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Anduin 98

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KURZGESCHICHTEN<br />

ANDUIN <strong>98</strong><br />

Nur gut, dass de Cadenet nicht im Haus ist.<br />

Du wärst keinen Tag länger mehr in seinen<br />

Diensten.“<br />

„Ahwas, passiert doch eh nischx.“ antwortete<br />

der andere, der offenkundig der Kontrolle<br />

über seine Zunge zumindest teilweise<br />

verlustig gegangen war.<br />

Die beiden hielten direkt vor der Tür, hinter<br />

der Luc sich verbarg. Der Dieb hielt den<br />

Atem an.<br />

„Schlaf dich erstmal aus. Der Duc wird sowieso<br />

nicht vor Montag abend zurück sein.<br />

Bis dahin schaffst du es auch, wieder nüchtern<br />

zu werden.<br />

Die schwere Klinke bewegte sich langsam<br />

nach unten, die Tür wurde geöffnet. Luc sah<br />

im Dunkel nur zwei einander stützende Gestalten,<br />

ohne direkt sagen zu können, wer<br />

nun der Nüchterne und wer der Betrunkene<br />

war. Er musste schnell handeln. Noch bevor<br />

die beiden ihn bemerkten, zog er den Dolch<br />

und hieb dem ersten der beiden den Knauf<br />

mit Wucht gegen das Kinn. Der Mann sackte<br />

stöhnend zusammen. Der andere jedoch,<br />

offensichtlich nüchtern, sprang direkt einen<br />

Schritt zurück und zog darauf seinen Degen.<br />

„Was soll das? Wer ist da?“<br />

Luc wusste, er musste flink sein. Die tödliche<br />

lange Klinge seines Kontrahenten würde<br />

ihm sonst den Gar aus machen. Er nahm den<br />

Mantel von den Schultern und sprang, sich<br />

mit Schwung um die eigene Achse drehend,<br />

dem Wachmann entgegen, dabei den Mantel<br />

über den Degen werfend, um der Klinge ihre<br />

Wirkung zu nehmen. Der Wachmann war<br />

nicht geistesgegenwärtig genug, um das Manöver<br />

vorauszusehen, und wurde überrumpelt.<br />

Auch er fing sich einen heftigen Schlag<br />

mit dem Knauf des Dolches ein, der ihn niederstreckte.<br />

Luc stand darauf im Flur und lauschte gespannt.<br />

Vermutlich war ansonsten niemand<br />

mehr zugegen, denn der Ausruf des Wachsoldaten<br />

wäre ansonsten wahrscheinlich<br />

gehört worden. Er zog die beiden reglosen<br />

Körper in den Raum, in dem er sich vorher<br />

verborgen hatte, und fesselte und knebelte<br />

die beiden. Dann begab er sich wieder auf<br />

den Weg zu seinem eigentlichen Ziel, dem<br />

Zimmer von Marianne de Cadenet, der Tochter<br />

des Herzogs.<br />

Nachdem er den Obergang am von Oberlichtern<br />

schwach beleuchteten Treppenhaus<br />

vorbei dem mit Stuck reichhaltig verzierten<br />

Flur nach links gefolgt war, stand der Einbrecher<br />

vor der Tür, hinter der sich, schenkte<br />

man dem Plan Glauben, den Luc von seinem<br />

Auftraggeber bekommen hatte, das Zimmer<br />

der jungen Dame de Cadenet befinden<br />

Mai 2009<br />

sollte. Luc griff nach dem goldglänzenden<br />

Knauf und drehte ihn vorsichtig. Das Zimmer<br />

war überraschenderweise nicht abgeschlossen.<br />

Er öffnete die Tür, die hierbei ein leises<br />

Knarren von sich gab, und betrat leise das<br />

Schlafgemach der jungen Mademoiselle de<br />

Cadenet.<br />

Das Zimmer war kleiner als erwartet. Neben<br />

dem Himmelbett, dessen seidene Vorhänge<br />

zugezogen waren, gab es hier noch<br />

einen Wandschrank, der nahezu die gesamte<br />

Länge des Raumes ausmachte, sowie einen<br />

eleganten, weiß lackierten Sekretär nebst<br />

des dazu passenden Stuhles. Auf diesem ließ<br />

Luc sich nun nieder, um die Fächer des Sekretärs<br />

zu durchsuchen. Nachdem er dort nichts<br />

fand außer einigen Schreibutensilien, versuchte<br />

er sich an der Tür des Sekretärs, die jedoch<br />

verschlossen war. Luc schaute sich um<br />

und erspähte eine Puderdose auf dem Sekretär.<br />

Er griff nach ihr, öffnete sie und wühlte<br />

ein wenig im Puder herum. Ein verzierter<br />

Messingschlüssel kam zum Vorschein. Wieso<br />

waren die Dinge nur immer so einfach?<br />

Der Schlüssel ließ sich leicht in dem hervorragend<br />

gearbeiteten Schloss drehen. Die Tür,<br />

offensichtlich nicht einwandfrei gearbeitet,<br />

schwang ihm entgegen. In der Ablage befand<br />

sich neben Spielsachen und Büchern auch<br />

eine große, reich mit Blattgold besetzte Kassette,<br />

in deren Schloss ein Schlüssel steckte.<br />

Luc griff nach der Kassette in der Annahme,<br />

es handelte sich um ein Schmuckkästchen.<br />

Überrascht vom enormen Gewicht der Kassette<br />

ließ er sie aus der Hand gleiten, so dass<br />

sie mit lautem Scheppern auf dem Boden<br />

knallte und aufsprang, was dazu führte, dass<br />

eine größere Anzahl an Schmuckstücken und<br />

Juwelen sich auf dem Boden verteilte.<br />

Mademoiselle de Cadenet fuhr in diesem<br />

Moment aus dem Schlaf empor, da dass<br />

Scheppern des Kästchens sie recht heftig geweckt<br />

hatte.<br />

„Wer ist da?“<br />

„Nur ein Einbrecher, Madame, nichts wirklich<br />

Beunruhigendes.“<br />

Ein spitzer, nicht zu lauter Schrei entfuhr<br />

der jungen Adligen.<br />

„Nicht so laut, man hört euch noch.“ Luc<br />

riss die Vorhänge des Himmelbettes beiseite<br />

und presste schnell die Hand auf den Mund<br />

des Mädchens. Sie war wohl knappe zwanzig<br />

Jahre alt und recht ansehnlich. Nein, sie war<br />

hübsch. Zumeist sah er Damen von Adel nur<br />

in bunten weiten Kleidern, aufgesteckten Frisuren<br />

und unter Mengen von Schminke, die<br />

sie bis zur Unkenntlichkeit maskierten. Diese<br />

Dame jedoch trug lediglich ihr Schlafgewand<br />

ohne jedweden Zierrat, was auch nicht verwundern<br />

mag, wenn man sich ins Gedächtnis<br />

ruft, wo sie sich befand. Ihr Haar fiel glatt<br />

über die Schultern, wie er es mochte, ohne<br />

all den modischen Firlefanz.<br />

Außerdem befand sich auf einer kleinen<br />

Ablage über dem Kopfende ein großer roter<br />

Edelstein. Der Dieb legte seinen Finger über<br />

den Mund und deutete dem Mädchen, zu<br />

schweigen.<br />

„Wieso seid ihr nicht auf dem Ball? Ich hätte<br />

gehofft, euch Ungemach zu ersparen, indem<br />

ich euch nicht antreffe.“ Langsam zog<br />

Luc die Hand zurück. Sie schaute ihn entgeistert<br />

an.<br />

„Sprecht, so lange ihr leise seid. Dann<br />

müsst ihr auch keine Angst haben. Nun?“ Luc<br />

hatte jetzt das Gefühl, die Situation im Griff<br />

zu haben. Das Mädchen schwieg.<br />

„Habt ihr doch Angst?“, fragte er. Sie nickte.<br />

„Ihr habt mich aber auch sehr erschreckt,<br />

Mademoiselle. Gestatten, Beauregard.“ Der<br />

Dieb stand auf und verbeugte sich. Das Mädchen<br />

schaute nur ungläubig.<br />

„Marianne de Cadenet.“<br />

Der Dieb zauberte ein galantes Lächeln in<br />

sein Gesicht, ein Lächeln, das nicht nur vom<br />

von einem honigblonden, gepflegten Bart<br />

umrandeten Mund ausging, sondern auch<br />

die azurblauen Augen, die selbst in der Dunkelheit<br />

noch zu strahlen schienen, mit einschloss.<br />

„So, da wir nun einander bekannt sind,<br />

können wir die Situation auch etwas entspannter<br />

angehen. Ich bin allerdings immer<br />

noch neugierig. Wieso seid ihr nicht auf dem<br />

Ball?“<br />

„Ich mache mir nichts aus Bällen. Das ist<br />

mir alles zu förmlich und langweilig. Also<br />

habe ich so getan, als sei ich krank.“<br />

„Nun, der Langeweile sind wir ja Herr geworden.“<br />

sagte Luc und schmunzelte dabei.<br />

Auch über Mariannes Gesicht zog nun ein<br />

Lächeln.<br />

„Nun, Marianne, ich kann nicht umhin, festzustellen,<br />

dass der eigentliche Grund meines<br />

Besuchs eher, sagen wir, geschäftlicher Natur<br />

ist. Um genau zu sein, ich kam speziell<br />

wegen dieses unscheinbaren Edelsteins, welcher<br />

sich dort auf der Ablage befindet.“<br />

„Nein, nicht diesen! Alle anderen, nur nicht<br />

diesen!“ Das eben noch ruhige, fast fröhliche<br />

Gesicht Mariannes wirkte auf einmal<br />

erschreckt, in ihrer Stimme schwang eine Mischung<br />

aus Panik und Empörung mit.<br />

„Eigentlich war der Plan genau anders herum.<br />

Ich wollte diesen und keinen anderen.<br />

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