Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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Dokumentation<br />
AUS DEN PERSONALAKTEN VON CANARIS<br />
Vorbemerkung<br />
Persönlichkeit, Amt und geschichtliche Umwelt haben Admiral Canaris, den<br />
„Abwehrchef" des Dritten Reiches (1935-1944), zu einer fast legendären Gestalt<br />
gemacht. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bemächtigte sich im In- und Ausland<br />
alsbald das Sensationsbedürfnis seiner Figur. Es hat das Bild seines dienstlichen<br />
Wirkens entstellt, seine Rolle als „Gegenspieler" Hitlers verzeichnet und nicht zuletzt<br />
Grundzüge seines gewiß vielschichtigen Wesens verzerrt. Infolge seiner Entwicklung<br />
von einem ursprünglich betont „nationalen" Offizier zu einem der wichtigsten<br />
militärischen Träger eines ethisch bestimmten Widerstandes aber wurde<br />
Canaris' Person und Handeln in Deutschland zum Gegenstand heftiger und tiefgreifender<br />
Diskussionen - insbesondere auch in Marinekreisen: Diskussionen, die<br />
vielfach an einem Mangel gesicherter Fakten und adäquater geschichtlicher Maßstäbe<br />
litten, im Ergebnis jedenfalls überwiegend von vorsichtiger Distanzierung bis<br />
zur Diffamierung reichten. Demgegenüber würdigte der Staatssekretär von Weizsäcker<br />
— gleich Canaris aus der Marine kommend — den Admiral in seinen „Erinnerungen"<br />
als „eine der interessantesten Erscheinungen der Epoche, wie eben<br />
Diktaturen sie zutage bringen und zur Vollkommenheit entwickeln, selbst in einem<br />
Land wie Deutschland, wo zu reiner Gesinnung höchst selten sich Verschlagenheit<br />
gesellt. Klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben - diese Verbindung<br />
ist bei uns rar." Der Staatssekretär spricht in einer <strong>für</strong> ihn ungewöhnlichen<br />
Sprache vom „glockenklaren Charakter" des Admirals 1 .<br />
Was Canaris' Rolle im Widerstand betrifft, der hier nicht näher nachzugehen ist,<br />
so kann inzwischen als gesichert gelten, daß der Admiral, so wenig er der nationalsozialistischen<br />
Staatsführung von vornherein ablehnend gegenübergestanden hatte,<br />
in wachsenden inneren Gegensatz zu den Machthabern geriet, je mehr er in deren<br />
Methoden dienstlich Einblick gewann. Vollends nach dem heimtückischen Streich<br />
gegen den Generalobersten von Fritsch ließ Canaris in der noch relativ unabhängigen<br />
„Abwehrabteilung" ein technisches Zentrum der Opposition entstehen. Er förderte<br />
durch seine Informationen die Staatsstreichpläne der Generalstabschefs Beck<br />
und Halder und drängte sie zum Handeln 2 , gewährte aber namentlich oppositionell<br />
aktiveren Untergebenen, wie dem damaligen Oberstleutnant Oster, Handlungsfreiheit<br />
und schirmte sie durch sein Amt bei ihren Aktionen ab. Nach Hitlers Ein-<br />
1 E. von Weizsäcker, Erinnerungen, München/Leipzig/Freiburg i. Br. 1950, S. 175.<br />
2 Das Nähere in meiner Darstellung „Vorgeschichte und Beginn des militärischen<br />
Widerstandes gegen Hitler", in: „Die Vollmacht des Gewissens", hrsg. v. d. „Europäischen<br />
Publikation", Bd. I, München 1956, S. 338f. (2. Aufl., Frankfurt/Berlin 1960, S. 341 f.) -<br />
Zum Ganzen vgl. auch meinen Artikel „Canaris" in „Neue Deutsche Biographie", Bd. 3,<br />
Berlin 1957, S. 116ff.