SECURITY insight 2/08
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Titelthema<br />
Titelthema<br />
Foto: Jaimie Duplass – Fotolia.com<br />
Anstand am<br />
Arbeitsplatz?<br />
Eine Umfrage unserer Zeitschrift unter den deutschen Staatsanwaltschaften<br />
zur Mitarbeiterkriminalität kommt zu dem Ergebnis: Es steht immer schlechter<br />
um die Ehrlichkeit in den Betrieben. Doch die Ursachen lassen sich bekämpfen.<br />
Von Thomas Schuster<br />
Die Gesamtzahl der Beschuldigten im Bereich dessen, was man weitläufig als<br />
Mitarbeiterkriminalität bezeichnet, „dürfte sich in den letzten fünf Jahren im<br />
gehobenen vierstelligen Bereich bewegen“, betont die Frankfurter Oberstaatsanwältin<br />
Doris Möller-Scheu und ergänzt: „In einzelnen Verfahren wurden mehr<br />
als hundert Beschuldigte geführt.“ In einer bundesweiten Umfrage bei den<br />
Staatsanwaltschaften hat <strong>SECURITY</strong> <strong>insight</strong> ausgelotet, wie es um die Ehrlichkeit<br />
der Beschäftigten in Wirtschaft und Verwaltung steht. Meist wird dieser<br />
Sektor juristisch gar nicht gesondert erfasst, aber zu einer Schlussfolgerung<br />
kommen die Ankläger unisono: Es steht immer schlechter um die Ehrlichkeit in<br />
den Betrieben – von unten bis oben in der Hierarchie. Und das hat Gründe.<br />
„Kriminelle Mitarbeiter“ – eine offensichtlich<br />
einfache Formel, die es aber in sich<br />
hat. Eine der grundlegenden Erkenntnisse<br />
der Ökonomie ist, dass das Wirtschaftsleben<br />
nur funktionieren kann, wenn die<br />
Beteiligten den gesetzlich abgesteckten<br />
Rahmen einhalten. Doch hier liegt auch<br />
zugleich der Hund begraben – denn man<br />
muss schon sehr clever sein, will man mit<br />
ehrlicher Arbeit zu schnellem Geld kommen.<br />
Die Verlockung, ein paar unsaubere<br />
Tricks zum persönlichen Vorteil beizusteuern,<br />
ist daher groß.<br />
Von der Putzfrau<br />
bis zum Prokuristen<br />
Die jüngsten Enthüllungen aus dem<br />
Hause Lidl haben dem Thema „Kriminelle<br />
Mitarbeiter“ noch eine besondere Note<br />
verliehen. Mit offenbar flächendeckender<br />
Videoüberwachung hat der Discounter<br />
seine Beschäftigten (nebst Kunden)<br />
unter eine Art Generalverdacht gestellt.<br />
Damit keine Missverständnisse aufkommen:<br />
Videoüberwachung ist im Einzelhandel<br />
üblich und ganz sicher unter dem<br />
Aspekt der Senkung von Inventurdifferenzen<br />
auch sinnvoll. Anderenorts geschieht<br />
dies freilich weitaus offener (nämlich aus<br />
Gründen der Prävention) und meist nach<br />
Absprache mit dem Betriebsrat, einer<br />
– wie man weiß – bei Lidl nicht gerade<br />
weit verbreiteten Institution. Besteht der<br />
konkrete Verdacht, dass ein Mitarbeiter<br />
kriminell handelt, verschließt sich in<br />
vielen Fällen nicht einmal der Betriebsrat<br />
einer gezielten heimlichen Überwachungsmaßnahme.<br />
Ähnlich argumentierte auch die unter<br />
Druck geratene Lidl-Geschäftsleitung:<br />
Die ausgiebige Videoüberwachung<br />
sei Inventurdifferenzen von jährlich<br />
80 Millionen Euro geschuldet. Gleichzeitig<br />
distanzierte man sich von Teilen<br />
der Bespitzelung. Nichts zu hören war<br />
von der traditionell in Sachen Öffentlichkeitsarbeit<br />
sehr verschlossen agierenden<br />
Unternehmensgruppe dazu, ob<br />
auch folgende Erkenntnis von Sicherheitsexperten<br />
für die Entscheidung zur<br />
Mitarbeiterüberwachung herangezogen<br />
worden war: Je weniger wohl sich Mitarbeiter<br />
in ihrem Unternehmen fühlen,<br />
desto weniger Anstand bringen sie in<br />
ihren Arbeitsalltag mit. 2004 hatte die<br />
Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ein<br />
Schwarzbuch über Lidl herausgegeben,<br />
das die angeblich menschenunwürdige<br />
Behandlung der Mitarbeiter dokumentiert.<br />
Im gleichen Jahr erhielt der Discounter<br />
den „Big Brother Award“ in der<br />
Kategorie „Arbeitswelt“.<br />
Was auch immer an den Vorwürfen dran<br />
ist – das Misstrauen eines ungeliebten<br />
Arbeitgebers gegenüber seinen Mitarbeitern<br />
ist durchaus angebracht. Und<br />
so sollten sich Unternehmen mit rigider<br />
Personalpolitik sogar intensiv mit<br />
der Frage beschäftigten: Wie loyal und<br />
ehrlich sind meine Mitarbeiter? (Und wie<br />
kann ich das mit legalen Mitteln ändern?)<br />
Was nicht heißen soll, dass sich bekanntermaßen<br />
mitarbeiterfreundliche Firmen<br />
diese Frage nicht stellen sollten.<br />
Wer seine Mitarbeiter gut behandelt,<br />
kann sich eine offene Videoüberwachung<br />
„leisten“.<br />
Juristisches Nachspiel<br />
höchst selten<br />
Tatsächlich verwertbare Zahlen darüber,<br />
welche Schäden Mitarbeiter – von der<br />
Putzfrau bis zum Prokuristen – anrichten,<br />
sind schwer zu errechnen. Einige<br />
Eckwerte umreißt Oberstaatsanwältin<br />
Möller-Scheu. Sie weiß aus ihrer Praxis,<br />
dass bei einigen Fällen „der Schaden<br />
für einzelne Transaktionen (Schmiergeldzahlung<br />
und nachfolgende Einrechnung)<br />
bei mehr als einer Million“ lag. In<br />
anderen Verfahren „betrug der Schaden<br />
bei dem betroffenen Unternehmen infolge<br />
der Tätigkeit korruptiver Netzwerke<br />
mehr als zehn Millionen Euro“, betont<br />
sie. Regelmäßig könnten „die tatsächlich<br />
eingetretenen Schäden nur ansatzweise<br />
aufgeklärt und im Übrigen nur geschätzt<br />
werden“. Bezogen auf die letzten fünf<br />
Jahre könnten diese Schäden allein im<br />
Amtsbereich der Staatsanwaltschaft<br />
Frankfurt am Main „bei mehr als 100<br />
Millionen gelegen haben“.<br />
Von Lübeck bis Konstanz mussten die<br />
Staatsanwaltschaften auf Anfrage von<br />
<strong>SECURITY</strong> <strong>insight</strong> bis auf wenige Ausnahmen<br />
jedoch kleinlaut eingestehen,<br />
dass sie über dieses Deliktfeld keinerlei<br />
Aussage treffen können. Den allgemein<br />
als sehr hoch bezifferten Schäden steht<br />
offensichtlich nur vergleichbar selten ein<br />
juristisches Nachspiel gegenüber. Die<br />
Staatsanwaltschaft Zweibrücken gibt zu<br />
Protokoll, „dass die Anzahl entsprechender<br />
Verfahren zumindest im hiesigen<br />
Bezirk äußerst gering“ sei. Der Heilbronner<br />
Oberstaatsanwalt Martin Renninger<br />
betont ähnlich wie seine Kollegen in<br />
Zweibrücken, eine „Tendenz bei der Zuund<br />
Abnahme derartiger Delikte kann<br />
hier nicht erkannt werden“.<br />
Konkreter werden die Ermittlungsbehörden<br />
nur selten. Der Wuppertaler Staatsanwalt<br />
Wolf-Tilman Baumert berichtet<br />
gegenüber unserer Zeitschrift: „Die<br />
ermittelten Schäden belaufen sich in<br />
der Regel zwischen einigen tausend<br />
und mehreren Millionen Euro, allein in<br />
einem der hier zu bearbeitenden Fälle<br />
ist ein Schaden von über einer Million<br />
8 Security <strong>insight</strong><br />
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