PDF-Download - Bayerische Staatsoper
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18 TAKt 7+8 Ein Tag im Leben des:<br />
Kilian Krieg<br />
Wilfried Hösl<br />
Probenbetrieb im Cuvilliés-Theater:<br />
„Das ist hier alles eine ganz<br />
eigene Erfahrung und macht<br />
wahnsinnig Spaß!“<br />
Christine Diller, Kulturjournalistin,<br />
schreibt für Münchner Merkur, Applaus und Frankfurter Rundschau.<br />
Kilian Krieg,<br />
Bühnentechniker<br />
Mit „Idomeneo“ auf dem Weg zur Meisterschaft<br />
Baucontainer standen vor einiger Zeit noch um das Cuvilliés-Theater herum,<br />
Leitungen wurden dort verlegt, Wandbespannungen erneuert, Holzverzierungen<br />
mit frischem Blattgold belegt und rund um die Bühne moderne Apparaturen<br />
eingebaut. Inzwischen aber kreist statt der Betonmischmaschinen<br />
wieder die Drehbühne, und Bühnenhandwerker haben von den Bauarbeitern<br />
und Restauratoren das Regiment übernommen. Endlich herrscht in dem<br />
Rokoko-Kleinod wieder der Normalzustand: Es wird – nach seiner mehrjährigen<br />
Sanierung – bespielt, wie es sich für ein Theater gehört.<br />
Für Kilian Krieg jedoch bedeutete das wochenlang den Ausnahmezustand:<br />
Die Proben für die festliche Wiedereröffnung mit Mozarts „Idomeneo“ liefen<br />
auf Hochtouren. Das ist für einen Bühnentechniker wie Krieg allerdings noch<br />
nichts Besonderes. Dass er direkter Ansprechpartner für Dieter Dorn und<br />
Jürgen Rose ist, hingegen schon. Denn mit Regisseuren und Bühnenbildnern<br />
gerät ein Techniker am Nationaltheater gewöhnlich kaum in Kontakt. Was<br />
er zu tun hat, erfährt er sonst vom Bühnenmeister, und der weiß es wiederum<br />
von der Ausstattungsabteilung.<br />
In den letzten Wochen jedoch herrschte an der <strong>Bayerische</strong>n <strong>Staatsoper</strong><br />
Personal-Engpass. Während der „Idomeneo“-Proben im Cuvilliés-Theater<br />
musste der Normalbetrieb im Nationaltheater weiterlaufen, gleichzeitig wurden<br />
die Opernfestspiele vorbereitet – die Festspielpremiere „Doktor Faust“<br />
und zusätzlich die Neuinszenierung „Ariadne auf Naxos“ im Prinzregentheater.<br />
Da wurde Kilian Krieg, dem für seine Qualifikation als Bühnenmeister<br />
nur noch eine Prüfung fehlt, bereits für ungewöhnlichere Aufgaben gebraucht.<br />
Neben einem weiteren Meister ist er für die „Idomeneo“-Produktion<br />
kommissarischer technischer Bühnenvorstand. Und das bedeutet: In seiner<br />
Schicht laufen bei ihm alle technischen Dinge zusammen, für die es im<br />
großen Haus eigene Abteilungen gibt, die Galeristen etwa für die Obermaschinerie<br />
oder die Hydraulik-Mannschaft für die Untermaschinerie. „Das ist<br />
hier alles eine ganz eigene, intensive Erfahrung und macht wahnsinnig Spaß“,<br />
sagt der große Blonde mit dem Funk-Headset, als er während der Beleuchtungsproben<br />
auf seinen eiligen Wegen kreuz und quer durchs Bühnenhaus<br />
auch wieder einmal am Schaltpult vorbeikommt. Er tippt darauf und ruft<br />
„Vorsicht, Sandsack!“, weil der soeben an einem Seilzug den Schnürboden in<br />
Richtung Bühnenbretter verlassen hat. Dann packt Krieg mit an, um einen<br />
überdimensionalen Speer aus seiner Verankerung zu lösen und ein Podest<br />
mit den hölzernen Resten eines trojanischen Pferdes per Hand auf die Seitenbühne<br />
zu bugsieren. Die ganze Aktion, die hinter einem impressionistisch<br />
blau-getüpfelten Vorhang namens „Ruhiges Meer“ abläuft, endet mit Kriegs<br />
Funkdurchsage „Chorpodest steht“. Das „ruhige Meer“ darf nun in den<br />
Bühnenhimmel entschweben, damit die Beleuchter das Stufenpodest ins<br />
rechte Licht rücken können.<br />
Kriegs Tagesablauf ist hier ein anderer als drüben im Nationaltheater.<br />
Dort wird nämlich viermal täglich die Bühne verwandelt: Morgens muss das<br />
Bühnenbild vom Vorabend weggeräumt und der Schnürboden von Hängern<br />
freigemacht werden. Dann wird die Teildekoration für die Proben einer<br />
Neuinszenierung aufgestellt. Die gilt es am Nachmittag schon wieder abzubauen,<br />
damit schließlich die Abendvorstellung eingerichtet werden kann.<br />
Und diese muss mit ihren Umbauten natürlich ebenfalls von Technikern<br />
betreut werden: Sie sind die Meister der Verwandlung.<br />
Streng sind sie geteilt in „Rechte“ und „Linke“. Damit sind freilich keine<br />
politischen Überzeugungen gemeint, sondern Bühnenseiten. Denn damit<br />
alles immer möglichst reibungslos klappt, kennt jeder seine Seite in- und<br />
auswendig und wird auch nur für diese eingeteilt. Eine Aufführung, bei der<br />
zufällig alle in der Schicht besser die linke Seite kennen würden, hätte nämlich<br />
ein Problem.<br />
Im winzigen Rokoko-Theater aber, das keine Hinterbühne und an der linken<br />
Seite nur eine bessere Abstellkammer hat, ist alles ein bisschen anders.<br />
Vor der Wiedereröffnung steht es noch ganz für Proben zur Verfügung.<br />
Zusätzliche Umbauten verursachen nur die parallel stattfindenden Proben<br />
für das „Idomeneus“-Schauspiel des Residenztheaters. Dafür haben hier die<br />
Techniker eine Menge anderer Aufgaben: Sie müssen sich für die Dekorationen<br />
beider Stücke auf dem sehr beschränkten Lagerplatz eine schlaue<br />
Ordnung ausdenken: „Damit wir rechtzeitig mit den erforderlichen Teilen<br />
reinkommen“, sagt Krieg. Außerdem hatten die Arbeiter ein paar Extras einzubauen,<br />
etwa einen Gegengewichtschlitten für eine Bodenklappe, damit<br />
der Herrenchor aus der Versenkung auftauchen kann. Und eine sichere Verankerung<br />
für den riesigen Deko-Speer. Schließlich noch ein Baugerüst an<br />
der Außenseite des Theaters, damit die Darsteller durch ein Fenster die Bühne<br />
von ihrer Rückseite aus betreten und seidene Meereswellen hereinschwappen<br />
können.<br />
Meistens haben die Bühnenhandwerker bei den in den Werkstätten angefertigten<br />
Teilen nur noch technische Detailfragen zu lösen. „Hier aber<br />
muss man sich noch einige Gedanken machen, was wir wie technisch umsetzen<br />
können“, sagt Krieg. Und das gefällt ihm. Dienst nur nach Vorschrift<br />
ist nicht sein Ding. Am liebsten hat er richtig aufwändige Verwandlungen,<br />
etwa im „Fliegenden Holländer“, wenn nach den anlegenden Schiffen des<br />
ersten Aktes Sentas „Spinning Room“ mit den Heimtrainern im zweiten<br />
Akt erscheint.<br />
Seit 2000 macht Krieg diesen Job. „Ich bin einer von diesen Verrückten,<br />
die zufällig hier gelandet sind.“ Vorher hat er „viele Haken geschlagen“<br />
und sich in verschiedensten Branchen getummelt, von Gastronomie bis<br />
Messebau. Mit seiner Erfahrung aus „bühnennahen“ Bereichen fing er als<br />
Abendaushelfer bei der Bühnentechnik an, blieb und setzte sich den Meister<br />
als Ziel. „Ich genieße die Gelegenheit, zuschauen zu können“, erzählt er.<br />
Kein Wunder, denn er stammt aus einer musikliebenden Familie, ging auf<br />
die musisch orientierte Waldorfschule an der Münchner Leopoldstraße und<br />
spielte elf Jahre lang Geige. Fast alle Inszenierungen an der <strong>Bayerische</strong>n<br />
<strong>Staatsoper</strong> kennt er auch als Zuschauer. Und er fliegt auch mal nach Berlin,<br />
um sich dort „einen Tristan“ anzuschauen. „Ich kann mir keine eigene Meinung<br />
bilden, wenn ich die Sachen nicht gesehen habe“, sagt er. „Und erst<br />
durch die Publikumsperspektive erschließt sich manchmal, warum wir etwas<br />
wie machen.“<br />
Was reizt ihn an diesem Job? „Die Abwechslung, weil wir nie das Gleiche<br />
tun“, antwortet er. „Und dass Menschen aus verschiedensten Ecken, der<br />
künstlerischen oder der handwerklichen, es schaffen, miteinander etwas live<br />
auf die Bühne zu stellen.“ Dann spurtet Krieg wieder Haken schlagend über<br />
die Bühne und findet da und dort noch etwas zu tun: „Auch das gehört dazu:<br />
aufräumen“, sagt er, wickelt herumliegende Hanfseile auf, mit denen ein<br />
provisorischer Bühnenvorhang befestigt war, und rückt ein paar Kulissenteile<br />
zurecht, die noch nicht ordentlich auf der markierten Stelle standen.<br />
Die Probe an diesem Abend kann beginnen, und hinter dem „Ruhigen Meer“<br />
wartet wieder das trojanische Pferd auf seine Auswechslung gegen das<br />
Chorpodest.