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Armut und Ausgrenzung verhindern - Das LINKE CMS

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<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> soziale <strong>Ausgrenzung</strong> 34<br />

Medien fokussieren Sicht<br />

der Mittelschicht<br />

<strong>Armut</strong> wird zwar in den Medien zum<br />

Thema, aber nur aus der Sicht der<br />

Mittelschicht. <strong>Das</strong> Schicksal der Ärmsten<br />

bleibt ausgeblendet. Im Herbst vor<br />

drei Jahren begann in Deutschland eine<br />

Debatte über die Bildung einer neuen<br />

Unterschicht, der eine von der Friedrich-<br />

Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie<br />

zugr<strong>und</strong>e lag (Friedrich-Ebert-Stiftung<br />

2007). <strong>Das</strong> sogenannte Prekariat<br />

wurde als neue Gruppe in der deutschen<br />

Sozialschichtung entdeckt, das nicht<br />

mehr der klassischen Unterschicht<br />

zuzurechnen ist. Vielmehr drohen größere<br />

Teile der Mittelschicht in prekäre<br />

<strong>Armut</strong>slagen abzurutschen (Heitmeyer<br />

2008; Grabka & Frick 2008; Schultheis<br />

2005). In der sich ausbreitenden »Zone<br />

der Gefährdung« sind f<strong>und</strong>amentale<br />

Sicherheiten nicht mehr gegeben, weil<br />

immer mehr Menschen von Arbeitslosigkeit<br />

<strong>und</strong> unsicheren Arbeitsverhältnissen<br />

betroffen sind. Diese Debatte<br />

griffen die Medien auf, weil es um die<br />

Ängste der Mittelschicht geht. Dagegen<br />

tauchen in der Diskussion die dauerhaft<br />

Armen, die soziale Unterschicht,<br />

die Ausgeschlossenen nur am Rande<br />

auf. Während für das Prekariat die Aussicht<br />

auf Wiedergewinnung sozialen<br />

Anschlusses nicht ganz unrealistisch<br />

erscheint, herrscht in den »Zonen der<br />

<strong>Ausgrenzung</strong>« längst lethargische Hoffnungslosigkeit<br />

– also bei Menschen,<br />

die dauerhaft auf Sozialleistungen angewiesen<br />

sind, alten <strong>und</strong> kranken Menschen<br />

sowie MigrantInnen (Castel 2000,<br />

S. 13).<br />

<strong>Armut</strong> als Folge sozialer<br />

<strong>Ausgrenzung</strong><br />

<strong>Armut</strong> ist Folge eines dynamischen<br />

Prozesses sozialer <strong>Ausgrenzung</strong>, man<br />

spricht auch von Exklusion. In der europäischen<br />

Debatte über <strong>Armut</strong>sprozesse<br />

<strong>und</strong> Elendsquartiere hat der Begriff<br />

der Exklusion einige Prominenz erlangt,<br />

nachdem er in die EU-<strong>Armut</strong>s-Berichtserstattung<br />

eingeflossen war (Kronauer<br />

2002; Bude & Willisch 2008). Im direkten<br />

Vergleich mit den gängigen <strong>Armut</strong>skonzepten<br />

geht es bei Exklusion nicht<br />

in erster Linie um eine Zustandsbeschreibung<br />

individuellen Ressourcenmangels.<br />

Vielmehr rücken die sozialen<br />

Prozesse in den Vordergr<strong>und</strong>, die<br />

zum Ausschluss von der gleichberechtigten<br />

Teilhabe am gesellschaftlichen<br />

Reichtum führen. <strong>Armut</strong> ist daher als<br />

Resultat der fortschreitenden Anhäufung<br />

von negativen Selektionsmerkmalen<br />

im Sperrfeuer sich überschneidender<br />

Exklusionsprozesse zu verstehen.<br />

Kronauer (2007) betont, dass es bei<br />

der Exklusion nicht um »<strong>Ausgrenzung</strong><br />

aus der Gesellschaft« gehen kann, sondern<br />

dass es sich um »<strong>Ausgrenzung</strong> in<br />

der Gesellschaft« handelt. Die Unterscheidung<br />

von Zentrum <strong>und</strong> Peripherie<br />

ist fürs Verständnis besser geeignet.<br />

Im Zentrum der Gesellschaft finden<br />

sich jene Sozialräume, die aufgr<strong>und</strong><br />

ihrer Ressourcen- <strong>und</strong> Machtausstattung<br />

besonders attraktiv sind. Im Kampf<br />

um die knappen Güter eines guten <strong>und</strong><br />

schönen Lebens setzen sich besonders<br />

leicht die Bevölkerungsgruppen durch,<br />

die selbst schon am Besten mit Ressourcen<br />

ausgestattet sind: Geld, Bildung <strong>und</strong><br />

Sozialkontakte, Insiderwissen, sozial<br />

angemessene Verhaltenskodizes <strong>und</strong><br />

Unterscheidungsformen, Macht, Status<br />

<strong>und</strong> Prestige. Exklusion bedeutet, dass<br />

den Ausgegrenzten nur die ressourcen<strong>und</strong><br />

statusarmen Peripherien bleiben:<br />

Hochhaussiedlungen im sozialen Wohnungsbau<br />

oder verarmte Innenstadtgettos<br />

<strong>und</strong> prekäre Beschäftigungsverhältnisse.<br />

Hier gelingt der Anschluss<br />

an wichtige Versorgungsbereiche mehr<br />

schlecht als recht.<br />

Exklusion setzt an der unzureichenden<br />

Integration in den Arbeitsmarkt an.<br />

Durch andauernde Arbeitslosigkeit verfestigt<br />

sich rasch die Gewissheit, von<br />

der Gesellschaft nicht gebraucht zu werden,<br />

keine Bedeutung für die Mitmenschen<br />

zu haben, als Überflüssiger entwertet<br />

zu sein (Bude 1998). Auf der anderen<br />

Seite mündet Dauerarbeitslosigkeit<br />

in <strong>Armut</strong>, wodurch sich der Ausschluss<br />

von allen Lebensbereichen, in denen<br />

Geld die Eintrittskarte ist, weiter verschärft.<br />

Doch ziehen die durch <strong>Armut</strong><br />

verursachten Integrationsprobleme bei<br />

Weitem größere Kreise. Die betroffenen<br />

Menschen geraten rasch in den Sog<br />

sozialer Desintegration. Ohne Geld ist<br />

der Anschluss ans soziale Leben, der<br />

Kino-, Theater-, Museumsbesuch, die<br />

Vereinsmitgliedschaft, ein Bier in der<br />

Kneipe, die Einbindung in den arbeitenden<br />

Fre<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Bekanntenkreis nur<br />

schwer aufrechtzuerhalten. Die Verengung<br />

der Lebenskreise grenzt die Entfaltung<br />

der eigenen Persönlichkeit immer<br />

stärker auf die am sozialen Rand vorgef<strong>und</strong>enen<br />

wertlosen Teilhabe- <strong>und</strong> Teilnahme-Möglichkeiten<br />

ein.<br />

Der Ausschluss aus den einzelnen<br />

Lebensfeldern führt schließlich zur Überlagerung<br />

sozialer <strong>Ausgrenzung</strong>sformen,<br />

sodass die von <strong>Armut</strong> betroffenen Menschen<br />

in ein »Feld der Exklusion« eingeschlossen<br />

werden (vgl. auch Kapitel<br />

7 über »<strong>Armut</strong> verfestigt sich«).<br />

»Hat jedoch der Ausschluss aus einem<br />

Folgen für den Einschluß in ein anderes<br />

Subsystem, dann mehren sich die<br />

Mißerfolge <strong>und</strong> verstärkt sich die Abweichung:<br />

Keine zertifizierte Ausbildung,<br />

keine reguläre Beschäftigung, keine<br />

ges<strong>und</strong>e Ernährung, kein ausreichendes<br />

Einkommen, keine dauerhaften Intimbeziehungen,<br />

keine elterliche Verantwortung,<br />

kein Interesse an den politischen<br />

Angelegenheiten, kein Zugang zur<br />

Rechtsberatung, keine ausreichende<br />

Krankenversicherung« (Bude 2008, S. 18).<br />

<strong>Das</strong> Bedrohliche der Exklusion resultiert<br />

daraus, dass es kein punktuelles Phänomen<br />

bleibt (Ludwig-Mayerhofer & Barlösius<br />

2001, S. 45). Wenn die Integration<br />

in die Gesellschaft an einer Stelle<br />

anfängt zu erodieren, dann verstärken<br />

sich die sozialen Abstiegsprozesse<br />

rasch über verschiedene Lebenslagen<br />

hinweg. Arbeitslosigkeit verursacht Einkommensarmut,<br />

beides führt zum Rückzug<br />

vom kulturellen Leben, sodass über<br />

eine Begrenzung der Lebenskreise auch<br />

das Netzwerk an sozialen Beziehungen<br />

schrumpfen wird.<br />

Die individuelle Seite: psychische<br />

Desintegration<br />

Die soziale Seite der Exklusion ergänzt<br />

die individuelle Seite, die man als psychische<br />

Desintegration beschreiben<br />

kann. Wie wir aus der psychologischen<br />

Stress- <strong>und</strong> Belastungsforschung<br />

wissen, führen erschwerte Lebensumstände,<br />

die unter <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong><br />

entstehen, zur Resignation, zur<br />

Hilflosigkeit, zum individuellen Rückzug<br />

(Bonß, Keupp & Koenen 1984). Mit<br />

wachsendem Abstand zum gesellschaftlichen<br />

Leben schwinden alle Hoffnungen,<br />

jemals den Weg zurück in die legitimen<br />

Sphären der Teilhabe <strong>und</strong> Anerkennung<br />

zu finden. Damit vollziehen die<br />

Betroffenen ihren sozialen Ausschluss<br />

in gewissem Sinne selbst. Um eine Indi-

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