt Primar<br />

Schöny. „Je länger zugewartet wird, umso<br />

tiefer verstrickt sich der Erkrankte <strong>in</strong> die<br />

Depression, denn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em akuten Stadium<br />

drehen sich die Gedanken im Kreis.<br />

Diese Neg<strong>at</strong>iv-Spirale kann nur medikamentös<br />

durchbrochen werden.“<br />

In der Akut-Phase seien Therapien wie<br />

Malen, Musik, kre<strong>at</strong>ives Arbeiten und<br />

Sport hilfreich. Gleichzeitig müsse aber<br />

der Psychi<strong>at</strong>er oder Psychotherapeut <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Gesprächstherapie die Ursache he-<br />

rausf<strong>in</strong>den. Und wichtig sei auch der sozialtherapeutische<br />

Ans<strong>at</strong>z. „Lässt sich die<br />

belastende Lebenssitu<strong>at</strong>ion ändern, dann<br />

sollte das <strong>in</strong> Angriff genommen werden.<br />

Schwierig wird es aber, wenn z.B. e<strong>in</strong>e<br />

Mutter ihr K<strong>in</strong>d verloren h<strong>at</strong>. Das lässt<br />

sich nicht ändern“, betont der Fachmann.<br />

„Das besonders Belastende an der Depression<br />

ist, dass dem Erkrankten die Situ<strong>at</strong>ion<br />

hoffnungslos ersche<strong>in</strong>t, während er<br />

sich bei e<strong>in</strong>er körperlichen Erkrankung<br />

– auch wenn sie aussichtslos verläuft –<br />

bis zuletzt an den Strohhalm Hoffnung<br />

klammert.“ Bei Männern komme es häufig<br />

vor, dass sie aufgrund e<strong>in</strong>er Depression<br />

zu Tr<strong>in</strong>ken beg<strong>in</strong>nen und erst dadurch<br />

auffällig werden.<br />

„Ängste fressen Seele auf“<br />

Jeder Mensch kennt Situ<strong>at</strong>ionen, <strong>in</strong> denen<br />

sich e<strong>in</strong> mulmiges Gefühl im Bauch e<strong>in</strong>stellt.<br />

Bei Angst vor Sp<strong>in</strong>nen oder Höhenangst<br />

könne man sich noch rel<strong>at</strong>iv leicht<br />

aus der Affäre retten. „Problem<strong>at</strong>isch wird<br />

es dann, wenn man die Angst nicht mehr<br />

<strong>in</strong> den Griff bekommt“, erklärt der Psychi<strong>at</strong>er.<br />

„10 % der Menschen leiden e<strong>in</strong>mal<br />

im Leben an e<strong>in</strong>er Angsterkrankung.<br />

Darunter fallen Menschen mit ,generalisierter<br />

Angst’. Sie haben e<strong>in</strong>en erhöhten<br />

Angstpegel, Alltagssitu<strong>at</strong>ionen können für<br />

sie zum Problem werden. Betroffen können<br />

zum Beispiel K<strong>in</strong>der se<strong>in</strong>, die e<strong>in</strong>e<br />

sehr ängstliche Mutter haben und nie gelernt<br />

haben, Ängste zu überw<strong>in</strong>den. Andere<br />

bekommen Panik<strong>at</strong>tacken, die anfallsartig<br />

auftauchen und zum Beispiel<br />

Todesangst auslösen können. Dann gibt<br />

es Menschen, die entwickeln e<strong>in</strong>e Phobie<br />

– e<strong>in</strong>e gezielte Angst etwa vor Aufzügen,<br />

engen Räumen, dem Fliegen, oder sie<br />

trauen sich gar nicht mehr vor die Tür.“<br />

7 % s<strong>in</strong>d von e<strong>in</strong>er „sozialen Phobie“ betroffen.<br />

Sie haben Angst im Zusammenhang<br />

mit sozialen Situ<strong>at</strong>ionen – e<strong>in</strong>er Gesprächssitu<strong>at</strong>ion,<br />

im Geschäft, im Lokal,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Prüfungssitu<strong>at</strong>ion, im Umgang<br />

mit dem anderen Geschlecht. „Krankhaft<br />

wird die Angst dann, wenn jemand der<br />

Situ<strong>at</strong>ion völlig aus dem Weg geht oder<br />

Hilfe braucht“, sagt Schöny.<br />

Unter ständigem Zwang<br />

4 bis 5 % der Menschen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>em<br />

Zwang ausgeliefert. „Wer kennt das nicht,<br />

vor dem Weggehen noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> der<br />

Wohnung zu kontrollieren, ob der Herd<br />

und alle Lichter abgedreht s<strong>in</strong>d. Oder<br />

noch e<strong>in</strong>mal zu überprüfen, ob die Haus-<br />

Psychi<strong>at</strong>er Schöny im Gespräch mit e<strong>in</strong>er P<strong>at</strong>ient<strong>in</strong>.<br />

Klassische Abhängigkeitserkrankungen s<strong>in</strong>d Alkohol- oder Nikot<strong>in</strong>sucht, Medikamentenabhängigkeit und der Griff zu illegalen Drogen.<br />

türe versperrt ist“, schildert der Experte.<br />

„Problem<strong>at</strong>isch wird es dann, wenn dieser<br />

Zwangsgedanke immer und immer<br />

wiederkehrt und man noch e<strong>in</strong>mal, noch<br />

e<strong>in</strong>mal und noch e<strong>in</strong>mal … zurückgehen<br />

und das ganze Programm abspielen<br />

muss.<br />

Wenn die Wohnung aufs Neue geputzt<br />

werden muss, obwohl noch gar ke<strong>in</strong>e Gelegenheit<br />

war, sie schmutzig zu machen.<br />

Wenn der Waschzwang das Leben dom<strong>in</strong>iert.<br />

Zum Zwang gehört auch die<br />

Angst.“<br />

Der Sucht verfallen<br />

Der Psychi<strong>at</strong>er kennt auch e<strong>in</strong>e Reihe von<br />

Abhängigkeitserkrankungen. Klassisch<br />

s<strong>in</strong>d die Alkoholsucht, von der 13 % gefährdet<br />

s<strong>in</strong>d, die Nikot<strong>in</strong>- oder Medikamentenabhängigkeit,<br />

sowie der Griff zu<br />

illegalen Drogen. Es gibt aber auch Süchte,<br />

die von e<strong>in</strong>er Substanz unabhängig<br />

s<strong>in</strong>d, wie die Kaufsucht.<br />

Persönlichkeitsstörungen<br />

Die Schizophrenie tritt im Jugendalter<br />

(16,17 Jahre) erstmals auf und betrifft<br />

die gesamte Persönlichkeit. Meist gehen<br />

damit Wahnvorstellungen – Verfolgungswahn,<br />

vom Teufel besessen se<strong>in</strong> – e<strong>in</strong>her.<br />

Das Klischee der „gespaltenen Persönlichkeit“<br />

will Schöny aber nicht gelten lassen.<br />

0,8 % der Bevölkerung leiden darunter.<br />

Menschen mit e<strong>in</strong>em Borderl<strong>in</strong>e-Syndrom<br />

können ihre emotionalen Impulse meist<br />

nicht steuern. Sie können aus nichtigem<br />

Anlass sehr aggressiv werden, die Grundpersönlichkeit<br />

weicht von der Norm ab.<br />

Während Schöny Exhibitionisten, die <strong>in</strong><br />

der Öffentlichkeit ihre Geschlechtsteile<br />

entblößen, für eher harmlos hält, seien<br />

K<strong>in</strong>derschänder se<strong>in</strong>er Ansicht nach ganz<br />

schwer behandelbar.<br />

Bei geistig abnormen Rechtsbrechern liege<br />

vielfach e<strong>in</strong>e Wahnvorstellung vor. Menschen,<br />

die e<strong>in</strong>en „erweiterten Selbstmord“<br />

begehen und ihre Liebsten mit <strong>in</strong>s Grab<br />

nehmen, hätten e<strong>in</strong>e schwere Depression.<br />

Sie wollen ihre K<strong>in</strong>der vor „dieser<br />

schlechten Welt retten“, erklärt Schöny.<br />

Mag. Michaela Ecklbauer<br />

6 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 7


Während das Bronchialkarz<strong>in</strong>om vor rund<br />

100 Jahren noch zu den seltenen Erkrankungen<br />

zählte und überwiegend ältere<br />

Menschen daran erkrankten, begann <strong>in</strong> den<br />

20er-Jahren des letzten Jahrhunderts e<strong>in</strong>e<br />

rapide Zunahme, die sich dann noch enorm<br />

steigerte.<br />

Laut IARC-Studie (veröffentlicht im Februar<br />

2005 <strong>in</strong> den „Annals of Oncology“) erkrankten<br />

<strong>in</strong> der Europäischen Union im vorletzten<br />

Jahr 196.100 Männer und 62.000 Frauen an<br />

Lungenkrebs. Bei den Männern liegt damit<br />

Lungenkrebs nach Prost<strong>at</strong>akrebs (18,1 %)<br />

an zweiter Stelle (17,6 %) der Krebs-Neuerkrankungen.<br />

Bei den Frauen nimmt Lungenkrebs<br />

nach Brust-, Kolorektal- und Gebärmutterkarz<strong>in</strong>om<br />

die vierte Position (6,5<br />

% der Neuerkrankungen) e<strong>in</strong>. Weltweit h<strong>at</strong><br />

das Bronchialkarz<strong>in</strong>om die höchste Krebstodesr<strong>at</strong>e<br />

bei Männern, bei Frauen steht Lungenkrebs<br />

an dritter Stelle. In Oberösterreich<br />

gibt es jährlich rund 550 Neuerkrankungen,<br />

österreichweit s<strong>in</strong>d es mehr als 3.300 Menschen.<br />

Experten vermuten, dass mehrere E<strong>in</strong>flüsse<br />

an der Entstehung e<strong>in</strong>es Bronchialkarz<strong>in</strong>oms<br />

beteiligt s<strong>in</strong>d. „Wie bei vielen Krebsarten<br />

kann auch e<strong>in</strong>e gewisse genetische<br />

Disposition <strong>in</strong>nerhalb der Familie vorlie-<br />

gen“, sagt Primar Dr. Josef Eckmayr, Abteilungsleiter<br />

für Lungenerkrankungen im Kl<strong>in</strong>ikum<br />

Wels.<br />

Außerdem können andere Substanzen, die<br />

über Jahre h<strong>in</strong>weg e<strong>in</strong>ge<strong>at</strong>met wurden, zu<br />

e<strong>in</strong>er Lungenkrebserkrankung beitragen.<br />

Dazu zählen karz<strong>in</strong>ogene, also krebserregende<br />

Substanzen am Arbeitspl<strong>at</strong>z wie Asbest,<br />

Nickelverb<strong>in</strong>dungen, verschiedene<br />

Lösungsmittel und polyzyklische Kohlenwasserstoffe<br />

(PAH). Sie entstehen bei der<br />

(unvollständigen) Verbrennung von organischem<br />

M<strong>at</strong>erial (zum Beispiel Kohle,<br />

Heizöl, Kraftstoff, Tabak). „Der Verdacht<br />

liegt auch nahe, dass die Umweltverschmutzung<br />

und die Autoabgase e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf<br />

Krebserkrankungen der Lunge haben“, sagt<br />

Primar Eckmayr. „Ob der Fe<strong>in</strong>staub karz<strong>in</strong>ogene<br />

Eigenschaften besitzt, kann nicht<br />

mit 100%iger Sicherheit gesagt werden, weil<br />

es darüber noch ke<strong>in</strong>e sauberen epidemiologischen<br />

Studien gibt. Vorsicht ist jedoch die<br />

Mutter der Porzellankiste. Schädlich für unsere<br />

Gesundheit ist er auf alle Fälle.“<br />

Blauer Dunst trägt Schuld<br />

Die meisten Ursachen des Bronchialkarz<strong>in</strong>oms<br />

liegen aber beim Rauchen. Bei ke<strong>in</strong>er<br />

anderen Krebsart lässt sich so e<strong>in</strong>deutig<br />

EXPERTENTIPP<br />

Prim. Dr. Josef Eckmayr<br />

FA für Lungenkrankheiten<br />

<strong>in</strong> Wels und Abteilungsleiter<br />

im Kl<strong>in</strong>ikum<br />

Kreuzschwestern Wels<br />

„E<strong>in</strong> beträchtlicher Anteil der<br />

Todesfälle durch Krebs ist<br />

vermeidbar, h<strong>at</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tern<strong>at</strong>ionale<br />

Forschergruppe ermittelt.<br />

Ihrer Schätzung zufolge<br />

waren im Jahr 20<strong>01</strong> 2,43 von<br />

7 Millionen tödlichen Krebserkrankungen<br />

auf un<strong>gesund</strong>e<br />

Verhaltensweisen bzw. Umwelte<strong>in</strong>flüsse<br />

zurückzuführen.<br />

Die primäre Vorbeugung durch<br />

Bee<strong>in</strong>flussung von Lebensweise<br />

und Umweltfaktoren bleibt<br />

der günstigste Weg, die weltweite<br />

Krebslast zu reduzieren.<br />

Dies gilt umso mehr, als<br />

der mediz<strong>in</strong>ische Fortschritt<br />

bei e<strong>in</strong>em Teil von Krebserkrankungen<br />

die Sterblichkeit<br />

weniger stark reduziert h<strong>at</strong><br />

als etwa die von P<strong>at</strong>ienten mit<br />

Herz-Kreislauferkrankungen.“<br />

Zarter Silberstreif am Horizont<br />

Neue Therapieansätze beim Bronchialkarz<strong>in</strong>om<br />

Mit der Diagnose Lungenkrebs h<strong>at</strong> der P<strong>at</strong>ient schlechte Karten. Das Fünfjahreüberleben beträgt nur 11 % bei Männern<br />

und 14 % bei Frauen. Doch neue Therapieansätze lassen zaghaft hoffen, dass sich <strong>in</strong> den nächsten Jahrzehnten e<strong>in</strong>e deutliche<br />

Verbesserung bei der Lebenserwartung erzielen lässt. Trotzdem: Die beste Vorbeugung ist Nikot<strong>in</strong>abst<strong>in</strong>enz, denn <strong>in</strong><br />

85 % der Fälle ist Rauchen die Ursache für Lungenkrebs.<br />

Neue Studien belegen: Passiv-Rauchen ist gefährlicher als bisher angenommen.<br />

nachweisen, dass der blaue Dunst Schuld<br />

am Lungenkrebs ist. Raucher haben e<strong>in</strong> bis<br />

zu 30fach höheres Risiko, an Lungenkrebs<br />

zu erkranken als Nichtraucher. „In 85 %<br />

der Fälle ist Rauchen die Ursache für Lungenkrebs“,<br />

macht Primar Eckmayr auf das<br />

Risiko aufmerksam. 90 % der erkrankten<br />

Männer und 60 % der Frauen waren aktive<br />

Raucher. Die Mortalitätskurve folgt<br />

mit etwa 30 Jahren Verzögerung der Raucherprävalenz.<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 10<br />

8 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 9


Passiv-Rauchen, gefährlicher<br />

als angenommen<br />

Neue Studien belegen überdies, dass Passiv-Rauchen<br />

weitaus gefährlicher ist, als bis<br />

d<strong>at</strong>o angenommen. Jährlich sterben weltweit<br />

mehr Menschen am Passiv-Rauchen als<br />

an illegalen Drogen und Schäden durch Asbest<br />

geme<strong>in</strong>sam.<br />

Früherkennung<br />

„E<strong>in</strong>e verlässliche Methode zur Früherkennung<br />

von Lungenkrebs im Rahmen<br />

von regelmäßigen Reihenuntersuchungen<br />

existiert derzeit nicht“, sagt Prim. Eckmayr.<br />

Derzeitige Empfehlungen zur Früherkennung<br />

und Prävention des Lungenkarz<strong>in</strong>oms<br />

beschränken sich daher auf<br />

Anamnese, Kl<strong>in</strong>ik und die dr<strong>in</strong>gende<br />

Empfehlung e<strong>in</strong>er strikten Nikot<strong>in</strong>karenz.<br />

Letztere Maßnahme ist überhaupt derzeit<br />

die wirkungsvollste Str<strong>at</strong>egie, Lungenkrebs<br />

zu vermeiden (Primärprävention).<br />

S<strong>in</strong>nvoll im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er gewissen Krebsprävention<br />

sche<strong>in</strong>t auch ausreichender<br />

Obst und Gemüseverzehr. E<strong>in</strong>e Reihe<br />

von Testmethoden werden derzeit auf ihre<br />

Brauchbarkeit h<strong>in</strong>sichtlich Lungenkrebsvorsorge<br />

geprüft, wie zum Beispiel:<br />

➤ strahlensparende Computertomografie<br />

(low dose CT)<br />

➤ immunologische und molekularbiologische<br />

Analysen von Sputum (Auswurf,<br />

Bronchialsekret) und Blutproben<br />

➤ Fluoreszenz Bronchoskopie<br />

Bedauerlicherweise wird der Lungenkrebs<br />

zumeist erst im fortgeschrittenen Stadium<br />

erkannt, denn er macht im Frühstadium <strong>in</strong><br />

der Regel ke<strong>in</strong>e Beschwerden. „Viele Betroffene<br />

bemerken erst im ausgeprägten Krankheitsstadium<br />

Symptome wie blutigen Auswurf,<br />

rasche Gewichtsabnahme, Atemnot<br />

und Fieber. Deshalb ist es sehr wichtig, dass<br />

man bei länger anhaltendem Husten zwecks<br />

Abklärung sofort den Lungenfacharzt aufsucht“,<br />

betont Eckmayr.<br />

Ernüchternde St<strong>at</strong>istik<br />

E<strong>in</strong> Großteil der Lungenkrebserkrankungen<br />

verläuft tödlich. Das Fünfjahreüberleben beträgt<br />

nur 11 % bei Männern und 14 % bei<br />

Frauen. Bei fortgeschrittener Erkrankung<br />

liegt das durchschnittliche Gesamtüberleben<br />

bei etwa sieben Mon<strong>at</strong>en.<br />

Zufällig entdeckt<br />

Nur die fe<strong>in</strong>gewebliche Untersuchung der Proben durch e<strong>in</strong>e Bronchoskopie sichert die Diagnose Lungenkarz<strong>in</strong>om.<br />

Im Frühstadium wird das Bronchialkarz<strong>in</strong>om<br />

oft zufällig entdeckt, weil z.B. Röntgenaufnahmen<br />

aus ganz anderen Gründen<br />

gemacht worden s<strong>in</strong>d.<br />

Grundsätzlich s<strong>in</strong>d verschiedene Untersuchungen<br />

nötig, um e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Diagnose<br />

zu erstellen. Dazu zählen bildgebende<br />

Verfahren wie Computertomographie, Kernsp<strong>in</strong>tomographie<br />

und die Bronchoskopie,<br />

bei der gleichzeitig Gewebeproben entnommen<br />

werden. „Nur die fe<strong>in</strong>gewebliche Untersuchung<br />

der Proben sichert im Endeffekt<br />

die Diagnose“, erklärt Primar Eckmayr.<br />

Da Bronchialkarz<strong>in</strong>ome Metastasen <strong>in</strong> anderen<br />

Organen und <strong>in</strong> den Knochen bilden<br />

können, wird unter anderem auch e<strong>in</strong>e<br />

Ultraschalluntersuchung der Bauchorgane<br />

und e<strong>in</strong>e Knochensz<strong>in</strong>tigrahie gemacht.<br />

Fallweise ist auch e<strong>in</strong>e Untersuchung mit<br />

der Positronenemissionstomographie (PET)<br />

erforderlich. Diese Tomographie erzeugt<br />

aussagekräftige Bilder biologischer Körperfunktionen<br />

und hilft Metastasen zu erkennen,<br />

wenn andere Methoden versagen.<br />

Krebsunterscheidungen<br />

Unterschieden wird zwischen kle<strong>in</strong>zelligen<br />

Bronchialkarz<strong>in</strong>omen, die frühzeitig Metastasen<br />

bilden und nicht-kle<strong>in</strong>zellige Karz<strong>in</strong>ome,<br />

die zunächst örtlich begrenzt wachsen.<br />

„75 bis 80 % aller Lungenkarz<strong>in</strong>ome gehören<br />

zum nicht-kle<strong>in</strong>zelligen Typ“, sagt Primar<br />

Eckmayr. „Er wächst <strong>in</strong> der Regel langsamer<br />

und breitet sich nicht so rasch aus.“<br />

Zur Therapie stehen heute Chemotherapie,<br />

Bestrahlung und Oper<strong>at</strong>ion zur Verfügung.<br />

In welcher Komb<strong>in</strong><strong>at</strong>ion behandelt wird,<br />

hängt von der Art, der Größe und Ausbreitung<br />

des Tumors ab. Voraussetzung für e<strong>in</strong>e<br />

Oper<strong>at</strong>ion ist, dass sich der Tumor noch<br />

nicht all zu weit ausgebreitet h<strong>at</strong>.<br />

„Vorbereitend zur Oper<strong>at</strong>ion können Chemo-<br />

oder Strahlentherapie genutzt werden“,<br />

erklärt Primar Eckmayr, „um den Tumor zu<br />

verkle<strong>in</strong>ern.“ Kann das Karz<strong>in</strong>om nicht vollständig<br />

entfernt werden, s<strong>in</strong>d die Lymphknoten<br />

schon von Krebszellen befallen oder<br />

haben sich bereits Metastasen gebildet, wird<br />

nach der Oper<strong>at</strong>ion mit Strahlen- und Chemotherapie<br />

behandelt.<br />

Heutzutage werden chemische Substanzen e<strong>in</strong>gesetzt, die bei gleicher Wirkung deutlich weniger Nebenwirkungen haben.<br />

Neue Therapieansätze<br />

E<strong>in</strong>e Reihe von neuen Medikamenten stehen<br />

<strong>in</strong> Entwicklung und s<strong>in</strong>d teilweise auch<br />

schon e<strong>in</strong>setzbar. E<strong>in</strong>erseits werden neue<br />

Chemotherapiesubstanzen e<strong>in</strong>gesetzt, die<br />

bei gleicher Wirkung deutlich weniger Nebenwirkungen<br />

haben: Zugelassen s<strong>in</strong>d beispielsweise<br />

Alimta (Pemetrexed) oder <strong>in</strong> Entwicklung<br />

Xyotax (Paclitaxel Poliglumex).<br />

Andererseits werden große Hoffnungen <strong>in</strong><br />

molekulare, so genannte „Targeted Therapien“<br />

gesetzt. Primar Eckmayr: „Diese s<strong>in</strong>d<br />

zumeist deutlich besser verträglich als Chemotherapeutika,<br />

sie wirken auf unterschiedliche<br />

Weise bei Krebszellen.“<br />

Unter der großen Anzahl von molekularen<br />

Therapieansätzen, welche untersucht wurden,<br />

stehen beim nicht-kle<strong>in</strong>zelligen Bronchuskarz<strong>in</strong>om<br />

gegenwärtig zwei Ansätze als<br />

viel versprechend im Vordergrund: Zielmoleküle<br />

dieser beiden Ansätze s<strong>in</strong>d der epidermale<br />

Wachstumsfaktor Rezeptor (Epidermal<br />

Growth Factor Receptor. EGFR)<br />

und der vascular endothelial growth factor<br />

(VEGF) – (Gefäßwachstumsfaktor).<br />

Zündschloss blockieren<br />

Die verkehrten Wachstumssignale der<br />

Krebszelle werden durch sogenannte EGF-<br />

Moleküle und deren Rezeptoren <strong>in</strong> Gang gesetzt.<br />

Dabei bef<strong>in</strong>den sich die EGF-Moleküle<br />

außerhalb der Zelle, die EGF-Rezeptoren sitzen<br />

<strong>in</strong> der Zellwand. Um es anschaulich darzustellen,<br />

kann man den EGF-Rezeptor mit<br />

e<strong>in</strong>em Motor vergleichen. Wird er gestartet,<br />

sendet er Wachstumssignale an den Zellkern<br />

aus. Gestartet wird der Motor, wenn<br />

der „Zündschlüssel“ (EGF-Molekül) <strong>in</strong> das<br />

„Zündschloss“ (e<strong>in</strong>e spezielle Stelle am EGF-<br />

Rezeptor) gesteckt wird.<br />

Die EGFR-Blocker blockieren nun das<br />

„Zündschloss“, der „Wachstumssignal-Motor“<br />

kann nicht mehr gestartet werden. Zur<br />

Therapie des kle<strong>in</strong>zelligen Karz<strong>in</strong>oms ist das<br />

Medikament nicht so gut geeignet.<br />

Als EGFR blockierende Substanz etwa bereits<br />

zugelassen: Erlot<strong>in</strong>ib (Tarceva) oder<br />

Gefit<strong>in</strong>ib (Iressa). Als Antikörpertherapie<br />

gegen Zellwachstum wird Cetuximab (Erbitux)<br />

e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Tumor aushungern<br />

E<strong>in</strong> weiterer molekularbiologischer Ans<strong>at</strong>z,<br />

den Tumor zu bekämpfen, ist der vascular<br />

endothelial growth factor (VEGF), sogenannte<br />

angiogene Hemmer „hungern den Tumor<br />

aus“. Dabei schaltet man Faktoren aus, welche<br />

se<strong>in</strong>e Versorgung mit Nährstoffen sicherstellen.<br />

Wenn der Tumor nicht mehr ausreichend<br />

mit Nährstoffen versorgt wird, wird<br />

se<strong>in</strong> Wachstum blockiert. Zur Hemmung<br />

dieser Gefäßneubildung von Tumorgewebe<br />

steht unter anderem die Substanz Bevacizumab<br />

(Avast<strong>at</strong><strong>in</strong>) zur Verfügung. Insgesamt<br />

lässt die moderne molekularbiologische Forschung<br />

den genaueren Ablauf e<strong>in</strong>er Tumorerkrankung<br />

besser erkennen und kann dadurch<br />

schrittweise e<strong>in</strong>en gezielteren E<strong>in</strong>s<strong>at</strong>z<br />

der Therapeutika ermöglichen.<br />

Die Entwicklungen der molekularen Therapieansätze<br />

beim nicht-kle<strong>in</strong>zelligen Bronchuskarz<strong>in</strong>om<br />

stehen erst am Anfang. E<strong>in</strong>e<br />

große Anzahl von weiteren Antikörpern und<br />

niedermolekularen Substanzen ist zurzeit <strong>in</strong><br />

kl<strong>in</strong>ischer Prüfung. Sehr wichtig s<strong>in</strong>d auch<br />

palli<strong>at</strong>ive symptoml<strong>in</strong>dernde Verfahren,<br />

denn beim Bronchialkarz<strong>in</strong>om gibt es oft<br />

Probleme durch die lokale Progression der<br />

Erkrankung, welche die Lebensqualität erheblich<br />

e<strong>in</strong>schränkt.<br />

Dazu gehören unter anderem tumorbed<strong>in</strong>gte<br />

E<strong>in</strong>engung der Luftröhre und der Bronchien<br />

und schmerzhafte Knochen- und Weichteilmetastasen.<br />

Dank der modernen Schmerztherapie<br />

und des gezielten E<strong>in</strong>s<strong>at</strong>zes der<br />

palli<strong>at</strong>iven Bestrahlung kann die moderne<br />

Mediz<strong>in</strong> die Lebensqualität von unheilbaren<br />

P<strong>at</strong>ienten wesentlich erhöhen.<br />

Elisabeth Dietz-Buchner<br />

10 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 11


Überweisung<br />

P<strong>at</strong>ienten entscheiden<br />

Seit der E<strong>in</strong>führung der e-card sparen sich viele P<strong>at</strong>ienten die Überweisung vom praktischen Arzt zum Facharzt. Der<br />

Überweisungssche<strong>in</strong> ist aber ke<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nlose Formalität, sondern e<strong>in</strong> wichtiges Kommunik<strong>at</strong>ionsmittel, das auch für die<br />

P<strong>at</strong>ienten Vorteile br<strong>in</strong>gt.<br />

E<strong>in</strong>e e-card ohne Überweisung ist wie e<strong>in</strong> Auto ohne Lenkrad.<br />

Die e-card macht P<strong>at</strong>ienten das Leben<br />

e<strong>in</strong>facher: Es gibt ke<strong>in</strong>e lästige Rennerei<br />

mehr um die Krankensche<strong>in</strong>e, man muss<br />

sich ke<strong>in</strong>e Gedanken mehr darüber machen,<br />

wann wieder e<strong>in</strong> neuer Sche<strong>in</strong> fällig<br />

ist, die Krankensche<strong>in</strong>gebühr entfällt.<br />

St<strong>at</strong>tdessen wird e<strong>in</strong>mal im Jahr e<strong>in</strong>e Pauschale<br />

von zehn Euro e<strong>in</strong>gehoben – egal,<br />

wie oft man beim Arzt war. Viele P<strong>at</strong>ienten<br />

sparen sich deshalb seit der E<strong>in</strong>führung<br />

der e-card den Weg zum praktischen<br />

Arzt, um sich e<strong>in</strong>e Überweisung<br />

zu holen und suchen lieber direkt e<strong>in</strong>en<br />

Facharzt auf.<br />

D<strong>at</strong>enmissbrauch<br />

ausgeschlossen<br />

Auf der e-card dürfen aber ke<strong>in</strong>e mediz<strong>in</strong>ischen<br />

D<strong>at</strong>en gespeichert werden – also<br />

auch ke<strong>in</strong>e Überweisung, die ja mediz<strong>in</strong>ische<br />

Inform<strong>at</strong>ionen über den P<strong>at</strong>ienten<br />

enthält.<br />

„Es ist absolut s<strong>in</strong>nvoll, dass sensible mediz<strong>in</strong>ische<br />

D<strong>at</strong>en nur <strong>in</strong> Papierform – am<br />

Überweisungssche<strong>in</strong> – aufsche<strong>in</strong>en. So<br />

kann der P<strong>at</strong>ient selbst entscheiden, ob<br />

und wem er sie anvertraut“, erklärt Mediz<strong>in</strong>alr<strong>at</strong><br />

Dr. Thomas Fiedler, stellvertretender<br />

Kurienobmann der niedergelassenen<br />

Ärzte und Sprecher der Fachärzte<br />

der Ärztekammer für Oberösterreich.<br />

Der Missbrauch von D<strong>at</strong>en, wie er <strong>in</strong> jedem<br />

noch so gut geschützten EDV-System<br />

vorkommen kann, ist damit ausgeschlossen.<br />

„Nur wenn die Krankengeschichte beim Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>er zusammenläuft,<br />

kann dieser Therapieempfehlungen umsetzen, vom Facharzt<br />

empfohlene Kontrollen veranlassen und zum Beispiel mögliche Wechselwirkungen<br />

von Medikamenten erkennen. Wir empfehlen deshalb den<br />

P<strong>at</strong>ienten, sich vom praktischen Arzt zum Facharzt überweisen zu lassen“,<br />

sagt MR Dr. Oskar Schwen<strong>in</strong>ger.<br />

Der P<strong>at</strong>ient entscheidet<br />

Mediz<strong>in</strong>ische D<strong>at</strong>en s<strong>in</strong>d Vertrauenssache<br />

und das ist gut so. Wenn e<strong>in</strong> P<strong>at</strong>ient<br />

möchte, dass der Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>er<br />

über se<strong>in</strong>e Krankengeschichte <strong>in</strong>formiert<br />

wird, kann er das selbst bee<strong>in</strong>flussen: Nur<br />

wenn der Facharzt e<strong>in</strong>en Überweisungssche<strong>in</strong><br />

erhält, kann er Inform<strong>at</strong>ionen über<br />

den P<strong>at</strong>ienten an den Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>er<br />

weitergeben. „Der P<strong>at</strong>ient h<strong>at</strong> viele Vorteile,<br />

wenn die Krankengeschichte beim<br />

INFO BOX<br />

praktischen Arzt zusammengeführt wird“,<br />

erklärt Mediz<strong>in</strong>alr<strong>at</strong> Dr. Oskar Schwen<strong>in</strong>ger,<br />

Kurienobmann der niedergelassenen<br />

Ärzte der Ärztekammer für OÖ, „nur so<br />

kann zum Beispiel vermieden werden,<br />

dass verschiedene Medikamente verordnet<br />

werden, die nicht zusammenpassen.<br />

Auch Therapieverordnungen vom Facharzt<br />

kann ich nur umsetzen, wenn ich die<br />

Befunde kenne.“<br />

Auch wenn der praktische Arzt se<strong>in</strong>e P<strong>at</strong>ienten<br />

an empfohlene Kontrollunter-<br />

„Der P<strong>at</strong>ient muss die Möglichkeit haben, frei zu entscheiden, welchen<br />

Arzt er aufsucht! Sensible mediz<strong>in</strong>ische D<strong>at</strong>en dürfen und sollen nicht<br />

auf der e-card gespeichert werden. Mit der schriftlichen Überweisung<br />

auf Papier ist garantiert, dass der P<strong>at</strong>ient alle<strong>in</strong>e darüber verfügt, wem<br />

er se<strong>in</strong>e D<strong>at</strong>en gibt“, erklärt MR Dr. Thomas Fiedler.<br />

e-card<br />

Im Laufe des vergangenen Jahres wurde<br />

das Krankensche<strong>in</strong>-System auf die<br />

e-card umgestellt. Jeder Versicherte<br />

oder Angehörige h<strong>at</strong> Anspruch auf<br />

e<strong>in</strong>e e-card.<br />

suchungen er<strong>in</strong>nern soll, oder e<strong>in</strong>fach<br />

R<strong>at</strong>geber <strong>in</strong> der <strong>in</strong>dividuellen Situ<strong>at</strong>ion<br />

se<strong>in</strong>es P<strong>at</strong>ienten se<strong>in</strong> soll, muss er die Befunde<br />

kennen und über die mediz<strong>in</strong>ische<br />

Vorgeschichte Bescheid wissen.<br />

E<strong>in</strong>en weiteren Vorteil sieht Mediz<strong>in</strong>alr<strong>at</strong><br />

Dr. Schwen<strong>in</strong>ger <strong>in</strong> der Vermeidung von<br />

Mehrfach-Untersuchungen: „Teure und<br />

für den P<strong>at</strong>ienten nicht s<strong>in</strong>nvolle Zweitund<br />

Drittbefundungen können vermieden<br />

werden, wenn der Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>er<br />

e<strong>in</strong>en Überblick h<strong>at</strong>.“<br />

Auf der e-card s<strong>in</strong>d Inform<strong>at</strong>ionen zur<br />

Person, wie Name, Geburtsd<strong>at</strong>um und<br />

Sozialversicherungsnummer gespeichert.<br />

Beim E<strong>in</strong>lesen der e-card wird<br />

überprüft, ob und wo der Inhaber<br />

der e-card krankenversichert ist. Diese<br />

D<strong>at</strong>en bef<strong>in</strong>den sich aber nicht auf<br />

der e-card selbst, sondern <strong>in</strong> der Betriebszentrale<br />

des e-card-Systems. Die<br />

e-card soll <strong>in</strong> Zukunft auch um die<br />

Funktionen der Bürger-Card erweiterbar<br />

se<strong>in</strong>.<br />

12 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 13


spricht man aber auch, wenn nur e<strong>in</strong>e dieser<br />

beiden Fähigkeiten schwer erlernbar ist.<br />

Werden auch leichte Fälle berücksichtigt, so<br />

geht man davon aus, dass zirka 10 % der<br />

Bevölkerung an e<strong>in</strong>er Legasthenie leiden.<br />

Rechenschwäche – die so genannte Dyskalkulie<br />

– kommt nur etwa halb so oft<br />

vor.<br />

Organische Störung des<br />

Gehirns<br />

„Legasthenie ist e<strong>in</strong>e genetisch determ<strong>in</strong>ierte<br />

Verarbeitungsstörung von Lauten“,<br />

erklärt Prim. Dr. Johannes Fell<strong>in</strong>ger, Facharzt<br />

für Neurologie und Psychi<strong>at</strong>rie, „die<br />

phonologische Bewusstheit ist gestört.“<br />

Lautliche Segmente der Sprache können<br />

erschwert wahrgenommen und im Gedächtnis<br />

gespeichert werden. Daher haben<br />

Legastheniker große Probleme, den<br />

e<strong>in</strong>zelnen Buchstaben entsprechende Laute<br />

zuzuordnen und umgekehrt.<br />

Neurobiologische Untersuchungen konnten<br />

zeigen, dass Regionen des Großhirns,<br />

die bei der Wahrnehmung und Unterscheidung<br />

von Sprachreizen und Lauten<br />

aktiviert werden, bei lese- und rechtschreibschwachen<br />

Menschen viel weniger<br />

aktiv s<strong>in</strong>d.<br />

„K<strong>in</strong>der mit e<strong>in</strong>er spezifischen Sprachentwicklungsstörung<br />

weisen vielfach Auffälligkeiten<br />

<strong>in</strong> der Laut-Bewusstheit auf“,<br />

erklärt Fell<strong>in</strong>ger. Solche Symptome können<br />

schon vor dem Schule<strong>in</strong>tritt auf e<strong>in</strong>e<br />

Legasthenie h<strong>in</strong>deuten. „Die K<strong>in</strong>der können<br />

zum Beispiel Wörter nicht zerlegen:<br />

Maus bleibt e<strong>in</strong> Ganzes, die Bestandteile<br />

M-AU-S s<strong>in</strong>d nicht erkennbar“, schildert<br />

Fell<strong>in</strong>ger das Symptom. Wenn e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d<br />

sehr spät zu sprechen beg<strong>in</strong>nt, kann das<br />

auf e<strong>in</strong>e Sprachentwicklungsstörung h<strong>in</strong>deuten.<br />

Buben häufiger betroffen<br />

„Mädchen tun sich beim Lesen leichter!“<br />

Diese Feststellung stimmt zwar nicht generell,<br />

kl<strong>in</strong>ische Stichproben bestätigen<br />

aber, dass Buben häufiger unter Legasthenie<br />

leiden. Die Kompens<strong>at</strong>ionsmöglichkeiten<br />

s<strong>in</strong>d bei Mädchen unter anderem<br />

auf Grund unterschiedlicher neurologischer<br />

Voraussetzungen günstiger.<br />

EXPERTENTIPP<br />

Prim. Dr.<br />

Johannes Fell<strong>in</strong>ger<br />

FA für Neurologie und Psychi<strong>at</strong>rie<br />

und Abteilungsleiter<br />

im Krankenhaus der Barmherzigen<br />

Brüder L<strong>in</strong>z<br />

➤ Schon im Vorschulalter können<br />

verschiedene Symptome auf e<strong>in</strong>e<br />

Legasthenie h<strong>in</strong>deuten.<br />

➤ Legasthenie h<strong>at</strong> nichts mit mangelnder<br />

Intelligenz zu tun: Auch<br />

wenn Probleme beim Erfassen von<br />

Inhalten beim Lesen bestehen – anders<br />

aufbereitet kann e<strong>in</strong> Mensch<br />

mit Legasthenie diese problemlos<br />

erfassen.<br />

➤ Verständnis für die Schwächen aufbr<strong>in</strong>gen:<br />

Ke<strong>in</strong>e Leistungen verlangen,<br />

die der Betroffene nicht br<strong>in</strong>gen<br />

kann.<br />

EXPERTENTIPP<br />

Mag.<br />

Carola Neuhauser<br />

Erziehungswissenschaftler<strong>in</strong><br />

und akademische<br />

LRS-Therapeut<strong>in</strong><br />

Legasthenie<br />

Mit Beharrlichkeit kann man viel erreichen<br />

Lese-Rechtschreibschwäche ist ke<strong>in</strong> Zeichen von mangelnder Intelligenz. Wenn<br />

die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen stimmen, haben Legastheniker gute Chancen, ihre<br />

Schwäche zu kompensieren.<br />

„Jeder Buchstabe ist e<strong>in</strong>e Qual, selbst häufig<br />

vorkommende kurze Wörter können<br />

nur mit größten Schwierigkeiten abgespeichert<br />

werden, der S<strong>in</strong>n wird oft nicht<br />

erfasst“, schildert die Erziehungswissenschaftler<strong>in</strong><br />

und akademische LRS-Therapeut<strong>in</strong><br />

Mag. Carola Neuhauser die Probleme<br />

von Legasthenikern. Leseschwäche<br />

tritt sehr häufi g geme<strong>in</strong>sam mit Rechtschreibschwäche<br />

auf. Von Legasthenie<br />

➤ E<strong>in</strong>e Therapie muss bei den Symptomen<br />

ansetzen. Klettern und krabbeln<br />

kann zwar für die K<strong>in</strong>der lustig<br />

se<strong>in</strong>, besser lesen und schreiben<br />

werden sie danach aber nicht.<br />

➤ Regeln und Strukturen helfen,<br />

Lese- und Rechtschreibschwäche<br />

zu kompensieren.<br />

➤ Mit viel Fleiß und E<strong>in</strong>s<strong>at</strong>z können<br />

es Legastheniker schaffen, ihre<br />

Schwächen zu beherrschen.<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 16<br />

14 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 15


Ist die Fähigkeit, richtig Rechtschreiben zu können, für die Schullaufbahn und fürs Leben wirklich so wichtig?<br />

Legasthenie ist also e<strong>in</strong>e neurologische<br />

Störung, die mit Intelligenz nichts zu tun<br />

h<strong>at</strong>. Leseschwache Menschen können Inhalte<br />

nur schwer erfassen, weil sie sich<br />

zu sehr auf das Zusammenlauten konzentrieren<br />

müssen. Werden die Inhalte aber<br />

anders aufbereitet, zum Beispiel <strong>in</strong> Form<br />

e<strong>in</strong>es Hörbuchs oder e<strong>in</strong>es Films, so haben<br />

Legastheniker damit überhaupt ke<strong>in</strong>e<br />

Probleme.<br />

Möglichst früh zur Therapie<br />

Wer sich schwer mit dem Lesen tut,<br />

h<strong>at</strong> ke<strong>in</strong>en Spaß dabei, liest selten und<br />

schon gar nicht freiwillig. Auch ständig<br />

von roten Korrekturen strotzende Schulhefte<br />

machen nicht gerade Lust auf Schule.<br />

Hier s<strong>in</strong>d die Eltern und Lehrer gefordert:<br />

„Wenn e<strong>in</strong> Verdacht besteht, dass das<br />

K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Lese-Rechtschreibschwäche h<strong>at</strong>,<br />

so soll das so bald wie möglich geklärt<br />

werden, um unter guten Voraussetzungen<br />

für das K<strong>in</strong>d mit e<strong>in</strong>er Therapie beg<strong>in</strong>nen<br />

zu können“, s<strong>in</strong>d sich Fell<strong>in</strong>ger und Neuhauser<br />

e<strong>in</strong>ig. Mittels objektiver Tests kann<br />

festgestellt werden, ob das K<strong>in</strong>d unter Legasthenie<br />

leidet.<br />

Ist das geklärt, geht es sowohl dem betroffenen<br />

K<strong>in</strong>d als auch den Eltern meist<br />

schon besser: Belastende Vorwürfe von<br />

wegen „zu faul“ oder „schlampig“ fallen<br />

weg – an e<strong>in</strong>er Verbesserung kann gearbeitet<br />

werden.<br />

„Wir arbeiten mit den K<strong>in</strong>dern an ganz<br />

konkreten Problemen: Gibt es zum Beispiel<br />

Probleme mit der Lauterkennung, so<br />

nehmen wir uns das Thema vor und arbeiten<br />

so lange daran, bis es e<strong>in</strong>e Verbesserung<br />

gibt – egal wie alt das betroffene<br />

K<strong>in</strong>d ist“, erzählt Neuhauser. Legastheniker<br />

tun sich schwer, Wörter als Bilder zu<br />

speichern – sie müssen sich die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Wörter und das Verständnis e<strong>in</strong>es ganzen<br />

S<strong>at</strong>zes mühsam erarbeiten. „E<strong>in</strong>e große<br />

Hilfe für Legastheniker s<strong>in</strong>d Regeln und<br />

Strukturen, die ihnen auch <strong>in</strong> der Schule<br />

helfen“, sagt Neuhauser.<br />

Knallen, fallen, essen, Lotto, Pille, … für<br />

Legastheniker ist es schwieriger, kurze Vokale<br />

zu erkennen. Die Regel, dass kurzen<br />

Vokalen Doppelkonsonanten folgen, ist<br />

deshalb zwar hilfreich, muss aber langsam<br />

erarbeitet und geübt werden, und zwar so<br />

lange, bis das K<strong>in</strong>d auch <strong>in</strong> der Schule –<br />

unter Stress – darauf zurückgreifen kann.<br />

Welche Therapie ist s<strong>in</strong>nvoll?<br />

Rund 270.000 Treffer spuckt die Suchmasch<strong>in</strong>e<br />

Google <strong>in</strong>nerhalb weniger Sekunden<br />

aus, wenn man die Stichwörter „Legasthenie“<br />

und „Therapie“ e<strong>in</strong>gibt. Die<br />

Therapie-Angebote s<strong>in</strong>d so vielfältig wie<br />

die Ausbildungsangebote für Legasthenie-<br />

Tra<strong>in</strong>er. Wie f<strong>in</strong>det man angesichts dieser<br />

Fülle e<strong>in</strong>e seriöse, wirkungsvolle Therapie?<br />

„Therapien s<strong>in</strong>d nur dann s<strong>in</strong>nvoll, wenn<br />

sie symptomorientiert ablaufen“, ist Carola<br />

Neuhauser überzeugt, „wenn die phonologische<br />

Bewusstheit gestört ist, muss<br />

man dort ansetzen.“ Von Bewegungstherapien,<br />

therapeutischem Klettern und<br />

Ähnlichem hält sie wenig: „Diese Angebote<br />

s<strong>in</strong>d sehr nett und machen den K<strong>in</strong>dern<br />

sicherlich Spaß. Allerd<strong>in</strong>gs bezweifle<br />

ich, dass sie helfen, die Lese- und Rechtschreibkompetenz<br />

zu verbessern.“ Das<br />

Argument, die Koord<strong>in</strong><strong>at</strong>ion der beiden<br />

Gehirnhälften werde so tra<strong>in</strong>iert und die<br />

Lese- und Rechtschreibschwächen autom<strong>at</strong>isch<br />

besser, lässt sie nicht gelten: „Ich<br />

muss dort ansetzen, wo das K<strong>in</strong>d Schwächen<br />

h<strong>at</strong>. Außerdem wird auch bei Leseund<br />

Schreibübungen die Zusammenarbeit<br />

der beiden Hemisphären geübt!“<br />

Mit der richtigen Therapie können selbst<br />

<strong>in</strong> schweren Fällen Verbesserungen für die<br />

Betroffenen erzielt werden. „Die K<strong>in</strong>der<br />

s<strong>in</strong>d durchschnittlich 45 bis 50 Stunden<br />

bei mir, dann haben sie sich so e<strong>in</strong>en Polster<br />

erarbeitet, dass sie <strong>in</strong> der Schule ohne<br />

IMPRESSUM<br />

Medien<strong>in</strong>haber, Herausgeber und Verleger:<br />

Ärztekammer für Oberösterreich,<br />

D<strong>in</strong>ghoferstr. 4, 4<strong>01</strong>0 L<strong>in</strong>z,<br />

Tel: 0732/77 83 71-0<br />

e-mail: pr@aek<strong>ooe</strong>.or.<strong>at</strong><br />

www.<strong>gesund</strong>es<strong>ooe</strong>.<strong>at</strong><br />

Wissenschaftliche Leitung:<br />

Prim. Dr. Josef Hochreiter<br />

Chefredaktion:<br />

Margit Freudenthaler<br />

Journalisten:<br />

Elisabeth Dietz-Buchner<br />

Mag. Michaela Ecklbauer<br />

Mag. Christian F. Freisleben-Teutscher<br />

Mag. Christ<strong>in</strong>e Radmayr<br />

Mag. Susanne Samet<strong>in</strong>ger<br />

gravierende Probleme weiterkommen“,<br />

sagt Neuhauser. Trotzdem sei die Schulzeit<br />

für Legastheniker e<strong>in</strong>e schwierige Zeit, vor<br />

allem, weil nicht immer Rücksicht auf ihre<br />

besonderen Probleme und Schwächen genommen<br />

wird. „Wie wichtig ist die Fähigkeit,<br />

richtig rechtschreiben zu können, für<br />

die Schullaufbahn und fürs Leben wirklich?<br />

Diese Frage sollte man sich e<strong>in</strong>mal<br />

stellen“, me<strong>in</strong>t Neuhauser.<br />

Wenn neben der Rechtschreibung die Beurteilung<br />

von Inhalten, Ausdruck und<br />

Sprachrichtigkeit mehr Bedeutung gewänne,<br />

wenn zum Beispiel das Modell e<strong>in</strong>er<br />

Zwei-Phasen-Schularbeit breite Anwendung<br />

f<strong>in</strong>den würde, damit das K<strong>in</strong>d die<br />

erlernten Str<strong>at</strong>egien aus der Therapie anwenden<br />

kann, würden davon nicht nur<br />

Legastheniker profitieren.<br />

„Wenn die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen stimmen,<br />

haben Legastheniker sehr gute Chancen,<br />

ihre Schwächen im späteren Leben<br />

zu kompensieren“, resümiert Fell<strong>in</strong>ger,<br />

„wichtiger als die Therapie ist das Verständnis<br />

für die Schwächen des Betroffenen:<br />

Es br<strong>in</strong>gt absolut nichts, den Schüler<br />

unter Druck zu setzen und von ihm<br />

Leistungen zu verlangen, die er e<strong>in</strong>fach<br />

nicht erbr<strong>in</strong>gen kann!“<br />

Mag. Susanne Samet<strong>in</strong>ger<br />

Gestaltung:<br />

www.diewerber.com<br />

Herstellung:<br />

Friedrich VDV-GmbH & Co KG<br />

Bildnachweis: BilderBox, Müller, Kl<strong>in</strong>ikum<br />

Kreuzschwestern Wels<br />

Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz:<br />

MI,H,V: Ärztekammer für OÖ,<br />

Körperschaft öffentlichen Rechts,<br />

D<strong>in</strong>ghoferstr. 4, 4<strong>01</strong>0 L<strong>in</strong>z<br />

Grundlegende Richtung:<br />

Regelmäßiges Gesundheitsmagaz<strong>in</strong> der Ärztekammer<br />

für Oberösterreich zur Inform<strong>at</strong>ion der<br />

P<strong>at</strong>ienten über Gesundheitsthemen mit speziellem<br />

Oberösterreichbezug. Die Inhalte der e<strong>in</strong>zelnen<br />

Artikeln geben die persönliche Me<strong>in</strong>ung<br />

des Autors wieder und müssen nicht mit der<br />

Ansicht der Redaktion übere<strong>in</strong>stimmen.<br />

PATIENTENSERVICE:<br />

0810 / 200 216<br />

Das P<strong>at</strong>ienten-Service der Ärztekammer<br />

Montag bis Donnerstag, jeweils von<br />

8.30 bis 11.30 Uhr<br />

Im P<strong>at</strong>ienten-Service der Ärztekammer für<br />

OÖ stehen Ihnen zwei<br />

Ansprechpartner zur Verfügung.<br />

Brigitte Feist gibt Auskünfte zu<br />

allgeme<strong>in</strong>en Fragen zu Behandlungsmethoden,<br />

überprüft die Kostenerst<strong>at</strong>tung seitens<br />

der Kasse und h<strong>at</strong> für alle<br />

Anliegen e<strong>in</strong> offenes Ohr.<br />

Dr. Hildtrud Furtner ist jeden Montag<br />

am Vormittag für mediz<strong>in</strong>ische Fragen erreichbar.<br />

Die P<strong>at</strong>ientenservicestelle ist unter der<br />

Telefonnummer 0810-200216 zum<br />

Ortstarif erreichbar.<br />

16 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 17


Fahrtauglich?<br />

Trotz Erkrankung oder Beh<strong>in</strong>derung sicher unterwegs<br />

EXPERTENTIPP<br />

Dr. Franz Derntl<br />

FA für Innere Mediz<strong>in</strong> <strong>in</strong> L<strong>in</strong>z<br />

Die Fähigkeit, e<strong>in</strong> Fahrzeug zu lenken, kann vorübergehend, etwa wenn man bestimmte Medikamente e<strong>in</strong>nimmt, oder auch<br />

dauerhaft durch verschiedene Erkrankungen bee<strong>in</strong>trächtigt se<strong>in</strong>. Ärztliche Kontrollen und realistische Selbste<strong>in</strong>schätzung<br />

helfen, Unfälle zu vermeiden.<br />

Diabetiker sollten vor längeren Fahrten Blutzuckerkontrollen durchführen und beim Fahren regelmäßige Pausen machen.<br />

Anna M. misst ihren Blutzucker, bevor sie<br />

sich ans Steuer setzt. Sie ist Typ-I-Diabetiker<strong>in</strong>,<br />

ihr Körper kann das Insul<strong>in</strong>, das er<br />

zum Abbau von Kohlehydr<strong>at</strong>en braucht,<br />

nicht mehr selbst erzeugen. Die Student<strong>in</strong><br />

h<strong>at</strong> gelernt, mit ihrer chronischen Krankheit<br />

umzugehen: Sie misst mehrmals täglich<br />

ihren Blutzucker, weiß, wie viel Kohlehydr<strong>at</strong>e<br />

sie zu sich nimmt und wie viel<br />

Insul<strong>in</strong> sie zu jedem Essen spritzen muss.<br />

Ihre Erkrankung bee<strong>in</strong>trächtigt Anna nicht<br />

– so lange sie verantwortungsvoll damit<br />

umgeht. Als sie mit 18 Jahren die Fahrprüfung<br />

bestand, erhielt sie e<strong>in</strong>en befristeten<br />

Führersche<strong>in</strong>. Alle zwei Jahre muss sie nun<br />

mit e<strong>in</strong>em fachärztlichen Gutachten über<br />

ihre Fahrtauglichkeit zum Amtsarzt.<br />

Bewusstse<strong>in</strong>sstörungen<br />

– viele Ursachen<br />

„Das Lenken e<strong>in</strong>es Kraftfahrzeugs ist selbst<br />

für <strong>gesund</strong>e Menschen e<strong>in</strong>e Belastung. Kranke<br />

kann es <strong>in</strong> kritische Situ<strong>at</strong>ionen br<strong>in</strong>gen“,<br />

sagt Dr. Franz Derntl, Facharzt für Innere<br />

Mediz<strong>in</strong>. „Besonders kritisch s<strong>in</strong>d alle<br />

„Die Fahrtauglichkeit sollte<br />

viel häufiger them<strong>at</strong>isiert<br />

werden – sowohl vom Arzt<br />

als auch vom P<strong>at</strong>ienten. Man<br />

muss versuchen, e<strong>in</strong>e Lösung<br />

zu f<strong>in</strong>den, die sowohl im Interesse<br />

der allgeme<strong>in</strong>en Sicherheit<br />

im Straßenverkehr ist als<br />

auch die Situ<strong>at</strong>ion des e<strong>in</strong>zelnen<br />

berücksichtigt.<br />

Schließlich bedeutet Autofahren<br />

für e<strong>in</strong>en Menschen, gerade<br />

wenn er bee<strong>in</strong>trächtigt<br />

ist, höhere Mobilität und Selbständigkeit.<br />

Am wichtigsten<br />

ist die richtige Selbste<strong>in</strong>schätzung.“<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 20<br />

FAHRTAUGLICH?<br />

Wer zur Führersche<strong>in</strong>prüfung antreten<br />

möchte, muss se<strong>in</strong>e Fahrtauglichkeit<br />

von e<strong>in</strong>em sachverständigen Arzt<br />

besche<strong>in</strong>igen lassen. Dieser kann Brillenträgern<br />

die Auflage erteilen, nur mit<br />

ihrem Sehbehelf zu fahren, wenn die<br />

erforderliche M<strong>in</strong>destsehschärfe nur<br />

damit erreicht wird. Menschen unter<br />

der zum Lenken e<strong>in</strong>es Pkws erforderlichen<br />

M<strong>in</strong>destgröße von 155 cm (für<br />

LKW 160 cm) müssen e<strong>in</strong> Sitzpolster<br />

verwenden. Bestehen andere Erkrankungen<br />

oder Bee<strong>in</strong>trächtigungen, so<br />

wird man zum Amtsarzt vorgeladen,<br />

der e<strong>in</strong> fachärztliches oder im Falle<br />

e<strong>in</strong>er psychischen Auffälligkeit e<strong>in</strong><br />

verkehrspsychologisches Gutachten<br />

anordnet. Das Ergebnis kann entweder<br />

die Beurteilung „nicht geeignet“<br />

oder die Diagnose „geeignet“ – mit e<strong>in</strong>er<br />

Auflage - se<strong>in</strong> (z.B. Befristung und<br />

Nachuntersuchung alle 2 Jahre, aber<br />

auch andere E<strong>in</strong>schränkungen, wie<br />

Verwendung e<strong>in</strong>es Autos mit Autom<strong>at</strong>ik-Getriebe,<br />

nur bei Tageslicht, nicht<br />

auf Autobahnen …). Nummerncodes<br />

am Führersche<strong>in</strong> geben über die Art<br />

der E<strong>in</strong>schränkung Aufschluss. H<strong>at</strong><br />

man den Führersche<strong>in</strong> ohne Befristung<br />

erst e<strong>in</strong>mal erhalten, so wird die Behörde<br />

nur bei e<strong>in</strong>er Verkehrskontrolle oder<br />

wenn man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Unfall verwickelt<br />

ist, auf die mögliche Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />

der Fahrtauglichkeit aufmerksam.<br />

Die Bestimmungen für Berufskraftfahrer<br />

s<strong>in</strong>d wesentlich strenger; ärztliche<br />

Untersuchungen alle fünf Jahre,<br />

ab dem 60. Lebensjahr alle zwei Jahre,<br />

s<strong>in</strong>d verpflichtend.<br />

18 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 19


DIE FAHRTAUGLICHKEIT KANN BEEINTRÄCHTIGT SEIN:<br />

➤ schwere Allgeme<strong>in</strong>erkrankungen<br />

(hochfieberhafte akute Infekte,<br />

schweres Asthma bronchiale oder<br />

COPD, bösartige Tumore <strong>in</strong> fortgeschrittenem<br />

Stadium …)<br />

➤ fortschreitende Erkrankungen (z.B.<br />

Diabetes Mellitus mit Netzhautveränderungen<br />

oder Nervenschädigungen,<br />

Multiple Sklerose, Grauer<br />

und Grüner Star, Morbus Park<strong>in</strong>son<br />

…)<br />

Erkrankungen, bei denen es zu vorübergehenden<br />

Bewußtse<strong>in</strong>sstörungen kommen<br />

kann.“ So können bei <strong>in</strong>sul<strong>in</strong>pflichtigen<br />

Diabetikern gefährliche Hypoglykämien<br />

– Unterzuckerungen – auftreten. Sehstörungen<br />

und e<strong>in</strong>e stark e<strong>in</strong>geschränkte Reaktionsfähigkeit<br />

können die Folgen se<strong>in</strong><br />

– im schlimmsten Fall sogar Bewusstlosigkeit.<br />

Meist spüren Diabetiker solche „Hypos“<br />

und können rechtzeitig durch die<br />

E<strong>in</strong>nahme von Kohlehydr<strong>at</strong>en, wie etwa<br />

Traubenzucker, ihren Blutzucker wieder<br />

<strong>in</strong> den Normalbereich br<strong>in</strong>gen – aber eben<br />

➤ Herz- Kreislauferkrankungen, Epilepsie<br />

➤ körperliche Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />

(Sehschwäche, Gesichtsfelde<strong>in</strong>schränkungen,<br />

Schwerhörigkeit,<br />

Handicaps im Bewegungsappar<strong>at</strong>)<br />

➤ psychische Erkrankungen<br />

➤ E<strong>in</strong>nahme von bestimmten Medikamenten<br />

➤ Alkohol- und Drogenkonsum<br />

nicht immer. Blutzuckerkontrollen vor längeren<br />

Fahrten und regelmäßige Pausen helfen,<br />

gefährliche Unterzuckerungen zu vermeiden.<br />

Auch bei bestimmten Herz-Kreislauferkrankungen<br />

können Bewusstse<strong>in</strong>sstörungen<br />

auftreten. „Diese können, müssen<br />

sich aber nicht ankündigen“, warnt Derntl.<br />

P<strong>at</strong>ienten, die an Herzrhythmusstörungen,<br />

Bluthochdruck oder Ang<strong>in</strong>a Pectoris leiden<br />

oder e<strong>in</strong>en Herzschrittmacher brauchen,<br />

müssen regelmäßig auf ihre Fahrtauglichkeit<br />

h<strong>in</strong> untersucht werden. „Wichtig ist<br />

vor allem auch, dass der P<strong>at</strong>ient lernt, sich<br />

selbst richtig e<strong>in</strong>zuschätzen und dementsprechend<br />

zu reagieren“, sagt Derntl. „Beim<br />

leisesten Anzeichen e<strong>in</strong>es Schw<strong>in</strong>dels sollte<br />

man die Fahrt unterbrechen. Auch P<strong>at</strong>ienten,<br />

die bereits e<strong>in</strong>en Herz<strong>in</strong>farkt oder<br />

e<strong>in</strong>en Schlaganfall h<strong>at</strong>ten, müssen sofort<br />

reagieren, wenn Symptome auftreten, die<br />

sie an ihre durchgemachte Krankheit er<strong>in</strong>nern.“<br />

P<strong>at</strong>ienten mit schweren fortschreitenden<br />

Erkrankungen, wo ke<strong>in</strong>e Bewusstse<strong>in</strong>sstörungen<br />

zu befürchten s<strong>in</strong>d, wie z.B. Multiple<br />

Sklerose, müssen dem Amtsarzt ebenfalls<br />

regelmäßig fachärztliche Gutachten<br />

über ihre Fahrtauglichkeit vorlegen. Ist die<br />

Multiple Sklerose noch nicht zu weit fortgeschritten,<br />

kann der Betroffene e<strong>in</strong> Fahrzeug<br />

genauso sicher lenken wie jeder <strong>gesund</strong>e<br />

Mensch.<br />

Richtl<strong>in</strong>ien<br />

Anders sieht die Sache für Epileptiker aus.<br />

Diese bekommen nach e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>dividuellen<br />

Beobachtungszeitraum, der je nach Anfalls-<br />

form und –häufigkeit festgelegt wird, entweder<br />

e<strong>in</strong> befürwortendes oder e<strong>in</strong> abschlägiges<br />

fachärztliches Gutachten. Wenn<br />

e<strong>in</strong> Epileptiker gut e<strong>in</strong>gestellt ist, spricht<br />

nichts dagegen, dass er e<strong>in</strong>en Pkw oder e<strong>in</strong><br />

Motorrad lenkt – Berufsfahrer kann er aber<br />

nicht werden.<br />

Insul<strong>in</strong>pflichtige Diabetiker s<strong>in</strong>d verpflichtet,<br />

regelmäßig fachärztliche Gutachten<br />

vorzulegen. Ansonsten gibt es für sie ke<strong>in</strong>e<br />

gesetzlich verankerten Richtl<strong>in</strong>ien bezüglich<br />

Fahrtauglichkeit, wenn es darum geht,<br />

e<strong>in</strong>en Pkw oder e<strong>in</strong> Motorrad zu lenken.<br />

E<strong>in</strong>en Führersche<strong>in</strong> der Gruppe 2 (Berufskraftfahrer)<br />

dürfen Diabetiker laut Gesetz<br />

nur „unter bestimmten Voraussetzungen“<br />

erwerben. Wie diese auszusehen haben, ist<br />

nicht näher def<strong>in</strong>iert und bleibt somit der<br />

E<strong>in</strong>schätzung des begutachtenden Facharztes<br />

überlassen.<br />

Auch die E<strong>in</strong>nahme von Psychopharmaka<br />

kann die Fahrtüchtigkeit bee<strong>in</strong>trächtigen.<br />

Ob der betroffene Mensch <strong>in</strong> der Lage ist,<br />

aktiv am Straßenverkehr teilzunehmen,<br />

wird <strong>in</strong>dividuell durch e<strong>in</strong> fachärztliches<br />

Gutachten entschieden.<br />

Selbste<strong>in</strong>schätzung wichtig<br />

Dass man Alkohol und Drogen am Steuer<br />

besser se<strong>in</strong> lässt, ist wohl ke<strong>in</strong>er besonderen<br />

Erwähnung wert. Dass auch Medikamente,<br />

die man vorübergehend e<strong>in</strong>nehmen<br />

muss, die Fahrtauglichkeit bee<strong>in</strong>trächtigen<br />

können, wird h<strong>in</strong>gegen leicht vergessen.<br />

„Kritisch s<strong>in</strong>d zum Beispiel Medikamente<br />

gegen Schw<strong>in</strong>del oder bestimmte<br />

Allergien, wie etwa e<strong>in</strong>e Pollenallergie“,<br />

sagt Dr. Hiltrud Furtner, sachverständige<br />

Ärzt<strong>in</strong> für Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>. „Da diese<br />

Medikamente sehr müde machen können,<br />

sollte man sie nach Möglichkeit abends<br />

vor dem Schlafengehen e<strong>in</strong>nehmen. Vorsicht<br />

geboten ist auch <strong>in</strong> der Anfangsphase<br />

der E<strong>in</strong>nahme von Schlafmitteln,<br />

wo Tagesmüdigkeit und Konzentr<strong>at</strong>ionsstörungen<br />

auftreten können. Ebenso bei<br />

Muskelrelaxanzien, die zum Beispiel bei<br />

e<strong>in</strong>er schweren Verspannung des Nackens<br />

Erleichterung verschaffen.“<br />

Auch nach der örtlichen Betäubung beim<br />

Zahnarzt sollte man vorsichtig se<strong>in</strong> und<br />

sich nur ans Steuer setzen, wenn man sich<br />

fit fühlt.<br />

EXPERTENTIPP<br />

Dr. Hiltrud Furtner<br />

Sachverständige Ärzt<strong>in</strong> für<br />

Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong> <strong>in</strong> L<strong>in</strong>z<br />

„Regelmäßige Untersuchungen<br />

s<strong>in</strong>d vor allem bei<br />

schweren fortschreitenden<br />

Erkrankungen wichtig. Wenn<br />

Bee<strong>in</strong>trächtigungen nicht<br />

plötzlich auftreten, sondern<br />

langsam stärker werden, besteht<br />

die Gefahr, dass man<br />

sich an den Zustand gewöhnt<br />

und die Bee<strong>in</strong>trächtigung als<br />

nicht so schlimm empf<strong>in</strong>det.“<br />

Wenn e<strong>in</strong>em plötzlich schw<strong>in</strong>dlig ist, der<br />

Nacken über Nacht so steif geworden ist,<br />

dass man sich im Auto nicht mehr umdrehen<br />

kann oder e<strong>in</strong>e Augenverletzung ganz<br />

e<strong>in</strong>deutig die Sicht beh<strong>in</strong>dert, ist klar: „Ich<br />

b<strong>in</strong> nicht voll e<strong>in</strong>s<strong>at</strong>zfähig, Autofahren ist<br />

unter diesen Umständen gefährlich.“<br />

Schwieriger wird die E<strong>in</strong>schätzung der<br />

eigenen Fähigkeiten, wenn e<strong>in</strong>e Erkrankung<br />

langsam fortschreitet: „Der Mensch<br />

gewöhnt sich an körperliche E<strong>in</strong>schränkungen“,<br />

erklärt Furtner. „Wenn die Augen<br />

langsam schlechter werden, die Bewegungsfähigkeit<br />

abnimmt, so fällt das<br />

vielen gar nicht auf, e<strong>in</strong>iges kann man<br />

auch kompensieren.“<br />

Nur so s<strong>in</strong>d Fälle wie jener zu erklären,<br />

wo sich e<strong>in</strong> Mensch mit fortgeschrittenem<br />

grünen Star noch ans Steuer setzte, obwohl<br />

er se<strong>in</strong>e Umwelt nur mehr schemenhaft<br />

wahrnehmen konnte.<br />

Alkohol und Drogen sollte man am Steuer besser se<strong>in</strong> lassen.<br />

Die E<strong>in</strong>nahme von Medikamenten kann die Fahrtauglichkeit e<strong>in</strong>schränken.<br />

Mag. Susanne Samet<strong>in</strong>ger<br />

20 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 21


Mediz<strong>in</strong>ische Versorgung<br />

auf höchstem Niveau<br />

Ärztekammer für OÖ fordert s<strong>in</strong>nvolle Qualitätskriterien<br />

für unbed<strong>in</strong>gt notwendig, um die Qualität<br />

mediz<strong>in</strong>ischer Leistungen mite<strong>in</strong>ander vergleichen<br />

zu können“, ist Primar Hochreiter<br />

überzeugt.<br />

Das Österreichische Bundes<strong>in</strong>stitut für Gesundheitswesen<br />

(ÖBIG) h<strong>at</strong> den E<strong>in</strong>wänden<br />

der Ärztekammer <strong>in</strong>sofern Rechnung getragen,<br />

als die Frist für die Festlegung der<br />

Qualitätskriterien im ÖSG nun bis 30. Juni<br />

<strong>2006</strong> verlängert wurde. „Wir möchten diese<br />

Zeit nutzen und bieten dem Gesundheitsm<strong>in</strong>isterium<br />

noch e<strong>in</strong>mal unsere Mitarbeit<br />

bei der Gestaltung e<strong>in</strong>es bedarfsorientierten<br />

und s<strong>in</strong>nvollen Strukturplans an. Vor allem<br />

ist es uns auch wichtig, dass auf die regionalen<br />

Bedürfnisse e<strong>in</strong>gegangen wird“, so Dr.<br />

Mayer, „schließlich kann man die Situ<strong>at</strong>ion<br />

<strong>in</strong> Wien nicht mit der <strong>in</strong> Oberösterreich vergleichen“.<br />

Die Konsequenzen, wenn – wie im Herbst<br />

geplant - all diese Kriterien außer Acht gelassen<br />

würden, wären k<strong>at</strong>astrophal: „Regionale<br />

Krankenhäuser, die die mediz<strong>in</strong>ische<br />

Grundversorgung gewährleisten, würden f<strong>in</strong>anziell<br />

ausgehungert, weil ihnen e<strong>in</strong> Großteil<br />

der E<strong>in</strong>nahmen abhanden käme. Für<br />

die P<strong>at</strong>ienten würde das bedeuten, gewisse<br />

Rout<strong>in</strong>ee<strong>in</strong>griffe nur mehr <strong>in</strong> Spezialzentren<br />

durchführen lassen zu können“, so Dr. Mayer.<br />

So wäre etwa ke<strong>in</strong>e flächendeckende<br />

umfassende unfallchirurgische Versorgung<br />

mehr möglich. Auch die K<strong>in</strong>derchirurgie<br />

wäre betroffen: K<strong>in</strong>der bis zum 6. Lebensjahr<br />

dürften auch bei Rout<strong>in</strong>ee<strong>in</strong>griffen wie<br />

e<strong>in</strong>er Mandel- oder Bl<strong>in</strong>ddarmoper<strong>at</strong>ion<br />

nicht mehr im nächstgelegenen Krankenhaus,<br />

sondern nur mehr an der L<strong>in</strong>zer K<strong>in</strong>derkl<strong>in</strong>ik<br />

operiert werden.<br />

Dr. Mayer fordert deshalb, dass im ÖSG<br />

e<strong>in</strong>e durchgehende, qualit<strong>at</strong>iv hochwertige<br />

Grundversorgung durch die Spitäler bestehen<br />

bleibt. „Wenn die niedergelassenen<br />

Ärzte diese Aufgabe übernehmen sollen, ist<br />

das langfristig zu planen. Die bestehende<br />

Struktur darf erst geändert werden, wenn<br />

e<strong>in</strong>e neue parallel dazu aufgebaut ist und<br />

funktioniert.“<br />

Ziel e<strong>in</strong>er Gesundheitsreform sollte es se<strong>in</strong>,<br />

wie bisher sowohl die Spitzenmediz<strong>in</strong> als<br />

auch die Grundversorgung bedarfsorientiert<br />

anbieten zu können. „Beides ist notwendig<br />

– und zwar auf höchstem Niveau“, sagt Primar<br />

Hochreiter. „Wir müssen diskutieren,<br />

bis woh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> bestimmtes Krankenhaus<br />

geht, wenn e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>griff gemacht wird, und<br />

ab wann e<strong>in</strong> Spezialkrankenhaus gebraucht<br />

wird.“ Oberstes Anliegen müsse es se<strong>in</strong>, den<br />

ÖSG so zu gestalten, dass die mediz<strong>in</strong>ische<br />

Versorgung auf jedem Niveau gleich gut sei<br />

– von der Mandeloper<strong>at</strong>ion bis zum komplizierten<br />

herzchirurgischen E<strong>in</strong>griff.<br />

„Wenn man den Spitälern die Grundversorgung<br />

wegnehmen will, dann müssen die niedergelassenen<br />

Ärzte diese Aufgabe übernehmen.<br />

Solange das nicht möglich ist , so lange auch<br />

die fi nanziellen Mittel, die dafür notwendig<br />

wären, nicht vorgesehen s<strong>in</strong>d, darf die bestehende<br />

Struktur nicht geändert werden, sonst<br />

ist die Grundversorgung nicht mehr gewährleistet“,<br />

warnt Dr. Harald Mayer.<br />

Erfolgreiche Kritik der Ärztekammer für OÖ am Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG): Bis Ende Juni <strong>2006</strong> sollen<br />

die Kriterien zur Qualitätsbeurteilung mediz<strong>in</strong>ischer Leistungen noch e<strong>in</strong>mal überarbeitet werden.<br />

„Man kann die Spitzenmediz<strong>in</strong> nicht mit<br />

denselben Kriterien messen wie die Grundversorgung“,<br />

ist Dr. Harald Mayer, Kurienobmann<br />

der angestellten Ärzte der Ärztekammer<br />

für OÖ, überzeugt. Schon im<br />

vergangenen Jahr kritisierte er die im ÖSG<br />

geplanten Strukturqualitätskriterien und<br />

die Planung als überzogen und zu wenig<br />

bedarfsorientiert. Laut ÖSG sollen die mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Leistungen der Spitäler vor<br />

allem danach beurteilt werden, wie häufig<br />

bestimmte E<strong>in</strong>griffe vorgenommen werden.<br />

„Das spielt n<strong>at</strong>ürlich e<strong>in</strong>e Rolle“, me<strong>in</strong>t dazu<br />

Primar Dr. Josef Hochreiter, Primarärztesprecher<br />

der Ärztekammer für OÖ, „die Anzahl,<br />

mit der bestimmte E<strong>in</strong>griffe durchgeführt<br />

werden, darf jedoch nicht das e<strong>in</strong>zige<br />

Qualitätskriterium bleiben.“<br />

So fordert die Ärztekammer für OÖ, auch<br />

die Versorgungsdichte, die P<strong>at</strong>ientenzufriedenheit,<br />

die Anzahl der Komplik<strong>at</strong>ionen<br />

und die Qualität der mediz<strong>in</strong>ischen Dokument<strong>at</strong>ion<br />

zur Qualitätsbeurteilung heranzuziehen.<br />

„E<strong>in</strong>e Beurteilung der Qualität<br />

mediz<strong>in</strong>ischer Leistungen halte ich nicht für<br />

s<strong>in</strong>nvoll, wenn diese Kriterien nicht berücksichtigt<br />

werden“, betont Dr. Mayer. „Die mediz<strong>in</strong>ische<br />

Dokument<strong>at</strong>ion diagnostischer<br />

Abhandlungen und mediz<strong>in</strong>ischer E<strong>in</strong>griffe<br />

ist zwar aufwändig, ich halte sie jedoch<br />

Grundversorgung und Spitzenmediz<strong>in</strong> auf höchstem Niveau – beides ist notwendig.<br />

„Bis zu e<strong>in</strong>em gewissen Punkt können P<strong>at</strong>ienten<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em regionalen Krankenhaus<br />

behandelt werden, dann sollte das Spezialkrankenhaus<br />

zum Zug kommen. So ist gewährleistet,<br />

dass die Qualität im größten Haus<br />

und bei den schwierigsten Oper<strong>at</strong>ionen genauso<br />

stimmt wie im kle<strong>in</strong>sten Haus bei e<strong>in</strong>er Rout<strong>in</strong>e-Bl<strong>in</strong>ddarm-Oper<strong>at</strong>ion“,<br />

so Primar Dr. Josef<br />

Hochreiter.<br />

22 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 23


Herz<strong>in</strong>suffizienz<br />

Treffsichere Diagnose mit Hilfe moderner Labormediz<strong>in</strong><br />

Die konventionellen Methoden zur Diagnose von Herzmuskelschwäche <strong>in</strong> der Erstversorgung s<strong>in</strong>d aufwändig und zum Teil<br />

nicht sehr verlässlich. E<strong>in</strong>e <strong>in</strong> L<strong>in</strong>z evaluierte labormediz<strong>in</strong>ische Untersuchung erlaubt nun, diese Erkrankung rasch und mit<br />

hoher Treffsicherheit zu erkennen.<br />

Um e<strong>in</strong>e Herzmuskelschwäche festzustellen, müssen die Herzströme mittels EKG gemessen werden.<br />

EXPERTENTIPP<br />

Dr. Thomas Müller<br />

FA für Med.-Chem. Labordiagnostik<br />

im Krankenhaus der<br />

Barmherzigen Brüder L<strong>in</strong>z<br />

„Die Symptome bei Herz<strong>in</strong>suffizienz<br />

s<strong>in</strong>d nicht spezifisch,<br />

die konventionelle Diagnose<br />

daher unsicher. Mit Hilfe der<br />

Labordiagnostik können wir<br />

bei Atemnot e<strong>in</strong>e Herz<strong>in</strong>suffizienz<br />

rasch und treffsicher<br />

ausschließen. Die neue Methode<br />

liefert damit e<strong>in</strong>e sehr<br />

gute Entscheidungsgrundlage<br />

für weitere Untersuchungen.“<br />

Atemnot, Schwellungen der Be<strong>in</strong>e und<br />

Füße, bläuliche Lippen, Schwächegefühl<br />

… kommt e<strong>in</strong> P<strong>at</strong>ient mit solchen Symptomen<br />

<strong>in</strong> die Notfallambulanz e<strong>in</strong>es Spitals,<br />

so könnte e<strong>in</strong>e Herzmuskelschwäche<br />

(Herz<strong>in</strong>suffizienz) die Ursache se<strong>in</strong>. Lunge<br />

und Brustkorb werden abgehört und<br />

die Herzströme mittels EKG gemessen.<br />

Bestärken diese Untersuchungen den Verdacht<br />

auf e<strong>in</strong>e Herz<strong>in</strong>suffizienz, so wird<br />

der P<strong>at</strong>ient meist st<strong>at</strong>ionär aufgenommen,<br />

um durch weitere Untersuchungen wie<br />

Herz-Ultraschall zu e<strong>in</strong>er def<strong>in</strong>itiven Diagnose<br />

zu gelangen. „Bis zur Hälfte der<br />

<strong>in</strong> der Erstversorgung mittels kl<strong>in</strong>ischer<br />

Untersuchung gestellten Diagnosen können<br />

falsch se<strong>in</strong>, weil die Symptome für die<br />

Herz<strong>in</strong>suffizienz nicht spezifisch s<strong>in</strong>d“, erklärt<br />

Dr. Thomas Müller, Facharzt für mediz<strong>in</strong>ische<br />

und chemische Labordiagnostik.<br />

Durch die Unsicherheit geht wertvolle<br />

Zeit verloren, viele oft unnötige Untersu-<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 26<br />

HIGH-TECH-LABORMEDIZIN<br />

In den vergangenen 25 Jahren h<strong>at</strong> sich<br />

die Labormediz<strong>in</strong> zur High-Tech-Mediz<strong>in</strong><br />

entwickelt. Das Spektrum an Parametern,<br />

die <strong>in</strong> mediz<strong>in</strong>ischen Labors<br />

untersucht werden konnten, war um<br />

1980 noch sehr überschaubar. Erste<br />

e<strong>in</strong>fache Labor-Autom<strong>at</strong>en kamen damals<br />

auf – vorher stand der Arzt zum<br />

Beispiel mit der Stoppuhr vor den Proben<br />

und führte Ger<strong>in</strong>nungsversuche<br />

händisch durch.<br />

Inzwischen ist die Labormediz<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

High-Tech-Mediz<strong>in</strong> geworden, die<br />

e<strong>in</strong>e Fülle von chemischen/immunologischen<br />

und auch gentechnologischen<br />

Untersuchungen von Blut, Harn und<br />

anderen Körperflüssigkeiten liefern<br />

kann. Die für e<strong>in</strong>e aussagekräftige Diagnose<br />

so wichtige präzise Fragestellung<br />

im Auge zu behalten, wird angesichts<br />

dieser Möglichkeiten immer schwieriger.<br />

E<strong>in</strong>e Hauptaufgabe der Labormediz<strong>in</strong><br />

besteht deshalb heute dar<strong>in</strong>,<br />

den Arzt am Krankenbett bei der Diagnosef<strong>in</strong>dung<br />

und der Therapiekontrolle<br />

zu ber<strong>at</strong>en und zu unterstützen.<br />

24 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 25


In den vergangenen Jahren h<strong>at</strong> sich die Labormediz<strong>in</strong> zur High-Tech-Mediz<strong>in</strong> entwickelt.<br />

chungen müssen gemacht werden, um zur<br />

endgültigen Diagnose zu kommen. Mehr<br />

Untersuchungen und längere Krankenhausaufhalte<br />

s<strong>in</strong>d nicht nur für die P<strong>at</strong>ienten<br />

unangenehm, sondern erhöhen<br />

auch die Kosten. Müller ist es nun gelungen,<br />

e<strong>in</strong>en schnellen und objektiven Test<br />

WENN DAS HERZ SCHLAPP MACHT<br />

Von e<strong>in</strong>er Herzmuskelschwäche oder<br />

Herz<strong>in</strong>suffizienz spricht man, wenn<br />

das Herz nicht mehr genug Blut -<br />

und damit Sauerstoff - <strong>in</strong>s Gewebe<br />

pumpen kann. Diese Schwäche kann<br />

die l<strong>in</strong>ke oder die rechte Herzhälfte,<br />

aber auch beide Seiten betreffen. Bei<br />

L<strong>in</strong>ksherz<strong>in</strong>suffi zienz staut sich das<br />

Blut <strong>in</strong> der Lunge und es kommt zu<br />

Wasseransammlungen – man spricht<br />

von e<strong>in</strong>er Stauungslunge. Bei Rechtsherz<strong>in</strong>suffizienz<br />

staut sich das Blut <strong>in</strong><br />

den Geweben des Körpers, es kommt<br />

zur Notfall-Diagnose von Herz<strong>in</strong>suffizienz<br />

für den kl<strong>in</strong>ischen Alltag zu evaluieren.<br />

„Ist die Volumenbelastung des Herzens zu<br />

stark, so bildet dieses mehr Hormone und<br />

gibt sie an das Blut ab“, erklärt Müller.<br />

„Das Hormon BNP (B-Type N<strong>at</strong>riuretic<br />

Peptide) und das aus e<strong>in</strong>er Vorstufe durch<br />

zu Wasseransammlungen und <strong>in</strong> der<br />

Folge zu trockener Haut und Geschwüren.<br />

Die Hauptursachen der Herz<strong>in</strong>suffizienz<br />

s<strong>in</strong>d Herz<strong>in</strong>farkt und Bluthochdruck.<br />

Auch Erkrankungen der<br />

Herzmuskul<strong>at</strong>ur selbst, Herzrhythmusstörungen,<br />

Herzklappenfehler,<br />

Lungenerkrankungen, E<strong>in</strong>engungen<br />

des Herzbeutels, erhöhter Stoffwechsel<br />

oder schwere Anämie können e<strong>in</strong>e<br />

Herzmuskelschwäche zur Folge haben.<br />

Abspaltung entstandene <strong>in</strong>aktive Fragment<br />

NT-proBNP kommen bei Herzmuskelschwäche<br />

<strong>in</strong> besonders hohem Ausmaß<br />

im Blut vor. Wir konnten nun nachweisen,<br />

dass sich das biologisch aktive BNP und<br />

das biologisch <strong>in</strong>aktive NT-proBNP gleich<br />

gut zur Diagnose e<strong>in</strong>er Herzmuskelschwäche<br />

bei P<strong>at</strong>ienten eignen, die wegen Atemnot<br />

die Notfallambulanz aufsuchen, und<br />

dass die Tests e<strong>in</strong>e hohe Treffsicherheit für<br />

die Diagnose haben“, so Müller.<br />

Im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder<br />

<strong>in</strong> L<strong>in</strong>z ist die neue Methode schon im<br />

E<strong>in</strong>s<strong>at</strong>z, das Notfall-Sett<strong>in</strong>g konnte so optimiert<br />

werden: „In Komb<strong>in</strong><strong>at</strong>ion mit der<br />

kl<strong>in</strong>ischen Untersuchung liegen wir jetzt<br />

bei e<strong>in</strong>er Treffsicherheit von 90 Prozent<br />

<strong>in</strong> der Erstversorgung“, berichtet Müller.<br />

Das Testergebnis läge schon nach 30 bis<br />

45 M<strong>in</strong>uten vor und biete e<strong>in</strong>e sehr gute<br />

Entscheidungsgrundlage für weitere Untersuchungen.<br />

Mag. Susanne Samet<strong>in</strong>ger<br />

26 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 27


EXPERTENTIPP<br />

Dr. Karl Markus Stieglbauer<br />

FA für Neurologie an<br />

der Landesnervenkl<strong>in</strong>ik<br />

Wagner-Jauregg<br />

Beim „MS f<strong>at</strong>igue“ Syndrom bemerkt man schon nach ger<strong>in</strong>gfügiger Anstrengung körperliche Erschöpfung.<br />

Weltweit wird nach der Ursache von MS geforscht.<br />

Es sche<strong>in</strong>en verschiedene Faktoren<br />

zusammenzuwirken, genaue Ursachen liegen<br />

immer noch im Dunkeln. E<strong>in</strong>e Theorie<br />

me<strong>in</strong>t, dass irgendwann im Leben e<strong>in</strong> Infekt,<br />

etwa durch Viren oder auch Chlamydien<br />

da war, der das Immunsystem aktiviert<br />

h<strong>at</strong>, dass es von da an gegen den eignen Organismus<br />

ankämpft. Stieglbauer sagt: „Als<br />

geklärt gilt, dass es sich um e<strong>in</strong>e Autoimmunerkrankung<br />

handelt, bei der das körpereigene<br />

Immunsystem falsch reagiert. Es<br />

richtet sich nicht gegen E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gl<strong>in</strong>ge wie<br />

etwa Viren, sondern gegen den eigenen Organismus.“<br />

Wie zeigt sich MS?<br />

Schübe von Gefühlsstörungen, Schwäche<br />

oder Taubheitsgefühl <strong>in</strong> Händen und Be<strong>in</strong>en,<br />

Sehstörungen wie Schleier und Nebelsehen<br />

oder Doppelbilder können erste<br />

Symptome se<strong>in</strong>. Sehstörungen können zu<br />

Schw<strong>in</strong>del und Brechreiz führen.<br />

MS und Sport<br />

Sportliche Betätigung verschlechtert<br />

den Krankheitsverlauf nicht, im Gegenteil.<br />

Das richtige Maß br<strong>in</strong>gt Lebensqualität<br />

und kann MS positiv<br />

bee<strong>in</strong>flussen. Ausdauer, Kraft und<br />

Koord<strong>in</strong><strong>at</strong>ion gilt es zu stärken. Arzt<br />

und Physiotherapeut ber<strong>at</strong>en über die<br />

Grenzen und Möglichkeiten des Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs.<br />

Es kann se<strong>in</strong>, dass anfangs beim<br />

Sport die Körpertemper<strong>at</strong>ur steigt und<br />

es zur leichten Verstärkung der Symptome<br />

kommt. Das geht aber vorbei.<br />

Der Kranke soll häufig Pausen e<strong>in</strong>legen<br />

und sich nicht überanstrengen.<br />

Tipps:<br />

➤ Nicht über die Leistungsgrenze gehen.<br />

➤ Angestaute Wärme beim Schwitzen<br />

durch Entspannungsbäder oder<br />

kalte Duschen abbauen.<br />

➤ Vorsicht: Sauna oder Thermalbäder<br />

können Probleme verursachen.<br />

➤ Ideal s<strong>in</strong>d Schwimmen, Reiten, Rad<br />

fahren. Bei Koord<strong>in</strong><strong>at</strong>ionsstörungen<br />

z.B. das Ski fahren se<strong>in</strong> lassen.<br />

Multiple Sklerose<br />

Die Krankheit mit den 1000 Gesichtern<br />

Wieso erwischt es gerade mich? Werde ich me<strong>in</strong> Leben halbwegs normal weiterführen können? Kann ich jemals K<strong>in</strong>der<br />

haben? Nach dem Schock kommt Schritt für Schritt das Akzeptieren der Diagnose: Multiple Sklerose (MS). „Die chronisch<br />

entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems beg<strong>in</strong>nt oft im Alter zwischen 20 und 30 Jahren“, sagt Dr. Karl<br />

Markus Stieglbauer, Neurologe und MS-Experte an der Landesnervenkl<strong>in</strong>ik Wagner-Jauregg.<br />

„Im Verlauf der Erkrankung treten Störungen<br />

der Motorik <strong>in</strong> den Vordergrund. Die Be<strong>in</strong>e<br />

fühlen sich schwer an, Treppensteigen kann<br />

mühselig werden. Schwäche und Steifigkeit<br />

etwa e<strong>in</strong>es Be<strong>in</strong>s können kurzzeitig unter<br />

Belastung vorkommen“, sagt der Neurologe,<br />

der <strong>in</strong> der MS-Ambulanz der Wagner-Jauregg-Kl<strong>in</strong>ik<br />

tätig ist. S<strong>in</strong>d Nervenfasern im<br />

Kle<strong>in</strong>hirn betroffen, kommt es zu Koord<strong>in</strong><strong>at</strong>ions-<br />

und Fe<strong>in</strong>motorikstörungen. Auch<br />

die Funktion der Blase kann bee<strong>in</strong>trächtigt<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 30<br />

28 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 29


se<strong>in</strong>. Depressive Verstimmung und das so<br />

genannte „MS f<strong>at</strong>igue“ Syndrom werden beobachtet,<br />

letzteres bezeichnet e<strong>in</strong>e bei vielen<br />

P<strong>at</strong>ienten auftretende seelische, geistige<br />

und körperliche Erschöpfung, schon nach<br />

ger<strong>in</strong>gfügiger Anstrengung.<br />

Mehr Frauen als Männer<br />

Da der Symptomkomplex e<strong>in</strong> recht <strong>in</strong>dividueller<br />

ist, wird MS als diese Krankheit mit<br />

den 1000 Gesichtern genannt. In Österreich<br />

kommen laut aktuellen D<strong>at</strong>en auf 100.000<br />

E<strong>in</strong>wohner rund 100 MS-P<strong>at</strong>ienten. E<strong>in</strong><br />

Beg<strong>in</strong>n der Erkrankung nach dem 60. Lebensjahr<br />

ist sehr selten. Betroffen s<strong>in</strong>d mehr<br />

Frauen, und zwar im Verhältnis 3:2. In Oberösterreich<br />

s<strong>in</strong>d mehr als 1000 Menschen<br />

MS-krank. Der Verlauf ist sehr unterschiedlich.<br />

Bei manchen wird MS nie diagnostiziert und<br />

behandlungswertig. Zu etwa 10 % verläuft<br />

die MS gutartig, auch ohne Therapie. Bei<br />

schwerem Verlauf kann es bis zur Lähmung<br />

kommen, sodass der Betroffene irgendwann<br />

im Rollstuhl sitzt.<br />

Unterschieden werden bei MS allgeme<strong>in</strong>:<br />

a) der schubförmig-remittierende Verlauf:<br />

Rund 90 % der MS-Kranken haben<br />

Schübe, die von e<strong>in</strong>igen Tagen bis<br />

mehreren Wochen dauern. Danach folgt<br />

meist e<strong>in</strong>e Rückbildung der Symptome<br />

bis zum nächsten Schub.<br />

b) der sekundär-progrediente Verlauf: Der<br />

ursprünglich schubförmige Verlauf entwickelt<br />

sich später <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Form mit zunehmender<br />

Beh<strong>in</strong>derung.<br />

c) der primär-progrediente Verlauf: Diese<br />

chronische Form ohne Schübe führt zu<br />

stets zunehmender Beh<strong>in</strong>derung.<br />

Anfängliche Schübe können e<strong>in</strong>- bis zweimal<br />

im Abstand zwischen e<strong>in</strong>em halben und<br />

drei Jahren oder länger auftreten.<br />

Ziel: Schübe verr<strong>in</strong>gern<br />

Diagnostiziert wird MS durch Magnetresonanzuntersuchungen<br />

und Rückenmarks-<br />

Punktion, sowie durch das kl<strong>in</strong>ische Allgeme<strong>in</strong>bild.<br />

Heilbar ist die Krankheit (noch) nicht. Therapiert<br />

wird als Dauerbehandlung mit Beta-<br />

Sportliche Betätigung verschlechtert den Krankheitsverlauf nicht, ganz im Gegenteil.<br />

Interferonen, von denen es drei Formen<br />

gibt. Die P<strong>at</strong>ienten spritzen sich das Medikament<br />

selber. Als Nebenwirkungen können<br />

Verhärtungen an der E<strong>in</strong>stichstelle und<br />

grippeähnliche Symptome auftreten.<br />

„Man muss die Leberwerte regelmäßig<br />

kontrollieren und wenn nötig die Therapie<br />

wechseln“, sagt Neurologe Karl Markus<br />

Stieglbauer. Beta-Interferon kann Schübe<br />

um mehr als 30 % verr<strong>in</strong>gern. Bei e<strong>in</strong>em<br />

akuten Schub wird hochdosiertes Cortison,<br />

etwa 1000 mg über e<strong>in</strong>ige Tage h<strong>in</strong>weg, gespritzt.<br />

Laut Neurologen kann man etwa nach fünf<br />

Jahren abschätzen, wie die Prognose der Erkrankung<br />

ist. Der Facharzt rät: „Betroffene<br />

sollen so lange und so gut es geht ihren Lebensplan<br />

nicht ändern und normal weiterleben.<br />

Ich möchte die chronische Erkrankung<br />

mit jener e<strong>in</strong>es Diabetikers, der Insul<strong>in</strong> spritzen<br />

muss, vergleichen“. Stieglbauer sagt,<br />

dass laufend Medikamente entwickelt werden,<br />

die helfen, die Therapie zu vere<strong>in</strong>fachen<br />

und die Lebensqualität zu verbessern.<br />

Auch monoklonale Antikörper haben <strong>in</strong><br />

Studien schon viel versprechende Testergebnisse<br />

mit e<strong>in</strong>er Schubreduktion von bis zu<br />

60 % erbracht. In e<strong>in</strong>igen Jahren wird die<br />

Zulassung neuer Medikamente erwartet. Dr.<br />

Stieglbauer me<strong>in</strong>t, dass auch Stammzelltherapie<br />

<strong>in</strong> Zukunft Thema se<strong>in</strong> könnte.<br />

Neben medikamentöser Therapie gehören<br />

Physikotherapie und eventuell das Erlernen<br />

von Entspannungsmethoden zur Stressreduktion<br />

zum <strong>in</strong>dividuellen Behandlungsplan.<br />

Mag. Christ<strong>in</strong>e Radmayr<br />

Bei schwerem Krankheitsverlauf kann es bis zur Lähmung kommen.<br />

Ideale Sportarten bei MS s<strong>in</strong>d Rad fahren, Schwimmen und Reiten.<br />

30 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 31


Knieverletzungen<br />

Warum Frauen eher gefährdet s<strong>in</strong>d<br />

Das Kniegelenk ist nicht nur das größte Gelenk des menschlichen Körpers, sondern auch das am meisten beanspruchte<br />

– es muss e<strong>in</strong>erseits hohen Belastungen standhalten, andererseits sehr beweglich se<strong>in</strong>. Das Risiko e<strong>in</strong>er Verletzung ist für<br />

Frauen besonders hoch.<br />

Wer sich schon e<strong>in</strong>mal am Knie verletzt<br />

h<strong>at</strong>, weiß, wozu dieses Gelenk gut ist: Gehen,<br />

sich Setzen, Spr<strong>in</strong>gen, jede Art von<br />

Sport … Wenn das komplexe Drehscharniergelenk<br />

nicht mehr richtig funktioniert,<br />

geht gar nichts. E<strong>in</strong> ausgeklügeltes System<br />

an Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern<br />

und Menisken ermöglicht e<strong>in</strong>erseits Stabilität,<br />

andererseits Beweglichkeit.<br />

Riskante Sportarten<br />

Zu Verletzungen kann es kommen, wenn<br />

das Knie stark verdreht wird oder e<strong>in</strong>e<br />

hohe Belastung im falschen W<strong>in</strong>kel auf<br />

das Gelenk trifft. „Vor allem beim Fußballspielen,<br />

beim alp<strong>in</strong>en Skilauf, aber<br />

auch bei Sportarten, bei denen viel gesprungen<br />

wird, wie Basketball, Handball<br />

oder Volleyball, ist das Risiko e<strong>in</strong>er Knieverletzung<br />

hoch“, sagt Prim. Prof. Dr.<br />

Oskar Kwasny, Facharzt für Unfallchirurgie<br />

und Sporttraum<strong>at</strong>ologie.<br />

KNIE – KOMPLIZIERTES DREHSCHARNIERGELENK<br />

Das Kniegelenk wird von drei Knochen<br />

gebildet: die Gelenkrollen des<br />

Oberschenkelknochens (Femur), dem<br />

Schienbe<strong>in</strong>kopf (Tibia) und der Kniescheibe<br />

(P<strong>at</strong>ella). Steht man aufrecht,<br />

so wird das Gewicht des Körpers direkt<br />

auf das Schienbe<strong>in</strong> übertragen.<br />

Beugt man das Knie, so bilden die<br />

Oberschenkelrollen zusammen mit der<br />

Rückseite der Kniescheibe e<strong>in</strong> hochbewegliches<br />

Gelenk. Die Kniescheibe ist<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e starke Sehne e<strong>in</strong>gebettet, die das<br />

Zusammenspiel der Kräfte wie e<strong>in</strong> Seilzug<br />

mitreguliert. Die Menisken, zwei<br />

halbmondförmige Knorpelscheiben auf<br />

dem Unterschenkelknochen, arbeiten<br />

als „Stoßdämpfer“. Stabilisiert wird das<br />

Gelenk durch vier Bänder: Die Kreuzbänder<br />

im Inneren des Gelenks kontrollieren<br />

das Knie <strong>in</strong> der Bewegung,<br />

die seitlichen Bänder <strong>in</strong>nen und außen<br />

sichern die Festigkeit im Stand.<br />

EXPERTENTIPP<br />

Prim. Prof. Dr.<br />

Oskar Kwasny<br />

FA für Unfallchirurgie und<br />

Abteilungsleiter im AKH L<strong>in</strong>z<br />

„Man kann mit Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g sehr<br />

viel erreichen. Wenn man<br />

weiß, wie die Verletzungen<br />

entstehen, kann man z.B. bewusst<br />

tra<strong>in</strong>ieren.<br />

Gezieltes Koord<strong>in</strong><strong>at</strong>ionstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />

der Muskul<strong>at</strong>ur, Aufwärm-<br />

und Dehnungsübungen<br />

m<strong>in</strong>imieren das Risiko e<strong>in</strong>er<br />

Knieverletzung.“<br />

Er bestätigt, was <strong>in</strong> verschiedenen Unfallst<strong>at</strong>istiken<br />

immer wieder festgestellt wird:<br />

„Das Risiko von Frauen, e<strong>in</strong>en Kreuzbandriss,<br />

e<strong>in</strong>en Innenbandriss oder e<strong>in</strong>e<br />

Kniescheibenverdrehung zu erleiden, ist<br />

e<strong>in</strong>deutig höher als bei Männern.“<br />

Typisch weiblich<br />

E<strong>in</strong> Grund dafür könnte se<strong>in</strong>, dass Frauen<br />

nach e<strong>in</strong>em Sprung wesentlich weniger <strong>in</strong><br />

die Knie gehen als Männer. „Es gibt zwar<br />

noch ke<strong>in</strong>e hundertprozentigen Aussagen,<br />

aber sehr gute Videoanalysen, wo festgestellt<br />

wurde, dass Frauen nach e<strong>in</strong>em<br />

Sprung mit durchschnittlich 17 Grad<br />

Beugung wieder am Boden aufkommen,<br />

während Männer mit durchschnittlich 31<br />

Grad wesentlich gebeugter aufkommen.<br />

Riskant fürs Knie: Ski fahren. Lesen Sie weiter auf Seite 34<br />

32 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 33


Die Stabilisierung durch die Muskul<strong>at</strong>ur<br />

ist <strong>in</strong> gebeugterer Stellung um vieles besser“,<br />

erklärt Kwasny.<br />

Auch die Form der Knochen kann e<strong>in</strong>en<br />

Kreuzbandriss begünstigen. So sei die<br />

Rille im Oberschenkelknochen, wo das<br />

Kreuzband h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geht, bei Frauen wesentlich<br />

spitzer und enger. „Das dürfte e<strong>in</strong><br />

Grund se<strong>in</strong>, warum das Kreuzband von<br />

Frauen, das sowieso schon dünner und<br />

schwächer ist, leichter abgedrückt werden<br />

kann“, vermutet der Unfallchirurg.<br />

Frauen neigen eher zu X-Be<strong>in</strong>en, was ihnen,<br />

wenn es um die Knie geht, von Nachteil<br />

se<strong>in</strong> kann: „Die Belastung der <strong>in</strong>neren<br />

Strukturen des Kniegelenks, zum Beispiel<br />

nach e<strong>in</strong>em Sprung, ist bei X-Be<strong>in</strong>en höher,<br />

Innenbandrisse treten daher bei e<strong>in</strong>er<br />

X-Be<strong>in</strong>-Stellung häufiger auf“, erklärt<br />

Kwasny.<br />

Nicht zuletzt könnte dem weiblichen<br />

Knie auch der hormonelle St<strong>at</strong>us se<strong>in</strong>er<br />

Besitzer<strong>in</strong> zum Verhängnis werden: Hormone<br />

bee<strong>in</strong>fl ussen nämlich die Festigkeit<br />

des B<strong>in</strong>degewebes, was etwa bei e<strong>in</strong>er<br />

Entb<strong>in</strong>dung die notwendige Dehnung<br />

ermöglicht. Je lockerer das B<strong>in</strong>degewebe<br />

ist, desto schlechter kann es aber das<br />

Kniegelenk stabilisieren.<br />

Muss Frau sich damit abf<strong>in</strong>den, mit hoher<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit irgendwann e<strong>in</strong>mal<br />

mit angeschwollenem schmerzendem<br />

Knie <strong>in</strong> der Unfallchirurgischen Ambulanz<br />

zu landen? „Man kann mit Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g sehr<br />

viel erreichen“, beruhigt Kwasny, „wenn<br />

man weiß, wie die Verletzungen entstehen,<br />

kann man zum Beispiel bewusst tra<strong>in</strong>ieren,<br />

nach e<strong>in</strong>em Sprung tiefer <strong>in</strong> die<br />

Beugestellung zu gehen. Untersuchungen<br />

bei Profisportler<strong>in</strong>nen haben gezeigt, dass<br />

man so das Verletzungsrisiko um 60 bis<br />

70 % senken kann.“<br />

Gezieltes Koord<strong>in</strong><strong>at</strong>ionstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g der Muskul<strong>at</strong>ur,<br />

Aufwärmtra<strong>in</strong><strong>in</strong>g und Dehnungsübungen<br />

können ebenfalls dazu beitragen,<br />

das Verletzungsrisiko zu m<strong>in</strong>imieren<br />

– nicht nur bei Frauen.<br />

Mag. Susanne Samet<strong>in</strong>ger<br />

WENN EIN KREUZBAND REISST<br />

E<strong>in</strong>e falsche Drehung, e<strong>in</strong> schnalzendes<br />

Geräusch, Schmerzen, das<br />

Knie schwillt an: Mit hoher Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

ist das Kreuzband gerissen.<br />

„Es muss nicht e<strong>in</strong>mal se<strong>in</strong>,<br />

dass man dabei stürzt. Wenn der Verletzte<br />

ke<strong>in</strong>e zu großen Schmerzen h<strong>at</strong>,<br />

spricht nichts dagegen, dass er selbständig<br />

das Krankenhaus aufsucht“,<br />

sagt Prof. Dr. Oskar Kwasny. Das geschwollene<br />

Knie sollte möglichst sofort<br />

gekühlt werden. Im Krankenhaus<br />

br<strong>in</strong>gt, wenn die Bandlockerung bei<br />

e<strong>in</strong>er konventionellen Untersuchung<br />

nicht e<strong>in</strong>deutig erkennbar ist, e<strong>in</strong>e<br />

Kernsp<strong>in</strong>tomographie Klarheit. Diese<br />

dreidimensionale Darstellung ermöglicht<br />

es auch, eventuelle weitere<br />

Verletzungen, zum Beispiel am Meniskus,<br />

zu sehen. Bevor man sich zu<br />

e<strong>in</strong>er Oper<strong>at</strong>ion entscheidet, wird versucht,<br />

das Knie durch physikalisches<br />

Aufbautra<strong>in</strong><strong>in</strong>g zu stabilisieren. Ist es<br />

danach immer noch <strong>in</strong>stabil, so rät<br />

Kwasny zur Oper<strong>at</strong>ion. „Mittels Arthroskopie,<br />

bei der nur zwei kle<strong>in</strong>e<br />

Schnitte notwendig s<strong>in</strong>d, wird e<strong>in</strong>e<br />

Kreuzbandplastik gemacht.“<br />

Dafür wird e<strong>in</strong> Drittel des Kniescheibenbandes<br />

mit den daran belassenen<br />

Knochenzyl<strong>in</strong>dern aus Kniescheibe<br />

und Schienbe<strong>in</strong> wie e<strong>in</strong> Dübel e<strong>in</strong>gebolzt.<br />

E<strong>in</strong>e andere Möglichkeit ist es,<br />

e<strong>in</strong> Sehnenstück aus der Innenseite<br />

des Oberschenkels zu nehmen, e<strong>in</strong>zuziehen<br />

und mit Schrauben zu verankern.<br />

Zur Sehnenentnahme ist e<strong>in</strong><br />

zusätzlicher etwa fünf Zentimeter langer<br />

Schnitt nötig.<br />

Nach e<strong>in</strong>igen Wochen kann der P<strong>at</strong>ient<br />

wieder normal gehen. Belastender<br />

Sport ist erst nach e<strong>in</strong>em halben bis<br />

e<strong>in</strong>em Jahr wieder möglich.<br />

„Wir erzielen <strong>in</strong> etwa 80 bis 85 % der<br />

E<strong>in</strong>griffe sehr gute Ergebnisse. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

ist nach e<strong>in</strong>em Kreuzbandriss<br />

– unabhängig davon ob man operiert<br />

oder nicht – die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

e<strong>in</strong>er vorzeitigen Abnützung des<br />

Kniegelenks (Arthrose) höher“, sagt<br />

Kwasny.<br />

In der NMR-Abbildung (Bild 1) werden die Kreuzbänder und die Struktur des Knies sichtbar. E<strong>in</strong>e Kreuzbandplastik kann mittels Arthroskopie (Bild 2) durchgeführt<br />

werden – e<strong>in</strong> Transplant<strong>at</strong> aus dem Kniescheibenband (Bild 3) ersetzt das Kreuzband.<br />

34 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 35


Stürze aktiv vermeiden<br />

Stürze br<strong>in</strong>gen nicht nur Verletzungen, sondern auch soziale Probleme<br />

Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit für Stürze. Diese bergen nicht nur die Gefahr von Knochenbrüchen<br />

und anderen Verletzungen, sondern können massive E<strong>in</strong>schnitte <strong>in</strong> die Lebensqualität bedeuten. Umso wichtiger ist Sturzprophylaxe,<br />

die aber auch schon im K<strong>in</strong>der- und Jugendalter ansetzen sollte.<br />

Ab e<strong>in</strong>em Lebensalter von 65 steigt die<br />

Sturzhäufigkeit rapide an: Fast e<strong>in</strong> Drittel<br />

der Menschen ab 65 stürzen st<strong>at</strong>istisch<br />

gesehen e<strong>in</strong>mal im Jahr, bei den 80- bis<br />

90jährigen steigt diese R<strong>at</strong>e sogar auf 50 %<br />

an. Frauen stürzen dabei um den Faktor<br />

1,5mal so oft wie Männer und erleiden<br />

dabei auch häufiger Verletzungen.<br />

Auch <strong>in</strong> Krankenhäusern bzw. Alten- und<br />

Pflegeheimen erhöht sich mit zunehmendem<br />

Alter der P<strong>at</strong>ienten die Gefahr,<br />

dass sie durch Stürze zu Verletzungen<br />

kommen. Bei jedem zehnten Sturz kommt<br />

es zu e<strong>in</strong>er Verletzung, jeder zwanzigste<br />

Sturz endet mit e<strong>in</strong>em Knochenbruch.<br />

Neben Kopfverletzungen spielen bei<br />

schweren Sturzverletzungen Brüche des<br />

Oberschenkelknochens nahe dem Hüftgelenk<br />

die Hauptrolle.<br />

Bei alten Menschen heilen solche Brüche<br />

oft nur schlecht. Mehr als die Hälfte der<br />

Menschen s<strong>in</strong>d nach dem Bruch <strong>in</strong> ihrer<br />

Beweglichkeit erheblich e<strong>in</strong>geschränkt, 20 %<br />

werden sogar ständig pflegebedürftig.<br />

Problem wird nicht genug<br />

ernst genommen<br />

„Vor allem im priv<strong>at</strong>en Bereich gibt es<br />

durch e<strong>in</strong>e Banalisierung dieses Problems<br />

e<strong>in</strong>e sehr hohe Dunkelziffer - die P<strong>at</strong>ienten<br />

schämen sich, denn zu stürzen wird als<br />

Schwäche empfunden und daher oft vertuscht“,<br />

so der Arzt für Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong><br />

und Referent für Altersmediz<strong>in</strong> der OÖ<br />

Ärztekammer Dr. Wolfgang Ziegler. Stürze<br />

verursachen zudem nicht nur mediz<strong>in</strong>ische<br />

Probleme. „Es bricht nicht nur der<br />

Knochen, sondern auch das Selbstvertrauen.<br />

Die dram<strong>at</strong>ischste Folge von Stürzen ist<br />

die daraus resultierende Angst vor erneuten<br />

Stürzen.“ In der Folge bewegen sich diese<br />

Menschen noch weniger als vorher.<br />

Die Muskelkraft lässt dadurch noch stärker<br />

nach, betroffene Menschen werden immer<br />

unsicherer. Wer unsicher und ängstlich ist,<br />

bei dem steigt das Risiko erheblich an, erneut<br />

h<strong>in</strong>zufallen. Dazu kommt die Angst,<br />

von anderen abhängig zu se<strong>in</strong>, und auch<br />

e<strong>in</strong> im Alter schlechter werdender Ernährungszustand<br />

spielt oft e<strong>in</strong>e nicht unerhebliche<br />

Rolle.<br />

Neben dem ärztlichen Befund s<strong>in</strong>d daher<br />

die Inspektion des Sturzortes und funktionelle<br />

Tests wichtig. „Vor allem geht es um<br />

Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g von Alltagsaktivitäten vor Ort,<br />

um Angstabbau und Stärkung der Selbständigkeit“,<br />

erklärt Ziegler. Genau geprüft<br />

werden sollten – im Rahmen e<strong>in</strong>es<br />

Hausbesuches - dabei die Gegebenheiten<br />

des Wohnumfelds. Treppen, Teppiche, Bodenleisten,<br />

Stuhl- und Tischbe<strong>in</strong>e, nasse<br />

Oberflächen (Badezimmer!) oder Gegenstände,<br />

die am Boden liegen, können potentielle<br />

Fallen se<strong>in</strong> – auch dann, wenn sie<br />

bislang überhaupt ke<strong>in</strong>e Probleme darstellten.<br />

Dies hängt ebenso mit Veränderungen<br />

<strong>in</strong> Bewegungsabläufen und Alltagsrout<strong>in</strong>en<br />

zusammen, die – mit entsprechender Unterstützung<br />

- gezielt veränderbar oder neu<br />

e<strong>in</strong>lernbar s<strong>in</strong>d. Viele Stürze ereignen sich<br />

zudem bei Arbeiten im Haushalt, egal ob es<br />

um das Fensterputzen mit der Leiter oder<br />

ums Heimwerken geht.<br />

Ärzte kooperieren mit<br />

Ergotherapeuten<br />

Es geht also um die Lebensqualität des P<strong>at</strong>ienten,<br />

die bessere Bewältigung des Alltags.<br />

Hier können auch Ergotherapeuten<br />

die Erfahrungen ihrer fundierten, dreijährigen<br />

Ausbildung e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen und geme<strong>in</strong>sam<br />

mit dem Arzt und anderen<br />

Therapeuten oder sozialen Diensten viel<br />

bewegen. So geht es u. a. um e<strong>in</strong>e Stimul<strong>at</strong>ion<br />

des Gleichgewichtsorgans, verbesserte<br />

S<strong>in</strong>neswahrnehmung, Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g der Reaktionsfähigkeit<br />

und e<strong>in</strong> Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g der Rumpfstabilität.<br />

Wichtig ist <strong>in</strong> diesem Bereich<br />

zudem die gute Begleitung beim E<strong>in</strong>s<strong>at</strong>z<br />

diverser mediz<strong>in</strong>ischer Heilbehelfe.<br />

„Durch die geme<strong>in</strong>same Begleitung von<br />

Arzt und Ergotherapeuten entsteht beim<br />

P<strong>at</strong>ienten zudem e<strong>in</strong> klareres Bild, welche<br />

Sturzgefahren im Wohnumfeld oder <strong>in</strong> dessen<br />

Umgebung bestehen“, ergänzt Ziegler.<br />

„In manchen Bereichen der Mediz<strong>in</strong> werden<br />

Unsummen <strong>in</strong> Medikamente <strong>in</strong>vestiert<br />

und um jede Stunde Ergotherapie gilt es<br />

zu streiten.“ Dabei würden viele P<strong>at</strong>ienten<br />

– vor allem ältere, chronisch Kranke oder<br />

Menschen mit Beh<strong>in</strong>derungen – vom ganzheitlichen<br />

Ans<strong>at</strong>z der Ergotherapie stark<br />

profi tieren. Mobile Ergotherapie müsste<br />

auch <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die Sturzprophylaxe<br />

ebenso bei der Betreuung von Menschen<br />

mit Demenz e<strong>in</strong>e größere Rolle spielen.<br />

EXPERTENTIPP<br />

Dr. Wolfgang Ziegler<br />

Arzt für Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> Kremsmünster und Referent<br />

für Altersmediz<strong>in</strong> der<br />

Ärztekammer für OÖ<br />

Tipps für die Sturzprophylaxe:<br />

➤ Am Wichtigsten ist regelmäßige Bewegung<br />

komb<strong>in</strong>iert mit Muskeltra<strong>in</strong><strong>in</strong>g.<br />

➤ Nachts e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Licht im Haus<br />

brennen lassen, damit der Gang auf<br />

die Toilette nicht im Stockdunkeln<br />

erfolgen muss.<br />

➤ Den Weg vom Bett zum Badezimmer<br />

frei räumen (z.B. K<strong>at</strong>zenkisterl).<br />

➤ Treppenstufen mit e<strong>in</strong>em Handlauf<br />

ergänzen.<br />

➤ Teppiche fest am Boden mit Teppichklebeband<br />

fixieren.<br />

➤ Kabel, die quer durchs Zimmer laufen,<br />

anders verlegen.<br />

➤ Das Bad mit Haltegriffen und Antirutschm<strong>at</strong>ten<br />

vor und <strong>in</strong> der Wanne<br />

oder der Dusche ausst<strong>at</strong>ten.<br />

➤ Handtücher und Badeutensilien<br />

sollten <strong>in</strong> der unmittelbaren Nähe<br />

liegen und ohne großen Balanceakt<br />

greifbar se<strong>in</strong>.<br />

Das Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g der Alltagsaktivitäten kann<br />

nur im unmittelbaren Lebensumfeld geschehen.<br />

Auch e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong><strong>at</strong>ion aus Bewegung<br />

(z. B. Wandern), Balanceübungen<br />

und Krafttra<strong>in</strong><strong>in</strong>g sowie Tai-Chi s<strong>in</strong>d wichtige<br />

Maßnahmen zur Sturzprophylaxe.<br />

Wenn es zu e<strong>in</strong>em Sturz kommt, können<br />

e<strong>in</strong>fach zu bedienende Notrufsysteme<br />

e<strong>in</strong>e lebensrettende Rolle spielen – P<strong>at</strong>ienten<br />

mit entsprechendem Risiko können<br />

z.B. e<strong>in</strong>e Uhr tragen, die direkt mit dem<br />

Telefon verbunden ist - dieses stellt dann<br />

im Bedarfsfall e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zum Roten<br />

Kreuz her.<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 38<br />

36 <strong>HUMAN</strong> 1/06 1/06 <strong>HUMAN</strong> 37


E<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong><strong>at</strong>ion aus Bewegung (z.B. Wandern), Balanceübungen und Krafttra<strong>in</strong><strong>in</strong>g sowie Tai-Chi s<strong>in</strong>d wichtige Maßnahmen zur Sturzprophylaxe.<br />

Vorbeugung von<br />

K<strong>in</strong>desbe<strong>in</strong>en an<br />

Bewegung übt e<strong>in</strong>en direkten anregenden<br />

E<strong>in</strong>fluss auf den Knochenaufbau aus - Bewegungsmangel<br />

wirkt hemmend. Muskelund<br />

Knochenmasse gehen pro Jahr etwa<br />

um 1 % zurück, wobei vor allem der Anteil<br />

der so genannten „schnellzuckenden Muskelfasern“<br />

abnimmt. „Gerade diese Muskelfasern<br />

s<strong>in</strong>d es aber, die bei Stürzen schnell<br />

reagieren und damit Stürze abfangen bzw.<br />

mildern können“, betont Ziegler. Auch<br />

darum s<strong>in</strong>d Maßnahmen, die Bewegung<br />

fördern, so wichtig und sollten von K<strong>in</strong>desbe<strong>in</strong>en<br />

an mit Übungen für das Gleichgewicht<br />

sowie für die Reaktions-, Orientierungs-<br />

und Rhythmusfähigkeit komb<strong>in</strong>iert<br />

werden. Gerade auch bei älteren Menschen<br />

ist gezieltes Muskeltra<strong>in</strong><strong>in</strong>g e<strong>in</strong> wichtiger<br />

Bauste<strong>in</strong> von Sturzprophylaxe.<br />

Mag. Christian F. Freisleben-Teutscher<br />

Gesund gelacht!<br />

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