Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Über die Ursachen des Zweiten Weltkrieges 317<br />
findet, so wird der Fall ,Grün' auch vor [im Original unterstrichen] der erreichten<br />
vollen Kriegsbereitschaft eintreten." 11<br />
Hier offenbart sich schlagartig der große Realitätsgehalt des Hoßbach-Memorandums.<br />
Die Aggressivität dieser Einleitungsbemerkungen zum neugefaßten Fall<br />
„Grün" läßt sich weder als „Wachtraum" noch etwa als generalstabsmäßige Routinearbeit<br />
wegerklären. Der Wille zum Krieg ist offenkundig. Zugleich entpuppt<br />
sich hier das Hitler zugeschriebene passive Warten auf Gelegenheiten als die höchst<br />
gespannte Aufmerksamkeit eines Mannes, der sich daran macht, seinem Nachbarn<br />
eine Bombe mit Zeitzünder ins Haus zu legen, der dabei aber auch bereit ist, in<br />
einem unbewachten Augenblick schon vorher mit der Axt einzubrechen. Im Lichte<br />
dieser Quellen und Zusammenhänge wird man Taylors Interpretation als im höchsten<br />
Maße gekünstelt ansprechen müssen.<br />
Auch die Deutung des Godesberger Treffens während der Münchener Krise, wie<br />
sie Taylor (S. 233) versucht, hält einer kritischen Durchleuchtung nicht stand,<br />
da Taylor davon ausgeht, daß es dem „Revisionisten" Hitler nur auf die Sudetengebiete<br />
angekommen sei. Er behauptet, Hitler hätte seine überhöhten Forderungen<br />
gestellt, um Zeit zu gewinnen. Er hätte warten wollen, bis auf Grund der polnischen<br />
und ungarischen Forderungen die CSR völlig auseinanderbrach und Deutschland<br />
dann die Rolle des Friedensstifters spielen sowie eine neue Ordnung schaffen könne.<br />
Ausdrücklich lehnt es Taylor ab, zu glauben, Hitler hätte seine überhöhten Forderungen<br />
nur deshalb gestellt, um durch ihre endgültige Ablehnung den Vorwand<br />
zur Zerschlagung der Gesamttschechei zu erhalten. Denn konnte er den Krieg um<br />
des Krieges willen wollen? Das kann Taylor nicht einleuchten, da er nicht einsehen<br />
will, daß es Hitler nicht um die Sudetendeutschen, sondern um die Zerschlagung<br />
der Gesamttschechei ging und daß er <strong>für</strong> diesen Zweck einen Krieg <strong>für</strong> unvermeidlich<br />
hielt. Darum hatte der „Führer" schon vor dem Godesberger Treffen die<br />
Ungarn angetrieben, mit Forderungen gegen die Tschechei vorzuprellen und<br />
darum hat er in zahlreichen Gesprächen während jener Tage immer wieder seinen<br />
Ärger und seine Enttäuschung über die friedliche Lösung, die schließlich doch noch<br />
zustande kam, die ihm aber nur einen Teilerfolg brachte, betont. Doch Taylor<br />
übergeht diese Quellen 12 .<br />
11 Ebd., S. 480. Dort auch die Quellenangabe.<br />
12 Vgl. ADAP Serie D, Bd. 2, Nr. 554: Bericht über die Unterredung zwischen dem Führer<br />
und dem ungarischen Ministerpräsidenten und Außenminister vom 20. 9. 1938. „Der Führer<br />
habe weiter erklärt, daß er die deutschen Forderungen gegenüber Chamberlain brutal vertreten<br />
werde. Seiner Auffassung nach sei die einzig-befriedigende Lösung ein militärisches<br />
Vorgehen. Es bestände aber die Gefahr, daß die Tschechen alles annehmen." Noch am<br />
16. Jan. 1939 äußerte Hitler zu dem ungarischen Außenminister: „Glauben Sie, daß ich selbst<br />
es vor einem halben Jahr <strong>für</strong> möglich gehalten hätte, daß mir die Tschechoslowakei von ihren<br />
Freunden quasi serviert worden wäre? Ich habe nicht daran geglaubt, daß England und Frankreich<br />
in einen Krieg ziehen würden, aber ich war der Überzeugung, daß die Tschechoslowakei<br />
durch einen Krieg vernichtet werden müsse. Wie alles gekommen ist, ist geschichtlich einmalig."<br />
Ebd. Bd. 5, Nr. 272. Zum Gesamtzusammenhang vgl. Helmut Krausnick, Vorgeschichte<br />
und Beginn des militärischen Widerstandes gegen Hitler. In: Vollmacht des Ge-