Armut und Ausgrenzung verhindern - Das LINKE CMS
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Rückzug oder Widerstand? 38<br />
7 Rückzug oder oder Widerstand? Widerstand?<br />
Dr. Werner Seppmann<br />
<strong>Armut</strong> ist schon lange kein Randgruppenproblem<br />
mehr. Sie beschränkt sich<br />
nicht nur auf die statistisch erfassten<br />
Armen, die mittlerweile fast 18 Prozent<br />
der Bevölkerung ausmachen. Denn mindestens<br />
genau so groß ist die Gruppe<br />
jener, die faktisch von der Hand in den<br />
M<strong>und</strong> lebt <strong>und</strong> jederzeit sozial abstürzen<br />
kann. Nicht erst seit dem Ausbruch<br />
der aktuellen Krise werden von dem<br />
sozialen Abwärtssog zunehmend Kreise<br />
erfasst, die sich vor kurzem noch in<br />
gesicherten Positionen glaubten. Immer<br />
öfter erscheinen bei den karitativen Einrichtungen<br />
Menschen, die es sich vor<br />
wenigen Jahren kaum hätten vorstellen<br />
können, einmal »so tief zu sinken«<br />
– <strong>und</strong> der Sog nach unter verstärkt<br />
sich. Immer mehr Menschen geraten<br />
in die Gefährdungszonen <strong>und</strong> leben in<br />
ständiger Angst vor sozialem Absturz.<br />
Sie erleben diese Entwicklungen wie<br />
eine Naturkatastrophe, die ihr Leben<br />
durcheinander wirbelt. Doch sind diese<br />
sozialen Deformationen alles andere als<br />
ein unvermeidliches »Schicksal«, sondern<br />
Ausdruck der ausbeutungsorientierten<br />
Umgestaltung der Sozialverhältnisse<br />
seit den 90er-Jahren.<br />
Arm trotz Arbeit<br />
Um die Profitrate zu erhöhen, hat die<br />
herrschende Politik die sozialen Sicherheitsstandards<br />
herunter gefahren, die<br />
Arbeitsmärkte dereguliert <strong>und</strong> ein leistungssteigerndes<br />
Druckszenarium aufgebaut.<br />
Durch wachsende Arbeitslosigkeit,<br />
sich ausbreitende soziale Verunsicherungen<br />
<strong>und</strong> ausgehöhlte soziale<br />
Sicherungssysteme wurden immer Lohnabhängige<br />
gezwungen, zu abgesenkten<br />
Löhnen zu arbeiten (vgl. auch Kapitel<br />
4 über »Working Poor«). Unter diesen<br />
Bedingungen wuchs beständig die<br />
Zahl der Lohnabhängigen, die trotz<br />
einer »Vollerwerbsstelle« nicht mehr<br />
in der Lage sind, aus eigener Kraft<br />
ihren Lebensunterhalt zu sichern. Zwar<br />
ist Arbeitslosigkeit immer noch eine<br />
der Hauptursachen von <strong>Armut</strong>, jedoch<br />
erhielten schon vor zwei Jahren 1,3 Millionen<br />
Beschäftigte aufstockende Hartz-<br />
IV-Leistungen, weil das Einkommen<br />
nicht mehr zum Leben reicht. Dadurch<br />
werden Niedriglöhne subventioniert.<br />
Der Kreis der Berechtigten ist noch viel<br />
größer. R<strong>und</strong> sechs Millionen Arbeitnehmerinnen<br />
<strong>und</strong> Arbeitnehmer, das sind<br />
ein Viertel der Vollzeitbeschäftigten,<br />
gehören zu den »arbeitenden Armen«.<br />
Früher wurden die kapitalistischen<br />
Metropolengesellschaften charakterisiert<br />
als Wohlstandszonen. Heute kann<br />
man vor dem Hintergr<strong>und</strong> der aktuellen<br />
Entwicklungen durchaus davon<br />
sprechen, dass sich »<strong>Armut</strong>sgesellschaften«<br />
herausbilden – denn die Tendenzen<br />
zur sozialen Degradierung <strong>und</strong> gravierenden<br />
Positionsverschlechterungen<br />
besitzen eine strukturelle Dimension:<br />
Die derzeitige Form der Kapitalverwertung<br />
führt zur Ausbreitung <strong>und</strong> Festigung<br />
von <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Bedürftigkeit. Um<br />
die Profite zu sichern <strong>und</strong> die Ausbeutungsraten<br />
zu erhöhen, organisierte die<br />
neoliberale Offensive einen Angriff auf<br />
den Lebensstandard der Lohnabhängigen.<br />
Die Einkommen stagnierten bei<br />
gleichzeitig erhöhten Anforderungen an<br />
Leistung <strong>und</strong> »Flexibilität«. <strong>Das</strong> Kapital<br />
konnte so vorgehen, weil die Massenarbeitslosigkeit<br />
<strong>und</strong> die Internationalisierung<br />
des Arbeitsmarktes die Chance<br />
erhöhten, die Arbeitskräfte gegeneinander<br />
auszuspielen. Zusätzliche Handlungsspielräume<br />
entstanden in der B<strong>und</strong>esrepublik,<br />
weil die herrschende Politik<br />
das soziale Leistungsniveau systematisch<br />
absenkte <strong>und</strong> die Betroffenen<br />
zwingt, jede Arbeit zu jedem<br />
Preis anzunehmen. <strong>Das</strong> Kapital wurde<br />
durch die »Arbeitsmarktreformen« geradezu<br />
eingeladen, die Arbeitskräfte ruinösen<br />
Bedingungen zu unterwerfen. Vor<br />
allem durch diese Rahmenbedingungen<br />
haben sich Zonen prekärer Beschäftigung<br />
bilden können, in denen nicht<br />
selten Löhne unterhalb des Existenzminimums<br />
gezahlt werden. Verarmung<br />
<strong>und</strong> zunehmende Bedürftigkeit sind also<br />
keine Entgleisung der ausbeutungsorientierten<br />
Umgestaltungsstrategien, sondern<br />
beabsichtigt <strong>und</strong> entsprechen dem<br />
neoliberalen Kalkül. Weder das politische<br />
Personal, noch die wissenschaftlich<br />
verkleideten Propagandaredner des<br />
Kapitals haben mit ihren Absichten hinterm<br />
Berg gehalten. Schon im November<br />
vor sieben Jahren sprach der damalige<br />
Wirtschaftsminister Wolfgang Clement<br />
(SPD) von erwarteten Einschüchterungseffekten<br />
der »Arbeitmarktreformen«:<br />
»Die Gewerkschaften werden<br />
Tarifverträgen für Zeitarbeiter zustimmen,<br />
die 20 Prozent unter den Löhnen<br />
der Stammbelegschaften liegen.«<br />
Geirrt hat sich Clement nur im Umfang<br />
des Lohnsenkungseffekts, der in einigen<br />
Bereichen der Arbeitswelt deutlich<br />
höher ausgefallen ist. Auch der allgegenwärtige<br />
Wirtschafts-Interessen-Professor<br />
Hans-Werner Sinn präzisierte zu diesem<br />
Zeitpunkt: »In Wahrheit geht es um<br />
eine Lohnsenkung. Die kommt zustande,<br />
weil durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe,<br />
die bislang Begünstigten auf<br />
Sozialhilfe zurückfallen <strong>und</strong> bereit sein<br />
werden, für weniger Geld zu arbeiten.«<br />
Es ging also um den Aufbau einer sozialen<br />
Druckfassade, um die Lohnabhängigen<br />
zu verunsichern.<br />
<strong>Armut</strong> verfestigt sich<br />
Für einen Teil der Betroffenen sind Phasen<br />
der Bedürftigkeit nur ein Durchgangsstadium.<br />
Für viele andere dagegen<br />
festigt sich die <strong>Armut</strong>. Wer in <strong>Armut</strong><br />
absinkt, dem gelingt es immer seltener,<br />
ihr zu entkommen (vgl. auch Kapitel<br />
6 über »<strong>Armut</strong> als Folge sozialer<br />
<strong>Ausgrenzung</strong>«). Die Betroffenen scheinen<br />
auf lange Sicht aus der Arbeitswelt<br />
<strong>und</strong> den sozialen »Normalitätsbereichen«<br />
ausgeschlossen zu sein. Fast<br />
ein Zehntel der Bevölkerung lebt in<br />
verfestigter <strong>Armut</strong>. Zwischen 1996 <strong>und</strong><br />
2000 waren knapp 54 Prozent der Betroffenen<br />
auch nach fünf Jahren noch in<br />
einer <strong>Armut</strong>ssituation. Diese »Beharrungsquote«<br />
lag zwischen 2002 <strong>und</strong> 2006<br />
in der B<strong>und</strong>esrepublik schon bei mehr<br />
als 66 Prozent. Ein Wechsel in eine auskömmliche<br />
Einkommensklasse gelingt<br />
denen, die »unten« gelandet sind, immer<br />
seltener. Wer in diesen Zonen materieller<br />
<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> sozialer Verlorenheit landet,<br />
ist zunehmend sich wechselseitig<br />
verstärkenden Benachteiligungen ausgesetzt.<br />
Für viele Arbeitslose ist das