Anduin 98

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ANDUIN <strong>98</strong> KURZGESCHICHTEN Aber wenn ich mir‘s recht überlege, könnte ich die besten Teile dieser zwei Pläne...:“ „Nein, Monsieur, ich beschwöre Euch! Nicht den Rubin!“ „Mir scheint, die anderen Sachen, also die aus der Kassette, sind doch auch recht schön. Was liegt euch so viel an dem Stein?“ „Die anderen Schmuckstücke sind mir egal. Ich trage sie, wenn ich es muss, sonst nicht. Aber wenn ich euch erzähle, was es mit dem Stein auf sich hat, lacht ihr mich nur aus. Bitte glaubt mir einfach, dass er zu wichtig für mich ist!“ „Wenn ihr‘s mir nicht erzählt, habe ich allerdings keinen Grund, das gute Stück hier zu lassen. Es bringt mir eine Menge Geld ein. Geld ist zwar für mich beileibe nicht alles, aber ich möchte doch wissen, weshalb ich mir die Belohnung entgehen lasse.“ Diese Logik beeindruckte das Mädchen. „Also gut.“ Marianne zögerte einen Moment, ehe sie weiter sprach. „Das hier habe ich sonst noch niemandem erzählt.“ Sie holte noch einmal tief Luft, bevor sie ihr Geheimnis preis gab. „Eine Wahrsagerin hat mir verkündet, dass es einen zweiten solchen Stein gibt und dass der Träger dieses Steins mein Traummann sein soll.“ Stille füllte den Raum, eine Stille von dieser unbehaglichen Sorte. „Und das glaubt ihr?“ Dem Dieb war ob der Naivität des Mädchens nicht nach Lachen zumute. „Ich wusste, dass ihr mich nicht ernst nehmt!“ Marianne griff nach dem Stein. „Aber ihr könnt es selbst sehen. Haltet den Stein gegen das Licht, dann seht ihr eine Gestalt im Rubin, eine tanzende Prinzessin.“ Luc griff nach dem Stein. Im Dunkel des Schlafgemachs war natürlich nichts zu erkennen, doch die junge Adlige war bereits dabei, eine Kerze anzuzünden. Kaum dass sie entflammt war, hielt Luc den Stein gegen das Licht. Tatsächlich konnte man in dem funkelnden Stein eine Verunreinigung erkennen, die Ähnlichkeit mit der Form einer tanzenden Frau in einem weit ausladenden Ballkleid hatte. Außerdem konnte Luc nun, da die Kerze den Raum ein wenig erhellte, nicht umhin, festzustellen, dass Marianne de Cadenet in ihrem hauchdünnen Nachtgewand eine vorzügliche Figur abgab. Sie war wirklich bezaubernd. Und sie schien nicht den beim Hochadel üblichen Hang zur Dekadenz zu haben, schenkte man ihren Worten Glauben. „Eine rührende Geschichte. Wisst ihr noch zufällig, wo ihr die Wahrsagerin getroffen habt? Eine Frau, die solche Edelsteine verschenkt, würde ich nur zu gerne kennen lernen.“ „Es war in einem Zirkus in Orléans. Ich bin meiner Gouvernante entwischt und habe mir die Stadt auf eigene Faust angeschaut. Naja, da war dieser Zirkus, die magische Manege des Maurice Maillot. Ich bin hingegangen, und nach der Vorstellung hat mich diese Dame angesprochen. Sie war etwas unheimlich, in schwarz gekleidet mit einem Schleier vorm Gesicht, und sie hatte einen komischen Akzent. Ich glaube, sie war Ausländerin. Sie erzählte mir diese Geschichte von den Rubinen, die zwei vom Schicksal Auserwählte zusammen bringen sollten.“ „Ich glaube, ich muss nach Orléans. Vielleicht bekomme ich auch einen.“ „Ihr macht euch immer noch über mich lustig.“ „Ich gebe zu, dass ich Euch die Geschichte nicht glaube. Aber es war ein guter Versuch. Nun, während ich gehe, bitte ich Euch, keinen Lärm zu schlagen. Anderenfalls sähe ich mich gezwungen, härtere Maßnahmen zu ergreifen. Ich bin so freundlich, euch die anderen Schmuckstücke zu lassen. Den Rubin nehme ich allerdings an mich.“ „Nein, bitte, Monsieur! Ich flehe euch an!“ Marianne warf ihre Arme um den Mann und klammerte sich an ihn. „Alles, was ihr wollt! Nur nicht den Stein!“ Luc zögerte. Was, wenn die Geschichte doch stimmte? Das Mädchen schien sie tatsächlich zu glauben. Außerdem fühlte sie sich sehr angenehm an in seinen Armen. Sie fing zudem noch an, ihn zu küssen. Sie schien alle Mittel nutzen zu wollen, die ihr gegeben waren. Nein, er konnte ihr das nicht antun. Er hatte einfach ein weiches Herz. Sie war besonders, das spürte er. Er würde ihre Hingabe belohnen. *** In südwestlicher Richtung führte eine breite ungepflasterte Straße aus Paris heraus. Folgte man ihr, so gelangte man nach Orléans. Luc war nun einige Kilometer entlang dieser Straße gelaufen, durch weite Ackerlandschaften, die von Höfen und Weilern durchsetzt waren. Jetzt stand er auf einer kleinen Anhöhe und blickte zurück auf die Stadt, die bis dato sein Leben gewesen war. Paris war ein Moloch voller Menschen, mehrere hunderttausend an der Zahl. Die meisten waren bettelarm, während der Adel in eigenen Vierteln unter sich blieb und pausenlos Feste feierte, in denen man sich an Vergnügen und Verschwendung zu übertreffen suchte. Der Gestank innerhalb des größten Teils der Stadt, der vom offenen Kanalisationssystem in den Vierteln der armen Leute ausging, war für einen Menschen vom Land geradezu unerträglich, die vielen engen kleinen Gässchen gefährlich, spätestens nachdem die Sonne untergegangen war. Für Luc jedoch waren diese Gässchen Heimat, die er zurückließ. Aber er wusste, es musste sein. Er hatte keine Wahl. Luc fasste in die Innentasche seines Mantels, wie um sich zu vergewissern, ob das, was er dort verborgen hatte, noch an seinem Platz war. Er holte einen etwa taubeneigroßen roten Edelstein hervor, den Stein, den er seinem unbekannten Auftraggeber hätte aushändigen sollen. Das würde niemals geschehen, dafür würde er sorgen, genauso wie dafür, dass auch kein anderer der unzähligen Diebe, Gauner und Halunken, die sich in den ärmeren Gegenden der Stadt herumtrieben und die alle ihren Preis hatten, jemals Hand an den Stein, den Traum dieses bezaubernden Mädchens, legen konnte. Er befürchtete nur, sie würde es nicht verstehen, nicht erkennen, dass er den Stein nicht gestohlen hatte, sondern ihn nur für sie aufbewahrte, ihn beschützte und damit auch sie. In der Nacht, nachdem sie eingeschlafen war, hatte er ihr einen Brief geschrieben, in dem er ihr genau diese Dinge erklärte. Er schrieb ihr von dem Schwur, den er geleistet hatte auf die kleine Taschenbibel, die er auf ihrer Schreibfläche gefunden hatte, den Eid, sich auf die Suche zu begeben nach dem Gegenstück, und sollte es existieren, ihr zu bringen. Dies war für ihn, der es mit dem Glauben nicht so eng sah und Kirchen eigentlich nur aus beruflichen Gründen betrat, etwas sehr Besonderes, doch wusste er nicht, ob sie das begreifen würde. Nun war er auf dem Weg nach Orléans, der einzigen Spur, die er hatte. In Paris konnte er, nachdem er einen offensichtlich einflussreichen und betuchten Kunden geprellt hatte, sowieso nicht bleiben. Da bot es sich an, nach dem Zirkus zu suchen, mit dem diese spendable Wahrsagerin angeblich durch die Lande zog. Luc gab sich einen Ruck und wendete seinen Blick weg von der Stadt auf die Straße, die sich, staubig und ausgetrocknet von der sonnigen Hitze der letzten Tage, auf der anderen Seite der Anhöhe in ein flaches Tal hinab und der Welt entgegen schlängelte. Er atmete die Landluft, die der Wind ihm von Südwesten entgegen trug. Sie schmeckte nach Abenteuer. Seite 30 Mai 2009
LIVEROLLENSPIELECKE ANDUIN <strong>98</strong> Endzeitlarp Liverollenspiel in der Welt von Degenesis Text: Catha und Hannes Fotos: Catha Kalt weht der Wind über die entstellte Landschaft Borcas, was sich vor hunderten von Jahren einmal Deutschland nannte, ist schon lange nicht mehr. Die Natur hat sich gegen die Spezies Mensch gewendet. Zweckgemeinschaften halten den Einzelnen am Leben und geben ihm die Hoffnung, vielleicht eines Tages ohne die Frage „Und was nun?“ aufzuwachen. Bis dahin bestimmen Konsequenzen sein Leben, verändern ihn und vielleicht ja auch die Welt in der er existiert – Degenesis. Die in ganz Deutschland verstreute Szene ist noch nicht lange, erst seit ca. 3 Jahren, aktiv; doch sie etabliert sich mehr und mehr. Regelmäßig finden entsprechende Larps statt, die sich mehr oder manchmal weniger am Grundregelwerk orientieren. Das gilt für Story und Handlungen ebenso wie für die Bekleidung: Da gibt es den Spitalier, der bei jeder Witterung im schwarz-weißen Neoprenanzug herumläuft und dessen Molluske bei Versporungen selbstverständlich auch vibriert; der Schrotter, welcher den größten Technikmüll reparieren oder einem neuen Zweck zuführen kann und Kilos an Metall mit sich herumträgt; die Elster, die leicht bekleidet den Augenaufschlag übt und Massagen anbietet. Die Wiedertäufer sind schlagkräftige, teils leicht reizbare Charakter und die Hellvetiker sprechen – wie könnte es anders sein – im Schweizer Dialekt und kommen generell in Uniform daher. Degenesis-Endzeitlarp wird mit sehr viel Liebe zum Detail umgesetzt. Anfänger mit entsprechendem Interesse werden gern aufgenommen. In den Foren und persönlich greifen die erfahrenen Spieler den Anfängern gern unter die Arme – so manche Bekleidungsbastelfrage wird schon mal ausführlich am Telefon besprochen; ggf. trifft man sich zum gemeinsamen Basteln. Die Community ist nicht groß, aber stetig wachsend. Die Hauptproblematik ist, wie so oft, die Ortsfindung: Alt, aber nicht total zerfallen; keine Mittelalterromantik. Ein Bunker ist der Traum eines jeden Degenesis-Endzeitlarpers. Auch abgelegene Holzhütten und alte Burganlagen werden vereinnahmt und geendzeitet – notfalls residiert der Spitalier vor der Apokaschemme und die Schrotter nächtigen in Hängematten in den Bäumen. Endzeit, Baby! Gespielt wird meist nach DKWDDK und Opferregel. Das bedeutet: DKWDDK (Du kannst, was Du darstellen kannst) lässt dem Spieler bei der Erschaffung und dem Ausspielen des Charakters vollkommen freie Hand, ohne ihn durch ein Punktesystem zu begrenzen. Einzig die Fähigkeiten des Spielers bzw. die, Mai 2009 Seite 31
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