Wahl - Burgtheater
Wahl - Burgtheater
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Die Wahrheit hat noch nie<br />
irgendein Gefühl in uns erzeugt.<br />
Deshalb geht man ja auch ins Theater.<br />
Weil da nur gespielt wird, und dadurch die<br />
größten Gefühle in uns hervorgerufen<br />
werden aus einem einfachen Grund:<br />
dass die Gefühle nur gespielt sind.<br />
Man geht ja nicht ins Theater wegen<br />
der Wahrheit, um sich die wahren Gefühle<br />
anzusehen. Das wäre ja wie an<br />
einem Grab zu stehen und losheulen<br />
zu müssen, weil es nun mal angesagt<br />
ist. Im Theater ist man davon befreit.<br />
Die Verabredung ist ja eher die, dass<br />
wir empfinden wollen auf der Grundlage,<br />
dass man uns da etwas vorspielt.<br />
Dass überhaupt etwas in meinem<br />
Leben aufgetaucht ist, habe ich der<br />
Tatsache zu verdanken, dass etwas<br />
„nur“ gespielt worden ist. Und das<br />
ist kein Witz. Theater denken ja gerne,<br />
sie wären ein Tempel, in dem der<br />
Ernst schon vorinstalliert ist. Und so<br />
sehen die dann auch aus, die Schauspieler,<br />
die vergessen haben, woher<br />
der Ernst kommen könnte: aus dem<br />
Spiel eben. Daraus, dass hier ein paar<br />
Leute so tun als ob. In einem Raum, in<br />
dem es eben ausgerechnet um nichts<br />
geht. Jedenfalls nicht um Leben und<br />
Tod. Es geht im Theater nicht um das<br />
Leben oder den Tod. Es geht um die<br />
gespielten Leben und den gespielten<br />
Tod.<br />
René Pollesch<br />
René Pollesch erarbeitet seine Theaterabende<br />
im Kollektiv mit den Schauspielerinnen<br />
und Schauspielern. Als<br />
Grundlage dienen dabei theoretische<br />
Texte, Filme und Erfahrungen aus der<br />
persönlichen Lebenswelt der Beteiligten.<br />
Auch sein Projekt für diese Spielzeit,<br />
das den Titel Cavalcade trägt,<br />
wird erst während des Probenprozesses<br />
entstehen.